Philosophie der Zukunft – Teil1 – Einleitung

Sehr geehrten Damen und Herren,

Liebe Zuhörer und Mitdenker,

bevor man einen Vortrag hält wird man ja in der Regel gefragt, worüber man sprechen will. So auch für diesen Vortrag.

Je nach Temperament des Vortragenden entscheidet man sich dann eher für ein Thema, das man mehr oder weniger fertig in der Schublade hat oder man gibt sich einen inneren Ruck und formuliert mutig ein Thema, das man selber sehr spannend findet, um sich damit gleichsam selbst eine Falle zu stellen, um sich gewissermaßen im Getriebe des Alltags kontinuierlich wach zu halten für den Moment, an dem man den Vortrag dann tatsächlich hält. Letzteres Vorgehen –man kann es mutig oder tollkühn nennen– birgt natürlich das Risiko, dass man bis zum Schluss viele Fragmente in den Händen hält und der große rote Faden fehlt.

Der Vortrag des heutigen Abends tendiert in Richtung dieses zweiten Typs des ‚Voll-ins-Risiko-Gehens‘. Er behandelt eine Fragestellung, die mich selbst seit vielen Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, brennend interessiert, bei der es mir bislang aber nie gelungen war, ein ganz bestimmtes Verbindungsstück zu klären.

Als Herr Thiemann mich wegen des Vortrags vor vielen Monaten anfragte, hatte ich gerade zum ersten Mal das Gefühl, dass ich ganz nah dran sei an einer möglichen Lösung und ich war dann so mutig, anzunehmen, dass ich dies bis heute Abend dann tatsächlich soweit ausarbeiten könnte, dass es auch andere, nämlich Sie, verstehen können.

Ob dies tatsächlich der Fall sein wird, das wird sich am Ende des heutigen Abends zeigen.

Auf jeden Fall ist das, was ich Ihnen heute Abend vortragen werde, nichts aus der Schublade, sondern brandaktuell, deswegen möglicherweise noch nicht so schön rund, wie man es gerne hätte.

Ich freue mich jedenfalls sehr, dass ich hier, heute Abend durch die Einladung der Philosophischen Gesellschaft Bremerhaven, die Gelegenheit habe, ihnen meine Gedanken zum Thema einer möglichen Philosophie der Zukunft vortragen zu können. Und ich würde mich natürlich noch mehr freuen, wenn wenigsten einige von Ihnen im Anschluss sagen könnten, „Nicht so uninteressant, was der Professor Doeben-Henisch da erzählt hat“.

Fangen wir behutsam an, Schritt für Schritt.

 

Ankündigungstext

Im Ankündigungstext für den heutigen Abend hatte ich geschrieben, dass wir in einer Zeit konkurrierender Deutungsmuster leben, in der religiöse Deutungsmuster weiterhin bestehen neben philosophischen Gedanken unterschiedlichster Richtungen. Parallel dazu liefern die empirischen Wissenschaften atemberaubende neue Perspektiven für alternative Lebensbilder, die so gar nicht mit dem bisher Vertrauten überein zu kommen scheinen. Dies begleitet von einer Flut neuer technischer Produkte, eingebettet in eine tägliche Wissensflut.

Natürlich kann man sich da fragen, oder muss es sogar, welche der vielen heute angebotenen Deutungen denn noch gilt? Oder, die nicht minder spannende Frage: Worauf laufen diese ganzen Entwicklungen hinaus?

Stoff – Thema

Mit etwas Fantasie können Sie sich ausmalen, dass dieser Problemkontext uns Stoff für nicht nur einen Abend geben würde, sondern für sehr viele.

Andererseits habe ich nur einen Abend Zeit, heute Abend, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Nach längerem Hin und Her hatte ich mich für die Formulierung des Themas entschieden, die dann offiziell wurde:

‚Eine Philosophie für die Zukunft?‘

Zwei Begriffe

Die Formulierung des Titels enthält zwei Begriffe, die mir persönlich wichtig sind und immer waren: ‚Philosophie‘ und ‚Zukunft‘.

 

Philosophie-Geschichte

Der Begriff ‚Philosophie‘ ist –selbst wenn wir nur Europa berücksichtigen würden ohne all die anderen kulturellen Räumen wie z.B. Indien und China– eingebettet in eine vielschichtige Geschichte von mindestens 2500 Jahren und es wäre mehr als abendfüllend nur die Geschichte dieses Begriffs zu erzählen.

Philosophie Rolle

Für mich, der ich Zeit meines Lebens ein sehr wechselvolles Verhältnis zur Philosophie hatte –mal begeistert stürmisch, dann enttäuscht distanziert, zwischenzeitlich nüchtern damit arbeitend, dann wieder wieder stärker inspiriert– steht Philosophie für eine Art zu Denken, das in allem nach Grundlagen unseres Erkennens und Wissens fragt, nach dem, was auf jeden Fall gilt, gelten soll angesichts der vielfältigen Veränderungen, denen unser Leben beständig unterworfen ist. Und hierin hebt die Philosophie sich für mich deutlich ab von einem religiösen Denken, das –selbst in der Form einer wissenschaftlichen Theologie– sein vorweg Verhaftetsein in bestimmte offenbarungsbedingte Vorgaben nicht leugnen kann (Beispiele: Judentum, Christentum, Islam). Das empirische Denken der Neuzeit, von Anfang an immer auch gepaart mit einem formal-mathematischen Denken, wirkt daneben auf den ersten Blick spröde, grob, vielleicht sogar menschenfeindlich –was ich selbst viele Jahre geglaubt habe–, aber, wenn man sich mit dem empirisch-mathematischen Denken näher befasst, es anwendet, kann sich der Eindruck aufdrängen, dass es möglicherweise dem philosophischen Denken doch sehr nahe ist, ja eigentlich ein Teil davon.

Philosophie und Wissenschaft

Für mich ist diese wachsende Einsicht in die letztlich innere Verwandtschaft von philosophischem und empirisch-formalem Denken ein sehr wichtiger Punkt in meinem Denken. Statt wie in der Vergangenheit viel Energie damit zu verlieren, Philosophie und Wissenschaft beständig gegeneinander abzugrenzen scheint es mir mittlerweile fruchtbarer und inspirierender zu sein, die Stärken beider Denkweise in einem täglichen Miteinander so zu vereinen, dass sie sich wechselseitig stützen und befruchten.

Philosophie u Wissenschaft WS2011

An dieser Stelle wirkt es sich sicher aus, dass ich in meinem Leben sehr intensiv eine religiöse-philosophische-theologische Phase durchleben konnte gefolgt von einer empirisch-formalen Phase mit Schwerpunkt auf dem Formalen. Gerade die langjährigen Versuche, die Grenzen der heutigen Computerwissenschaft unter Berücksichtigung von Neurowissenschaften, Psychologie und Sprachwissenschaften auszureizen im Versuch, den menschlichen Geist quasi nachzubauen, haben mich immer mehr –und in gewisser Weise unmerklich– an jene zentrale Fragestellungen zurückgeführt, die ich als Philosoph (und auch als Theologe) für die zentralen Merkmale menschlicher Geistigkeit zu verstehen gelernt hatte. Und, als ich mich zu Beginn dieses noch laufenden Wintersemesters dabei ertappte, dass ich mit meinen Studenten Texte von Husserl, Saussure, Derrida und anderen diskutierte, um Eigenschaften unserer Software zu klären, war mir klar, dass hier etwas Grundlegendes passierte: je nach Standpunkt könnte man dazu entweder sagen: die moderne Wissenschaft ist bei der Philosophie angekommen oder umgekehrt, die Philosophie ist in der modernen Wissenschaft angekommen. Entscheidend scheint mir letztlich das Faktum der Annäherung als solcher zu sein.

Anhand meiner Erkenntnisse

Ich werde also in den nächsten Minuten versuchen, Ihnen anhand meiner Erkenntnisse zu verdeutlichen, warum ich der Meinung bin, dass das Verhältnis zwischen Philosophie und Wissenschaft möglicherweise neu bestimmt werden sollte. Und ich tue dies –wie Sie vielleicht schon bemerkt haben– nicht als jemand, der zum Thema Philosophie schon immer alles wusste, sondern als jemand, der versucht mit seinem Denken Antworten auf Fragen zu finden, die sich uns heute stellen, Antworten, die einen starken Arbeitscharakter haben: Arbeitshypothesen, die sich beständig neu bewähren müssen.

Nicht Personen, sondern Struktur Erkenntnis

Der Kern des Vortrags wird weniger über Personen und deren Werke handeln, sondern mehr von der Struktur unseres Denkens, das was uns allen gemeinsam ist, das, was in die Zukunft hinein weist als Basis für all unser Denken und all unsere Sinn Suche.

Schaubilder

Ich werde in meiner Darstellung zudem sehr viele Schaubilder benutzen, Diagramme, um damit die normale Rede, die normale Sprache in ihrer inhaltlichen Aussage zu unterstützen. Ich sage gleich vorweg, dass es schwierige Kost sein wird, und es helfen kann, sich selbst mit Papier und Bleistift Notizen zu machen. In den Schaubildern benutze ich sehr oft die englische Sprache als quasi ‚Meta-Sprache‘. Alle die, die sich mit Englisch schwer tun sollten, kann ich beruhigen, da ich alle Bildern auf Deutsch erläutern werde.

Interdisziplinär, Kaum Details

Ein Letztes vorweg: die Thematik des Abends ist interdisziplinär und komplex: ich werde mich vorwiegend auf die zentralen Zusammenhänge und Strukturen konzentrieren und selten letzte Details referieren. Wenn jemand spezielle Nachfragen hat, dann ist er/Sie herzlich eingeladen, diese Fragen im Anschluss zu stellen. Ich werde auch eine Webplattform angeben, auf der man die Diskussion fortsetzen kann, falls man möchte.

Fortsetzung: Interdisziplinär

Über cagent

Bin Philosoph, Theologe, Kognitionswissenschaftler und hatte seit 2001 eine Vertretungsprofessur und ab 2005 eine volle Professur im Fachbereich Informatik & Ingenieurswissenschaften der Frankfurt University of Applied Sciences inne. Meine Schwerpunke ab 2005 waren 'Dynamisches Wissen (KI)', 'Mensch Maschine Interaktion (MMI)' sowie 'Simulation'. In dieser Zeit konnte ich auch an die hundert interdisziplinäre Projekte begleiten. Mich interessieren die Grundstrukturen des Lebens, die Logik der Evolution, die Entstehung von Wissen ('Geist'), die Möglichkeiten computerbasierter Intelligenz, die Wechselwirkungen zwischen Kultur und Technik, und der mögliche 'Sinn' von 'Leben' im 'Universum'. Ab 1.April 2017 bin ich emeritiert (= nicht mehr im aktiven Dienst). Neben ausgewählten Lehrveranstaltungen ('Citizen Science für Nachhaltige Entwicklung' (früher 'Kommunalplanung und Gamification. Labor für Bürgerbeteiligung')) arbeite ich zunehmend in einem integrierten Projekt mit Theorie, neuem Typ von Software und gesellschaftlicher Umsetzung (Initiative 'Bürger im Gespräch (BiG)). Die einschlägigen Blogs sind weiter cognitiveagent.org, uffmm.org sowie oksimo.org ... ja, ich war auch mal 'Mönch', 22 Jahre lang mit viel Mystik, Theologie und Philosophie; dabei u.a. einige Jahre Jugendsozialarbeiter.