Archiv für den Tag: 8. Dezember 2015

DIE HERRSCHER DER WELT – BESPRECHUNG DES BUCHES VON B.KEGEL – Teil 2

Kegel, V., Die Herrsher der Welt. Wie Mikroben unser Leben bestimmen, Köln: DuMont Buchverlag, 2015

Storch, V., Welsch, U., Wink, M. Evolutionsbiologie, 3.rev. Afl., Berlin-Heidelberg: Springer Spektrum, 2013 (abgekürzt: EB)

  1. Dieser Besprechung ging ein Teil 1 voraus, in dem ein erster Eindruck vermittelt wird über die Zeiträume, die von Mikroben betroffen sind (ca. 4 Mrd Jahre (10^9)), außerdem von der unfassbaren Anzahl von Mikroben, die sich überall finden (z.B im menschlichen Körper schätzt man 100 Billionen (10^12), dazu nochmals ca. 224 Milliarden (10^9) auf der Haut). Dazu muss man sich klar machen, dass unsere menschlichen Körper letztlich ein Zellverband darstellt mit ca. 37.2 Billionen (10^12) Körperzellen.
  2. Im nachfolgenden Kapitel wurde dann deutlich, dass die ungeheuren Zahlen an Bakterien und Körperzellen mit dem Begriff Verband nur ungenügend beschrieben sind. Es ist eine hochkomplexe Lebensgemeinschaft mit raffinierten Mechanismen der Kommunikation und der Kooperation, herausgebildet über viele Millionen, wenn nicht hunderte Millionen von Jahren. Dazu benutzte der Autor Kegel das Wort Holobiont (was sich in einem Standardlehrbuch wie EB nicht findet).

VON DER URERDE ZUR SAUERSTOFFWELT (SS.91 – 124)

  1. Im dritten Kapitel greift Kegel die historische Dimension der Mikrobenentstehung nochmals auf und schildert etwas ausführlicher die vermuteten Rahmenbedingungen der Erde, bei der Entstehung der Mikroben und deren frühen Entwicklung (siehe Schaubild; von Autor cagent ergänzt mit Daten aus EB).
  2. Zeitlicher Rahmen für die entstehung und die Entwicklung der Mikroben als Bausteine des Lebens
    Zeitlicher Rahmen für die entstehung und die Entwicklung der Mikroben als Bausteine des Lebens

  3. Wie genau die Entstehung der ersten Mikroben zu denken ist, das weiß man bis heute nicht exakt (vgl. S.103f); es gibt allerdings theoretische Modelle, die mögliche Entstehungen skizzieren. Klar ist nur, dass es neben der Fähigkeit der Reproduktion primär um die Fähigkeit geht, Energie aus der Umgebung zu entziehen und diese dann für verschiedene chemische Prozesse zu nutzen. Und hier gibt es die bis zum Auftreten der Menschen nur zwei Strategien: (i) ohne Sauerstoff und (ii) mit Sauerstoff.
  4. Sauerstoff (O2) gab es zwar auch schon vor der Sauerstoffwelt, allerdings gebunden. (vgl. S.99) Erst die Erfindung der Umwandlung von Lichtenergie in Zucker und Sauerstoff durch die Cyanobakterien (irgendwann so ab ca. -2.5 Mrd Jahren) machte Sauerstoff O2 frei verfügbar. Und es war ein erdgeschichtliches Ereignis ohne gleichen, da bis heute die Cyanobakterien die einzigen sind, die dies können. (vgl. S.105) Bis diese Erfindung aber in Form neuer Lebewesen (Zellen, Pflanzen und Tiere) wirksam wurde, die auf der Erdoberfläche mit Sauerstoff leben, verging eine sehr, sehr lange Zeit.
  5. Der produzierte Sauerstoff oxidierte ca. 100-200 Mio Jahre mit allerlei Materialien im Meer, bis er es vor ca. -2.4/-2.3 Mrd Jahren schaffte in die Atmosphäre einzutreten. Die Mengen waren noch gering (0.1%), doch reichten diese Mengen aus, durch Reaktion mit Methan in der Atmosphäre Kohlendioxyd CO2 zu bilden. Dies wiederum reichte aus, um zu einer Abkühlung zu führen, die 300-400 Mio Jahre gedauert hat (Huronische Eiszeit).(S.106) Zugleich baute sich aber weiterhin Sauerstoff weiter in der Atmosphäre auf und führte langfristig damit zur Ausbildung einer Ozonschicht, die die UV-Strahlen daran hinderten, das Wasser der Meere in seine Bestandteile zu zerlegen. (S.113)
  6. Ab ca. -1.8/-1.45 MRD Jahren treten komplexe eukaryontische Zellen auf, die nach der zur Zeit am meisten akzeptierten Hypothese aus methanogenen Archaeen als Wirt und Bakterien als Symbionten hervorgegangen sind. (S.115) Dies ist ein Fall von Endosymbiose, ein höchst komplexes Ineinander von Genom des Wirtes und DNA in den Symbionten, durch die die chemischen Prozesse gesteuert werden. (119)
  7. Erst ca. -1.0 MRD (EB 236) bzw. -0.8 MRD (Kegel S.124) finden wir dann vielzellige Lebewesen, die sich dann in der Folgezeit zu unvorstellbar komplexen Systemen weiter entwickeln.
  8. Der heutige Sauerstoffpegel wird etwa um -0.35 MRD Jahre erreicht.

DISKUSSION

  1. Der Text von Kegel kommt leicht erzählend rüber und liest sich gut. Sobald man sich auf die Inhalte einlässt, stellen sich aber viele weitere Fragen, die sich dann durch die lockere Anordnung der Ideen nicht mehr so leicht beantworten lassen. So vermisse ich systematische Überblicke, in denen die einzelnen Aspekte ein wenig im Zusammenhang erscheinen.
  2. Bei dem Versuch, mir aus den Einzelfakten solch einen Überblick zu rekonstruieren, bin ich auf viele offene Fragen gestoßen, die ich schließlich nur mit Hilfe weitere Bücher – insbesondere des Buches EB! – sowie einzelner Beiträge aus der englischen Wikipedia ansatzweise beantworten konnte.
  3. Insgesamt werden die Umrisse eines imposanten Gemäldes sichtbar, das die großen Linien der Entstehung des Lebens auf dieser Erde aufscheinen lässt, wobei der Kontext selbst, unsere Erde, nicht weniger wild, dynamisch und großartig daherkommt.
  4. Speziell aber auch der Blick in die Feinstrukturen des Biologischen, in die unfassbar komplexen Ablauf- und Steuerungsprozesse, das Ineinandergreifen von so vielen Prozessen, die Vielfalt der Informationen, deren Speicherung und Nutzung, ist geradezu Schwindelerregend. Was hier die Biologie mit all ihren Spezialdisziplinen bislang geleistet hat, ist fantastisch. Dennoch, gerade weil immer mehr sichtbar wird, stellen sich auch immer mehr neue, tiefgreifende Fragen. Mehr oder weniger ungelöst erscheinen mir die übergreifenden theoretischen Fragen, nach welchen Kriterien, Gesetzen sich diese komplexen Strukturen ausbilden konnten. Und dann, nachdem es Archaeen, Bakterien und Eukaryonten gab, wie es die Vielzeller mit ihren Milliarden bis Billionen Zellen geschafft haben, in all diesen geradezu galaktischen Strukturen Kommunikation und Kooperation für eine systemstabilisierende Ordnung aufzubauen und zu halten.
  5. Eine Fortsetzung der Besprechung ist unklar, da ich (nach Abschluss der Lektüre) so viele spannende weiterführende Gedanken bekommen habe, dass ich möglicherweise direkt da weiter mache. Mal sehen.

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