NOTIZ: ZAUBER DES (UNVOLLSTÄNDIGEN) AUGENBLICKS….

1) Wir alle sind auf ganz unterschiedliche Weise beständig und unauflösbar eingebunden in Kontexte: zeitlich in Ereignisketten, räumlich an konkreten Orten als ‚Teil eines größeren Ganzen‘, sozial als ‚Elemente‘ in ‚Beziehungsgeflechten‘, als ‚passiv Wahrnehmende‘, als ‚aktiv Handelnde‘, …..
2) In jedem Moment sind wir angefüllt mit Eindrücken, Gefühlen, Erinnerungen, Gedanken, Bedürfnissen, die aufgehen in einer ‚Grundstimmung‘ von sich ‚OK‘ fühlen oder ’nicht OK‘, ‚traurig‘ oder ‚freudig‘, ‚ruhig‘ oder ‚gehetzt’…..
3) Im einzelnen Moment erscheint es schwer – bis unmöglich? –, sich ein ‚Gesamtbild‘ zu machen.
4) Solange die ‚Ereignisse‘ um einen herum auf einen ‚einprasseln‘, wenig bis gar nicht beeinflussbar, dringen sie in uns ein, erwecken Gefühle, provozieren Assoziationen, nisten sich ungefragt ins Gedächtnis ein, machen sich dort breit, und die eigenen ‚Reaktionen‘ werden mehr und mehr ‚ausgeblutet‘ von dem, was einfach passiert ohne klare Linie, ohne klares Konzept, getrieben, willenlos, ‚leer‘?, auf der Suche nach den Ereignissen, die aus sich heraus ‚Kick‘ bieten oder ‚Vergessen‘, in einem nicht abreißenden Strudel von Chaos, bis zum totalen Vergessen….
5) Während der einzelne in solch einem Modus des ‚Getriebenwerdens‘ ‚dahintrudelt‘, ohne klares Verständnis warum, wozu, wohin, kann es einen Unterschied machen, wo er ist, mit wem: wenn alle planlos dahintrudeln dann treibt der Gesamtzustand einem der vielen möglichen Chaoszustände entgegen. Jeder verschärft durch sein individuelles Chaos das ‚große Chaos‘.
6) Sollte aber ‚aus der Vergangenheit‘ eine räumlich-soziale ‚Ordnung‘ (welcher Art auch immer) ‚wirksam‘ sein, die die einzelnen Körper räumlich ‚leitet‘, die das einzelne Wahrnehmen, Verstehen und Handeln aufgrund von ‚bekannten‘ internalisierten ‚Regeln‘ ‚beeinflusst‘, dann kann der einzelne, auch wenn er selbst im Augenblick nichts oder nicht viel ‚versteht‘ durch ‚Einhaltung der gegebenen Ordnung‘ sein persönliches Chaos abschwächen, minimieren: er selbst versteht nicht viel bis gar nichts, aber die ‚allseits geteilten Regeln‘ ‚organisieren‘ die einzelnen Ereignisse und Handlungen in einer Weise, dass sie eine gewisse ‚Stabilität‘ realisieren, eine ‚Quasi-Ordnung‘, die ‚Wiederkehr‘ bietet, ‚Wiedererkennen‘, ‚Erhalt‘ von lebensnotwendigen Dingen wie wohnen, Ernährung, Grundbeziehungen, minimale Informationen….
7) Mit anderen Worten: ein persönlich-individuelles ‚Chaos‘ kann durch eine ‚überindividuelle‘ ‚Quasi-Ordnung‘ ‚vor sich selbst‘ geschützt werden.
8) Bedenkt man, dass für fast alle Lebensprozesse eine zeitliche Aufeinanderfolge von vielen Ereignissen und Handlungen notwendig ist, dazu ein ‚Ineinandergreifen‘ von vielen Handlungen, dann ist klar, dass ein einzelner – egal was er denkt – niemals alleine irgendeine Art von ‚lebenserhaltender Ordnung‘ schaffen kann.
9) Der ‚individuelle Augenblick‘ als solcher ist weder ‚gut‘ noch ’schlecht‘. Er kann ‚Ordnung‘ nur in einem ‚Zusammenhang‘ finden, in einem ‚Jetzt‘ eingebettet in ‚Erinnerungen‘, die einen ‚Zusammenhang‘ erkennen lassen. Kognitive Zusammenhänge bilden sich aber nicht einfach spontan, sie erfordern ‚Denken‘ und ‚Kommunikation‘, sie setzen einen sozialen Raum voraus, der Voraussetzungen liefert, ohne die es keine ‚geeigneten‘ Augenblicke geben kann.
10) Andererseits lebt der soziale Raum, die Interaktion, die Verfügbarkeit von Ereignissen auch direkt von jedem einzelnen individuellen Augenblick: nicht nur die ‚Reproduktion‘ einer ‚bekannten‘ Ordnung setzt den entsprechenden Beitrag des einzelnen voraus (der in der Regel hoch ist!), noch mehr eine mögliche ‚Veränderung‘, die eventuell ‚verbessern‘ kann, aber auch ‚verschlechtern‘.
11) Sozialer Raum zeigt sich hier als ein Objekt besonderer Art: es ist ein Zusammenwirken von einzelnem und relativ zu ihm von einem ‚Kontext‘: ohne den Kontext ist der einzelne nicht Nichts, aber doch stark reduziert; ohne den einzelnen ist der Kontext leer bis tot. Im Zusammenwirken entsteht ein vibrierendes ‚Etwas‘, ein ‚Soziales‘, das im kontinuierlichen ‚Geben und Nehmen‘ existiert, aber nicht existieren muss.
12) Ob die Aneinanderreihung von Augenblicken zu ‚Sequenzen‘, ‚Prozessen‘, ‚Geschichten‘ etwas ‚Gutes‘ realisiert oder nicht hängt ganz offensichtlich davon ab, ob jeder Augenblick ein ‚Stück Gutes‘ realisiert oder nicht (vorausgesetzt, es gibt überhaupt etwas, das ‚Gut‘ für den Prozess ist). D.h. jeder einzelne trägt in jedem Moment zu solch einem übergeordneten ‚Guten‘ bei oder nicht. Was immer der einzelne tut, er ‚wirkt‘ damit auf seine Umgebung und ‚unterstützt‘ damit das ‚Gute in allem‘ oder er ’schwächt‘ es. Es gibt keine ‚Neutralität‘. Auch ein ‚Nichtstun‘ ist hier ein ‚Tun des anderen‘; wenn man nicht das ‚Gute‘ tut, stärkt man das ‚Schlechte‘.
13) Wenn in einer Population Menschen leben, die aus irgendwelchen Gründen in ihren individuellen Augenblicken ‚wenig Gutes tun können‘ (nicht nur aus eigenem Mangel, sondern auch durch behindernde Kontexte (z.B. durch ‚Ablehnung’…)), dann schwächt diese Minderung der einzelnen die ganze Population. Je größer in einer Population die Anteile derer sind, die ‚fern vom Optimum‘ leben (müssen), umso schwächer ist die ganze Population (wenn der Anteil von ‚Kranken‘, ‚Analphabeten‘, ‚Süchtigen’…. groß ist, dann ist die gesamte Population stark eingeschränkt, geschwächt, leidend, kraftlos,….).(Wobei man dann fragen darf, ob die ‚Geschwächten‘ nicht letztlich Symptome sind für den ‚asozialen‘ Charakter des Kontextes, der so ist, dass er einzelne schwach macht, krank macht, zerstört).
14) Obwohl dieses Ineinander von einzelnem und ‚Kontext‘, die ‚dynamische Sozialität‘, jedem bekannt sein sollte, ist es überraschend, wie viele Menschen diese in der Realität weder gedanklich wirklich akzeptieren (oder tatsächlich nicht verstehen) noch gefühlsmäßig ‚gut heißen‘. Negative Reaktionen gegenüber den ‚Anderen‘ sind verbreitet und nicht selten ’stark‘. Dies hat vielerlei Gründe….
15) Einer dieser Gründe unter anderen ist dies, dass die Einsicht in diesen Zusammenhang die ‚Absolutheit des Einzelnen‘ relativiert. Zwar setzt dynamische Sozialität voraus, dass jeder jeden respektiert und stützt und darin dann jeder einzelne sein Optimum finden könnte, aber fern vom Optimum, wo dieser gegenseitige Respekt nur schwach realisiert wird, da kann der einzelne die Anerkennung des Kontext nicht positiv erfahren. Seine zaghaften Versuche endeten möglicherweise in negativen Antworten, die ihn ‚verletzten‘. Daraufhin verschließt sich der ‚enttäuschte Einzelne‘ ‚in seinem individuellen Augenblick und der Abstand zum gemeinsamen Optimum wird größer.
16) Die Aneinanderreihung von individuellen Augenblicken ‚ohne Ordnung‘, ohne ‚Bezug zum ‚Guten“, kann nur das Chaos vergrößern, individuell wie auch im Kontext. Je ‚chaotischer‘ der einzelne, umso mehr müsste der Kontext – also die vielen anderen einzelnen – dieses partielle Chaos ‚ausgleichen‘ (ein einzelner Alkoholiker kann mindestens eine ganze Familie und Teile einer Firma stark belasten; das gilt für alle Arten von Suchtkranken, von überhaupt ‚Kranken‘, ‚pflegebedürftigen‘, emotional Gestörten, Unwissenden, …. es gibt keine Grenzen: jeder braucht den anderen, die einen weniger, die anderen mehr)).
17) Dies kann ’negativ‘ klingen. Aber in dieser wechselhaften Abhängigkeit zeigt sich auch das ‚Andere‘: wir können durch die Art und Weise, wie wir sind, auch auf andere anregend, belebend wirken, helfend, ermutigend, Verstehen fördern, Mut machen, Freude bereiten, ernähren, Wohnungen bauen, Nahrungsmittel bereit stellen, Kommunikation ermöglichen, usw….
18) Aber niemand kann uns dazu zwingen. Wir können es tun. Dynamische Sozialität ist in gewisser Weise ein ‚Wunder‘: es muss nicht sein, es kann sein. Wir können uns wechselseitig ‚gut‘ tun, wenn wir wollen. Alle Arten von Schichtenbildung, Klassenbildung, Kastenbildung, Abschottungen jeglicher Art sind ambivalent: wenn zu wenige zu viel haben gegenüber vielen die wenig bis gar nichts haben, dann befindet sich die gesamte Population in einem stark geschwächten Zustand; sie lebt weitab von ihrem Optimum (was die einzelnen, denen es scheinbar ‚gut‘ geht, nicht sehen bzw. auch nicht wahrhaben wollen). Je nachdem, wie weit man den Kontext spannt (letztlich zum Gesamtphänomen des Lebens im Universum), kann dieses ‚Abseits des Optimums‘ bedeuten, dass sich entweder die Zeit bis zum – bislang wenig bekanntem – ‚Gesamtoptimum‘ entweder deutlich verlängert oder – dies kann man nicht grundsätzlich ausschließen – das Zeitfenster verpasst, in dem man das Gesamtoptimum hätte erreichen können. So fantastisch die menschliche Lebensform im Kontext des bekannten Universums anmutet, so repräsentieren wir dennoch nur ein kleines Moment an einem größeren dynamischen Kontext, der ‚passiert‘ ohne uns ‚zu fragen‘.
19) Vieles wäre hier noch zu sagen, aber ‚dieser‘ Moment ist nun vorbei……

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