Archiv für den Tag: 23. August 2014

AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 1

VORGESCHICHTE

1. In einem vorausgehenden Beitrag Avicennas Metaphysik hatte ich meine erste Begegnung mit der Person und dem Werk Avicennas (Ibn Sina (980 – 1038)) geschildert. Nach einer ersten begeisterten Lektüre der ersten 100 Seiten gab es aber dann eine lange Unterbrechung; andere Dinge mussten getan werden und forderten meine ganze Kraft.

TEXT ÜBER LOGIK

2. Immerhin ist es mir in dieser Zeit gelungen, die englische Übersetzung eines Werkes von Avicenna über die Logik zu bekommen, eingeleitet und kommentiert von Faran Zabeeh (siehe Quellenangabe unten). Dieser Text lag seitdem die ganze Zeit auf meinem Nachttisch, um gelesen zu werden. Heute habe ich beschlossen, es mit der Lektüre zu versuchen.

GLAUBE UND WISSEN

3. In der vierseitigen Einleitung zum Text über die Logik ordnet Zabeeh Avicenna der Gruppe der islamischen Philosophen zu, die sich aus vielen verschiedenen Nationen rekrutieren. Ein gemeinsames Charakteristikum dieser islamischen Philosophen war es (hierin vergleichbar auch den christlichen Philosophen), die griechische Philosophie – vornehmlich Aristoteles (384-322 v. Chr.) – mit den Grundaussagen ihrer Religion entweder zu ‚harmonisieren‘ oder zu ‚verurteilen‘.

4. Zabeeh erwähnt beispielsweise einen Landsmann von Avicenna, den Theologen Ghazali (1058 – 1111), der sich z.B. die Frage stellte, wie man die religiöse Lehre der ‚Schöpfung aus dem Nichts‘ mit der griechischen Auffassung versöhnen könnte, das ‚Aus Nichts nichts entstehen kann‘. Ein anderer Punkt war die Verträglichkeit des Glaubens an ‚Wunder‘ mit dem Anspruch ‚wissenschaftlicher Erklärung aus Gründen‘, also ganz allgemein: das Verhältnis von ‚Glauben‘ und ‚rationale Vernunft‘ (Englisch: ‚reason‘). Ghazali selbst vertrat die Auffassung, dass eine Versöhnung zwischen Glauben und rationaler Vernunft letztlich nicht möglich sei, was schlecht sei für den Glauben.

5. Eine Gegenposition zu Ghazali wurde von dem spanischen (islamischen) Philosophen Averroes (Ibn Ruschd (1126 – 1198)) repräsentiert. Er sah eine Vereinbarkeit zwischen Aristoteles und dem Glauben dadurch, dass er die religiösen Texte nicht ‚wortwörtlich‘ interpretierte, sondern in ihnen auch eine ‚allegorisierende‘ Darstellungsweise sah, die einen breiteren Interpretationsspielraum bietet.

6. [Anmerkung: Averroes nimmt mit dieser Position eine spätere Entwicklung in der christlichen Bibelwissenschaft vorweg, die ca. 750 Jahre später damit begonnen hatte, die biblischen Texte von ihrer historischen Entstehung her kritisch zu lesen, und dann, auf dieser neu gewonnenen kritischen Basis, neu interpretieren zu können. Mit dieser ‚kritischen‘ Bibelwissenschaften wurde der Blick frei für das größere Ganze und viel weitreichenderen Interpretationen, als sie bis dahin möglich waren. Damit begann eine neue Theologie und eine Versöhnung von Glauben und Wissen wurde unbeschränkt möglich. Allerdings kam diese Entwicklung dann irgendwie wieder zum Stillstand, da ab ca. 1970 die gesellschaftliche Bedeutung der Religionen in den westlichen Ländern kontinuierlich abnahm und es immer weniger Wissenschaftler gab, die sich dieser Aufgabe auf hohem Niveau widmeten.]

WELTANSCHAULICH NEUTRAL: LOGIK

7. Neben den verschiedenen philosophischen Disziplinen Erkenntnistheorie, Metaphysik, Politik und Ethik, die alle irgendwie direkt in Wechselwirkung zu religiösen Auffassungen treten konnten, gab es eine Disziplin, von der selbst ein philosophie-kritischer Theologe wie Ghazali sagte, sie sei weltanschauungsmäßig neutral: die Logik.

8. Zur antiken Logik (Lateinisch: ‚logica vetus‘) gibt es in der deutschen Wikipedia einen sehr guten ersten Überblick.

9. Während die meisten islamischen Philosophen und Wissenschaftler sich – wie auch die christlichen – im Kommentieren und Interpretieren der aristotelischen Texte erschöpften, soll Avicenna streckenweise eine eigenständige Position bezogen haben (vgl. Zabeeh, S.3). Die vorliegende Abhandlung ‚Danesh-Name Alai‘ ist einer von vier Texten, in denen Avicenna über Logik schreibt; sie alle ähneln sich sehr. Der vollständige Text von ‚Danesh-Name Alai‘ ist eine komplette Enzyklopädie mit den Themenbereichen ‚Logik‘, ‚Metaphysik‘, ‚Naturphilosophie‘, ‚Geometrie‘, ‚Astronomie‘ und ‚Musik‘. Im vorliegenden Text geht es nur um den Teil der Logik.

AVICENNA (AUTO-)BIOGRAPHIE

10. Es folgt dann eine Übersetzung der Autobiographie von Avicenna, vollendet von seinem langjährigen Schüler Abu-Abid Gorgani. Lässt man die Details weg, dann zeigen sich folgende große Linien. (i) Aufgrund der herausgehobenen Position seines Vaters konnte Avicenna sich von ’sehr frühen Jugendjahren an‘ bis zu seinem 21.Lebensjahr vollständig dem Lernen und Experimentieren widmen, dies unterstützt durch sehr kundige Lehrer und fürstlichen Bibliotheken. So kam es, dass er (ii) schon mit 18 Jahren von sich sagen konnte, er habe alle Wissenschaften vollständig gelernt, hatte in dieser Zeit auch schon mehrere Bücher verfasst und begann dann (iii) ein Leben als hoher Beamter und Mediziner an verschiedenen Fürstenhäusern. Obgleich er immer sehr belastet war, setzte er seine Studien kontinuierlich (meist Nachts) fort und schrieb eine Unzahl von Büchern, oft mehrbändig.

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QUELLEN

Avicenny, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.

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