Archiv für den Monat: November 2013

SEXARBEITERiNNEN – Teil 2 – GESCHICHTE UND GEGENWART

Erste Version: 25.Nov.2013
Letzter Nachtrag: 29.Nov.2013
Letzter Nachtrag: 19.März 2014

RÜCKBLICK

Dieser Beitrag ist eine Fortsetzung zum vorausgehenden Beitrag SEXARBEITERiINNEN – SIND WIR WEITER? und einem früheren Beitrag zum Thema Sexualität mit dem Titel Sexualität gestern, morgen, und …. Im früheren Artikel hatte ich versucht, einige der Alltagsphänomene im Umfeld des Themas Sexualität einzuordnen in den größeren Kontext der biologischen Evolution. Hatte dort versucht, das Moment der Sexualität als ein — wenngleich sehr starkes — Moment im Kontext der menschlichen Psyche einzuordnen, um deutlich zu machen, dass der Versuch seiner ‚Isolierung‘ als eigenständiges Phänomen nur in die Irre führen kann. Im letzten Beitrag — angeregt durch allerlei Zeitungsartikel und Talkshows, ein Buch sowie einigen Gesprächen — hatte ich versucht, das Thema noch weiter herunter zu brechen. Befriedigend war das noch nicht. Habe jetzt aber das schon zuvor erwähnte Buch von Irene Stratenwerth zu Ende gelesen und wollte diese Eindrücke noch einbeziehen.

SEXUALITÄT, ROLLEN

Das Grundthema der biologischen Sexualität, das sich in den genetisch determinierten Ausprägungen von ‚Mann‘ und ‚Frau‘ bzw. in ‚Mischformen‘ phänomenal Ausdruck verleiht, liefert ein Leitmotiv durch alle Zeiten, das als solches, nach meinem Eindruck, immer noch unterschätzt wird. Entsprechend den jeweiligen historischen Gegebenheiten haben alle menschlichen Gesellschaften versucht, um den ‚Mann‘ herum, um die ‚Frau‘ herum, auch um ‚alternative Geschlechter‘ herum, im Zusammenleben, ‚Rollen‘ zu vereinbaren, wie man sich als ‚Mann‘ und ‚Frau‘ oder als ‚etwas anderes‘ in bestimmten ‚Situationen‘ zu verhalten hat. Das war einerseits hilfreich — sofern alle Beteiligten diese Rollenvereinbarungen teilten –, da jeder wusste, was er tun konnte und was nicht; es war aber auch eine Reglementierung, die als ‚Festlegung‘ und damit ‚Eingrenzung‘ verstanden werden konnte, die die menschliche Freiheit und die Situation als ganze unnötig einschränkt. Je nachdem, welche Vorteile die einzelnen aus diesen Vereinbarungen ziehen konnten, und je nachdem, mit welchen Sanktionen Rollenverletzungen belegt waren, wurden diese Vereinbarungen mehr oder weniger eingehalten oder gebrochen. Die Geschichte dieser Rollenzuordnungen legt den Eindruck nahe, dass die Rollenzuordnungen für die Frauen auffällig stark mit Unterordnung, Gewalt und Leid verknüpft war und heute in vielen Ländern dieser Erde immer noch ist.

WIRTSCHAFTLICHE SITUATION

Allerdings ist das Thema Sexualität (Mann, Frau und Anderes) niemals isoliert, sondern immer eingebettet in umfassendere soziale, ökonomische Situationen. Es ging und geht immer auch um Ernährung, Wohnen, Kleidung, Arbeit, Ausbildung usw. Und in Zeiten des Ressourcenmangels stand und steht das nackte Überleben im Vordergrund.

MIGRATION IN DER GESCHICHTE

Wirtschaftliche Not war immer auch eine Haupttriebfeder für Wanderungsbewegungen (Migration) bzw. kriegerische Aktivitäten, um zusätzliche Ressourcen zu erobern. Aus dem Blickwinkel des homo sapiens, also von ‚uns‘, waren es die dramatischen Klimaänderungen in Teilen Afrikas, die in der Zeit 125.000 – 60.000 Jahren BC zu größeren Migrationsbewegungen geführt haben, wobei man den erfolgreichen Hauptschub um 60.000 BC verortet (vgl. Out-of-Africa Hypothese.) Es waren diese Wanderungsbewegungen, denen alle heutigen Menschen ihre Existenz verdanken. Diesen Wanderungsbewegungen folgten in der Geschichte viele andere. Daraus kann man ableiten, dass die einzige wirkliche Konstante auf der Erde die beständige Veränderung ist (der Plattentektonik, des Klimas, der interstellaren Vorkommnisse, der biologischen Evolution, usw.). Um zu überleben, müssen wir Menschen darauf reagieren. Und es sind in der Regel sehr tüchtig Zeitgenossen, die den Weg in die Ungewissheit suchen. Und es ist nicht zufällig, dass die menschlichen Gesellschaften dahin tendieren, zu versuchen, sich immer mehr von solchen Veränderungen unabhängig zu machen.

Unter dieses Thema fallen auch die sehr umfangreichen Auswanderungen von Europäern in der Zeit von 1815 bis ca. 1930. Laut Stratenwerth waren es 63 Millionen Europäer, die in dieser Zeit Europa verlassen haben, vorwiegend in Richtung Nord und Südamerika.

Anlass war die große Not in den europäischen Ländern. Eine ausführliche wirtschaftliche Analyse fehlt in dem Buch von Stratenwerth; eher exemplarisch wird anhand einzelner Landstriche und Regionen der Eindruck erweckt, dass es zu diesen Zeiten zwar immer mehr Menschen gab, nicht aber zugleich mehr Arbeit und nicht genügend Ernährung. Innerhalb dieses Gesamtszenarios wird hervorgehoben, dass in den meisten Ländern die jüdische Bevölkerung ein besonders schweres Los hatte, da ihnen vieles verboten war: kein normaler Schulbesuch, keine Gründung von Handwerks- oder Industriebetrieben, Ansiedlungsverbote in vielen Gebieten bzw. umgekehrt Zuweisung in bestimmte Viertel, ‚Ghettos‘ genannt. (Im Wikipediaartikel über Ghetto fehlt ein Bericht über die Situation der Juden in Osteuropa in der Zeit 1815 – 1930 vollständig). War die Lage also für jeden schwierig, galt dies natürlich auch für alle Frauen, insbesondere für die jungen Frauen. Irgendeine Arbeit zu finden oder auch einen Mann für eine Familiengründung war schwierig bis unmöglich. Im Falle von Arbeitsverhältnissen ging dies laut dem Buch von Stratenwerth nicht selten einher mit sexueller Abhängigkeit, und das Alter der hier betroffenen jungen Frauen begann bei 14 Jahren!

In dieser Situation war für junge Frauen aus den einfachen Verhältnissen jede Art von Hoffnungen und Versprechungen — so abenteuerlich sie auch von heute aus erscheinen mögen — mit mehr Perspektive verknüpft als die jeweilige Gegenwart. Und die Zahl von 63 Millionen Wanderungsbewegungen generell zeigt, dass dies damals offensichtlich einem gewissen ‚Zeitgeist‘ entsprach. Für eine junge Frau, die ohne Perspektive war, arm, auch ‚zu Hause‘ in sexueller Abhängigkeit, waren die Versprechungen der Arbeit in den Städten zu verlockend, als dass man sie nicht wahrnehmen sollte. Und da laut dem Buch von Stratenwerth überall honorige Herren herumreisten, den armen Familien Geld boten, den jungen Frauen eine Ehe (die ‚love boys‘ von früher) und ein Auskommen, war der Strom junger Frauen, die dann entweder in den großen Bordellen jener Zeit in Europa, vor allem aber in Übersee (Rio de Janeiro, Buenos Aires, New York,…) landeten, sehr groß. Und aufgrund der extremen Benachteiligungen gerade der jüdischen Bevölkerung darf es nicht wundern, dass der Anteil der jüdischen Auswanderer, speziell auch der jungen Frauen hoch war (in Buenos Aires, einer der Bordellhauptstädte der damaligen Welt, waren nach Stratenwerth 1889 – 1913 ca. 4000 jüdische Prostituierte registriert, ca 20 – 30% aller registrierten Prostituierten von Buenos Aires; in der Zeit 1910 – 1923 kommen 20% aller Prostituierten aus Russland und Polen, die meisten mit jüdischer Herkunft; 25% kommen aus Frankreich oder Argentinien, der Rest aus Italien, Spanien und weiteren Ländern (siehe Stratenwerth: S.107).

Nimmt man das Beispiel Buenos Aires, dann sagen laut Stratenwerth die Passagierlisten von Hamburg, für das Jahr 1912 beispielsweise aus, dass zwar 2089 Männer nach Buenos Aires reisten, aber nur 849 junge Frauen zwischen 16 und 23 Jahren (wobei die Papiere vielfach gefälscht sein konnten mit einem höheren als dem tatsächlichen Alter). Etwas mehr als die Hälfte reiste alleine (wobei bei den Verheirateten auch von Scheinehen ausgegangen werden kann). 80% der Frauen waren Jüdinnen (vgl. Stratenwerth:S.101).

Die osteuropäischen Auswanderer, die in Hamburg aufs Schiff gingen, kamen laut Stratenwerth überwiegend per Zug direkt von dem Ort Myslowitz im Dreiländereck Deutsches-Reich, Österreich-Ungarn und Rußland. Dort sollen 1894 ca. 1.800 Auswanderer abgefertigt worden sein, im Jahr 1913 aber ca. 240.000 (vgl. Stratenwerth:S.99). Im Rahmen eines Strafprozesses im Jahr 1914, von dem Stratenwerth berichtet, gab es Hinweise, dass dieser ungeheure Strom von Auswanderer die ganze Stadt auf allen — auch behördlichen — Ebenen zu einer Kooperative vereint hat, wo Geschenke, Schmiergelder, Gefälligkeitshandlungen zum Alltag gehört haben. Dazu gehörte es auch, dass frisch eingeschmuggelte Mädchen mit aufs Zimmer genommen wurden (weitere Details bei Stratenwerth:S.100).

AUSBEUTUNG REAL UND IMAGINIERT

Im Nachhinein und von ‚außen‘ ist es schwer bis unmöglich, zu beurteilen ob und in welchem Ausmaß damals Ausbeutung vorgelegen hat. Es gibt klare Fälle von Misshandlungen, sklavenähnlichen Zuständen, und finanzieller Ausbeutung. Es gibt aber auch Fälle, in denen Frauen über die Prostitution zu erheblichem Wohlstand gekommen sind. Und es gibt Selbstzeugnisse von Frauen, die ihr Leben — im Vergleich zu Alternativen — als positiv darstellen. Offizielle Details gibt es nicht. Im Jahr 1923 beauftragte zwar der Völkerbund eine offizielle Studie zum Mädchenhandel, aber die Hauptuntersucher waren Männer, die sich fast ausschließlich mit männlichen Bordellbesitzern und deren Sehweise beschäftigten. (vgl. Stratenwerth:Kap.14)

In einem Beitrag von Esther Sabelus im Buch von Stratenwerth wird aufgezeigt, wie sich parallel zum Phänomen des Mädchenhandelns sowohl eine ‚Entrüstungsliteratur‘ aufbaut wie auch dann immer mehr auch eine antijüdische Propaganda.

Die Entrüstungsliteratur ist in bürgerlichen Schichten verortet, deren Moralkodex zwar ausreicht, um diese Vorgänge zu verurteilen, aber nicht ausreicht, die tatsächlichen Ursachen zu analysieren und dort Abhilfe zu schaffen, wo es Not täte; denn dann müsste man die eigene Gesellschaftsordnung mit dem herrschenden Rollensystem kritisieren. Soweit reicht die Entrüstung nicht.

Die Propaganda speist sich aus schwelenden Antisemitismen, die immer wieder neue Nahrung für ihre Sehweise suchen. Aus der Beteiligung von Juden am Mädchenhandel wird dann schnell der Jude als Mädchenhändler schlechthin und auch hier wird der jeweilige gesellschaftliche Kontext vollständig ausgeblendet. So funktioniert Ideologie und Propaganda: alles weglassen, was nicht passt.

DEUTSCHLAND – PORNOGRAPHISCHES WUNDERLAND?

Wie Mehmet Ata kürzlich in dem Beitrag „Außer Kontrolle. Das Prostitutionsgesetz von 2002 sollte die Situation der Frauen verbessern. Doch vieles ist seither schlimmer geworden.“ (FAS, 24.Nov.2013, Nr.47, S.4) feststellt, ist die Kontrolle der Prostitution in Deutschland soweit gelockert worden, dass die Behörden seitdem kaum über verlässliche Daten verfügen noch haben sie rechtliche Handhaben, um schärfere Kontrollen durchzuführen, dies, obgleich verschiedene Untersuchungen den Eindruck verstärken, dass Gewalt, Ausbeutung und diverse Formen schwerer Kriminalität das Milieu durchziehen. Wie in den vorausgehenden Abschnitten beschriebenen kommen auch hier wieder 60-80% der jungen Frauen aus dem (meist osteuropäischen) Ausland; viele, weil Ihnen Anwerber falsche Tatsachen vortäuschen, viele mit Erfahrung von Gewalt seit ihrem 16. Lebensjahr.

KEIN RESÜMEE

Vergleicht man die heutigen Erfahrungen mit den vorausgehenden Schilderungen kann man den Eindruck gewinnen, dass sich nicht viel geändert hat. Der gesellschaftlichen Not und den jugendlichen Hoffnungen auf der einen Seite stehen viele unbefriedigte sexuelle Bedürfnisse gegenüber, und dazwischen gibt es vielfältigste Organsationsformen, die versuchen ihren Gewinn daraus zu machen, beides an einem Ort und einer Zeit zusammen zu bringen. Während wir im Fall ’normaler‘ gewerblicher Tätigkeit Schemata gefunden haben, wie ausgebildet wird, wie zertifiziert wird, wie Qualitätskontrolle stattfindet, wie Arbeitnehmer Rechte haben gegenüber Arbeitgebern und umgekehrt, die Arbeitgeber Pflichten; wie das Finanzamt nahezu jeden (und besonders die ‚Kleinen‘) akribisch zu verfolgen scheint, scheint all dies für den Bereich gewerbliche Sexualität nicht zu gelten. Warum nicht?

Andererseits sollten wir nicht so tun, als ob es nur im Bereich gewerblicher Sexualität Probleme der Ausbeutung gibt. Die Berichte zu erschreckenden Lebens- und Arbeitsverhältnissen in vielen Ländern dieser Welt (auch in Bereichen Deutschlands , wo Leiharbeiter massiv ausgebeutet werden) sind nicht weniger schlimm oder sind sogar schlimmer.

So besonders das Phänomen der Sexualität einerseits hingestellt wird, so ist es doch ein Teilphänomen im Gesamt des Menschen, des Menschenbildes, der Menschenrechte. Und hier stoßen wir auf viele liebgewordene vorherrschende Denkmodelle die nicht notwendigerweise das Letzte und Beste sind, was wir haben bzw. haben sollten. Eine dauerhafte und nachhaltige Entkriminalisierung wird wohl nur gelingen, wenn wir mit uns selbst als Menschen mehr Klarheit, und mehr Einigkeit finden, nicht nur gedacht, sondern auch real, im Alltag.

Ein Song, dazu, oder auch nicht, jedenfalls ein Song; nach der Methode ‚Radically Unplugged‘, kein Plan, kein Üben, keine Absprachen, keine Noten, kein Text, und dann eben doch ein Song: Ach, ooh, 7 Billionen, sollten wir das vergessen?(RUM100%)

QUELLEN

Irene Stratenwerth, „Der gelbe Schein. Mädchenhandel 1860 – 1930“, herausgegeben von Simone Blaschka-Eick, Herman Simon, Bremerhaven: Deutsches Auswandererhaus Edition DAH, 2012Einen Überblick zu allen Blogeinträgen nach Titeln findet sich HIER.

NACHTRAG 1
Whores Glory – Ruhm der Huren. Eine Erstausstrahlung am Donnerstag, 28.11. um 23:10 Uhr bei arte.

KURZBESCHREIBUNG VON arte

„Whores‘ Glory“ porträtiert Frauen in Thailand, Bangladesch und Mexiko, die von der Prostitution leben. Ihre Beweggründe sind so unterschiedlich wie ihre Religion und Kultur. Michael Glawogger beobachtet sie bei ihrer Arbeit, lässt sie zu Wort kommen und gibt ihnen so eine individuelle Identität.
Sie leben in Thailand, Bangladesch und Mexiko, und sie leben von der Prostitution. Der Filmemacher Michael Glawogger hat die Frauen bei ihrer Arbeit beobachtet, hat sie zu Wort kommen und ihre Geschichten erzählen lassen und ihnen so eine individuelle Identität gegeben.
Whores‘ Glory“ ist ein filmisches Triptychon zur Prostitution, ein Film über arbeitende Frauen an drei Schauplätzen. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen und gehören unterschiedlichen Religionen an. Da sind die jungen, schönen Frauen, die sich im „Fish Tank“ in Bangkok hinter einer Scheibe zur Schau stellen, um dann ihren Freiern ein wenig Glück zu verkaufen. In Bangladesch werden die Prostituierten in ihr Schicksal hineingeboren oder in ein Prostituierten-Ghetto, einen eigenen Stadtteil, verkauft – ein anderes Leben scheint unmöglich. Und in Mexiko ist die Endstation jener Frauen „La Zona de la tolerancia“, ein Ort, an dem sie mit Drogen und Prostitution überleben – eng umschlungen mit Santa Muerta, dem heiligen Tod.
Der Dokumentarfilm gibt jeder Frau ihren eigenen Raum, lässt sie ihre Geschichten erzählen von Sehnsüchten und Hoffnungen, von der Bitterkeit , aber auch von raren Momenten der Freude – ihrer eigenen, aber auch der, für die ihre Freier bezahlen.
Produzent: ZDF
Land: Österreich, Deutschland
Jahr: 2011
Als Live verfügbar: ja
Tonformat: Stereo
Bildformat: HD, 16/9
Version: OmU
Arte+7: 28.11-05.12.2013
Regie:
Michael Glawogger

KURZKOMMENTAR VOM BLOG
Eine Filmdokumentation ist natürlich keine wissenschaftliche Untersuchung, dennoch kann sie, wenn sie gut gemacht ist, Aspekte der Wirklichkeit sichtbar machen, die einigermaßen authentisch sind und die uns etwas vom dem Leben erzählen, das wir alle teilen.
Der Film von Michael Glawogger erweckt den Eindruck, dass das, was man sieht , gut recherchiert und sehr authentisch ist (wobei man natürlich immer bedenken muss, dass das Medium Film den Blick auf die Wirklichkeit stark selektiert und fokussiert).
Mit Blick auf die vorausgehenden Überlegungen im Blog möchte ich hier nur zwei Aspekte herausgreifen: Rolle der Frauen – Rolle der Männer.

Die beiden Extreme im Film mit Blick auf die Frauen sind sicher die Frauen in Bangladesch einerseits und die Frauen in Thailand andererseits.
Für die jungen Frauen in Bangladesch erscheint ihre Tätigkeit als Prostituierte als ‚auswegslos‘: um zu überleben müssen sie ihre Arbeit machen, sind in jeder Hinsicht abhängig vom Ort und dem Umfeld. Ausbrechen erscheint sinnlos, da es keinen anderen Ort gibt, wo sie hingehen könnten. Eine junge Frau sagt es direkt in die Kamera, warum sie als Frau dies alles erleiden muss, womit sie das verdient habe. Ab einem gewissen Alter wird es für diese Frauen dann ‚höllenmäßig‘: am Beispiel einer Frau wurde deutlich, was passiert, wenn die Männer sie nicht mehr wollen: die Vermieterin der Zimmer macht ihr die Hölle heiss, beschimpft sie öffentlich, und droht ihr mit Rausschmiss ins Nichts.
Für die jungen Frauen aus Thailand sieht die Sache anders aus. Sie haben z.T. Männer und Familie, sie könnten im Prinzip andere Berufe lernen und ausüben, aber sie sagen, dass es ihnen zu Hause zu langweilig sei, die Familie den ganzen Tag zu stressig, das soziale Umfeld in einem gutorgansierten Bordell anregender, interessanter; man trifft andere junge Frauen, hat Abwechslung und Spaß; in der Freizeit geht man selber in Bars und zu Männern, die männliche Prostituierte sind. Zugleich praktiziert man religiöse Rituale, deren Sinn sich einem Betrachter nicht so richtig erschließt.

Die Männer kommen in allen Beiträgen mehr oder weniger gleich rüber: man sieht die Männer aus der Perspektive ihrer triebhaften Begierde, die Frauen sind Objekte, mit denen man zwar auch gerne redet, aber nur für die Dauer der ‚Geschäftszeit‘; daneben haben viele (ältere) Männer ihre Frauen, Partnerinnen. Für die jungen Männer erscheint es wie eine Art ‚Ventil‘ für ihren Triebdruck: sie sagen, dass sie täglich zu den Prostituierten gehen, manchen sogar mehr als einmal. Die jungen Leute aus Bangladesch meinten, dass das Prostituiertenviertel ein Segen für die Stadt sei, sonst würden viele andere Frauen unter mehr sexuell motivierter Gewalt leiden müssen.

KZ BORDELLE

ZDFinfo Mi 19.März 2014, 16:30h, System Sonderbau. Zur Geschichte der Bordelle in 10 deutschen KZs

In einer Mischung aus Dokumentation und Live-Interviews mit Zeitzeugen entsteht in Umrissen das Bild der Zwangsprostitution von Frauen in zehn deutschen KZs.

Hintergrund waren die Beschwerden deutscher Rüstungsfirmen über die mangelnde Arbeitsmoral der Häftlinge in den Rüstungsbetrieben. Dies führte dazu, dass Himmler den Plan für ein neues Belohnungssystem erdachte, das mit möglichst wenig Geld die Motivation steigern sollte.

Ab Frühjahr 1943 wurden dann nach und nach ca. 200 Frauen zwangsweise rekrutiert, die in zehn KZs zum Einsatz kamen. Kunden waren die Mithäftlinge.

Das erste Bordell wurde 1942 im KZ Mauthausen in Österreich eingerichtet. Neun weitere folgten, z.B. Juli 1943 in Buchenwald mit 16 Frauen und in Ausschwitz. Erst am Zielort erfuhren die Frauen, für welche Zwangsarbeit sie ausgesucht worden waren

Es wurde eine eigene Baracke eingerichtet, mit Bordellarzt und hohen Hygieneanforderungen. Die Bordellfrauen hatten eine bessere Ernährung, bessere Kleidung und sahen gut aus, hatten Macke up, trugen kurze Hosen und hatten Schuhe mit hohen Absätzen, Haare waren nicht abgeschnitten. Werktags hatten die Frauen tagsüber frei; abends mussten sie zwei Stunden zur Verfügung stehen. 4 Häftlinge pro Stunde. Am Sonntag schon ab 10:00h. Nach den Abrechnungsbögen kommen auf eine Bordellfrau am Sonntag im Durchschnitt 10 Häftlinge. In der Woche kommt eine Frau im Durchschnitt auf 43 Besucher. Die Abläufe der Besuche samt der Stellungen beim Geschlechtsakt sind genau von der SS geregelt. Aufseher kontrollierten regelmäßig durch ein Guckloch, ob die Vorschriften eingehalten werden. Nach jedem Geschlechtsverkehr mussten sich die Frauen ausgiebig waschen. Explizite Empfängnisverhütung gab es allerdings nicht. Bei zwei bekanntgewordenen Fälle von Schwangerschaft im KZ Buchenwald wurden diese zwangsweise beendet. Allerdings waren viele Frauen schon zuvor zwangssterilisiert worden. Für einen Bordellbesuch, der offiziell beantragt und genehmigt werden musste, wurde eine Gebühr 2 Reichsmark erhoben; 0.45 RM bekam die Bordellfrau.

Es scheint, dass überwiegend Häftlinge, die ganz oben in der Hierarchie stehen, das Bordell aufsuchten. Die meisten politischen Gefangenen lehnten einen Bordellbesuch ab. Aus den erhaltenen Zeugnissen muss man schließen, dass die Männer sich kaum bewusst gemacht haben, dass alle Frauen zu dieser Arbeit gezwungen wurden. Eine Interviewte sagte, dass dieses Leben zur Abstumpfung geführt hat bzw. es gab auch Selbstmordversuche. Die Mehrheit der Frauen hat das KZ überlebt, war aber psychisch stark gezeichnet.

Nach dem Krieg wurde die Zwangsprostitution weder von der Bundesregierung noch von der DDR als Zwangsarbeit anerkannt.

Einen Überblick über alle Blogbeiträge nach Titeln findet sich HIER.

SEXARBEITERiNNEN – SIND WIR WEITER?

Erste Version: 20.Nov.2013
Letzter Zusatz: 27.Nov.2013

 

1) In einem früheren Beitrag zum Thema Sexualität mit dem Titel Sexualität gestern, morgen, und … hatte ich versucht, einige der Alltagsphänomene im Umfeld des Themas Sexualität einzuordnen in den größeren Kontext der biologischen Evolution. Hatte dort versucht, das Moment der Sexualität als ein — wenngleich sehr starkes — Moment im Kontext der menschlichen Psyche einzuordnen, um deutlich zu machen, dass der Versuch seiner ‚Isolierung‘ als eigenständiges Phänomen nur in die Irre führen kann.
2) Wenn man die Diskussion der letzten Monate zum Thema SexarbeiterInnen in Deutschland (und Frankreich, und Italien, und…) verfolgt, hat man nun nicht unbedingt den Eindruck, dass wir mit dem Thema ‚Sexualität‘ ‚weiter‘ wären. In den öffentlichen Diskussionen prallen noch immer unterschiedlichste Fronten schroff aufeinander und jeder versteht sich als eifriger Wiederholer seiner eigenen Auffassung ohne dass man den Eindruck hat, dass die einen von den anderen das lernen, was man lernen könnte, und ohne, dass ein Gesamtbild entsteht, in dem die verschiedenen Facetten ineinanderlaufen, sich wechselseitig erklären, und wir damit als Gesellschaft handlungsfähiger würden.
3) Im Prinzip ist es fast egal, in welcher Zeit man an welchem Ort Nachforschungen anstellt. Dem biologischen Mechanismus der Sexualität entkommt niemand. Die Wucht und Intensität der genetisch eingebauten Triebkräfte sind Teil jeder Psyche oder jeder sozialen Konstellation. Und was Menschen auch immer sonst empfinden, erleben, denken, glauben und tun, das biologisch induzierte Programm der Sexualität sitzt allen in den Knochen. Es ist bislang der intimste Teil des biologischen Lebens auf der Erde, eines Lebens, das wir bis heute kaum verstanden haben. Je älter ich werde würde ich sogar dazu tendieren, zu sagen, wir haben überhaupt noch nicht verstanden, was dieses Leben tatsächlich ist und soll.
4) Wenn in Talkshows junge, gesunde, intelligente Frauen auftreten, die in einem freien Land ihre eigenen Körper in eigener Regie gegen Geld anbieten (genaue Zahlen kennt man nicht), ist dies ein anderer Fall, als wenn junge Frauen (eher noch Kinder) aus wirtschaftlich schwachen Ländern unter Vortäuschung falscher Tatsachen von zu Hause weggelockt werden, um dann unter Gewalt und Drogen ihren Körper verkaufen zu müssen. Und es ist sicher wiederum ein anderer Fall, ob Frauen ihren Körper im direkten Kontakt anbieten müssen oder oder sie dies mit dem boomenden Online-Varianten tun: zeigen und reden ja, aber irgendwo in einem Studio (was nicht frei von Zwang und Gewalt sein muss). Und dies ist wiederum etwas anderes als ein Unternehmer, der Wohnungen und Häuser einrichtet und vermietet, und daran verdient, und des ist wiederum verschieden von der Vielzahl jener Vereinigungen, die auf unterschiedlichste Weise freiwillig sich wechselseitig sexuelle Betätigungen eröffnen, anbieten, arrangieren.
5) Dies ist nur die Spitze des Eisbergs in einem der wenigen freien Länder dieser Erde, in dem es ein einigermaßen funktionierendes Rechtssystem gibt. Die bekanntgewordenen spektakulären Vergewaltigungsfälle in Indien haben schlaglichtartig gezeigt, in welch gefährlicher und unwürdiger Situation viele indische Frauen leben; Frauen sind wie Freiwild, wenn es um Sexualität geht. In Pakistan und Afghanistan ist es nicht besser. Die Kette der hier einschlägigen Länder ist lang.
6) Vom Strom der Armutsflüchtigen heute weiß man von Zeugenaussagen, dass Frauen bevorzugte Opfer von Vergewaltigungen sind. In den zahllosen kleinen Kriegen der letzten Jahrzehnte gehören systematische Vergewaltigungen fast unausweichlich zum tödlichen Ritual (man denke beispielsweise an Ruanda oder das vormalige Jugoslawien, man denke an die japanische Besetzung von Korea und China, man denke an …). Ist es schon schlimm, dass Frauen gegen ihren Willen missbraucht werden, kommt es in vielen Gesellschaften (kenne Berichte vom Irak und Afghanistan) erschwerend hinzu, dass eine ‚geschändete Frau‘ als ein ‚gesellschaftlicher Makel‘ gilt, der so schlimm ist, dass dann weniger die bestraft werden, die dies verübt haben, sondern die geschändeten Frauen selbst werden ausgestoßen, eingesperrt oder gar von den eigenen Verwandten umgebracht. Auf jeden Fall wird es solange möglich vertuscht und verschwiegen; zur Anklage und dann Verfolgung der Schuldigen kommt es daher eher nicht. Die Geschichte von Frauen in Gefängnissen (in fast allen totalitären Regimes, aber auch während der Besetzung Iraks durch die US-Truppen) ist durchtränkt von sexueller Gewalt (zumindest, wenn man den bekannten Zeugenaussagen (darunter beteiligte Beamte) glauben darf). In Ländern mit starken lokalen Sitten und Gebräuchen, in denen — wie in Afghanistan — Frauen weitgehend aus dem öffentlichen Leben verbannt sind, sollen — laut verschiedenen Untersuchungen — bis zu 95% aller Frauen zu Hause regelmäßig Gewalt erleiden; Frauen sind dort Eigentum des Mannes und können wie Ware verkauft werden. Weibliche Ärzte aus Afghanistan berichten von furchtbaren Verletzungen, die ‚Kinder-Bräuten‘ in der Hochzeitsnacht zugefügt werden (und dann nicht selten sterben). Frauen, die versuchen, zu fliehen, oder die direkt von Männern entführt werden, haben keine Chance. Die ‚Ehre‘ würde verlangen, dass die Familie sie wegen der Schande umbringt (aber nicht die, die ihnen die Schande zugefügt haben….).
7) Eine andere Perspektive sind die Armutsflüchtigen der vergangenen Jahrhunderte, positiv ‚Auswanderer‘ genannt, jene z.B. die von Europa aus die USA und Südamerika mit aufgebaut haben. Nicht zufällig sind es überwiegend Männer, da es für Frauen ungleich schwieriger war, ähnliche Wege zu gehen. Eine Ausstellung im Auswandererhaus in Bremerhaven belegt eindrucksvoll am Beispiel von jüdischen Frauen aus Osteuropa, wie diese — ganz ähnlich wie heute — mit der Hoffnung auf ein besseres Leben in vielerlei Abhängigkeiten gerieten, die ihnen wenig gesellschaftlichen Spielraum ließen (siehe Stratenwerth (2012)).
8) Die oben genannten Sachverhalte sind nur Splitter aus der Menge der Fakten, die hier zu nennen wären (Und die Tatsache, dass wir heute aufgrund der modernen Wissenschaft erkennen können, dass es genetisch betrachtet Variationen des Mann-Frau-Musters gibt, die sich nur schwer oder gar nicht diesen beiden Mustern zuordnen lassen, macht die Diskussion nicht einfacher, sondern verstärkt nur die Herausforderung nach der Bestimmung des Bildes, was Menschsein auf dieser Erde eigentlich heißt).
9) Was sich in historischer Tiefe und geographischer Breite andeutet, das ist jedenfalls ein tief verwurzeltes Muster dahingehend, dass man bis in die neueste Zeit versucht hat, das Phänomen der Sexualität ‚abzukapseln‘, und dies zumeist zu Lasten der einen Hälfte der Menschheit, nämlich der Frauen. Deren Leid war — und ist es heute in vielen Ländern immer noch — beispiellos.
10) Wie immer man diese Zurücksetzungen und Diskriminierungen begründet (die sogenannten religiösen Normen sind vielleicht die schlimmsten, weil sie vielfach für eine in sich schlechte Sache sogar den Namen Gottes missbrauchen), dieses Zurückdrängen als solches leistet nichts zum Verständnis unseres Menschseins. Damit leisten sie auch nichts für eine Weiterentwicklung des Humanums. Sie stabilisieren ein Nichtwissen, das alltäglich millionenfach Unrecht und Leid für konkrete Menschen bedeutet.
11) Die Frage ist, wie wir mit unserem Bild vom Leben auf der Erde ‚weiterkommen‘ können? Die Aufhebung aller Tabus im Umgang mit Sexualität ist sicher ein wichtiges Moment, um erkennen zu können. Wir wissen aber auch, dass der Sexualtrieb nur ein Moment im Profil der menschlichen Psyche ist, dass diese Psyche komplex und fragil ist, dass hier Momente wie Anerkennung, Vertrauen, Freundlichkeit — und vieles mehr — wirksam sind und ineinandergreifen. Damit Kinder zu glücklichen und psychisch gesunden Erwachsenen werden können müssen viele positive Dinge geschehen. Dass heute in einer ‚freien‘ Gesellschaft Missbrauch von Kindern und sexuelle Gewalt weiterhin ein (eher noch verdrängtes) Thema sind, sollte uns aufmerksam machen, dass die Enttabuisierung alleine nicht automatisch ein menschenwürdigeres Leben garantiert. Die Wucht des Triebes auf Seiten des Mannes bleibt ein Moment, das kulturell, sozial, psychisch (vielleicht auch physiologisch, genetisch) so gestaltet sein will, dass es in den immer enger werdenden sozialen Vernetzungen nicht zu jenem Störfaktor wird, der sowohl die anderen wie sich selbst mehr schädigt als hilft. Da niemand heute mit Sicherheit sagen kann, wo und wie es ‚lang gehen soll‘ sitzen wir alle im gleichen Boot auf der Suche nach ‚mehr Menschlichkeit‘. Jenen mit den schnellen Patentantworten sollte man grundsätzlich misstrauen, und umso mehr, je höher ihre Honorare (oder je unglaublicher ihre Versprechen) sind…

GEWALTTÄTIG – CHEMISCH PROGRAMMIERT; EIN SCHWERES ERBE

Nachträgliche Anmerkung vom 27.Nov.2013: Am 25.Nov.2013 brachte das ZDF in seiner Heute-Sendung (siehe: Vergewaltigungen in Kenia (im Rahmen des Oberthemas ‚Gewalt gegen Frauen‘) einen Bericht von Kenia, wonach jede dritte Frau  in ihrem Leben mindestens einmal vergewaltigt worden ist. Ein Filmbeitrag von einer Schülerin, die von ihren Klassenkameraden ‚einfach so, aus Spass‘ vergewaltigt worden war, zeigte, dass es bei den Schülern keinerlei Unrechtsbewusstsein gab. Die Schulleitung nahm die Schülerin nicht ernst. Diese konnten ungeschoren bei anderen mit ihrer Tat öffentlich prahlen. Offensichtlich scheint es in diesr Gesellschaft bei den männlichen Mitgliedern — und zwar auch schon bei den jungen Männern, bei Schülern — ein Rollenmodell ‚im Kopf‘ zu geben, das all denen, die dies in ihrem Kopf haben (sie sind damit ‚programmiert‘), ’sagt‘, einer Frau kannst Du Gewalt antun, deinen Trieb gegen ihren Willen ausleben, das ist für Männer ’normal‘. Man kann dies ‚Brauchtum‘ nennen, ‚Kultur‘, und vergisst dabei dann zu fragen, wie denn solch ein Modell entstehen konnte.Es gibt mittlerweile Länder auf dieser Erde, wo das Modell zumindest abgeschwächt wurde. Die Grundsatzfrage lautet aber, warum solche Modelle, speziell in den Köpfen von Männern, weltweit entstehen können? Die Antwort ist letztlich einfach: Männer stehen aufgrund ihrer genetischen Programmierung chemisch permanent unter einem Dauerdruck; biochemisch sind sie in einer Weise ‚programmiert‘, die es für sie schwer bis unerträglich erscheinen lässt, gewisse Dinge nicht zu tun (die anschliessen biochemisch verankerte ‚Belohnung‘ fällt dabei kaum ins Gewicht; der entscheidende Faktor ist der biochemisch induzierte Handlungsdruck davor). Solange Männer in einer Gesellschaft die Oberhand haben, ist es für die Männer einfacher, ein Rollenmodell zu vereinbaren, dass ihnen in der Öffentlichkeit erlaubt, ihren biochemisch ‚Druck‘ handlungsmäßig auszuleben als diesen ‚Druck‘ zu unterdrücken und in weniger offensichtlicher gewalttätiger Form auszuleben. Von sich aus haben Männer wenig Motivation, ein solches Rollenmuster zu ändern. Das genetisch bedingte biochemische Programm in ihnen ist zu mächtig, als dass man dagegen einfach mal so angeht. Dass Religion auf dieses biochemische Programm nahezu keinen Einfluss hat, zeigt die Tatsache, dass laut einer Volkszählung von 2009 in Kenia 82,6% der Bevölkerung angibt, ‚Christen‘ zu sein (siehe: Kenia, dort Religion). Eine Kernbotschaft in den Evangelien ist die einer grundsätzlichen Achtung vor allen Menschen, speziell auchvor Frauen (was eine katholische Kirche bis heute noch nicht vollständig geschafft hat). Selbst wenn Männer irgendwann erkennen würden (was die allermeisten mangels Wissen nicht erkennen können), dass sie in bestimmten Bereichen ihres eigenen Verhaltens massiv biochemisch gesteuert sind, selbst dann würde dies zunächst nahezu nichts ändern, da das genetisch bedingte Programm an der Wurzel des Verhaltens liegt. Es ist so angelegt, dass es das Verhalten ‚von innen heraus‘ beeinflusst, und zwar möglichst so, dass es alle anderen Faktoren weitgehend ’neutralisiert‘. Es sitzt so tief in der Biochemie des männlichen Körpers, dass die entwicklung einer ‚Pille für den Mann‘ (wie mir Mediziner erklärten), fast auswegslos erscheint gegenüber einer Pille für die Frau (dies ist ein Punkt, den würde ich gerne besser verstehen, ob dies wirklich so ist). Die Biochemie der Frauen lässt sich offenbar leichter ‚manipulieren‘. Solange wir nicht anfangen, über diese genetisch bedingte Programmierung des Mannes zu sprechen, reden wir — so erscheint es mir — am Problem vorbei. Das weltweite Leid von Frauen als Opfer von sexueller Gewalt ist weder zufällig noch gottgewollt; es ist das Ergebnis einer evolutionären Entwicklung der männlichen Genetik, die in früheren Zeten für den Erhalt der Population homo sapiens sapiens vielleicht wichtig war; in der heutigen Situsation einer drohenden Überbevölkerung (über 7 Mrd Menschen) mit einer extremen Wohndichte in den großen Metropolen erscheint dieses genetische Programm eher ‚unangepasst‘; es schreit nach genetischer Veränderung. Die Schwierigkeit, diesen Sachverhalt überhaupt zu thematisieren, ist ein Indiz für den ‚Erfolg‘ dieses Programms: es hat alle Männer dieser Erde fest im Griff. Von ’sich aus‘, ‚von alleine‘ wird es nicht verschwinden, sondern jeden Tag, jede Stunde, jede Minute findet es statt. Roboter, die eine soche deutliche Fehlanpassung aufweisen würden, würde man sofort aus dem Programm nehmen und umprogrammieren. Die Kunst der genetischen Umprogrammierung sind wir gerade erst dabei, zu lernen. Wo aber bleibt die gesamtgesellschaftliche Diskussion über das, ‚was wir sind‘ bzw. ’sein sollten‘?

QUELLEN

Irene Stratenwerth, „Der gelbe Schein. Mädchenhandel 1860 – 1930“, herausgegeben von Simone Blaschka-Eick, Herman Simon, Bremerhaven: Deutsches Auswandererhaus Edition DAH, 2012

Eine Fortsetzung (unter Bezugnahme auf das Buch von Stratenwerth) findet sich HIER.

Einen Überblick zu allen bisherigen Blogeinträgen nach Titeln findet sich HIER.

WERKSTATTGESPRÄCH AM Sa, 14.Dezember 2013, ab 19:00h

Wenn man bedenkt, dass es eigentlich um ‚Nichts‘ geht, wird hier viel Wind gemacht um etwas, was wir letztlich selber sind. Aber das ist genau der Punkt: wir selber — als einzelne — sind die ‚blinden Flecken‘ im Gesamtgeschehen. Wir erleben die Welt als ‚Betrachter‘, als ‚Opfer‘, irgendwo vielleicht auch als ‚Mitgestalter‘, aber was wissen wir tatsächlich über uns als ‚Dabeiseiende‘? Tatsächlich könnten wir Menschen mittlerweile die Geschichte ‚anhalten‘, sie in einem wichtigen Teilbereich zu einem ‚Stillstand‘ bringen. Aber wer sind wir überhaupt?

EINLADUNG MAL ALS COMIC…

Ankündigung Sa, 14.Dez.2013
Ankündigung Sa, 14.Dez.2013 (Version 2.0; Datum war falsch, Andere Schriftform)

ODER ALS SONG …
Announcement for Dec-14, 2013, 19:00h, Down in the Confetti 2.0.(RUM100%). ‚RUM‘ steht für Radically Unplugged Music‘, d.h. diese Musik entsteht ohne Plan, ohne Üben, ohne Noten, ohne Korrekturen. Im Begleitkomentar zu dem Song heisst es: „Started first with some drums, continued with the piano, added an eBass, then I generated the voice of the announcement from the comic, added two guitars, finally a flute, and removed then again the drums, because the sound was to dirty. That’s it. OK, my English is has many flaws, the overall sound is’nt really what I wanted, but time was over. I finished everything.“ Korrektur: Im englischen Texte wird das Datum falsch angegeben: ‚Thursday‘ anstatt ‚Saturday‘.

TERMIN und ORT

Am Samstag, den 14.Dezember 2013 findet um 19:00h das nächste öffentliche Werkstattgespräch zum Blog statt. Adresse: Bistro Confetti 2.0, Frankfurterstrasse 16, 61137 Schöneck. Unkostenbeitrag 5€ (für den Raum). Parken im Umfeld.

IDEE

Die Suche nach dem neuen Weltbild geht weiter: Texte, Gespräche, experimentelle Musik. Jede(r) ist ein Experte. Die Wahrheit liegt im Ganzen.

RÜCKBLICK

Ein Bericht vom letzten Treffen findet sich HIER.

PS: Es gibt erste Gespräche über ein Werkstattgespräch in Berlin im März….

Einen Überblick über alle Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

WERKSTATTGESPRAECHE 9.November 2013 – Rückblick

Sehr kurzfristig, nämlich erst am 3.November 2013, ist das erste Werkstattgespräch zum Blog angekündigt worden.

Trotz dieser kurzen Zeit (und wenig Werbung) kam eine interessante Gruppe am Abend des 9.Nov.2013 zusammen. Nachdem die Eingangsmusik verebbt war (u.a. war zu hören Piano in a wild Context) kamen wir nach einer kurzen Begrüßung gleich zur Sache. Die Besucher bildeten spontanen Gesprächsgruppen mit ihren Nachbarn und tauschten sich über die Erwartungen aus, die jeder an diesem Abend hatte (eine Teilnehmerin war durch Zufall in die Veranstaltung geraten und wunderte sich natürlich, was jetzt alles geschah…). Jede Gruppe erzählte dann von ihren Fragen und Ideen. Dies wurde live auf einem großen Bildschirm mit notiert (siehe Bild).

Ergebnisse des Brainstormings zu Beginn des Abends
Ergebnisse des Brainstormings zu Beginn des Abends

Es kamen schon in dieser Eingangsphase viele interessante Aspekte zutage.
(Achtung: habe in einem Experiment im Anschluss damit begonnen, die folgenden Gedanken im nachhinein auch nochmals im Format einer ‚Bildergeschichte‘ (‚comic‘) aufzuschreiben. Siehe dazu HIER.).

1) Es begann mit der Überlegung, dass unser Bild von der Welt eventuell mit einem Puzzle zu vergleichen ist, das aus vielen Einzelteilen besteht. Je nachdem, wie man diese anordnet, ergibt sich eine ganz anderes Gesamtbild.
2) Dies wurde sofort ergänzt um die Erfahrung, dass sich unser individuelles Bild generiert durch eine Vielzahl von Interaktionen mit unserer Umgebung (Eltern, Freunde, Lehrer, Bücher,….), die in ihrer Gesamtheit als Sozialisation unsere Einzelbilder von der Welt entscheidend prägen.
3) Es gab auch den Hinweis, dass die Verbindung zwischen Weltbild und umgebender Welt über die Wahrnehmung läuft, die wie ein Filter gewisse Dinge durchlässt, andere ausblendet.
4) Außerdem gibt es den Faktor Motivation (Emotionen): der beeinflusst unser Verhalten sehr stark: Wollen wir überhaupt etwas tun? Was wollen wir tun? Was mögen wir nicht? usw.
5) Schließlich war auch klar, dass sich unsere Gesamtsituation während unserer ‚Lebenszeit‘ für gewöhnlich deutlich ändert: als Kinder erleben wir Welt völlig anders denn als Erwachsener oder als Senioren in der Pensionierung.
6) Es kam auch die Frage auf, wie ‚objektiv‘ unser jeweiliges individuelles Bild von der Welt ist? Ist es nicht rein ’subjektiv‘?
7) Daneben gibt es aber das Faktum, dass Menschen gewisse Anschauungen ‚teilen‘, d.h. sie haben gleiche ‚Werteinstellungen‘, gleiche ‚Meinungen‘. Das ist dann etwas ‚Gemeinsames‘ ‚zwischen‘ Menschen, also nicht nur rein subjektiv.
8) Zum Weltbild gab es noch die Frage, wozu wir es brauchen? Wofür ist es wichtig? Dazu fiel anderen sofort der Aspekt ein, dass es Interessengruppen geben kann, die versuchen, die Weltbilder einzelner zu manipulieren.
9) Abschließend gab es die Frage, welche Rolle in diesem Kontext das naturwissenschaftliche Wissen spielt, das auf reproduzierbarem Messen aufbaut. Gibt es hier ein ‚objektives Bild von der Welt?

Ähnlich, wie in Baden-Baden, habe ich dann ein paar Fakten eingebracht, die zunächst einmal zeigten, dass die Frage, wer wir Menschen denn tatsächlich sind, angesichts der Fülle neuer Erkenntnisse, immer schwieriger zu beantworten ist.

10) Wir haben einen Körper mit hochkomplexen Organen, einem hochkomplexen Nervensystemen, einem kompliziertem Knochensystem, alles dies zusammen wächst und altert.
11) Allein das Gehirn mit seinen ca. 100 Mrd Zellen, die weitgehend unverbunden sind, gibt mehr Fragen als Antworten auf; während wir als Menschen uns schon mit wenigen anderen schwer tun können, uns zu koordinieren, schaffen die 100 Mrd. Zellen es, in einer Weise zusammen zu arbeiten, die Sehen ermöglicht, Hören, Erinnern, Organsteuerung und vieles mehr. Trotz beeindruckender Erkenntnisse im Detail sind wir von einem Gesamtverständnis heute noch weit entfernt.
12) Dazu kommt, dass das Gehirn ‚im‘ Körper lokalisiert ist, direkt keinen Kontakt zur Außenwelt hat, aber dennoch Bilder von der Welt produziert, die in vielen Fällen so gut mit der realen Welt ‚harmonieren‘, dass es für gewöhnlich gar nicht auffällt, dass die Bilder in unserem Kopf nicht die Welt repräsentieren, wie sie ‚real‘ ist, sondern so, wie sich unser Gehirn die Welt ‚denkt‘.
13) Entsprechend schwierige Fragen werden durch die Erfahrung des ‚Bewusstseins‘ aufgeworfen. Da diese Erfahrungen ’subjektiv‘ sind, kann man über sie immer nur ‚indirekt‘ reden, durch Anspielungen, Beispiele, Appelle an die eigenen Erfahrungen. Der Neuropsychologie gelingen zwar immer mehr interessante Korrelationsstudien zwischen ‚berichteten Bewusstseinserfahrungen‘ und messbarem Verhalten bzw. messbaren Gehirnaktivitäten, aber dies beantwortet nicht alle Fragen vollständig , keinesfalls ‚präzise‘. Immerhin steht die diffuse Hypothese im Raum, dass alle bekannten Bewusstseinsphänomene an messbare Vorgänge im messbaren Gehirn gekoppelt scheinen. Veränderungen des Gehirns durch Drogen, Krankheiten, Unfälle führen in der Regel direkt zu entsprechenden Minderungen, Veränderungen oder Ausfällen bestimmter bewusster Erfahrungsbereiche.
14) Die ganze Sache wird noch ‚unheimlicher‘, wenn man sich klar macht, dass es ja niemals ein einzelnes Individuum geben kann, sondern immer nur Populationen von Individuen. Diese Populationen wiederum sind kontinuierlich Veränderungsprozessen unterworfen (Phylogenese). Soweit wir heute wissen, gab es die ersten biologischen Zellen ca. 3.8 Mrd. vor unserer Zeit. Für menschliche Lebenszeit-Maßstäbe unglaublich lang. In dieser Zeit haben die biologischen Zellen ‚gelernt‘, sich in größeren Verbänden zu ‚integrieren‘, dabei zu ’spezialisieren‘, und vor allem dabei zu ‚kommunizieren‘ und sich zu ‚koordinieren‘. Bis heute (also nach 3.8 Mrd. Jahren) finden wir überall auf der Erde im Prinzip die gleichen Zellen (in den Mikroorganismen, in den Pflanzen, in den Tieren, im menschlichen Körper), Zellen die in der Lage sind, immer komplexere Strukturen zu bilden bis hin zum menschlichen Körper mit seinen Knochen, Organen und dem Gehirn (Wem das keinen ‚Schauer‘ über den Rücken treibt, der hat noch nicht einmal angefangen, nach zudenken….).
15) In vergangenen Blogeinträgen hatte ich selbst schon mal versucht, zu schauen, ob es in der ganzen Zeit des uns bekannten Universums irgendwelche Parameter gibt, die Hinweise auf eine ‚Veränderung‘ liefern. Benutzt man einen bestimmten Komplexitätsbegriff gebunden an Strukturen, dann scheint man eine Entwicklung identifizieren zu können, die mit exponentieller Beschleunigung läuft. Dies würde bedeuten, dass wir genau an jenem Punkt der Beschleunigung existieren, der uns mit unvorstellbarer Geschwindigkeit (verglichen mit den vorausgehenden Veränderungsgeschwindigkeiten) in einen neuen Veränderungsraum hinein katapultiert. Dass dies von allen Beteiligten als ’stressvoll‘ erlebt werden kann, erscheint unausweichlich (wie stressig hat wohl eine Gruppe Neandertaler ihre Situation erlebt?).

Es gab dann eine längere Pause im Confetti 2.0. Dann trafen wir nochmals zu einer Schlussrunde zusammen. Es war eine offene Diskussion zu einzelnen Punkten.

16) Eine oft gestellte Frage war natürlich die nach einer ‚Gesamtdeutung‘: gibt es dahinter den ganz großen Sinn wie er früher von den alten Religionen verkündet wurde (‚Gott‘, ‚Schöpfer’…)? Oder, der schroffe Gegensatz, ist das alles nicht nur rein zufällig, planlos; die Überlebenden der Evolution sind die eigentlichen Verlierer?
17) Dazu kam eine Diskussion über die Rolle, den Wert, die Bedeutung der empirischen Erkenntnisse. Die radikale Beschränkung der empirischen Theorien auf Fakten, die sich empirisch messen lassen, wirkt auf viele so restriktiv, dass ihnen die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse als Ganze suspekt erscheinen; sind wir als Menschen nicht erlebbar mehr als diese trocken Fakten der empirischen Wissenschaften?
18) Wenn wir ehrlich mit unserer Denkgeschichte umgehen, dann müssen wir festhalten, dass es einzig diese methodische Beschränkung auf die messbaren Fakten war, die Menschen in die Lage versetzt hat, gemeinsam über Ethnien und Religionen hinaus Erkenntnisse über die Welt und das Leben zu gewinnen, die uns nicht nur die Struktur des Biologischen weit, weit aufgeschlossen haben, sondern auch die Struktur der Materie und damit des ganzen Universums. Dazu kommt die Technologie, die auf der Basis dieser Erkenntnisse möglich geworden ist, und ohne die die Menschheit heute gar nicht existieren könnte.
19) Dies sollte man unvoreingenommen zur Kenntnis nehmen, und man sollte auch ehrlich sehen, dass die klassische Philosophie und die traditionellen Religionen mit ihren Deutungsansprüchen in den letzten 100 Jahren weitgehend versagt haben. Dass sie heute immer noch ohne Schamröte im Gesicht öffentlich auftreten können, sagt viel über die Art und Weise, wie menschliche Gesellschaften neue Erkenntnisse ‚gesellschaftlich verdauen‘. 100, 200 Jahre Rezeptionsgeschichte und Diskussionen scheinen ’normal‘ zu sein (bis die Erkenntnisse von Kopernikus, Galilei und Co. allgemein anerkannt und weltweit benutzt wurden, hat es z.B. mehr als 100 Jahre gedauert).
20) Auf der anderen Seite muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass die empirischen Wissenschaften ihre eigene Metawissenschaft bislang eher vernachlässigen und die Auswirkungen der modernen Technologie geeignet sind, die Grundlagen unseres Lebens nachhaltig zu zerstören.
21) Zurück zur Frage nach dem ‚Gesamtsinn‘. Auch wenn man aktuell keinen ‚letzten absoluten Gesamtsinn‘ beschreiben kann, so ist die Variante des ‚reinen Zufalls‘ vollständiger Unsinn. Dies zu behandeln, wäre eine neue Sitzung wert.
22) Es gab ach noch einen Hinweis auf die Tatsache, dass wir als Menschen mit unserem Körper ja hineinreichen in die Welt der Moleküle, diese wiederum in die Welt der Atome, diese wiederum in den Bereich des quantenphysikalischen Raumes. In diesem Raum gelten alle Makrogesetze nicht mehr, sondern eben quantenphysikalische Gesetze. D.h. ob wir wollen oder nicht, in jedem Augenblick sind wir Teil der quantenphysikalischen Welt und die Wechselwirkungen zwischen den Quanten gelten auch für uns. Was dies für die sogenannten ’spirituellen Erfahrungen‘ bedeutet, ist sicher noch nicht völlig geklärt (wenngleich auch hierzu schon viele Leute — wen wundert dies — viel spekuliert haben).

Das allgemeine Feedback nach ca. 4 Std war sehr positiv. Wer will, kann am Sa 14.Dez.2013 zum nächsten Werkstattgespräch kommen (Einen Bericht dazu findet sich HIER.

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GANZHEITLICHE ZAHNHEILKUNDE- KONGRESS BADEN-BADEN – Festvortrag Fr 5.Nov.2013 – ‚Transhumanismus als Schicksal?‘ -Fürs Protokoll

Damit es nicht in Vergessenheit gerät, hier noch eine kurze Erwähnung des Festvortrags in Baden-Baden bei der Internationalen Gesellschaft für Ganzheitliche ZahnMedizin e.V., kurz GZM.

Die Einladung kam dieses Mal sehr kurzfristig, ich hatte keine Zeit, irgendetwas vorzubereiten, aber es wurde ein intensiv-spannender Abend, mit so vielen positiven Rückmeldungen, wie selten.

Als Thema des Abends hatte ich gewählt ‚Transhumanismus als Schicksal?‘, weil mich die Frage selbst interessierte. Im Vortrag habe ich dann versucht, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Ich habe dazu verschiedene Gedanken aus meinem Blog benutzt. Im Kern habe ich darauf abgehoben, dass die Transhumanismus-Hypothese ein bestimmtes Konzept des Humanums voraussetzt, und ich habe dann anhand neuer Erkenntnisse zum Humanum verdeutlicht, dass es weniger denn je klar ist, was denn überhaupt das Humanum ist. Vom Transhumanismus zu reden ohne ein klares Konzept des Humanums wird dann etwas schwierig. Damit gab es an diesem Abend zwar keine klare Antwort auf die Frage nach dem Transhumanismus, aber eine — hoffentlich konstruktive — Verunsicherung in der — oft falschen — Selbstgewissheit, dass wir als Repräsentanten des Humanums tatsächlich wissen, wer wir sind. Vieles läuft darauf hinaus, dass wir es tatsächlich noch gar nicht wissen. Möglicherweise ist es sogar so, dass wir zum ersten Mal in der Geschichte des Lebens auf der Erde ‚präziser wissen‘ (können), dass wir möglicherweise das Entscheidende noch gar nicht wissen. Wir stehen an einem möglichen neuen Anfang.

Als Unbekannte sind wir aufeinander getroffen, als Freunde haben wir uns verabschiedet.

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KURZBESPRECHUNG: TECHNOLOGIEAKZEPTANZ. Zukunftsforum-FAZ-Institut-7Nov2013-Frankfurt

Im Rahmen der Überlegungen dieses Blogs zum neuen Weltbild wurde vor einiger Zeit der Punkt erreicht, bei dem die theoretischen Überlegungen anhand der konkreten Entwicklung der verschiedenen Evolutionsmuster die heutigen Strukturen erreicht haben. In diesem Zusammenhang gewann das Thema ‚Demokratisches Gesellschaftsmodell‘ an Bedeutung (am Beispiel der USA leicht dramatisiert), genauso ist aber auch das Thema ‚Wirtschaft der Zukunft‘ von Interesse. In diesem Zusammenhang bin ich auf die diversen Veranstaltungen im Kontext des FAZ-Institutes gestoßen. Hier ein Kurzbericht mit Überlegungen zum gestrigen Zukunftsforum ‚Technologieakzeptanz‘ (Veranstaltung Technologieakzeptanz, Das Programm).

1) Im Vorfeld kann man sich viele Gedanken machen, was man sich unter ‚Technologieakzeptanz‘ vorstellen soll. Von den drei Punkten der Tagesordnung empfand ich den dritten Redner, Roland Krüger, Leiter des Vertriebs der BMW Gruppe, als relativ blass. Er sprach zwar über ein reales Projekt, den BMW 3i, sicher eines der heißesten Innovationsprojekte der deutschen Automobilindustrie seit langem, aber er beschränkte sich auf das Referieren einiger Technikaspekte; erst auf Nachfrage lies er aufblitzen, wie umfangreich und innovativ sich die Suche nach dem potentiellen Kunden, der potentiellen Lebenssituation eines potentiellen Autos gestaltet hatte. Das wäre ein interessanter Vortrag zum Thema der Veranstaltung gewesen. So aber blieb man als Zuhörer etwas unbefriedigend zurück.
2) Beim ersten Redner, Prof.Dr. Hans Utikal, Vizepräsident der privaten Provadis Hochschule im Industriepark Höchst, kam das Thema eher klassisch, pragmatisch daher. Unternehmen sollen ‚Informieren‘, ‚Begeistern‘, um sich dann mit ihrem Umfeld in gemeinsamen Engagements zu gesellschaftlichen Herausforderungen vereinen. Der Industriepark Höchst lieferte zum Thema einige Beispiele.
3) Hier können sich viele Fragen anschließen. Zu denken geben sollte, dass das Akzeptanzproblem der Industrie nicht auf diese beschränkt ist. Man könnte genauso gut auch von einem Akzeptanzproblem von Forschung im Allgemeinen sprechen, von einem Akzeptanzproblem des Gesundheitssystems, von einem Akzeptanzproblem der Logistik, und vielem mehr. Dies wiederum wirft die Frage auf, ob es nicht die allseitig zunehmende ‚Komplexität‘ unserer gesellschaftlichen Institutionen und Abläufe ist, bei gleichzeitiger zunehmender Belastung der einzelnen, die ein Verarbeitungs- und Verstehensprobleme erzeugt, die von allen Beteiligten neue Kommunikations- und Interaktionsformen verlangt. Eine Diskussion zu diesen Punkten fand aber nicht statt.
4) Sehr anregend habe ich das Panel erlebt, das von Prof.Dr. Thomas Heimer von der Hochschule Rhein-Main moderiert wurde. Mit klaren Fragen und guten Überleitungen verstand er es, die Experten des Panels in Szene zu setzen und dem Thema eine gewisse Leuchtkraft (und Kurzweiligkeit) zu verleihen. Einige Punkte, die ich bei diesem Panel im Hinblick auf das Thema des Blogs besonders interessant fand seien hier kurz angsprochen.
5) Bei allen Teilnehmern gab es einen gewissen Tenor dahingehend, dass die Deutsche Wirtschaft im internationalen Vergleich ihre Stärken in den klassischen Industrien hat, in der Perfektion im Detail und der Vernetzung komplexer Projekte. In neuen Industrien ist sie eher weniger vertreten. Ihr größter Schwachpunkt liegt im Umgang und in der Einbeziehung des Faktors Mensch, sei es als Kunde oder sei es als Mitarbeiter.
6) Während Dr.Rainer Waldschmidt, Geschäftsführer der Hessen Trade & Invest GmbH, nicht müde wurde, die Stärken und Vorzüge des Standorts Hessen zu betonen — wo man sich fragt, warum Hessen nicht noch besser werden kann? — war es vor allem Reinhard Vanhöfen, der Geschäftsführer der Vancor Group, zusammen mit Prof.Dr. Michael Stephan von der Philipps-Universität Marburg, die immer wieder auf den Schwachpunkt ‚Nutzung des Faktors Mensch‘ hinwiesen. Während das ‚deutsche System‘ der Perfektion gepaart mit ‚Tradition‘ sehr stark ist in einer evolutionären Entwicklung bekannter Technologien, ist diese Haltung sehr schwach mit Blick auf jene Strukturbrüche, die den Gang der Wirtschaft und Gesellschaft ganz umschreiben können. Zwar nützen innovative Ideen ohne umfangreiches KnowHow und Perfektion zunächst auch nichts, aber eine Perfektion, die die Kunst beherrschen würde, sich dennoch gleichzeitig auch stückweise ’neu zu erfinden‘, die würde in einer solchen Konstellation eine ziemliche Sprengkraft entwickeln können.
7) Hier gäbe es sehr viele interessante Ideen. Leider gab es überhaupt keinen Austausch mit dem Publikum zu diesen interessanten Themen. Fast ist man geneigt zu sagen. ‚typisch Deutsch‘: nur keine offenen Szenarien zur Beförderung eines Ideenflusses. Es könnten ja Ideen auftauchen, die ’neu‘ sind und die gewohnte ‚Präzision‘ stören bzw. erstarrte Rollenmuster in Frage stellen.
8) Die Themen des Panels boten Ansatzpunkte zu ‚mehr‘. Die Veranstaltungsform als solche wirkt sehr bieder, ist wenig innovativ, erscheint eher altmodisch (ein etwas innovativerer Ansatz scheint scheint am 13.Dezember 2013 ‚Silos aufbrechen‘ geplant zu sein. Es kann nur besser werden … :-))
9) Stellt man diese Veranstaltung in den Kontext des Blogs, dann fällt auf, dass der historische Kontext unserer gesellschaftlichen Entwicklung nirgends zur Sprache kam. Nimmt man nur diese Veranstaltung, dann konnte man den Eindruck gewinnen, die Welt existiert erst seit ein paar Jahrzehnten und ob es in den nächsten Jahren weitergeht, ist völlig unbekannt. Das es auch andere Länder, Regionen auf dieser Erde gibt, die sich rasant entwickeln, blitzte in gelegentlichen Bemerkungen kurz auf, wurde aber nirgends so thematisiert, dass klar wurde, ob und wie diese Entwicklungen unsere Situation in Hessen tangieren.
10) Natürlich bot das Thema ‚Technologieakzeptanz‘ dazu nicht notwendigerweise starke Anreize, aber über das Wort ‚Akzeptanz‘ gab es ja immerhin eine Brücke zum Nutzer, zum Kunden, zum humanen Umfeld, zum eigenen Mitarbeiter, und in einigen Bereichen der Technologie gibt es seit einigen Jahrzehnten die Entdeckung der ‚Benutzerfreundlichkeit‘, des ‚human factors‘, auch als Mensch-Maschine-Interaktions Paradigma, in dem immer mehr Methoden entwickelt wurden und werden, wie man bei der Entwicklung von Technologien den Menschen in seiner Lebenssituation mehr und mehr einbezieht. Diese Perspektive war an diesem Tag nur dort vertreten, wo der BMW-Vertriebsleiter auf Anfrage kurz aufblitzen lies, welche Anstrengungen BMW weltweit unternommen hatte, den ‚Kunden der Zukunft‘ zu identifizieren, ‚für den‘ (!) dann der nue BMW i3 konzipiert wurde (und, auf andere Weise, bei den Herren Vanhöfen und Stephan).
11) Ferner wurde das Wort von der ’steigenden Komplexität‘ wenigstens einmal bei der Veranstaltung genannt als Hinweis für einen möglichen Grund für die mangelnde Technologieakzeptanz. Dieser Hinweis wurde aber nicht aufgegriffen. Wenn es denn so wäre, dass es die allseitig steigende Komplexität unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit ist, die unser wechselseitiges Verstehen erschwert und damit unser Handeln beeinträchtigt, dann wäre es natürlich wichtig, sich dieser Komplexität zu stellen und zu analysieren, was können wir in dieser wachsenden Komplexität (bei konstanten biologischen Kapazitäts-Grenzen) tun, um möglicherweise nicht den ganzen Prozess über kurz oder lang ‚zu kippen‘ (vor diesem Hintergrund besitzen die pragmatischen Überlegungen von Herrn Utikal auf den ersten Blick einen gewissen Charme; können aber auch gefährlich werden, wenn sie den Gesamtprozess falsch einschätzen).
12) Die Überlegungen von Herrn Vanhöfer würden in diesem potentiellen Szenario eines Komplexitätsanstiegs besonders interessant sein, da er sowohl den konkreten Menschen als Akteur in den Blick nahm als auch mögliche strukturelle Kontexte, die es diesem Akteur erlauben würden, sein Potential anders (und besser?) als bisher in der Komplexität zur Wirkung zu bringen. Dass gerade große Firmen mehr an ihren eigenen Strukturen leiden können als an der Konkurrenz ist eine alte Erkenntnis. Das es alternative Strukturen gibt, die effizienter sind, ist auch nicht neu. Was aber offensichtlich immer noch fehlt, das ist die Fähigkeit der zentralen Führungsfiguren, diese Potentiale in ihrer jeweiligen Umgebung frei zu setzen. Dies beginnt schon in der Ausbildung. In der deutschen Ingenieurausbildung kommt der Faktor Mensch und das Arbeiten in interdisziplinären-innovativen Teams noch kaum vor. Was auch daran liegt, dass die Professoren, die über die Programme von Studiengängen entscheiden, in de Regel ‚old school‘ sind. Wie in vielen anderen Bereich rekrutieren sich bestimmte Denk- und Verhaltensmuster genau diejenigen wieder, die ihnen am ‚Ähnlichsten‘ sind. Hier scheitert Innovation an den konkreten Einstellungen der Entscheider. Wann ändert ein Entscheider seine Einstellung (vor allem auch unter Berücksichtigung seiner sozialen Stellung, seiner Einkünfte, seiner diversen Privilegien, die ihm konkrete Vorteile bieten, die er/sie bei Zulassung von Änderungen möglicherweise gefährdet sieht)? Diese Frage kann sich jeder stellen. Das Individuum gilt zwar als ‚tot‘, aber im Alltag ist es entweder das ‚Sandkorn im Getriebe‘ oder der ‚Schmierstoff, der alles möglich macht‘.

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TOR, TOR, EIGENTOR? – Bemerkung zu einem Verriss-Artikel in der FAS vom 3.Nov.2013 über Ströbele

In der FAS vom 3.Nov.2013 auf S.10 entwickelt Eckart Lohse für den Leser eine Geschichte, die den Einsatz von Christian Ströbele in Moskau in einen Kontext stellt, der nur eine Deutung zulässt: Ströbele denkt immer und überall zunächst an sich; die Sache selbst spielt keine Rolle. Und die Begegnung mit Edward Snowdon in Moskau war genau wieder solch ein Stück Selbstinszenierung.

Nun lernt jeder Journalist, dass Fakten von Natur aus vieldeutig sind und die größte Gefahr für einen Journalisten darin besteht, seine vorgefasste Meinung in die Dinge so hinein zu legen, dass eine Geschichte entsteht, die zwar gut klingt, aber letztlich der Wirklichkeit Gewalt antut. Das nennt man dann schlechten Journalismus.

Selbst wenn man mit Hans-Christian Ströbele nicht viel zu schaffen hat, sich über ihn vielleicht sogar eher ärgert, weil er wieder mal gegen den Trend handelt, kommt man bei dem Artikel von Eckart Lohse ziemlich ins Grübeln, nicht nur, weil die einzelnen Fakten in ihrer Vieldeutigkeit sehr offensichtlich genau auf eine Linie gebürstet scheinen, sondern weil er das Hauptereignis, nämlich den Besuch bei Snowdon in Moskau, in seiner politischen Bedeutung vergleichsweise gar nicht analysiert. Tut er etwa selbst genau das, was er Ströbele vorwirft? Geht es ihm gar nicht um das politische Geschehen sondern eher um etwas sehr Persönliches?

Wer die Diskussionen seit Juli 2013 verfolgt hat, der kann im Laufe der Wochen und Monate zur Erkenntnis gekommen sein, dass das Bekanntwerden der nahezu umfassenden Schnüffelei der US-amerikanischen Dienste nur die Spitze des Eisbergs ist. Das wahre Drama ist das politische System der USA selbst: ein über die Maßen ausuferndes System von Geheimdiensten, das nach Aussagen von US-amerikanischen Politikern und Geheimdienstkontrolleuren weder sachlich noch politisch zu kontrollieren ist; eine Deutungshoheit über ‚Bedrohung‘ seitens des Regierungsapparates (auf Basis der Geheimdienste), die durch allseitiges Abschotten durch Erklärung zur ‚Geheimsache‘ der demokratischen Kontrolle entzogen ist; eine offizielle Absage an jede Form von Recht innerhalb der US-amerikanischen Militärdoktrin (öffentlich nachzulesen und seit 2001 kontinuierlich beobachtbar); ein umfassendes quasi ‚imperiales‘ militärisches System (die ganze Welt ist in US-amerikanische Militärbezirke eingeteilt (die Botschafter haben den zuständigen Generälen zu berichten). Für US-Amerikaner gibt es keine ‚Menschen‘ außerhalb der USA, da die USA für Nicht-US-Amerikaner keinerlei Rechte anerkennen, nicht einmal die Menschenrechte. Und vieles mehr.

In dieser Situation war es lange Zeit geradezu beschämend, wie die Bundeskanzlerin mit ihrem ‚Team‘ die Enthüllungen durch Snowdon lange Zeit versucht hat, ‚weg zu schweigen‘. Erst als sie selbst direkt betroffen war, kam ein kurzer Aufreger, der aber bald wieder verpuffte. Anstatt sich als ‚wahrer Freund‘ der USA zu erweisen und Anlass zu geben, dass die US-amerikanische Politik über ihren politischen Irrweg mal anfangen, nach zu denken, hat Sie sofort wieder auf die (historisch nicht ungefährliche) ‚Befriedungspolitik‘ umgeschaltet, die alles Unschöne sofort zudeckt und jegliche Konfrontation vermeidet.

Natürlich, diese sehr harte Sicht der Dinge, wie sie oben skizziert wird, muss man nicht haben; sie ergibt sich nicht automatisch, nicht quasi von selbst; vor allem ist sie für viele ‚politisch nicht korrekt‘; so etwas sagt man doch nicht… Man muss sie sich durch mühsame Lektüre und Gespräche selbst erarbeiten. Aber wenn diese Sicht stimmen sollte, dann hat Hans-Christian Ströbele etwas sehr Richtiges und Mutiges getan: er hat die abwiegelnde Bundesregierung zumindest soweit unter Zugzwang gesetzt, dass man jetzt zumindest ein Gespräch mit Snowdon in Moskau nicht mehr ganz ausschließen würde. Zuvor wurde Snowdon ja quasi tot geschwiegen, als ob er nicht existiere (man kann sich an die Geschichte mit dem Clown erinnert fühlen, der dem Publikum zurief, es brenne, und alle haben gelacht, da man sich nicht vorstellen konnte, dass ein Clown auch mal etwas Richtiges sagt; und es brannte in dem Fall tatsächlich…). Zwar erweckt die Bundesregierung unter der Kanzlerin Merkel nicht den Eindruck, dass sie ernsthaft an einer Aufklärung als Aufhänger für eine weiterreichende politische Diskussion interessiert ist. ‚Wahre Freunde‘ der USA würden dies tun, weil sie sich ernsthafte Sorgen um die Zukunft der Demokratie in den USA machen. ‚Wahre Freunde‘ ja, aber offensichtlich geht die Sorge um die USA nicht sehr tief, mehr sorgt man sich um eigene Unbequemlichkeiten. Und dann geben die USA ja auch allen zu verstehen, dass es sowieso niemand gibt, der ein echter ‚Freund‘ ist (außer sie selbst). Diesen Status scheint man akzeptieren zu wollen, den Status eines geduldeten ‚Vasallen‘.

Nirgends steht geschrieben, dass man im Verhältnis zwischen Staaten ‚freundschaftlich‘ sein muss. Aber dass man heute den allseitigen Krieg des Ausspähens als ’normal‘ hinstellt, steht auch nirgends geschrieben. Die modernen Demokratien hatten sich entwickelt, weil es Menschen gab, die unter dem Einsatz ihres Lebens für Werte, für Menschenrechte, für eine ‚menschliche Gesellschaft‘ gekämpft haben. Dass das politische Tagesgeschäft (Sonntagsreden ausgenommen) von Werten so gar nichts mehr wissen will, sollte uns schon nachdenklich machen. Wenn keine Werte mehr gelten, dann kann jeder von uns morgen das nächste Opfer sein, und dann kümmert sich niemand mehr, weil ja das ‚politische Stillhalten‘ als neue oberste Norm gilt. Merkel und Co lebe hoch?

Einen Überblick über alle beiträge des Blogs nach Titeln findet sich HIER

Werkstattgespräch am Sa, 9.Nov.2013, 19:00

TERMIN und ORT

Am Samstag, den 9.November 2013 findet um 19:00h ein öffentliches Werkstattgespräch zum Blog statt. Adresse: Bistro Confetti 2.0, Frankfurterstrasse 16, 61137 Schöneck. Parken im Umfeld.

IDEE

Die Suche nach dem neuen Weltbild geht weiter: Texte, Gespräche, experimentelle Musik. Jede(r) ist ein Experte. Die Wahrheit liegt im Ganzen.


Ein Bericht von diesem ersten Werkstattgespräch findet sich HIER.

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

KURZNOTIZ: LEBENSADER DER ZUKUNFT — NSA — DEMOKRATIE

1) Unter den beiden Themen PHILOSOPHIE TRIFFT DAS SNOWDON-SYNDROM sowie REVIEW: THE WORLD ACCORDING TO TOMDISPATCH (siehe dazu die verschiedenen Beiträge in der Themenübersicht) war ich der Frage nachgegangen, wie die Ausspähaktionen der NSA (und anderer natürlich) in das politische System der USA eingebettet sind. Die bisherigen Recherchen haben den Eindruck entstehen lassen, dass die realen Geheimdienste in den USA bzgl. der eingesetzten Gelder, des Personals und der Verflechtung mit dem Militär und der Industrie ein Ausmaß angenommen haben, das — auch nach Aussagen jener, die zur Kontrolle bestellt sind — faktisch nicht mehr kontrollierbar ist.
2) Des weiteren ist der Eindruck entstanden, dass die Verfassung der USA bzw. ihre aktuelle Interpretation durch die zuständigen Gerichte einem Missbrauch dieser Dienste bis jetzt nichts Ernsthaftes entgegen setzt.
3) Betrachtet man dann die starke verfassungsrechtliche Stellung des Präsidenten, wenn es um Fragen der nationalen Sicherheit geht, so ist hier im Prinzip alles möglich, solange es dem Präsidenten und seinem Team gelingt, ein glaubhaftes Bedrohungsszenarium dar zu stellen. Seit den Anschlägen vom 9.Sept.2011 wurde mit dem vagen Begriff des ‚Terrorismus‘ eine Bedrohungsform eingeführt, die überall unterstellt werden kann, selbst in der einheimischen Bevölkerung, also selbst bei den Bürgern der USA. Im Laufe der letzten 13 Jahre wurde dies notorisch vage Bedrohungslage dazu benutzt, jegliche Form von rechtsfreiem Verhalten zu begründen, einschließlich Kriegshandlungen. Dazu kommt die Tendenz, alles und jedes mit Geheimhaltung abzuschotten. Das kommt einer nahezu 100%-tigen Aufhebung jeglicher demokratischen Kontrollen gleich. Formal gibt es kaum noch einen Unterschied zu einem totalitären Regime.
4) Parallel zu diesem Blankoscheck des nahezu rechtsfreien abgeschotteten Handelns haben laut Quellen (in tomdispatch) das US-amerikanische Militär zusammen mit den US-amerikanischen Geheimdiensten die Welt vollständig in Militärbezirke aufgeteilt (einschließlich der USA selbst!) und scheinen eine Machtpolitik zu realisieren, in der man ‚von außen‘ kaum noch demokratischen Werte erkennen kann. Menschenrechte oder andere übergreifende internationalen Rechte gelten anscheinend hier nicht mehr (das wird sogar in der offiziellen Militärdoktrin der USA (siehe tomdispatch) offiziell festgestellt).
5) Wenn dies alles so stimmt, wie es sich im öffentlichen Handeln und in den verschiedene Dokumenten darstellt, dann gibt es für die US-Regierung keine wirklichen ‚Freunde‘ mehr. ‚Schwächere‘ werden direkt kontrolliert, manipuliert und ausgebeutet; andere werden ‚gelenkt‘.
6) Das Beispiel des Irakkrieges hat gezeigt, wie sowohl die US-amerikanischen Medien wie auch der US-Kongreß und US-Senat mehrheitlich die Propaganda der Regierung ohne jegliche kritische Auseinandersetzung hingenommen haben. Eine Parallele zur Propagandamaschine des dritten Reiches, die mit Berufung auf nationale Gefühle und durch Manipulation der Medien kritische Meinung übertönt und bekämpft haben, drängt sich auf.
7) Dass in den letzten Wochen überhaupt über die Rolle der US-Geheimdienste mehr gesprochen wurde lag äußerlich daran, dass sich einige Regierungsrepräsentanten von ‚befreundeten‘ Staaten als Opfer der US-Geheimdienste erleben mussten. Ohne die Enthüllungen eines Edward Snowdon würde es diese Gespräche nicht geben. Und auch jetzt ist zu beobachten, dass nach ersten demokratisch-motivierten Aufregungen sich zugleich eine national-inspirierte Anti-Meinung artikuliert, die sich nicht über das eigene Verhalten aufregt, sondern darüber, dass sich andere über das US-amerikanische Verhalten aufregen. Von ‚Selbsterkenntnis‘ keine Spur. Vereinfacht wirkt dies so: Die USA haben immer recht, sie dürfen alles, andere haben sich zu fügen.
8) Unter den vielen Artikeln zum Ausschnüffeln, die nur Altbekanntes wiederholen oder nur an der Oberfläche herumkratzen, gab es einen Artikel, der etwas tiefer eindrang. Es war der Beitrag ‚Die Angriffsindustrie‘ von Constanze Kurz in der FAZ vom 1.Nov.2013 .31 (der allerdings nicht frei zugänglich im Netz ist; die Washington Post ist da kulanter…). Offiziell dürfen die US-amerikanischen Geheimdienste, und hier speziell die NSA, nur allgemeine Metadaten sammeln, und dies auch nur mit Einschränkungen. Nutzen sollte man diese Daten offiziell nur bei Vorliegen eines konkreten Verdachts auf eine mögliche Bedrohung. Dies ist für die Öffentlichkeit. Tatsächlich aber ‚beschafft‘ sich laut Frau Kurz die NSA kontinuierlich wichtige Konstruktionsdetails von allen Hardware- und Softwarehersteller direkt (oder für viel Geld indirekt; der Steuerzahler zahlt es ja), um auf eigene Faust mit automatisierter Angriffssoftware jederzeit in alle Rechner eindringen zu können, um sie auszuspähen, d.h. die NSA hat Hintertürchen für offizielle Schutzsoftware oder stellt die Schutzsoftware gleich selber her mit eigenen Zugriffsmöglichkeiten.
9) Mit ‚Schutz vor Terror‘ hat dies alles schon lange nichts mehr zu tun. Dies ist ein Eindringen in die Lebensader aller Menschen, aller Staaten, der Menschheit. Dies ist das, was man bei anderen Industriespionage nennen würde; dies ist das, was man bei anderen Cyberkriminalität nennen würde.
10) Erinnern wir uns kurz an das Hauptthema dieses Blogs: die Frage nach dem, was das biologische Leben auf diesem Planeten und im Universum bedeutet, bedeuten kann; welche ‚Logik‘ sich in allem zeigt, und erinnern wir uns, dass sich u.a. im Zeitverlauf eine exponentielle Beschleunigung der Komplexitätszunahme zeigt, die nur durch gleichzeitige ‚Integration‘, ‚Verdichtung‘, ‚Kooperation‘ usw. beherrschbar bleibt, dann deutet sich an, dass eine Gesellschaft der Zukunft nur als eine Gemeinschaft überleben kann (siehe vorausgehende Blogeinträge), in der JEDER einen akzeptierten Platz finden kann, der mit allen anderen zusammen wirkt. DOGMATISMEN und EGOISMEN sind in einer Gesellschaft der Zukunft tödlich. Das Politikmodell, das die US-Regierung seit dem zweiten Weltkrieg vorlebt und das sich im Handeln der US-amerikanischen Regierungsbehörden realisiert, erscheint mir vor diesem Hintergrund ‚tödlich‘, nicht zukunftsfähig, nicht nachhaltig, da es einen Fundamentalismus der wenigen begünstigt auf Kosten aller.
11) Natürlich trifft dies nicht nur auf die USA zu. Aber die USA haben historisch als eine der ersten großen demokratischen Bewegungen eine besondere Rolle. Sie waren für alle Demokratien dieser Welt immer ein wichtiges Vorbild. Wenn dieses Vorbild nun wankt, weil es sich in einer Mischung von Fundamentalistischem Machtdenken und nicht mehr kontrollierten Geheimdiensten quasi selbst zerstört, dann kann dies niemanden kalt lassen. Denn neben den Regierungsstellen gibt es ja auch eine Bevölkerung, die Menschen, um die es eigentlich geht. In den Zentren der Macht scheinen diese Menschen nahezu keine Rolle zu spielen (auch wenn man von deren Steuergelder diese gigantische Machtmaschine finanziert…)

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIE, Nicht-US-Amerikaner, R.