Archiv für den Tag: 20. Dezember 2015

PHILOSOPHISCHE ASPEKTE VON ‚HERR DER RINGE‘ – ‚STARWARS‘ – ‚PERSON OF INTEREST‘

KONTEXT

  1. Der Augen-Dominierte Mensch liebt Bilder wie die Mücke das Licht, das ihr den Tod bringen kann. Mit den neuen Technologien kann man nun zunehmend Bilder virtueller Dinge erzeugen, die nicht nur einer realen Welt sehr nahe kommen, nein, man kann künstliche Welten erschaffen, Fantasiewelten, die die Wirklichkeit weit hinter sich lassen. Dazu ein Soundtrack, der aus einem schier unerschöpflichen Klangreservoire schöpfen kann, um auf der Klaviatur der Gefühle der Betrachter wie auf einem Instrument zu spielen: braucht es etwas Spannung, oder Trauer, oder wilde Freude, erhebende nationale Gefühle … Diese Mischung aus realistisch erscheinender Bildfantasie und subtilem Sound umschlingt den Betrachter, hüllt ihn ein, versetzt ihn in eine scheinbar andere Welt, die die gegenwärtige reale Welt für Momente vergessen lassen kann. Dank unseres wunderbaren Gedächtnisses bleiben die Bilder und der Sound aber haften, graben sich ein in unser Inneres, und quellen dann immer wieder auf, wie betörende (giftige?) Dämpfe, die unser alltägliches Welterleben ergänzen, übermalen, verändern; im Guten wie im Schlechten.

HERR DER RINGE

  1. Eines der großen Bildepen der letzten Jahre war – und ist – sicher der Film, Herr der Ringe, dargeboten in drei Teilen. Den Bildern zugrunde liegt ein geschriebener Text, der als Text gefeiert worden war als sprachliches Kunstwerk, und dessen Inhalt die Welt der Leser in den Bann gezogen hat, verzaubert, betört. Kaum jemand konnte sich vorstellen, wie man dieses gewaltige Epos mit seinen äußerst fantasievollen Gestalten und Landschaften je würde verfilmen können. Aber es wurde getan, und die Bilder sind durchweg so überzeugend, dass der Abstand zwischen gelesener Bildwelt und verfilmter Bildwelt sehr klein ist, fast unmerklich klein.

  2. All die vielen wunderbaren Bilder (und Sounds!) gehorchen aber einem einzigen Thema: Die dunkle Macht, die alle bekannten Welten zu durchdringen sucht, zu beherrschen, versucht, in Angst und Schrecken zu versetzen, die Herzen der Menschen zu knebeln, entweder durch die individuellen Lüste und Begierden, oder schlicht durch die Angst vor dem Untergang; einem Untergang, der sowieso kommt und stattfindet, von dem aber viele nicht glauben wollen, dass es so ist. Obwohl man – bildlich – am eigenen Leibe schon brennt, glaubt man nicht, dass es brennen kann, da man es nicht glauben will. Der Überlebenswille der Menschen kann sehr stark sein, auch, wenn es sein muss, in der Vergewaltigung der Wahrheit.

  3. Es ist dann diese innere Geschichte der Geschichte, das Ringen um die Abwehr der dunklen Macht, die einerseits zwei kleine Menschlein, zwei Hobbits auf die Reise ins Herz der Finsternis schickt, und zugleich, parallel, der Aufmarsch der großen Kriegsheere, die furchterweckend den Horizont füllen können und sich wie dunkle schreckliche Wolken herabsenken auf die Nichtsahnenden, auf die Gutgläubigen, auf die ‚Normalen‘ und sie in Null-Komma-Nichts zermahlen zu gesichtslosen Fleischklumpen oder aus ihnen entseelte Vasallen machen.

  4. Das Schlussbild könnte stärker nicht sein: auf der einen Seite die letzte verzweifelte Konfrontation der menschlichen Heere in der Minderzahl gegenüber einer ungeheuren Masse an Kampfmaschinen der dunklen Macht, auf der anderen Seite zwei völlig erschöpfte Hobbit-Menschleins, die mit aller letzter Kraft einen Eingang zum Berg mit Feuer finden, in das sie den Ringe aller Ringe versenken sollen. Über Stunden wurde der Zuschauer unter Leidensdruck gesetzt, um den nahezu aussichtslosen Leidensweg der beiden Kleinwüchsigen miterleben zu müssen; irgendwie, gegen alle Hoffnung und Vorstellungskraft steht dann der eine, Frodo, auf einem Felsvorsprung über der Glutmasse, und in quälender Langsamkeit kippt seine Psyche. Er wirft den Ring nicht ins Feuer; eine tiefliegende Gier im Mensch, die Gier nach Macht, überwältigt ihn, und er steckt sich den Ring auf. Es ist das Genie des Romans, nun den anderen Gierigen in den Ring zu schicken, den noch kleineren Gollum, der sich auf den Unsichtbaren stürzt, im maßlosen Kampf dem Ringträger den Finger abbeißt, diesen dadurch wieder sichtbar macht, und dem Enddrama eine Chance verschafft, in Ehren zu Enden: der Siegestrunkene Gollum vergisst mögliche Gefahren und wird dann mit dem Ring in die glühenden Lavamassen des Vulkans gestoßen. Nach einem dramatischen Moment des Verharrens verschwindet dann der Ring in den Gluten und die dunkle Macht wird in ihrem Inneren erschüttert, zerrissen; alles zerbricht, zerfällt, flüchtet, wie ein Spuk, als ob es all das nicht gegeben hätte. Das menschliche Restheer überlebt; ein Wunder.

STARWARS

  1. War im Epos ‚Herr der Ringe‘ die Geschichte um die dunkle Macht in einer fernen Vergangenheit verortet, so versucht es das andere Filmepos  STARWARS, mit einem zukünftigen Szenario; da, irgendwo in der Zukunft, zwischen Planeten und Sternensystemen einer unbekannten Art, bevölkert von bizarren Gestalten, die alle irgendwie leben, intelligent sind, menschenähnlich sich verhalten, ereignet sich eine Bilderwelt, die ihre eigene Geschichte in der Geschichte erzählt. Auch hier geht es um eine dunkle Macht, die auf der Klaviatur der menschlichen Gelüste und Triebe, spielt, die Neigungen der Menschen, ihr Fühlen, Denken und Tun direkt anspricht, um sie für die Macht gefügig zu machen, unter Aufopferung von allem anderen. Je mehr Macht, umso mehr Unterwerfung. Die Macht will Alles. Der einzelne wird aufgenommen in die scheinbare All-Macht der Machtwilligen; ein Heer von Willenlosen folgt einem Willen.

  2. Im Herr der Ringe war die Macht verdinglicht in Form eines Rings, an dem die Macht aller Macht gebunden war. Die Vernichtung des Rings war gleichbedeutend mit der Vernichtung der Macht. Nicht so in STARWARS. Hier manifestiert sich die dunkle Macht zwar in konkreten Figuren, die dieser Macht verfallen sind, aber die Zerstörung dieser Figuren garantiert nicht die Vernichtung der dunklen Macht grundsätzlich.

  3. In den ersten 6 Episoden bleibt unklar, woher genau die dunkle Macht kommt: ist es etwas Eigenständiges, Fassbares, oder ist es etwas, was in allem Leben, in jedem Lebewesen als Möglichkeit angelegt ist? Eine Möglichkeit, die dann in konkreten Menschen besondere Gestalt annimmt und durch diese Gestaltwerdung Einfluss nimmt auf andere Menschen, auf die Politik, auf die Geschichte.

  4. Wenn die dunkle Macht wirklich als Möglichkeit in allem Lebenden angelegt ist, dann kann sie jederzeit wieder Gestalt annehmen, kann sie jederzeit Lebewesen, Menschen zu Machtmonstern mutieren lassen, die immer wieder von Neuem in die Geschichte eingreifen, um sich all die anderen und das andere gefügig zu machen.

  5. Rekrutierten sich die Guten im Herrn der Ringe aus normalen Menschen, ja, aus besonders Kleinwüchsigen, Gutmütigen, an der Macht Desinteressierten, sind in STARWARS die ‚Guten‘ spezielle Menschen, Jedi-Ritter (vereinzelt auch Frauen), die aufgrund einer biologischen Besonderheit spezielle Kraft-Elemente in sich tragen, die man hat oder nicht hat. Dies gibt den Guten etwas Elitäres, schwer Verfügbares, wohingegen die dunkle Macht in allem und in allen wohnen kann. Diese Asymmetrie verleiht den Guten eine Sonderstellung, entrückt die Anti-Macht aus der normalen Welt. Als Botschaft an die Normalos der realen Welt heißt dies: ihr habt keine Chance gegen die (dunkle) Macht. Fangt erst gar nicht an. Ergebt auch am besten gleich.

  6. Die Idee von den speziellen ‚Macht-Teilchen‘ im Blut der Edlen, der Jedi-Ritter (und der quasi Jedi-Frauen) kann man möglicherweise zurückverfolgen bis zum Philosophen Plotin (ca. 204 – 270), einem Schüler Platons. Plotin sah die Welt als Ausfluss der übersinnlichen Welt, die sich als Seele in allem Lebendigen manifestiert, mit unterschiedlich feinen Abstufungen. Leicht anders, aber auch nah – oder sogar noch näher – an der Idee der Lebens/ Macht/Intelligenz-Teilchen, die sich im konkreten Lebewesen manifestieren können, ist der römische Schriftsteller und Philosoph Lukrez (ca -96 bis -55), der die Ideen von Epikur (ca. -341 bis -271) aufgreift und weiter entwickelt (Epikur wiederum ist beeinflusst von Demokrit (ca. -479/60 bis ca. -370/60)). Alle diese Denker vermuteten hinter den vielgestaltigen Phänomenen des Lebens kleine und kleinste nicht mehr weiter teilbare Teilchen, die den Grundstoff für alles bilden. Je kleiner, um so ‚feiner‘, d.h. umso geistiger, um so mehr im Innern des Lebens. Im Gegensatz zu STARWARS ist das ‚Gute‘ aber nicht reserviert für einige wenige Menschen, wenngleich die Zahl der Menschen, in denen man die Verwirklichung des Guten zu erkennen glaubt, gemessen an der Gesamtzahl der Menschen, zu allen Zeiten gering erscheinen mag.

  7. Sieht man von diesen ‚technischen Details‘ des Zustandekommens von dunkler Macht und guter Macht ab, treffen sich aber der Herr der Ringe und STARWARS in einem: es gibt die Versuchung der Macht und Menschen können dieser erliegen, sogar solche, die zunächst auf der Seite der guten Macht standen (im Herrn der Ringe z.B. der Zauberer Sauron, in STARWARS z.B Darth Vader, ein ehemaliger Jedi).

  8. Vor diesem Hintergrund gibt es in STARWARS keine vergleichbare Schlussszene wie im Herrn der Ringe. Die Zerstörung des Rings zerstörte im Herrn der Ringe die dunkle Macht für immer; die Zerstörung der technologischen Machtinstrumente der dunklen Macht von STARWARS (wie z.B. dem Todesstern) oder der Tod einzelner Akteure (wie der von Darth Vader) schenkt nur eine Verweilpause bis zum Wiederauferstehen der dunklen Macht in irgendwelchen anderen Menschen. In STARWARS wurde die dunkle Macht verewigt als unausrottbare Möglichkeit in den Lebenden.

  9. Noch ein Gemeinsamkeit gibt es im Epos Herr der Ringe und in STARWARS: dies sind die Nischen der Macht, jene Räume, in denen sich ein Widerstand der Guten gegen die dunkle Macht bilden konnte, ohne dass dies von der dunklen Macht bemerkt werden kann.

PERSON OF INTERST

  1. In Person of Interest, eine Dauerserie, filmisch nicht direkt vergleichbar mit den beiden Epen ‚Herr der Ringe‘ und ‚STARWARS‘, landen wir mitten in der Gegenwart. Zwischen den Mythen der Vergangenheit und den Irrlichtern der Zukunft findet sich der Zuschauer wieder in den Straßenschluchten amerikanischer Großstädte. Die Akteure sehen aus wie Menschen, fantastische Gestalten und überbordende Landschaften fehlen. Ein Auto ist noch ein Auto, ein Telefon ein Telefon, die Pistole schießt wie eine Pistole und das Fastfood ist Fastfood.

  2. Im Zentrum stehen eine Handvoll ortloser Individualisten, Frauen wie Männer, die in einer Welt fast ganz ohne Geschichte leben. Die Handlungen sind abgeschottet wie in einem Privattheater: man sieht nur einzelne Menschen, einzelne Zimmer, Flure, Straßenausschnitte, darum herum, dahinter, irgendwie eine Stadt im Dunkeln des Unbekannten. Die Akteure tauchen auf wie Fische aus dem Dunkel des Meeres und verschwinden genauso überraschend, wie sie gekommen sind.

  3. Zu Beginn jeder Sendung hört man gebetsmühlenartig, dass es ein Softwareprogramm der Regierung gibt – einfach die Maschine genannt –, das aus den Datenströmen der Welt Bedrohungen herausfiltert und sich das Recht herausnimmt, diesen Bedrohungen nachzugehen, und man erfährt im Laufe der Sendungen, dass die handvoll Akteure in den Sendungen die ‚Guten‘ sind, die einen besonderen Dienst des Überwachungsprogramms nutzen, um bedrohte Privatpersonen zu schützen, bevor es zum Verbrechen kommt.

  4. Man erfährt dann auch, dass einer der Akteure, der Miterfinder dieses Überwachungsprogramms war, sich durch einen vorgetäuschten Autounfall aus der bekannten Welt ‚entsorgt‘ hat und nun anonym weiterlebt, um die Stärken seiner Maschine zum Dienst der Menschheit zu nutzen.

  5. Seltsam unwirklich bleibt die Macht der Regierung, ihre wahren Interessen. Zugleich wird aber schrittweise eine kriminelle Gruppe sichtbar mit einem Chef, der alle Eigenschaften einer dunklen Macht auf sich vereint und der vor nichts zurückschreckt, um sich die Menschen, speziell die Politiker, gefügig zu machen. Ihm gelingt es eine Konkurrenzmaschine zu entwickeln und aufzubauen. Ihm gelingt es, hinreichend viele Politiker zu manipulieren, um die Konkurrenzmaschine an die Überwachungssysteme anzuschließen um damit den gesellschaftlichen Raum einer nie dagewesenen Kontrolle zu unterwerfen. Selbst die kleine Gruppe der selbst erklärten Guten wird mit diesem System ihrer Anonymität entrissen und muss plötzlich fliehen.

  6. Dieses Böse, diese Art der dunklen Macht funktioniert wie in STARWARS und im Herrn der Ringe: Menschen erliegen der Versuchung der Macht und beginnen, alles Mögliche zur Vermehrung ihrer Macht zu instrumentalisieren.

  7. Wie aber funktionieren die Guten? Was macht die Guten zu Guten? Wo kommen sie her? Was kann das ‚Gute‘ sein in einer Welt, die gar nicht als Welt vorkommt? Was liegt jenseits des Drehortes im Dunkel der Stadt, da irgendwo in einem Land ohne Gesicht?

  8. So einsam wie die Helden der Geschichte sind, so einsam ist der Zuschauer.

NACHGEDANKEN

  1. Auffällig an allen drei Bildergeschichten ist, wie eindrucksvoll das Funktionieren einer dunklen Macht beschrieben wird, die über alle Zeiten und Szenarien hinaus es vermag, Menschen zu packen, zu fangen, sie gefügig zu machen, um die Angst zu vergrößern, den Schrecken, die Grausamkeit.

  2. Und darin, so sehr es erfundene Geschichten sind, scheint eine tiefe Wahrheit zu liegen, ein Sitz im Leben der Menschen, dass die Menschen, wir, offensichtlich eine Schwachstelle haben, uns falschen Machtansprüchen gegenüber schnell gefügig zu verhalten.

  3. Auf der anderen Seite erleben wir die Kargheit des Guten, den Seltenheitswert von Helden und Heroen; es wird so getan, als ob die Fähigkeit, das Gute zu tun, einer bösen Macht zu widerstehen, besonders schwer sei, besonders gefährlich und daher faktisch auch besonders selten.

  4. Und doch, es sind nur die ‚Guten‘ bei denen in diesen Bildergeschichten die ‚wahre‘ Freude wohnt, das ‚wahre‘ Glück, der ‚wahre‘ Friede, und es sind die Guten, die alleine eine ‚glückliche‘ und ‚freie‘ Gesellschaft ermöglichen.

  5. Diese Überzeugung läuft wie eine Grundmelodie durch alle Bilder, bildet quasi eine ‚Hintergrundstrahlung der Hoffnung‘, unmerklich vielleicht zu manchen Zeiten, aber nie ganz weg. Jeder Mensch kennt sie. Wenn diese Grundmelodie erklingt, weiß jeder, worum es geht. Und doch kann es sein, dass die dunkle Macht die Menschen so verängstigt, so umgarnt und umklammert, dass sie die Grundmelodie verdrängen.

  6. Keine der drei Bildergeschichte stellt sich ausdrücklich der Frage, wie denn die Grundmelodie des Guten in den Menschen mehr gefördert, mehr aufgebaut werden könnte. Allerdings, es gibt einzelne Moment, kurze Dialoge, in denen solches aufblitzt. Eindrücklich zum Beispiel in der dritten Staffel von Person of Interest (Folgen 11-13), in der ein Teammitglied nach dem Tod einer sehr geschätzten Kollegin für viele Wochen jeden Sinn für sich verliert, und erst langsam, als er unfreiwillig, das Leben aller Passagiere eines Passagierflugzeugs bewahren konnte, wieder zum Team zurückfindet. Seine neue Sinn-Formel lautet: es geht nicht um das Töten von Bösen, sondern um das Bewahren der Guten. Wer die Guten sind bleibt offen.

Zur Fortsetzung zum Thema ‚Person of Interest‘ siehe HIER.

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