In der FAS vom 3.Nov.2013 auf S.10 entwickelt Eckart Lohse für den Leser eine Geschichte, die den Einsatz von Christian Ströbele in Moskau in einen Kontext stellt, der nur eine Deutung zulässt: Ströbele denkt immer und überall zunächst an sich; die Sache selbst spielt keine Rolle. Und die Begegnung mit Edward Snowdon in Moskau war genau wieder solch ein Stück Selbstinszenierung.
Nun lernt jeder Journalist, dass Fakten von Natur aus vieldeutig sind und die größte Gefahr für einen Journalisten darin besteht, seine vorgefasste Meinung in die Dinge so hinein zu legen, dass eine Geschichte entsteht, die zwar gut klingt, aber letztlich der Wirklichkeit Gewalt antut. Das nennt man dann schlechten Journalismus.
Selbst wenn man mit Hans-Christian Ströbele nicht viel zu schaffen hat, sich über ihn vielleicht sogar eher ärgert, weil er wieder mal gegen den Trend handelt, kommt man bei dem Artikel von Eckart Lohse ziemlich ins Grübeln, nicht nur, weil die einzelnen Fakten in ihrer Vieldeutigkeit sehr offensichtlich genau auf eine Linie gebürstet scheinen, sondern weil er das Hauptereignis, nämlich den Besuch bei Snowdon in Moskau, in seiner politischen Bedeutung vergleichsweise gar nicht analysiert. Tut er etwa selbst genau das, was er Ströbele vorwirft? Geht es ihm gar nicht um das politische Geschehen sondern eher um etwas sehr Persönliches?
Wer die Diskussionen seit Juli 2013 verfolgt hat, der kann im Laufe der Wochen und Monate zur Erkenntnis gekommen sein, dass das Bekanntwerden der nahezu umfassenden Schnüffelei der US-amerikanischen Dienste nur die Spitze des Eisbergs ist. Das wahre Drama ist das politische System der USA selbst: ein über die Maßen ausuferndes System von Geheimdiensten, das nach Aussagen von US-amerikanischen Politikern und Geheimdienstkontrolleuren weder sachlich noch politisch zu kontrollieren ist; eine Deutungshoheit über ‚Bedrohung‘ seitens des Regierungsapparates (auf Basis der Geheimdienste), die durch allseitiges Abschotten durch Erklärung zur ‚Geheimsache‘ der demokratischen Kontrolle entzogen ist; eine offizielle Absage an jede Form von Recht innerhalb der US-amerikanischen Militärdoktrin (öffentlich nachzulesen und seit 2001 kontinuierlich beobachtbar); ein umfassendes quasi ‚imperiales‘ militärisches System (die ganze Welt ist in US-amerikanische Militärbezirke eingeteilt (die Botschafter haben den zuständigen Generälen zu berichten). Für US-Amerikaner gibt es keine ‚Menschen‘ außerhalb der USA, da die USA für Nicht-US-Amerikaner keinerlei Rechte anerkennen, nicht einmal die Menschenrechte. Und vieles mehr.
In dieser Situation war es lange Zeit geradezu beschämend, wie die Bundeskanzlerin mit ihrem ‚Team‘ die Enthüllungen durch Snowdon lange Zeit versucht hat, ‚weg zu schweigen‘. Erst als sie selbst direkt betroffen war, kam ein kurzer Aufreger, der aber bald wieder verpuffte. Anstatt sich als ‚wahrer Freund‘ der USA zu erweisen und Anlass zu geben, dass die US-amerikanische Politik über ihren politischen Irrweg mal anfangen, nach zu denken, hat Sie sofort wieder auf die (historisch nicht ungefährliche) ‚Befriedungspolitik‘ umgeschaltet, die alles Unschöne sofort zudeckt und jegliche Konfrontation vermeidet.
Natürlich, diese sehr harte Sicht der Dinge, wie sie oben skizziert wird, muss man nicht haben; sie ergibt sich nicht automatisch, nicht quasi von selbst; vor allem ist sie für viele ‚politisch nicht korrekt‘; so etwas sagt man doch nicht… Man muss sie sich durch mühsame Lektüre und Gespräche selbst erarbeiten. Aber wenn diese Sicht stimmen sollte, dann hat Hans-Christian Ströbele etwas sehr Richtiges und Mutiges getan: er hat die abwiegelnde Bundesregierung zumindest soweit unter Zugzwang gesetzt, dass man jetzt zumindest ein Gespräch mit Snowdon in Moskau nicht mehr ganz ausschließen würde. Zuvor wurde Snowdon ja quasi tot geschwiegen, als ob er nicht existiere (man kann sich an die Geschichte mit dem Clown erinnert fühlen, der dem Publikum zurief, es brenne, und alle haben gelacht, da man sich nicht vorstellen konnte, dass ein Clown auch mal etwas Richtiges sagt; und es brannte in dem Fall tatsächlich…). Zwar erweckt die Bundesregierung unter der Kanzlerin Merkel nicht den Eindruck, dass sie ernsthaft an einer Aufklärung als Aufhänger für eine weiterreichende politische Diskussion interessiert ist. ‚Wahre Freunde‘ der USA würden dies tun, weil sie sich ernsthafte Sorgen um die Zukunft der Demokratie in den USA machen. ‚Wahre Freunde‘ ja, aber offensichtlich geht die Sorge um die USA nicht sehr tief, mehr sorgt man sich um eigene Unbequemlichkeiten. Und dann geben die USA ja auch allen zu verstehen, dass es sowieso niemand gibt, der ein echter ‚Freund‘ ist (außer sie selbst). Diesen Status scheint man akzeptieren zu wollen, den Status eines geduldeten ‚Vasallen‘.
Nirgends steht geschrieben, dass man im Verhältnis zwischen Staaten ‚freundschaftlich‘ sein muss. Aber dass man heute den allseitigen Krieg des Ausspähens als ’normal‘ hinstellt, steht auch nirgends geschrieben. Die modernen Demokratien hatten sich entwickelt, weil es Menschen gab, die unter dem Einsatz ihres Lebens für Werte, für Menschenrechte, für eine ‚menschliche Gesellschaft‘ gekämpft haben. Dass das politische Tagesgeschäft (Sonntagsreden ausgenommen) von Werten so gar nichts mehr wissen will, sollte uns schon nachdenklich machen. Wenn keine Werte mehr gelten, dann kann jeder von uns morgen das nächste Opfer sein, und dann kümmert sich niemand mehr, weil ja das ‚politische Stillhalten‘ als neue oberste Norm gilt. Merkel und Co lebe hoch?
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