(1) Ich weiß nicht mehr, wann es war, aber irgendwann begann ich mich darüber zu wundern, wie mein Körper und mein Verstand funktionieren. Begann mich zu wundern, über das Leben um mich herum. Begann danach zu fragen, wieso das alles so ist. Wie dies überhaupt möglich sei.
(2) Dieses Wundern war aber lange nach meiner Zeit in der Schule, als wir in die Anfangsgründe von Physik, Chemie und Biologie eingeführt wurden, viele, viele Jahre später. Und da ich – entgegen meinen ursprünglichen Absichten — diese Fächer nicht studiert hatte, stand ich da mit meinen Fragen, wie jeder andere auch, und wusste nicht so recht weiter. Als ‚Laie‘ Bücher über theoretische Physik, Chemie, usw. zu lesen, ist nicht gerade einfach; vor allem braucht man auch Zeit, die man nicht hat.
(3) Ab und zu fand ich Bücher, bei denen ich das Gefühl hatte, die führen möglicherweise zu einer Antwort. Es entstanden erste Umrisse eines möglichen Zusammenhanges. In den letzten Monaten bin ich dann über ein Buch gestolpert, das ich außerordentlich hilfreich empfand: Erwin Schrödingers Buch What is Life?. Ein ‚Klassiker‘, wie sich alsbald herausstellte. Das Buch gibt den Inhalt von Vorlesungen wieder, die er 1943 gehalten hat.
(4) In diesen Vorlesungen stellt sich Schrödinger dem bekannten Paradox, dass nach den Erkenntnissen von Boltzmann die physikalische Welt durch die Entropie charakterisiert ist: die Struktur der Materie tendiert irreversibel dazu, die in einem System vorhandene Energie auszugleichen. Energie verteilen bedeutet aber Bindungen auflösen, Strukturen (Ordnung) zu nivellieren.
(5) Vor diesem Hintergrund erscheint die Bildung von Strukturen (= Ordnung) aus der Unordnung heraus, noch mehr, die Bildung von immer komplexeren Strukturen aus schon bestehenden Strukturen, als nicht ganz leicht erklärbar, ja als geradezu ‚rätselhaft‘.
(6) Schrödinger folgt dieser Frage und arbeitet sich schrittweise an eine erste Antwort heran. Sein Ausgangspunkt ist die Erkenntnis (zu seiner Zeit noch nicht ganz vollständig und daher umso beeindruckender, dass er dies so ‚vorweg dachte‘), dass das biologische Leben letztlich auf der genetischen Information basiert, die in Form eines großen komplexen Moleküls organisiert ist.
(7) Er analysiert dann ein Molekül aus physikalischer Sicht und kommt zu der Erkenntnis, dass ein Molekül in seiner Ordnung sogar einen periodischen Kristall übertrifft; er prägt die Bezeichnung ‚aperiodischer Kristall‘: jedes einzelne Atom kann in diesem Molekül eine spezielle Funktion (Bedeutung) repräsentieren (p.61) bei gleichzeitiger hoher energetischer Stabilität.
(8) Zwar wissen selbst wir im Jahr 2010 noch immer nicht genau, wie überhaupt solche komplexen Moleküle mit dieser Stabilität entstanden sind, doch kann man sich aufgrund der bislang vorhandenen Modelle zumindest grob vorstellen, wie allein aufgrund der statistischen Natur großer Mengen an ‚Ausgangsmaterialien‘ unter ‚geeigneten‘ Bedingungen zur ersten Bildung solcher Moleküle geführt haben könnten. Nehmen wir also hier erst einmal an, dass es irgendwie einen Weg von der ‚Unordnung‘ zu einer ‚molekularen Ordnung‘ gibt (das geht weit über die verfügbaren Gesetze der Thermodynamik hinaus und selbst Schrödinger stellt fest, dass man hier Gesetze benötigt, die eigentlich über die Physik hinausführen (p.80f)!).
(9) Dann ist es erstaunlich und beeindruckend zu sehen, wie diese molekulare Ordnung einhergeht mit einem hochkomplexen Mechanismus der ‚Übersetzung‘ in solche materielle Strukturen, die immer mehr Milliarden von Molekülen (Proteine) zu Strukturen organisieren, die wir als Pflanzen- und Tier- und Menschenkörper kennen (Ontogenese). Historisch sieht es so aus, also ob diese ‚Ordnungsbildung‘ zu immer ‚komplexeren‘ Strukturen führt (welche Disziplin liefert hierfür die passenden empirischen Erklärungen?)
(10) Zusätzlich gibt es den weiteren hochkomplexen Mechanismus des ‚Kopierens‘ und ‚Weitergebens‘ solcher molekülgebundener Strukturen zur Bildung neuer Strukturen (führt zu Phylogenese).
(11) Das ‚Konservieren‘ von Ordnung in einer entropischen Umgebung kann nur aufrecht erhalten werden, indem eine bestehende dynamische Ordnung sich kontinuierlich aus der ‚Umgebung‘ ‚frei verfügbare Ordnung (= Energie)‘ besorgt um damit den Bedarf an Energie zu decken, der notwendig ist, um eine bestimmte Struktur gegen ihren ‚Verfall (Entropie)‘ zu retten.
(12) Alle diese Phänomene – Molekülbildung, Ontogenese, Weitergabe von molekularer Information, Realisierung von wachsender Ordnung aus Ordnung – markieren Tatbestände, die vor dem Hintergrund der allgemeinen Thermodynamik alles andere als selbstverständlich sind. Sie markieren Grenzgebiete zwischen Physik, Chemie und Biologie, von denen mir nicht bekannt ist, dass Sie ca. 65 Jahre nach Schrödingers Buch tatsächlich befriedigend beantwortet sind.