Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 0

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll

Letzte Änderung: 28.Juli 2015

Zuruf an den Leser

Lieber Leser,

während ich diesen Text schreibe, kenne ich Dich nicht, nicht direkt.

Vermutlich haben wir noch nie direkt miteinander gesprochen (… mit den berühmten Ausnahmen).

Du bist älter, oder jünger als ich;
Mann oder Frau oder irgendetwas anderes, was nicht Mann oder Frau ist.

Du bist hochspezialisiert oder vom Leben gebildet,
lebst in Deutschland oder irgendwo in Europa oder fern ab (von mir aus gesehen).

Du hast dein Auskommen, bist Millionär, Milliardär oder bettelarm;
du musst hungern, hast kein sauberes Wasser, kein eigenes Zuhause.

Du verstehst meine Sprache direkt oder nur in Übersetzungen.
Du hast Hoffnung in Dir oder Verzweiflung, ein Lächeln auf den Lippen oder bist depressiv, tief betrübt; alles hat keinen Sinn mehr für Dich.

Du freust Dich an den Farben und Landschaften, oder bist blind, lauscht den Geräuschen der Welt um Dich herum.

Du liegst im Bett, schwach, mit Schmerzen, bist auf andere angewiesen, wirst aus diesem Bett nie wieder aufstehen.

Dein Rücken schmerzt hoch auf dem Sitz deines Trucks, mit Klimaanlage und Stereosound; vor und hinter Dir nur Straßen mit Autos; vielen Autos.

Deine elektrische Säge schneidet tief in das Fleisch von Tieren, die gerade noch lebendig waren, jeden Tag, Du mittendrin; nur blutiges Fleisch.

In Bergen von Müll stapfst Du herum, um verwertbare Reste zu finden, giftiger Müll aus Europa; die wollen ihn nicht.

Dein Chauffeur fährt Dich in einen Palast aus Glas und Beton; deine Schuhe kosten 3000 Euro.

Diese Liste lässt sich endlos verlängern.

Die Leser sind so verschieden, und haben doch etwas gemeinsam: Sie sind Menschen auf dieser Erde, jetzt, in diesem Augenblick in dem jemand diesen Text liest. Sie finden sich in diesem Leben vor, weil sie ohne eigenes Zutun in diese Welt hineingeboren wurden. Sie gehören zu einer Gattung homo sapiens, die vor ca. 200.000 Jahren aus Afrika ausgewandert ist; ihre Spuren verlieren sich im Dickicht der phylogenetischen Erzeugungslinien. Je weiter zurück umso mehr wird ein dramatischer Verwandlungs- und Entwicklungsprozess deutlich, auf dem Land, aus dem Meer aufs Land, in der Luft, im Meer, viele Jahrmillionen unter Eis, auf driftenden Erdteilen, seit mindestens 3.8 Milliarden Jahren.

Ja, das sind wir, Boten eines Lebensereignis auf diesem Planeten Erde, den sich niemand selbst ausgesucht hat.

Und dann sitzen wir heute im Bus, in der Bahn, im Klassenraum, im Großraumbüro, arbeiten in der Fabrikhalle, auf dem Mähdrescher, lauschen im Konzertsaal, laufen täglich in unserem Rad, und niemand fragt sich mehr ernsthaft: Warum bin ich hier? Wozu? Was soll das alles? Was ist mit all dem anderen?

Im ganzen bekannten Universum haben wir bislang nichts gefunden, was auch nur annähernd dem gleicht, was wir auf dieser Erde ‚Leben‘ nennen; nichts, radikal nichts, obwohl so viele davon träumen und fantasieren, dass es doch ‚da draußen‘ auch noch anderes ‚Leben‘ geben müsste. Vielleicht gibt es das tatsächlich. Das bekannte Universum ist so groß, dass es ‚rein theoretisch‘ so sein könnte …

Bis dahin sind wir die einzigen Lebenden im ganzen bekannten Universum. … und dieses Leben ist weiterhin fleißig dabei, die Erde zu ‚kolonisieren‘; Leben beutet Leben aus, ohne Gnade.

Wir pflügen die Erde um, buchstäblich,
reißen und brennen Jahrtausende alte Wälder nieder,
vergiften die Böden und das wenige kostbare Trinkwasser,
bauen nicht erneuerbare Bodenschätze ab,
betonieren kostbare Böden zu,
türmen Steine und Stahl aufeinander,
starren zunehmend auf Bildschirme anstatt auf die reale Welt.
rotten täglich neue Arten aus, unwiederbringlich…
rotten selbst Menschen aus, die einen Menschen die anderen…

Es gibt nicht wenige Wissenschaftler, für die steht der Mensch biologisch auf der Abschussliste; er wird an sich selbst untergehen, meinen sie.
Sie diskutieren gar nicht mehr darüber. Für sie ist das klar. Wir erleben nur noch ein paar Restzuckungen.

Viele andere vertreiben ihre Zeit, andere auszubeuten, andere zu bekriegen, zu verfolgen, zu foltern, zu vergewaltigen, … sie machen anderen Vorschriften, was sie tun und was sie nicht tun dürfen; die Regierungen von immer mehr Staaten gefallen sich darin, die Privatheit jedes einzelnen — wenn es diese überhaupt je gab — immer weiter zu kontrollieren, einzuschränken, aufzulösen; auch in den sogenannten demokratischen Staaten…

Und es gibt da die Technikgläubigen: der Mensch ist nichts, die Maschine alles. Für diese ist die Frage der Intelligenz bei Maschinen klar; die Maschinen werden intelligenter sein als die Menschen und den Menschen ablösen als Herren der Welt. Das wird dann noch mal spannend; der Mensch, der alte, endliche, schwache, dumme, vergessliche, lahme Sack, dem ist sowieso nicht mehr zu helfen. Was soll man sich da noch anstrengen? Schade nur, dass man selber nur ein Mensch ist und keine smarte Maschine ….

Tja,
sehe ich, der ich diesen Text schreibe, das auch so?
Ist für mich der Mensch, mein Menschsein, auch so sinnlos am ausgeistern?
Glaube auch ich an die Zukunft der intelligenten Maschinen?

Nach vielen Jahren, in denen ich versucht habe, Maschinen zu bauen, die mindestens so intelligent sind wie der Mensch, begann in mir die Einsicht zu wachsen, dass die wahre Superintelligenz vielleicht eher dort zu finden ist, wo wir sie momentan am allerwenigsten suchen: im Phänomen des biologischen Lebens. Wir sind ein Teil davon, möglicherweise ein viel wichtigerer Teil, als die einschlägigen empirischen Wissenschaftler es bislang wahrhaben wollen.

In dieser Situation habe ich das Gefühl, es ist an der Zeit, diese neue Form der Menschenvergessenheit in Worte zu fassen, ohne zum Beginn dieses Projektes schon klar sagen zu können, was alles geschrieben werden muss, und wie.

Auch weiß ich nicht, wieweit ich kommen werde. Vielleicht breche ich, wie schon oft in den letzten 20 Jahren, einfach wieder ab.
Man wird sehen.
Ich fange zumindest mal an.

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