Archiv für den Tag: 27. Oktober 2013

REVIEW: THE WORLD ACCORDING TO TOMDISPATCH – Teil 9

T.Engelhardt (ed), „The World Acording to TomDispatch. America in the New Age of Empire“, London-New York: Verso, 2008 (siehe auch die Webseite tomdisptach.com)

Diesem Text ging voraus: Teil 8.

ZWISCHENERGEBNISSE NACH Teilen 1-8

1) Fassen wir kurz zusammen, was sich bisher ergeben hat: ausgehend von den philosophischen Reflexionen zum Phänomen einer markanten emergenten Komplexität des biologischen Lebens zeigte sich Kommunikation und eine funktionierende Öffentlichkeit als zentrale Bedingungen für das Funktionieren dieser Komplexität. Um dies gesellschaftlich zu ermöglichen wurden Verfassungen in Form moderner Demokratien geschaffen, in denen weitgehende Freiheitsrechte zum Schutze des Individuums verankert wurden (z.B. USA, Deutschland). Begleitet von heftigen Diskussionen wurden in Deutschland unter speziellen Bedingungen (‚Lauschangriff‘) eine Aufhebung solcher Rechte durch Regierungsstellen erlaubt; in den USA gibt es eine lange Geschichte von Ausdeutungen zum vierten Zusatz der Verfassung, die Stand 2013 — zwar nicht dem Wortlaut nach, aber faktisch — einer fast vollständigen Aufhebung dieser Freiheitsrechte gleichkommt. Engelhardt skizziert in der Einleitung zu seinem Buch die Entwicklung in den USA nach 9/11 als dramatische Verstärkung von Geheimdiensten und Militär in einer ‚unipolaren Welt‘. Dies wird begleitet durch eine weitgehende Abschottung der Regierung nach außen. Im ersten Kapitel zeigt Engelhardt anhand konkreter Daten, wie die Ereignisse von 9/11 auf eine medial imprägnierte Öffentlichkeit treffen, die — geprägt von den tiefsitzenden Bildern der Medien der letzten Jahrzehnte — die Ereignisse in einer bevorzugten Weise deuten; in einer Weise, die von der Regierung mitgesteuert wird und für bestimmte Pläne ausgenutzt werden. Engelhardt kann dann anhand einiger Fakten zum neuen Ground-Zero Mahnmal aufzeigen, dass es hier nicht um ein ’normales‘ Denkmal geht, sondern dass das Gedenken an das Ereignis und die Toten von 9/11 für eine bestimmte Politik in einer Weise ‚instrumentalisiert‘, die viele ernste Fragen aufwirft. In dem nachfolgenden Kapitel mit dem Titel ‚The Empire that Fell as it Rose‘ gibt es einen Briefdialog zwischen Tom Engelhardt und Jonathan Schell, in dem Schell anhand der historischen Daten zu dem Schluss kommt, dass die USA sich nach dem zweiten Weltkrieg scheinbar unaufhaltsam in eine imperiale — alles beherrschende — Macht entwickelt haben. Dass die US-amerikanische Regierung sich, gestützt auf ein alle Maßen sprengendes Militär im Verein mit einem Netzwerk von nicht mehr kontrollierbaren Geheimdiensten, in ein imperiales Machtdenken hinein gesteigert haben, das für die Realität weitgehend ‚erblindet‘ ist. In seiner Antwort sagt Engelhardt, dass er die Einschätzung von Schell zwar als Nichthistoriker nicht historisch-wissenschaftlich verifizieren kann, dass aber sein Wissen um die aktuellen Fakten in den USA das Bild von Schell ohne weiteres stützt (es folgt eine Aufzählung von Fakten). So sehr viele sehen, dass der Weg des Imperialismus eigentlich kein brauchbares Konzept für die Zukunft ist, so sehr sind aber selbst die (amerikanischen?) Kritiker von diesem imperialen Denken ‚verseucht‘ (‚brainwashed‘), dass sie sich nicht vorstellen können, wie denn ein nicht-imperiales Modell real funktionieren kann. In dem folgenden Kapitel „No longer the ‚Lone‘ Superpower“ beschreibt dann Chalmers Johnson dass die USA faktisch nicht mehr die einzige Super Macht sind. Mit Blick auf die Vergangenheit stellt er die Frage, ob und wie es den USA gelingt, das neuerliche Erstarken Chinas (und einiger anderer potentieller Konkurrenten wie z.B. Russland, Indien, Brasilien) in einem friedlichen Prozess aufzufangen, oder ob es bei der konkreten Konfrontationen in Asien (speziell China – Japan) schließlich doch wieder zu einem Krieg der Machtinteressen kommt, der vieles zerstört und wenig aufbaut? Nach allen bekannten Fakten drängt sich der Eindruck auf, dass die USA alles dazu tun, dass sich Japan aus seiner Neutralitätsrolle heraus begeben hat und unter Erstarkung von nationalistischen Traditionen die Beziehung zu China eher verschärft denn beruhigt. Die zunehmende Loslösung Taiwans von Japan und USA und eine stärkere Hinwendung zum Festlandchina spricht eine eigene Sprache. Im folgenden Kapitel ‚THE WIDER WAR‘ beschreibt Greg Grandin wie das Pentagon ‚den wilden Westen‘ in Lateinamerika entdeckte. Während unter Clinton Lateinamerika noch äußerst positiv gesehen wurde, erweckte Lateinamerika zur Zeit der Bush-Administration höchsten Argwohn. Nicht nur Rumsfeld sieht in Südamerika ein Aufmarschgebiet von Terroristen, sondern der damalige Chef von ‚Southcom‘, dem US-amerikanischen Militärbezirk für Lateinamerika, General Bantz Craddock listete für Südamerika nahezu alle Schrecklichkeiten auf, die sich ein Geheimdienst vorstellen kann. Verstehen kann man dies nur mit Blick auf den Ideologiewechsel im Pentagon: nach Auffassung der Pentagonstrategen kann sich der internationale Terrorismus mittels jeder bekannten Form von (organisierter) Kriminalität finanzieren, daraus folgern die Pentagonstrategen, dass jede Form von Gesetzeslosigkeit und Unordnung eine potentielle Brutstätte für Unterstützung des Terrorismus sein kann. Dies impliziert dann, dass z.B. funktionierende Diktaturen einen höheren Wert besitzen (da sie ja eine gewisse Ordnung induzieren) als alle Formen von ‚Protesten‘, demokratischen Bewegungen, usw. Damit wird der US-amerikanische Krieg gegen den Terror zu einer Strategie globaler Kontrolle aller Nationen (ausgenommen vielleicht England und Frankreich?)?), aller gesellschaftlichen Bereiche, bis hin in die Niederungen des täglichen Lebens. Im Buch gibt es ferner zwei unterschiedliche Berichte zu Iran. Einer stammt von Behzad Yaghmaian mit dem Titel ‚Will American Bombs Kill My Iranian Dreams?‘, der andere von Noam Chomsky mit dem Titel ‚What If Iran had Invaded Mexico?‘. Der Beitrag von Yaghmaian schildert die Sicht eines Betroffenen, eines Iraners, der aus dem Iran fliehen musste, US-Amerikaner wurde, als Wissenschaftler und Journalist aber immer wieder im Iran war und sich mit dem Iran auseinandersetzte. Noam Chomsky, US-Amerikaner, bekannter Wissenschaftler und politischer Schriftsteller, reflektiert auf das Verhalten der US-Regierung gegenüber dem Irak und auf das zugrundeliegende Denken. In einem kurzen Rückblick mache ich vorher darauf aufmerksam, dass die Beziehung USA – Iran eine Vorgeschichte hat, in der zunächst die USA — vertreten durch konkrete Personen — eine Unterstützerrolle für den Iran gegen die damaligen kolonial-imperialistischen Mächte England und Russland eingenommen hatte. Später wurden dann die USA selbst zu einer kolonial-imperialistischen Macht, die vor nichts zurückschreckte, um ihre Interessen zu vertreten. Yaghmaian schreibt als Iraner, der Amerikaner wurde, aber letztlich natürlich doch verbunden blieb mit seiner Herkunft. Während er einerseits das blutige Hin und Her zwischen der Bevölkerung und den jeweiligen Regimes in Iran erlebte, wird an ihm stückweise die Vielschichtigkeit dr US-amerikanischen Wirklichkeit sichtbar: für viele eine Weltoffenheit einerseits, dann aber auch faschistischen Tendenzen in der Bevölkerung und eine scheinbar skrupellosen Regierung, die vor nichts zurück zu schrecken scheint. Für Noam Chomsky (vgl. SS.71-76) ist die Art und Weise, wie die US-Regierung mit dem Thema Iran umgeht, eine gezielte Propaganda, um den Krieg vom Irak in den Iran zu tragen. Der Kongress kann hier wenig verhindern, da die aktuelle Verfassung der Regierung ein breites Spektrum an Möglichkeiten eröffnet, legal kriegsähnliche Aktionen ausführen zu können, ohne den Kongress fragen zu müssen.

AUSBLICK

Themenlandkarte zu Engelhardt, Kap.8-33
Themenlandkarte zu Engelhardt, Kap.8-33

 

Angesichts der Fülle und Anzahl der noch ausstehenden Themen hier eine Art ‚Themenlandschaft‘ der noch ausstehenden Themen. Die Gruppierung der Themen stammt von mir, ebenso die favorisierten Abfolge. Die benutzten deutschen Schlagworte repräsentieren nicht die Titel sondern einige der Hauptthemen in den jeweiligen Beiträgen. Letztlich sind dies alles nur Maßnahmen, um die Fülle der Aspekte ein wenig zu strukturieren. Jedem Interessierten sei empfohlen, die Texte selber zu lesen (übrigens: auch online möglich, auf tomdispatch.com).

IRAK KRIEG VON 2003 – ANSCHLIEßEND WEIß MAN MEHR

Bevor hier jetzt weitere Artikel von tomdispatch.com direkt zum Irakkrieg von 2003 referiert werden, sei direkt verwiesen auf den sehr ausführlichen und intensiv recherchierten Artikel in der englischen Wikpedia zum Irak Krieg 2003 (und den Folgen). Daraus kann man entnehmen, dass die Bush-Regierung schon vor 9/11 2001 Pläne zur Invasion im Irak (und weiteren Staaten der Bush-Achse-des-Bösen) besaß. Es war dann das Attentat von 9/11 2011, dass (unverhofft?) einen willkommenen Anlass bot, die US-amerikanische Öffentlichkeit für diese verdeckten Pläne zu mobilisieren. Die zwei Hauptargumente, die in den Vordergrund geschoben wurden, war die angebliche Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak (und die angebliche Fähigkeit des Iraks, diese vor den Küsten Amerikas abfeuern zu können), sowie die angebliche Verbindung von Saddam Hussein zu jenen Terrorgruppen, die man für den Anschlag in New York verantwortlich machte. Alles, was seitdem bekannt geworden ist, legt den Schluss nahe, dass alle diese Behauptungen nicht nur falsch waren, sondern dass sowohl die Argumente dafür massiv manipuliert worden sind und die Versuche, diese Manipulationen aufzudecken, ebenfalls massiv attackiert wurden. Dass der US-amerikanische Kongress und Senat 2002 diese offensichtlichen Lügen und Manipulationen nicht aufdeckte sondern mit großer Mehrheit billigte, ist sehr erschreckend und rückt das politische amerikanische System in eine Nähe zu manipulierten Parlamenten in totalitären Staaten. Die Analysen zu den amerikanischen Medien zeigen ferner, wie hochgradig unkritisch die überwältigende Mehrheit der Medien in den USA sich zu diesen Fragen verhielt; sie haben praktisch nur die ‚Propaganda‘ der Regierung wiederholt und verstärkt. In dieses Bild passt auch, dass die Zählung der zivilen Toten während des Krieges und während der nachfolgenden amerikanischen Besatzung im Irak offiziell nicht unterstützt wurde. Das propagandistische Bild vom schnellen und sauberen Krieg sollte nicht beschmutzt werden. Spätere unabhängige und sehr ernsthafte Untersuchungen (siehe: Analyse der zivilen Toten) kommen auf erschreckende Zahlen: ca. 60.000 bis April 2007, 654.965 bis Juni 2006, 1.033.000 bis April 2009. Ganz zu schweigen von den hunderttausenden von irakischen Flüchtlingen, deren Elend weder von der Mehrzahl der (meist politisch abhängigen) US-amerikanischen Medien noch vom US-Kongress oder Senat zur Kenntnis genommen wurden. Die Toten vom Ground Zero, so schrecklich sie natürlich sind, verdunkeln den Blick für die ‚anderen Toten‘; es sind ja keine US-Amerikaner. Ein anderer Aspekt ist die ‚Legalität‘ des Vorgehens der Bush-Administration. Dazu gibt es viele Untersuchungen. Zumindest bestehen starke Zweifel an der Legitimität des Vorgehens. Es gab sogar inneramerikanisch einen offiziellen Versuch, zumindest gegenüber Dick Cheney ein Impeachment-Verfahren anzustrengen (vgl. Impeachment gegen Cheney, siehe auch: Kongressmitglied Dennis Kucinich (D-Ohio) hat eine Impeachment-Klage eingereicht). Der erste Antrag wurde schlicht nicht behandelt und der zweite Versuch endete bei der Mehrheit des Kongresses, der dagegen war. Dabei waren es nicht nur die Stimmen der Republikaner, die dagegen waren, sondern führend auch Nancy Pelosi von den Demokraten (die 2013 auch den Versuch von Republikanern und Demokraten blockiert hatte, eine Resolution gegen die Aktivitäten der US-amerikanischen Geheimdienste einzubringen).

Fortsetzung folgt

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