Archiv für den Monat: Februar 2013

GOTT OHNE KIRCHE? Warum es dennoch immer Kirchen geben wird

GOTTUNMITELBAR FÜR JEDEN

Wenn die Überlegungen aus dem letzten Blogeintrag stimmen, dann ist jeder Mensch ‚gottunmittelbar‘, und nicht nur jeder Mensch, sondern jede Lebensform in diesem Universum, letztlich jedes Molekül, jedes Atom, alles.

WORTMARKE ‚GOTT‘

Dabei, das sei nochmals erwähnt, ist das mit der Wortmarke ‚Gott‘ Gemeinte aus sich heraus zunächst nicht klar bestimmt. Wie schon die vielen verschiedenen Namen für Gott in den verschiedenen Sprachen andeuten (‚Gott‘, ‚deus‘, ‚theos‘, ‚Elohim‘, ‚Jhw‘, ‚Allah‘, ….) ist die Wahl der Wortmarke fast ein bischen beliebig (wie bei jeder Wortmarke in einer Sprache), und was die einzelnen Sprecher in ihrer jeweiligen Verwendung dieser Wortmarke damit jeweils ‚meinen‘, das ist zunächst niemals klar. Selbst in einem historisch gewachsenen Interpretationsraum wie dem Christentum (oder dem Judentum, oder dem Islam, oder….) kann es (wie jeder in der Geschichte der Bibelauslegung beispielsweise nachlesen kann) zu tausenderlei verschiedenen Interpretationen des gleichen Textes kommen und jeder kann im Brustton der Überzeugung sagen, ‚meine‘ Interpretation ist ‚richtig‘. Das liegt daran, dass im Falle von Religion/ Glauben der Fluchtpunkt der Bedeutungen irgendwo ‚im Innern eines jeden Menschen‘ liegt, zugleich aber auch in der ‚Menge aller Handlungen‘ bzw. im ‚Gesamt des ganzen Universums‘. Welche speziellen Bezugspunkte hier jemand jeweils wählt, hängt ganz und gar von dem jeweiligen Interpreten ab (ich kenne keine einzige theologische Interpretation, die von Kriterien abhängt, die man ‚hart‘ entscheiden könnte).

NUR EIN EINES

Sofern die verschiedenen Wortmarken ‚Gott‘, … irgendwie auf jene Superwirklichkeit abzielen (sie unterstellen, sie annehmen, sie für möglich halten….), die ‚hinter allem‘ steht, die ‚alles hervorgebracht‘ hat bzw. beständig alles ‚hervorbringt‘, sozusagen der klassische ‚Schöpfer‘ (creator) (hebräisch z.B. ‚barah‘), kann es natürlich nur ‚eine‘ geben. D.h. welche Wortmarke man auch immer benutzen mag, sofern man sie in diesem einen Sinne benutzt, kann man nur das gleiche Eine meinen, nämlich diese schöpferische Superwirklichkeit, aus der wir alle hervorgegangen sind und in deren andauernder Gegenwart wir uns befinden. So viele verschiedene Wortmarken wir auch in den verschiedenen Sprachen generieren mögen (im hebräischen Alten Testament gibt es z.B. mindestens zwei verschiedene: ‚Elhm‘ und ‚Jhw‘), um diese eine Superwirklichkeit zu benennen)(die hebräisch-aramäischen Worte Jesu sind uns nicht überliefert; die griechischen Autoren des Neuen Testaments legen ihm aber Worte in den Mund wie ‚theos‘, ‚pater‘,…), sofern es um die letze, alles umfassende Wirklichkeit geht, kann es (nach heutigem Wissen) nur eine einzige geben.

RELIGIOSITÄT UNIVERSELL?

Die Entwicklung des Universums, unserer Milchstraße, unseres Sonnensystems, unserer Erde, des Lebens auf der Erde — unser aller Lebens — zeigt, dass z.B. alle lebenden Menschen aus den gleichen Vorläuferorganismen hervorgegangen sind und dass entweder niemand einen Kontakt zur allumfassenden Superwirklichkeit hat oder jeder. Das Auftreten von religiösen Verhaltensweisen im Umfeld der Menschen zu allen Zeiten und an allen Orten zeigt, dass das ‚Wissen‘ um den größeren Zusammenhang quasi ‚in jedem Organismus steckt. Je ‚bewusster‘ ein Organismus sein kann, um so expliziter und ausgeprägter kann sich dieses allem innewohnende Verbundenheit ‚zeigen‘. Und, wie die unzählig vielen Zeugnisse aus allen Kulturen zeigen, berichten so viele Menschen von ‚ihrer Beziehung zu Gott‘. Aufgrund der spezifischen Art und Weise der hier involvierten ’subjektiven Wirklichkeiten‘ ist es natürlich schwer bis unmöglich, diese Aussagen direkt zu vergleichen. Aber als Verhaltensphänomene sind sie manifest.

DAS ANDERE ALS PRINZIP

Im übrigen gilt hier auch das ‚Erfahrungsprinzip‘; zwar nicht so reduziert wie im Falle der empirischen Wissenschaften, wo das Messen genialerweise auf solche Vergleichsprozesse eingeschränkt wurde, die sich unabhängig von den subjektiven Zuständen einer menschlichen Person unter den gleichen Bedingungen reproduzieren lassen müssen, sondern in einem verallgemeinerten Sinne, dass jeder Mensch mit seinem Körper (die Frage ist, wie viele Arten von körperlichen Einschränkungen bleiben ohne Einfluss) subjektiv Erlebniszustände haben kann, die auf unzählbar vielen Faktoren zurückgehen können (Bei der Entschlüsselung dieser Erlebniszustände und deren Verursachung steht die Wissenschaft ganz am Anfang, und beschränkt sich bislang auch weitgehend auf partielle Aspekte des Gehirns). Die wenigen Texte von großem Mystikern, die ich intensiver über Jahre lesen konnte, sind sich darin einig, dass diese eine Superwirklichkeit sich jedem Menschen jederzeit mitteilen kann, wenn diese Superwirklichkeit will (ein Ignatius von Loyola nennt Erlebniszustände dieser Art ’sine causa‘, d.h. zwar verursacht, aber nicht durch die Kausalketten der uns umgebenden körperlichen Welt). Man kann diese Art von Erlebniszuständen ’nicht erzwingen‘ (auch kein Papst, oder Bischof oder welche Art von religiösem Funktionär auch immer). In dieser Unabhängigkeit vom individuellen Wollen zeigt sich eine Art von ‚Andersartigkeit‘, die diese Erlebniszustände mit allen ‚empirischen‘ Phänomenen teilen. Sie sind zwar (zumindest mit den bisherigen Messmethoden) nicht intersubjektv (= empirisch) messbar, aber sie sind nicht beliebig (so wie auch die Funktion unseres Gedächtnisses in unserem Erleben nicht beliebig ist, allerdings unter gewissen Bedingungen in der Regel ‚aktivierbar‘).

ERLEBEN ALS KOMMUNIKATION

Wichtig bei all diesen möglichen subjektiven Erlebniszuständen — so stark sie auch sein mögen — ist, dass man sich klar macht, dass das, was man erlebt, nicht ‚die Superwirklichkeit selbst in ihrem ganzen Umfang‘ ist, sondern nur solche Zustände, über die diese mit dem Individuum ‚kommuniziert‘ (so, wie wir uns mit Schallwellen im Gespräch austauschen und darin uns sehr ’nahe‘ sein können). Durch unsere materiell-energetische Existenz können wir zwar in gewissem Sinne ‚voll‘ mit der Superwirklichkeit verbunden sein, aber diese Aspekte der Vereinigung entziehen sich unserer Sprache, da diese an den Bewusstseinsraum geknüpft ist. Was über diesen hinausgeht, entzieht sich dem direkten Sprechen, mutiert zu Andeutungen, Bildern, die für den, der Ähnliches erlebt hat, vielleicht noch die Ahnung eines möglichen Verstehens hervorrufen kann, aber kein volles, explizites Verstehen. Wittgenstein lässt grüßen.

IM PRINZIP KEINE KIRCHE NOTWENDIG

Für alle diese Dinge braucht niemand strenggenommen eine Kirche. Jeder ist hier frei, seine eigenen Erfahrungen zu machen. Da aber viele (die meisten? alle?) Menschen — aus welchen Gründen auch immer — sich in der Regel schwer tut, hier einen eigenen Weg zu gehen, gab es — und wird es vermutlich immer wieder geben — Zusammenschlüsse von Menschen zentriert um solche Menschen, die den Eindruck erweckten, sie wüssten, wie das geht. Dass solche ‚Institutionalisierungen‘ von ‚Glauben‘ nicht nur viel Gutes, sondern auch viel Missbrauch hervorgebracht haben (und hervorbringen) ist offensichtlich der spezifischen psychologischen Struktur des Menschen geschuldet. Nicht wenige Menschen sind offensichtlich bereit, Leib, Leben und Geld für den letzten Unsinn zu bezahlen, wenn Sie nur subjektiv das Gefühl haben, sie hätten sich damit ‚in Sicherheit‘ gebracht. Für diejenigen, die davon profitieren, ist offensichtlich die Versuchung der Macht (und aller möglicher weiterer Privilegien) zu groß, um diesem Unsinn gegen zu steuern. Die Fähigkeit von Menschen, Unwahres zu glauben und sich gegen mögliche Kritik zu ‚immunisieren‘, ist beeindruckend, und findet sich in allen Bereichen.

LITERATURHINWEISE

Liste ökumenischer Konzilien: http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_%C3%B6kumenischer_Konzilien

Offizieller Schriftbestand in der jüdisch-christlichen Tradition: http://de.wikipedia.org/wiki/Biblischer_Kanon (zuletzt: 16.2.2013)

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Eine Welt ohne Seele und freien Willen? – Teil 2

Reflexionen im Anschluss an Herms: Horizont der Hirnforschung….

Letzte Änderung: 2.März 2013, 10:10h (Anmerkung am Ende des Artikels)

PHILOSOPHIE

Herms nutzt in seinem Denken über das Ganze die phänomenologische Tradition, hier insbesondere Husserl und Heidegger (mündlich bestätigt). Die phänomenologische Tradition in der Philosophie wurde in diesem Blog schon mehrfach diskutiert (siehe Themenüberblick). Ihre Stärke liegt eindeutig darin, dass sie den Ankerpunkt unseres subjektiven Denkens ernst nimmt und die Wirklichkeit, wie sie sich dort darbietet, so voraussetzungslos wie möglich wahrzunehmen und zu beschreiben versucht. Die Schwierigkeiten, die sich hier bieten, wurden schon oft von sehr vielen reflektiert und angemerkt.

Positiv kann man festhalten, dass der gesamte Erkenntnishorizont eines Individuums dort aufscheint und sich in seiner Gesamtheit besprechen lässt. Man kann auch weitere Reflexionsschichten eröffnen und als solche benennen und explizieren. Einzelwissenschaftliche Erkenntnisse erscheinen hier als Teilmengen in der Gesamtmenge der Phänomene und die diversen begrifflichen Explikationen sind Teilmodelle im Gesamtrahmen möglicher Modelle. Aus phänomenologischer Sicht ist das Individuum daher grundsätzlich ‚mehr‘ als eine einzelwissenschaftliche Beschreibung eines Weltausschnitts.

Andererseits gibt es grundsätzliche Grenzen der phänomenologischen Weltsicht. Die eine resultiert aus den vorgegebenen Grenzen des einzelnen Bewusstseinsraumes, die andere aus der Existenz vieler Bewusstseinsräume, die sich über die Interaktion von Wahrnehmungsräumen erschließen kann.

Erscheint ‚der Andere‘ innerhalb der Phänomene zunächst nur als ‚Oberfläche‘ mit sich veränderten Phänomenmengen als ‚Manifestationen‘ eines möglichen ‚Zusammenhangs‘, so erzwingt das soziale Zusammenleben schon sehr früh eine ‚auf-den-anderen-bezogene‘ Modellbildung im (betrachtenden individuellen) Phänomenraum. Dies bedeutet, dass der aktive Phänomenraum die auftretenden Phänomensequenzen ‚versuchsweise/ hypothetisch‘ mit Teilen seines ‚Selbsmodells‘ in Verbindung bringen muss, um diese Phänomensequenzen des potentiell Anderen zu ‚interpretieren‘.

Sei PH der jeweils aktive Phänomenraum, seien PH_a jene Sequenzen von Phänomenen aus PH, die man einem ‚bestimmten Anderen‘ zuordnen möchte, also PH_a subset pow(PH^n), und sei M ein expliziertes Modell innerhalb von PH über Teilbereiche von PH, also M:PH —> PH (!!! Ein logisches Paradoxon, da M auch in PH liegt !!!), dann wäre eine ‚Interpretation‘ eine Abbildung zwischen PH_a und solch einem M, also I: Ph_a —> M. Dies zeigt u.a., dass jemand einen potentiell anderen nur insoweit verstehen kann, als er über ein explizites Selbstmodell verfügt. Normalerweise führt solch eine Interpretation I(PH_a) auch dazu, dass der aktive Phänomenraum PH ‚unterstellt/ annimmt‘, dass das explizierte Selbstmodell M ‚im anderen‘ auch ‚gegeben‘ ist und im anderen ‚funktioniert‘. Dies ist eine Art ‚Ontologisierung‘ des Selbstmodells im anderen, eine Form von ‚realistischer Transzendenz‘. Man könnte also sagen, dass das Selbstmodell in seiner Projektion auf einen anderen — nennen wir es M_a — ein Modell des Anderen darstellt.

Interaktionen im ‚vorsprachlichen‘ Bereich können unterschiedliche ‚Bestätigungen‘ für die Interpretation I(Ph_a) liefern, sie sind allerdings nur sehr grob. Durch Einbeziehung der Sprache lässt sich die Bestätigung — und eventuell die Interpretation I(PH_a) selbst — verfeinern.

Dazu muss man sich kurz vergegenwärtigen, wie Sprache funktioniert. In der Tradition von Peirce, Saussure und Morris kann man einen Zeichenbegriff extrahieren, in dem ‚Zeichenmaterial‘ ZM subset PH mit anderen Phänomenen PH_x subset PH ‚assoziiert‘ wird, und zwar als ‚aktivierbare Beziehung‘ BED(ZM,PH_x). Phänomenologisch ist diese Beziehung nicht ‚explizit‘, d.h. sie ist kein Phänomen wie ein sensorisches Phänomen, das ‚auftritt‘, sondern es ist ein ‚Wirkzusammenhang‘, der sich ‚indirekt andeutet‘. Also wenn das Phänomen ‚Haus‘ als Zeichenmaterial auftritt, dann werden diverse andere assoziierte Phämene PH_haus auftreten, da sie in einer aktivierbaren Beziehung zu ‚Haus‘ stehen. Diese phänomenologische Wenn-Dann-Beziehung kann man erklären durch die Annahme einer Hilfsstruktur ‚Gedächtnis‘ (MEM), deren Inhalte als solche ‚unbewusst‘ sind, die aber über den aktiven Phänomenraum PH ‚zugänglich‘ sind, so eine Art ‚phänomenologische Schnittstelle‘. Diese ‚indirekten‘ Phänomene berühren einen Sachverhalt, den wir weiter unten noch diskutieren werden.

Unter Voraussetzung von Bedeutungsbeziehungen kann man sich immer komplexere Hierarchien solcher Beziehungen denken, die es erlauben, ‚Ketten von Zeichen‘ zu bilden, bis hin zu dem, was wir Äußerungen, Sätze nennen. Diese Bedeutungsbeziehungen beruhen auf den Phänomenen eines aktiven Phänomenraumes PH. In Kombination mit dem Modell des Anderen M_a können jetzt Zeichenbeziehungen dazu benutzt werden, differenzierte Strukturen mit Hilfe des Selbstmodells M zu kodieren, die dann über das Konstrukt ‚Modell des Anderen M_a‘ auch ‚im anderen unterstellt werden können‘.

Diese Annahme macht allerdings nur Sinn, wenn man zugleich annimmt — ganz im Sinne der Bildung eines Fremdmodells M_a überhaupt — dass die Gesetze des aktiven Phänomenraumes PH auch im anderen M_a gelten (Symmetrie, Homomorphie,…)!!! Je mehr man diese Annahmen akzeptiert, um so mehr wird klar, dass man eine mögliche explizite Beschreibung M eines aktiven Phänomenraumes PH ergänzen sollte um eine ‚Metaebene‘ MM, die nicht mehr nur über einen einzelnen Phänomenraum PH spricht, sondern über die Menge aller möglichen Phänomenräume UPH. Diese universelle Menge UPH ist rein fiktiv, rein gedacht, und doch kann sie durch Interaktionen einer mehr oder weniger großen Bestätigung zugeführt werden. MM wäre eine genuin philosophische Theorie!

Kommen wir zurück zum Phänomen der indirekten Bedeutungsbeziehung und dem Konzept des ‚unbewussten‘.

Grundsätzlich ist die Annahme des Unbewussten M_ubw nicht sehr anders als die Annahme eines ‚Anderen‘ M_a. Es gibt bestimmte Phänomene, die sich in der Zeit verteilen, die aber einen ‚übergreifenden Zusammenhang‘ offenbaren (der letztlich schon immer ein Konstrukt wie ein Gedächtnis voraussetzt), der als ‚Zusammenhang‘ zu thematisieren ist. Analog wie man im Falle des Anderen, wo man ‚hinter der Oberfläche‘ eine Struktur M_a annehmen muss, kann man auch ‚hinter dem aktiven Phänomenraum‘ PH Strukturen annehmen, den ‚Körper‘, das ‚Gedächtnis‘, usw. Dies führt dazu, dass man das Selbstmodell M entsprechend ‚erweitern‘ muss. Je differenzierter das Selbstmodell M wird, umso differenzierter wird auch das Modell des anderen M_a und das universelle Modell MM.

WELTHEORIE?

Mit den obigen Überlegungen eröffnet sich die Perspektive einer möglichen phänomenologischen Theorie der Welt, in der alle Teiltheorien integriert werden können. Meines Wissens hat dies bis heute noch niemand versucht. Es wäre interessant, zu schauen, inwieweit eine solche Theorie helfen könnte, aktuelle Bruchstellen durch die Vielzahl der nicht integrierten Teiltheorien ein wenig zu überbrücken.

THEOLOGIE

Der Theologe Prof. Herms hatte ziemlich zu Beginn seines Vortrags vermerkt, dass sein Verständnis von Theologie nicht so sei, wie die meisten sich Theologie vorstellen. Diese zunächst kryptische Bemerkung gewann im Laufe seines Vortrags mehr und mehr Gestalt. Durch seine philosophische Grundausrichtung benötigt er zunächst keine offenbarungsspezifische Inhalte, da er nach den allgemeinen Bedingungen von Leben (und Erkennen) fragt. Aus diesen allgemeinen Bedingungen kann er dann allgemeine Prinzipien ableiten, innerhalb deren wir uns als Lebende orientieren sollten. Übernimmt man diese Position dann kann man sogar die Grundsatzfrage stellen, ob man überhaupt offenbarungsspezifische Inhalte noch benötigt, da ja diese keinesfalls im Gegensatz zu den allgemeinen Prinzipien stehen dürften. Vielmehr müsste es so sein, dass die potentiellen ‚Offenbarungsinhalte‘ nichts anderes sind als Instanzen dieses allgemeinen Möglichkeitsraumes.

Innerhalb des Vortrags wurde diese Fragen nicht Thema, da Herms sich auf die allgemeine Perspektive und daraus resultierenden allgemeinen Prinzipien beschränkte.

Allerdings könnte man — oder müsste man sogar? — natürlich die Frage aufwerfen, inwieweit nicht die tatsächlichen Realisierungen — wie auch im Falle der Entwicklung des Universums, der Milchstraße, der Erde, des Lebens auf der Erde … — dann doch in ihrer Konkretheit eine wichtige Aussage darstellen können. Konfrontiert mit den konkreten Ergebnissen der biologischen Evolution hat man auch dieses Dilemma: (i) relativiert man die gewordene Konkretheit durch den Verweis auf den allgemeinen Möglichkeitsraum oder (ii) nimmt man die Konkretheit ‚beim Wort‘ und sieht in ihre eine Form von ‚Mitteilung‘. Im letzteren Fall wäre die ‚Konkretheit an sich‘ dann eine Form von ‚Offenbarung‘ einer unterstellten ‚Superwirklichkeit‘, die ‚ihr Inneres‘ über die ungeheuren Werdeprozesse in der jeweiligen Konkretheit zeigt und — im Falle des menschlichen Bewusstseins — sich quasi ’selbst anschaut‘! Menschliches Bewusstsein also als eine Art ‚Minimodell‘ von universaler ‚Selbstanschauung‘ als Hinweis auf die ‚wahre Natur‘ des im Werden des Universums sich andeutenden Superwirklichkeit.

Diese Perspektive des allgemeinen Werdens als ‚möglicher Offenbarung‘ würde damit in jeder Art von Konkretisierung eine Aussage zutreffen. Vor diesem Hintergrund sind alle historisch überlieferten spezielle Ereignisse, die von Menschen als ‚offenbarungsrelevant‘ qualifiziert wurden, interessantes empirisches Material, das entweder das allgemeines Offenbarungskonzept zusätzlich konkretisieren kann oder aber nicht kompatibel ist. Im Falle der Nichtübereinstimmung (Inkompatibilität) würde dies dann eher gegen (!) die spezifischen Stoffe sprechen, da die Fülle der allgemein zusätzlichen Daten um ein Vielfaches größer ist als fragil überlieferte historische Ereignisse.

Versteht man Theologie als jene Denkhaltung und Theoriebildung, die von der allgemeinen Offenbarung ausgeht, um innerhalb dieses Rahmens mögliche konkrete Inhalte zu studieren, dann würde ich mein Erkenntnisinteresse auch als ‚theologisch‘ qualifizieren. Ich habe auch den Eindruck, dass Prof. Herms sich so versteht. Eine endgültige Bestätigung müsste ein Gespräch liefern. Ferner unterscheidet sich solch eine allgemein orientierte Theologie nicht grundsätzlich von einer philosophischen Gesamttheorie der Welt, höchstens in einer unterschiedlichen Akzentsetzung: die philosophische Gesamttheorie der Welt MM orientiert sich primär an den allgemeinen Erkenntnisstrukturen und der möglichen Integration des Einzelwissens, während eine Allgemeine Theologie sich speziell für den Aspekt einer möglichen Mitteilung durch das Gesamtgeschehen interessiert.

Diese spezifische Interessenrichtung der Theologie hat eine spezielle Pragmatik im Gefolge: während die Einzelwissenschaften (und die Philosophie) letztlich objektivierbare Messverfahren benutzen, um ihre Daten zu sichern, kann die Theologie darüber hinaus (!) die spezifischen bewusstseinsgebundenen Erfahrungsmöglichkeiten benutzen, die unter dem Begriff ‚Gotteserfahrung‘ gehandelt werden.

Der Kern des Konzepts ‚Gotteserfahrung‘ besteht — zumindest in der jüdisch-christlichen — Tradition darin, dass die Arbeitshypothese einer ‚Superwirklichkeit‘ genannt ‚Gott‘ (deus, theos, Jahwe,….) davon ausgeht, dass diese Superwirklichkeit sich nicht nur über die allgemeinen Offenbarungsstrukturen ‚mitteilen‘ kann, sondern auch zugleich ganz individuell in jedem Bewusstseinsraum (angesichts der neuesten Erkenntnisse zur Struktur der Materie grundsätzlich zumindest kein physikalisches Problem). Diese ‚Mitteilungen‘ haben — nimmt man die bekannten Zeugnisse ernst — (i) die Form von spezifischen ‚Gefühlsregungen‘, ‚Stimmungen‘, bisweilen begleitet von weiteren ‚Vorstellungsinhalten‘. Dabei kommt es auch hier nicht auf das ‚punktuelle‘ Erleben alleine an, sondern auf die ‚Abfolge verschiedener solcher Erlebnisse‘ und deren ‚Deutung‘ in Form eines Modells. Ferner (ii) implizieren sie normalerweise bestimmte Handlungen, um diese Art von innerem Erleben nicht zum ‚Versiegen‘ zu bringen, und (iii) können diese inneren Erlebnisse nicht durch das eigene Wollen verursacht werden, sondern gehen ‚von einem anderen‘ aus (dies unterscheidet Gotteserfahrung wesentlich von jeglicher Form von ‚Meditation‘, die sich auf selbstinszenierte Zustände bezieht). Im einzelnen sind diese Tatbestände eingebettet in das ‚allgemeine Rauschen des Alltags‘ und bedürfen — wie alle anderen Lernprozesse auch — meist eine Praxis von vielen, vielen Jahren, um sie wirklich zu ‚beherrschen‘, und, wie auch beim allgemeinen Lernen, geht es meist nicht ohne ‚Lehrer‘ im Sinne von ‚geistlichen Führern‘ ab. Durch die unvermeidbar radikal subjektivistischen Anteile bleibt all dies immer schwierig. Denken alleine hilft nicht. Praxis ohne Denken kann durch unreflektierte Interpretationen zu vielen falschen Schlüssen kommen.

Es ist schwer zu sagen, ob und wieweit die bekannten kirchlichen Gemeinschaften in der Lage sind, solche ‚geistliche (= spirituelle, mystische) Erfahrungen‘ angemessen zu vermitteln. Wir befinden uns hier in einer rechten Grauzone. Die offiziellen theologischen Positionen und die bekannten kirchlichen Praktiken sprechen eher gegen die Annahme.

Anmerkung 2.3.13: Eine Fortsetzung dieser Überlegungen findet sich im nachfolgenden Beitrag Gott ohne Kirche …. Der zentrale Punkt ist eigentlich ein neues Verständnis von Theologie und Offenbarung, durch die ‚Kirchen‘ nicht eigentlich verschwinden, aber stark relativiert werden auf ihren wesentlichen Punkt: ihre einzige Existenzberechtigung liegt in ihrem möglichen Dienst, anderen Menschen zu helfen, ihre Gottesbeziehung zu finden und zu leben. Wenn sie darin versagen, verlieren sie ihre Existenzberechtigung.

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Blitzbesprechung zu „Eine Welt ohne Seele und freien Willen?“

Letzte Änderung: Mo, 11.Febr.2013, 13:35h

Referenten:

  • Prof. Dr. Wolf Singer, Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt am Main
  • Prof. Dr. Thomas Metzinger, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
  • Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim
  • Prof. Dr. Hauke Heekeren, Freie Universität Berlin
  • Prof. Dr. Eilert Herms, Eberhard Karls Universität, Tübingen (Mit Link auf zusätzliche Reflexionen)
  • Prof. Dr. Hannah Monyer, Universitätsklinikum Heidelberg

Einleitung

Unter dem Titel „Eine Welt ohne Seele und freien Willen?“ veranstaltete die EKHN Stiftung ein öffentliches Symposium zu den „Methoden, Erkenntnissen und Konsequenzen der modernen Hirnforschung“. Laut Veranstalter gab es 1400 Anmeldungen von Erwachsenen und dazu 600 Schüler. Bei letzteren wurden 220 für einen 2-Tages-Workshop ausgewählt. Das war eine überwältigende Resonanz. Dies führte dazu, dass das Audimax auf dem Campus Westend am Samstag vollständig gefüllt war. Am Do 7.2., hatte ich mich spontan beschlossen, mich auch anzumelden.

Um es vorweg zu nehmen: alle Beiträge waren unterhaltsam, wurden  engagiert vorgetragen, waren von viel Wissen und Erfahrung geprägt, und es wurden meistens relativ neue und exzellente Ergebnisse vorgestellt. Allerdings wurden — außer im Beitrag des emeritierten Theologen Prof. Herms — keine wirklich fachübergreifenden Beziehungen hergestellt, geschweige denn ein Dialog von den Naturwissenschaften hin zu den Geisteswissenschaften versucht. Personenbezogene Begriffe wie ‚Seele‘, ‚Bewusstsein‘, ‚Ich‘ usw. blieben von daher weitgehend ‚ortlos‘ und es war dem Publikum überlassen, sich aus all den verschiedenen Beiträgen ein mögliches Gesamtbild zu erarbeiten.

Singer: Im Netz der Neuronen

Der Vortrag „Im Netz der Neuronen. Wie bringt das Gehirn unser Selbst hervor?“ von Prof. Singer, dem ehemaligen Direktor des Max-Planck-Institut für Hirnforschung (Frankfurt am Main) eröffnete mit einigen — eher bekannten — Grundthesen zum Gehirn die Vortragsreihe. Das Gehirn als Produkt der Evolution, Sitz aller bekannten geistigen (mentalen) Fähigkeiten, ein verteiltes, paralleles System mit stark nicht-linearem Charakter (mathematisch beschreibbar als Small-World-Network), strukturiert in Arealen, wo sich die Frage stellt, wie diese ungeheure Mengen an Neuronen sich für bestimmte Ereignisse ’synchronisieren‘ können. Einerseits deutete Singer an, dass hier viele Fragen offen sind, andererseits wagte er weitreichende Aussagen zur Natur von Entscheidungsprozessen, zum ‚freien Willen‘, zum ‚Selbst‘, wo eigentlich nicht ganz klar war, wie er die verschiedenen Aussagen wirklich begründen könnte. Das wirkte schon eher spekulativ. Auf konkrete Fragen von Schülern verwies er u.a. auf ‚hochdimensionale Zustandsräume‘ durch die wir ‚hindurchspazieren‘ müssten…So kann man eine Frage auch nicht beantworten. Sehr bedauerlih war, dass er zwar Spekulationen über Konzepte wie ‚Selbst‘, ‚Ich‘ ‚freien Willen‘ usw. aus Sicht der Neurowissenschaften anstellte, ohne sich aber der Mühe zu unterziehen, vorher zu klären, welche begrifflich-methodischen Voraussetzungen erfüllt sein müssten, um diese Konzepte sinnvoll benutzen zu können (einschlägig hier vor allem die Philosophie und die Psychologie).

Mit Blick auf theologische Deutungszusammenhänge entledigte Singer sich der Frage durch die Feststellung, dass die Aussagen der Theologie ‚orthogonal‘ zu den Aussagen der empirischen Wissenschaften ständen. Dieser Standpunkt ist sehr weit verbreitet, ist aber keinesfalls zwingend. Weder muss eine Theologie sich so verstehen noch eine sich selbst reflektierende wissenschaftliche Disziplin. Eine Immunisierungsstrategie, wie sie von Singer propagiert wird, ist negativ für alle Beteiligten (siehe dazu die alternativen Überlegungen des Theologen Herms weiter unten).

Metzinger: Leben im Ego-Tunnel

Der nachfolgende zweite Vortrag „Leben im Ego-Tunnel. Ist das Ich-Gefühl nur eine Illusion?“ von Prof. Metzinger (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) war in meinen Augen eher enttäuschend. Er trat als Philosoph auf, zeigte aber sehr wenig philosophische Reflexionsansätze. In einem kühnen Handstreich schaffte er zunächst das ‚Phänomenale Selbst‘ ab (inklusive das ‚Ich‘), um es unmittelbar danach in einem ebenso kühnen Handstreich durch das ‚Phänomenale Selbstmodell‘ zu ersetzen. Argumente ersparte er sich. Das ‚phänomenale Selbstmodell‘ qualifizierte er als ‚wahre repräsentationale Beschreibung‘ ohne zu thematisieren, wie man denn wohl wissenschaftlich über subjektive Gegebenheiten überhaupt reden kann, ganz zu schweigen davon, in welchem Sinne man hier von ‚Repräsentation‘ sprechen kann. Seine Ausführungen und seine Verwendung verschiedener Begriffe blieben auch im weiteren Verlauf leider durchgehend sehr unklar. Zu Beginn hatte er Texte von Ludwig Wittgenstein eingeblendet (ohne sie zu erläutern). Hätte er Wittgenstein nur beherzigt, er hätte sich seine Ausführungen weitgehend sparen können. Er referierte recht unterhaltsam verschiedene Experimente (z.B. eine Gummihand, die man über Reflexe mit einer normalen Hand konditionieren kann; einem Roboter mit unterstelltem Selbstmodell; das psychologische Konstrukt des inneren Körpermodells, das zu überraschenden Selbstwahrnehmungen führen kann; die Steuerung eines Roboters auf der Basis eines Gehirnscans). Der philosophische Gehalt dieser Beispiele vermittelte sich mir nicht. Die Sachen selbst wirkten nicht neu: Konditionierungen haben schon die Behavioristen untersucht, selbstlernende Roboter gibt es seit langem, die Nutzung von Gehirnwellen zur Steuerung von Vorgängen ist ebenfalls alt. Die Verwendung des Begriffs ‚Ego‘ — aus dem Titel — nach vorausgehender Abschaffung des Ich blieb unklar.

Meyer-Lindenberg: Das gestörte Ich

Der Vortrag „Das gestörte Ich. Welchen Einfluss haben Gene und die Umwelt auf die psychische Gesundheit?“ von  Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (Mannheim) war brilliant, stellte neueste Forschung vor und setzte eine gesellschaftliche Problematik in Szene, die uns alle betrifft. Sein Hauptthema war das Zusammenspiel von Genen, Gehirn, Verhalten und Umwelt. Illustriert am Beispiel des Krankheitsbildes Depression und Schizophrenie konnte er zunächst einmal zeigen, wie diese Krankheitsbilder signifikant häufiger in städtischen Umgebungen auftreten. Bei der stetigen Zunahme städtischer Lebensumgebungen ist dies eine Herausforderung an die Politik. Er berichtete, dass man herausgefunden hat, dass es zwischen dem psychotherapeutischen Krankheitsbild der Depression und Schizophrenie eine deutliche Korrelation zu Eigenschaften des Funktionskreises Amygdala und Zingulum gibt. Dieser Funktionskreis benötigt eine bestimmte hormonal modulierte Kommunikation, die wiederum durch genetische Faktoren geprägt ist. Wie vor allem Experimente mit Nagern aufzeigen konnten, können frühkindliche Traumata mittels epigenetischer Mechanismen über Generationen zudem weitergereicht werden. Hiermit ergeben sich zwei Handlungsansätze: (i) eine entsprechende Gestaltung des städtischen Umfeldes (mit seinen diversen sozialen Subräumen, auch am Arbeitsplatz; neue Disziplin der Neurogeographie)), (ii) pharmakologische Therapien genetischer Defekte.

Insgesamt, so scheint es, eröffnen sich durch die Korrelation von Lebensumwelt, Verhalten, Gehirn und Genen für die Psychotherapie hochinteressante neue theoretische und auch therapeutische Ansätze.

Heekeren: Entscheidung wider die Vernunft?

Prof. Dr. Hauke Heekeren von der Freien Universität Berlin begann seinen Vortrag „Entscheidung wider die Vernunft? Wie unser Gehirn Entscheidungen triff“ mit Hinweisen auf die bisherigen Entscheidungsmodelle, am berühmtestens hier wohl das Modell des homo oeconomicus. Eine Schwäche (und Stärke) der bisherigen Modelle war — und ist — ihre zu große Einfachheit. Die Annahme des ideal rationalen Menschen spiegelt das tatsächliche Verhalten von Menschen jedoch  nur bedingt wieder. Die Aufgabe bestand also darin, einen Weg zu finden, weitere real wirkende Faktoren für die Erklärung messbar zu machen. Anhand unterhaltsamer Entscheidungsexperimente, die er z.T. auch mit den anwesenden Zuhörer machte, konnte er verdeutlichen, dass dem ‚erwarteten Nutzen‘ und dem erwarteten ‚Verlust‘ aus einer Entscheidung neuronal ein Prozess entspricht, in dem identifizierbare Gehirnbereiche ‚Nutzen‘, ‚Verlust‘ über einen ‚Vergleich‘ so berechnen, dass dann der ‚Nettonutzen‘ sichtbar wird. Dieser Nettonutzen induziert dann die Entscheidung. Der Berechnungsprozeß benötigt Zeit und arbeitet mit internen ‚Schwellwerten‘. Dabei wird der ‚Verlust‘ normalerweise schwerer gewichtet als der ‚Nutzen‘.

Auch bei dem Forschungsansatz von Heekeren eröffnen sich durch die Korrelation von Lebensumwelt, Verhalten, Gehirn und Genen hochinteressante neue theoretische Ansätze zur Verhaltenserklärung. Erster Nutznießer scheint in diesem Fall allerdings die Werbeindustrie zu sein, die ihre Werbeangebote ziemlich genau auf dieses Entscheidungsstruktur des Menschen abstellt: durch eine geschickte Kombination von genau drei Angeboten (das vom Anbieter favorisierte Angebot, ein verglichen damit ganz schlechtes Angebot, und ein nur wenig Schlechteres leiten den Entscheidungsprozess meistens zum Angebot des potentiellen Kunden; die tendenzielle Kurzsichtigkeit unserer Entscheidung (2 Monate gratis) und die tendenzielle Trägheit (explizite Abmeldung nach 2 Monaten) führt dann zu vielen Neukunden.

Herms: Horizont der Hirnforschung

Der emeritierte Theologe, Prof. Dr. Eilert Herms von der Eberhard Karls Universität, Tübingen, war der einzige an diesem Tag, der mit seinem Vortrag „Horizont der Hirnforschung – Wie weit reicht der Beitrag zur Erfassung unserer Lebenswirklichkeit?“ einen größeren Denkzusammenhang aufspannte, innerhalb dessen sich die unterschiedlichen einzelwissenschaftlichen Erklärungsansätze mit Blick auf eine ‚Gesamterklärung‘ einordnen ließen. Dies war nur möglich, weil sein Verständnis von Theologie sich mit den Mitteln einer phänomenologischen Philosophie (Husserl, Heidegger) sowohl der ganzen Breite der (alltagsbezogenen) Gegenwart öffnete wie auch auf die ‚universalen Bedingungen‘ ausgerichtet ist, unter denen sich unser Leben ereignet. Die konkreten Offenbarungsinhalte sind — so muss sich jeder Zuhörer diese Position ergänzen — nur insoweit möglich und wahr, als sie sich diesem allgemeinen Rahmen einordnen lassen. Spezifisch christliche Offenbarungsinhalte muss man dann nicht erwähnen und wurden auch nicht erwähnt.

Mit dieser Ausrichtung wird Theologie kaum noch unterscheidbar von einer Philosophie, die wahrheitsorientiert das Ganze des Lebens im Blick hat, also eine Art Vereinigung von Metaphysik, Ontologie und Ethik in einem.

Entsprechend dem Geist des phänomenologischen Denkens tritt die Gegenwart in den Mittelpunkt, das sich ‚Vorfinden‘ in einem Prozess, der als solcher — auch mit seiner Körperlichkeit — als ein weitgehend Vorgegebenes eine ‚Zumutung‘ darstellt, der als Prozess zwar ‚bestimmt‘ ist, aber nicht ‚determiniert‘. Die Einzelwissenschaften tauchen in diesem Denkmodell als Teilbereiche innerhalb des Gesamthorizontes auf; in ihrer Konkretheit Beiträge zur Kunst des Zurechtfindens. Entsprechend der Aufgabenstellung jeder Disziplin sind ihre Beiträge zwar jeweils limitiert, aber durch die Einordnung im Gesamtbezug können Sie zur Enthüllung der ‚größeren Wahrheit‘ mit beitragen. Durch die körperliche Teilhabe des Erkennenden an diesem Prozess erwächst daraus auch eine — subjektiv volle, objektiv partielle — ‚Verantwortung‘ für diesen Prozess.

Innerhalb dieses phänomenologischen Denkansatzes ergibt sich, dass sich dem einzelnen Erkennenden Gestalten der Wirklichkeit zeigen, die als solche nur ‚in diesem Erkennen‘ auftreten, die an diese Erkenntnisform gebunden sind. Durch einen Rekurs auf Teilbereiche, insbesondere einzelwissenschaftliche Modelle, geraten diese Wirklichkeiten außer Blick; nicht nur das, der spezifische Gesamtzusammenhang wie auch die spezifische Verantwortung ist nur in dieser Perspektive gegeben. Prof. Herms meinte auch, dass der Begriff des ‚Selbst‘ nicht geeignet sei, diesen Gesamtzusammenhang zu beschreiben, sondern eher der Begriff der ‚Person‘, die nicht nur das ‚Selbst‘ umfasst, sondern auch die ganze Leiblichkeit mit ihrer Einbettung in den Prozess.

Seine im Dialog geäußerte Meinung, dass Wissenschaft nicht an ‚Wahrheit‘ orientiert sei, sondern an ‚Bewährung‘, und dass Wahrheit nur im Rahmen der Logik vorkomme, die inhaltsfrei operiere, scheint mir nicht zutreffend, aber das wäre im Detail zu klären.

Festhalten möchte ich noch, dass die Sprache von Prof.Herms deutlich abwich von den Sprachspielen der anderen Vortragenden und dass er zu Beginn seines Vortags keinerlei besondere Anstalten traf, um die einzelwissenschaftlichen Beiträge in seinen Denkrahmen einzuordnen. Zwar haben alle anderen sich auch in keiner Weise um den Zusammenhang mit den anderen Vorträgen bemüht, aber als Vortrag mit Gesamtinterpretationsanspruch wäre es vielleicht eher gefordert. Es dauerte daher 10 – 15 Minuten bis man sich in dieses phänomenologische Sprachspiel hineinhören konnte und bis die Bezugnahmen auf die Einzelwissenschaften explizit stattfanden.

Zusätzliche Reflexionen, angeregt durch den Beitrag von Prof. Herms, finden sich unter dem Titel Eine Welt ohne Seele und freien Willen? Teil 2.

Monyer: Was bleibt im Gedächtnis?

Frau Prof. Dr. Hannah Monyer vom Universitätsklinikum Heidelberg kehrte mit ihrem Vortrag „Was bleibt im Gedächtnis? Erinnerung und Erwartung“ nochmals zu einer einzelwissenschaftlichen Perspektive zurück. Allerdings begann sie mit lebensweltlich-kulturellen Bezügen aus der Kunst, die an einzelnen Beispielen verdeutlichten, dass das Gedächtnis schon immer ein Phänomen war, das uns Menschen beschäftigt hat, speziell auch der Aspekt der ‚Verräumlichung‘ des Erinnerbarem.

Sie begann ihre neurologischen Darlegungen mit der berühmten Studie von Kandel et al. von 2001 mit einer Meeresschnecke, in der an einem extrem einfachen Organismus der Gesamtmechanismus eines Organismus, mit besonderer Berücksichtigung seiner Gedächtnisleistung untersucht worden ist. Sie machte deutlich, dass der Weg von diesem einfachen Organismus bis hin zur Komplexität des menschlichen Gehirns noch sehr, sehr weit ist und dass wir bislang die Funktionalität des menschlichen Gehirns mit Blick auf sein Gedächtnis bislang nur sehr ansatzweise verstehen.

In mehreren Schritten führte sie grundsätzliche Begriffe wie ’synaptische Plastizität‘ sowie ’strukturalistische Plastizität‘ ein, letztere unterschieden danach, ob es um ‚Spikes‘ auf Dendriten geht oder um ganze ‚Neuronen‘, die neugebildet werden. Neubildungen von Spikes und Neuronen können zwar auch bei älteren Menschen (nach ca. 25 Jahren…) auftreten, diese Neubildungen — speziell im Falle von Neuronen — werden aber meistens nicht in Funktionsabläufe ‚integriert‘, so dass sie wieder absterben.

Ihr Forschungsgebiet ist das ‚episodische Gedächtnis‘, und hier speziell das ‚räumliche Gedächtnis‘. Es ist bekannt, dass für die im Gedächtnis wichtigen Korrelationen zwischen sensorischem Input und räumlichen Lokalisierungen der Hippocampus eine zentrale Rolle spielt. In ihm kann man sogenannte ‚Place Zellen‘ (Ortszellen) identifizieren, die in Interaktion treten mit sogenannten ‚Gridzellen‘ (Gitter/Netzwerkzellen) im Entorhinalen Cortex. Zusätzlich konnte man einen skalierenden Größenparameter identifizieren: ‚dorsal‘ sind die Ortszellen ‚kleiner‘ und der Abstand zwischen Gitterzellen ‚enger‘, ventral ‚größer‘ bzw. sie haben größere Abstände. Ferner hob Prof. Monyer hervor, dass eine tatsächliche langandauernde Speicherung nur erfolgt, wenn die zunächst im Hippocampus erfolgenden Assoziierungen während des Schlafes (nicht Tiefschlaf, nicht Traumphase) mehrfach ‚intern‘ wiederholt werden, um dann in das Langzeitgedächtnis über zu gehen. Die wichtigste Erkenntnisquellen sind bislang Nagetiere (Ratten, Mäuse), bei denen die gesamte Kette Verhalten – Gehirn – Gene untersucht und manipuliert wird. Ein solcher Forschungszyklus dauert aktuell ca. 5 Jahre. ferner sind die aktuell verfügbaren Messverfahren noch sehr ungenau. Bildgebende Verfahren sind kaum brauchbar, alle anderen elektrodenbasierten Messungen sind sowohl zufällig (welche Neuronen trifft man tatsächlich bei der Einführung) und ungenau (mit welchen anderen Neuronen ist das zufällig ausgewählte Neuron verbunden). Eine kleine Verbesserung ergibt sich durch die neuartige Möglichkeit, zusätzliche Ionenkanäle in eine Membran einfügen zu können, die kontrolliert zu- und abgeschaltet werden können, um so gezielt eine Membran zu aktivieren oder zu deaktivieren. Insgesamt ist die Lage noch nicht endgültig klar und es bleibt noch viel zu tun.

Kommentierung

Weitere Kommentierungen folgen, sobald ich Zeit finde.

Programm des Symposiums

10:00 Begrüßung

Prof. Dr. Peter Steinacker, Vorsitzender des Kuratoriums der EKHN Stiftung

Im Netz der Neuronen. Wie bringt das Gehirn unser Selbst hervor?

Prof. Dr. Wolf Singer, Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt am Main

11:00 Leben im Ego-Tunnel. Ist das Ich-Gefühl nur eine Illusion?

Prof. Dr. Thomas Metzinger, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

12:00 Das gestörte Ich. Welchen Einfluss haben Gene und die Umwelt auf die psychische Gesundheit?

Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim

13:00 Mittagsessen und Diskussion mit Schülern an den von den Arbeitsgruppen im Schülerseminar erarbeiteten Plakaten.

14:30 Entscheidung wider die Vernunft? Wie unser Gehirn Entscheidungen trifft.

Prof. Dr. Hauke Heekeren, Freie Universität Berlin

15:30 Horizont der Hirnforschung – Wie weit reicht der Beitrag zur Erfassung unserer Lebenswirklichkeit?

Prof. Dr. Eilert Herms, Eberhard Karls Universität, Tübingen

16:30 Was bleibt im Gedächtnis? Erinnerung und Erwartung.

Prof. Dr. Hannah Monyer, Universitätsklinikum Heidelberg

HINWEISE AUF QUELLEN

(Werden noch ergänzt)

  • EKHN-Stiftung http://www.ekhn-stiftung.de
  • Symposium URL: http://www.ekhn-stiftung.de/symposium2013/

Eine Übersicht über alle Blogeinträge nach Themen findet sich HIER

Im Auge des Betrachters zeigt sich die Seele – Notizen

THEMENSTAU

  1. Zur Zeit gibt es einen ‚Themenstau‘ dergestalt, dass sich in meinem Entwurfsordner zahlreiche Entwürfe ansammeln, die mangels Zeit nicht ausgeführt werden können. Es gibt so Phasen, da bin ich durch offizielle Aufgaben so absorbiert, dass kaum Luft bleibt.
  2. Bei den Themen gibt es solche, die aus ’systematischen‘ Gründen bearbeitet werden sollten, und solche, die sich ’spontan‘ ’nach vorne‘ drängen aufgrund konkreter Anlässe oder ‚einfach so‘.
  3. Während ich aus ’systematischen‘ Gründen das Buch von Kauffman zu Ende besprechen möchte drängten sich beständig andere Themen dazwischen, wie z.B. letztens ‚Wahrheit vs. Kapital‘.
  4. Gestern überlegte ich, die Zukunftsvorstellungen in verschiedenen Science-Fiction Filmen zum Ausgangspunkt der Reflexion zu nehmen, da sich in diesen aktuelle Denkmuster greifbar zeigen.

IM AUGE DES BETRACHTERS … AVATAR 3D

  1. Dabei entwickelte sich spontan die Besprechung von Camerons ‚Avatar‘ in der aktuellen 3D-Fassung zu einem eigenen Text, der weit über das übliche Format einer amazon-Besprechung hinausgeht. Deshalb erwähne ich die Besprechung hier. Eigentlich ist es ein Blogeintrag. Aber ich möchte die verschiedenen Formate hier nicht mischen. Meine aktuellen Besprechungen (mit dem Avatar) finden sich HIER: Avatar 3D
  2. Das, was sich dann während des Schreibens dann so entwickelte berührt zentrale Themen dieses Blogs und sollte in weiteren Beiträgen entsprechend aufgegriffen werden.

MUSIK VERÄNDERT

  1. Zwei Tage früher, am Freitag-Abend, hatte ich wieder ein Musikexperiment machen können (Methode ‚Radically Unplugged‘). Nach mehreren Jahren herumexperimentieren bemerke ich jetzt interessante Veränderungen. Auch das wäre ein Blogeintrag wert: was Musik mit uns macht, wenn wir uns ihr aussetzen (der letzte Musikeintrag findet sich HIER: Regen, Flöte, Klarinette,… ).

ALLTAGSGEFLÜSTER

  1. Gestern Abend hatte ich u.a. noch ein spontanes Gespräch mit einem befreundeten Mediziner (DJ) und einer Psychotherapeutin (MSJ). Im Prinzip haben wir viele Themen des Blogs gestreift, nicht, weil wir über den Blog gesprochen haben, sondern über unseren Alltag. Die totale Überlastung von so vielen (Neudeutsch: Burn Out), die systemischen Ursachen davon; die zunehmende ‚Verrauschung‘ von Wahrheiten, durch die Überflutung mit Informationen; die Zunahme globaler ‚Netz-Leibeigenschaft‘ durch Vordringen globaler Internetfirmen; das immer noch Nachwirken von ‚alten Weltbildern‘ weil sie fraglos weiter praktiziert werden, obgleich ihre impliziten Annahmen alle nicht mehr stimmen; die zunehmende ‚Gleichschaltung‘ der Medien durch Monopolisierungsvorgängen und deren Instrumentalisierung durch Kapitalgeber, denen es nicht primär um ‚Wahrheit‘ geht sondern um die Durchsetzung ihrer partikularen Interessen; usw.
  2. … dennoch ist die Wahrheit um ein Vielfaches stärker als die Unwahrheit; das ist unser Glück, und unsere Hoffnung…

Ein Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Themen findet sich HIER.