Archiv für den Monat: Dezember 2015

DIE MEISTGELESENEN BEITRÄGE IM BLOG 2015

Eine Liste der 17 am häufigten besuchten Beiträge im Blog, wie sie im Zeitraum von Dez.2013 bis Dez.2015 vom Statistikmodul von wordpress registriert worden sind. Über die Korrektheit lässt sich weiter nichts sagen, da die Basisdaten der Statistik nicht zugänglich sind. Die Statistik registriert aber auch Zugriffe auf Blogbeiträge vor Dez.2013. Bei mittlerweile 322 Blogeinträgen von cagent seit 2007 kann es aufschlussreich sein, welche 17 Beiträge von Lesern als interessant empfunden wurden.

1 KANN ES DOCH EINEN KÜNSTLICHEN GEIST GEBEN?
2 OFFENBARUNGSRELIGIONEN – Grenzen, die man bedenken sollte
3 CARTESIANISCHE MEDITATIONEN III
4 BLOG GEBIERT BUCH. Bis 28.August 2015 soll die Grundaussage des Blogs als Buch geschrieben werden
5 PARADOX MENSCH – Reden wir nicht drum herum….
6 Über Industrie 4.0 und Transhumanismus. Roboter als Volksverdummung? Schaffen wir uns selbst ab?
7 SEMIOTIK UND KÜNSTLICHE INTELLIGENZ. EIN VIELVERSPRECHENDES TEAM. Nachschrift eines Vortrags an der Universität Passau am 22.Okt.2015
8 Gnoseologische, ontologische, teleologische Wahrheit – Fortsetzung 2 der Überlegungen zu N.Hartmanns Metaphysik der Erkenntnis
9 IBN SINA/ AVICENNA: DIE METAPHYSIK AVICENNAS – Warum man manchmal schlafende Hunde wecken sollte (Teil 1)
10 Philosophische Büttenrede…
11 SIND KINDER GUT? WIE KOMMT DAS BÖSE IN DIE WELT? MEMO philosophieWerkstatt vom 8.Februar 2015
12 NACHBEMERKUNG ZUM BUCH VON H.RATH – Und Gott sprach: Wir müssen reden!
13 CHRISTLICHES ABENDLAND EINE LEGENDE? Nachbetrachtungen zum Buch von R.Bergmeier
14 DIE NEUROWISSENSCHAFTEN – EIN PHILOSOPHISCHES SCHWARZES LOCH? – Zu einem Artikel von W.Singer in der FAZ vom 17.September 2014
15 Wissenschaftliches Denken (2)
16 INDUKTIVES SERVICE-LEARNING? Plädoyer für mehr Vertrauen in die Generation der Zukunft. Mehr Selbstvertrauen in die Mission Zukunft der Hochschulen.
17 Der Ursprung und die Evolution des Lebens auf der Erde. Leben als ein kosmischer Imperativ. Reflexionen zum Buch von Christian de Duve. Teil 2

Eine Liste aller Blogbeiträge von cagent nach Titeln findet sich HIER.

DECHER – HANDBUCH PHILOSOPHIE DES GEISTES – EINLEITUNG – DISKURS

Decher, Friedhelm, Handbuch der Philosophie des Geistes, Darmstadt: WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2015 (Im Folgenden abgekürzt: HPG)

KONTEXT

  1. Im Laufe der letzten Jahre tauchte der Begriff Geist im Kontext der Blogeinträge immer wieder auf. Ja, er mündete sogar in ein eigenes großes öffentliches Forschungsprojekt, das den Namen Geist im Titel trägt, wenngleich in der englischen Variante Mind. Es ist die Rede vom Emerging Mind Projekt. In diesem Projekt wird ein Bogen gespannt zwischen den geistesgeschichtlichen (inklusive theologischen) Traditionen Europas zu den Errungenschaften der modernen empirischen Wissenschaften – insbesondere der evolutionären Biologie – inklusive der modernen Mathematik und Ingenieurskunst in Form von selbstlernenden intelligenten Maschinen. Die Arbeitshypothese bisher lautet, dass das, was geisteswissenschaftliche unter dem Begriff Geist abgehandelt wird, eine inhärente Eigenschaft der Energie-Materie ist.
  2. Vor diesem Hintergrund ist das Buch von Friedhelm Decher von Interesse. Er entwickelt in der Art eines Lese-Leitfadens den Gebrauch des Begriffs Geist entlang bedeutender Autoren von den ersten griechischen Denkern bis in die Gegenwart. Im Folgenden soll den Gedanken dieses Buches gefolgt werden und im einzelnen überprüft werden, wo und wieweit es sich mit der Arbeitshypothese des Emerging Mind Projektes überdeckt und wo es davon abweicht; im letzteren Fall interessiert natürlich speziell, wo und warum es eine Abweichung gibt.
  3. Die Arbeitshypothese des Emerging Mind Projektes ist ambivalent. Angenommen, sie trifft zu (wobei zu klären wäre, an welchen empirischen Kriterien man dies verifizieren könnte), dann könnte man das Ergebnis entweder (i) so deuten, dass die Besonderheit des Phänomens Geist sich in die Allgemeinheit einer Energie-Materie auflösen würde, oder (ii) die Besonderheiten der Eigenschaften des Geist-Phänomens lassen die Energie-Materie in einem neuen Licht erscheinen. Die aktuelle Aufspaltung der empirischen Phänomene in physikalische, chemische, biologische usw. Aspekte ist auf jeden Fall wissenschaftsphilosophisch unbefriedigend. Die vielfachen Reduktionsversuche von empirischen Phänomenen aus nicht-physikalischen Disziplinen auf das Begriffsrepertoire der Physik ist wissenschaftsphilosophisch ebenfalls weitgehend nicht überzeugend. Vor diesem Hintergrund wäre ein Vorgehen im Stile von (ii) sehr wohl interessant.
  4. Anmerkung: Die folgende Diskussion des Buches ersetzt in keiner Weise die eigene Lektüre. Der Autor dieser Zeilen diskutiert das Buch aus seinem Erkenntnisinteresse heraus, das verschieden sein kann sowohl von dem eines potentiellen Lesers wie auch möglicherweise (und sehr wahrscheinlich) von Friedhelm Decher selbst. Wer sich also eine eigene Meinung bilden will, kommt um die eigene Lektüre und eigene Urteilsbildung nicht herum.

EINLEITUNG (SS.9-15)

Diagramm zur Einleitung von Handbuch der Philosophie des Geistes (Decher 2015)
Diagramm zur Einleitung von Handbuch der Philosophie des Geistes (Decher 2015)
  1. Einleitungen in Bücher sind immer schwierig. Im Fall des HPG werden einerseits die verschiedenen sprachlichen Manifestationen des Begriffs Geist anhand diverser Wörterbücher und der aktuellen Alltagssprache illustrierend aufgelistet, andererseits gibt es den Versuch einer Fokussierung und einer ersten Strukturierung aus der Sicht des Autors Decher.
  2. Decher geht davon aus, dass Begriffe wie Geist, Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Ich beim Menschen sowohl im Rahmen seiner Selbsterfahrung vorliegen, wie auch sich im menschlichen Verhalten manifestieren. Am Verhalten kann man viele Fähigkeiten ablesen wie z.B. sich Erinnern können, Sprechen können, vorausschauend Planen usw.
  3. Decher geht ferner davon aus, dass diese Phänomene jedem vertraut sind; sie sind offensichtlich.
  4. Es stellt sich damit die Frage, wo diese Phänomene herkommen. Mit Blick auf die Naturgeschichte folgt er einem einzigen Autor Ian Tattersall (1998), nach dem die Geschichte des Menschen vor 200.000 Jahren beginnt, und dieser Beginn sei u.a. dadurch charakterisiert, dass schon bei dieser Entstehung der Mensch kognitive Fähigkeiten gezeigt hat, die ihn von allen anderen Lebensformen abhoben. (vgl. S.14) Dies wertet Decher als erste Manifestationen von Geist, die sich dann im weiteren Verlauf in vielerlei Weise ergänzen. Er erwähnt besonders die Höhlenmalereien von vor 35.000 Jahren oder dann später mit Beginn der Hochkulturen in Ägypten und in Griechenland die sprachlichen Manifestationen.
  5. Zu erwähnen ist auch noch die Nennung des Begriffs Seele. (vgl. S.13) Dieser Begriff kommt nahezu parallel zum Begriff Geist vor. Hier bleibt noch offen, wie das Verhältnis dieser beiden Begriffe zu klären ist.

DISKURS

  1. So vorläufig und kryptisch, wie Gedanken in einer Einleitung nun mal sein müssen, so lassen diese Seiten doch schon – wenn man will – eine erste Positionierung von Autor Decher erkennen. Trotz Parallelisierung mit der Naturgeschichte des Menschen hebt er die Phänomene von Geist (und Seele) doch deutlich hervor und baut damit – dramaturgisch? – eine erste Spannung auf, wie sich das Verhältnis von Geist-Seele zum Übrigen von Geist-Seele weiter bestimmen lässt.
  2. Da wir heute aufgrund der modernen Wissenschaften über Erkenntnisse zum Gehirn sowie zu mathematischen Modellen verfügen, mittels deren wir alle bekannten geistig-seelischen Phänomene mittels nicht-geistig-seelischer Mittel als Verhaltensereignisse realisieren können, wird die Frage nach der möglichen Besonderheit des Geistes nicht minder spannend.
  3. Die heute vielfach festzustellende Euphorie in der Einschätzung intelligenter Maschinen und die stark einseitige Einschätzung einer möglichen Zukunft des Menschen im Vergleich zu den intelligenten Maschinen zugunsten der intelligenten Maschinen kann ein Motiv sein, die Spurensuche nach der Besonderheit des Geistigen mit Interesse zu verfolgen. Auf Seiten der Technikgläubigen kann man vielfach eine gewisse Naivität in der Einschätzung der Möglichkeiten von intelligenten Maschinen beobachten gepaart mit einer erschreckend großen Unwissenheit über die biologische Komplexität des Phänomens homo sapiens als Teil eines gigantischen Ökosystems. Eine solche Mischung aus technischer Naivität und Biologischer Unwissenheit kann sehr gefährlich sein, zumindest dann, wenn sie den Leitfaden abgibt für die Gestaltung der Zukunft menschlicher Gesellschaften.
  4. Es bleibt spannend zu sehen, ob und wie die Lektüre von Dechers Buch in dieser Fragestellung konstruktive Anregungen bringen kann.

Eine Fortsetzung findet sich HIER.

Einen Überblick aller Blogeinträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.

PERSON OF INTEREST – SICHERHEIT STATT DEMOKRATIE – EVOLUTION IST ANDERS – Teil 2

KONTEXT

  1. In einem vorausgehenden Blogeintrag hatte ich die Fernsehserie Person of Interest mit diskutiert. Zu dem Zeitpunkt kannte ich nur Staffel 3; mittlerweile kenne ich auch Staffel 4, die aktuell letzte Staffel der Serie. Wie schon zuvor angemerkt, kann man eine Fernsehserie nicht mit einem normalen Kinofilm vergleichen; die Spielregeln für die Anordnung der Bilder und Inhalte sind anders. Eine Serie lebt von ihren Episoden, zwischen denen Pausen liegen, und eine Serie scheut ein klares Ende, lauern doch wirtschaftliche Interessen im Hintergrund, die ein Hinauszögern so lange wie möglich aufrechterhalten wollen. Neben der Story ist eine Serie ein Unterhaltungsmedium und eine Geldquelle, die möglichst lange erhalten bleiben soll.

MAKRO-MIKRO-EBENE

  1. Fragt man also nach dem möglichen Inhalt der Serie Person of Interest, muss man wenigstens zwischen einer Makro- und einem Mikroebene unterscheiden (schließt weitere Ebenen nicht aus): auf der Makroebene werden Geschichten erzählt, die sich über mehrere Episoden erstrecken; auf der Mikroebene liegt das Geschehen, was sich auf eine Episode beschränkt. Das Verhältnis zwischen Makro-Geschichte(n) und Mikro-Geschichten könnte man als einen Indikator für die Kompaktheit einer Serie ansehen: wie intensiv wird eine Geschichte erzählt. Im Fall von Person of Interest Staffeln 3+4 würde ich das Verhältnis von Makro zu Mikro-Geschichten auf etwa 1:3 bis 1:4 ansetzen. Die Kompaktheit kann auch etwas mit der Aufnahmefähigkeit der Zuschauer zu tun haben; je kompakter, um so ansruchsvoller.

MAKRO-GESCHICHTE

  1. In der Makrogeschichte, die nur häppchenweise enthüllt wird, geht es um zwei Computerprogramme, die die Datenströme in den verschiedenen Netzen aufnehmen und verarbeiten können; darüber hinaus konstruieren diese Programme eigene Modelle, mit denen diese Daten interpretiert werden und – vor allem – Schlüsse gezogen werden, was zu tun ist. Dieses Tun geschieht direkt über Manipulation von Datenströmen in den Netzen oder über Interaktion mit realen Menschen, die über die Kommunikation mit der Maschine ihre Meinungen bilden und sich in ihrem Verhalten beeinflussen lassen.
  2. Interessant ist der soziale-politische Kontext dieser Programme: das erste Programm, genannt die Maschine, wurde ursprünglich von der Regierung beauftragt und eingesetzt, um Bedrohungen für den Staat frühzeitig zu entdecken und abzuwehren. Sein Hauptentwickler E1 hatte es mit einigen ethischen Prinzipien ausgestattet, die den schlimmsten Missbrauch verhindern sollten. Das zweite Programm, parallel entwickelt von einem Freund von E1, nennen wir ihn E2, war unvollendet geblieben und besaß keine ethischen Vorgaben. Dieses Programm wurde von einem machtbewussten Geschäftsmann – nennen wir ihn G1 – gewaltsam in eigenen Besitz gebracht. Zusätzlich konnte er Regierungsvertreter überzeugen, dass er im Auftrag der Regierung – aber in eigener Regie – die verschiedenen Netze anzapfen durfte, um für die Regierung eine Überwachung der Welt durchführen zu können, deren Ergebnisse dann der Regierung übermittelt werden. Vorbereitend zum Start des neuen Programms mit Namen Samaritan hatte der Geschäftsmann G1 eine Terrorgruppe gesteuert, die die Regierung unter Druck gesetzt hatte, das alte Programm, die Maschine, zu stoppen. Wie sich im Verlaufe von Staffel 3+4 herausstellte, hatte es die Maschine aber geschafft, sich mittlerweile als verborgenes Add On in jeden Computer und in das öffentliche Stromnetz einzunisten. Dort war es für das neue Programm Samaritan lange Zeit unsichtbar und arbeitete parallel zum neuen Programm weiter.

MIKRO-GESCHICHTEN

  1. Der hohe Anteil an Mikro-Geschichten, oft sehr fragmentarisch, ist unterhaltsam gemacht, trägt aber wenig zur Hauptgeschichte bei. Allerdings bieten die Mikrogeschichten Raum um die Hauptpersonen häppchenweise ein wenig mehr auszuleuchten, die Verwicklungen ihrer Psyche, ihrer Motive und Emotionen sichtbar zu machen. Die dominierenden Muster von Gewalt, Action und Erschießung anderer Menschen werden hier ansatzweise durchbrochen, um die individuellen Menschen hinter den abstrakten Rollen etwas sichtbar zu machen. Doch ereignet sich die Handlung meistens in extremen Milieus mit extremen Typen; Normalität, Alltag, reale Gesellschaft kommt in dieser Serie so gut wie nicht vor. Die Mikrogeschichten könnten auch in jeder anderen Serie vorkommen.

MAKRO-GESCHICHTE: FRAGEN

  1. Die Makrogeschichte, sofern sie stattfindet, bietet viele interessante Fragestellungen. Die eine Frage (F1) ist jene nach der Reichweite einer autonomen selbstlernenden künstlichen Intelligenz [KI]: wie weit kann diese sich der Kontrolle von Menschen entziehen und sich vom Diener zum Herren des Geschehens entwickeln? Zusätzlich kann man fragen (F2), welche Ziele solch eine autonome selbstlernende KI entwickeln wird? Was werden die Präferenzen solcher Programme sein? Was finden sie gut, was schlecht? Dazu viele weitere spezielle Fragen im Detail.
  2. Während das erste Programm, die Maschine, den Eindruck erweckt, als ob es, trotz seiner Autonomie, gewisse ethische Prinzipien einhält (es ist nicht ganz klar, welche und warum), erweckt das zweite Programm, Samaritan, den Eindruck, als ob es sich sehr schnell zum Herren des Geschehens entwickelt und von einem reinen Dienstleister zum kreativen Machthaber mutiert, der nach einigen gezielten Experimenten planvoll in das Weltgeschehen eingreift. Am Schluss von Staffel 4 sieht es so aus, als ob Samaritan direkt eine Weltherrschaft in seinem Sinne anstrebt. Das erste Programm, die Maschine, wurde schließlich doch aufgespürt und in buchstäblich letzter Minute konnte es aus dem öffentlichen Stromnetz auf einen tragbaren Computer heruntergeladen und mit seinen Kernalgorithmen gesichert. Wie es jetzt weitergeht, ist offen.

DISKURS

  1. Die technischen Details dieses Plots sind nicht wichtig, wohl aber die großen Linien. Beide Computerprogramme entwickeln ihre Kraft erst, als ihre Algorithmen an entsprechende Netze mit Datenströmen angeschlossen wurden. Ohne Daten laufen alle Algorithmen leer, und ohne Daten würde auch ein menschliches Gehirn verkümmern und der Körper absterben.
  2. Da Algorithmen aus sich heraus nicht wissen können, was Wahr in der Welt ist, brauchen sie reale Daten der realen Welt, anhand deren sie entscheiden können, was Wahr in der Welt ist. Wenn diese Daten korrupt sind, gefälscht, Täuschungen, dann läuft der Algorithmus ins Leere (das geht unserem Gehirn nicht besser: unser Gehirn ist nur über Sinnesorgane mit der Welt da draußen verbunden; wenn wir die Welt falsch oder unvollständig wahrnehmen, sind auch die Weltbilder des Gehirns falsch oder unvollständig). Daher die Tendenz, immer mehr Datennetze anzuzapfen, immer mehr Überwachung von realen Personen zu ermöglichen, bis dahin, dass (für Samaritan) realen Personen Sonden einoperiert werden, die wichtige Zustände dieser Personen direkt an den Algorithmus übermitteln.
  3. Am Ende von Staffel 4 wird der Zuschauer in einer diffusen Vielfalt von technischen Möglichkeiten, potentiellen Bedrohungen, und vagen Heilsversprechen zurück gelassen. Was die Bedrohungen angeht, so sind diese heute schon sehr real. Nach verfügbaren Informationen muss man davon ausgehen, dass die US-Regierung seit mindestens fünf Jahren mit solchen totalen Überwachungsprogrammen experimentiert; komplementiert werden diese Algorithmen durch die geschäftlichen Interessen global operierender Firmen, die mit den Verhaltensdaten von Privatpersonen und Firmen real Geld verdienen. Um an diese Daten heran zu kommen, gibt es nicht nur die öffentliche Überwachung durch immer mehr Videokameras und Überwachung von Datenverkehr in den Netzen und durch Satelliten, sondern zusätzlich immer mehr Sensoren in den Alltagsgeräten und privaten Kommunikationsgeräten. Ergänzt um Datenbrillen bei jedem ist schon jetzt die Überwachung fast total.
  4. Sieht man diese Entwicklung parallel zur Tatsache, dass nur wenige Staaten dieser Erde demokratisch genannt werden können und dass diese wenigen demokratischen Staaten deutliche Tendenzen aufweisen, zur Aushöhlung aller demokratischen Mechanismen der Machtkontrolle, dann ist diese Entwicklung verheerend. Die Kontrolle des Datenraums ist mittlerweile weit schlimmer als der Einmarsch einer Armee mit Panzern. Bei den verantwortlichen Politikern kann man dafür praktisch kein Problembewusstsein erkennen. Speziell im Fall der US-Regierung muss man sich sogar fragen, ob die jeweiligen Präsidenten nicht schon längst nur Marionetten eines außer Kontrolle geratenen Sicherheitsapparates sind.
  5. Die Staffeln 3+4 illustrieren diese Tendenzen und Möglichkeiten durch Inszenierung entsprechender Situationen und Handlungssequenzen. Sie bieten aber keine wirkliche theoretisch-technische Erklärungen, liefern keine Denkansätze in Richtung politischer Systeme oder Wirtschaftsmodelle. Der Zuschauer verbleibt in der Rolle des passiven, dummen Konsumenten, dem das Schauspiel einer Machtübernahme geboten wird, ohne Ansatzpunkt, was er selber denn tun könnte. Die einzigen Hacker, die in der Serie auftauchen, waren böse und letztlich gesteuert von anderen Bösen. Die wenigen Guten, die zumindest das Wort Individuum und Wert des Einzelmenschen im Munde führen, wirken wie ein Häuflein verirrter Privatpersonen im Format von Profikillern, keine normalen Bürger, und die Moral von der Geschichte lautet eher: schließe dich dem allgemeinen Trend an. Widerstand zwecklos. Dann wäre das ganze ein Werbefilm für die Einführung der totalen Kontrolle zum angeblichen Nutzen für die ganze Menschheit.
  6. Betrachtet man den evolutionären Zusammenhang der Geschichte des Lebens auf der Erde, dann erscheint eine zunehmende Vernetzung und Einsatz von Algorithmen zur Unterstützung der Menschen in der rapide anwachsenden Komplexität in der Tat unausweichlich. Allerdings kann man sich fragen, ob dieser evolutionärer Schub darin bestehen soll, die fantastische Kreativität menschlicher Gehirne zu eliminieren durch Versklavung an einen unkontrollierten Algorithmus, dessen Dynamiken noch keiner wirklich erforscht hat, oder aber dass man diese neuen digitalen Technologien nutzen würde, um die Kreativität der Menschen für die Gesamtheit des Lebens noch mehr nutzen zu können. Bei ca. 100 x 10^9 Nervenzellen in einem einzelnen Gehirn würde eine Verknüpfung dieser Gehirne bei z.B. 7 x 10^9 Menschen auf der Erde zu einem Zusammenwirken – im optimalen Fall – von 7 x 10^20 Nervenzellen führen können. Diese können alle, wenn man es erlaubt und unterstützt, kreativ sein. Welch ungeheure Kraft um die Zukunft zu gestalten. Stattdessen hat man den Eindruck, dass viele Mächtige heute versuchen, diese große Kreativität zu normieren, zu eliminieren, unter Kontrolle zu bringen, nur, um die mehrfach beschränkten und auf Konkurrenz und Freund-Feind-Schema getrimmten Weltmodelle einzelner Sicherheitsleute, Militärs, Politiker und Kapitaleigner in den Köpfen der Menschen zu implantieren. Man kann nicht erkennen, dass irgendwelche Werte, geschweige den die Menschenrechte, dabei eine Rolle spielen.
  7. Unter dem Schlagwort Sicherheit ist mittlerweile alles erlaubt. Warum also noch Sicherheit, wenn gerade sie alles zerstört, was man vielleicht schützen wollte? Wie viel Sicherheit verträgt eine Demokratie?
  8. Die Geschichte des Lebens auf der Erde enthält eine klare unmissverständliche Botschaft: Leben kann es nachhaltig nur geben, wenn die die Kreativität stärker ist als die Sicherheit! Totale Sicherheit führt direkt zum Tod des Systems.

PHILOSOPHISCHE ASPEKTE VON ‚HERR DER RINGE‘ – ‚STARWARS‘ – ‚PERSON OF INTEREST‘

KONTEXT

  1. Der Augen-Dominierte Mensch liebt Bilder wie die Mücke das Licht, das ihr den Tod bringen kann. Mit den neuen Technologien kann man nun zunehmend Bilder virtueller Dinge erzeugen, die nicht nur einer realen Welt sehr nahe kommen, nein, man kann künstliche Welten erschaffen, Fantasiewelten, die die Wirklichkeit weit hinter sich lassen. Dazu ein Soundtrack, der aus einem schier unerschöpflichen Klangreservoire schöpfen kann, um auf der Klaviatur der Gefühle der Betrachter wie auf einem Instrument zu spielen: braucht es etwas Spannung, oder Trauer, oder wilde Freude, erhebende nationale Gefühle … Diese Mischung aus realistisch erscheinender Bildfantasie und subtilem Sound umschlingt den Betrachter, hüllt ihn ein, versetzt ihn in eine scheinbar andere Welt, die die gegenwärtige reale Welt für Momente vergessen lassen kann. Dank unseres wunderbaren Gedächtnisses bleiben die Bilder und der Sound aber haften, graben sich ein in unser Inneres, und quellen dann immer wieder auf, wie betörende (giftige?) Dämpfe, die unser alltägliches Welterleben ergänzen, übermalen, verändern; im Guten wie im Schlechten.

HERR DER RINGE

  1. Eines der großen Bildepen der letzten Jahre war – und ist – sicher der Film, Herr der Ringe, dargeboten in drei Teilen. Den Bildern zugrunde liegt ein geschriebener Text, der als Text gefeiert worden war als sprachliches Kunstwerk, und dessen Inhalt die Welt der Leser in den Bann gezogen hat, verzaubert, betört. Kaum jemand konnte sich vorstellen, wie man dieses gewaltige Epos mit seinen äußerst fantasievollen Gestalten und Landschaften je würde verfilmen können. Aber es wurde getan, und die Bilder sind durchweg so überzeugend, dass der Abstand zwischen gelesener Bildwelt und verfilmter Bildwelt sehr klein ist, fast unmerklich klein.

  2. All die vielen wunderbaren Bilder (und Sounds!) gehorchen aber einem einzigen Thema: Die dunkle Macht, die alle bekannten Welten zu durchdringen sucht, zu beherrschen, versucht, in Angst und Schrecken zu versetzen, die Herzen der Menschen zu knebeln, entweder durch die individuellen Lüste und Begierden, oder schlicht durch die Angst vor dem Untergang; einem Untergang, der sowieso kommt und stattfindet, von dem aber viele nicht glauben wollen, dass es so ist. Obwohl man – bildlich – am eigenen Leibe schon brennt, glaubt man nicht, dass es brennen kann, da man es nicht glauben will. Der Überlebenswille der Menschen kann sehr stark sein, auch, wenn es sein muss, in der Vergewaltigung der Wahrheit.

  3. Es ist dann diese innere Geschichte der Geschichte, das Ringen um die Abwehr der dunklen Macht, die einerseits zwei kleine Menschlein, zwei Hobbits auf die Reise ins Herz der Finsternis schickt, und zugleich, parallel, der Aufmarsch der großen Kriegsheere, die furchterweckend den Horizont füllen können und sich wie dunkle schreckliche Wolken herabsenken auf die Nichtsahnenden, auf die Gutgläubigen, auf die ‚Normalen‘ und sie in Null-Komma-Nichts zermahlen zu gesichtslosen Fleischklumpen oder aus ihnen entseelte Vasallen machen.

  4. Das Schlussbild könnte stärker nicht sein: auf der einen Seite die letzte verzweifelte Konfrontation der menschlichen Heere in der Minderzahl gegenüber einer ungeheuren Masse an Kampfmaschinen der dunklen Macht, auf der anderen Seite zwei völlig erschöpfte Hobbit-Menschleins, die mit aller letzter Kraft einen Eingang zum Berg mit Feuer finden, in das sie den Ringe aller Ringe versenken sollen. Über Stunden wurde der Zuschauer unter Leidensdruck gesetzt, um den nahezu aussichtslosen Leidensweg der beiden Kleinwüchsigen miterleben zu müssen; irgendwie, gegen alle Hoffnung und Vorstellungskraft steht dann der eine, Frodo, auf einem Felsvorsprung über der Glutmasse, und in quälender Langsamkeit kippt seine Psyche. Er wirft den Ring nicht ins Feuer; eine tiefliegende Gier im Mensch, die Gier nach Macht, überwältigt ihn, und er steckt sich den Ring auf. Es ist das Genie des Romans, nun den anderen Gierigen in den Ring zu schicken, den noch kleineren Gollum, der sich auf den Unsichtbaren stürzt, im maßlosen Kampf dem Ringträger den Finger abbeißt, diesen dadurch wieder sichtbar macht, und dem Enddrama eine Chance verschafft, in Ehren zu Enden: der Siegestrunkene Gollum vergisst mögliche Gefahren und wird dann mit dem Ring in die glühenden Lavamassen des Vulkans gestoßen. Nach einem dramatischen Moment des Verharrens verschwindet dann der Ring in den Gluten und die dunkle Macht wird in ihrem Inneren erschüttert, zerrissen; alles zerbricht, zerfällt, flüchtet, wie ein Spuk, als ob es all das nicht gegeben hätte. Das menschliche Restheer überlebt; ein Wunder.

STARWARS

  1. War im Epos ‚Herr der Ringe‘ die Geschichte um die dunkle Macht in einer fernen Vergangenheit verortet, so versucht es das andere Filmepos  STARWARS, mit einem zukünftigen Szenario; da, irgendwo in der Zukunft, zwischen Planeten und Sternensystemen einer unbekannten Art, bevölkert von bizarren Gestalten, die alle irgendwie leben, intelligent sind, menschenähnlich sich verhalten, ereignet sich eine Bilderwelt, die ihre eigene Geschichte in der Geschichte erzählt. Auch hier geht es um eine dunkle Macht, die auf der Klaviatur der menschlichen Gelüste und Triebe, spielt, die Neigungen der Menschen, ihr Fühlen, Denken und Tun direkt anspricht, um sie für die Macht gefügig zu machen, unter Aufopferung von allem anderen. Je mehr Macht, umso mehr Unterwerfung. Die Macht will Alles. Der einzelne wird aufgenommen in die scheinbare All-Macht der Machtwilligen; ein Heer von Willenlosen folgt einem Willen.

  2. Im Herr der Ringe war die Macht verdinglicht in Form eines Rings, an dem die Macht aller Macht gebunden war. Die Vernichtung des Rings war gleichbedeutend mit der Vernichtung der Macht. Nicht so in STARWARS. Hier manifestiert sich die dunkle Macht zwar in konkreten Figuren, die dieser Macht verfallen sind, aber die Zerstörung dieser Figuren garantiert nicht die Vernichtung der dunklen Macht grundsätzlich.

  3. In den ersten 6 Episoden bleibt unklar, woher genau die dunkle Macht kommt: ist es etwas Eigenständiges, Fassbares, oder ist es etwas, was in allem Leben, in jedem Lebewesen als Möglichkeit angelegt ist? Eine Möglichkeit, die dann in konkreten Menschen besondere Gestalt annimmt und durch diese Gestaltwerdung Einfluss nimmt auf andere Menschen, auf die Politik, auf die Geschichte.

  4. Wenn die dunkle Macht wirklich als Möglichkeit in allem Lebenden angelegt ist, dann kann sie jederzeit wieder Gestalt annehmen, kann sie jederzeit Lebewesen, Menschen zu Machtmonstern mutieren lassen, die immer wieder von Neuem in die Geschichte eingreifen, um sich all die anderen und das andere gefügig zu machen.

  5. Rekrutierten sich die Guten im Herrn der Ringe aus normalen Menschen, ja, aus besonders Kleinwüchsigen, Gutmütigen, an der Macht Desinteressierten, sind in STARWARS die ‚Guten‘ spezielle Menschen, Jedi-Ritter (vereinzelt auch Frauen), die aufgrund einer biologischen Besonderheit spezielle Kraft-Elemente in sich tragen, die man hat oder nicht hat. Dies gibt den Guten etwas Elitäres, schwer Verfügbares, wohingegen die dunkle Macht in allem und in allen wohnen kann. Diese Asymmetrie verleiht den Guten eine Sonderstellung, entrückt die Anti-Macht aus der normalen Welt. Als Botschaft an die Normalos der realen Welt heißt dies: ihr habt keine Chance gegen die (dunkle) Macht. Fangt erst gar nicht an. Ergebt auch am besten gleich.

  6. Die Idee von den speziellen ‚Macht-Teilchen‘ im Blut der Edlen, der Jedi-Ritter (und der quasi Jedi-Frauen) kann man möglicherweise zurückverfolgen bis zum Philosophen Plotin (ca. 204 – 270), einem Schüler Platons. Plotin sah die Welt als Ausfluss der übersinnlichen Welt, die sich als Seele in allem Lebendigen manifestiert, mit unterschiedlich feinen Abstufungen. Leicht anders, aber auch nah – oder sogar noch näher – an der Idee der Lebens/ Macht/Intelligenz-Teilchen, die sich im konkreten Lebewesen manifestieren können, ist der römische Schriftsteller und Philosoph Lukrez (ca -96 bis -55), der die Ideen von Epikur (ca. -341 bis -271) aufgreift und weiter entwickelt (Epikur wiederum ist beeinflusst von Demokrit (ca. -479/60 bis ca. -370/60)). Alle diese Denker vermuteten hinter den vielgestaltigen Phänomenen des Lebens kleine und kleinste nicht mehr weiter teilbare Teilchen, die den Grundstoff für alles bilden. Je kleiner, um so ‚feiner‘, d.h. umso geistiger, um so mehr im Innern des Lebens. Im Gegensatz zu STARWARS ist das ‚Gute‘ aber nicht reserviert für einige wenige Menschen, wenngleich die Zahl der Menschen, in denen man die Verwirklichung des Guten zu erkennen glaubt, gemessen an der Gesamtzahl der Menschen, zu allen Zeiten gering erscheinen mag.

  7. Sieht man von diesen ‚technischen Details‘ des Zustandekommens von dunkler Macht und guter Macht ab, treffen sich aber der Herr der Ringe und STARWARS in einem: es gibt die Versuchung der Macht und Menschen können dieser erliegen, sogar solche, die zunächst auf der Seite der guten Macht standen (im Herrn der Ringe z.B. der Zauberer Sauron, in STARWARS z.B Darth Vader, ein ehemaliger Jedi).

  8. Vor diesem Hintergrund gibt es in STARWARS keine vergleichbare Schlussszene wie im Herrn der Ringe. Die Zerstörung des Rings zerstörte im Herrn der Ringe die dunkle Macht für immer; die Zerstörung der technologischen Machtinstrumente der dunklen Macht von STARWARS (wie z.B. dem Todesstern) oder der Tod einzelner Akteure (wie der von Darth Vader) schenkt nur eine Verweilpause bis zum Wiederauferstehen der dunklen Macht in irgendwelchen anderen Menschen. In STARWARS wurde die dunkle Macht verewigt als unausrottbare Möglichkeit in den Lebenden.

  9. Noch ein Gemeinsamkeit gibt es im Epos Herr der Ringe und in STARWARS: dies sind die Nischen der Macht, jene Räume, in denen sich ein Widerstand der Guten gegen die dunkle Macht bilden konnte, ohne dass dies von der dunklen Macht bemerkt werden kann.

PERSON OF INTERST

  1. In Person of Interest, eine Dauerserie, filmisch nicht direkt vergleichbar mit den beiden Epen ‚Herr der Ringe‘ und ‚STARWARS‘, landen wir mitten in der Gegenwart. Zwischen den Mythen der Vergangenheit und den Irrlichtern der Zukunft findet sich der Zuschauer wieder in den Straßenschluchten amerikanischer Großstädte. Die Akteure sehen aus wie Menschen, fantastische Gestalten und überbordende Landschaften fehlen. Ein Auto ist noch ein Auto, ein Telefon ein Telefon, die Pistole schießt wie eine Pistole und das Fastfood ist Fastfood.

  2. Im Zentrum stehen eine Handvoll ortloser Individualisten, Frauen wie Männer, die in einer Welt fast ganz ohne Geschichte leben. Die Handlungen sind abgeschottet wie in einem Privattheater: man sieht nur einzelne Menschen, einzelne Zimmer, Flure, Straßenausschnitte, darum herum, dahinter, irgendwie eine Stadt im Dunkeln des Unbekannten. Die Akteure tauchen auf wie Fische aus dem Dunkel des Meeres und verschwinden genauso überraschend, wie sie gekommen sind.

  3. Zu Beginn jeder Sendung hört man gebetsmühlenartig, dass es ein Softwareprogramm der Regierung gibt – einfach die Maschine genannt –, das aus den Datenströmen der Welt Bedrohungen herausfiltert und sich das Recht herausnimmt, diesen Bedrohungen nachzugehen, und man erfährt im Laufe der Sendungen, dass die handvoll Akteure in den Sendungen die ‚Guten‘ sind, die einen besonderen Dienst des Überwachungsprogramms nutzen, um bedrohte Privatpersonen zu schützen, bevor es zum Verbrechen kommt.

  4. Man erfährt dann auch, dass einer der Akteure, der Miterfinder dieses Überwachungsprogramms war, sich durch einen vorgetäuschten Autounfall aus der bekannten Welt ‚entsorgt‘ hat und nun anonym weiterlebt, um die Stärken seiner Maschine zum Dienst der Menschheit zu nutzen.

  5. Seltsam unwirklich bleibt die Macht der Regierung, ihre wahren Interessen. Zugleich wird aber schrittweise eine kriminelle Gruppe sichtbar mit einem Chef, der alle Eigenschaften einer dunklen Macht auf sich vereint und der vor nichts zurückschreckt, um sich die Menschen, speziell die Politiker, gefügig zu machen. Ihm gelingt es eine Konkurrenzmaschine zu entwickeln und aufzubauen. Ihm gelingt es, hinreichend viele Politiker zu manipulieren, um die Konkurrenzmaschine an die Überwachungssysteme anzuschließen um damit den gesellschaftlichen Raum einer nie dagewesenen Kontrolle zu unterwerfen. Selbst die kleine Gruppe der selbst erklärten Guten wird mit diesem System ihrer Anonymität entrissen und muss plötzlich fliehen.

  6. Dieses Böse, diese Art der dunklen Macht funktioniert wie in STARWARS und im Herrn der Ringe: Menschen erliegen der Versuchung der Macht und beginnen, alles Mögliche zur Vermehrung ihrer Macht zu instrumentalisieren.

  7. Wie aber funktionieren die Guten? Was macht die Guten zu Guten? Wo kommen sie her? Was kann das ‚Gute‘ sein in einer Welt, die gar nicht als Welt vorkommt? Was liegt jenseits des Drehortes im Dunkel der Stadt, da irgendwo in einem Land ohne Gesicht?

  8. So einsam wie die Helden der Geschichte sind, so einsam ist der Zuschauer.

NACHGEDANKEN

  1. Auffällig an allen drei Bildergeschichten ist, wie eindrucksvoll das Funktionieren einer dunklen Macht beschrieben wird, die über alle Zeiten und Szenarien hinaus es vermag, Menschen zu packen, zu fangen, sie gefügig zu machen, um die Angst zu vergrößern, den Schrecken, die Grausamkeit.

  2. Und darin, so sehr es erfundene Geschichten sind, scheint eine tiefe Wahrheit zu liegen, ein Sitz im Leben der Menschen, dass die Menschen, wir, offensichtlich eine Schwachstelle haben, uns falschen Machtansprüchen gegenüber schnell gefügig zu verhalten.

  3. Auf der anderen Seite erleben wir die Kargheit des Guten, den Seltenheitswert von Helden und Heroen; es wird so getan, als ob die Fähigkeit, das Gute zu tun, einer bösen Macht zu widerstehen, besonders schwer sei, besonders gefährlich und daher faktisch auch besonders selten.

  4. Und doch, es sind nur die ‚Guten‘ bei denen in diesen Bildergeschichten die ‚wahre‘ Freude wohnt, das ‚wahre‘ Glück, der ‚wahre‘ Friede, und es sind die Guten, die alleine eine ‚glückliche‘ und ‚freie‘ Gesellschaft ermöglichen.

  5. Diese Überzeugung läuft wie eine Grundmelodie durch alle Bilder, bildet quasi eine ‚Hintergrundstrahlung der Hoffnung‘, unmerklich vielleicht zu manchen Zeiten, aber nie ganz weg. Jeder Mensch kennt sie. Wenn diese Grundmelodie erklingt, weiß jeder, worum es geht. Und doch kann es sein, dass die dunkle Macht die Menschen so verängstigt, so umgarnt und umklammert, dass sie die Grundmelodie verdrängen.

  6. Keine der drei Bildergeschichte stellt sich ausdrücklich der Frage, wie denn die Grundmelodie des Guten in den Menschen mehr gefördert, mehr aufgebaut werden könnte. Allerdings, es gibt einzelne Moment, kurze Dialoge, in denen solches aufblitzt. Eindrücklich zum Beispiel in der dritten Staffel von Person of Interest (Folgen 11-13), in der ein Teammitglied nach dem Tod einer sehr geschätzten Kollegin für viele Wochen jeden Sinn für sich verliert, und erst langsam, als er unfreiwillig, das Leben aller Passagiere eines Passagierflugzeugs bewahren konnte, wieder zum Team zurückfindet. Seine neue Sinn-Formel lautet: es geht nicht um das Töten von Bösen, sondern um das Bewahren der Guten. Wer die Guten sind bleibt offen.

Zur Fortsetzung zum Thema ‚Person of Interest‘ siehe HIER.

Eine Übersicht zu allen Blogeinträgen von cagent nach Titeln findet sich HIER.

PHILOSOPHY-IN-CONCERT Exercise 1b – SKOP-Festival Frankfurt 12.12.2015 20:00h

Der Autor cagent von diesem Blog tritt am 12.Dezember 2015 um 20:00h wieder als cagentartist im Rahmen des SKOP-Festivals auf. Es ist ein weiteres Experiment mit dem neuen Performance-Format PHILOSOPHY-IN-CONCERT. Es geht darum ein neues Format zu finden, wie man philosophisch-wissenschaftliche Inhalte im Rahmen einer künstlerischen Performance mit Klangstrukturen realisieren kann. Dies ist das zweite Experiment in einer Folge von geplanten Experimenten dieser Art. Für weitere Details siehe hier.

NOTIZEN ZU DEN GROSSEN MEILENSTEINEN DER LEBENSPHÄNOMENE

  1. Wenn man Bücher wie z.B. das von B.Kegel zu den Mikroben oder jenes von Storch, Welsch und Wink zur Evolutionsbiologie (hier abgekürzt: EB) liest, dann kann man sich an der ungeheuren Vielfalt der Phänomene berauschen. Doch diese Bücher bieten zugleich Ansatzpunkte zum Verstehen, dass sich diesen Phänomenen Strukturen zuordnen lassen, innerhalb deren sie auftreten; mehr noch; man erkennt ansatzweise auch Prozesse, die solche Strukturen hervorbringen und verändern.
  2. Viele sprechen in diesem Zusammenhang von Evolution, doch darf man fragen, ob das, was normalerweise als Evolution bezeichnet wird, schon jenen Prozesse beschreibt, der tatsächlich ablaufen. Die Antwort hängt davon ab, welchen Rahmen man voraussetzt. Wieviele und welche Phänomene nehme ich ernst, will ich erklären.
  3. In EB nennen die Autoren auf S.90 zehn Ereignisse, von denen Sie sagen, dass Sie im Kontext der bekannten Lebensphänomene etwas Besonderes darstellen:
    1. Beginn des Lebens (erste Zellen), ca. -4Mrd
    2. Auftreten eukaryontischer Zellen, ca. -2Mrd
    3. Vielzellige Verbände, ca. -1.85 Mrd
    4. Hartstrukturen, ca. -0.6Mrd
    5. Räuber, ca. -0.57 Mrd
    6. Riffe, ca. -0.525
    7. Besiedlung des Landes, ca. -0.42
    8. Bäume/ Wald, ca. -0.365
    9. Flug, ca. -0.310
    10. Menschliches Bewusstsein, ca. -0.05Mrd
  4. Diesen Phänomenen ist gemeinsam, dass sie alle auf der Funktionsweise und der Kooperation von Zellen (Archaeen, Bakterien, Eukaryoten) basieren.
  5. Andererseits wissen wir, dass sie sich nicht im luftleeren Raum abgespielt haben, sondern unter sehr konkret realen Bedingungen der Erde in ihrer jeweiligen Verfassung. Dies bedeutet, diese Phänomene repräsentieren nur eine Seite, eine Hälfte, des Phänomens. Die andere Seite, die andere Hälfte ist die jeweilige Umgebung. Letztlich ist es diese Umgebung, die diktiert, vorgibt, was überhaupt möglich ist.
  6. So ist die Transformation der Umgebung von einer Nicht-Sauerstoffwelt zu einer Sauerstoffwelt ein extremes Ereignis: die biologischen Strukturen haben einen Trigger gefunden, mit dem sie die Verhältnisse unter und über Wasser so radikal geändert haben, dass nicht nur eine neue, verbesserte Form der Energieausnutzung aller Zellen möglich wurde, sondern zusätzlich entstand eine Atmosphäre, die das Wasser der Ozeane daran gehindert hat, dieses Wasser durch die UV-Strahlung praktisch verdunsten zu lassen.
    1. Beginn des Lebens (erste Zellen), ca. -4Mrd
    2. Beginn der Sauerstoffproduktion (ca. -3.5 bis -2.5 Mrd) und deren Umwandlung der Atmosphäre (ca. ab -2.4/ -2.3 Mrd)
    3. Auftreten eukaryontischer Zellen, ca. -2Mrd
    4. Vielzellige Verbände, ca. -1.85 Mrd
    5. Hartstrukturen, ca. -0.6Mrd
    6. Räuber, ca. -0.57 Mrd
    7. Riffe, ca. -0.525
    8. Besiedlung des Landes, ca. -0.42
    9. Bäume/ Wald, ca. -0.365
    10. Flug, ca. -0.310
    11. Menschliches Bewusstsein, ca. -0.05Mrd
  7. Obwohl die Entstehung der Sauerstoffwelt kein biologisches Phänomen im engeren Sinne ist, ist es dennoch ohne die Aktivität biologischer Lebensformen nicht erklärbar. Anders gesagt, zunächst ist die Erde, wie sie ist, und die biologischen Strukturen müssen sich innerhalb dieser Gegebenheiten einen Weg suchen. Nach ca. 1.5 Mrd Jahren führt aber die Aktivität der biologischen Strukturen in Interaktion mit der vorhandenen Welt dazu, diese Welt real so zu verändern, dass sie für die biologischen Strukturen eine andere Welt geworden ist. Die biologische Strukturen im Mikrobereich des Lebens hatten und haben eine solche Kraft, dass sie einen ganzen Planeten samt seiner Atmosphäre nachhaltig verändern konnten. Ohne die so entstandene Sauerstoffwelt wäre alles Leben auf der Erdoberfläche, so, wie wir es heute kennen, unmöglich.
  8. Nachdem ein Bewusstsein in der Form des menschlichen Bewusstseins auftrat, entwickelten die Menschen auf der Basis dieses Bewusstseins in relativ kurzer Zeit und dann immer schneller, Verhaltensweisen und Lebensformen mit einer Unzahl von Spielarten, bei denen es nicht ganz leicht ist, zu sagen, ob sie bedeutsam waren/ sind oder nicht. Letztlich hängt es immer von der Betrachtungsweise ab, ob etwas in einem gewählten Kontext bedeutsam erscheint. Die folgende Liste ist daher nicht zu lesen als eine dogmatische Festsetzung als vielmehr nur eine lockere Auswahl einiger Phänomene von vielen, die möglicherweise eine wichtige Rolle spielen.
    1. Beginn des Lebens (erste Zellen), ca. -4Mrd
    2. Beginn der Sauerstoffproduktion (ca. -3.5 bis -2.5 Mrd) und deren Umwandlung der Atmosphäre (ca. ab -2.4/ -2.3 Mrd)
    3. Auftreten eukaryontischer Zellen, ca. -2Mrd
    4. Vielzellige Verbände, ca. -1.85 Mrd
    5. Hartstrukturen, ca. -0.6Mrd
    6. Räuber, ca. -0.57 Mrd
    7. Riffe, ca. -0.525
    8. Besiedlung des Landes, ca. -0.42
    9. Bäume/ Wald, ca. -0.365
    10. Flug, ca. -0.310
    11. Menschliches Bewusstsein, ca. -0.05Mrd
    12. Erste Städte, ca. -10.000
    13. Schriftsprachen, ca. -3.000
    14. Gesetze
    15. Bücher
    16. Elektrizität
    17. Energiegewinnung mit fossilen Brennstoffen, Atomenergie,Wasser, Wind, Sonne, Bioreaktoren…
    18. Mobiler Verkehr
    19. Industrielle Ernährungswirtschaft
    20. Megastädte (mehr als 10 Mio Einwohner)
    21. Computer
    22. Gentechnik
    23. Vernetzte Computer
  9. Wir können heute definitiv feststellen, dass die Aktivitäten alleine des homo sapiens, einer absoluten Minderheit im Kontext des Lebens, das Ökosystem der Erde wie auch die Erde selbst schon so nachhaltig verändert hat, dass die Ressourcen für Nahrung knapp werden, dass ein gewaltiges Artensterben eingesetzt hat, dass wichtige Biotope zerstört werden, und dass das Klima sich in einer Weise zu verändern begonnen hat, das zu sehr nachhaltigen Störungen führen kann, die dann die Lebensbedingungen allgemein erschweren werden. Das komplexeste (? wie zu messen?) Produkt, was der Lebensprozess bislang hervorgebracht hat, der homo sapiens, hat offensichtlich Probleme, mit der vorfindlichen Komplexität, zu der der Mensch selbst auch gehört, fertig zu werden. Deutet man dies als mangelnde Anpassungsfähigkeit, dann sagt die bisherige Geschichte voraus, dass eine größere Katastrophe eintreten wird, durch die alle Organismen mit einem schlecht angepassten Verhalten aussterben werden.
  10. Das Besondere der aktuellen Situation ist, dass der Mensch sein Verhalten tatsächlich weitgehend selbst bestimmen kann. Wenn die Menschheit besser wüsste, was am besten zu tun ist, dann könnte sie dies einfach tun. Im Alltagsleben menschlicher Gesellschaften gibt es aber so viele Prozesse, die viel kurzsichtigere, egoistischere, emotional verblendete Ziele verfolgen, die keinerlei Bezug zum großen Ganzen haben. In dem Masse, wie diese kurzsichtigen Perspektiven die Mehrheit bilden, den Ton angeben, in dem Masse wird das gesamtmenschliche Verhalten die Erde weiterhin in wichtigen Bereichen nachhaltig zerstören und damit eine Anpassungskatastrophe einleiten.
  11. Man könnte in dieser Situation den Schluss ziehen, dass die Menschen neue geistige Konzepte, neue Verhaltensmodelle, ein neues=besseres Menschenbild, neue Regeln, neue Ethiken benötigen, um sich den veränderten Verhältnissen angemessen zu nähern. Nimmt man die allgemeinen Medien als Gradmesser für das alltägliche Denken, dann findet man hier derart primitive und rückwärtsgewandte Konzepte, dass nicht zu sehen ist, wie von hier eine ‚Erneuerung‘ des Denkens für eine gemeinsame Zukunft stattfinden soll. Begleitet wird diese regressive Medienwelt von einer – dann nicht verwunderlichen – Radikalisierung, Vereinfachung, Nationalisierung, Gewaltverherrlichung, die sich in der Politik dahingehend niederschlägt, dass Abgrenzungen, Nationalisierungen, Radikalisierungen bevorzugt werden. genau das Gegenteil wäre notwendig. Wenn das die einzige Antwort ist, die die Menschheit auf die gewachsenen Komplexitäten und zunehmenden Umweltzerstörungen zu bieten hat, dann wird es für eine nachhaltige Zukunft nicht reichen.
  12. Nachbemerkung: die obige Liste an Ereignissen könnte (und müsste) man natürlich auch nach hinten verlängern. Bis hin zum sogenannten Big Bang. Über die Stufen
    1. Big Bang
    2. Subatomare Teilchen
    3. Atome
    4. Gaswolken
    5. Sterne
    6. Moleküle
    7. Galaxien
  13. wäre auch eine Menge zu sagen. Alle wichtige Fragen hat die Physik bislang nicht gelöst. Dass die Physik bislang fantastische Ergebnisse erzielt hat ist wunderbar und anzuerkennen. Es wäre aber ein fataler Fehler, jetzt zu glauben, wir wüssten damit schon viel und könnten uns jetzt ausruhen. Nein, wir wissen gerade mal so viel, dass wir abschätzen können, dass wir fast nichts wissen. Alles hängt ab von der jeweils jungen Generation an Ingenieuren, Wissenschaftlern und Forschern. Wer hilft Ihnen, die entsprechenden Ziele zu setzen und die notwendigen Wege zu gehen?

DIE HERRSCHER DER WELT – BESPRECHUNG DES BUCHES VON B.KEGEL – Teil 2

Kegel, V., Die Herrsher der Welt. Wie Mikroben unser Leben bestimmen, Köln: DuMont Buchverlag, 2015

Storch, V., Welsch, U., Wink, M. Evolutionsbiologie, 3.rev. Afl., Berlin-Heidelberg: Springer Spektrum, 2013 (abgekürzt: EB)

  1. Dieser Besprechung ging ein Teil 1 voraus, in dem ein erster Eindruck vermittelt wird über die Zeiträume, die von Mikroben betroffen sind (ca. 4 Mrd Jahre (10^9)), außerdem von der unfassbaren Anzahl von Mikroben, die sich überall finden (z.B im menschlichen Körper schätzt man 100 Billionen (10^12), dazu nochmals ca. 224 Milliarden (10^9) auf der Haut). Dazu muss man sich klar machen, dass unsere menschlichen Körper letztlich ein Zellverband darstellt mit ca. 37.2 Billionen (10^12) Körperzellen.
  2. Im nachfolgenden Kapitel wurde dann deutlich, dass die ungeheuren Zahlen an Bakterien und Körperzellen mit dem Begriff Verband nur ungenügend beschrieben sind. Es ist eine hochkomplexe Lebensgemeinschaft mit raffinierten Mechanismen der Kommunikation und der Kooperation, herausgebildet über viele Millionen, wenn nicht hunderte Millionen von Jahren. Dazu benutzte der Autor Kegel das Wort Holobiont (was sich in einem Standardlehrbuch wie EB nicht findet).

VON DER URERDE ZUR SAUERSTOFFWELT (SS.91 – 124)

  1. Im dritten Kapitel greift Kegel die historische Dimension der Mikrobenentstehung nochmals auf und schildert etwas ausführlicher die vermuteten Rahmenbedingungen der Erde, bei der Entstehung der Mikroben und deren frühen Entwicklung (siehe Schaubild; von Autor cagent ergänzt mit Daten aus EB).
  2. Zeitlicher Rahmen für die entstehung und die Entwicklung der Mikroben als Bausteine des Lebens
    Zeitlicher Rahmen für die entstehung und die Entwicklung der Mikroben als Bausteine des Lebens

  3. Wie genau die Entstehung der ersten Mikroben zu denken ist, das weiß man bis heute nicht exakt (vgl. S.103f); es gibt allerdings theoretische Modelle, die mögliche Entstehungen skizzieren. Klar ist nur, dass es neben der Fähigkeit der Reproduktion primär um die Fähigkeit geht, Energie aus der Umgebung zu entziehen und diese dann für verschiedene chemische Prozesse zu nutzen. Und hier gibt es die bis zum Auftreten der Menschen nur zwei Strategien: (i) ohne Sauerstoff und (ii) mit Sauerstoff.
  4. Sauerstoff (O2) gab es zwar auch schon vor der Sauerstoffwelt, allerdings gebunden. (vgl. S.99) Erst die Erfindung der Umwandlung von Lichtenergie in Zucker und Sauerstoff durch die Cyanobakterien (irgendwann so ab ca. -2.5 Mrd Jahren) machte Sauerstoff O2 frei verfügbar. Und es war ein erdgeschichtliches Ereignis ohne gleichen, da bis heute die Cyanobakterien die einzigen sind, die dies können. (vgl. S.105) Bis diese Erfindung aber in Form neuer Lebewesen (Zellen, Pflanzen und Tiere) wirksam wurde, die auf der Erdoberfläche mit Sauerstoff leben, verging eine sehr, sehr lange Zeit.
  5. Der produzierte Sauerstoff oxidierte ca. 100-200 Mio Jahre mit allerlei Materialien im Meer, bis er es vor ca. -2.4/-2.3 Mrd Jahren schaffte in die Atmosphäre einzutreten. Die Mengen waren noch gering (0.1%), doch reichten diese Mengen aus, durch Reaktion mit Methan in der Atmosphäre Kohlendioxyd CO2 zu bilden. Dies wiederum reichte aus, um zu einer Abkühlung zu führen, die 300-400 Mio Jahre gedauert hat (Huronische Eiszeit).(S.106) Zugleich baute sich aber weiterhin Sauerstoff weiter in der Atmosphäre auf und führte langfristig damit zur Ausbildung einer Ozonschicht, die die UV-Strahlen daran hinderten, das Wasser der Meere in seine Bestandteile zu zerlegen. (S.113)
  6. Ab ca. -1.8/-1.45 MRD Jahren treten komplexe eukaryontische Zellen auf, die nach der zur Zeit am meisten akzeptierten Hypothese aus methanogenen Archaeen als Wirt und Bakterien als Symbionten hervorgegangen sind. (S.115) Dies ist ein Fall von Endosymbiose, ein höchst komplexes Ineinander von Genom des Wirtes und DNA in den Symbionten, durch die die chemischen Prozesse gesteuert werden. (119)
  7. Erst ca. -1.0 MRD (EB 236) bzw. -0.8 MRD (Kegel S.124) finden wir dann vielzellige Lebewesen, die sich dann in der Folgezeit zu unvorstellbar komplexen Systemen weiter entwickeln.
  8. Der heutige Sauerstoffpegel wird etwa um -0.35 MRD Jahre erreicht.

DISKUSSION

  1. Der Text von Kegel kommt leicht erzählend rüber und liest sich gut. Sobald man sich auf die Inhalte einlässt, stellen sich aber viele weitere Fragen, die sich dann durch die lockere Anordnung der Ideen nicht mehr so leicht beantworten lassen. So vermisse ich systematische Überblicke, in denen die einzelnen Aspekte ein wenig im Zusammenhang erscheinen.
  2. Bei dem Versuch, mir aus den Einzelfakten solch einen Überblick zu rekonstruieren, bin ich auf viele offene Fragen gestoßen, die ich schließlich nur mit Hilfe weitere Bücher – insbesondere des Buches EB! – sowie einzelner Beiträge aus der englischen Wikipedia ansatzweise beantworten konnte.
  3. Insgesamt werden die Umrisse eines imposanten Gemäldes sichtbar, das die großen Linien der Entstehung des Lebens auf dieser Erde aufscheinen lässt, wobei der Kontext selbst, unsere Erde, nicht weniger wild, dynamisch und großartig daherkommt.
  4. Speziell aber auch der Blick in die Feinstrukturen des Biologischen, in die unfassbar komplexen Ablauf- und Steuerungsprozesse, das Ineinandergreifen von so vielen Prozessen, die Vielfalt der Informationen, deren Speicherung und Nutzung, ist geradezu Schwindelerregend. Was hier die Biologie mit all ihren Spezialdisziplinen bislang geleistet hat, ist fantastisch. Dennoch, gerade weil immer mehr sichtbar wird, stellen sich auch immer mehr neue, tiefgreifende Fragen. Mehr oder weniger ungelöst erscheinen mir die übergreifenden theoretischen Fragen, nach welchen Kriterien, Gesetzen sich diese komplexen Strukturen ausbilden konnten. Und dann, nachdem es Archaeen, Bakterien und Eukaryonten gab, wie es die Vielzeller mit ihren Milliarden bis Billionen Zellen geschafft haben, in all diesen geradezu galaktischen Strukturen Kommunikation und Kooperation für eine systemstabilisierende Ordnung aufzubauen und zu halten.
  5. Eine Fortsetzung der Besprechung ist unklar, da ich (nach Abschluss der Lektüre) so viele spannende weiterführende Gedanken bekommen habe, dass ich möglicherweise direkt da weiter mache. Mal sehen.

Einen Überblick über alle Beiträge von cagent im Blog nach Titeln findet sich HIER.

DIE HERRSCHER DER WELT: MIKROBEN – BESPRECHUNG DES BUCHES VON B.KEGEL – Teil 1

Bernhard Kegel, (2015), Die Herrscher der Welt, Wie Mikroben unser Leben bestimmen, Köln: Dumont

1. Der Autor dieser Besprechung muss zunächst bekennen, dass er von der Materie des Buches vor der Lektüre kaum etwas gewusst hatte. Das kann gegen ihn sprechen (wie kann er dann so ein Buch besprechen), das kann aber gerade auch ein guter Maßstab sein, die kommunikative Qualität des Buches zu messen. Denn in der heutigen Welt explodierender Einzelwissenschaften ist das wechselseitige Verstehen der vielen Disziplinen durch die Spezialisierungen und Menge der neuen Publikationen eher schwierig geworden.
2. Und das muss man dem Buch gleich vorweg zugestehen: es ist gut lesbar geschrieben, es schildert nicht nur einzelne Fakten sondern stellt Zusammenhänge her; mehr noch, es bettet die Ergebnisse auch in die Schilderung der Forschungsprozesse selbst ein. Man kann buchstäblich miterleben, wie junge Forscher und Forscherinnen sich im Forschungsalltag jenseits der Banalitäten an aufregende Sachverhalte heranarbeiten, wie viele Jahre, ja Jahrzehnte notwendig sind, um einzelne Aspekte zu klären, abzusichern, verständlich zu machen. Und wen es interessiert, den führen die zahlreichen Anmerkungen zu der einschlägigen Fachliteratur.
3. Das dies alles so wunderbar ineinandergreift ist dem Umstand geschuldet, dass der Autor – obgleich sehr sachkundig –, nicht primär als Einzelwissenschaftler schreibt, sondern als Vermittler zwischen vielen Forschungsgruppen, als jemand, der die vielen neuen Ergebnisse zusammenfasst, in einen Gesamtrahmen einfügt, bisweilen versuchsweise, noch nicht als letzte feste Theorie, und dies eingebettet in einen sehr lesbaren Schreibstil. Das einzige, was man als Kritik äußern könnte, wenn man kritisieren wollte, wäre aus meiner Sicht, dass ein paar zusätzliche Übersichtstafeln hilfreich sein könnten, um die Vielfalt im Zusammenhang noch besser sichtbar zu machen.

MIKROBEN ÜBERALL (SS.1-48)

Zeitrahmen für Entstehung der Mikroben
Zeitrahmen für Entstehung der Mikroben

4. Zeitlich verortet die Wissenschaft den Beginn von ersten Mikroben ungefähr bei -4 Milliarden Jahren, also in einer Zeit, in der die Erde noch immer ungemütlich war. Bis zum Auftreten erster Tiere auf dem Land vor ca. -700 bis -800 Mio Jahren beherrschten die Mikroben die Erde und, wie man seit ungefähr 10 Jahren immer mehr entdecken kann, sind sie auch heute allgegenwärtig.
5. Man findet sie im Meeresschlamm wie in den Böden (1 Teelöffel enthält ca. 20.000 Arten mit einer Überdeckung von nur 0.1% (vgl. S.22)). In den Meeren leben ungefähr 1 Mio verschiedene Arten mit einem Anteil von 50-90% der Biomasse der Meere. (vgl. S.21f) Im Gestein Kilometertief unter dem Meeresboden vermutet man 2/3 der Biomasse der Erde. (vgl. s.21) Man findet sie ferner unter dem Eis der Antarktis wie auch in der Atmosphäre und Troposphäre.
6. Diese fantastische Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Umgebungen wird ergänzt durch eine nicht weniger fantastische Kooperationsfähigkeit untereinander und mit Wirtssystemen.

 

Korallenriff als Beispiel der Kooperation zwischen Wirt und Symbionten
Korallenriff als Beispiel der Kooperation zwischen Wirt und Symbionten

 

7. Nach neuen Modellrechnungen umfasst der menschliche Körper ca. 37.2 Billionen (10^12) Körperzellen, die miteinander kooperieren (vgl. S.35). Es soll aber etwa 3x soviel Mikroben im menschlichen Körper geben (c. 100 Billionen). (vgl.S.34) Diese Mikroben im Körper erzeugen etwas 1/3 der Stoffwechselverbindungen im Blut, ws beinhaltet, dass Mikroben über solche Stoffwechselverbindungen das Gehirn beeinflusse können. (vgl. S.17) Neben den Mikroben im Körper kommen dann nochmals ca. 224 Milliarden (10^9) Mikroben auf der Haut. Also zum Kontrast: 1 cm^2 menschliche Haut beherbergt etwa 10 Mio verschiedene Arten von Mikroben, 1 cm^3 Darminhalt aber bis zu 1 Billion (10^12).(vgl. S.34) Zusätzlich hat man entdeckt, dass die Verteilung der Arten sehr kleinräumig ausdifferenziert ist und dass die Überdeckung mit gleichen Arten zwischen den Regionen gering ist.(vgl. S.30) Z.B. weisen rechte und linke Hand nur eine Übereinstimmung von ca. 17% auf. (vgl. S.39) Oder, von den 4700 Arten, die auf den Händen von 51 Studierenden gefunden worden waren, gab es nur 5 (!), die sich auf allen Händen fanden. (vgl.S.39) Im Buch selbst finden sich zahllose weitere beeindruckende Befunde.
8. Was hier so abstrakt theoretisch klingen mag, birgt ein riesiges Potential an möglichen praktischen Nutzanwendungen, da diese ungeheure Vielfalt eine unfassbar große Zahl an neuen Proteinen, Antibiotika und Enzymen beinhaltet, die sich der Mensch für spezielle Aufgaben nutzbar machen könnte. (vgl. S.24)

KORALLEN ALS HOLOBIONTEN (SS.49-90)

 

Kooperation der Mikroben am Beispiel der Korallenriffe
Kooperation der Mikroben am Beispiel der Korallenriffe

 

9. Im folgenden Kapitel entführt das Buch zu einem ersten Staunen über die sehr differenzierten Kooperationsmuster, die zwischen verschiedenen Mikroben zu beobachten sind. Am Beispiel des Meerwasserpolypen, der als Nebenprodukt riesige Korallenriffe entstehen lässt (und seinem unspektakulär erscheinenden Pendant im Süßwasser Hydra, der allein lebt) wird aufgezeigt, wie dieser Polyp sowohl unterschiedliche Algenarten (kleine Bakterien, die der Fotosynthese fähig sind) und unterschiedliche Bakterien, die Stickstoff synthetisieren können, in sich so aufnehmen kann, dass sie nicht als Nahrung verdaut werden, sondern als Partner fungieren, die die Stoffwechselprozesse des Polypen unterstützen. (vgl.S.83)
10. Damit solche Kooperationsprozesse möglich sind, mussten die Membranen der kooperierenden Zellen chemisch so umgebaut werden, dass hinreichend viele chemische Interaktionen als Kommunikation und Kooperation stattfinden können. Damit werden die Membranen jeweils zu einer Schnittstelle, zu einem Interface der Kooperation.(vgl. S.58) Diese Austauschprozesse sind hochkompliziert und sind labil. Je nach Umgebungsbedingungen, kommen unterschiedliche Mikrobenarten zum Einsatz.(vgl. S.63ff) Allerdings sind typische Verteilung relativ stabil, da sie auch im Genom des Wirtes verankert sind.(vgl. S.87ff)
11. Bedenkt man die chemischen Prozesse, die notwendig sind, damit sich solche komplexen und differenzierten Interaktionsmuster ausbilden können, dann wird klar, dass es viele Mio Jahre braucht, damit sich diese Muster ausbilden können. Rasche, abrupte Veränderungen der Umwelt, wie z.B. die aktuelle Erderwärmung, können von daher dieses komplexe Ökosystem überfordern. Grundsätzlich kann es reagieren, aber möglicherweise nicht schnell genug.

DISKURS

12. Für eine eigentliche Diskussion ist es noch zu früh. Man kann aber schon an dieser Stelle spüren, dass die Sicht auf das Leben unter Berücksichtigung der Welt der Mikroben eine radikal andere ist, als jene, in der die Mikroben nicht explizit berücksichtigt werden. Auch das Konzept einer evolutionären Entwicklung bleibt abstrakt, unwirklich, wenn es diese Vielfalt, diese unfassbare dichten und differenzierten Kooperationsmuster nicht berücksichtigt.
13. Vor allem wirft dies auch ein ganz neues Licht auf das Verständnis des Körpers. Zwar hat die Gehirnforschung mit ihrem Blick auf die 100 Mrd einzelnen Gehirnzellen (mit zusätzlichen diversen Unterstützerzellen) das Nachdenken über Bewusstsein, Geist, Kognition, Wahrnehmung, Gedächtnis usw. schon deutlich neue Impulse verliehen, aber so richtig scheinen mir diese neuen Überlegungen immer noch nicht im ‚Innern des kulturellen Bewusstseins‘ angekommen zu sein. Hier liegt noch ein sehr weiter Weg vor uns und es ist schwer abzuschätzen, wie unser Bild vom Leben, von der Welt, von der Zukunft des Lebens im Universum sich in den kommenden Jahrzehnten weiter entwickeln wird. Die Mikrobiologie wird hier unzweifelhaft eine zentrale Rolle spielen, wenngleich auch sie alleine viele wichtigen Fragen nicht wird beantworten können.
14. Fortsetzung folgt HIER

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VOM VERSCHWINDEN DES MENSCHEN – EIN GEDANKLICHER KURZSCHLUSS? – Thema der Philosophiewerkstatt vom 13.Dez.2015

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EINLADUNG ZUR NÄCHSTEN

philosophieWerkstatt v3.0

am

Sonntag, 13.Dez.2015

16:00 – 19:00h

in der
DENKBAR Frankfurt
Spohrstrasse 46a

Essen und Trinken wird angeboten von Michas Essen & Trinken. Parken ist im Umfeld schwierig; evtl. in der Rat-Beil-Strasse (entlang der Friedhofsmauer).

Anliegen der Philosophiewerkstatt ist es, ein philosophisches Gespräch zu ermöglichen, in dem die Fragen der TeilnehmerInnen versuchsweise zu Begriffsnetzen verknüpft werden, die in Beziehung gesetzt werden zum allgemeinen Denkraum der Philosophie, der Wissenschaften, der Kunst und Religion. Im Hintergrund stehen die Reflexionen aus dem Blog cognitiveagent.org, das Ringen um das neue Menschen- und Weltbild.

PROGRAMMVORSCHLAG

Als Programmablauf für den 13.12.15 wird vorgeschlagen:

16:00h Begrüßung
16:15h Kurzeinführung durch Gerd Doeben-Henisch anhand von zwei Mini-Hörspielen von jeweils ca. 5 Minuten.
16:30h Danach gemeinsame Reflexion zum Thema mit begleitender Erstellung eines Begriffsnetzwerkes.
17:30h ‚Blubberphase‘ – jeder kann mit jedem reden, um das zuvor gesagte ‚aktiv zu verdauen‘
18:00h Schlussdiskussion mit Zusammenfassung der Ergebnisse
18:45h Themenvorschläge für die nächste Sitzung

PHILOSOPHIEWERKSTATT ÜBERBLICK

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