Archiv für den Monat: Oktober 2011

Freiheit zu Sterben als Kriterium? (1)

Anmerkung: Der ursprüngliche Titel dieses Eintrags lautete ‚Wie viel sind 100%?‘  Dahinter stand die Absicht, über das sich immer weiter verstärkende Phänomen der ‚Überlastung‘ von einzelnen Menschen zu schreiben, ein Phänomen, das im Grenzfall als konstatierbares  Verhaltenssyndrom dann oft als ‚Burn-Out‘ bezeichnet wird. Beim Schreiben des Textes entwickelte sich dann aber ein ganz anderer Gedanke, eben der Text, den man unten lesen kann, und der eigentlich einen anderen Titel benötigt.

(1) In vorausgehenden Blog-Einträgen ging es immer wieder um den globalen Prozess des Lebens, der sich auf dem Planeten Erde ereignet.

 

(2) So sehr es stimmt, dass ein individueller, einzelner Lebensprozess nicht möglich ist durch die Gleichzeitigkeit all der anderen Prozesse, so sehr stimmt aber auch, dass der globale Prozess nur existiert, weil es die vielen Milliarden einzelnen, individuellen Prozesse gibt, durch die sich der globale Prozess realisiert.

 

(3) Heruntergebrochen auf ein menschliches Leben heißt dies, dass der eigene individuelle Lebensprozess — so unscheinbar er aufs Ganze gesehen erscheinen mag — wesentlich dafür ist, dass es das Gesamtphänomen Leben gibt. Würden alle aktuell lebenden Wesen ’sich weigern‘, weiter zu leben, würde das gesamte Leben zum Stillstand kommen; es würde aufhören zu existieren. Die Erde würde sich alsbald biochemisch verändern — z.B. ohne Atmosphäre –, ein toter Planet. Im Universum würde auf einem Planeten ‚das Licht‘ ausgehen. Ob es auf anderen Planeten noch Leben gibt, wird bislang fleißig geschätzt.

 

(4) Es ist eine interessante Frage, wieweit lebende Individuen — von Bakterien aufwärts — überhaupt ’selbst‘ entscheiden können, ‚freiwillig‘ den eigenen Lebensprozess zu beenden.

 

(5) Begriffe wie ‚Selbst‘ und ‚freiwillig‘ sind vom Menschen geprägt und setzten als ‚Bedeutung‘ voraus, dass es ein ‚Selbst‘ gibt, das über die reale Möglichkeit verfügt, eine ‚Entscheidung‘ zu fällen, die zur Folge hätte, dass der eigene Lebensprozess beendet würde. Außerdem müsste diese Entscheidung ausschließlich von dem Individuum ’selbst‘ getroffen werden, nicht durch Einwirkung von außen. Die Begriffe — ‚Selbst‘, ‚freiwillig‘, ’nicht von außen beeinflusst‘ — sind sehr vage und praktisch nicht wirklich klar ‚definierbar‘ (trotzdem möglicherweise sehr sinnvoll). Es gibt aber hinreichend viele Beispiele von Menschen, die auf eine Weise in den Tod gegangen sind, dass andere Menschen den Eindruck haben, diese Menschen haben das ‚aus sich heraus‘ getan.

 

(6) Mir sind aktuell keine Forschungen bekannt, aus denen zweifelsfrei hervorgeht, ab welchem ‚Organisationsniveau‘ ein Leben ‚aus sich heraus‘ seinen Lebensprozess stoppen kann, obgleich er noch weiter gehen könnte. Damit sind nicht solche Fälle gemeint, in denen ein Lebewesen von einem anderen bedroht wird und in solch einer Situation einen ‚Kampf‘ aufnimmt, der normalerweise als ‚aussichtslos‘ erscheint.

 

(7) Momentan habe ich den Eindruck, dass die Möglichkeit einer ‚Entscheidung aus sich heraus‘, seinen eigenen individuellen Lebensprozess zu verändern, ein ’sehr weitgehendes‘ Organisationsniveau voraus setzt. Umgekehrt bedeutet dies, dass alle individuellen Lebensprozesse, die ‚unterhalb‘ dieses theoretisch postulierten Organisationsniveaus — nennen wir es O* — ‚liegen‘, von ihrem eigenen individuellen Lebensprozess ‚getrieben‘ sind. Der Lebensprozess ‚als solcher‘ — unterhalb von O* — ‚treibt an‘, ‚will leben‘.

 

(8) Im Grunde genommen beinhaltet der Begriff des ‚Lebens‘ genau diese besondere Eigenschaft, in einem von Entropie gekennzeichneten Umfeld entgegen dem allgemeinen Trend ‚lokal‘ — also schon hier beginnend ‚individuell‘ — Moleküle, Zellen, Zellverbände…. ‚zusammen zu bauen‘ und ‚am Funktionieren halten‘. Es ist ein ’nur von außen‘, nur durch Beobachten des ’stattfindenden Prozesses‘ zu konstatierendes Phänomen eines sich ‚Zusammenfügens‘ von zuvor Getrenntem auf der Basis von chemischen Eigenschaften der beteiligten Moleküle spricht Atome, die einen ‚Zusammenschluss‘ ’statistisch‘ ’nahe legen‘. Diese in der ‚Materie-gewordenen-Energie‘ vorgegebene Eigenschaft scheint nahezu ‚unaufhaltsam‘ den Zusammenschluss immer komplexerer Strukturen zu induzieren. Physikalisch, chemisch, molekularbiologisch erscheint dieser beobachtbare Trend ‚unaufhaltsam‘, d.h. aufgrund der beteiligten physikalischen, chemischen, biomolekularen Faktoren ‚kausal erzwungen‘. Man kann nicht erkennen, wo in diesem Prozess ‚der Prozess‘ ‚aus sich heraus‘ ’sagen‘ könnte, ‚ich will nicht‘. Alles in diesem Prozess ist kausal ‚erzwungen‘, determiniert (trotz aller Statistik, die man hier zur Beschreibung partiell aktivieren kann).

 

(9) Auf ‚höherem‘ Organisationsniveau — aber unterhalb von O* — kann man ‚Bedürfnisse‘ konstatieren, ‚Instinkte‘; ‚Faktoren in dem Organismus‘, die die beobachtenden Wissenschaftler dafür ‚verantwortlich‘ machen, dass sie auf das beobachtbare Verhalten ‚Einfluss‘ nehmen. Sofern man solche Faktoren tatsächlich innerhalb der Struktur eines Organismus ‚identifizieren‘ kann — z.B. als genetische Einheiten, die sich auf die spätere Strukturbildung und das Verhalten auswirken — kann man sagen, dass auch solche Faktoren ’nicht beliebig‘ sind, sondern ‚Materie-gewordenene-Energetische‘ Strukturen darstellen, die aufgrund ihrer immanenten physikalisch-chemischen-biomolekularen Eigenschaften so wirken, wie sie wirken. Der betreffende Lebensprozess ist dadurch kausal getrieben, wenngleich verschiedene kausal bedingte Handlungsimpulse, die ‚gleichzeitig‘ (simultan) auftreten können, einen einfachen ‚Determinismus‘ nicht mehr zulassen. Also: kausale Mechanismen: Ja; einfache Determiniertheit: Nein. Allerdings impliziert dies, dass ein handelnder Lebensprozess, der kausal-indeterminiert ist, offensichtlich über ein neues ‚Entscheidungsniveau‘ verfügt. Nennen wir dieses Organisationsniveau O1 mit O1 < O*. Mit Oo soll dann jedes Organisationsniveau gemeint sein, das aufgrund der zugrunde liegenden kausalen Vorgänge vollständig ‚determiniert‘ ist (und zwar im ‚Phänotyp‘, also jener Struktur, die aus dem ‚Genotyp‘ durch Wachstumsprozesse hervor gegangen ist).: Oo < O1 < O*.

 

(10) Zwischen verschiedenen ‚Handlungsimpulsen‘ auf dem Niveau O1 auswählen zu können bedeutet dennoch ein ‚Getriebensein‘, da der jeweils ausgewählte Handlungsimpuls als solcher einen kausalen Mechanismus darstellt, der eine bestimmte ‚Richtung‘ hat. Auch kann man sich einen ‚Auswahlmechanismus‘ vorstellen, der kausal arbeitet, wenngleich seine ‚Wirkung‘ aus Sicht der Beobachters ‚zufällig‘ erscheinen mag oder ‚mit einer bestimmten Tendenz behaftet‘ (so kann man ja auch jeden deterministisch arbeitenden Computer so programmieren, dass er sich nahezu ununterscheidbar wie eine Menge von Ereignissen, denen man die Eigenschaft des ‚mathematisch definierten Zufalls‘ zusprechen würde (was den Verdacht nahe legt, dass ‚zufällige‘ Phänomene ‚beobachterinduziert‘ sind: wir nehmen ‚Zufall‘ war, weil wir die erzeugenden Mechanismen nicht erkennen können)).

 

Fortsetzung folgt.

Nimmt die Verantwortung der Menschen zu?

In Fortsetzung meiner öffentlichen Veranstaltung ‚Philosophie Jetzt‘ (vom 2.Okt.2011), in der ich erstmalig einen Gesamtzusammenhang vom Urknall über die verschiedenen Evolutionsebenen bis hin zur Gegenwart skizzieren konnte, und in Weiterführung der Überlegungen zu den Organisationsebenen ‚Gen – Mem – Sem‘, lässt sich die Gesamtzeit seit dem Urknall als eine immer weitergehende ‚Schichtung‘ von Komplexitätsebenen betrachten, die jede ihre eigene evolutionäre Logik besitzt. Dabei deutet sich an — bei aller Grobheit einer ersten Analyse –, dass sich der Prozess der Evolution beständig beschleunigt. D.h. nicht nur die Fluchtgeschwindigkeit des gesamten Universums nimmt weiterhin zu (die letzten Nobelpreise in Physik haben dies belegt), sondern die Evolution des Geistes im Universum wird auch immer schneller. Dies klingt beunruhigend. Wenn man aber bedenkt, dass die gesamte Evolution einschließlich des Ausfaltungsprozesses von Energie in Materie in Gestalt des uns bekannten Universums ohne unser Zutun abläuft, dann ist damit zwar nicht ausgeschlossen, dass wir Menschen durch unsere zunehmenden Handlungsmöglichkeiten diesen Prozess in einem Teilbereich (Erde) empfindlich stören, aber die gesamte Wucht des Phänomens erscheint so unvorstellbar groß, dass man versucht ist, sich ruhig zurück zu lehnen und zu sagen: das wird schon irgendwie. Allerdings verstärken sich die Indizien, dass durch die zunehmende Komplexität nicht nur die Handlungsmöglichkeiten des homo sapiens zunehmen, sondern auch die ‚Verantwortung‘: es ging noch nie nur um einzelne sondern immer schon um die Population, die als einzige überleben konnte. Aber jetzt geht es nicht nur um eine Population unter vielen Millionen (oder gar Milliarden) anderen, jetzt geht es um das gesamte Leben. Niemand der jeweils lebenden Menschen hat sich dies ausgesucht, aber niemand kann sich auch der Situation entziehen. ‚Mensch sein‘ heißt, in diesem unwirklich-wirklichen gigantischen Prozess teilzunehmen, sich darin vorzufinden und kraft der Fakten herausgefordert zu sein, zu antworten auf das, was man geworden ist — und damit ist –, ohne es selbst gewollt zu haben.

EMERGENZ DES GEISTES?

Hypothestische Zeitabschnitte A --D anhand von Strukturmerkmalen. Erklräung: Siehe Text
Emergenz des Geistes Hypothestische Zeitabschnitte A –D anhand von Strukturmerkmalen. Erklräung: Siehe Text

(1) Nachdem im Vortrag vom 2.Okt.2011 deutlich wurde, dass der Dualismus von 'Geist' und 'Materie' so nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, ja, eigentlich in seiner ursprünglichen Intention zu verabschieden ist, bleibt als Begriffspaar eigentlich nur 'Energie - Materie' übrig: Materie als spezielle Zustandsform von Energie.

 

(2) Zusätzlich zeigte sich aber, dass die Materie im Lichte ihrer atomaren Feinstruktur einer 'Kombinatorik' fähig ist, die -- entgegen dem allgemeinen Gesetz der Entropie -- bei Vorhandensein von 'freier Energie' 'aus sich heraus' zu lokalen Strukturbildungen tendiert, die in Form von Molekülen, Zellen, vielzelligen Organismen usw. sich zu immer 'komplexeren' und immer 'handlungsfähigeren' Strukturen hin entwickeln.

 

(3) Ab einem bestimmten Punkt von Komplexität haben wir 'Menschen' angefangen, solche hochkomplexen agierenden Strukturen mit den Begriffen 'intelligent', 'geistig' zu belegen, bzw. wir unterstellen 'in' diesen Strukturen die Gegenwart von 'Geist', von 'Seele'.

 

(4) Nun sind diejenigen, die dieses 'Urteil' aussprechen selber diejenigen, auf die es zutrifft. D.h. diejenigen Lebewesen auf dieser Erde, die am 'meisten' von dieser agierenden Komplexität besitzen, sind diejenigen, die dieses 'an anderen' und 'an sich selbst' 'haben'. In der Logik nennt man dies 'selbstreferentiell' und selbstreferentielle Definitionen sind eigentlich keine 'wirklichen Definitionen'.

 

(5) Wie auch immer, wir können diese spezielle Eigenschaft einer speziell agierenden Komplexität beobachten, an anderen, an uns selbst, wir können diesen Phänomenen Bezeichnungen zuordnen, wir können versuchen, dies alles zu verstehen.

 

(6) Das Schaubild  zeigt einen ersten Versuch einer sehr groben Skizze der Evolution dieses Phänomens einer sich stetig entfaltenden agierenden Komplexität, die 'aus der Mitte der Materie' erwächst, gleichsam eine 'Ausfaltung' der der Materie (und letztlich der Energie) 'innewohnenden Eigenschaften', die sich in der Ausfaltung zeigen (offenbaren). Statt Ausfaltung könnte man auch von 'Emergenz' sprechen. Zugleich entsteht der Eindruck, dass sich diese Ausfaltung stetig beschleunigt!!!

 

(7) In diesem Schaubild habe ich versucht, grob verschiedene 'Organisationsebenen' in dieser Komplexität zu unterscheiden (sicher noch nicht das letzte Wort). Damit ergibt sich folgende erste Annäherung an einen Prozess einer sich 'auftürmenden' Evolution, die in 'Schichten' organisiert ist: unter Voraussetzung einer Evolution auf Organisationsebene i kann sich die Evolution auf Organisationsebene i+1 noch komplexer entwickeln.

 

(8) A: -13.6 bis - 4.6 Mrd, Atomare Evolution In den ersten 9 Mrd Jahren vom 'Big Bang' bis hin zur Entwicklung erster Galaxien, die sich ungleichmäßig im Universum verteilen, bildeten sich sowohl leichte wie auch 'schwere' Atome. Letztere sind wichtig für bestimmte Moleküle, die anschließend für die chemische und biologische Evolution wichtig wurden.

 

(9) B: -4.6 bis - 3.6 Mrd, Chemische Evolution: Ab Entstehung der Erde hat es ca. 1 Mrd Jahre gedauert, bis sich selbstreproduzierende Zellen entwickelt hatten, die dann nachhaltig die Atmosphäre (Sauerstoff) sowie die gesamte Erdoberfläche (einschließlich Weltmeere) veränderten.

 

(10) C: -3.6 Mrd bis heute, Biologische (= Genetische) Evolution: Mit dem Auftreten von selbstreproduzierenden Zellen begann die biologische Evolution, in der sich -- erst langsam, dann immer schneller -- Pflanzen, Pilze und Tiere entwickelt haben. Insbesondere homo sapiens beginnt sich soweit auszudehnen, dass einige der bekannten Kapazitätsgrenzen der Erde in wenigen Jahrzehnten erreicht zu sein scheinen.

 

(11) D: Ungefähr -550 Mio bis heute, Memetische Evolution: Die memetische Evolution ist eine Weiterentwicklung des Nervensystems innerhalb der biologischen Evolution, die es den biologischen Systemen ermöglicht, mehr und mehr sowohl Erlebtes zu speichern wie auch aktiv wieder zu erinnern, und zwar so, dass sie damit Hinweise für mögliche Handlungen für aktuelle Problemlösungssituationen bekommen.

 

(12) E: Ungefähr -10 Mio bis heute, Semetische Evolution: Die Semetische Evolution ist eine Weiterentwicklung des Nervensystems innerhalb der biologischen Evolution, die es den biologischen Systemen ermöglicht, das Erlebte und Erinnerbare mit Hilfe von Zeichenmaterial in Bedeutungsbeziehungen einzubetten, die aus bloßem Zeichenmaterial (Token, Laute,...) 'Zeichen' machen. Damit entstehen nach und nach Sprachsysteme, mit deren Hilfe sich Menschen, dann später insbesondere Individuen der Art homo sapiens, immer besser koordinieren können.

 

(13) F: Ungefähr -100.000 bis heute, Soziale-ökonomische Evolution: die immer komplexeren Interaktionsmöglichkeiten durch Sprache erlauben immer komplexere Interaktionen im Bereich sozialer Beziehungen, handwerkliche Prozesse, Bauten, Gesetze, wirtschaftliche Beziehungen, Bildung von Institutionen, usw.

 

(14) G: Ungefähr -1000 bis heute, Edukative Evolution: Beginn der systematischen Organisation von Erziehungs- und Ausbildungsprozessen, um das angesammelte Wissen der Population homo sapiens systematisch zu sammeln, zu ordnen, auszuwerten, weiter zu geben, weiter zu entwickeln: Schulen, Hochschulen, Bibliotheken, Forschungseinrichtungen, Zeitschriften, Bücher, ....

 

(15) H: Ungefähr -100 bis heute, Strukturevolution: Homo sapiens gelingt nicht nur die Entwicklung von Informationstechnologien, die das Umgehen mit Informationen, Wissen extrem beschleunigen können, sondern zusätzlich bekommt er Zugriff auf die 'Baupläne' der biologischen Systeme. Im Prinzip kann homo sapien jetzt nicht nur die verschiedenen übergeordneten Evolutionen beschleunigen, sondern auch die biologische Evolution selbst. Dies stellt eine wichtige Herausforderung dar, da die aktuellen 'körperlichen (biologischen)' Strukturen neben ihrer faszinierenden Komplexität und Leistungsfähigkeit deutliche Kapazitätsgrenzen und 'Unangepasstheiten vieler eingebauter genetischer Programme' erkennen lassen.

 

(16) I: Ab wann? Theologisch-, Ethische Evolution: Das unglauliche Anwachsen an Handlungsmöglichkeiten eingebettet in einen sich selbst beständig beschleunigenden Prozess führt unausweichlich zur zentralen Frage, 'wohin' denn dieser Prozess steuert bzw. offensichtlich unter Beteiligung des gesamten Lebens, insbesondere in Gestalt des homo sapiens, steuern soll. Wenn wir jetzt im Prinzip alles (!) verändern können -- letztlich sogar interstellare und galaktische Prozesse -- dann sollten wir irgendwie klären, wo wir hinwollen. Die theologischen Visionen der 'alten' Religionen sind weitgehend 'wertlos' geworden, da sie einfach 'falsch' sind. Die Grundsatzfrage jedoch, woher und wohin das gesamte Universum mit uns als Teilnehmern bleibt, und erscheint einerseits weniger beantwortet denn je, zugleich drängen sich so viele neue 'harte' Fakten ins Blickfeld unseres 'Geistes', so  dass wir nicht länger so tun können, als ob wir 'nichts' wüssten. Faktisch sind wir 'maximal Wissende' eingebettet in sehr endliche Strukturen. Wer weiss warum, wozu, wohin, wie?

 

GEN — MEM — SEM

(1) Bei der Betrachtung der Entwicklung des (biologischen) Lebens auf der Erde tritt als markantes Ereignis (vor ca. 3.5 Mrd Jahren) die Verfügbarkeit von selbstreproduktiven Einheiten hervor: DNA-Moleküle werden dazu benutzt um unter Zuhilfenahme anderer Moleküle Proteinstrukturen in einer geordneten Weise so zu organisieren, dass daraus wieder Zellen, multizelluläre Organismen entstehen.

 

(2) In einem Abstraktionsprozeß wurden mathematische Modelle entwickelt, die die Struktur eines DNA.-Moleküls in solch einem selbstreproduktiven Kontext als ‚Informationseinheiten‚ identifizierten, die auch als ‚Gene‚ bezeichnet wurden. Der gesamte Informationsprozess wurde als ‚Genetischer Algorithmus (GA)‚ rekonstruiert. Gegenüber dem biochemischen Modell enthält er Vereinfachungen, zugleich bilden diese aber auch eine ‚Generalisierung‚, die eine mathematische Behandlung zulassen. Dadurch konnten sehr weitreichende Untersuchungen angestellt werden.

 

(3) Die Uminterpretation von genetischen Algorithmen als Classifier Systeme betrachtet die genetische Informationen als Wenn-Dann-Regeln (auch mehrere hintereinander). Je nachdem, welche Bedingungen vorliegen, werden nur bestimmte ‚Wenns‘ ‚erfüllt‘ und nur diese ‚Danns‘ werden aktiviert. Eine ‚Wenn-Dann-Regel‘ bildet einen ‚Classifier‚. Während genetische Informationen als solche eigentlich nur einmal im Leben eines (biologischen) Systems verändert werden (in der Realität natürlich auch durch Fremdeinwirkungen öfters), nämlich bei der Weitergabe der Informationen nach bestimmten Mustern/ Regeln geändert werden können (letztlich gibt es nur zwei Fälle (i) Rekombination nach einer festen Regel oder (ii) Zufällige Veränderung), können die Informationen, die als eine Menge von Classifiern kodiert sind, durch jedes einzelne Verhalten eines Systems geändert werden. Dies entspricht eher dem Organisationsniveau des Nervensystems bzw. dem des Gehirns in einem biologischen System.

 

(4) Betrachtet man Classifier Systeme auf der Organisationsebene des Gehirns, dann liegt auf der Hand, sie primär als Modell eines einfachen Gedächtnisses (Memory) zu sehen. Die ‚Wenns‘ (Engl. if) repräsentieren dann wichtige ‚Wahrnehmungszustände‘ des Systems (sensorische wie propriozeptive oder mehr), die ‚Danns‘ (Engl. ‚then‘) repräsentieren jene Aktionen des Systems, die aufgrund solcher Wahrnehmungen ausgeführt wurden und damit potentiell über die Veränderung einer (unterstellten) Situation zu einer Veränderung dieser Situation geführt haben, die wiederum die Wahrnehmung ändern kann. Da man mathematisch Wenn-Dann-Regeln (also Classifier) als Graphen interpretieren kann mit den ‚Wenns‘ als Knoten und den ‚Danns‘ als Übergänge zwischen den Knoten, sprich Kanten, bilden die Classifier als Graph den Ausgangspunkt für ein mögliches Gedächtnis.

 

(5) Nennen wir den ersten Graphen, den wir mittels Classifiern bilden können, Stufe 0 (Level 0), dann kann ein Gedächtnis mit Stufe 0 Wahrnehmungssituationen speichern, darauf basierende Handlungen, sowie Feedback-Werte. Feedbackwerte sind ‚Rückmeldungen der Umgebung (Engl. environment). Biologische Systeme verfügen im Laufe der 3.5 Miliarden dauernden Evolution mittlerweile über ein ganzes Arsenal von eingebauten (angeborenen, genetisch fixierten) Reaktionsweisen, die das System zur Orientierung benutzen kann: Hungergefühle, Durstgefühle, Müdigkeit, diverse Schutzreflexe, sexuelle Erregung usw. Im Englischen spricht man hier auch von drives bzw. verallgemeinernd von speziellen emotions (Emotionen). In diesem erweiterten Sinn kann man biologische Systeme auf der Organisationseben des Gedächtnisses auch als emotionale Classifier Systeme (emotional classifier systems) bezeichnen. Wenn man diese systemspezifischen Rückmeldungen in die Kodierung der Wenn-Dann-Regeln einbaut — was bei Classifiern der Fall ist –, dann kann ein auf Classifiern basierendes Gedächtnis die Wirkung von wahrgenommenen Situationen in Verbindung mit den eigenen Handlungen gespeichert (store) werden. Darüberhinaus könnte man diese gespeicherten Informationen mit geeigneten Such- und Auswertungsoperationen in zukünftigen Situationen nutzen, in denen man z.B. Hunger hat und man sich fragt, ob und wo und wie man an etwas Essbares kommen könnte.

 

(6) Der Begriff mem wurde in der Literatur schon vielfach und für sehr unterschiedliche Sachverhalte benutzt. In diesem Kontext soll ein mem* einen Knoten samt aller verfügbaren Kanten in einem Classifiersystem bezeichnen, das als Gedächtnis benutzt wird. Meme* sind dann — analog wie Gene — auch Informationseinheiten, allerdings nicht zur Kodierung von Wachstumsprozessen wie bei den Genen, sondern als Basis für Handlungsprozesse. Meme* ermöglichen Handlungen und die durch Handlungen ermöglichten Veränderungen in der unterstellten Umwelt können auf das handelnde System zurückwirken und dadurch die Menge der Meme* verändern.

 

(7) Wie wir heute wissen, haben biologische System — allerdings sehr, sehr spät — auch Zeichensysteme entwickelt, die schließlich als Sprachen zum grundlegenden Kommunikationsmittel des homo sapiens wurden. Kommunikation ermöglicht die Koordinierung unterschiedlicher Gehirne.

 

(8) Die allgemeine Beschreibung von Zeichen ist Gegenstand der Semiotik als Wissenschaft der Zeichen und Zeichenprozesse. Allerdings ist die Semiotik bis heute kaum anerkannt und fristet vielfach nur ein Schattendasein neben anderen Disziplinen. Dafür gibt es dann viele Teildisziplinen wie Phonetik, Linguistik, Sprachwissenschaften, Sprachpsychologie, Neurolinguistik usw. die nur Teilaspekte der menschlichen Zeichen untersuchen, aber es historisch geschafft haben, sich gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen.

 

(9) Eine Schwäche der Semiotik war — und ist es bis heute –, dass sie es nicht geschafft hat, eine einheitliche Theorie der Zeichen zu erarbeiten. Schon alleine die Vielzahl der ‚Gründer‘ der Semiotik (wie z.B. Peirce, de Saussure, Morris und viele andere) und deren unterschiedlichen begrifflichen Konzepte macht es schwer bis unmöglich, zu einer einheitlichen Zeichentheorie zu kommen.

 

(10) Ich habe mehrfach versucht, die beiden sehr unterschiedlichen Ansätze von Peirce (bewusstseinsbasiert) und Morris (Verhaltensbasiert) zu formalisieren und zu vereinheitlichen. Es scheint so zu sein, dass man bei Erweiterung des classifier-basierten Mem*-Konzeptes einen formalen Rahmen hat, der es erlaubt, sowohl die bewusstseinsorientierte Sicht von Peirce wie auch zugleich die verhaltensorientierte Sicht von Morris zusammen zu führen, ohne dass man deren Konzepte ‚verunstalten‘ müsste. Im Falle von Peirce kann man sein komplexes (und in sich selbst nicht konsistentes) System von Kategorien — so scheint es — drastisch vereinfachen.

 

(11) Stark vereinfachend gesagt kann man den Zeichenbegriff verstehen als eine Beziehung  zwischen einem Zeichenmaterial (das sowohl verhaltensrelevant  wie auch wahrnehmungsrelevant vorliegt) und einem Bedeutungsmaterial (das ebenfalls entweder verhaltensrelevant UND wahrnehmunsrelevant vorliegt oder NUR wahrnehmungsrelevant). Allerdings existiert eine solche Bedeutungsbeziehung nicht als wahrnehmbares Objekt sondern ausschliesslich als gewusste Beziehung im ‚Kopf‘ bzw. im ‚Gedächtnis‘ des Zeichenbenutzers. In Anlehnung an die griechische Philosophie möchte ich ein Zeichen als sem* bezeichnen. Ein sem* basiert zwar auf potentiell vielen memen*, stellt aber als ausgezeichnete Beziehung zwischen memen* etwas Eigenständiges dar. In diesem Sinne kann — und muss — man sagen, dass seme* eine neue Ebene der Organisation von Informationen eröffnen (was grundsätzlich keine neue Einsicht ist; ich wiederhole dies hier nur, da dies die Voraussetzung für die nächste Organisationsebene von Informationen ist).

 

Fortsetzung folgt.