Archiv für den Monat: Mai 2010

INTELLIGENZ (1)

(1) In der heutigen Welt erleben wir eine Inflation im Gebrauch der Wörter   ‚Intelligenz‘, ‚intelligent‘ und ’smart‘. Im technischen Bereich sind immer mehr Produkte ’smart‘ ohne dass jemand sich auch nur ansatzweise die Mühe macht, diese Sprechweisen zu rechtfertigen; man tut einfach so, als ob dies so sei.

(2) Die Wurzel des Redens über ‚Intelligenz‘ ist aber das Erleben von Menschen, die Art und Weise wie wir als Menschen das Verhalten anderer Menschen im Vergleich zur umgebenden Natur erleben. In nicht wenigen Aspekten hebt sich das Verhalten des Menschen dadurch ab, dass wir einem Menschen ‚Absicht‘ unterstellen, ‚Erinnerungen‘, ‚Denken‘, usw. Bestimmte dieser beobachtbaren Eigenschaften  zusammengenommen unterstellen wir, wenn wir von ‚Intelligenz‘ sprechen.

(3) In dem Masse, wie wir gelernt haben, das eigene menschliche Verhalten besser zu verstehen und in den Gesamtzusammenhang des biologischen Lebens einordnen zu können, haben wir auch begonnen, verschiedenen anderen Lebensformen (Insekten, Säugetiere, …) zumindest Ansätze solcher Eigenschaften wie ‚Wahrnehmung‘, ‚Erinnerung‘, ‚Absicht‘ usw. zu zusprechen.

(4) Abseits vom Verhalten von Menschen haben wir keine ‚Referenzmuster‘ für ‚intelligentes Verhalten‘. Wenn wir eine Maschine (Roboter) bauen und von ihr behaupten, sie sei ‚intelligent‘ dann gewinnt diese Aussage höchstens Bedeutung durch Bezug auf vergleichbares Verhalten von Menschen; aber ohne diesen Bezug macht es keinen Sinn, von ‚Intelligenz‘ zu sprechen. Der Begriff der Intelligenz‘ unabhängig vom Menschen hat zunächst keine Bedeutung.

(5) Es ist vor allem die Psychologie, die sich mit dem beobachtbaren Verhalten von Menschen wissenschaftlich auseinandersetzt (im weiteren Sinne auch die allgemeinere biologische Verhaltensforschung (Ethologie)). Die Psychologie hat seit mindestens Sir Francis Galton  (1822 – 1911) und Alfred Binet (1857 – 1911) versucht, das als ’normal‘ anzusehende Verhalten der Mehrheit der Menschen (eines Jahrgangs) zum Massstab  zu nehmen, um damit das Verhalten eines jeden einzelnen ‚Bezogen auf dieses allgemeine Verhalten‘ ‚einzuordnen‘ (zu ‚messen‘).

(6) Natürlich haftet jeder Auswahl von konkreten Verhaltensweisen etwas ‚Willkürliches‘ an, dennoch stellt eine ‚Zusammenstellung‘ der zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Gesellschaft ‚üblichen Verhaltensweisen‘ aber auch mehr dar als nur eine ‚bloss zufällige‘ Anordnung.

(7) Seitdem die Psychologen begonnen haben, mit solchen (z.T. schon unterschiedlichen) Zusammenstellungen von Verhaltensweisen (‚Testbatterien‘) gezielt ‚Messungen‘ vorzunehmen hat sich gezeigt, dass die Messergebnisse erstaunliche Konsistenzen aufweisen; ja, es lassen sich Prognosen über ‚Verhaltensweisen und Erfolge in der Zukunft machen‘, die weit jenseits des ‚Zufälligen‘ sind.

(8) Daraus kann man nicht folgern, dass die gewählten Verhaltensweisen die einzig ‚richtigen‘ sind, die mit INTELLIGENZ korrelieren, aber man darf zurecht annehmen, dass die Strukturen, die mittels des beobachtbaren Verhaltens ‚indirekt‘ gemessen werden, offensichtlich eine gewisse ‚Konsistenz‘ aufweisen, die ‚hinter‘ all der beobachtbaren Vielheit ‚am Werke‘ ist.

(9) Wenn die Psychologie also von ‚Intelligenz‘ spricht, dann bezieht sie sich auf kulturell stark repräsentative Verhaltensweisen, die man ‚messen‘ kann und die in ihrer Gesamtheit einen Hinweis liefern, ob ein einzelner Menschen sich so verhält, wie der große ‚Durchschnitt‘ (IQ=100) oder aber davon ‚abweicht‘; entweder durch ‚geringere‘ Leistung (IQ < 100)  oder durch ‚mehr‘ Leistung (IQ > 100).

(10) Wichtig ist, dass die verschiedenen benutzten Verhaltenskataloge (Testbatterien) kein direkt beobachtbares  ‚Objekt‘ Intelligenz definieren, sondern eher eine Art ‚Umschreibung‘ von etwas darstellen, was man nicht direkt sehen, sondern nur indirekt ‚erschließen‘ kann. Der psychologische Begriff der Intelligenz ist ein ‚theoretisches Objekt‘, also ein ‚Begriff‘ (Term), der durch formalen Bezug zu unterschiedlichen Messvorgängen eine ‚operationale‘ Bedeutung besitzt. Was letztlich das beobachtbare (messbare) Verhalten erzeugt, ist damit in keiner Weise klar.

(11) In der Psychologie gab es eine Vielzahl von Deutungsansätzen, wie man das ‚hinter dem Verhalten‘ liegende ‚Etwas‘ denken sollte. Am meisten verbreitet ist jener Ansatz, der zwischen einer ANGEBORENEN und einer ERWORBENEN Struktur unterscheidet: die durch die Erbanlagen weitgehend bestimmte angeborene Struktur definiert eine MASCHINERIE der VERARBEITUNG, deren Qualität sich in der GESCHWINDIGKEIT und FEHLERFREIHEIT zeigt (man spricht hier oft von FLUIDER Intelligenz). Die erworbene Struktur ist jener WISSEN, jene ERFAHRUNG, die sich durch die Anwendung der Maschinerie ERGIBT, so zu sagen das ERGENIS VON VERARBEITUNG (man spricht hier oft von KRISTALLINER Intelligenz). Während die kristalline Intelligenz stark verhaltens- und umweltabhängig ist ist die fluide Intelligenz weitgehend genetisch determiniert.

(12) Ob und wieweit die theoretisch bedingten Spekulationen der Psychologen über die fluide und kristalline Intelligenz zutreffen muss letztlich die Neurowissenschaft, und hier insbesondere die Neuropsychologie, entscheiden. Diese untersuchen die ‚biologische Maschinerie‘ des Gehirns und die Wechselwirkung mit dem Beobachtbaren Verhalten. Allerdings sind die Neurowissenschaften auf die Verhaltenstheorien der Psychologen angewiesen. Ohne die fundierten Untersuchungen des Verhaltens hängen die neurologischen Befunde buchstäblich ‚in der Luft‘: was nützt die Prozessbeschreibung eines Neurons wenn man nicht weiss, auf welches Verhalten dies zu beziehen ist. Und da es beim Menschen auf komplexe Verhaltensweisen ankommt die das gesamte komplexe Gehirn voraussetzen, ist diese Aufgabe nicht ganz einfach zu lösen (aus theoretischen Überlegungen muss man davon ausgehen, dass wir diese Aufgabe mit den heute verfügbaren Gehirnen nicht vollständig werden lösen können).

(13) Intelligenz messen: der Beginn der empirischen Wissenschaften ging einher mit der Einsicht, dass man auf Dauer nur dann zu ‚objektiven‘ Daten kommen kann, wenn man die Messprozeduren auf REFERENZOBJEKTE beziehen kann, die von den subjektiven Zuständen des einzelnen Beobachters UNABHÄNGIG sind. So kam es zur Einführung von Referenzobjekten für die Länge (m), das Gewicht (kg), die Zeit (s) usw. (die im Laufe der Zeit immer wieder durch neue ‚Versionen‘ ersetzt wurden; z.B. die Definition der ‚Sekunde‘ (s) oder der Länge (m)).

(13.1) Die Psychologen hatten im Fall der ‚Intelligenz‘  ‚Referenztestverfahren‘ eingeführt, die zwar unabhängig von den Gefühlen der Beteiligten waren, aber  es gab  kein unabhängiges Referenzobjekt INTELLIGENZ. Man erklärte einfach die MEHRHEIT der gerade lebenden Menschen zum STANDARD und verglich die zu ‚messenden Menschen‘ so gesehen mit ’sich selbst‘. Es war dann nicht wirklich überraschend, dass man im Laufe der Jahrzehnte feststellen musste, dass sich das REFERENZOBJEKT (nämlich die Leistung der ‚Mehrheit‘) nachweisbar ‚verschob‘. Ein IQ=100 war vor 50 –oder noch mehr– Jahren etwas anderes als heute!
(13.2) Das, was das Referenzobjekt INTELLIGENZ ’stabil‘ macht, das ist seine genetische Determiniertheit. Das, was es flexibel/veränderlich macht, das ist die Modifizierbarkeit durch genetische Variabilität und individuelle Lernfähigkeit bzw. die kontinuierliche Veränderung der Umwelt durch den Menschen selbst, die als veränderte sekundäre Welt auf den Menschen zurückwirkt.
(13.3) Bei aller Kritik an den Unzulänglichkeiten der aktuellen Messmethoden sollte man aber festhalten, dass das bisherige Verfahren trotz allem ein Geniestreich war und die Psychologie geradezu revolutioniert hatte.
(13.4) Trotzdem stellt sich die Frage, ob man heute mit neueren Mitteln das Projekt der Erforschung der Intelligenz noch weiterführen könnte?

(14) Für die Psychologen ist es unmöglich, die dem beobachtbaren Verhalten zugrunde liegenden Strukturen ‚als solche‘ direkt zu erforschen. Die Neurowissenschaftler können dies ansatzweise, indem sie reale Gehirne untersuchen, aber nur sehr limitiert; sie können nicht mit einem lebenden Gehirn wirklich Experimente machen (nur mit den Gehirnen von Tieren, und dies ist mehr und mehr ethisch äußerst fragwürdig!)

(15) Mit dem Aufkommen der Informatik entwickelten sich nicht nur theoretische Konzepte der BERECHENBARKEIT, sondern mehr und mehr auch eine TECHNOLOGIE, die es erlaubt, Berechnungsprozesse technisch zu realisieren. Dies wiederum ermöglicht die MODELLIERUNG und SIMULATION von nahezu beliebigen Strukturen und Prozessen, auch solchen, die BIOLOGISCHE Systeme modellieren und simulieren, einschließlich des GEHIRNS. Damit ist es prinzipiell möglich, zu jeder VERHALTENSWEISE, die in sogenannten Intelligenztests im Rahmen von TESTAUFGABEN gemessen werden, KÜNSTLICHE INTELLIGENZ (-STRUKTUREN) (KI := Künstliche Intelligenz, AI := Artificial Intelligence, CI := Computational Intelligence)  zu entwickeln, die in der Lage sind, genau diese Testaufgaben mit einem gewünschten IQ zu lösen. Auf diese Weise würde man eine ganze Kollektion von unterschiedlichen IQ-REFERENZOBJEKTEN erstellen können, die sich nicht mehr verändern und die –so wie das Kilogramm (kg), das Meter (m) oder die Sekunde (s)– dann als WIRKLICHE REFERENZOBJEKTE FÜR INTELLIGENZ dienen könnten. Es wäre dann  möglich, FORMEN VON INTELLIGENZ OBJEKTIV definieren zu können, die VERSCHIEDEN sind von der AKTUELLEN MENSCHLICHEN INTELLIGENZ. Auch könnte man damit den verschiedenen Formen TIERISCHER INTELLIGENZ mehr Rechnung tragen.

Körper – Emergenz – Kognition – Kognitiver Müll

(1) Der Mensch ist durch seinen Körper primär ein animalisches Wesen, ein Körper im Prozess der Körperwerdung als Teil des Biologischen.

(2) Dieser Körper zeigt Eigenschaften, Funktionen, die sich nicht aus den Bestandteilen des Körpers als solchen erklären lassen, sondern nur durch ihr Zusammenwirken (Emergenz) sowohl mit anderen Teilen des Körpers wie auch mit der umgebenden Körperwelt.

(3) Dies bedeutet,dass diese emergenten Eigenschaften und Funktionen eine wirkende Wirklichkeitsebene aufspannen, die als solche kein greifbares Objekt ist sondern nur als Veränderungsprozess (induziert Zeit) aufscheint.

(4) Eine Veränderung (Funktion) als solche ist kein Objekt, aber kann von einem intelligenten Wesen wahrgenommen und als bestimmbare Grösse gespeichert werden.

(5) Als erinnerbare Veränderung kann eine emergente Eigenschaft zu einem kognitiven Objekt in einem einzelnen Körper werden.

(6) Über symbolische Kommunikation kann solch ein kognitives Objekt bedingt kognitiv kopiert und damit verteilt werden.

(7) Die Gesamtheit der kognitiven Objekte (und ihre kommunizierten Kopien) können ein Gesamtbild ergeben von dem, was wir als ‚Welt‘ wahrnehmen, erkennen und kommunizieren.

(8) Das biologische System als kognitiver Agent kann einer Vielzahl von körpereigenen Prozessen unterliegen, die die Speicherung und Erinnerung kognitiver Objekte beeinflussen. Das kognitive Objekt hat von daher immer nur eine begrenzte Ähnlichkeit mit denjenigen emergenten Eigenschaften, die zur seiner Entstehung geführt haben (alltagssprachlich: viele Menschen unterliegen psychologischen Einstellungen wie ‚Eitelkeit‘, ‚Hochmut‘, ‚Arroganz‘, ‚Selbstfixierung‘, ‚Ängsten‘, ‚Minderwertigkeitsgefühlen‘, ‚diversen Süchten‘ usw., die in ihrer psychischen Kraft andere kognitive Wirkungsfaktoren so überlagern können, dass sie nahezu ‚blind‘ werden für das, was wirklich ist. Nach und nach, ohne dass die Betreffenden es  merken, generiert ihre kognitive Maschinerie aufgrund dieser anderen Einflüsse ein ‚Bild von der Welt‘, das  zunehmend ‚verzerrt‘, ‚falsch‘ ist. Die Möglichkeit, diese Verzerrungen ‚aus sich heraus‘ zu erkennen sind sehr ungünstig; wenn nicht starke Ereignisse aus der Umgebung diese Systeme aus ihrer negativen Schleife herausreißen (wie?). Die Systeme selbst finden sich ganz ‚toll‘, aber die kognitive Welt ‚in ihrem Kopf‘ ist nicht die Welt, wie sie sich jenseits ’störender psychologischer Tendenzen‘ zeigen kann und zeigt.

(9) Kognitive Agenten, deren Kommunikation stark verzerrenden Faktoren unterliegt und die innerhalb ihrer individuellen kognitiven Prozesse die Transformierung von Körper- und Aussenweltwahrnehmung ebenfalls verzerren, tendieren dazu, ein pathologisches Bild von sich und der umgebenden Welt aufzubauen, was sich immer mehr –und dann auch immer schneller– in einen verzerrten Zustand hineinbewegt, der dann diesem kognitiven Agenten immer weniger ‚hilft‘ und immer mehr ’schadet‘ (Selbstzerstörung durch verzerrtes Wahrnehmen und Denken).

(10) Aus diesem Blickwinkel erscheint die sogenannte moderne Informationsgesellschaft nicht nur als rein positiver Raum sondern auch potentiell sehr gefährlich, da die Verbreitung von verzerrten kognitiven Objekten leicht ist und die kommerzielle Nutzung von von verzerrten kognitiven Objekten  in der Regel einfacher und gewinnbringender ist als umgekehrt. Daraus würde folgen, dass überwiegend ‚geldorientierte‘ Informationsgesellschaften sich im Laufe der Zeit selbst kognitiv so ‚zumüllen‘, dass die wenigen nichtverzerrten kognitiven Objekte immer weniger auffindbar sein werden. Es entsteht ein Raum mit kognitiven Objekte, der als solcher verzerrt ist,  korrespondierend sind aber auch  alle kognitiven Räume in den Körpern der kognitiven Agenten selbst ‚verzerrt‘. Dieser gesellschaftlich organisierten Dunkelheit zu entkommen ist für ein einzelnes kognitives System schwer bis unmöglich. Wohin immer es seine individuelle Wahrnehmung lenken will, es wird dann fast nur noch verzerrte kognitive Objekte vorfinden. Die Produktion von ‚Müll‘ ist halt so unendlich viel einfacher; man muss sich um nichts kümmern und man denkt und redet einfach so drauflos…..es ist doch sowieso egal…..(sagt sich die ‚Ethik des (kognitiven) Mülls‘). In einer ‚verzerrten Infomationsgesellschaft‘ fühlt sich keiner schuldig, aber alle produzieren faktisch den Müll mit, der sich in der Verzerrung selbst legitimiert.