Archiv für den Monat: April 2016

MEMO: MASCHINENWERDUNG DES GEISTES – Thema des PHILOSOPHIESOMMER 2016 in der DENKBAR Frankfurt am So, 10.April 2016

  1. Der Text der Einladung zur Sitzung am 10.April 2016 war länger als gewöhnlich. Möglicherweise war dies dem Umstand geschuldet, dass dem Autor die Tragweite des Ereignisses im Moment des Schreibens so recht bewusst wurde. Bei allen Unzulänglichkeiten der aktuellen Programme mit Beinamen Künstliche Intelligenz hat es die Firma IBM offensichtlich geschafft, eine erste Generation von kognitiven Softwareprogrammen zu produzieren, die sich in vielen beruflichen Kontexten mit Menschen scheinbar normal unterhalten können und dann auch die richtigen Schlüsse ziehen, in sogenannter Echtzeit. Das Gesamtprodukt aus Software und Hardware sind dann kognitive Computer oder Intelligente Maschinen. Das Einsatzpotential erscheint riesig; die Zahl von geplanten Kooperationen mit Firmen aus anderen Produktbereichen wächst täglich.
Maschinenwerdung des Geistes? Ist die Dynamik des Vorgangs ein Anzeichen für ein tiefliegendes biologisches Bedürfnis?
Maschinenwerdung des Geistes? Ist die Dynamik des Vorgangs ein Anzeichen für ein tiefliegendes biologisches Bedürfnis?
  1. Interessanterweise pendelte das Gespräch nur relativ kurz um die Technologie der kognitiven Maschinen selbst. Nach dem schnellen Zugeständnis, dass diese Maschinen dem Menschen in Wissensfragen durch ihre Verknüpfung mit Datenbanken und schnelle Algorithmen deutlich überlegen sind, verhakelte sich das Gespräch alsbald in die Frage der emotionalen-ethischen Seite des maschinellen Gegenübers: kann die Maschine Emotionen? Kann sie Empathie? Braucht Sie überhaupt Empathie? Wieweit kann die Maschine mit Ausnahmen umgehen? Könnte sie sich selbst organisieren, selbst eine soziale Bewegung gründen?
  2. Es bildete sich ein Konsens, dass die Maschinen aktuell zwar schon beeindruckende Leistungen in reinen Wissensfragen zeigen können, bei emotionalen und empathischen Zusammenhängen aber noch nichts bieten. Auch eine echte Selbstorganisation mit oder soziale Bewegungen erscheinen aktuell als noch nicht eingelöst.

EINSATZSZENARIEN VON KOGNITIVEN MASCHINEN

  1. Bei dem zunehmenden Einsatz von kognitive Maschinen in Krankenhäusern stellen sich viele Fragen: neben Qualitäts- und Haftungsfragen und der Frage der emotionalen Wirkungen auf Seiten der Menschen wurde auch stark auf die leitenden Interessen abgehoben. Es bestand der Eindruck, dass bei den Krankenhausleitungen immer mehr nur ein wirtschaftliches Interesse dominiere; der Patient mit seinen Bedürfnissen bleibe auf der Strecke.
  2. Dem wurde entgegen gehalten, dass nicht unbedingt die handelnden Klinikleitungen die primäre Steuerungsfunktion ausüben, sondern die Politik, deren Rahmensetzungen Geld verknappe und Qualitätsanforderungen herunterschraube.
  3. Dies führte zu noch grundsätzlicheren Überlegungen des wirtschaftlichen Gesamtmodells, das möglicherweise ein zu vereinfachendes Wertschema bereitstelle, um genügend zu differenzieren. Es fielen Worte wie Neoliberalismus und Raubtierkapitalismus. Letztlich möglicherweise Chiffren für die Ängste, dass die Wirtschaft die Belange des Menschen eigentlich schon längst ausgedampft habe.
  4. Ferner wurde daran erinnert, dass sich ein Wandel im Rollenverständnis von Medizin und ihrem Personal wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht; dazu der Fortschritt in der Technik, der der Medizin ja auch neue Flügel verliehen hat im Umgang mit vielen Defiziten und Erkrankungen.

DER MENSCH SELBST – EMOTIONEN …

  1. Und, wie von magischer Hand gezogen, verschob sich die Diskussion immer mehr zum Menschen selber.
  2. Ein Trigger war das vermeintliche Fehlen von Emotionen, Gefühlen und Empathie auf Seiten der kognitiven Maschinen.
  3. Emotionen auf Seiten des Menschen wurden als zentral bezeichnet, können sämtliche andere Funktionen beeinflussen, bis hin zu schwerer Krankheit und Tod.
  4. Die neue Umwelt, neue Arbeitssituationen, die Medien, der Computer wirken auf die Emotionen ein. Es war nicht ganz klar, ob nur negativ (Stichwort: Spielesucht). Auf jeden Fall kann über die Medien und den Computer ein starker Einfluss auf die Emotionen, die Psyche, überhaupt auf das Denken, ausgeübt werden. Ist dies nur negativ (wie manche Untersuchungen nahe zu legen scheinen), oder kann es auch positiv sein? Die intensive Nutzung rund um die Uhr spricht eher für eine intensive Befriedigung vieler menschlicher Bedürfnisse durch die Maschinen.
  5. Zugleich ist klar, dass der Mensch mit seinen Emotionen und Empathien nicht nur gut ist: viel Gewalt, Folter, Kriege markieren eine deutliche Spur in der Geschichte (und der Gegenwart); der Mensch kann sehr grausam sein und erweist sich bis heute als sein eigener größter Feind. Vor diesem Hintergrund wirken Maschinen eher neutral; sie erscheinen als Werkzeuge, die man so oder so nutzen kann.

WAHRE INTELLIGENTE SELBSTORGANISIERENDE MASCHINEN

  1. Offen blieb die Frage, wie weit die Maschinen in ihrer Fähigkeit zur Selbstorganisation und ausgestattet mit eigenen Emotionen und Werten kommen können. Und, selbst wenn die Maschinen rein auf sich gestellt es nicht schaffen könnten – werden die ungestillten Bedürfnisse und Sehnsüchte der Menschen nicht selbst jene Motive und Kräfte liefern, die aus neutralen Maschinen emotionale Monster machen, die als zigfache Verstärker menschlicher Gedanken und Wünsche dann ins überdimensionale wachsen und zu selbstorganisierenden Monstern mutieren, weil die Menschen es so wollen? Sind die Monster der Science Fiction nicht letztlich die ungestillten Machtbedürfnisse der Menschen selbst?

OFFENE FRAGEN

  1. Unklar blieb, warum Maschinen überhaupt solche Verhaltensweisen ausbilden können, die dem Menschen so ähneln. Wie ist das möglich?
  2. Unklar blieb, wie genau das Moment von Technik innerhalb der Evolution des Biologischen gedacht werden kann bzw. gedacht werden soll? Es sind biologische Systeme, die Maschinen erfunden haben, sie planen, sie bauen, sie benutzen. Wie muss man sich diesen Aspekt der biologischen Evolution denken? Was ist das Biologische an den Maschinen? Verstehen wir uns selbst noch gar nicht? Haben wir bislang das Biologische falsch erstanden?
  3. Auf der gleichen Linie liegt die Frage nach dem neuen Verständnis von unbelebter und belebter Materie: wenn das Biologische als belebte Materie sich aus der unbelebten Materie entwickeln konnte, wieweit kann man dann die unbelebte Materie wirklich als unbelebt bezeichnen? In formalen logischen Systemen kann man nur das ableiten, was in den Voraussetzungen schon drin steckt. In der Physik geht man auch davon aus, dass aus Nichts nichts entstehen kann. Wenn nun etwas Biologisch-Lebendiges entsteht, dann müssen die ‚Grundmaterialien‘, aus denen dies entstanden ist, mindestens so viele Eigenschaften enthalten, wie jene, die dann im Prozess sichtbar werden. Es wäre dann nicht etwas ganz Neues, sondern nur das Alte eventuell in einer anderen Zustandsform. Das Belebte wäre dann nur eine andere Zustandsform des Unbelebten; letztlich wäre alles gleichwertig. So kann ja auch etwas Belebtes wieder in die Zustandsform des Unbelebten zurückkehren (wir nennen das Sterben, Tod).
  4. So wie ja grundsätzlich eine Äquivalenz von Energie und Materie in Bewegung angenommen wird, Materie in Bewegung als eine andere Zustandsform von Energie, so entsteht das Belebte aus der Kombination von Materie und freier Energie; nicht beliebig, nicht immer, nicht überall, sondern unter bestimmten Rahmenbedingungen kann freie Energie Materie dazu bringen, weitere Zustandsänderungen vorzunehmen, die dann in hochkomplexen biologischen Strukturen enden (ein einzelner menschlicher Körper hat etwa die 1000-fache Komplexität einer einzelnen Galaxie!).
  5. Wenn nun biologische Strukturen andere Materie mit Hilfe von Energie zu Strukturen umformen, die wir Computer nennen, und durch Hinzunahme weiterer Energie zu Transformationen bringen, die menschliches Verhalten imitieren und in vielem übertreffen (Schach spielen, Go spielen, Quizfragen beantworten, selbständig ein Flugzeug steuern, …), dann erscheint dies fast ’normal‘: biologische Strukturen übertragen ihre Fähigkeit zur Transformation von Materie mittels Energie auf andere materiellen Bereiche und können diese wiederum dazu nutzen, sich selbst weiter zu transformieren.
  6. Wo führt dies hin?
  7. Warum das Ganze?
  8. Gibt es hier irgendeinen nachvollziehbaren Sinn?
  9. Diese Fragen gelten natürlich auch ungebremst für das Universum selbst: wozu ist das Ganze gut?

THEMA NÄCHSTE SITZUNG

  1. Am Schluss gab es keine klare Formulierung für das nächste Thema. Irgendwo liegt der Brennpunkt in diesem Spannungsfeld von biologischen Systemen (Menschen, Tiere) und nicht-biologischen Systemen (Maschinen). Warum können die Maschinen all das? Wo liegen natürliche Grenzen? Was sagen diese Maschinen und ihre intensive Nutzung durch den Menschen über den Menschen? Sind wir nicht letztlich mit unsren Zustandsänderungen von Materie mittels Energie nicht auch nur Maschinen, die sich in den neuen Maschinen quasi zu kopieren versuchen?

LEICHTE TERMINÄNDERUNGEN !!!

  1. Bei den noch ausstehenden Treffen am 15.Mai und 12.Juni 2016 treffen wir uns NICHT erst um 16:00h sondern schon um 15:00h, dann bis 18:00h.

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge zur Philosophiewerkstatt bzw. zum Philosophiesommer 2016 finden sich HIER.

BLICK IN DAS INNERE DES UNIVERSUMS – NICK LANE – LIFE ASCENDING – BESPRECHUNG – Teil 2

Nick Lane, „Life Ascending“, London: Profile Books Ltd, 2009 (Paperback 2010)

KONTEXT

  1. Im vorausgehenden Teil 1 wurde nach einer kurzen Einleitung die Entstehung des Lebens im Lichte neuerer Erkenntnisse skizziert. Wer dadurch neugierig geworden ist, sei ermuntert, den Text von Lane und die angegebenen zusätzlichen Artikel und Bücher selbst zu lesen. In dieser Besprechung können nur die großen Linien angesprochen werden und mögliche Zusammenhänge mit dem Thema dieses Blogs. Interessant vielleicht auch die Nachbemerkungen zur Besprechung in Teil 1.
  2. Nachdem in Teil 1 neuere Forschungsergebnisse andeuten, wie sich das biologische Leben (= das Leben) im Rahmen der allgemeinen physikalischen (und chemischen) Gesetze in Form von grundlegenden hoch stabilen metabolischen Prozessketten formieren konnte, stellt sich die Folgefrage, wie der Weg von diesen komplexen, und doch – verglichen mit den späteren biologischen Strukturen – noch so einfachen Strukturen zu den eigentlichen Selbstreproduktionsmechanismen kommen konnte.

DNA – Der Code des Lebens (SS.34-59)

  1. Lane beginnt mit dem Sachverhalt, dass die Reproduktion einer Zelle letztlich gesteuert wird vom sogenannten Genom, das aus einer endlichen Menge von DNA-Molekülen besteht, wobei jedes DNA-Molekül jeweils in einem Doppelstrang ausgeführt ist. In diesem Doppelstrang bildet jedes Element ein Paar aus zwei Basen.
  2. [Anmerkung: ein DNA-Molekül bildet zusammen mit weiteren Elementen ein Chromatin. Ein Chromosom enthält – je nach Zellphase – entweder genau ein Chromatin oder ein Chromatin und seine Kopie (bei der Zellteilung werden diese beiden auf auf zwei neue Zellen als Schwester-Chromatine aufgeteilt). Die Gesamtheit der Chromosome bildet das Genom.]
  3. [Anmerkung: ein Grundelement (Nukleotid) der DNA besteht aus einem Strukturelement (einem Zucker-Phosphat Molekül), an das sich eine Base anlagern kann. Zwei solche Nukleotide können sich dann über die Basen komplementär zu einem Paar verbinden. (vgl. CELL S.3)]
  4. Es gibt vier Basen Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G) und Cytosin (C). Dazu gibt es die starke chemische Tendenz, dass A sich nur an T bindet und C nur an G. Dadurch sind die beiden Stränge komplementär. (vgl. S.34f) Die Anordnung nutzt also eine vorgegebene chemische Bindungstendenz aus.
  5. Die Gesamtzahl der Nukleoide in einem menschlichen Genom wird auf ca. 3 Mrd (10^9) geschätzt. Bei ca. 15 Billionen (10^12) Körperzellen [Anmerkung: neuere Schätzungen gehen auf ca. 34 Billionen) bedeutet dies, dass das Genom 15 Billionen Mal (und öfters, da ja Körperzellen absterben und wieder ersetzt werden müssen) kopiert werden muss. Bei einer geschätzten Fehlerrate von 1 Nukleotid in 1 Mrd bedeutet dies, dass bei einer Kopie ca. 3 Fehler auftreten. Der Unterschied zwischen Menschen wird auf ca. 1 Unterschied pro 1000 Nukleotide geschätzt, also ca. 3 Mio; Lane spricht von 6-10 Mio. (vgl. SS.36-38)
  6. Beispiel: Die Trennung vom Schimpansen soll ca. vor 6 Mio Jahren geschehen sein. Die empirisch ermittelte Abweichungen werden mit 1,4% angegeben, also jede Art hat ca. 0.7% ihres Genoms in dieser Zeit verändert [Anmerkung: Bei einer angenommenen Generationendauer von 30 Jahren ergäben sich ca. 1050 Änderungen an Nukleotiden pro Generation auf jeder Seite].(vgl. S.38)
  7. Das Wissen um die Kombinatorik der Basen auf einem DNA-Molekül nützt allerdings letztlich nur dann etwas, wenn man auch weiß, welche potentiellen Strukturen und ihre lebensweltbezogenen Funktionen damit kodiert werden.(vgl. S.39) In der Zeit vor der Entdeckung von Watson und Crick 1953 waren die Details der biochemischen Maschinerie unbekannt.(vgl. S.40f)
  8. Nur langsam entdeckte man, dass die Proteine außerhalb des Zellkerns über die Zwischenstationen Messenger RNA (mRNA) (erste Kopie von DNA-Abschnitten) und Transfer RNA (tRNA) (Rückübersetzung) und Ribosom (Zusammenbau von Aminosäuren anhand der tRNA-Informationen) erzeugt werden. Und nur langsam entdeckte man, dass jeweils vier Nukleotide aus der DNA ein Codon bilden, das für genau eine Aminosäure steht, deren Aneinanderreihung ein Protein (bei kürzeren Formen spricht man von einem Peptid) ergibt. Während 4^4 = 64 Kombinationen mit einem Codon möglich wären, schätzten Crick und Watson damals die Zahl der relevanten Aminosäuren für biogene Proteine auf 20. [Anmerkung: im menschlichen Körper kommen 21 verschiedene Aminosäuren vor. Insgesamt sind heute 23 Aminosäuren bekannt, die bei Proteinen Verwendung finden (wobei heute mehr als 400 Aminosäuren bekannt sind, die biologisch wichtig sind aber nicht in Proteinen vorkommt).] Es stellte sich heraus, dass der Kode redundant ist: es können mehrere verschiedene Codons die gleiche Aminosäure kodieren. Drei von 64 Codons dienen als STOP-Signal. Da dieser Kode universell für alle Lebensformen gilt wird daraus geschlossen, dass alle diese Lebensformen einen gemeinsamen Vorläufer gehabt haben müssen, von dem diese Kodierung übernommen wurde. (vgl. SS.39-45) Crick entwickelte daraus die These (1981), dass das Leben von außerhalb der Erde kam (Raumschiff, Aliens,…), und sich dann hier ausgebreitet hat.
  9. Die Hypothese von Crick wurde durch den Gang der Forschung überholt. Generell erschien die Hypothese von Crick auch nicht sehr plausibel, da das Auftreten von komplexen Molekülen ohne entsprechende Umgebungen wenig Chancen bietet, dass diese Moleküle überleben.(vgl. S.45f)
  10. Realistischer erschienen solche Hypothesen, die aufzeigen können, wie die Elemente von Aminosäuren aus Vorläufermaterial aus vorgegebenen Umgebungen rekrutiert werden konnten.(vgl. S.46)
  11. Und in der Tat, man entdeckte nach und nach, dass es einen Kode in den Codons gibt! Die Codons mit ihren vier Elementen haben Positionen 1-4. Ein einzelnes Codon steht nicht nur irgendwie für eine bestimmte Aminosäure, sondern die Abfolge der Elemente im Codon steuern sehr stark auch den Prozess der Aminosäurebildung! So fand man heraus, dass es folgenden Zusammenhang gibt: ein C an erster Stelle legt fest, dass als erster Baustein bei der Aminosäureherstellung ein alpha-ketoglutarate benutzt werden soll; ein A an erster Stelle legt fest, dass als erster Baustein bei der Aminosäureherstellung ein oxalocetate benutzt werden soll; ein T steht für pyruvate; ein G steht für eine beliebige Anzahl von einfachen Vorläufern.(vgl.S46f und Fußnote 5)
  12. Die zweite Position im Codon reguliert, wo im Spektrum zwischen hydrophob und hydrophil sich die Aminosäure ansiedeln soll: die fünf häufigsten hydrophoben Elemente korrespondieren mit T an Position 2; die meisten hydrophilen Elemente mit dem Element A; G und C stehen für Elemente in der Mitte des Spektrums.(vgl. S.47)
  13. Position 3 und 4 lassen keine feste Kodierung erkennen. Dies deutet darauf hin, dass die frühen Vorformen des DNA-Kodes möglicherweise nur 2 Elemente hatten, die stark deterministisch waren. Experimente mit Punktmutationen zeigen, dass der genetische Kode verglichen mit zufälligen Anordnungen extrem stabil ist. Er stellt eine interessante Kombination dar aus einem sehr konservativem Anteil (Position 1-2), und einem experimentellen Anteil (Positionen 3-4).(vgl. SS.47-49)
  14. Bleibt als Frage, wie kam der Prozess zustande, in dem DNA eine Proteinproduktion steuert, wo aber DNA spezifische Proteine für ihr Funktionieren voraussetzt und die spezifischen Proteine eben DNA?(vgl.S.49)
  15. Eine Lösung deutet sich an über RNA Moleküle: diese sind flexibler und können als Katalysatoren wirken, die zur Bildung jener ersten Proteine geführt haben, die wiederum Vorformen von DNA-Molekülen ermöglichten.(vgl.49-51)
  16. Allerdings, wo kommen diese RNA-Moleküle her? Man weiß, dass RNA-Moleküle sich nur bei hohen Konzentrationen bilden können, da sie beim Zusammenbau Nukleotide verbrauchen. Wo findet man solche hohen Konzentrationen? Die Entdeckung der unterseeischen Schlote eröffnet ein mögliches Szenario. Modellrechnungen zeigten, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass sich in solchen Schloten (speziell in den Poren des Gesteins) solche hohen Konzentrationen von RNA-Molekülen bilden können. Simuliert man RNA-Moleküle isoliert, dann tendieren sie dazu, sich nur mit einer minimalen Struktur fortzupflanzen, nur genau so viele Elemente, wie zur Reproduktion notwendig sind (die berühmten ‚Spiegelmann Monster‘). Dieses Modell ist offensichtlich nicht dazu geeignet, die Bildung komplexer RNA-Moleküle, dazu noch in Kooperation mit Proteinbildung zu erklären. Eine Lösung muss in einem umfassenderen Rahmen gesucht werden, in dem die RNA-Moleküle nur eine Teilkomponenten sind. Dieser umfassenderer Rahmen wurde wieder in der Struktur der unterseeischen Schlote gesehen. Die Poren bilden natürliche Umgebungen, die wie eine Zelle wirken, in der komplexere metabolische Prozesse ablaufen können, in deren Kontext die RNA-Moleküle nur eine Teilfunktion haben.(vgl. S.53-55)
  17. Zum Thema umfassender Rahmen gehören auch die Entdeckungen, dass aufgrund genetischer Strukturen die Eukaryotischen Zellen (jene mit einem Zellkern) von den Archaeen abstammen, diese wiederum haben sehr viel mit den Bakterien gemeinsam. Letztere beiden unterscheiden sich aber bei der DNA Replikation, was so gedeutet wird, dass beide einen gemeinsamen Vorläufer haben müssen, von dem sie sich unterschiedlich weiter entwickelt haben.(vgl.S.55f)
  18. Die Arbeitshypothesen laufen darauf hinaus, dass die flexibleren RNA-Moleküle zwischen Proteinerzeugung und DNA-Bildung vermittelt haben (nach dem Muster von Retroviren?). Erst in dem Maße, wie sich die stabileren DNA-Moleküle bilden konnten, war auf Dauer eine Reproduktion gesichert. Für die beiden chemischen Unterschiede von RNA- und DNA-Molekülen gibt es genügend chemische Bestandteile in der unterseeischen Schlotumgebung, so dass eine DNA-Erzeugung aus RNA-Molekülen prinzipiell möglich erscheint.(vgl. SS.55-59)

DISKURS

  1. Die Details der neuen Erkenntnisse können einen erschlagen, und doch ist dies ja nur die berühmte Spitze des Eisbergs. Hinter diesen Fakten verbergen sich hochkomplexe Prozesse und entsprechend aufwendige Forschungen, die hier natürlich nicht beschrieben werden können. Nick Lane macht das großartig.
  2. Aber, treten wir ein paar Schritte zurück und fragen uns, was sich in diesen vielen Fakten an allgemeineren Strukturen andeutet.
  3. Offensichtlich nimmt man aktuell an, dass man mindestens die folgenden Strukturen unterscheiden sollte:
  4. Die heutigen eukaryotischen Zellen (Z_eu) (Zellen mit einem komplexen Kern und vielen Teilstrukturen inklusive ganzer ehemaliger Bakterien).
  5. Die heutigen Prokarytischen Zellen (Z_pro) als Bakterien (Z_ba) und die Archaeen (Z_ar)
  6. Eine Erzeugungsbeziehung zwischen Archaeen und Eukaryoten (g_ar.eu : Z_ar —> Z_eu)
  7. Bei dieser Erzeugungsbeziehung sind weitere Einflussfaktoren durch horizontalen Genaustausch nicht völlig ausgeschlossen.
  8. Es soll einen gemeinsamen Vorläufer (Z_pre) von Archaeen und Bakterien geben.
  9. Entsprechend muss es auch eine Erzeugungsbeziehung geben: g_pre.ar.ba: Z_pre —> Z_ba u Z_ar.
  10. Diese Strukturen und Erzeugungsbeziehungen haben nicht im Nichts stattgefunden, sondern haben geeignete Umgebungen ENV benötigt, die sowohl in großen Mengen und kontinuierlich die notwendigen Ausgangsmaterialien M0 bereit halten konnten wie auch die notwendigen Temperaturgefälle DT für die Ermöglichung der chemischen Prozesse: ENV = <M0, DT, Z_pre, Z_ba, Z_ar, Z_eu, g_pre.ar.ba, g_ar.eu>
  11. Ferner wird angenommen, dass die allgemeinen physikalisch-chemischen Gesetze (G) gelten und ausschließlich diese für das Auftreten und das Reagieren der verschiedenen beteiligten Materialien zuständig sind, also ENV = <M0, DT, Z_pre, Z_ba, Z_ar, Z_eu, g_pre.ar.ba, g_ar.eu, G>
  12. Dazu gehören auch jene Entstehungsprozesse, die aus den Ausgangsmaterialien M0 die Vorläuferzelle Z_pre hat entstehen lassen, also g_0: ENV x TD x M0 —> Z_pre, also ENV = <M0, DT, Z_pre, Z_ba, Z_ar, Z_eu, g_0, g_pre.ar.ba, g_ar.eu, G>
  13. Für den Bereich der eukaryotischen Zellen Z_eu werden mindestens angenommen DNA-Moleküle, Boten-RNA (mRNA), Transfer RNA (tRNA), ribosomale RNA (ribRNA) und Proteine PROT. Dazu weitere Großstrukturen wie Chromatin(e), Chromosomen, Mitochondrien, usw.
  14. Im Bereich der Erzeugungsprozesse muss man ferner eine Art zeitliche und logische Abhängigkeit annehmen, indem der jeweils spätere Hervorbringungsprozess andere frühere voraussetzt, also: G < g_0 < g_pre.ar.ba < g_ar.eu.
  15. Jeder dieser Hervorbringungsprozesse wiederum zeigt sich nicht im Nichts sondern nur beim Vorhandensein spezifischer Materialien M, die in ihrem beobachtbaren Verhalten phi indirekt das Wirken spezifischer Gesetze manifestieren. Ohne die Beobachtbarkeit spezifischer Materialien und deren Verhalten (Newtons berühmter Apfel, die Planetenbahnen der alten Astronomen, magnetische Kräfte, Vulkanausbrüche, geologische Ablagerungen usw.) wäre es nicht möglich, auf dahinter/ darunter/ damit .. wirkende Kräfte phi zu schließen, die man dann in Form von symbolischen Darstellungen als gesetzmäßige Beziehungen (Relationen, Funktionen, Axiome) beschreibt.
  16. Während das menschliche Denken beim Vorliegen von irgendwelchen beobachtbaren Materialien, deren Eigenschaften und Veränderungen spontan dazu neigt, diese als gegeben, als auftretend, als seiend, als objektiv, als Objekte zu unterstellen, tut sich das gleiche Denken sehr schwer, das durch diese Materialien sichtbare werdende Verhalten phi in gleicher Weise als gegeben, seiend, objektiv vorkommend zu denken.
  17. Obgleich die beobachtbaren Materialien ohne dieses unterstellte Verhalten sich in keiner Weise verändern würden, zögern wir, aus den beobachtbaren Veränderungen auf eine interne Eigenschaft der Materialien zu schließen. Im Falle von tierischen Lebewesen wissen wir mittlerweile, dass das gesamte Verhalten in einem Nervensystem gründet, das im Innern des Systems angeordnet ist und von da aus das Verhalten steuert. Aber wir tun  uns schwer, in analoger Weise anzunehmen, dass das überall beobachtbare Verhalten von Materialien nicht auch von Strukturen abhängig ist, die im Innern der Materialien zu verorten sind.
  18. Bei chemischen Molekülen unterstellt man die atomare Struktur mit den unterschiedlichen Bestandteilen, Ladungen und Reaktionstendenzen, die in Wechselwirkung mit der jeweiligen Umgebung sich spezifisch verändern können.
  19. Bei Atomen bleiben einem nur noch die unterscheidbaren Teilchen, aber auch diese haben mathematisch beschreibbare ( wenngleich in Form von Möglichkeitsräumen) Verhaltenstendenzen.
  20. Dann bleibt als letzter Referenzpunkt nur die reine Energie E. Diese kann man nicht direkt beobachten, nur in ihren Wirkungen. Mit anderen Worten, die Energie E enthält sowohl alle potentiellen Materialeigenschaften wie auch die dazu gehörigen Verhaltenstendenzen. In diesem Sinne repräsentiert die Energie E eine Art Superobjekt, in dem die in der Makrowelt bekannte Unterscheidung zwischen materiellen Strukturen und Verhalten nicht mehr gilt. Energie als Superobjekt beinhaltet Materie und deren Verhalten in einem. Um diesen Sachverhalt auszudrücken, ist die bekannte Formel von Einstein e = mc^2 möglicherweise zu ungenau. Sie bietet keine Möglichkeit, zwischen materiellen Strukturen und Verhalten zu unterscheiden. Das beobachtbare Verhalten ist aber genau die Sprache, in der sich das Innere der Dinge mitteilt. Alles,was uns Menschen fasziniert, das sind die Erscheinungen der Veränderungen, ihre Vielfalt, ihre Abfolge. Liebe enthüllt sich nur im Gewandte solcher Veränderungen, genauso wie Hass oder Treue. Wissen ist eingeflochten in eine Vielzahl von Strukturen und deren Veränderungen.
  21. Sowohl die Entwicklung des Universums vor dem ersten Auftreten von Leben wie erst recht dann mit dem Auftreten biologischer Strukturen ist ein Prozess immer komplexerer Verhaltensweisen, die in ihrer Dynamik Gesetze, Regeln, Strukturen erkennen lassen, die den Blick immer tiefer in das Innere aller Dinge öffnen. Das ist eigentlich unfassbar fantastisch, aber es scheint niemand besonders zu rühren.

Keine direkte, aber inhaltlich passende Fortsetzung könnte DIESE sein.

WEITERE QUELLEN/ LINKS (Selektiv)

  • Freie Protein-Datenbank: http://www.ebi.ac.uk/pdbe/ (siehe auch http://proteopedia.org/wiki/index.php/Main_Page )
  • Visualisierung von Proteindaten: https://de.wikipedia.org/wiki/Jmol und http://wiki.jmol.org/index.php/Jmol_Application#Starting_Jmol_Application
  • Proteine (Peptide): https://de.wikipedia.org/wiki/Protein
  • Aminosäuren: https://de.wikipedia.org/wiki/Aminos%C3%A4uren
  • Alpha-Ketoglutarate: https://en.wikipedia.org/wiki/Alpha-Ketoglutaric_acid
  • oxalocetate: https://en.wikipedia.org/wiki/Oxaloacetic_acid
  • Pyruvate: https://en.wikipedia.org/wiki/Pyruvic_acid
  • Punktmutation: https://de.wikipedia.org/wiki/Punktmutation
  • Spiegelmann Monster: https://de.wikipedia.org/wiki/Spiegelmans_Monster
  • Bakterien: https://de.wikipedia.org/wiki/Bakterien
  • Achaeen: https://de.wikipedia.org/wiki/Archaeen
  • Eukaryoten: https://de.wikipedia.org/wiki/Eukaryoten
  • Retroviren: https://de.wikipedia.org/wiki/Retroviren
  • Chromosom: https://de.wikipedia.org/wiki/Chromosom
  • Chromatin: https://de.wikipedia.org/wiki/Chromatin
  • CELL: B.Alberts, A.Johnson, J.Lewis (und andere), Molecular Biology of THE CELL, 6.Aufl., 2015, New York: Garland Science, Taylor and Francis Group, LLC.
  • V.Storch, U.Welsch, M.Wink (und andere), Evolutionsbiologie,3.überarbeitete und aktualisiere Aufl., 2013, Berlin – Heidelberg: Springer-Verlag
  • Francis Harry Compton Crick, Nobelpreisrede: http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/medicine/laureates/1962/crick-lecture.html
  • Francis Harry Compton Crick Life Itself: Its Origin and Nature (Simon & Schuster, 1981) ISBN 0-671-25562-2
  • DNA WikiEN: https://en.wikipedia.org/wiki/DNA
  • RNA: https://de.wikipedia.org/wiki/Ribonukleins%C3%A4ure
  • Harold Morowitz: https://en.wikipedia.org/wiki/Harold_J._Morowitz (ein großes Thema: Wechselwirkung von Thermodynamik und Leben)
  • Michael J.Russel et al: http://www.gla.ac.uk/projects/originoflife/html/2001/pdf_articles.htm: The Origin of Life research project by Michael J. Russell & Allan J. Hall , University of Glasgow, May 2011
  • Krebs-Zyklus: https://en.wikipedia.org/wiki/Citric_acid_cycle
  • Martin W, Russell MJ., On the origin of biochemistry at an alkaline hydrothermal vent. , Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci. 2007 Oct 29; 362(1486):1887-925.
  • Martin W, Baross J, Kelley D, Russell MJ., Hydrothermal vents and the origin of life., Nat Rev Microbiol. 2008 Nov; 6(11):805-14.
  • Harold Morowitz und Eric Smith , Energy flow and the organization of life , Journal Complexity archive, Vol. 13, Issue 1, September 2007, SS. 51 – 59 ,John Wiley & Sons, Inc. New York, NY, USA

Einen Überblick über alle Blogeinträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER.

MASCHINENWERDUNG DES GEISTES – Thema des PHILOSOPHIESOMMER 2016 in der DENKBAR Frankfurt am So, 10.April 2016

Entsprechend dem Plan vom 9.Februar 2016 kommt hier die Einladung zur nächsten Sitzung des PHILOSOPHIESOMMERS 2016 in der

DENKBAR Frankfurt

Spohrstrasse 46a

(Achtung: Parken schwierig! Man muss wirklich im Umfeld suchen)

THEMENSTELLUNG

Wie der Bericht vom letzten Treffen am So 13.März 2016 erkennen lässt, hatte sich die Gruppe für das Treffen am So 10.April ein einzelnes Thema besonders ausgewählt: der mögliche Ersatz von Ärzten in Diagnose und Therapie durch den Einsatz von Software. Diese Entscheidung war mit motiviert durch eine aktueller Pressemeldung seitens der Rhönklinik, ein System des kognitiven Computings in Gestalt des IBM-Programm Dr.Watson einzusetzen. Es soll das Krankenhaus und die Ärzte unterstützen. Sofort stellten sich viele Fragen, z.B.: Was heißt dies? Was kann solch ein Programm? Was heißt dies für uns Menschen sowohl als Patient als auch als Arzt, der ersetzt wird? Was bedeutet dies für das Krankenhaus der Zukunft? usw.

MASCHINENWERDUNG DES GEISTES – EIN EPOCHALES EREIGNIS

Bei allen Fragen, die sich angesichts solch einer Meldung stellen, bei allen möglichen Ängsten und Kritiken, muss man sich klar machen, dass diese Meldung nur eine Begleiterscheinung eines Ereignisses ist, das den Beinamen epochal sehr wohl verdient. Vom ersten messbaren Auftreten unseres Universums vor ca. 13.8 Mrd Jahren bis zu den ersten Spuren des biologischen Lebens auf der Erde hat es ca. 9.8 – 10 Mrd Jahre gedauert; bis zu den ersten Pflanzen und Tieren nochmals ca. 3.5 Mrd Jahre; bis zum Auftreten des homo sapiens (sapiens) ’nur noch‘ ca. 500 Mio Jahre, und dann jetzt zu den ersten Maschinen, die als kognitive Maschinen offiziell als Produkte und Dienstleistungen zu kaufen sind ’nur noch‘ ca. 200.000 Jahre (hervorgebracht von Menschen).

Vom BigBang zum homo sapiens zu den kognitiven Maschinen
Vom BigBang zum homo sapiens zu den kognitiven Maschinen

Jetzt kann man viel darüber streiten, was man unter Geist verstehen will. Rein empirisch, handlungsbezogen, äußert sich Geist – seit den Tagen der griechischen Philosophie – in typischen Verhaltensweisen von Lebewesen, insbesondere des Menschen. Mit der modernen Psychologie, Biologie und Hirnforschung können wir wissen, dass die äußerlich beobachtbaren mit Geist verknüpften Verhaltensweisen mit messbaren Gehirnaktivitäten korrelieren. Und seit dem Auftreten der ersten digitalen elektronischen Computer (ab ca. 1970) wissen wir, dass wir mit Hilfe von elektrischen Schaltungen (und zusätzlicher Programmierung) beobachtbare Verhaltensweisen hervorbringen können, die denen von Menschen immer mehr soweit ähneln, dass man vielfach nicht mehr unterscheiden kann, ob diese geistigen Verhaltensweisen von einem biologischen oder von einem nicht-biologischen (maschinellen) System hervorgebracht wurde/ wird. Waren die Bilder von intelligenten Maschinen in der Frühzeit des modernen Computers (ca. 1930 – 1950) weitgehend noch Visionen von Mathematikern, Logikern und Ingenieuren, so trat spätestens mit dem Supercomputer Deep Blue von IBM im Februar 1996 eine Maschine auf die Bühne, die einen amtierenden Schachweltmeister besiegen konnte. Konnte man dies noch einem Spezialbereich zuordnen, so war der Auftritt des Programms Dr. Watson im Februar 2011 im Rahmen einer nationalen Quizsendung der USA gegen zwei menschliche Konkurrenten mitten im Zentrum jener Verhaltensweisen, die wir gewöhnlich nur intelligenten Menschen vorbehalten. Hier von einer Maschinenwerdung des Geistes (in Anlehnung an das religiöse Bild von der Menschwerdung Gottes) zu sprechen, ist schwer abweisbar.

MARKETING FÜR KOGNITIVE COMPUTER WOHIN?

Während für die meisten Menschen – auch in Deutschland – kognitive Computer (bzw. intelligente Maschinen) noch eher unwirklich erscheinen, irgendwo noch im Bereich der Sciene Fiction angesiedelt sind, tritt die Vorstandsvorsitzende des internationalen Computerkonzerns IBM, Ginni Rommetti, öffentlich auf und verkündet Produkte und Dienste mit kognitiven Computerleistungen im Weltmaßstab (siehe z.B. den Auftritt 6.Januar 2016 und 12.Oktober 2015). Ihr Credo lautet, dass im allgemeinen Digitalisierungsprozess die Verfügbarkeit von kognitiven Computerleistungen den entscheidenden Unterschied bildet. Am Beispiel der Fitness-Firma underarmour versucht Rommetti zu verdeutlichen, dass das allgemeine Produkt der Fitness-Firma durch die Verbindung mit Dr. Watson zusätzliche Beratungsleistungen ermöglicht, die für den Kunden von Vorteil sind. Ähnlich argumentiert sie bei dem Medizindienstleister medtronic am Beispiel des Monitoring von Diabetespatienten. Während diese Beispiel noch bemüht klingen können, ist das Beispiel mit der Kooperation mit dem japanischen Roboterhersteller softbank und dessen Roboter Pepper schon sehr eindringlich. Dieser Roboter kann sich bewegen (wenn auch einfach) und sich anscheinend normal mit Menschen unterhalten. Durch die Verbindung mit dem Programm Dr. Watson arbeitet er schon als Finanzberater, als Empfangsdame in einem Hotel, und als Bedienstete in einer Kaffeebar. Weitere Einsatzweisen werden vorbereitet. Dabei ist zu beachten, dass das Programm Dr. Watson vollständig von Englisch auf Japanisch umgestellt wurde. In dieser Marketingshow waren kritische Überlegungen ausgeklammert. Alles wird mit der neuen Technologie besser.

FRAGEN DARF MAN STELLEN

Bei aller Würdigung für den historischen Moment des ersten Auftretens von kognitiven (intelligenten) Maschinen seit 13.8 Mrd Jahren stellen sich viele Fragen, die nicht beantwortet sind. In der TV-Show vom Oktober 2015 gab es immerhin einige Fragen (wenn auch sehr zurückhaltend). Eine ging auf die Zukunft der Arbeit: Was geschieht mit all den Menschen, die jetzt ihre Arbeit verlieren werden? Welches Konzept einer veränderten Gesellschaft gibt es? Diese Fragen bog Rommetti sofort ab. Die neue Technologie der kognitiven Maschinen soll Menschen nicht ersetzen, sondern soll eine neue Mensch-Maschine Partnerschaft ermöglichen interaktiv, dialogisch, soll zur Verbesserung der Qualität führen. Dass tatsächlich ja schon ganze Branchen unter dem Ansturm der neuen digitalen Technologien zusammenbrechen blieb außen vor.

Unbeachtet blieben auch Fragen der Qualität und Qualitätskontrolle: immer mehr, überall, auch im Bereich der Bildung und Erziehung soll Dr. Watson die Rolle des Trainers/ Lehrers/ Beraters übernehmen. Wer kontrolliert eigentlich Dr. Watson? Wer weiß eigentlich was Dr. Watson letztlich vermittelt, mit welchen Werten? Wie sieht es mit der Haftung aus? Was ist mit den sehr persönlichen sensiblen Daten?

Während die Menschheit sich seit einigen Jahrhunderten aus einem naiven Autoritätsdenken befreit hatte, unbefragtes Wissen durch aufklärerisches, wissenschaftliches Wissen ersetzt hatte, soll jetzt plötzlich jeder ganz neu, ganz naiv alles glauben, was Dr. Watson sagt und das zentralisiert als globales Über-Ich, als globaler Super-Gott. Was ist dies für ein Wissenskonzept? Welches Bild einer Gesellschaft wird hier unterstellt? Die vielen Videos und Webseiten sind alle monoton Produktorieniert, ohne einen Funken von Selbstreflexion, Kritik, ohne gesellschaftliche Verantwortung. Man könnte meinen, IBM heilt nun alle und jedes. Die ganzen Wertekonflikte, die menschlche Gesellschaften seit jeher prägen, scheinen im Bereich des kognitiven Computings nicht zu existieren.

TECHNOLOGIE

Auffällig ist, dass man nirgends brauchbare Daten zur genauen Technologie von Dr. Watson findet. Das White Paper von 2010 bleibt sehr im Allgemeinen. Für Experten kann man aus diesen Angaben zwar einige (sogar weitreichende) Schlüsse ziehen, aber für eine detaillierte Bewertung reicht dies natürlich nicht aus. Unter Experten wird z.B. diskutiert, ob die bei Dr. Watson zum Einsatz gekommene Technologie verglichen mit der google-Technologie veraltet sei, aber auch im Falle von google weiß man nichts Genaues. Die veröffentlichten Algorithmen und SW-Bibliotheken bilden ja nur Teilausschnitte aus einem größeren Ganzen und gemessen an den kognitiven Aufgaben eines Dr. Watson bleibt google – zumindest in der Öffentlichkeit – noch zurück. Der Auftritt von googles intelligenter Maschine AlphaGo als Go-Meister ist zwar beeindruckend, aber ersetzt keine dialogbasierte Interaktionen. Auch die sprachbasierten Dienste operieren bislang nur an statistischen Oberflächen und können wenig überzeugen. Sind das nur Kinderkrankheiten? Dr. Watson kann man so deuten, dass es nur Kinderkrankheiten sind, keine wirklichen Grenzen für das neue Kommende.

Auffällig ist jedenfalls, dass die Technologiefirmen das Eindringen in die kognitive und damit psycho-soziale Dimension von Gesellschaft, in die Welt des Wissens bislang genau so behandeln wie einfache technische Produkte. Psychologische, soziale, politische, kulturelle, werthafte Aspekte werden einfach ausgeklammert. Ist das die Selbstabschaffung des Menschen?

In der Sitzung am So 10.April 2016 wollen wir uns diesen Frage stellen.

PROGRAMMFORMAT

Moderation: Gerd Doeben-Henisch

16:00 Begrüßung

16:05 Kurze Einführung ins Thema

16:05 Gemeinsamer Diskurs I, Sichtbarmachung von Positionen

17:30 Blubberpause (Jeder kann mit jedem reden; Essen und Trinken)

18:00 Gemeinsamer Diskurs II, erste Zusammenfassungen, Tendenzen

18:45 Schlussstatements und Thema für das nächste Treffen

19:00 Ende

Langsames Wegdiffundieren der Teilnehmer ….

Hier der Bericht zum Treffen.

QUELLEN/ LINKS

  • Rhönklinik Mitteilung: http://www.management-krankenhaus.de/news/rhoen-klinikum-kooperiert-mit-ibm-bei-optimierung-der-patientensteuerung
  • Handelsblatt, Digitaler Doktor: https://global.handelsblatt.com/edition/402/ressort/companies-markets/article/the-digital-doctor-in-the-house
  • Deep Blued Febr 1996: https://en.wikipedia.org/wiki/Deep_Blue_(chess_computer)
  • Dr.Watson – Jeopardy Quizsendung Febr.2011: https://de.wikipedia.org/wiki/Watson_(Künstliche_Intelligenz)
  • Watson – White Paper 2010: http://www-05.ibm.com/de/watson/pdf/POW03061DEDE.PDF
  • Rommetti Januar 2016: https://www.youtube.com/watch?v=VEq-W-4iLYU&ebc=ANyPxKpossms1mhki8rBfOPcpWdipFKj3-3LVd2jW2V5MsXOC0AyKXri4TuuerLhoD2esbLhuSpP&nohtml5=False
  • Rommetti Oktober 2015: https://www.youtube.com/watch?v=bMLYKhiZCVI&ebc=ANyPxKowbTytZ9AS9lIvHC8cHbFJsDXe67X-YcAY9vLk4ZhOjeHptZFTbUJt6rKZqisxfEv4RVqVFFe_C3RHrQcgEF3HCWetmA&nohtml5=False
  • Fitness-Firma underarmour: https://www.underarmour.com/en-us/
  • medtronic: http://www.medtronic.com/us-en/index.html?cmpid=mdt_com_orcl_us_home_f52_plc_home&utm_source=mdt_com_orcl_us_home&utm_medium=f5_redirect&utm_campaign=PLC_Launch_2015
  • Roboter Pepper von der Firma softbank: http://www.softbank.jp/en/robot/
  • Google-SW AlphaGo: http://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/alphago-gegen-lee-sedol-partie-vier-geht-an-den-go-profi-a-1082068.html

Einen Überblick über alle bisherigen Texte zum Philosophie-Sommer/ zur Philosophiewerkstatt findet sich HIER.

Einen Überblick über alle Texte des Autors cagent findet sich HIER.

NICK LANE – LIFE ASCENDING – BESPRECHUNG – Teil 1b – Nachtrag zu Teil 1

Nick Lane, „Life Ascending“, London: Profile Books Ltd, 2009 (Paperback 2010)

  1. Hir ein paar weitere Nachbemerkungen zum Teil 1 der Besprechung von Nick Lane’s Buch

GESPALTENE WELT IM KOPF

  1. Viele (die meisten?) Menschen haben in ihrem Kopf ein Bild von der Welt, in der die Welt mindestens zweigeteilt ist: hier sie selbst als Menschen, als Wesen mit Gefühlen, Geist, Seele, Werten usw., dort die restliche, unbelebte, materielle Welt, so anders, ganz anders. Wenn man diese Menschen fragt, warum sie die Welt so sehen, wissen sie oft keine Antwort. Es ist halt so; so wurde es ihnen erzählt, das sagen die Religionen. Sonst wäre ja alles so sinnlos, leer. Selbst Menschen mit Studium, mit Doktortitel, Menschen die selber wissenschaftlich arbeiten, haben solche (naiven?) Anschauungen.

WO SIND DIE HELFER?

  1. Umgekehrt bieten die Naturwissenschaftler oft (sehr oft? meistens?) wenig Hilfestellungen, Verstehensbrücken zu schlagen zwischen naturwissenschaftlichen Konzepten und den alten Bildern vom Menschen als Krone der Schöpfung, mit Gefühlen, Seele und Geist. Eigentlich wäre hier die Philosophie zuständig. Die zerfällt aber in zwei große Lager: jene, die die alten Menschenbilder konservieren und sich selbst den neuen Entwicklungen im Denken verweigern, und jene, die sich voll auf die Seite der neueren Wissenschaften geschlagen haben und die Vermittlung mit den alten Weltbildern gar nicht erst versuchen. Eine sehr missliche Lage. Ein anderer Parteigänger des alten Menschenbildes sind alle großen Religionen (Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam, …). Aber diese sind ihren eigenen sehr speziellen Glaubensgrundlagen und gewachsenen Traditionen so sehr verpflichtet, dass sie sich in ihrem Wahrnehmen und Denken selbst gefesselt haben. Wehe jemand denkt anders als man es bislang gewohnt ist zu denken; ein solcher macht sich verdächtig, fällt aus dem Rahmen, wird möglicherweise zum Ungläubigen, und – wie wir wissen – kann massiv bestraft werden, bis hin zum Tod.
  2. Und dann die empirischen Wissenschaften selbst: schon die Physik hat ihre Probleme mit der Biologie, die Biologie mit der Psychologie und Soziologie und all den anderen komplexen Wissenschaften vom menschlichen Leben.
  3. Auch ein Detail wie die Sprache der Wissenschaften hält viele Überraschungen bereit: es gibt viele Sprachen in der Wissenschaft. Zentral ist eigentlich die Mathematik. Aber auch diese zerfällt in viele Teilgebiete, die sich erst im 20.Jahrhundert im Umfeld der Algebra zu einer allgemeinen Strukturwissenschaft geformt hat, mit einer eigenen Metamathematik, die allerdings auch eher nur ein Randdasein führt, ein Exotenfach. (siehe Corry 1996 (2.Aufl. 2004)).

AUS DER GESCHICHTE LERNEN?

  1. Aus der Geschichte können wir wissen, dass Änderungen im Denken von Menschen weitgehend über die umgebende Gesellschaft gesteuert wurden. Änderungen konnten hunderte von Jahren dauern. Im Falle der Rezeption der griechischen Philosophie und Wissenschaft im westlichen Europa (in dem durch die katholische Kirche Wissen, Bildung, Wissenschaft – entgegen vielfacher Meinung – mehrere Jahrhunderte fast ausgerottet worden ist) hat es fast 1000 Jahre gedauert, bis Teile dieses Wissens dank der (damals) hochstehenden islamischen Kultur über großartige und umfassende Übersetzungstätigkeiten wieder zurückfanden in die Köpfe von Westeuropäern.

ENGSTELLE INDIVIDUELLE LEISTUNGSFÄHIGKEIT

  1. Heute werden wir Dank Computer und Internet (und speziellen Unternehmen) von Wissen überflutet. Aber was nützt dies, wenn wir pro Tag vielleicht nur 10-20 Seiten komplexe Texte verarbeiten können? Was nützen Terabytes von Daten, wenn wir in unserem individuellen Denken zusätzlich zur Kapazitätsbegrenzung Voreinstellungen besitzen, die uns dazu bringen, nur ganz bestimmte Dingen wahrnehmen und denken zu wollen, alles andere aber nicht? Und dazu die Algorithmen vieler Inhaltsanbieter: man bekommt mehr und mehr nur noch die Dinge zu sehen, die man am häufigsten anklickt: genau das Gegenteil wäre hilfreich, auch mal etwas anderes zu sehen, was es auch noch gibt, um sich aus seiner eigenen kleinen Welt zu befreien. Oder, in lichten Momenten, wollen wir vielleicht doch mal etwas anderes wahrnehmen und denken und müssen dann feststellen, dass uns viele Voraussetzungen fehlen, das Andere zu verstehen; wir sinken mutlos in uns zurück und kapitulieren, bevor wir angefangen haben, Neues wahrzunehmen. Das Neue, das Andere ist sehr wohl da, aber wir sind in uns selbst gefangen; die Schwerkraft des eigenen Nichtwissens hält uns quasi fest, bindet uns, lähmt uns, macht uns mutlos.
  2. Wie also können wir uns aus dieser Sackgasse befreien? In Computerspielen haben die Programmierer meistens einen Ausweg eingebaut, für den es Belohnungspunkte gibt. Wie sieht es im realen Leben aus?

GEHEIMNIS DES ERFOLGS BISHER

  1. Schauen wir auf die Entwicklung des biologischen Lebens, dann können wir ein sonderbares Schauspiel beobachten: seit dem Auftreten der ersten Bakterien (ca. zwischen -4 Mrd und -3.4 Mrd Jahren vor unserer Zeit) und dann speziell seit dem ersten Auftreten der ersten komplexen Zellen (vor ca. -1.0 Mrd Jahren) können wir beobachten, wie ein Selbstreproduktionsmechanismus, der als solcher blind war (und ist) für seine Umgebung und für das was kommen wird, so viele geniale neue Lebensformen hervorgebracht hat, dass es irgendwann dann auch Wesen gab wie den homo sapiens sapiens (heute meist nur homo sapiens, weil der postulierte homo sapiens als Bindeglied zum homo sapiens sapiens keine rechte Funktion besitzt), dessen Körper von ca. 34 Billionen (10^12) Zellen gebildet wird, lauter Individuen, die miteinander kooperieren (und noch mehr Bakterien, die wiederum mit den Körperzellen kooperieren). Das Geheimnis des Erfolgs ist, dass trotz lokaler Unwissenheit, lokaler Blindheit, eine Population bei der Selbstreproduktion so viele Varianten erzeugt hat, so viele kreative Abweichungen, dass immer dann, wenn die Umwelt sich geändert hatte und die bisherigen Lebensformen ein Problem bekamen, genügend andere Formen verfügbar waren (glücklicherweise), dass die Geschichte des Lebens bis heute anhält (unter den Problemen der Umgebungen gab es alleine 5 große Eiszeiten von 2×20 Mio, ca. 60 Mio, ca. 100 Mio und sogar ca. 300 Mio Jahren Dauer!!!!! Den homo sapiens – also uns – gibt es gerade mal ca. 200.000 Jahre).

WO DER ERFOLG WOHNEN KANN

  1. In der Kunst lebt die Bereitschaft zum kreativen Denken und Verhalten ansatzweise weiter. Die gesamte Wissenschaft ist eigentlich dem Prinzip der kontrollierten Änderung des aktuellen Wissens verpflichtet; jedes Unternehmen lebt eigentlich von der Innovation seiner Produkte. Jeder einzelne Mensch erlebt heute schmerzhaft, dass die Planung einer Ausbildung oder die Ausübung eines Berufes immer kurzlebiger, immer unsicherer wird. Und doch, wir tun uns mit den Weltbildern in unseren Köpfen schwer. Sie haben ein großes Beharrungsvermögen, können die Festigkeit von Beton besitzen.
  2. Im Kern haben wir also das Problem, dass wir zu jedem Zeitpunkt, an dem wir gerade leben, ein Wissen haben, das als solches zwar begrenzt wertvoll ist, das aber gemessen an dem, was wir noch nicht wissen, nur begrenzt hilfreich ist. Es gänzlich außer Acht zu lassen wäre sicher falsch, da es ja bisherige Erfolgsrezepte (im positiven Fall) beinhaltet; aber es ausschließlich zu benutzen, wäre auch falsch, sehr wahrscheinlich tödlich. Wir brauchen zu jedem Zeitpunkt ein schwer bestimmbares Maß an Neuem, das insoweit neu ist, als es wirklich anders ist als das, was wir bislang kennen. Damit verbindet sich unausweichlich ein Risiko, dass das so gewählte Neue nicht zum Ziel führen muss. Dieses Risiko ist quasi der Preis des möglichen Überlebens. Genauso wenig wie aus dem Nichts irgendetwas entstehen kann, genauso wenig können wir kostenlos die Zukunft gewinnen.
  3. Ich kritisiere ja – wie leicht zu sehen – die bestehenden Religionen oft und stark. Aber es ist interessant, dass sich in den überlieferten Worten eines Jesus von Nazareth (sofern man sie ihm wirklich zuordnen kann), das Bild von einer je größeren Zukunft sehr deutlich findet; dass das Weizenkorn sterben muss, um dem je größeren Leben Raum zu geben; dass das, was er selber getan hat, jeder andere nicht nur auch tun kann, sondern dass jeder andere sogar noch viel mehr tun kann; dass man über andere nicht urteilen sollte, weil das eigene Wissen grundsätzlich falsch sein kann (und oft falsch ist), usw. Dies sind Gedanken, die nicht notwendigerweise etwas mit Religion zu tun haben müssen; es sind grundsätzliche Sachverhalte, die sich dem zeigen, der das biologische Leben betrachtet, wie es sich nun mal manifestiert.

Es gibt eine weitere Fortsetzung als Teil 2.

WEITERE QUELLEN/ LINKS (Selektiv)

  • Text des Neuen Testaments: https://www.bibelwissenschaft.de/online-bibeln/novum-testamentum-graece-na-28/lesen-im-bibeltext/ //* Das ist der griechische Urtext. Wir sind daran gewöhnt, immer irgendwelche Übersetzungen zu lesen und dabei zu vergessen, dass jede Übersetzung eine Interpretation ist. Zudem hat jeder Text eine Überlieferungsgeschichte, d.h. es gibt in der Regel nicht nur einen Text, sondern viele Handschriften, aus denen dann der ‚plausibelste‘ Text zusammengestellt wird/ wurde (was auf dieser Webseite leider nicht angezeigt wird). Und wenn man den Urtext liest, wird man fast über jedes Wort stolpern und sich fragen, was soll dieses Wort eigentlich bedeuten? Woher wissen wir, was die schwarzen Zeichen auf dem weißen Papier bedeuten können/ sollen? Meist ist ja bei alten Texten gar nicht klar, wer sie verfasst hat. Letztlich kann jeder sie geschrieben haben, oder viele verschiedene, oder verschiedene hintereinander, und jeder hat seine Änderungen angebracht….
  • Leo Corry, Modern Algebra and the Rise of Mathematical Structures, Basel – Boston – Berlin: Birkhäuser Verlag, 1996 (2.rev.Aufl. 2004)
  • Harold Morowitz: https://en.wikipedia.org/wiki/Harold_J._Morowitz (ein großes Thema: Wechselwirkung von Thermodynamik und Leben)
  • Michael J.Russel et al: http://www.gla.ac.uk/projects/originoflife/html/2001/pdf_articles.htm: The Origin of Life research project by Michael J. Russell & Allan J. Hall , University of Glasgow, May 2011
  • Krebs-Zyklus: https://en.wikipedia.org/wiki/Citric_acid_cycle
  • Martin W, Russell MJ., On the origin of biochemistry at an alkaline hydrothermal vent. , Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci. 2007 Oct 29; 362(1486):1887-925.
  • Martin W, Baross J, Kelley D, Russell MJ., Hydrothermal vents and the origin of life., Nat Rev Microbiol. 2008 Nov; 6(11):805-14.
  • Harold Morowitz und Eric Smith , Energy flow and the organization of life , Journal Complexity archive, Vol. 13, Issue 1, September 2007, SS. 51 – 59 ,John Wiley & Sons, Inc. New York, NY, USA

Einen Überblick über alle Blogeinträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER.

NICK LANE – LIFE ASCENDING – BESPRECHUNG – Teil 1

Nick Lane, „Life Ascending“, London: Profile Books Ltd, 2009 (Paperback 2010)

KONTEXT

  1. Auf dem Weg zum neuen Menschenbild im Spannungsfeld zwischen biologischen und nicht-biologischen Systemen (letztere als Maschinen, insbesondere auch als intelligente Maschinen) stellen sich viele interessante Fragen. Grundlegend bleibt die Frage nach dem Unterschied zwischen biologischen und nicht-biologischen Systemen. Insbesondere erweist sich schon die Bestimmung des Biologischen als eigenes Problem. In den Wissenschaften wurde ja lange zwischen der belebten und der unbelebten Natur unterschieden, wurde eine Grenze zwischen Organischem und Anorganischem gezogen. Die Forschung der letzten 10 – 15 Jahre hat aber so viele neue Erkenntnisse zutage gefördert, dass der Übergang zwischen Belebtem und Unbelebtem immer fließender wird. Zumindest für den ersten Übergang von bloß chemischen zu schon biochemischen Prozessen gibt es mittlerweile sehr plausible Modelle und empirische Fakten, so dass der Weg von elementaren metabolischen Prozesszyklen zu komplexeren biologischen Prozessen der Selbstreplikation nicht mehr so aussichtslos erscheint, wie bislang. Dies eröffnet viele interessante Perspektiven.
  2. Das Buch von Nick Lane Life Ascending kann hier hilfreich sein: in gut lesbarer Weise, jedoch eng an den realen Forschungsprozessen orientiert, entwickelt er ein Bild des biologischen Lebens, das versucht, diese neuen Erkenntnisse zu berücksichtigen. Dieses Buch wurde mit viel Lob von führenden Fachzeitschriften und Wissenschaftlern bedacht, und bekam u.a. den Preis der Königlichen Gesellschaft (England) für das beste Wissenschaftsbuch 2010 (es gibt weitere Bücher von Lane, auch ein ganz neues von 2016, in denen unterschiedliche Aspekte des biologischen Lebens auf der Basis neuerer Erkenntnisse thematisiert werden).

EINFÜHRUNG (SS.1-7)

  1. Die großen Erkenntnisfortschritte der letzten Jahrzehnte wurden möglich, da die Methoden der Paläontologie und der Populationsgenetik mit neuen Methoden so erweitert werden konnten, dass man nun immer mehr die biochemischen Strukturen und Prozesse selbst erforschen kann, die den Lebewesen, den Zellen zugrunde liegen und die Zeugnis geben können von Ereignissen und Sachverhalten, die bis in die Frühzeit des Lebens (ca. bis -4 Mrd Jahre rückwärts) zurückreichen.
  2. Nick Lane versucht, diese wunderbare und ungeheuer spannende Geschichte der Entstehung der Lebensformen am Beispiel von 10 Ereignissen zu illustrieren, die er – aus seiner Sicht anhand selbst gewählter Kriterien – als die größten Erfindungen (“inventions‘) des Lebens identifiziert. So beginnt er mit der Entstehung des Lebens, beschreibt die DNA, dann die einmalige Erfindung der Photosynthese und der komplexen Zellen, beleuchtet dann die Rolle der Sexualität, der Bewegung, des Sehens, des warmen Blutes und schließlich das Phänomen des Bewusstseins und des Sterbens.

DIE ENTSTEHUNG DES LEBENS (SS.8-33)

  1. In diesem Kapitel geht es zentral um die Frage, wie es möglich war, dass sich auf der Erde, nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, und die sogenannten Hadean Epoche (-4.5 Mrd bis – 3.8 Mrd) begonnen hatte, so schnell erste Spuren von Leben finden konnten. Einige Hypothesen gehen davon aus, dass sich schon ab -4 Mrd, erste Bakterien finden, sichere Befunde gibt es spätestens ab -3.4 Mrd. (vgl. S.8f); komplexere Zellen mit Zellkernen (Eukaryoten) finden sich dann aber erst ab ca. -1.4 Mrd bis -1.0 Mrd, also gut zwei  Mrd Jahre später. (S.9).
  2. Die Frage ist dann sinnvoll und spannend, wenn man davon ausgeht, dass sich die biologischen Formen aus den nicht-biologischen Strukturen im Rahmen der Naturgesetze entwickelt haben. Dann muss man Entstehungsprozesse identifizieren bzw. nachträglich rekonstruieren, die dies deutlich machen können. (vgl. S.9f)
  3. Der Vollständigkeit halber zitiert Lane das berühmte Miller-Urey Experiment von 1952 (publiziert 1953), bei dem aus einer Gasmischung mittels elektrischer Entladungen komplexe Moleküle gebildet werden konnten, die jenen ähneln, die man zu den biologischen zählt. Wie man heute weiß, entsprach die Gasmischung des Experiments aber nicht der Zusammensetzung auf der Erde in jener Zeit (vgl. SS.10-12). Ferner gelten für Moleküle und chemische Reaktionen die allgemeinen Gesetze der Thermodynamik; ohne spezielle Umgebungsbedingungen zerfallen Moleküle wieder. Wie eine solche Umgebungen aussehen sollte und ob sie so jemals bestanden hatte, sagte das Experiment nicht (vgl. SS.11-14)
  4. Auf der Suche nach geeigneten Umgebungen führte 1977 die Entdeckung von unterseeischen hydrothermalen Schloten zu einer gewissen Aufregung. Bis heute wurden ca. 200 solcher Schlote gefunden; alle zeichnen sich aus durch einen Überfluss an Leben. (vgl. S.14f) Brodelnde metallische Sulfide ergießen sich ins Wasser, alles sehr säurehaltig, Temperaturen mit bis 400 Grad. (vgl. S.15) In diesem thermodynamischen Ungleichgewicht kommen große Mengen an Schwefelwasserstoff vor. Aus diesem extrahieren Bakterien Wasserstoff (H) und verknüpfen ihn mit Kohlendioxid (CO2) und produzieren daraus organische Stoffe. Dies kostet Energie, die über Sauerstoff (O) zugeführt wird.(vgl. S.15) So interessant diese Umgebungen sind, vieles passte noch nicht so richtig zusammen.
  5. Vor diesem Hintergrund haben Michael J.Russell und Kollegen 1994 alternative Schlote (‚vents‘) vorausgesagt, unterseeische, alkaline hydrothermale Schlote, die eine umfassendere und nachhaltigere Umgebung für die Ausbildung frühen Lebens darstellen würden. Solche Schlote wurden dann 2000 tatsächlich entdeckt, bekannt gemacht ab ca. 2002. Sie wurden spontan Verschwundene Stadt (‚Lost City‘) getauft. Diese alkalische Schlote entstanden aus der Wechselwirkung zwischen Gestein und Seewasser: es sind poröse Gebilde mit unendlich vielen Kompartments, chemischen Verbindungen, und einem Temperaturgradient. (vgl. SS.20-23)
  6. Bei dem Versuch, ‚von unten nach oben‘, vom Einfachen zum Komplexeren Erklärungsmuster zu finden, die zu den komplexeren Strukturen hinführen, kann es auch hilfreich sein, vom bekannten Komplexen auszugehen und zu fragen, was haben alle bekannten reproduzierbaren biologischen Formen gemeinsam? Was sind universelle Kernprozesse? Lane verweist hier auf metabolische Prozesse bekannt als Krebs-Zyklus.(vgl. S.24) Der Krebs-Zyklus bildet die Basis aller eukaryontischen Zellen und ist reversibel. Er kann mit Hilfe von Energie Proteine erzeugen oder umgekehrt Energie. Bei eukaryontischen Zellen ist er in den Mitochondrien lokalisiert, bei prokaryotischen Zellen in der Zellmembran. Das wirkliche Besondere aber ist, dass seine Bestandteile und sein Zusammenbau chemischen Tendenzen der beteiligten Moleküle folgt (Morowitz!) und sich alle Zutaten, bis hin zur passenden Umgebung, in den erwähnten alkalischen hydrothermalen Schloten finden. (vgl. S.25f)
  7. In ähnliche Richtung argumentieren Martin & Russell: heutzutage sind nur 5 metabolische Prozesse bekannt, wie Pflanzen und Bakterien Wasserstoff (H) und Kohlendioxid (CO2) verarbeiten. Vier von Fünf verbrauchen ATP. Einer von fünf erzeugt Energie. Letzteres tun die Archaen.(Vgl. S.27) Dies verweist auf mögliche Vorläufer der Archaen um -4 Mrd Jahren, die über solche solche Prozesse verfügt haben müssen bzw. diese aufgebaut haben. Um aber Energie zu erzeugen, benötigten diese Vorfahren kleine Mengen von Startenergie. Dazu werden Katalysatoren wie Eisen, Nickel und Schwefel benötigt. Genauso diese sind aber in den unterseeischen Schloten vorhanden waren.(vgl. S.27f)
  8. Die elementaren Komponenten dieser Prozesse finden sich also in den unterseeischen Schloten wie auch als Grundbausteine im Krebs-Zyklus, der das Herz aller metabolischen Prozesse von späteren Zellen bildet (vgl. S.28). Als Energiebaustein wird allerdings noch nicht ATP erzeugt, sondern Acetylphosphat C2H5O5P, das aber genauso wie ATP funktioniert. Das Abfallprodukt der Phosphatübertragung ist Essig. (vgl. S.28f)
  9. Während der Energiegewinnungsprozess in den unterseeischen Schloten plausibel erscheint, stellt sich die Frage, wie der Prozess auch außerhalb der Schlote funktionieren kann, wo es keine hinreichende Umgebungsenergie gibt?(vgl. S.29f) Einen Schlüssel lieferte die Forschung von Peter Mitchell, der aufzeigte (Nobelpreis), dass die Produktion von ATP-Molekülen von einem differenzierten Membranprozess gesteuert wird, der durch den Gradientenprozess des Protonentransports mit sehr fein abgestimmten Dosierungen arbeiten kann. (vgl. 31f) Dieser Protonen-abhängige Gradient innerhalb der Chemiosmose findet sich in allen späteren Lebensformen und bot die Voraussetzung der Loslösung aus den alkalischen Schloten.(vgl. 32f)

DISKURS

  1. Ein Kennzeichen der neueren Diskussion ist die Tendenz, dass man sehr stark nach einer Einbettung der biologischen Prozesse in die Gesetze der allgemeinen Physik und Chemie sucht. Besonders zu erwähnen sind hier sicher Schmidt und Morowitz.
  2. Letztere gehen davon aus, dass die Thermodynamik einen Rahmen aufspannt, innerhalb dessen der Fluss freier Energie durch Zusammenfinden geeigneter chemischer Verbindungen verbessert und kontrolliert werden kann. Dies bedeutet, durch ein Zusammenwirken von thermodynamischen Gesetzen und Eigentendenzen der chemischen Verbindungen kommt es zur Ausbildung von speziellen chemischen Prozessketten, innerhalb deren energetisch hochwertigere Teilchen in immer tiefere energetische Zustände weitergereicht werden und dabei Wirkungen entfalten. Da alle Bestandteile zu den universell verfügbaren Grundbausteinen gehören und die Wirkungsgesetze allgemein sind, sind auch diese chemischen Prozessketten universell und sehr stabil.

Die Fortsetzung bildet ein Nachtrag zu Teil 1 als 1b

WEITERE QUELLEN/ LINKS (Selektiv)

  • Harold Morowitz: https://en.wikipedia.org/wiki/Harold_J._Morowitz (ein großes Thema: Wechselwirkung von Thermodynamik und Leben)
  • Michael J.Russel et al: http://www.gla.ac.uk/projects/originoflife/html/2001/pdf_articles.htm: The Origin of Life research project by Michael J. Russell & Allan J. Hall , University of Glasgow, May 2011
  • Krebs-Zyklus: https://en.wikipedia.org/wiki/Citric_acid_cycle
  • Martin W, Russell MJ., On the origin of biochemistry at an alkaline hydrothermal vent. , Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci. 2007 Oct 29; 362(1486):1887-925.
  • Martin W, Baross J, Kelley D, Russell MJ., Hydrothermal vents and the origin of life., Nat Rev Microbiol. 2008 Nov; 6(11):805-14.
  • Harold Morowitz und Eric Smith , Energy flow and the organization of life , Journal Complexity archive, Vol. 13, Issue 1, September 2007, SS. 51 – 59 ,John Wiley & Sons, Inc. New York, NY, USA

Einen Überblick über alle Blogeinträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER.