Archiv für den Monat: Januar 2014

IST DIE DEMOKRATIE DOCH NOCH NICHT GANZ AM ENDE? HUBERT SEIPELs INTERVIEW MIT SNOWDEN IN DER ARD So 26.Januar 2014

IN DIESEM BLOG

schreibe ich seit Juni 2013 (auch) zu den Themen, die die Veröffentlichungsaktionen von Edward Snowden ausgelöst haben. Weder war ich bis dahin sehr politisch noch hatte ich vor, über diese Themen zu schreiben. Aber, wenn man an den grundlegenden Strukturen dieser unserer Welt interessiert ist, an der allgemeinen Entwicklungsdynamik über das aktuelle Tagesgeschehen hinaus, dann ist es fast unmöglich, die Entwicklung der US-amerikanischen Gesellschaft, ihres politischen Systems und ihrer Rolle in der Welt ‚zu übersehen‘. Was immer wir uns philosophisch-wissenschaftlich denken können und wollen, in der konkreten Realität unserer Welt im Jahr 2014 spielen die USA immer noch eine solch unvergleichliche Rolle, dass ein Schweigen dazu das gleiche wäre, als ob jemand vor einem lodernden Feuer stehen würde und so täte, als ob es dieses nicht gäbe. Damit will ich nicht sagen, dass Länder wie Rußland und China unwichtig wären, oder gar Europa und Südamerika, aber bei allem, was man Wichtiges über diese anderen Länder sagen kann, aus meiner Sicht kommen den USA eine absolute Sonderstellung zu, da Sie das Paradigma für die Entstehung und Praxis einer demokratischen Gesellschaft in der Neuzeit schlechthin sind, dies gepaart mit einer wirtschaftlichen und militärischen Macht, die noch immer eine Führungsrolle in der Welt innehat.

DIE BRISANZ: DEMOKRATIE AM SCHEIDEWEG

Während viele Monate die Snowden-Affäre eher rein ‚technisch‘ gesehen wurde – und bei sehr vielen (den meisten?) noch immer – , Abhöraktivitäten, die man durch technische Maßnahmen eindämmen oder unterbinden könnte, hatte ich schon ab Ende Juli 2013 (angeregt durch TomEngelhardt und seine tomdispatch.com Webseite) damit begonnen, nach den politischen Konsequenzen und Rahmenbedingungen zu fragen, innerhalb deren solche weltweiten Abhörmaßnahmen möglich waren: Die Originaltexte der US-amerikanischen Verfassung, verschiedene Gerichtsurteile, viele Veröffentlichungen und Dossiers der Washington Post und anderer engagierter demokratischer Institutionen und Bewegungen (z.B. die American Civil Liberties Union (ACLU), und mehr.

Fügt man diese verschiedenen Quellen zu einem Gesamtbild zusammen, dann kann man den Eindruck bekommen, dass (i) die Texte und die Interpretation der US-amerikanischen Verfassung mehr und mehr hinter die technische Entwicklung zurückgefallen sind. Dass ferner (ii) die Besonderheit der US-amerikanischen Verfassung mit der starken Stellung des Präsidenten zusammen mit dem politischen Universaltrigger ‚Nationale Sicherheit‘ geeignet sind, alle anderen demokratischen Elemente auf Dauer zu neutralisieren, und dass (iii) eine Gemengelage von nationalem Stolz, Bedrohungsszenarien und starken militärisch-wirtschaftlichen Partikularinteressen hinter der Regierungsmaschinerie – über Jahrzehnte — eine riesige Druckwelle aufgebaut haben, die sich diese Schwachstellen der amerikanischen Verfassung und realen Politik zu Nutze gemacht haben und machen.

Für viele (die meisten?) Menschen sind diese Gedanken so ungeheuerlich, dass sie sich spontan innerlich wehren, so etwas überhaupt zu denken (zumal es ja immer bequemer ist, nicht zu denken, als durch eigenes Denken auf unangenehme Sachverhalte zu stoßen). Denn, wäre die Realität tatsächlich so, wie die verschiedenen Veröffentlichungen und Ereignise es nahelegen, dann hätten wir nicht nur mit einer eminente technologische ‚Krise‘ aus Sicht der Anwender zu tun, sondern wir hätten eine eminente politische Krise mit Blick auf den Status und die Zukunft einer demokratischen Gesellschaft primär in den USA, dann aber auch in der ganzen Welt (aufgrund der gegeben Sonderstellung der USA (es ist nicht absehbar, wann Rußland oder China zu demokratischen Gesellschaften werden; wäre dies der Fall, würde dies natürlich die Machtverhältnisse erheblich verschieben, mehr, als durch jeden noch so großen Rüstungsetat)).

SNOWDEN, DAS ZIPFELCHEN HOFFNUNG

Vor diesem weltpolitischen Hintergrund bekommt die persönliche Aktion von Edward Snowden eine besondere Bedeutung.

Steht man auf dem Standpunkt, dass die Aktivitäten der verschiedenen Geheimdienste in den USA – insbesondere auch die der NSA — auf dem Boden der Verfassung stehen und der nationalen Sicherheit dienen, dann erscheint Snowden als ‚Verräter‘; steht man auf dem Standpunkt, dass die Dienste – insbesondere die NSA – den Boden der Verfassung längst verlassen haben (bzw. selbst wenn Sie formal mit dem geltenden Gesetz übereinstimmen, sie doch faktisch den ‚Geist‘, die ‚Intention‘ der amerikansichen Verfassung) ‚verlassen’/ ‚verletzt‘ haben)), dann erscheitn Snowden als ‚Whistleblower‘, d.h. als ein Mensch, den eine hohe ethische Verantwortung dazu treibt, erkannten Machtmissbrauch öffentlich zu machen.

Die tatsächlich Praxis im Umgang mit Whistleblower lässt den Eindruck entstehen, dass potentielle Whistleblower in der letzten Zeit verstärkt (unter Obama!?) schon im Vorfeld ’neutralisiert‘ werden, was es für einen potentiellen Whistleblower fast unmöglich erscheinen lässt, sein Anliegen vor zu bringen. Die vielfachen Aussagen von Snowden zu diesem Punkt deuten darauf hin, dass er dieses Problem des im Vorfeld ’neutralisiert Werdens‘ sehr ernst nimmt und deswegen den ungewöhnlichen Weg gewählt hat, einen vorläufigen Schutz außerhalb der USA zu suchen.

Während die ‚Regierungstreuen‘, die auf das formale Recht pochen, Snowden genau dies zum Vorwurf machen, dass er sich nicht den US-amerikanischen Behörden stellt (und sie offensichtlich das Verhalten der eigenen Behörden in einem eher positiven Licht sehen trotz aller entgegenstehenden Fakten), liegt es in der Logik der Sachverhalte, die Snowden enthüllt hat, dass die Auswirkungen der Tätigkeiten US-amerikanischer Behörden sich in diesem Fall ja nicht auf die USA beschränken, sondern nahezu alle Länder (und damit Menschen) dieser unserer Erde betreffen. Snowden ist ein Mensch , der offensichtlich die Geltung und Bedeutung von Demokratie und Menschenrechten auch jenseits der Landesgrenzen der USA sieht und persönlich für wichtig hält und deshalb eine ethische Verantwortung spürt, diesen ‚Menschen‘ außerhalb der USA ein Signal zu senden, was mit Ihnen durch die US-amerikanischen Behörden gemacht wird (natürlich auch mit den Bürgern der USA selbst).

Zum Verständnis der US-Behörden ist auch wichtig zu erinnern, dass die US-Behörden jegliche Normen und rechtliche Institutionen außerhalb der USA für sich kategorisch ablehnen. Weder erkennen sie für das Handeln von US-Behörden die Menschenrechte an noch irgendwelche Verlautbarungen der UN oder irgendwelcher Gerichte (diese Verletzungen durch US-Behörden gehen mittlerweile – nach den bekannten Fakten – in die hundert Tausende, wenn nicht Millionen). Jeder Nicht-US-Mensch ist für die US-Behörden aktuell laut Gesetzt vollständig rechtlos und kann jederzeit ohne jeglichen juristischen Beistand beliebig ‚vereinnahmt‘ werden. Rechtsverletzungen, sogar Menschenrechtsverletzungen an Nicht-US-Menschen, spielen in den Augen von US-Regierungsbehörden daher keine wirkliche Rolle. Dass Snowden möglicherweise die ethischen und juristischen Interessen von vielen Millionen Nicht-US-Menschen durch seine Aktion zu schützen versucht, ist gemessen an der offiziellen US-amerikanischen Rechtsauffassung irrelevant. Aus Sicht der US-Regierung hat er – so stellt es sich in der Außenwirkung dar – das US-Recht elementar verletzt.

Ob Snowden nun tatsächlich im Sinne der herrschenden US-Regierungsinterpretation von US-Recht anzuklagen ist oder ob er im Lichte übergreifender Rechtsauffassungen gerade das uns alle tragende und verbindende Recht, auf dem ALLE Demokratien beruhen, eher geschützt hat, wird sich so schnell nicht einvernehmlich klären lassen. Fakt ist allerdings, dass Snowden es geschafft hat, mit seiner Aktion, die Diskussion über die demokratischen Grundlagen der aktuellen Technologieentwicklung und ihrer verdeckten Nutzung durch Regierungsbehörden ansatzweise in die Öffentlichkeit und in die Diskussion zu bringen.

KORNBLUM IST KORNBLUM

Vor dem ersten Fernsehinterview von Snowden weltweit am So 26.Januar 2014 gab es eine Diskussionsrunde mit Günther Jauch, in der als Gast auch John Kornblum teilnahm (übrigens nicht zum ersten Mal). Kornblum ist zwar ingewisser Weise eben Kornblum und nicht direkt mit irgendeinem anderen direkt vergleichbar, aber dennoch leuchtet in seiner Person eine Haltung, ein Denken auf, das nach meinem Verständnis der US-Behördenhaltung sehr nahe kommt: einerseits – und auf den ersten Blick – wirkt er wie ein ’naiver Konservativer‘, der schon den leisesten Zweifel an möglichen Verfehlungen der Regierung oder ihrer Behörden im Keime einfach ablehnt (was angesichts der vielen historisch erwiesenen Fakten schwer nachvollziehbar ist; aber vielleicht daraus resultiert, dass er wirtschaftliche Interessen vertritt und massiver Lobbyist ist); andererseits hat er einen Blick in und auf die technologisch-wirtschaftliche Entwicklung und die damit einhergehenden politischen Machtprozesse, die ihn deutlich von den anderen Diskussionsteilnehmern abhoben. Einerseits eine erschreckende ‚Naivität‘, andererseits einen Tief- und Weitblick, der die Logik der aktuellen Entwicklung deutlich thematisiert. Gerade aber wenn man diese ansatzweise vorhandenen Einsichten annimmt, verwundert es aber auch, wie wenig kritisch er das demokratisch-ethische Umfeld dieser Entwicklungen sieht; zumindest hat er im Gespräch alles vermieden, um diesen Punkt anzusprechen.

Möglicherweise lag das auch an seinen Gesprächsgegenübern in Gestalt von Interview-Autor Hubert Seipel, MdB Christian Ströbele (Grüne) und der Politikerin und Bloggerin Marina Weisband (Piraten). Sie alle drei vertraten – auf unterschiedliche Weise – die Wertedimension im Umfeld von Snowdens Aktion. Die tatsächlichen politischen, wirtschaftlichen und technologischen Prozesse kamen bei Ihnen hingegen kaum zur Sprache. Die verschiedenen Bälle, die Kornblum ihnen mit seinen Aussagen zuspielte, wurden nicht aufgegriffen. Andererseits blockte Kornblum mit seiner extrem unkritischen Haltung gegenüber der US-Regierung viele interessante Ansätze ab. Jauch als Moderator gelang es nicht, die verdeckt vorhandenen Brücken auszunutzen, um über das reine Konfrontieren der verschiedenen Positionen hinaus zu kommen.

WIE GEHT ES WEITER?

Allein die Tatsache, dass das Deutsche Fernsehen in Gestalt von ARD, ZDF, arte sich engagiert des heiklen Themas Snowden und politisches Umfeld annehmen (und auch manche Zeitungen in Deutschland wie FAZ, Spiegel, die Zeit…) gibt Hoffnung, dass das bisherige nahezu totale Versagen der deutschen (und europäischen) Politik in diesen Fragen nicht das letzte Wort sind. Nachdem es viele tausend Jahre gedauert hat, bis es demokratisch verfasste Gesellschaften auf diesem Planeten Erde gab, wäre es furchtbar, wenn durch Dummheit, Feigheit der aktuellen Politikergeneration (und ihrer Behörden?) das Projekt demokratischer Gesellschaften mit all ihren Werten einem dumpfen Nationalismus und menschenverachtender Wirtschaft und Technologie zum Opfer fallen würde. Das Projekt ‚Leben auf der Erde‘ (und möglicherweise im Kosmos) ist evolutionstheoretisch gerade erst am Anfang. Wir stehen ganz am Anfang eines neuen, tieferen Verständnisses dessen, was überhaupt Leben ist, was ‚Geist‘ ist, was ‚das Ganze‘ überhaupt soll, wer ‚wir sind‘. Es wäre tragisch, wenn wir als Menschen genau an jenem historischen Punkt, an dem wir anfangen, neu zu verstehen, durch dumpfe kurzfristige Machtinteressen in die Dunkelheit des Nichtwissens zurückgeworfen werden. Dass wir eine weltweite Globalisierung durch immer mehr technische Möglichkeiten beobachten, ist in sich nicht notwendigerweise schlecht; es scheint sogar genau der Logik der Evolution zu entsprechen. Nur ist die Frage, wie wir als Menschen damit umgehen. Die große Entwicklung verlangt von uns neue Menschenbilder und eine neue, vertiefte Ethik. Die USA wären dazu prädestiniert, hier eine Vorreiterrolle zu übernehmen, aber viele Behörden, Regierungsvertreter und Wirtschaftsführer erwecken den Eindruck, dass sie in einem dumpfen, unreflektierten Nationalismus verharren, der unfähig ist, die Weite der Verantwortung für die grenzüberschreitenden Werte der demokratischen Ideale zu erkennen. Technologisch sind die USA ein Riese, ethisch-politisch-moralisch erwecken sie den Eindruck, dass sie (nicht alle!!!) in einer Vergangenheit verharren, die langfristig den eigenen technologischen Vorsprung zerstören wird.

Der menschliche Geist ist aber prinzipiell für Überraschungen gut. Nicht jedes totalitäre Regime muss a la Stalin – Hitler – Mao im Chaos enden. Vielleicht erweist sich im Nachhinein , dass Snowden der entscheidende Unterschied war.

Einen Überblick zu allen bisherigen Blogeinträgen nach Titeln findet sich HIER.

IBN SINA/ AVICENNA: DIE METAPHYSIK AVICENNAS – Warum man manchmal schlafende Hunde wecken sollte (Teil 1)

AVICENNA: DIE METAPHYSIK AVICENNAS. Enthaltend Die Metaphysik, Theologie, Kosmologie und Ethik. Übersetzt und erläutert von Max Horten, Halle a.S. und New York: Verlag von Rudolf Haupt, 1907 (Reprint durch Amazon.co.uk Ltd., Marston Gate (Great Britain), Ulan Press, keine Jahreszahl)

Nachtrag: hier eine musikalische Variante zu Avicenna; tatsächlich 10 Tage vor dem Eintrag in den Blog. Die Aussprache der Jahreszahl zu Beginn ist nicht korrekt … Das ist eben ‚radically unplugged music‘ (RUM).

VON LOBO, NSA, DEMOKRATIE, MACHT ZU AVICENNA

Im Film wäre der Übergang vom letzten Blogeintrag zum diesem hier ein harter Schnitt. Aber hier im Blog muss dies auch sein, da die Welt viele Facetten hat und dieser Blog sich der Vielfalt aus Sicht der Philosophie verschrieben hat. Letztlich könnte man sogar eine direkte Brücke bauen. Nehmen wir den Interneterklärer Lobo (die NSA und die anderen Stichworte wären natürlich auch geeignet). Lobo diagnostiziert an sich selbst, dass sein ‚bisheriges Bild vom Internet‘ ‚falsch‘ gewesen ist. Anhand konkreter Ereignisse wird ihm bewusst, dass sein ‚Weltbild‘ die reale Welt nicht so repräsentiert hatte, wie sie sich ihm jetzt in den konkreten Ereignissen ’neu‘ darzustellen scheint. Er ist jemand, der nicht nur zu solcher kritischen Selbsterkenntnis fähig zu sein scheint, nein, er macht es auch noch transparent, öffentlich; er macht sich damit anfassbar. Ob sich dadurch viel ändern wird, ist damit noch nicht gesagt; aber er hat damit zumindest empfänglich gemacht für mögliche ‚Korrekturen‘ an seinem ‚Weltbild‘.

WELTBILD

Die sprachliche Ausdrucksweise, dass wir vom ‚Weltbild‘ Lobos reden, ist einerseits ‚üblich‘, andererseits aber — bei näherer Betrachtung — gefährlich. Legt sie doch die Vorstellung nahe, dass das Weltbild etwas ‚Konkretes‘, ‚Wirkliches‘ ‚in‘ Sascha Lobos ‚Kopf‘ sei, wie so eine Art Gegenstand mit Eigenschaften, allerdings ein Gegenstand, der sich ‚ändern‘ kann. Dazu kommt, dass der Gegenstand ‚Weltbild‘ die Art und Weise bestimmt, wie wir unsere Welt ’sehen‘, ‚interpretieren‘. Das ist sehr ungewöhnlich für Gegenstände. Wir benutzen zwar die Gegenstände ‚Brille‘, ‚Fernglas‘, ‚Mikroskop‘ (und Fernsehen? und Computer? und Smartphone? …), um die Dinge der realen Welt visuell ’scharf‘ zu sehen oder ‚größer‘ (oder ‚bunt‘ mit mitgeliefertem, aber nicht kenntlich gemachten, Interpretationsanteilen?), aber diese optischen ‚Sehhilfen‘ lassen die Dinge (von Skalierungen und Farbveränderungen abgesehen), ‚wie sie sind‘. Ein ‚Weltbild‘ hingegen ‚verändert‘ die Dinge notwendigerweise. Ohne dass wir selbst etwas dagegen tun können werden die Inhalte unserer Wahrnehmung (visuell, akustisch, … , interozeptiv, ..) vom aktuellen Weltbild auf vielfache Weise in das vorhandene Wissensgeflecht aktiv eingefügt, vom ‚Vorhandenen aus‘ dadurch interpretiert, so dass das, was wir dann ‚bewusst‘ wahrnehmen, nicht das ist, was ‚faktisch auslösend war‘, sondern tatsächlich das, was unser Wissen daraus aktuell und aktiv ‚macht‘. Der bloße Vorsatz, ‚kritisch sein zu wollen‘ ändert an diesem Automatismus unseres aktuellen Wissens zunächst gar nichts. Um Kritikfähigkeit zur Wirkung kommen zu lassen muss man aktiv aktuelle Wissensbestände durch aktive Denkprozesse verändern. Wünschen alleine reicht nicht. Schon das bewusste aktive Lesen eines guten Artikels kann Wunder wirken, wobei die Betonung auf ‚bewusst‘ und ‚aktiv‘ liegt. Einen Vortrag einfach ’nur hören‘ oder einen Artikel einfach ’nur lesen‘ bewirkt meist nicht viel (ein interessanter Test wäre, dass jemand sie 30 min nach der Tagesschau oder nach ‚heute‘ oder ähnlichen Nachrichtenmagazinen unerwartet interviewen würde, was sie in diesen Nachrichtensendungen gesehen, gehört und verstanden haben. Es wäre überraschend, wenn auch nur eine einzige Versuchsperson in der Lage wäre, einigermaßen wiederzugeben, was der Inhalt der Sendung war. Das Paradoxe ist, dass dennoch so viele Menschen sich diese Sendungen anschauen; also bleibt doch etwas hängen? Was bleibt hängen? Welchen sachlich-erklärenden Informationswert hat das, was hängenbleibt?).

WELTBILD UND PHILOSOPHIE

Aus dem Faktum von Weltbildern in den Köpfen der Menschen folgt nicht zwingend, dass man sich mit Philosophie beschäftigen sollte. Es gibt verschiedene Disziplinen und Handlungsbereiche, die sich mit einzelnen Aspekten von Weltbildern beschäftigen. Am intensivsten wohl alle möglichen Spielarten von Werbepsychologie (weil man wissen will, wie man das Kaufverhalten beeinflussen kann), von Meinungsumfragen (Demoskopie) (weil man das Wahlverhalten für den eigenen politischen Erfolg nutzen möchte), von Leser- und Zuschauer- oder Kundenverhalten (weil man den wirtschaftlichen Erfolg des Senders, des Kinos, des Theaters, der Zeitung usw. erhalten oder steigern möchte), von Arbeitspsychologie (weil man Störungen in den Arbeitsabläufen minimieren will), von Verhaltenstherapien (weil man Menschen helfen möchte, Störungen in ihrem Lebensgefühl und ihrem Verhalten zu mildern), von Religions-, Kulturwissenschaften und Ethnologie (weil man das Verhalten von Menschen in Abhängigkeit von ihren Weltbildern untersucht), und vielem mehr. Bei dieser Aufzählung kann auffallen, dass keine der zuvor genannten Aktivitäten im Umfeld menschlichen Verhaltens mit Bezug auf potentielle ’steuernde‘ Weltbilder die Weltbilder als solche bzw. sogar die generelle Struktur und Dynamik von beliebigen Weltbildern thematisiert. Näher liegen hier sicher die kognitive Psychologie (mit allen möglichen Teildisziplinen wie Wahrnehmung, Sprache, Gedächtnis usw.) oder auch die Neuropsychologie (DE) (Neuropsychology (EN), insofern bei letzterer die generelle Struktur von Kognition in Korrelation mit den zugrundeliegenden neuronalen Prozessen untersucht wird. Dennoch fällt auf, dass die Neuropsychologie bislang eher noch von speziellen Fragestellungen getrieben wird mit einem Übergewicht der Verhaltensorientierung. Ein explizites Modell des ’subjektiven Weltbildes‘ hat sie nicht und es nicht zu erkennen, dass dies irgendwo entwickelt werden soll. Wenn im Kontext von Neuropsychologie von ‚Kognition‘ (‚cognition‘) gesprochen wird, dann handelt es sich in der Regel um Modellbildungen der kognitiven Psychologie, die auf der Basis von Verhaltensdaten hypothetische Modelle von Verarbeitungsfunktionen ‚im Innern des Körpers‘ generieren.
Die klassische (europäische) Philosophie seit den Griechen nahm dagegen ihren Ausgangspunkt nicht bei den empirisch beobachtbaren Verhaltensdaten alleine sondern bei der ‚Welt‘, wie sie sich innerhalb des bewussten Raumes ‚introspektiv‘, ’subjektiv‘ als Raum von Phänomenen darbot; die empirischen Verhaltensdaten bilden in diesem Phänomenraum eine echte Teilmenge. Das Interesse aller Philosophen richtete sich dann darauf, ausgehend von diesem (subjektiven) Phänomenraum Strukturen und Gesetzlichkeiten zu erkennen, die möglicherweise Aussagen erlauben würden, die ‚über‘ (Griechisch: ‚meta‘) den aktuellen Phänomenraum hinausweisen können, und zwar in einer Form von ‚Allgemeinheit‘, die die zufälligen individuellen Gegebenheiten des eigenen Phänomenraumes möglicherweise übersteigen könnten. Vom Konkreten, Natürlichen, Individuellem (Natur, ‚physis‘), zum Allgemeinen, Idealisierten/ Geistigen (‚meta physis‘). In diesem Anliegen liegt die Wurzel zur Meta-Physik, dem eigentlichen Kern aller Philosophie: alles Wissen im Konkreten und Allgemeinen so erfassen zu können, dass ein Maximum an Klarheit und Aussagbarkeit (was Voraussagbarkeit mit einschließt) entsteht.

ANSTOSS VON AUSSEN

Vor vielen, vielen Jahren, als ich die ersten Jahre Philosophie und Theologie studieren konnte, hatte ich mit großem Interesse u.a. auch Teile der griechischen Philosophie (besonders Aristoteles (384 – 322)) und Teile der lateinischen Theologie und Philosophie (vor allem Thomas von Acquin (1225-1274)) studiert. Zum Studium orientalischer Philosophen hatte die Zeit nicht gereicht. Andere Wege führten dann u.a. in die moderne Logik und Wissenschaftstheorie. Als ich dann kürzlich — so spielt das Leben — meine Frau und Freunde zum Film ‚Der Medicus‘ begleitete, traf ich ziemlich unerwartet (hatte den Roman nicht gelesen; hatte mich auch nicht informiert, worum es in dem Film ging) auf die Person Avicennas (c. 980-1037), der in dem Film unter dem seinem arabischen Namen ‚Ibn Sina‘ (laut englischer Wikipedia war sein voller Name Abū ʿAlī al-Ḥusayn ibn ʿAbd Allāh ibn Al-Hasan ibn Ali ibn Sīnā) durch eine Hauptrolle repräsentiert wird. Der Film zeigt nur die Schlussphase seines Lebens. Erste Recherchen meinerseits im Anschluss an den Film ergaben, dass er nicht nur ein großer Medizinwissenschaftler gewesen ist, sondern zeit übergreifend war er auch bedeutend im Bereich der Philosophie.

AVICENNAS POSITIONIERUNG IN DER ZEIT

An dieser Stelle kann es nicht um eine inhaltliche (und erst recht keine abschließende) Positionierung von Avicenna im Kontext der philosophischen-wissenschaftlichen Traditionen gehen, sondern zunächst nur mal um eine grobe Positionierung im Kontext anderer großer Namen und Traditionen.

Konsultiert man die verschiedenen Enzyklopädien so scheint Avicenna zum Höhepunkt der sogenannten ‚frühen islamischen Philosophie‘ oder des ‚Goldenen Zeitalters‘ (8.Jh – 12.Jh) der islamischen Philosophie zu gehören. Personen, die ihn im Denken stark beeinflusst haben, gibt es viele. Im Bereich der Metaphysik gehört sicher dazu Al-Farabi (lat. Alpharabius (c. 872 950/951), Abu Sahl ‚Isa ibn Yahya al-Masihi al-Jurjani (starb 999/1000)(Lehrer von Avicenna. Schreib eine medizinische Abhandlung mit 100 Kapiteln, die die erste dieser Art in der arabischen Welt war und möglicherweise auch Vorbild für Avicennas späteres medizinisches Hauptwerk war), Abu Nasr Mansur ibn Ali ibn Iraq (c. 960 – 1036)(persischer Mathematiker), Abū al-Rayhān Muhammad ibn Ahmad al-Bīrūnī (973 – 1048)(lat. Alberonius, Engl. Al-Biruni)(ilamischer Wissenschaftler und Mathematiker), Abū Ḥāmid Muḥammad ibn Muḥammad al-Ghazālī (c. 1058–1111)(lat. Al-Ghazali oder Algazel)(gilt als der einflussreichste islamische Theologe und Philosoph nach Mohammed). Abū l-Walīd Muḥammad bin ʾAḥmad bin Rušd (auch Ibn Rushd , lat. Averroës 1126 – 1198)(spanischer Universalgelehrter; in der islamischen Welt kritisch gesehen; sehr einflussreich im westlichen mittelalterlichen Denken; einer der einflussreichsten Kommentatoren von Aristoteles für die westlich-lateinische Überlieferung).

AD FONTES – ZU DEN QUELLEN

Bei einem so komplexen geistesgeschichtlichen Umfeld hat man zunächst nahezu keine Chance, irgendetwas wirklich zu verstehen. Nach meiner Erfahrung hilft da letztlich nur eines: reale Texte von realen Denkern nehmen und anfangen diese aktiv zu lesen. Hält man dies lange genug durch, dann entstehen erste Umrisse eines Bildes von diesem Denken, auf dem man dann aufbauen und weiter arbeiten kann. Da ich zwar von früher her noch ein wenig Latein und Griechisch kann, aber — bedauerlicherweise — kein Arabisch, bleibt mir momentan nichts übrig, als nach einer Übersetzung von Avicennas Werken zu schauen. Für deutschsprachige Leser gibt es den glücklichen Umstand, dass deutsche Orientalisten zu Beginn des 20.Jahrhunderts großartige Arbeit geleistet haben. Ein bedeutender deutscher Orientalist war Max Horten (voller Name: Maximilian Joseph Heinrich Horten) (1874 — 1945). Von ihm gibt es eine sehr gute Übersetzung mit ausgiebigen Erläuterungen von dem philosophischen Hauptwerk von Avicenna, von seiner Metaphysik. Das Buch „Die Metaphysik Avicennas: das Buch der Genesung der Seele, Leipzig 1907; Frankfurt am Main 1960“ ist zwar vergriffen, aber es gibt einen Reprint dieses Buches bei Amazon.

DAS BUCH

Dieses Buch, ein 1-zu-1 Reprint der Ausgabe von 1907, umfasst 799 Seiten. Es präsentiert sich in einem exzellenten Deutsch und einer umfassenden Kommentierung in den Fußnoten. Da Horten ein Orientalist mit breiten Kenntnissen in Philosophie und Theologie (insbesondere die lateinische Tradition) war, eröffnen seine Anmerkungen mit Originalzitaten griechischer, arabischer und lateinischer Autoren einen Einblick in die Vernetzung der Gedankenwelt Avicennas mit den verschiedenen Traditionen.

Ich habe bislang zwar erst ca. 100 von den 799 Seiten gelesen, aber ich bin restlos begeistert und fasziniert von diesem Text; nicht so sehr, weil ich glaube, dass man diese Gedanken heute noch so direkt übernehmen könnte, aber weil dieser Text die Möglichkeit bietet, das ‚alte‘ Denken, das viele Jahrhunderte (letztlich fast 2000 Jahre) den europäischen Raum (zu dem der ‚Orient‘ wesentlich dazugehört) geprägt hat, mit dem heutigen ‚modernen‘ Denken direkt in Beziehung zu setzen, um dadurch die grundlegenden Transformationen deutlich zu machen, die das europäische Denken durchlaufen hat. Insbesondere habe ich durch die bisherige Lektüre den Eindruck gewonnen, dass seine Auffassung von Logik und Metaphysik einen wunderbaren Anknüpfungspunkt bildet, um die Besonderheiten des modernen Denkens zu erklären. Einerseits kann man die moderne Logik, Wissenschaftstheorie und Erkenntnistheorie seit dem Ende des 19.Jahrhunderts als eine Art Generalkritik an der klassischen Metaphysik sehen, andererseits ist die moderne Philosophie mittlerweile soweit fortgeschritten, dass sie neben der ‚Kritik‘ nun einen konstruktiven Vergleich wagen könnte, der aus dem konstruktiven nebeneinander von klassischer Metaphysik und moderner Logik, Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie ein neues ‚Gesamtbild‘ zeichnen könnte, in der beide (!) vorkommen. Wie gesagt, dies ist eine aktuelle Vermutung, die sich bei der Lektüre aufdrängt, und die im Folgenden im einzelnen erst genauer zu erarbeiten wäre.

Ob und wie sich das europäische Denken mit anderen Denkformen verzahnt oder nicht verzahnt, sich möglicherweise gegenseitig anregen kann, dies wäre ein eigenes Thema.

FÜR WELCHE LESER

Für jemanden, der keinerlei Vorwissen in griechischer Philosophie, lateinischer Theologie und klassischer Logik hat, ist das Buch möglicherweise ein bisschen ‚hart‘ und mag als verwirrende ‚Begriffsklauberei‘ erscheinen. Wer sich aber da ein wenig auskennt und vielleicht noch dazu ein wenig moderne Logik, Philosophie und Wissenschaftstheorie kennt, für den kann das Buch ein absoluter Genuss sein. Ich werde das Buch auf jeden Fall weiter lesen und hier diskutieren.

Zur Fortsetzung siehe hier, Teil 2.

HILFREICHE LINKS

Max Horten: http://de.wikipedia.org/wiki/Max_Horten Autor von: Die Metaphysik Avicennas: das Buch der Genesung der Seele, Leipzig 1907; Frankfurt am Main 1960 (vergriffen)
Encyclopaedia Iranica: http://www.iranicaonline.org/articles/avicenna-index
Wikipedia (EN): http://en.wikipedia.org/wiki/Avicenna
The MacTutor History of Mathematics archive: http://www-history.mcs.st-andrews.ac.uk/Biographies/Avicenna.html
Thomas Hockey et al. (eds.). The Biographical Encyclopedia of Astronomers, Springer Reference. New York: Springer, 2007, pp. 570-572: http://islamsci.mcgill.ca/RASI/BEA/Ibn_Sina_BEA.htm
Wikipedia (DE): http://de.wikipedia.org/wiki/Avicenna
The Internet Encyclopedia of Philosophy (IEP) (ISSN 2161-0002): http://www.iep.utm.edu/avicenna/
Ecyclopedia Britannica: http://www.britannica.com/EBchecked/topic/45755/Avicenna
Islamische Philosophie: http://www.muslimphilosophy.com/sina/art/ei-is.htm
Enzyklopädie des Islams: http://www.eslam.de/begriffe/a/avicenna.htm
Catholic Encyclopedia: http://en.wikisource.org/wiki/Catholic_Encyclopedia_%281913%29/Avicenna

Einen Überblick über alle Blogbeiträge von cagent nach Titeln findet sich HIER.

SASCHA LOBO: DIE DIGITALE KRÄNKUNG DES MENSCHEN – Eine Nachbemerkung

1) Am 12.Januar2014 erschien im Feuilleton der FAZ auf S.37 ein Beitrag von Sascha Lobo mit der Überschrift ‚Die digitale Kränkung des Menschen‘. Im Kern läuft sein Beitrag auf die Aussage hinaus — hierin Freud folgend –, dass nach den drei großen Kränkungen der Menschheit durch Kopernikus (1473-1543) (Erde nicht im Zentrum), Darwin (1809-1882)(Mensch ist Teil der allgemeinen biologischen Entwicklung), und Freud (1856-1939)(Abhängigkeit des Menschen vom Nicht-Bewussten) nun eine vierte große Kränkung stattgefunden hat, nämlich die ‚digitale Kränkung‘ durch die Entdeckung, dass das Internet, der vermeintlich freie Inkubationsraum einer neuen, globalen freien Gesellschaft, von den Wurzeln her und in all seinen Verästlungen einer vollständigen Überwachung (und auch möglicher Manipulation) durch die NSA — und anderer Geheimdienste — unterliegt.
2) Das Ganze bekommt eine sehr persönliche Note, da er sich damit ‚outet‘, dass er dies nicht nur persönlich als Kränkung empfindet, sondern dass er in diesen Erkenntnissen zugleich auch bei sich selbst eine totale Fehleinschätzung der Situation einräumen muss. Er, der Netzerklärer, fühlt sich vorgeführt, getäuscht, missbraucht. Er unterlässt es nicht, sich als Netzerklärer der Avantgarde zuzurechnen, die es liebt, sich vom ‚durchschnittlichen Bildungsbürger‘ abzugrenzen; zugleich räumt er in der Öffentlichkeit einen Irrtum ein (ein Dritter könnte bei ihm möglicherweise auch eine besondere Spielart von ‚Bildungsbürgertum‘ erkennen, das gerne über Voraussetzungen und Hintergründe hinwegsieht):
3) Denn, dies ist auffällig, bei allem Aufschrei über eine Kränkung, vermisst man eine wirkliche Analyse. Wieso konnte es denn zu solch einem Irrtum kommen? Warum ist das Internet nicht die schöne, heile Welt der Freigeister sondern der Kampfplatz der Geheimdienste?
4) Anstatt Freud einfach nur zu zitieren mit den drei Kränkungen könnte Lobo ja auch diese vorausgegangenen sogenannten ‚Kränkungen‘ hinterfragen. Lobo hätte ja fragen können, ob denn die neuen Erkenntnisse von Kopernikus (und der anderen Wissenschaftler in seinem Gefolge) wirklich eine ‚Kränkung‘ waren oder nicht eher doch eine ‚Befreiung aus der Dunkelheit eines Nichtwissens‘, das sich der Naivität eines Alltagsbewusstseins verdankt, das alles nimmt, wie es ist, anstatt nachzufragen, warum das so ist (und darin ein beliebiger Spielball der aktuell Mächtigen).
5) Ferner hätte Lobo fragen können, ob die Einsichten von Darwin (und vieler anderer) nicht ebenfalls eine Befreiung aus einer tiefen Finsternis von Unkenntnis waren, indem er (mit vielen anderen) aufdecken konnte, dass es zwischen den Lebensformen zu unterschiedlichen Zeitpunkten kausale Verbindungen gibt, die bis in die frühesten Zeiten des Lebens auf dem Planeten Erde zurückweisen. Wiederum waren es Unwissenheit, durch Religionen motivierte Vorurteile und Machtinteressen, die diese Einsichten ‚unpassend‘ fanden, ’störend‘, ‚gefährlich‘, ein Abwehrverhalten, das bis heute anhält (in den USA halten im Jahr 2014 28% der Männer und 38% der Frauen die Evolutionstheorie für falsch).
6) Die Einsichten von Freud in die Abhängigkeit des Bewussten vom Nichtbewussten, heute mehr und mehr vertieft durch das Zusammenwirken von Neurowissenschaften und Psychologie, sind auch nur solange eine Kränkung, als man einem falschen Bild vom Körper, dem Gehirn, dem Psychischen, dem Erkennen anhing. Für Wissenschaftler, Aufklärer und alle ’normalen‘ Menschen kann es wiederum nur eine Befreiung von falschen Bildern über die Welt, insbesondere über den Menschen, sein. Auch das hätte Sascha Lobo hinterfragen können.
7) Würde Lobo den Spuren der Evolutionstheorie folgen, dann würde er u.a. feststellen können, dass die biologische Evolution nur die Fortsetzung einer kosmologischen und chemischen Evolution ist, die sich zu einer kulturellen und technologischen Evolution erweitert haben, innerhalb deren das Internet nur ein kleiner Ausschnitt der Entwicklung darstellt.
8) Ein anderer Ausschnitt wird gebildet von den Systemen der Machtregulierung, die mit den Systemen der neuzeitlichen Demokratien eine sehr innovative und hochkomplexe Form gefunden haben, die sich in einem permanenten ‚Gleichgewichtskampf‘ befinden. Am Beispiel der US-amerikanischen Demokratie kann man beobachten, wie diese seit dem 2.Weltkrieg dabei ist, von ‚innen‘ heraus, von der Exekutive aus, ‚ausgehöhlt‘ bzw. fast ganz ’neutralisiert‘ zu werden. Unter dem alles erschlagenden Motto ‚Nationale Sicherheit‘ wurden und werden nahezu alle Gesetze und Kontrollinstanzen ausgehebelt und parallel wurde ein weltumspannendes imperiales System aufgebaut, das systemisch keinen Spielraum mehr kennt. Dass die USA noch nicht in eine völlige Diktatur abgeglitten sind ist systembedingt nicht zu erklären; irgendwie müssen es viele wunderbare Menschen sein, die das letzte Umkippen aktuell noch verhindern. Die Exekutive selbst lässt nur eine Richtung erkennen: noch mehr Kontrolle ‚von innen‘ und noch weniger Kontrolle ‚von außerhalb‘ des Systems.
9) Diese Vorgänge in den USA sind öffentlich zugänglich und erklären, warum das Internet vor diesem Hintergrund nicht das Internet sein kann, was sich Sascha Lobo wünscht. Warum denkt Lobo darüber nicht nach? Warum interessiert ihn das demokratische System als solches nicht? Das bundesrepublikanische demokratische System hat in den letzten Monaten dramatische Schwachstellen offenbart. Alle zuständigen Stellen — einschließlich der Kanzlerin — haben sich nicht nur einer echten Aufklärung verweigert, sie haben sich selbst auch als radikal anti-demokratisch verhalten. In Sonntagsreden wird vor rechten, linken und muslimischen Fundamentalisten gewarnt, im konkreten Alltag wird aber die demokratische Öffentlichkeit von den gleichen Politikern und politischen Beamten (einschließlich Bundesstaatsanwalt) massiv für Dumm verkauft und geradezu zynisch belogen. So zerstört man eine demokratische Öffentlichkeit und damit auf Dauer nachhaltig eine Demokratie. In Sonntagsreden werden Menschen wie Gandhi, Martin Luther King oder Mandela wegen ihrem Widerstand gegen einen unmenschlichen Staat gefeiert; mit einem Edward Snowden will man aber niemand reden (Lob für Ströbele, der es dennoch tat). So zerstört man Demokratie.
10) Sascha Lobo trauert um den Verlust seiner Unschuld. Immerhin scheint er zu merken, dass seine Spielwiese Internet etwas mit dem Funktionieren oder nicht Funktionieren der Demokratie zu tun hat. Vielleicht führt diese Krise ihn ja dazu, dass er für uns alle künftig für unsere gemeinsame Demokratie mitkämpft. Dann hätte diese Krise ein Gutes. Einer mehr für eine gemeinsame demokratische Zukunft, und damit für ein freies Internet.

PHILOSOPHIEWERKSTATT VOM 11.Januar 2014 – Rückblick – Lernen braucht Wissen und Emotionen

Letzte Änderung: Mo 12.Jan.2014 (Strukturierung, Am Ende Ausblick mit Terminen und Programmvorschlag)

ZUSAMMENFASSUNG

1) Mittlerweile liegt die dritte PHILOSOPHIEWERKSTATT 11.Jan.2014 hinter uns. Wie schon die letzten Male waren es sehr intensive Gespräche, die entstanden. Das tatsächliche Programm wich vom Plan ein wenig ab. Der Rückblick verlief wie geplant, war aber in sich schon ziemlich intensiv. Es gab dann eine längere Pause mit Essen, Trinken und viel Reden. Es folgte dann der neue Input zum Thema ‚Sind Emotionen (im weitesten Sinne) für ein Lernen notwendig?‘. Damit knüpften wir nochmals an das gemeinsame Brainatorming vom 14.Dez.2013 an; außerdem passte es gut zum Rückblick.
2) Kurz zusammengefasst waren die Überlegungen etwa wie folgt: bei einem komplexen System wie einem Tier oder gar einem Menschen ist eine klare Beschreibung von ‚Wissen‘ und ‚Emotionen (i.w.S.)‘ schwer bis unmöglich. Die meisten Menschen haben zum Thema zwar eine Meinung in ihrem Alltag, aber bei genaueren Nachfragen ist es kaum möglich, zu klären, was jemand meint, wenn er nach seinem ‚Bauchgefühl‘ entscheidet: Wann tut er das? Wie? Gibt es Unterschiede? usw. Dass stark Emotionen das Verhalten allgemein und das Lernen insbesondere beeinflussen können, scheint aufgrund der Alltagserfahrung klar zu sein.

EXPERIMENT ZU ‚EMOTION UND WISSEN‘

3) Die Frage ist also, ob es ein Experiment geben könnte, das einfach genug ist, und doch so, dass man alle beteiligten Komponenten ‚klar‘ verstehen und kontrollieren kann, das zugleich aber noch aussagekräftig genug ist, um zum Verhältnis von ‚Wissen‘ und Emotionen‘ etwas sagen zu können.

PSYCHOLOGIE UND INFORMATIK

4) Der Vortragende wählte dazu eine Kombination aus Psychologie und Informatik. Die Psychologen haben zu Beginn des 20.Jahrhunderts gelernt, wie sie ‚Intelligenz‘ messen können, ohne zu wissen, was ‚Intelligenz‘ in einem Lebewesen genau ist. Die Methode, die ‚Intelligenz‘ eines Systems durch Bezugnahme auf das Verhalten bei der Lösung einer Menge von Aufgaben zu beschreiben, dadurch zu quantifizieren, und damit ‚vergleichbar‘ zu machen, ist nicht auf Menschen beschränkt. Man kann damit auch Tiere messen und auch — heute — Computer. Damit könnte man bezogen auf ein definiertes Aufgabenset feststellen, in welchem Ausmaß ein Computer und ein Menschen ‚verhaltensmäßig übereinstimmen‘ oder nicht.

COMPUTER: WAS IST DAS?

5) Bei dieser Gelegenheit gab es einen Hinweis auf den Begriff ‚Computer‘. Die meisten Menschen verbinden mit dem Begriff ‚Computer‘ die konkreten Geräte, mit denen man im Alltag arbeitet (Smartphones, Tablets, eReader, PCs,…). Dies ist nicht ganz falsch, da alle diese Geräte beispielhafte Realisierungen des abstrakten Konzeptes eines berechnenden Automaten sind, das historisch bedeutsam im Kontext des Grundlagenstreits der Mathematik zu Beginn des 20.Jahrhunderts von Turing 1936/7 in die Diskussion eingeführt worden ist. Er hatte versucht, den Beweis von Gödel von 1931, zu den Grenzen der Entscheidbarkeit mathematischer Theorien, mit anderen Mitteln als Gödel sie benutzt hatte, vorzunehmen, um den Beweis dadurch möglicherweise verständlicher zu machen (was Gödel persönlich auch so sah; Gödel war nämlich mit seinem eigenen Beweis unzufrieden gewesen, und hatte Turings Lösungsansatz in einer Rede in Princeton ausdrücklich als ‚verständlicher‘ gelobt). Am Beispiel eines Büroangestellten, der mit einem Schreibstift auf einem Blatt Papier seine Zahlen notiert und rechnet, hatte Gödel das Konzept der maximal einfachen Maschine für maximal komplexe Aufgaben formuliert, die alles, was mit endlichen Mitteln berechenbar ist, berechnen kann. Später wurde diese seine abstrakte Maschine ihm zu Ehren Turingmaschine genannt. Während eine Turingmaschine duch die Unendlichkeit des Schreib-Lesebandes letztlich einen unendlich großen Speicher besitzt, hat jede konkrete gebaute Maschine, die wie eine Turingmaschine arbeitet, immer nur einen endlichen Speicher. In diesem Sinne kann ein realer Computer die Leistung einer idealen Turingmaschine immer nur annähern.
6) Was ein Computer im Stil einer Turingmaschine letztlich alles ‚tun‘ kann, hängt davon ab, wie man ihn programmiert. Bislang werden Programme für bestimmte klar umrissene Aufgaben geschrieben, und man erwartet, dass das Programm in einer bestimmten Situation genau das tut, was man von ihm erwartet (einen Text schreiben; Bremsen, wenn man auf das Bremspedal tritt; einen Alarm geben, wenn ein bestimmter Wert gefährlich überschritten wird; usw.). Programme, die in diesem Sinne ‚erwartungskonform‘ sind, sind ‚deterministisch‘, sind ‚reaktiv‘, d.h. sie sind in ihrem Verhalten genau festgelegt. Dass die meisten Menschen vor diesem Alltagshintergrund davon ausgehen, dass Computer ja eigentlich ‚dumm‘ sind, ist nachvollziehbar.
7) Allerdings ist dieser Eindruck auch irreführend, denn Computer ‚als solche‘ können im Prinzip alles, was ‚berechenbar‘ ist, d.h. auch ‚Denken‘, ‚Fühlen‘, usw., wenn man sie nur ‚lässt‘. Die meisten übersehen, dass wir Menschen alle unsere wunderbaren Eigenschaften nicht haben, weil wir sie ‚gelernt‘ haben, sondern weil unser Körper und unser Gehirn in bestimmter Weise so vorgeprägt ist, dass wir überhaupt ‚Wahrnehmen‘, ‚Erinnern‘, ‚Denken‘ usw. können.

Experimenteller Rahmen, offen für Philosophie, Psychologie und Neurowissenschaften
Experimenteller Rahmen, offen für Philosophie, Psychologie und Neurowissenschaften

OFFENE SYSTEME, REAKTIV UND ADAPTIV

8) Die strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen uns Menschen und einem möglichen Computer werden deutlich, wenn man sowohl Menschen als auch Computer abstrakt als ‚Input-Output-Systeme‘ betrachtet. Sowohl vom Menschen wie auch vom Computer können wir annehmen, dass sie auf spezifische Weise Ereignisse aus der ‚Umgebung‘ (der ‚Welt‘ (W)) aufnehmen können (Sinnesorgane, Sensoren, Leseband), die wir hier abstrakt einfach als ‚Systeminput‘ oder einfach ‚Input‘ (I) bezeichnen. Genauso können wir annehmen, dass Menschen wie Computer auf die Welt (W) zurückwirken können (über diverse Aktoren, Schreibband). Die Menge dieser Rückwirkungen bezeichnen wir hier als ‚Output‘ (O). Ferner gehen wir immer davon aus, dass es zwischen dem beobachtbaren Output ‚O‘ und dem beobachtbaren Input ‚I‘ einen irgendwie gearteten ‚gesetzmäßigen‘ oder ‚regelhaften‘ Zusammenhang gibt, den wir hier einfach ‚phi‘ nennen, also ‚phi‘ ordnet dem Input ‚I‘ auf spezifische Weise einen bestimmten Output ‚O‘ zu. Die Mathematiker sprechen in diesem Zusammenhang von einer ‚Abbildung‘ oder ‚Funktion‘, geschrieben z.B. als ‚phi: I —> O‘. Die Informatiker sprechen von einem ‚Algorithmus‘ oder einem ‚Programm‘. Gemeint ist in allen Fällen das Gleiche.
9) In der Form ‚phi‘ ordnet dem Input ‚I‘ einen Output ‚O‘ zu wissen wir so gut wie nichts über die innere Struktur des Systems. Dies ändert sich, wenn wir zusätzlich den Begriff ‚innere Zustände‘ (‚inner states‘, IS) einführen. Damit können wir das Reden über ein System nahezu beliebig verfeinern. Diese inneren Zustände ‚IS‘ können ‚Neuronen‘ sein, ‚Erlebnisse‘ (‚Qualia‘), chemische Prozesse, was immer man braucht. Die Einbeziehung der inneren Zustände ‚IS‘ erlaubt sogleich einige interessante Differenzierungen.
10) Zunächst mal können wir unsere Redeweise erweitern zu ‚phi‘ ordnet einem Input ‚I‘ mit Hilfe der aktuellen inneren Zustände ‚IS‘ einen entsprechenden Output ‚O‘ zu, phi: I x IS —> O. Das heißt, die inneren Zustände ‚IS‘, was immer diese im einzelnen genau sind, sind ‚mitursächlich‘ dafür, dass dieser bestimmte Output ‚O‘ zustande kommt. Bsp: Wenn ich bei einem Getränkeautomaten ein Getränk auswähle, das geforderte Geld einwerfe und dann auf Ausführung drücke, dann wird der Automat (falls er nicht ‚defekt‘ ist) mir das gewählte Getränk ausgeben. Er wird immer nur das tun, und nichts anderes.
11) Von lernenden Systemen wie Tieren oder Menschen wissen wir, dass ihre Reaktionen (ihr Output ‚O‘) sich im Laufe der Zeit ändern können, weil sie ‚durch Lernen‘ ihre inneren Zustände ‚IS‘ ändern können. In diesem Fall müssten wir von der Verhaltensfunktion ‚phi‘ sagen: ‚phi‘ ordnet dem aktuellen Input ‚I‘ und unter Berücksichtigung der aktuellen internen Zustände ‚IS‘ nicht nur einen bestimmten Output ‚O‘ zu, sondern kann auch dabei gleichzeitig seine eigenen internen Zustände ‚IS‘ in spezifischer Weise ‚ändern‘, also phi: I x IS —> IS x O. Ein ‚lernendes‘ System ist in diesem Sinne ’selbstveränderlich‘, ‚adaptiv‘, ‚anpassungsfähig‘ usw.
12) Der wichtige Punkt hier ist nun, dass diese adaptive Verhaltensformel ( phi: I x IS —> IS x O) nicht nur auf Tiere und Menschen anwendbar ist, sondern auch — ohne Einschränkungen — auf das Konzept des Computers. Dass wir bis heute kaum wirklich lernfähige Computer haben, liegt vor allem an zwei Gründen: (i) im Alltag wollen wir lieber ‚dumme‘ Maschinen, weil sie uns für bestimmte Zwecke klare Erwartungen erfüllen sollen; (ii) zum anderen gibt es nahezu kaum Programmierer, die wissen, wie man ein lernfähiges Programm schreibt. Der Begriff ‚Künstliche Intelligenz‘ (KI) (bzw. Engl.: ‚artificial intelligence‘ (AI)) existiert zwar seit Beginn des Denkens über und Entwickelns von Computern, aber da wir bis heute nur rudimentäre Vorstellungen davon haben, was Lernen beim Menschen bedeutet, weiß keiner so recht, wie er einen Computer programmieren soll, der die Intelligenz von Menschen hinreichend ’nachahmt‘. In einer typischen Informatikausbildung in Deutschland kommt weder Psychologie noch Neurowissenschaften vor. Dazu muss man sagen, dass die Nachfrage nach lernfähigen Computern in der Realität bislang auch gering war (in vielen Filmen über intelligente Maschinen wird das Thema ausgiebig durchgespielt; dort meist negativ besetzt: die ‚bösen‘ Maschinen, die die Menschheit ausrotten wollen).

VERSCHIEDENE SICHTEN DER WISSENSCHAFTEN

13) Im vorausgehenden Schaubild wird aber auch noch etwas anderes angedeutet, was in den vorausgegangenen Sitzungen immer wieder mal anklang: Ich kann den Menschen von verschiedenen Blickpunkten aus betrachten: (NN) Von den Neuronen des Gehirns aus (Neurowissenschaften); (SR) vom beobachtbaren Verhalten aus (Psychologie); (PHN) Von den Phänomenen des Bewusstseins aus (Philosophie, Phänomenologie), oder in Kombinationen: (NN-SR) Neuro-Psychologie; (NN-PHN) Neuro-Phänomenologie; (PHN-SR) Phänomenologische Psychologie. Das Problem hierbei ist (was sehr oft übersehen wird), dass es zwischen den drei Sehweisen NN, SR und PHN keine direkten Verbindungen gibt: Das Neuron als solches sagt nichts über das Verhalten oder über Bewusstseinstatbestände; ein beobachtbares Verhalten sagt nichts über Neuronen oder Bewusstseinstatbestände; ein bewusstes Erlebnis sagt nichts über Neuronen oder beobachtbares Verhalten. Eine Verbindung zwischen diesen verschiedenen Sehweisen herzustellen ist von daher kein Selbstläufer, sondern eine eigenständige Leistung mit hohen methodischen Anforderungen (man sollte nicht überrascht sein, wenn man ein Buch mit dem Begriff ‚Neuropsychologie‘ aufschlägt und man findet auf keiner Seite die entsprechenden methodischen Maßnahmen….).
14) Für das vorgesehene Experiment soll die verhaltensorientierte Sicht der Psychologie als Hauptperspektive gewählt werden. Andere Perspektiven werden nach Bedarf zugeschaltet.

BEWUSSTSEIN DER PHILOSOPHEN, DER PSYCHOLOGEN, der NEUROWISSENSCHAFTEN

15) Ohne auf Details einzugehen sei hier angenommen, dass die philosophische Perspektive eigentlich nur die Kategorie ‚Bewusstsein‘ (‚consciousness‘ (CNSC)) kennt und dazu unterschiedliche Annahmen darüber, warum das Bewusstsein so ist, wie es ist. Die verhaltensbasierte Psychologie hat eine ganze Bandbreite von Denkmodellen entwickelt, die mögliche ‚Funktionen‘ im System beschreiben. Dazu gehören recht umfangreiche Modelle zu unterschiedlichen Gedächtnisformen wie z.B. ‚Sensorisch‘ (’sensorical memory‘, (SM)), ‚Kurzzeitspeicher’/ ‚Arbeitsspeicher‘ (’short term memory‘ (STM)) und ‚Langzeitspeicher‘ (‚long term memory‘ (LTM)). Letzteres mit sehr differenzierten Teilstrukturen). Heutzutage wird eine starke Korrelation zwischen dem philosophischen Konzept ‚Bewusstsein‘ und dem psychologischen Konzept ‚Arbeitsgedächtnis‘ angenommen. Die Neurowissenschaften entdecken immer mehr Funktionale Schaltkreise im Gehirn, die wiederum auf unterschiedliche Weise (Ebenen, Hierarchien) angeordnet sind. So gibt es funktionale Schaltkreise auf einer hohen integrativen Ebene, deren Korrelation mit dem psychologischen Konzept ‚Arbeitsgedächtnis‘ und dem philosophischen Konzept ‚Bewusstsein‘ korrelieren. Doch sind diese Sachverhalte sehr komplex und keinesfalls eindeutig. Für das nachfolgende Experiment spielt dies keine Rolle. Es orientiert sich am beobachtbaren Verhalten und ist bzgl. der internen Mechanismen, die das Verhalten hervorbringen, ’neutral‘.

EXPERIMENTELLER RAHMEN (UNVOLLSTÄNDIG)

16) Der äußere Rahmen des Experiments ist jetzt also eine Welt ‚W‘, in der das lernende System ‚LS‘ irgendwelche ‚Aufgaben‘ lösen muss. Für die Erreichung einer Lösung benötigt das lernende System ‚Wissen‘. Wie dann gezeigt werden soll, reicht Wissen alleine aber nicht aus. Neben ‚Wissen‘ benötigt ein lernendes System auch etwas, wodurch das Wissen ‚bewertet‘ werden kann, andernfalls kann es nicht lernen. Eine Möglichkeit, solche ‚Bewertungen‘ vornehmen zu können, sind ‚eingebaute‘ (‚intrinsische‘, ‚endogene‘, ‚angeborene’…) Zustände, die in Form von ‚Emotionen‘ (im weitesten Sinne wie z.B. ‚Hunger‘, ‚Durst‘ (= Bedürfnisse), ‚Neugierede‘, ‚Angst‘, ‚Schmerzen‘, ‚Lust’……) auftreten und das Verhalten ‚bewerten‘ können.

Fortsetzung folgt….

Die nächsten Termine für eine Philosophie-Werkstatt sind geplant für 8. Februar, 8. März, 12. April, 10. Mai, 14. Juni 2014.

Als Programmvorschlag für 8.Febr.2014 liegt vor:

  • Teil 1: In Gruppengesprächen und Plenum klären, was der Diskussionsstand ist, was fehlt, welche Themen neu addressiert werden sollen.
  • Teil 2: Fortsetzung des Themas: Wie können Emotionen helfen, dem Wissen eine handlungsfähige Struktur zu geben?
  • Teil 3: Philosophische Begründung für ein Kunstexperiment und Realisierung eines Beispiels

Einen Überblick über alle bishrigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

DEMOKRATIE IM ABHÖRTEST (2) – Imperialismus, Tarnkappenpolitik, Aufrüstung, oder nicht ?

1) in einem vorausgehenden Beitrag DEMOKRATIE IM ABHÖRTEST – Nationale Sicherheit, Tarnkappenpolitik, Transhumanismus, und so… hatte ich auf der Basis von mehr als 90 Artikeln am 28.Dez.2013 eine kleine Zusammenschau gewagt im Umfeld Abhören durch die NSA, Reaktionen der Politik und Einschätzung der politischen Situation in der USA. Ich kann nicht sehen, dass sich seitdem irgend etwas Nennenswertes geändert hat.
2) In einem neueren Beitrag von Contanze Kurz mit dem Titel „Vom Mythos der Selbstreinigung“ (FAZ 10.Jan.2014, S.32) versucht sie zwar anhand des historisch berühmten Beispiels von Geheimdienstmissbrauch in der Vergangenheit zu verdeutlichen, dass die Geheimdienste von sich aus sich nicht reformieren werden, aber wer hört ihre Stimme? In Deutschland ist die neue Regierungsmannschaft weitgehend mit sich selbst beschäftigt und in den USA kann man in der offiziellen Politik keine Kräfte erkennen, die sich für das Thema verantwortlich fühlen. Wie Andrea Peterson am 27.Dezember 2013 in der Washington Post zu berichten weiß, hat jetzt ein anderer Richter das Abhören doch wieder für legal erklärt, nachdem zuvor ein Richter dies in Frage gestellt hatte (siehe vorausgehenden Beitrag); dazu erscheinen die Fronten zwischen Demokraten und Republikaner so verhärtet, dass aktuell nicht zu erkennen ist, dass hier noch irgendein sinnvoller politischer Dialog stattfinden kann. Das politische System in den USA erscheint ‚paralysiert‘.
3) Ein aus der Kontrolle geratenes System von Geheimdiensten, die keinerlei Beschränkungen mehr unterliegen und jeden potentiellen politischen Gegner quasi nach Belieben ’neutralisieren‘ können hat in einer solchen Situation nichts zu befürchten.
4) Vor diesem dunklen Bild einer außer Kontrolle geratenen Regierung gibt es in den USA aber zahlreiche beeindruckende Initiativen, Bewegungen. Eine davon ist die Amerikanische Bürgerrechtsvereinigung (American Civil Liberties Union, ACLU), die auf vielfältige Weise und engagiert die Rechte der Bürger gegen die Regierung vertritt (u.a. führt sie offiziell einen Prozess gegen die US-amerikanische Regierung wegen der Abhörtätigkeiten der NSA (siehe unten). Unter anderem hat die UCLA auch die Überlegungen der präsidialen Arbeitsgruppe zur Reform der Geheimdienste kommentiert und konkrete Vorschläge unterbreitet, was bei dieser Reform zu beachten wäre. Sehr bemerkenswert finde ich den Punkt 4. Hier wird ganz klar gesagt (eine Position, die ich hier im Blog auch vertrete), dass die Frage des Abhörens ein grundsätzliches Menschenrecht berührt, das auch jenseits der politischen Grenzen der USA gilt und das dementsprechend auch von einer Behörde eines demokratischen Staates zu respektieren ist. Diese Position der UCLA markiert die Wurzel für die Idee einer nicht nur nationalen, sondern internationalen Bürgerrechtsbewegung, da die Menschenrechte nun mal ihrer Natur nach allen Menschen zukommen. So wenig wie in den USA die Abspaltung der ‚farbigen‘ Bevölkerung von den ‚weißen‘ vor diesem Denken Bestand haben konnte (es brauchte allerdings einen blutigen Bürgerkrieg und einen gewaltsam getöteten Martin Luther King), so wenig kann eine Beschränkung der Bürgerrechte auf nur ein Land bestand haben.
5) Jedes Land auf unserem Planeten Erde kann zu diesem Thema eine lange, und leider meist sehr blutige, Geschichte erzählen. Letztlich laufen die Fäden zusammen bei uns selbst, uns Menschen, in der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, wie wir lernen oder nicht lernen, wie wir unser Leben organisieren, was wir glauben und nicht glauben, zulassen oder verhindern.
6) Angeregt durch das Buch von Tom Engelhardt, The World According To TomDispatch habe ich begonnen, von Jonathan Schell ‚The Unconquerable World. Power, Nonviolence, And the Will of The People‘ zu lesen. Im Kapitel 1 beschreibt er den Aufstieg der Verteidigungssysteme weltweit. Als theoretischen Bezugspunkt für seine Überlegungen benutzt er vornehmlich die Anschauungen von Carl Philipp Gottlieb von Clausewitz (1780–1831) , wie er sie in seinem unvollendeten Hauptwerk Vom Kriege niedergelegt hat.
7) Danach gibt es eine implizite Logik für die Ausgestaltung des militärischen Apparates, die darin gründet, dass militärische Macht als ein Mittel der Politik dazu dienen soll, entweder dem anderen den eigenen Willen auf zu zwingen oder zumindest einen anderen daran hindern zu können, dies umgekehrt zu tun. Jede Gruppierung, die durch eigenes Aufrüsten gepaart mit der Absicht, die eigene militärische Macht auch einzusetzen, bildet für jede andere Gruppierung per se eine potentielle Bedrohung, die nur ’neutralisiert‘ werden kann, wenn man das ‚Gleichgewicht‘ der Kräfte herstellt. Wer ’nicht dagegen‘ hält, stellt eine ‚Einladung‘ für den potentiellen Aggressor dar. Erst mit der Verfügbarkeit der Kernwaffen (und biologisch-chemischen Waffen) erreichte das Aufrüsten einen Punkt, wo ein potentieller Aggressor im Falle eines Krieges seine eigene Existenz riskieren würde. Anstatt dass dann ein ‚Zeitalter des Friedens ausbrach, beobachten wir weltweit eine Fülle von ‚lokalen‘ Kriegen mit ‚konventionellen‘ Waffen, die in ihrer Summe nichtsdestoweniger verheerend sind.
8) Am Ende des ersten Kapitels kann man den Eindruck haben, als ob der Prozess des beständigen Hochrüstens und Krieg Führens etwas ‚Unausweichliches‘ ist, unaufhaltsam. Hier muss man aber einhaken und fragen, ob dies nicht ein gehöriger Schuss ‚Ideologie‘ ist? Denn letztlich ist jegliche Militärtechnologie ein ‚Werkzeug‘, das von Menschen, von uns, genutzt wird. Es sind unsere Entscheidungen, ob und wie wir sie nutzen. Niemand zwingt uns unabwendbar, andere Menschen anzugreifen, Gefangen zu nehmen, zu töten. Letztlich bleibt es unsere Entscheidung. Wenn diese Entscheidung trotz aller Schrecklichkeit dennoch immer wieder und so häufig getroffen wird, dann sollten wir nicht über Kriegstechnologie und immer bessere Waffen diskutieren, sondern darüber, wer WIR Menschen denn eigentlich sind. Warum neigen wir zu diesen Gewaltausbrüchen? Warum sind wir so oft bis zum Rand mit Misstrauen angefüllt? Warum erklären wir so schnell andere zu ‚Feinden‘? usw.
9) Im Prinzip kennen wir die Antworten schon, zumindest zu großen Teilen. Eine mögliche Zukunft der Menschheit wird nicht nur eine verbesserte, leistungsfähigere Technologie brauchen. Wir brauchen dringend auch eine ‚Verbesserung‘ von ‚uns selbst‘. Und die Tatsache, dass seit den Anfängen des Judentums, des Christentums und des Islams diese Religionen auch dauerhaft mit Hass, Verfolgungen, Kriegen, Machtmissbrauch und Unwissenheit vielerlei Arten gepaart waren (nicht nur, aber zu großen Teilen) sollte uns eine Warnung sein, dass diese Art von Religion möglicherweise noch nicht die Religion ist, die wir brauchen, um diese tiefgreifenden Unmenschlichkeiten nachhaltig zu überwinden. Eine Religion, die auch nur ansatzweise zulässt, das andere Menschen verachtet, verfolgt, unterdrückt, getötet werden, ist keine Religion für eine bessere Zukunft. Für solch eine bessere Zukunft sind wir aber berufen; nur dazu sind wir da. Die Bosheit anderer kann niemals eine Ausrede sein, selbst das Gute nicht zu tun.

PS: Zur Metaphysik von Avicenna (Ibn Sina) werde ich demnächst etwas schreiben.

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

QUELLENNACHWEIS (unvollständig)

ACLU (American Civil Liberties Union), The Nine Things You Should Know About the NSA Recommendations From the President’s Review Group, 20.Dez.2013, online:https://www.aclu.org/print/blog/national-security-technology-and-liberty/10-things-you-should-know-about-nsa-recommendations

ACLU (American Civil Liberties Union) vs. Clapper – challenge to NSA Mass Call-Tracking Program, online: https://www.aclu.org/national-security/aclu-v-clapper-challenge-nsa-mass-phone-call-tracking

AFP, Ermittlungen gegen 37.000 Funktionäre in China, FAZ 6.Jan.2014, S.20

Markus Bickel, Auf Unterdrückungskurs (Innenpolitik Bahrein, Sunniten – Schiiten), FAZ 30.Dez.S.6

Timm Beichelt, Von steinen und Glashäusern (Was die EU tun kann, wenn in Mitgliedsstaaten die demokratie in Gefahr erscheint), FAZ 30.Dez.2013, S.7

Ann-Dorit Boy, Revolution und Routine. Seit mehr als 6 Monaten gibt es in Bulgarien täglich Proteste…, FAZ 6.Jan.2014, S.3

Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Berlin: Dümmlers Verlag, 1832, online: http://www.clausewitz.com/readings/VomKriege1832/

Andrea Diener, Abhören auf Chinesisch, FAZ 30.Dez.2013, S.27

dpa/Reuters (ursprünglich ‚Spiegel‘), NSA zapft Datenkabel an, FAZ 30.Dez.S.6

Rainer Hermann, Erfolgspartei mit Grauschleier. Der türkische Ministerpräsident Erdogan und seine AKP haben den Zenit überschritten, FAZ 2.Jan.2014, S.3

Max Horten, Die Metaphysik Avicennas Enthaltend Die Metaphysik, Theologie, Kosmologie Und Ethik. Halle a.S. + New York: Verlag Rudolf Haupt, 1907

Contanze Kurz, Vom Mythos der Selbstreinigung, FAZ 10.Jan.2014, S.32

Robert von Lucius, Todeszone Naher Osten. Die Morde an Journalisten nehmen weltweit zu, FAZ 2.Jan.2014, S.27

Michael Martens, Die letzte Wacht (Zum Machtkampf in der Türkei), FAZ 30.Dez.2013, S.3

Andrea Peterson, The NSA seems to really enjoy exploiting high profile tech companies, WP, 30.Dez.2013, online: http://www.washingtonpost.com/blogs/the-switch/wp/2013/12/30/the-nsa-seems-to-really-enjoy-exploiting-high-profile-tech-companies//?print=1

Andrea Peterson, NSA phone records spying is constituional, judge says. WP, 27.Dez.2013, online: http://www.washingtonpost.com/blogs/the-switch/wp/2013/12/27/nsa-phone-records-spying-is-constitutional-judge-says//?print=1

Michael Reinsch, Die werte des Sports (Diskriminierungen im europäischen Profifußball), FAZ 7.Januar 2014, S.24

Jonathan Schell, The Unconquerable World. Power, Nonviolence, And the Will of The People. New York: Henry Holt and Company, 2003

Michaela Wiegel, Macht und Machenschaften (Senat verhindert Prozess wegen Bestechung gegen Serge Dassault), FAZ 10.Jan.2014, S.32

NACHBEMERKUNG ZUM BUCH VON H.RATH – Und Gott sprach: Wir müssen reden!

Hans Rath, „Und Gott sprach: Wir müssen reden!“, Reinbeck (DE): Rowohlt Verlag, 1. November 2013, ISBN-10: 3499259818, ISBN-13: 978-3499259814

1) Wenn mir meine Schwester MDK ein Buch schenkt mit den Worten ‚Das musst Du lesen‘ und mein Schwager in das gleiche Horn stößt, dann muss ich es natürlich trotzdem nicht lesen, aber in diesem Fall habe ich über die Weihnachtstage angefangen, darin zu lesen, und habe es praktisch in einem Rutsch gelesen.
2) Allein das lässt schon drauf schließen, dass das Buch irgendwie — zumindest für mich — ‚an-sprechend‘ gewesen sein muss. Ein Blick auf die Leserreaktionen zu diesem Buch bei Amazon zeigt, dass es aber offensichtlich vielen so gegangen ist, dass sie das Buch an-sprechend fanden.
3) Ich will jetzt hier nicht das Buch im Detail besprechen — habe seitdem schon wieder zu vieles andere gelesen –, aber ich hatte heute ein Gespräch mit meiner Frau über das Buch, das ein paar Gedanken beförderte, die vielleicht auch andere interessieren könnten.
4) Direkt nach der Lektüre zu diesem Buch hatte ich mich zu folgender spontanen Bemerkung hinreißen lassen: … „Als Philosoph und Theologe war ich überrascht, wie Rath schwergewichtige Themen zur Gottesfrage und Theodizee fantasievoll in Alltagsszenen zu verpacken versteht, die interessante Fragen anklingen lassen, ohne sie dogmatisch zu entscheiden. Während die offizielle Theologie in den meisten grundlegenden Fragen bis heute versteckt hinter komplizierten Sprachgebilden anscheinend orientierungslos herumirrt, scheut sich Rath nicht, den Leser mit manch tiefgründiger Frage zu konfrontieren. Allerdings undogmatisch, locker, fast beiläufig; man muss diese Fragen nicht ernst nehmen, man kann es einfach als Unterhaltung lesen; und doch, wer will, wer einen Rest von Sensibilität für den verborgenen Sinn im Alltag besitzt, der kann sich in dieser scheinbaren Leichtigkeit sehr wohl angesprochen fühlen, kann angeregt werden, darin mehr zu sehen, als man vordergründig sehen ‚muss’…. wer sich wirklich durch diese Sprachspiele mehr angesprochen fühlen sollte als nur im Modus der Unterhaltung, der wird nur durch diesen Text möglicherweise nicht sehr weit kommen. Es ist aber keine leichte Frage, welch alternativer Text denn wirklich weiter führt (mit der kleinen Randbedingung, dass er verstehbar sein sollte!). Ich habe einige hundert Bücher zum Thema gelesen. Vielleicht gibt es nicht ‚das‘ Buch, auch wenn wir es gerne so hätten…. “
5) Angesprochen auf die Frage, was ihr denn besonders aufgefallen sei bei der Lektüre des Buches, meinte meine Frau, dass das Buch für sie deutlich mache, dass eigentlich jedes Ereignis im Alltag bedeutsam sein kann, wenn man es entsprechend aufnimmt.
6) Auch hatte sie das Experiment beeindruckt, wie das Leben gelaufen wäre, wenn man selber nicht geboren worden wäre.
7) Letzteres ist natürlich schwer zu rekonstruieren, da es doch sehr viele Unwägbarkeiten umfasst. Doch bei jenen Entscheidungen im eigenen Leben, bei denen man beteiligt war, kann man zumindest auf ‚Tuchfühlung mit dem Schicksal‘ gehen: warum hat man in der Vergangenheit diese oder jene Veränderung vorgenommen? Wieso kam es zu einer bestimmten Entscheidung? Wenn sich Paare gefunden haben: was waren bei jedem einzelnen die Motive, Gefühle und Visionen?
8) Solche und ähnliche Überlegungen können sehr schnell hineinführen in die Welt des ‚Inneren‘ einer jeden Person. Zwar leben wir mit unserem Körper aktuell immer auch in einer Raum-Zeit-Welt mit realen Objekten, mit realen anderen Menschen, die auf uns auf vielfältige Weise einwirken können und wir auf diese, aber zugleich, in jedem Moment, sind wir eingebettet in eine ‚Wolke‘ von Bedürfnissen, Emotionen, Gefühlen, Stimmungen, interpretierenden Erfahrungen, die uns die Welt in einem bestimmten ‚Licht‘ erscheinen lassen. Jeder hat da seine ‚bevorzugte‘ Interpretation (oder lässt man sich unbestimmt treiben?), die darüber entscheidet, wie man die ‚Dinge bewertet‘: morgens, es wird hell; muss ich aufstehen wegen der Arbeit oder kann ich noch einen Moment liegen bleiben, da es Wochenende ist. Hat der Partner mir die Tasse Kaffee/ Tee einfach so gebracht, weil er/sie mich liebt oder musste ich sie mir selbst holen? …
9) Wenn man sein Leben geändert hat (neue Wohnung, neue Ausbildung, neue Firma, …) gingen diesen Änderungen meist auch ‚innere Prozesse‘ voraus: verschiedenst Gefühle/ Stimmungen ‚gegen‘ das ‚Alte‘ und solche ‚für‘ das ‚Neue‘. Sind diese ‚zufällig‘? Sind sie ‚vernünftig‘? Hat man ausschließlich auf die ‚Umgebung‘ reagiert?
10) Solange man kein klares Bild von seiner ‚inneren Welt‘ hat ist es schwer, zu sagen, ob der Klärungsprozess für eine bestimmte Entscheidung ‚rational‘ war, ‚vernünftig‘, bloß nach ‚Bauchgefühl‘, ‚angstgetrieben‘, ‚fehlgeleitet‘, eine ‚Kurzschlusshandlung‘, ’spirituell erleuchtet‘, oder was auch immer.
11) Die Frage nach einem möglichen Sinn entscheidet sich aber letztlich — wie sonst? — ausschließlich über eine Kette von solchen Entscheidungssituationen, bei denen ja oft (meistens?) auch noch andere Menschen mit deren Entscheidungen beteiligt waren. Wenn allen ihre eigenen Klärungsprozesse ‚unklar‘ sind, ist praktisch kein Sinn erkennbar. Wenn zumindest ein Beteiligter für sich einen ‚Sinn‘ in seinem Entscheiden und Verhalten erkennen kann, dann kann eine Erfahrung von Sinn und ein Reden über Sinn stattfinden. Natürlich ist dies nie ‚zwingend‘, da es letztlich eine ‚Interpretation‘ darstellt. Aber es gibt die Auffassung (sehr verbreitet in den Traditionen der Mystik (und bei Menschen mit viel Lebenserfahrung)), dass es im Bereich des ‚inneren Lebens‘ doch ‚Kriterien‘ gäbe, an denen man erkennen könnte, ob man auf ‚dem richtigen Weg‘ sei. Sollte dies zutreffen, dann wären hier möglicherweise die Ansatzpunkte für eine ‚Grammatik des Sinns‘ auf der Ebene des individuellen Lebens gegeben.
12) Über einen solchen ‚empirisch fundierten Sinn‘ gäbe es dann möglicherweise auch eine ‚Bindeglied‘ zu dem ansonsten schwer fassbaren Begriff ‚Gott‘. Was man sich unter ‚Gott‘ (jede Sprache hat ihre eigenen Bezeichnungen für das deutsche Wort ‚Gott‘: ‚deus‘, ‚elohim‘, ‚jhw‘, theos,…) vorstellen soll, ist nirgendwo definiert. Sofern es aber eine ‚Sinnerfahrung‘ auf der individuellen Ebene gibt, tangiert dieser Sinn irgendwie das Konzept Gott, da ‚Sinn‘ sich mit eben solch einer ‚wie auch immer gearteten Gott-Existenz‘ verknüpfen kann (nicht notwendigerweise muss).
13) Genauso, wie wir heute unser ‚Bewusstsein‘ besser verstehen können, weil wir das Gehirn besser verstehen, das diese Bewusstseinserfahrungen zumindest mit-verursacht, genauso kann man auch den individuellen Sinn besser verstehen, wenn man die umgebenden ‚Großprozesse‘ besser versteht, in denen wir als Lebewesen vorkommen. Die biologische Evolution hat sowohl unser Gehirn mit unserem Bewusstsein mit hervorgebracht genauso wie unsere gesamte Lebensform durch diesen Prozess entstanden ist. Wir sind keine isolierten verlorenen Punkte in der Raum-Zeit, sondern ‚Ergebnisse von komplexen Prozessen‘, Teile solcher Prozesse und zugleich ‚Hervorbringer‘ solcher Prozesse. Der individuelle Sinn lässt sich nicht von diesem Gesamtprozess ablösen. Genau sowenig wird man ‚Gott‘ (was immer damit ansonsten gemeint sein mag) verstehen können, wenn man diesen Prozess als solchen nicht versteht.
14) Dies alles vorausgesetzt entsteht ein gewisses ‚Paradox‘: einerseits ‚verschwindet‘ das Individuelle als Teil des Gesamtkontextes; andererseits realisiert sich der Gesamtprozess auch und wesentlich durch das ‚Innenleben‘ der beteiligten Akteure. Ein menschlicher Akteur kann sich im Grenzfall ‚verweigern‘ durch ‚Nichtstun‘, durch ‚Anderes Tun‘, durch ‚Freitod‘. Indem ein Mensch etwas ‚anderes‘ tut als von ihm ‚erwartet‘ wurde, kann er lokal den Prozess verändern. Beispiele dafür, dass dies zu nachhaltigen Veränderungen ganzer Gesellschaften geführt hat gibt es mehr, als man denkt. Nur einige wenige prominente Beispiele: Jesus von Nazareth, Mohammed, Galilei (und Co), Goedel und Turing, Gandhi, M.L. King, osteuropäische Revolutionen von 1989, Mandela, …. Weil diese Menschen in ihrem ‚Innenleben‘ Dinge gedacht und Gefühle zugelassen haben, die von dem allgemeinen Stil ‚abwichen‘ (= Kreativität! Politisch unkorrekt!…) , haben sie ihren Alltag verändert, und ihr Alltag hat wieder den Alltag anderer Menschen verändert, usw.
15) Wenn es einen ‚höheren/ größeren/ übergreifenden… Sinn‘ geben sollte, er kann sich nur über das Verhalten der Akteure realisieren, sofern sie ‚innere Freiheitsgrade‘ haben. Dabei sollten wir nicht vergessen, dass alle Akteure aus ‚Materie‘ bestehen, die wiederum nur eine ‚Zustandsform von Energie‘ ist, und die Energie des Universums — soweit wir heute wissen — besitzt alle denkbaren Freiheitsgrade……ein konkretes Universum wie unseres stellt in diesem Kontext mindestens eine ‚Information‘ im Sinne der Shannonschen Informationstheorie dar (z.B. ‚hochunwahrscheinliche Kombination‘), möglicherweise aber auch eine ‚Bedeutung‘ im Sinne eines semiotischen Prozesses….
16) Zu welchen Gedanken die Lektüre eines Buches mit anschließendem Gespräch so führen kann …

Einen Überblick über all bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

BLOG – IN EIGENER SACHE (3)

ENTSCHULDIGUNG…

Ja, fast möchte ich um Entschuldigung bitten, dass sich so schnell schon wieder einen Eintrag ‚in eigener Sache‘ mache (der letzte war jener:
BLOG – IN EIGENER SACHE (2)). Aber die Jahreswende 2013 zu 2014 überschneidet sich mit mit einem Umbruch im Umfeld des Blogs.

UMBRUCH IM UMFELD

Was die Leser dieses Blogs betrifft, ist es schwer zu sagen, ob und wie der Blog sie betrifft und verändert; es werden nur beständig mehr. Was mich als bisherigen Autor betrifft, so kann ich sagen, der Blog hat mich im Laufe der Jahre verändert, sehr verändert. Zwei von diesen Auswirkungen möchte ich hier bekannt geben, da Sie auch allen anderen offenstehen; mehr noch, ich lade hiermit offiziell ein, sich zu beteiligen (wie auch natürlich weiterhin jeder eingeladen ist, durch Kommentare oder eigene Beiträge bei diesem Blog mit zu wirken).

KÜNSTLERLABEL ‚cagentArtist‘

Wie mancher Leser bemerkt haben wird, erwähne ich im Blog immer wieder — und immer mehr — auch die ‚Kunst‘ als jene Verhaltensweise, die abseits der eingefahrenen Bahnen von Alltag und Wissenschaft wesentlich dazu beitragen kann, die Erkundung dieser Welt durch ein verändertes Verhalten zu vertiefen, zu erweitern (Kunst hier also nicht als ‚Kunstfertigkeit‘, so sehr dies in sich beeindrucken kann, sondern als andere Weise des Umgangs mit Wirklichkeit).

Dazu muss man wissen, dass ich selbst mich lange Zeit nicht als Künstler verstanden hatte. Parallel zum Blog, sogar noch einige Monate früher, hatte ich aber, ein anderes ‚Experiment‘ gestartet, das unter dem Label ‚Radically Unplugged Music (RUM)‘ lief. Es war der Versuch, einen Zugang zur Welt der Klänge finden zu können ohne besonders musikalisch zu sein, ohne Instrumente spielen zu können (ein bisschen Violine und Gitarre), ohne Musiktheoretische Ausbildung, ohne eine brauchbare Stimme, ohne …. vor allem ohne Zeit zu haben, etwas zu üben oder Stücke lange zu bearbeiten. Nach ca. 6 Jahren und über 340 aufgenommenen Musikstücken würde ich sagen, es ist mir gelungen, mein Hören zu verändern, mein Gestaltung von Klangereignissen; ich kann nach Wunsch komplexe Musikstücke erzeugen (habe sogar einige Musikvideos produziert, just for fun; sehr anregend; aber hier fehlte dann einfach die Zeit für mehr….). Sicher, die Klänge sind nicht unbedingt etwas für jedermann, aber diese Experimente haben mich in gewisser Weise dazu gebracht, meine Existenz auch aus der Perspektive eines künstlerischen Verhaltens betrachten zu können. Mir ist klar geworden, dass ein ‚Bündnis‘ zwischen Philosophie, Wissenschaft und Kunst nicht nur möglich ist, sondern von der ureigenste Intention und Sache her geradezu notwendig ist.

Ich habe daher einen weiteren Blog ‚gegründet‘, einen ‚kooperierenden‘ Blog, den ich — in ermangelung einer besseren Idee‘ — cagentArtist genannt habe, also der ‚cagent‘ von diesem Blog plus der Kunst (‚art‘, ‚artist‘). Im Rahmen dieses Blogs sollen die Ideen von cognitiveagent.org auf künstlerische Weise variiert, weiter untersucht, tiefer entwickelt usw. werden. Die dort angegebenen Ausdrucksformen/ Vermittlungsformen/ Kommunikationsformen sind grobe Eckwerte. Jeder ist eingeladen, dort mit zu wirken. Im Falle von ‚cagentArtist‘ ist auch nicht ausgeschlossen, dass sich das Konzept mit einer kommerziellen Komponente verknüpft (eShop?), um Gelder für die Unterstützung gewinnen zu können. Aber auch dort soll es primär um die Sache der Erkenntnis, des Lebens, von tragfähigen Zukunftskonzepten für uns alle gehen. ‚Kommerz an sich‘ gibt es genug; wir brauchen ein Interesse am Leben selbst, realisiert von denen, die ‚lebendig sind‘ und ein Gespür für das ‚Kosmische Humanum‘ haben oder entwickeln wollen. Das Leben muss sich praktisch für sich selbst interessieren; keine Ersetzung von Leben durch Automaten, sondern Erweiterung des Lebens durch Automaten… das ist nicht dasselbe.

WISSENSCHAFTSPROJEKT ‚uffmm.org‘

Seit ca. 12 Jahren betreibe ich eine Webseite, die mit einer großen ‚Vision‘ anfing, sich dann aber unter den Bedingungen des Alltags auf das fokussiert hat, was all die Jahre mein ‚Kerngeschäft‘ war (und noch ist), Vorlesungen und Forschungen im Umfeld verschiedener Themen zu organisieren.

Ursprünglich stand uffmm für ‚University for the Future of Modern Mankind‘ (größer geht’s natürlich kaum, aber man darf ja mal träumen :-)). Während ich keine Gelegenheit gefunden habe (auch wegen noch anderer Projekte), diese Vision auszufüllen, ist aber Wikipedia entstanden; das Wikipedia-Projekt kommt dieser Vision sehr nahe und ist in seiner Art mit Sicherheit unvergleichlich (verschiedene Versuche von Verlagen oder Professorenzirkel, daneben eigene ‚privilegierte Wissenszirkel‘ aufzubauen, halte ich für schlechte Strategien und haben bislang in der Regel nicht wirklich Mehrwerte erzeugen können; allerdings könnte Wikipedia sich noch weiter entwickeln….).

Nachdem ich in den vergangenen Jahren berufsbedingt mehr als nur ein Thema betreuen musste, möchte ich mich in den kommenden Jahren mehr und mehr auf ein Thema konzentrieren, das nach meiner Einschätzung das zentrale Forschungsthema der nächsten Jahrzehnte sein wird: die Entstehung eines künstlichen Geistes, der mindestens so viel kann, wie der ‚Geist‘ den wir am Beispiel des Menschen zu erkennen meinen.

Dieses Thema bewegt die Literatur besonders die Science-Fiction Literatur seit mehr als 100 Jahren, mehr und mehr aber auch viele Filme, Comics, und zunehmend unseren Alltag. Dabei fällt ein krasses Missverhältnis auf zwischen dem, was in den Filmen als selbstverständlich möglich vorausgesetzt wird und dem, was wir bislang technologisch tatsächlich können. Tatsache ist, dass wir alle wirklich intelligenten Eigenschaften noch nicht beherrschen.

Zugleich gibt es quer durch alle Medien die Befürchtung, dass die ‚intelligenten Maschinen‘ uns Mensch ‚ersetzen‘ werden bis dahin, dass sie aktiv gegen uns ‚Krieg‘ führen werden (bisher, das sollten wir nie vergessen, sind wir selbst es, wir Menschen, die Kriege gegen andere Menschen führen, und wir instrumentalisieren Technologie zu diesem Zweck!). Zugleich haben wir eine große Kluft zwischen dem, was man in der Öffentlichkeit weiß und den vielen Forschungslabors weltweit, die — meist finanziert vom Militär oder Geheimdiensten — an jenen Technologien arbeiten, die einen vermeintlichen strategischen Vorteil gegenüber den vermeintlichen Feinden bringen sollen (würde man darin investieren, Freunde zu gewinnen, wäre dies nicht nur billiger, sondern noch weit produktiver; aber dazu bräuchte man ein politisches Bewusstsein, das vielen Regierungen dieser Erde abgeht).

Ich habe daher beschlossen, aus den Forschungen zur Entstehung eines ‚menschengleichen‘ künstlichen Geistes ‚öffentlich‘ zu machen. Ich werde versuchen, im Laufe des Jahres 2014 eine öffentliche Forschungsplattform aufzusetzen, über die alle zuschauen können, wie solch ein künstlicher Geist entsteht. Jeder kann mit diskutieren, jeder kann mitarbeiten; das ist das Ziel. Zur Zeit sammle ich Kooperationspartner und Gelder, um dies zu realisieren. Allerdings, auch ohne zusätzliches Geld werden wir zeigen, wie dies geht. Denn um einen künstlichen Geist herzustellen braucht man nur ein funktionierendes Gehirn, einen Laptop, viel Wissen und genügend Zeit (das 1 Milliardenprojekt der EU mit dem künstlichen Gehirn ist in meinen Augen nicht völlig sinnlos, aber fast…). Die größten Wahrheiten sind immer die einfachsten …..

OK

Ich hoffe, dass es jetzt mit den Mitteilungen in eigener Sache bis auf weiteres genug ist. Die Sache des Lebens steht im Vordergrund, unser Leben. Wenn wir selbst uns nicht ernst nehmen, wer soll es dann tun?????????

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeiträge nach Titeln findet sich HIER.