Archiv für den Tag: 25. Mai 2014

NOTIZ: VON DEN KLISCHEES ÜBER DIE JESUITEN ZUR MODERNEN WERTEGEMEINSCHAFT? – Zu einem Film von A.Sawall über die Jesuiten, Phoenix Sa 24.Mai 2014, 20:15h

EINEN FILM ANSCHAUEN

1. Am Samstag 24.Mai 2014 fragten uns Freunde, ob wir mit Ihnen einen Film über die Jesuiten anschauen möchten zwecks anschließender Diskussion. Er hatte den Titel Die geheime Macht der Jesuiten. Verschwörer oder Heilige? von Andreas Sawall. So spontan die Anfrage war, so spontan war die Zusage.

KLISCHEES ÜBER DIE JESUITEN

2. Es scheint, dass die historisch erstmalige Ernennung eines Jesuiten zum Papst Franziskus zu diesem Filmbericht animiert hatte. Die seit Jahrhunderten kursierenden Verschwörungstheorien über die Jesuiten als geistige Giftmischer, Erfinder des absoluten Kadavergehorsams und der Jesuitenmoral bildeten weitere Aufhänger für diesen Bericht.

3. Der Bericht folgt den bekannten Klischees über die Macht (und deren möglichen Missbrauch) durch die Jesuiten im Laufe der Jahrhunderte.

4. Ein Buch aus dem Jahr 1614 – 80 Jahre nach der Ordensgründung erschienen – steht im Zentrum vieler Verschwörungstheorien: Die ‚monita secreta‘, die ‚geheimen Anweisungen‘. Ein Jesuitengeneral soll sie als Anleitung geschrieben haben, um den Orden mit allen Mitteln an die Macht zu bringen: Lüge, Intrige, Manipulation – in dieser lateinischen Schrift sind alle möglichen dubiosen Methoden der Jesuiten beschrieben. Der Filmbeitrag macht deutlich, dass es sich bei dieser so einflussreichen Schrift nach heutigem Kenntnisstand um eine gezielte Fälschung handelt.

5. Auch eine andere immer wiederholte Anklage gegen die Jesuiten, dass sie bei dem ‚Pulverattentat‘ gegen den König von England (1605) führend beteiligt gewesen sein sollen, wurde in der Sendung aufgrund neuer historischer Analysen als sehr wahrscheinliche Fälschung belegt.

GROSSE LEISTUNGEN, SPIRITUALITÄT

6. Es wurden exemplarisch die großen Leistungen der Jesuiten in der ganzen Welt angesprochen (ausführlicher nachlesbar sowohl in der deutschen Wikipedia (Jesuiten) wie auch in der Englischen Wikipedia (Jesuits).

7. Nicht ganz klar wurde, warum genau es im 18.Jahrhundert dann zu Verfolgungen und Aufhebungen der Jesuiten kam, bis hin zur vollständigen Aufhebung durch den Papst Clemens XIV. 1773. Die Rolle des Papstes war hier wenig schmeichelhaft.

8. Das wahre Geheimnis der Jesuiten ist ihre Spiritualität, die vor allem am Buch der Ignatianischen Exerziten festgemacht wurde. Allerdings, bedenkt man, dass dieses Buch für erfahrene Begleiter gedacht war, die schon ausreichend Erfahrung mit Exerzitien hatten, war im Film das bloße Zitieren einiger Gedanken aus diesem Buch wenig hilfreich. Es unterstützte eher nur gewisse Klischees, statt den potentiell revolutionären Ansatz der Exerzitien (Als Text hier herunterladbar) sichtbar zu machen.

GEISTIGER LEBENSWEG DES ORDENSGRÜNDERS ALS SCHLÜSSEL

9. Will man die Exerzitien verstehen, dann muss man sich den geistlichen Lebensweg des Ignatius von Loyola anschauen, wie er in seinem (gegen Ende seines Lebens) diktierten geistlichen Werdegang unter dem Titel Bericht des Pilgers vorliegt. Über ein paar Klischees kommt der Filmbericht aber leider nicht hinaus. Nähere und tiefere Analysen könnten aber aufzeigen, dass Ignatius von Loyola (ohne dass er sich selbst zu seiner Zeit dessen bewusst war noch bewusst sein konnte) mit seiner ‚Unterscheidung der Geister‘ eine Methode gefunden hatte, wie jeder Mensch weltweit und zu jeder Zeit seine persönliche Beziehung zu Gott klären und vertiefen kann. Methodisch unterscheidet sich diese Methode in nichts von modernen psychologischen Methoden der Selbstfindung.

10. Der radikal subjekt-akzeptierende Ansatz der Unterscheidung der Geister hatte vom Ansatz her eine gewisse Nähe zu den damals aufbrechenden neuen Strömungen im Umfeld des europäischen Humanismus, der Reformation sowie den beginnenden empirischen Wissenschaften. Wie Werner Löser, deutscher Jesuit und Theologe in der philosophische-theologischen Hochschule Sankt Georgen (in Frankfurt am Main), in einem Artikel ‚Die Regeln des Ignatius von Loyola zur kirchlichen Gesinnung – ihre historische Aussage und ihre aktuelle Bedeutung‘ in der Zeitschrift Geist und Leben 1984 herausgearbeitet hatte, war Ignatius von Loyola schon sehr früh mit dem humanistischen Gedankengut vertraut. Unter dem Eindruck beständiger Verdächtigungen seiner Person von der kirchlichen Inquisition und auch wohl im Lichte seines Kirchenverständnisses hat er aber – nach Löser – die im Konzil von Paris 1529 veröffentlichen Sätze gegen Erasmus von Rotterdam in seinen Regeln zum rechten Gespür mit der Kirche, übernommen.

PROBLEMATISCHES KIRCHENBILD

11. Es sind vor allem zwei Kerngedanken, die nicht nur damals, sondern alle Jahrhunderte hindurch bis heute das Bild der Jesuiten von außen so negativ geprägt haben, dass ihr anderer Beitrag, jener der radikalen Offenlegung der persönlichen Gottesbeziehung und des daraus entspringenden umfassenden Engagements für die Menschen, oft in den Hintergrund getreten ist. Diese finden sich in den Regeln Nr.1 und Nr.13 wieder. In diesen wird die konkrete hierarchische Kirche gesehen als vom ‚gleichen Geist geleitet wie Jesus selbst‘. Daraus folgt dann, dass, was auch immer der Einzelne in seiner subjektiven Gottesbeziehung erkennen mag, wenn diese vom göttlichen Geist geleitete Kirche sagt, es sei weiß, obwohl man selbst es als schwarz sieht, dann ist es eben weiß.

12. Dieses Prinzip ist rational kaum zu widerlegen, da es selbst nicht rational ist. Es setzt eine Glaubenseinstellung voraus, die nicht nur aus dem Menschen Jesus von Nazareth einen Sohn Gottes macht (rational nicht ableitbar), sondern die auch noch eine Vereinigung von Menschen, deren einzelne Mitglieder ganz offensichtlich begrenzt und fehlerhaft sind, als – im Sinne des Glaubens – ‚unfehlbar‘ annimmt, egal, was diese Gemeinschaft in Gestalt ihrer Hierarchie sagt und tut.

WAHRHEIT AUSSERHALB DER KRICHE

13. Im Bereich der menschlichen Erkenntnis durften wir erleben, dass – quasi zeitgleich mit Ignatius von Loyola und dem Jesuitenorden – sich die modernen empirischen Wissenschaften entwickelt haben. Galilei war den Jesuiten nicht nur bekannt, sondern sie waren als Wissenschaftler und Astronomen mit ihm im Gespräch. Es heißt sogar, dass sie seine Ansichten als richtig angesehen haben. Dennoch wurde Galilei von der Kirche gezwungen, seine Erkenntnisse zu widerrufen und für den Rest seines Lebens unter Hausarrest gestellt. Erst 1822 erteilte die Kirche eine offizielle Druckerlaubnis auf das damals umstrittene Werk und 1992 wurde Galilei formal rehabilitiert.

14. Zwar wissen wir heute, dass die empirischen Wissenschaften zu allen Zeiten von verschiedenen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen instrumentalisiert wurden und auch heute noch werden (in welchem Land dieser Erde kann heute Wissenschaft wirklich frei und offen forschen?), dennoch hat die moderne Wissenschaft es immer wieder und nachhaltig geschafft, herrschende falsche Bilder und Meinungen zu korrigieren und unser Bild von der Welt weiter voran zu bringen. Das Geheimnis des Erfolgs ist die radikale Transparenz und ein experimentell verankerter Wahrheitsbezug. Während also die ’säkulare‘ Gesellschaft gelernt hat, der ‚Wahrheit‘ in einem radikalen Sinne zu dienen, erweckt die katholische Kirche immer noch den Eindruck, Wahrheit nach ’nicht rationalem Gutdünken‘ zu verwalten. Dies ist nicht nur nicht der Geist der Moderne, sondern es ist radikal anti-modern.

DEMOKRATISIERUNG DER MACHT

15. Parallel zur modernen Wissenschaft haben wir zugleich lernen können, dass die Aufgabe einer absolutistischen Monopolisierung der Macht nicht notwendigerweise zum Untergang führen muss, sondern dass – im Gegenteil – moderne demokratische Gesellschaften ein Wertesystem definieren und praktizieren können, dass deutlich über religiös motivierte und erlaubte Wertesysteme hinausreicht. Während die großen Religionen bis heute ein Problem mit der Existenz anderer religiöser (und weltanschaulicher) Anschauungen haben, haben die modernen demokratischen Gesellschaften solche Ein- und Abgrenzungen konstruktiv überwunden und einen Lebensraum geschaffen, in der alle Anschauungen leben können, solange sie andere nicht schädigen. Darüber hinaus hat die moderne Wissenschaft in diesen Gesellschaften – zumindest dem Buchstaben nach – eine privilegierte Rolle bei der Offenlegung der ‚Wahrheit dieser Wirklichkeit‘.

ZUKUNFT DER JESUITISCHEN SPIRITUALITÄT

16. Nimmt man all dies in den Blick, kann man die Frage aufwerfen, ob die radikale jesuitische Spiritualität (die die Jesuiten selbst aber nach der Gründergeneration auch für Jahrhunderte verloren hatten) nicht eine noch erheblich größere Wirkung hätte entfalten können, hätte sie sich nicht mit einem antimodernen, wahrheits- und menschenfeindlichen Kirchenbild bedingungslos verbunden.

17. Der aktuelle Papst, ein Jesuit, von vielen bewundert, da er sich rein äußerlich von einigen Insignien traditioneller päpstlicher Herrlichkeit verabschiedet hat, lässt bislang nicht erkennen, dass er das antimodernen, wahrheits- und menschenfeindlichen Kirchenbild grundsätzlich ändern möchte. Mit etwas ärmlicher Folklore kann man massenwirksame Aufmerksamkeit erregen, aber die grundlegenden geistigen Auseinandersetzungen mit einem – möglicherweise falschen – Wahrheitsideal sieht anders aus. Wer tatsächlich an einen ‚lebendigen wirkenden Gott‘ in allem glaubt, der muss sich eigentlich nicht ängstlich um politische Macht und Geld sorgen, allerdings um die richtige Erkenntnis, und die gründet bislang noch immer in der Subjektivität des einzelnen, der sich aus freien Stücken mit anderen zusammenfindet. Die dazu notwendigen ‚Regeln zur Unterscheidung der Geister‘ hat ein Ignatius von Loyola ansatzweise bekannt gemacht, aber eine wahrheitsfeindliche kirchliche Kurie hatte sie ihrer Modernität beraubt, jener Modernität, die in dieser Welt Menschenrechte, Demokratie und Wissenschaft möglich gemacht hat, gegen den Geist einer Institution, die den Namen Gottes für sich beansprucht, ohne die Weise Gottes zu akzeptieren.

18. Es bleibt offen, wie sich das Projekt einer wahrheitssuchenden und liebenden menschlichen Gesellschaft weiter entwickeln wird. Eine Kirche — nicht nur eine katholische –, die hinter dem Wertekanon einer neuzeitlichen Wissenschaft, hinter Menschenrechten und hinter einer Demokratie zurückbleibt, erscheint nicht als Hoffnungsträger und kann das Bild Gottes möglicherweise mehr verdunkeln als erhellen.

Einen Überblick über alle Blogeinräge nach Titeln findet sichHIER.