Archiv für den Monat: Oktober 2016

RIMINI PROTOKOLL- HITLERs MEIN KAMPF – PHILOSOPHIE JETZT

KONTEXT

  1. In diesem Blog versucht ein Autor (cagent) seit Jahren sich selber besser zu verstehen, indem er das, was irgendwo in den Tiefen seines Organismus stattfindet, im Schreiben sichtbar macht. Zunächst für sich, dadurch aber auch für andere. In der Vergegenständlichung des zuvor Ungegenständlichen wird/ werden ansatzweise Erleben, Fühlen, Präferieren, Sachverhalte, Zusammenhänge, Veränderungen, Sichtweisen sichtbar, die den Ausgangspunkt für weitere Überlegungen bilden können. Wiederholt, und immer wieder, ergeben sich Schreibereignisfolgen, die Linien auf einer Landkarte des Nichts bilden, aus denen sich zaghaft Muster formen, Figuren des Denkens, Andeutungen einer Wirklichkeit im Dunkel des Unbewussten, im Jenseits hinter dem Wall der Phänomene, die die Gegenwart konstituieren. Es ist der Versuch, im Diffusen der Gegenwart Ansatzpunkte für ein mögliches Verstehen des eigenen Geschehens, und dadurch auch der begleitenden Welt, zu finden. Dies ist die Wurzel jeglicher Philosophie, die Tuchfühlung mit einem Leben, das irgendwie viel größer ist, sich aber in den Ereigniswolken der Gegenwart nur zipfelhaft zeigt.
  2. Seit einigen Jahren werden diese philosophischen Selbstversuche ergänzt, begleitet von regelmäßigen öffentlichen Philosophiewerkstätten, in denen die Teilnehmer nach einer Art Verlaufsprotokoll die Gelegenheit haben, ihr unterschiedliches Fühlen und Denken zu teilen, indem sie sich mitteilen, indem sie ihre Gedanken in einen gemeinsamen Raum stellen, sich darin wechselseitig anregen, kommentieren, vergleichen. Auch hier entstehen aus dem Nichts des eigenen Unbewussten Ereignispunkte, Bewegungen, Linien, Muster, einer möglichen Realität, die ansonsten unsichtbar geblieben wären. Das ist die Wurzel für ein gemeinsames Philosophieren. (Statt von Werkstatt sollte man mittlerweile vielleicht eher von einem Labor für Selbstversuche sprechen).
  3. Seit kurzem, noch ganz frisch (zuerst 1. und 12.Dez.2015, jetzt 1.Nov.2016) gibt es mit der Initiative PHILOSOPHY-IN-CONCERT den weiteren Versuch, philosophisches Denken in Interaktion mit Sound (und einigen Bildern) in Form einer Performance stattfinden zu lassen, an die sich dann Gespräche anschließen. Hier fehlen noch Erfahrungswerte, um mehr zu sagen. Als Mitmachender erlebe ich diese Form zunächst mal als sehr inspirierend, aber doch ziemlich anders als die beiden anderen Formen. Man wird sehen.

RIMINI PROTOKOLL

  1. Angeregt durch einen Besuch der Performance von Hitler‘s Mein Kampf 1&2, initiiert von der Künstlergruppe Rimini Protokoll, wurde ich auf dieses Theaterkonzept aufmerksam. Neue Sichten auf unsere Welt ermöglichen mit realen Menschen, mit realen Erfahrungen und Überlegungen, mit Bezug zur realen Welt, in fantasievollen und ungewöhnlichen Settings, ein sich gegenseitig und wechselseitiges Kommentieren der einen Welt mit ihren vielen Realitäten durch die vielen realen Personen. Fantastisch.

HITLERS MEIN KAMPF 1&2

  1. Am Freitag 28.10.2016 abends im Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt, hatte ich Gelegenheit eine Produktion von Rimini Protokoll zu sehen: Hitlers Mein Kampf 1&2. Ich gestehe, dass ich von mir aus nicht hingegangen wäre. Aber wir hatten Karten von einer Freundin geschenkt bekommen, die bei dem Stück mitspielt.
  2. Wow kann ich nur sagen. 6 Personen, deren Biographie mit dem Buch Mein Kampf auf unterschiedliche Weise verwoben ist, agierten zweieinhalb Stunden ohne Pause mit einem spartanischen Bühnenbild, und hielten den Ball im Spiel.
  3. Zwar merkte man schon ansatzweise, dass dies keine Profischauspieler waren, das wurde aber mehr als wett gemacht durch die Tatsache, dass diese realen Personen ihre eigene Realität spielten und damit zugleich ein Stück die Realität des Buches mein Kampf ins Spiel brachten. Außerdem waren es sechs verschiedene Charaktere, sechs Biographien, sechs Typen, die je für sich interessant waren, und die dann auch ein Zusammenspiel entwickelten, das von diesen Charakteren lebte.
  4. Beiläufig erfuhr man auch etwas über das Buch selbst, seine suggestive Sprache, seinen verführerisch-demagogischen Duktus, der durch scheinbar unmerkliche Veränderung der Wirklichkeit anfänglich so sanft und verständnisvoll rüberkommt, sich dann aber doch zu immer rabiateren und menschenverachtenden Formulierungen und Aussagen steigert, die dann in einer bizarren Ideenwelt endet, die sich von der Realität weit entfernt hat und im völkisch-rassistischen Schwarz-Weiß vor keiner Greueltat mehr zurückschreckt.
  5. Dieses Buch nicht publik zu machen, ist eigentlich dumm. Die meisten Menschen würden beim Lesen erkennen, welch Wahngebilde sich hier aufbauen. Diejenigen, die es nicht sehen, werden auch ohne dieses Buch ihre vereinfachten Weltbilder ausleben. Nationalistisch-rassistische Strömungen gab es zu allen Zeiten, gibt es heute in fast jedem Land dieser Welt (selbst mitten in Israel), und die werden durch solch ein Buch weder unterstützt noch verhindert. Die katholische Kirche hatte Jahrhunderte versucht, Bücher zu verbieten; genutzt hat es nichts (Liste der verbotenen Bücher).
  6. Ideen haben nur dann eine Wirkung, wenn sie auf etwas in den Menschen treffen, an denen sie andocken können. Wenn es soziale und wirtschaftliche Ungleichgewichte gibt, Benachteiligungen bestimmter Gruppen, unbefriedigte Eitelkeiten aller Arten, dann sammeln sich negative Emotionen an, die nach einer Befriedung suchen. Das ist der Stoff, aus dem radikale Bewegungen entstehen. Wenn die gewählten Politiker ihr Amt missbrauchen, wenn Lobbyismus so unverhohlen praktiziert wird wie mittlerweile von vielen deutschen Ministerien, dann fangen die Menschen an, schwarz-weiß zu malen, Parolen zu rufen, und die Emotionen in Formen zu gießen, an die dann Parolen – wie auch damals die von einem Adolf Hitler — anknüpfen können. Ein Buch zu verbieten, aus Angst vor solchen Parolen, ist lächerlich und naiv.
  7. Die sechs Personen auf der Bühne machten durch die Realität ihres eigenen Lebens deutlich genug, wie vielschichtig die Realität ist, wie unterschiedlich die Faktoren waren und sind, die eine Gesellschaft prägen, beeinflussen. Einerseits ist jeder einzelne unbedeutend; andererseits sind wir zusammen das, was jeder einzelne ist. Der einzelne ist etwas; er ist das Stück Realität, aus dem alles wird.

PHILOSOPHIE JETZT

  1. Für das Projekt einer Philosophie jetzt könnte aus all dem folgen, den Prozess des philosophischen Reflektierens fantasievoll weiter auszubauen, anzuregen, zu ermöglichen, im Alltag. In einer Zeit der umfassenden Digitalisierung und der damit einhergehenden Nivellierung von Realität kann das miteinander Reden mehr den je überlebenswichtig werden. Die Propagandakraft von Firmen wie google (Alphabet) und Facebook ist um Dimensionen größer als die Propagandamaschine von Hitler. Allein Facebook soll mehr als 1 Mrd Mitglieder haben, täglich, stündlich (wobei alle 3 Minuten rein statistisch einer stirbt). Die Gesamtauflage von Hitlers Kampf war am Ende bei ca. 12 Mio Exemplaren…

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PHILOSOPHIEWERKSTATT 23.Okt.2016 – JETZT ALS PHILOSOPHISCHES LABOR FÜR PHILOSOPHISCHE SELBSTVERSUCHE – Memo

AUSGANGSPUNKT

  1. Wie in der Vorschau zur Philosophiewerkstatt vom 23.Okt.2016 nachlesbar, ist das Thema Denken und Fühlen ein zwar sehr anregendes, aber zugleich auch in der bisherigen Geistesgeschichte (speziell in den Wissenschaften) eher ungelöstes Thema. Tatsächlich findet sich der einzelne heute eher ortlos vor zwischen Denken und Fühlen, nicht harmonisch, entspannt, wohlig, zufrieden, glücklich. Vielleicht sollte man hier sogar von einer Art Entfremdung des Menschen von sich selbst sprechen.
  2. Im eben zitierten Beitrag findet man den Abschnitt: Wenn man also als Philosoph die vorfindliche Wirklichkeit ernst nehmen will, dann darf man die eigene Körpererfahrung nicht von vornherein ausblenden, man muss sie akzeptieren, man muss sie zulassen, sie anschauen, und versuchen, daraus zu lernen, was es zu lernen gibt. Das Fühlen (im weitesten Sinne) ist ein Grundbestandteil philosophischer Weltwahrnehmung. Ob und was ein nachfolgendes Reflektieren mit solch einem Fühlen anfangen kann, das kann man vorab nicht abschätzen.
  3. Und weiter: Für einen Philosophen kann es nur um das GANZE Fühlen gehen, d.h. alles, was ein Denken vorfinden kann. Und da dieses Fühlen an unseren Körper gebunden ist, geht es darum, was ein Körper in unterschiedlichsten Situationen fühlen kann und wie man solch ein stattfindendes Fühlen dann beschreiben kann, nicht nur punktuell, sondern auch in seiner prozesshaften Erstreckung in dem, was wir Zeit nennen.
  4. Als Grundform des philosophischen Fühlens erscheint daher das bewusste Dasein ohne ein fokussiertes Denken. Sofern das philosophische Fühlen als das primär Vorgegebenes für jedes Erkennen angesehen wird, also auch für das explizite Denken, muss man sagen, dass das Denken im Fühlen gründet.
  5. In einem weiteren vorbereitenden Blogbeitrag  wurd aber auch herausgestellt, dass die Tatsache, dass das Denken im Fühlen gründet, … nicht [heißt], dass das Fühlen das Denken ersetzt. Keinesfalls. Das Denken ist zwar evolutionsgeschichtlich sehr viel später als das Fühlen, das eine Begleiterscheinung des Körpers ist, und das Denken kann das Fühlen nicht ersetzen, aber es eröffnet Zustandsweisen, die radikal und fundamental über das Fühlen hinaus gehen.
  6. Aufgrund all dieser Gedanken entstehen sehr viele Fragen. Fragen nach der Beschaffenheit und Funktion des philosophischen Fühlens, des Denkens, und speziell auch Fragen nach der Wechselwirkung zwischen philosophischem Fühlen und Denken. Um diesen Fragen nach zu gehen wurde zur ersten Sitzung der Philosophiewerkstatt am 223.Okt.2016 eingeladen.
Hinweis auf die Komplexität menschlicher Systeme als Teil der biologischen Evolution
Hinweis auf die Komplexität menschlicher Systeme als Teil der biologischen Evolution

WERKSTATT – EINSTIMMUNG

  1. Nach dem Ankommen an den neuen Ort (INM) wurde nochmals daran erinnert, was das Grundanliegen der Philosophiewerkstatt ist: nicht der Monolog eines Experten sondern die Verschränkung der Erfahrungen der anwesenden Teilnehmer im Austausch und in der versuchsweisen Zusammenschau.
  2. In einem kurzen Impulsreferat wurde anhand der Zeichnung zur Komplexität menschlicher Systeme angedeutet, wie das System Mensch in sich ganz unterschiedliche Systeme vereinigt, die untereinander wechselwirken. Das Bewusstsein in Interaktion mit dem Gehirn, und das Gehirn in Wechselwirkung mit dem Körper. Der gesamte Körper ist aber zugleich eine gigantische Ansammlung von individuellen hochkomplexen Zellen, die intensiv miteinander interagieren. Insofern sie aus Molekülen bestehen, diese aus Atomen, Atome aus subatomaren Partikeln, die physikalisch frei zugänglich sind über alle körperlichen Grenzen hinweg, bildet der Körper entgegen der bewussten Anschauung kein abgegrenztes, endliches Objekt, sondern ein prinzipiell offenes System, dessen Grenzen physikalisch kaum angebbar sind.
  3. Wenn wir also philosophisch vom Fühlen sprechen, dann ist damit die Gesamtheit der möglichen Wirkungen dieses komplexen offenen und dynamischen Systems in die Phänomenmenge des Bewusstseins gemeint. Das Bewusstsein ist aber als Bewusstsein nur dem individuell erlebenden System zugänglich als subjektzentrierte Phänomenmenge, deren Quelle das ganze Universum ist, dessen Ereignismenge durch den Körper und das Gehirn gefiltert wird. Der subjektive Phänomenraum erscheint somit wie ein Transformator, wie eine Übersetzungsmaschine, die die schwer fassbare universelle Ereignismenge in einen bestimmten Kode, den Körper-Gehirn-Bewusstseins-Kode übersetzt.
  4. Das philosophische Fühlen erscheint daher als die Fähigkeit des Menschen, sich selbst in großer Bandbreite ‚fühlen‘ zu können. ‚Fühlen‘ ist dabei alles, was irgendwie wahrgenommen/ erlebt/ empfunden/ … werden kann als möglicher Gegenstand des Denkens. Das Fühlen wäre damit unsere direkte Verbindung zur Realität, modulierbar durch Denken. Das Fühlen erscheint unserem Denken vorgelagert und darin unabhängig von ihm. Das Fühlen ist darin das für das Denken Andere, Widerständige, im grundlegenden Sinne Empirische. Dennoch können sich Fühlen und Denken gegenseitig beeinflussen, aber unterschiedlich. Fühlen erscheint formlos; das Denken ermöglicht Verbindung mit Strukturen. Fühlen ist gegenwärtig; Denken ermöglicht Vergangenheit und mögliche Zukunft.
  5. Eine philosophische Übung des Fühlens (was von anderen oft Meditation genannt wird, mit zahllosen Spielarten) besteht im einfachsten Fall darin, sich für eine gewisse Zeitdauer (guter Start: 20 Min) in einer Weise zu positionieren, dass man sich selbst dabei wenig behindert und man auch von der Umgebung wahrscheinlich nicht gestört wird (Dies ist allerdings individuell sehr verschieden: es gibt Menschen, die können im größten Trubel so etwas tun, andere werden schon bei kleinsten Geräuschen abgelenkt). Und dann ist man einfach nur da. In dieser Zeit kann unglaublich viel passieren – oder scheinbar nichts. Eine kleine Nachreflexion mit Notizen kann helfen, das Gefühlte zu sortieren und zu bewahren.
Historischer Kontext zu Schopenhauer - Auswahl
Historischer Kontext zu Schopenhauer – Auswahl
  1. Innerhalb des großen Themas Denken im Fühlen (Okt-2016 bis Juni-2017) soll auch der Philosoph Schopenhauer als historischer Gesprächspartner einbezogen werden. Zu Lebzeiten wenig beachtet, erweist sich sein Ansatz mit Thematisierung der Vorstellungen im Körper und des Willens als Ermöglichung einer subjektübergreifenden Wirklichkeit aus heutiger Sicht als modern. In der Sitzung am 23.Okt.2016 wurde nurmehr ein erster Hinweis auf Schopenhauer gegeben.

INDIVIDUELLES FÜHLEN

  1. Es war jedem freigestellt, ob er sich dem Selbstversuch des philosophischen Fühlens aussetzen wollte oder nicht, auch wo und wie. Wie sich herausstellte hatte niemand außer dem Autor das zuvor probiert. Alle probierten es aus. 20 Min. Einige gaben blitzlichtartig anschließend ihre Eindrücke wieder (siehe Bild).
Blitzlichter zum Selbstfühlen
Blitzlichter zum Selbstfühlen
  1. Eine Übung, nur 20 Min, ist natürlich bei einem so komplexen Thema wie das eigene Fühlen nur eine kleine Momentaufnahme aus einem permanent gewaltigen Geschehen. Dennoch zeigen schon die wenigen Berichte, wie wir, ausgespannt zwischen Fühlen und Denken, in einem Spannungsfeld leben, in dem einerseits unser Fühlen uns unterschiedliche Ereignisse liefert, andererseits unser bisherige Erfahrung und unser Denken, dadurch angeregt, alle möglichen Reaktionen zeigen. So, wie wenn man einen Stein ins Wasser wirft und er Wellen und Geräusche erzeugt, so erzeugen die unterschiedlichen Gefühlsanstöße unterschiedliche Reaktionen unseres Erinnerns und Denkens.

DISKURS ZU DENKEN IM FÜHLEN

  1. Im nachfolgenden Diskurs (siehe Bild) kamen viele Aspekte zur Sprache.
Stichworte aus dem Gespräch
Stichworte aus dem Gespräch

BEWUSSTSEIN UND FÜHLEN

  1. Grundlegend war sicher die Klärung, wie wir den Begriff Bewusstsein im Gespräch verwenden wollten: (i) quasi von außen, als Dritter, auf einen Menschen drauf schauend, seinen Körper, sein Gehirn, und damit verbunden Verhaltensweisen, die auf etwas hindeuten, das man Bewusstsein nennt, oder (ii) aus der Innenperspektive des einzelnen, seine subjektive Wahrnehmung, die sich einer Vielzahl von Eindrücken (Phänomenen, Qualia,…) ausgesetzt erfährt. Wir stellten fest, dass wir die Bedeutung (ii) benutzen, die auch der Betrachtungsweise der Phänomenologie im Sinne Husserls entspricht.
  2. Das philosophische Fühlen entspräche dann der Gesamtheit aller Phänomene, die sich im Bewusstsein zeigen können, sofern sie im Körper fundiert wären. Insofern das Bewusstsein im Gehirn fundiert ist und dieses im Körper, sind alle möglichen Phänomene im Körper fundiert, d.h. Das Bewusstsein ist der real-virtuelle Ort des Aufscheinens aller möglichen Phänomene und steckt damit auch den Bereich des potentiellen philosophischen Fühlens ab.

ZWISCHEN MENSCHEN

  1. In der Interaktion zwischen Menschen spielt der Austausch von Gefühlen auch eine Rolle. Es gibt offensichtlich vor-sprachliche Formen der Kommunikation und dann sprachliche. Mit der Sprache lassen sich sehr feine und sehr verwobene Strukturen konstruieren, die dann als sprachlich vermittelte Bilder der gemeinten Sache die vorkommende Wirklichkeit deuten.

FÜHLEN UND SPRACHE

  1. Freud ist ein beeindruckendes Beispiel, wie er Sprach- und Denkwelt der Neurowissenschaften überstieg und die Psyche – aufscheinend in den Phänomenen des Bewusstseins – mit eigenen Beschreibungsmodellen versah. Zugleich reflektierte er diese seine Modellbildungen auf mögliche Voraussetzungen und mögliche Konsequenzen hin.
  2. Dies ist möglicherweise eine Auswirkung der Formwandlungsprozesse des 18.Jahrhunderts, in denen zwischen der Logik der Psyche (Psychologie) und der Logik des Denkens unterschieden wurde. Erste Umrisse einer Abgrenzung von erlebbarer Psyche und erlebbarem Denken?
  3. Erwin Walter Maximilian Straus (1891 – 1975)  wurde als jemand genannt, der die Eigenständigkeit des Psychischen gegenüber dem Physiologischen verteidigt hat. Motto: Der Mensch denkt – nicht das Gehirn. Hier stellen sich allerdings einige Fragen vor dem Hintergrund der bisherigen systemischen Annahmen. Wurde nicht ausdiskutiert.

WER DENKT IM GEHIRN?

  1. Selbst wenn man von den neurologischen Verschaltungen ausgeht, muss man sagen, dass rein deterministische Schaltereignisse eigentlich nirgendwo vorkommen, nicht einmal auf der Ebene eines einzigen Neurons. Und die scheinbar deterministischen Reflexbahnen sind meist modifizierbar und bilden nur eine kleine Teilmenge der Schaltereignisse. In der Mehrzahl der Fälle finden sich wischen möglichen Signaleingängen und Ausgängen komplexe Verschaltungen, die mathematisch betrachtet nicht-lineare adaptive Funktionen repräsentieren, die von einer großen Zahl von Bedingungen abhängen, die selbst wiederum von nicht-linearen adaptiven Funktionen abhängen. Selbst wenn man die Betrachtung auf diese komplexen Schaltnetzwerke beschränken würde, wäre es nahezu unmöglich zu sagen, wer hier ‚denkt‘. Mathematisch gibt es hier keinen ‚Fixpunkt‘; alles ist hoch parallel, verteilt, nicht-linear und adaptiv.
  2. Bislang erscheint es auch müßig, in diesem Dschungel an vernetzter, adaptiver nichtlinearer Parallelität ein Areal zu identifizieren, das man dem subjektiven Erleben im Bewusstsein zuordnen könnte. Die Erfahrung des Bewusstseins erscheint originär im Subjektiven verankert, als dieses Phänomen nicht rückführbar.
  3. Wohl scheint es möglich zu sein, einzelnen Aspekten des Bewusstseins, einzelnen Phänomenen und ihrer Dynamik ansatzweise Aktivitätsmuster im messbaren Gehirn zuzuordnen. Von einer wirklichen eindeutigen Abbildung der Erfahrung des Bewusstseins auf neuronale Gegebenheiten sind wir aber noch weit entfernt. Dies liegt u.a. an dem Messproblem: das Bewusstsein als Korrelat eines subjektive Empfindens lässt sich nicht direkt messen.

WAS IST DENKEN?

WAS IST DIE FUNKTION DES BEWUSSTSEINS?

  1. Während es im Gespräch erste Einkreisungen dessen gab, was mit philosophischem Fühlen gemeint sein könnte, blieb der Begriff des Denkens und daraus resultierend die Interaktion zwischen Fühlen und Denken schwierig.
  2. Eine erste Arbeitshypothese ging in die Richtung, dass das Bewusstsein eine späte Errungenschaft der Evolution ist.
  3. Innerhalb eines hochkomplexen Systems (beim homo sapiens (sapiens) ca. 120 Milchstraßen-Galaxien an Zellen, die jeweils hochkomplex miteinander interagieren, zusätzlich mit einer Dynamik des Wachsens und Sterbens und Lernens) führte die Entstehung eines Bewusstseins als zusätzlicher Steuerungsebene auf einem hohen Abstraktionsniveau dazu, dass die ungeheuer komplexen Prozesse im Körper auf ‚handliche‘ Weise dem Bewusstsein übermittelt werden mussten. Dies geschieht über vielfältige Ereignisse des Fühlens (Hunger, Durst, Müdigkeit, Sexualität, Angst,…), die dem Bewusstsein signalisieren, dass bestimmte Systemzustände Anforderungen haben.
  4. Ereignisse des Fühlens, vom Körper verursacht, sind als Ereignisse zwar unterscheidbar und haben eine zeitliche Erstreckung mit unterschiedlicher Intensität, sie besitzen aber von sich aus keine Umsetzungsanweisung für ein Verhalten.
  5. Die Zuordnung von Fühlens-Ereignisse des Körpers zu möglichen Gegebenheiten der Außenwelt (z.B. Nahrungsmittel) zusammen mit möglichen Verhaltensweisen (Nahrungsmittel besorgen, zubereiten, essen, …) muss explizit gelernt werden. Dies hängt ab von Umständen und anderen Personen. So kann ein und dasselbe Fühlens-Ereignis in einem Menschen je nach Zeit, Ort, Kultur, Umständen ganz unterschiedlich benannt und ‚versorgt‘ werden.
  6. Verschiedene Theorien zur Entstehung des Denkens (wie z.B. von Wilfred Ruprecht Bion (1897 1979) können im Lichte der Arbeitshypothese in der Philosophiewerkstatt neu interpretiert werden. Alle auftretenden Strukturen im Bewusstsein gehen zurück auf Lernprozesse. Der Ankerpunkt ist das Fühlen des Körpers, das mit der Realität verbindet, und die Strukturierung der Einbettung des Fühlens in den Rest der Wirklichkeit leistet das strukturierende Denken.
  7. Hier muss weiter gedacht werden.

COMPUTER UND FÜHLEN UND …

  1. Gegen Ende wurde auch nochmals das Thema Computer mit Denken und Fühlen aufgegriffen. Können Computer Fühlen und Denken wie Menschen? Die körperlichen Ausdrucksweise von Gefühlen können Roboter heute schon ziemlich gut imitieren. Haben Sie deshalb auch Gefühle? Brauchen sie überhaupt Gefühle, um Menschen helfen zu können?

Einen Überblick über alle Einträge zur Philosophiewerkstatt bisher findet sich HIER.

Eine Übersicht über alle Themenfelder dieses Blogs findet sich HIER.

KREATIVITÄT IST DAS HERZSTÜCK DER BIOLOGISCHEN EVOLUTION

Dieser zusätzliche Hinweis ist notwendig, um zu verstehen, worum es in dem Beitrag mit dem Titel SIND VISIONEN NUTZLOS? geht.

Viele unserer vertrauten Begriffe müssen wir neu lernen, wenn wir hinschauen, wie das Leben wirklich ist, nicht, wie wir es uns im Alltag gerne zurecht basteln.

Der Mensch in Gestalt des homo sapiens (sapiens) ist grandios, aber doch nur ein Teil eines noch größeren Ereignisses….

 

SIND VISIONEN NUTZLOS?

Letzte Aktualisierung: 23.Okt.2016 (Formeln wegen Lesbarkeit entfernt)

VERTRAUTER ALLTAG

  1. Jeder kennt das aus seinem Alltag: Menschen tun ihre Pflicht, man tut, was man kennt; Gewohnheiten, Vorschriften, Verordnungen, Gesetze weisen einem den Weg.
  2. Dies hat etwas Vertrautes, es stützt Erwartungen, macht das Geschehen ansatzweise überschaubar, gar berechenbar, man kann ansatzweise planen.
  3. Dann gibt es noch die zeitlichen Rhythmen Woche, Monat Jahreszeiten, Jahr; Fixpunkte des Erinnerns, Planens und Erwartens.
  4. Diese Rhythmen, die erkennbaren Regelhaftigkeiten, spannen einen Raum auf für das mögliche Geschehen, ermöglichen die Koordination mit anderen: Treffen, Urlaubsreisen, Feiern, Freizeiten, Umsatzplanung, Produktionszyklen, Finanzierungsmaßnahmen, Marketingaktionen, Einstellungspläne, Kooperationen mit Zulieferern, Wahlkampfpläne, Gesetzesprojekte im Parlament, ….

… WENN ER WANKT

  1. Ohne diesen erkennbaren und erwartbaren Raum gerät alles ins Schwimmen, entsteht Unsicherheit, werden Pläne unmöglich, das Erreichte fängt an zu Wanken: wird es bleiben? Wie wird es weitergehen?
  2. Die normale Reaktion eines homo sapiens (sapiens) in solch einer Situation sind Unruhe, Sorgen, Ängste, wenn man die Bedrohlichkeit der Situation zu realisieren beginnt. Dies kann in Existenzängste übergehen, Suche nach Rettung, nach Alternativen, nach Ursachen, Verursachern. Was hat dazu geführt? Warum ist das so? Was kann ich tun?

BLICK ZURÜCK

  1. Phasen der Stabilität, des Wohlstands gab und gibt es in der Geschichte des homo sapiens (sapiens) immer wieder. Manchmal Jahrzehnte, mal mehrere Generationen, bisweilen mehrere hundert Jahre. Aber noch nie waren solche Phasen ewig.
  2. Diese Phasen relativer Ruhe mit relativem Wohlstand waren nie monoton, gleichförmig: von sehr reich und mächtig bis sehr arm und rechtlos reichte die Bandbreite immer. Die Armen lebten von der Hoffnung auf den möglichen größeren Reichtum, und die Reichen und Mächtigen lebten von ….?
  3. Länger andauernder Wohlstand setzt immer lang andauernde stabile Verhältnisse voraus in denen all jene Tätigkeiten stattfinden können, die Nahrung ermöglichen, Wohnräume jeglicher Art, Handwerk, Verkehr, Technologien, Regeln des Zusammenlebens, Sicherung von Ordnung durch effektive Bestrafung der Abweichler, Sicherung von Ordnung durch effektive Abwehr nach außen, Weitergabe und Entwicklung von Wissen, geeignete Ausbildung von Menschen zum Erhalt der bestehenden Abläufe, notwendige Rohstoffe, geeignete Ökosysteme …..
  4. Je komplexer eine Gesellschaft des homo sapiens (sapiens) war, umso anfälliger wurde sie: Naturkatastrophen gab und gibt es immer wieder: Zu viel Regen, zu wenig Regen, schwere Unwetter mit Blitzen, Feuerereignissen, Vulkanausbrüche, Erdbeben, Tsunamis, Meteoriteneinschläge, Asteroiden; dazu mikrobakterielle Veränderungen, die sich in neuen Krankheiten zeigten, auf die das menschliche Immunsystem nicht sofort eine Antwort fand, …
  5. Auch gab es Ressourcenknappheiten: Erde erschöpft sich, Trinkwasser geht zur Neige, zu wenig Nahrung für die lebenden Menschen (und Tiere), Energiequellen versagen, Arten sterben aus, Verschmutzung der Umwelt macht vieles unbrauchbar, …
  6. Manche Veränderungen sind punktuell in Raum und Zeit, andere dauern an, erstrecken sich über größere Regionen, oder sind periodisch (Überschwemmungen, Brände,…)…

REAKTIONEN AUF VERÄNDERUNGEN

  1. Auf viele lebensfeindliche Ereignisse kann der homo sapiens (sapiens) reagieren, wenn er davon Kenntnis hat und hinreichend viele Menschen sich einig sind, wie sie es verhindern können und sie es auch gemeinsam wollen. Andere sind schwer voraussagbar, sind zu selten und schwer erkennbar; wieder andere setzen sehr viel Wissen, hinreichende Technologien, und hinreichende kulturelle und politische Strukturen voraus, um darauf langfristig und nachhaltig reagieren zu können (Klima, Ressourcenzerstörung, Verhältnis von Ernährung und Bevölkerung, …).

AUFBÄUMEN GEGEN BEDROHUNG(EN)

  1. Auffällig ist, dass aber zu allen Zeiten die Menschen bei Bedrohung, Unglücken, Katastrophen nach Ursachen suchen, nach Verursachern oder nach eigener Schuld. Der Wille zum Leben gibt sich nicht mit dem Ereignis zufrieden. Der Wille zum Überleben sucht nach Anhaltspunkten, wie man Bedrohungen abwehren, sie überwinden kann. Aber welche Chancen hat ein einzelner homo sapiens (sapiens), eine ganze Population von Menschen?
  2. Eines ist ganz klar, was immer ein homo sapiens (sapiens) tun will, er hängt von dem Wissen ab, was sich gerade in seinem Kopf befindet, von den Handlungsmöglichkeiten der aktuellen Situation, und von der Fähigkeit, sich mit anderen zu koordinieren.
  3. Und in ungewöhnlichen Situationen zeigt sich eines sehr deutlich: auch wenn man aktuell nichts wirklich tun kann, wenn man nicht wirklich weiß, was man tun kann, dann tendiert der homo sapiens (sapiens) dazu, irgend etwas zu tun, nur um das Gefühl zu haben, er tue ja etwas. Das Gefühl des Nichtwissens, der Alternativlosigkeit, der darin aufkeimenden Ohnmacht ist so unerträglich, dass der homo sapiens (sapiens) dann irgend etwas tut, nur um nicht Nichts zu tun.
  4. Ist das dumm? Ist das primitiv? Ist das lächerlich? Ist das gefährlich?
  5. Halten wir einen Moment inne und schauen zurück (weil wir heute vieles wissen können, was hunderte, tausende Generationen vor uns nicht wissen konnten).

VOR SEHR LANGER ZEIT (KEIN MÄRCHEN)

  1. In der Zeit vor dem homo sapiens (sapiens) – viele Milliarden Jahre – als es nur einzelne Zellen oder einfache Zellverbände gab, beherrschte das biologische Leben zwar die Kunst, sich selbst zu vermehren (bis heute eines der größten Wunder im Universum und noch immer nicht vollständig aufgehellt!), aber das biologische Leben in Gestalt der Zellen verfügte über keinerlei Möglichkeit, in der aktuellen Situation der Selbstreproduktion im großen Maßstab über Alternativen, Varianten, mögliche Szenarien nachzudenken. Es besaß keinerlei Wissen über die weitere Zukunft. Die Zukunft war eine unfassbar große Wand des Nichtwissens, undurchdringlich. Das einzige, was verfügbar war, das waren genetisch kodierte Informationen über solche Baupläne, die in der zurückliegenden Geschichte überlebt hatten. Überlebt in einer Welt, der Erde, die selbst in beständiger Veränderung war, tiefgreifenden Veränderungen. Alles, was bisher erfolgreich war garantierte in keiner Weise, dass es morgen auch noch erfolgreich sein würde. Das Leben stand vor einer eigentlich unlösbaren Aufgabe: es musste Formen annehmen, die in einer Welt überleben können, die als solche noch nicht bekannt waren.
  2. Zu einem bestimmten Zeitpunkt t definierten die vielen genetisch kodierten möglichen Baupläne G in den Zellen mögliche Lebensformen L, die sich in der Vergangenheit in einer bestimmten Umwelt U bewährt hatten. Diese Umwelt ist aber nicht statisch sondern dynamisch, d.h. von einem Zeitpunkt t zu einem anderen späteren Zeitpunkt verändert sie sich nach bestimmten Regeln V; diese Veränderungsregeln sind dem Leben zum Zeitpunkt t nur partiell bekannt, und nur indirekt, kodiert im genetischen Kode. Heute wissen wir (wir glauben es zu wissen), dass diese Veränderungsregel V ein Bündel von Regeln ist, die unterschiedlich stabil sind, weil eine Veränderung der Umwelt U auch zurück wirkt auf manche Aspekte der Veränderungsregel V. Wir haben also eine Veränderungsregel V, die sich im Laufe der Zeit partiell selbst ändert …
  3. Im Nachhinein betrachtet hatte das biologische Leben extrem schlechte Karten. Keine Bank dieser Welt hätte einem solchen Kandidaten einen Kredit gewährt; keine Versicherung dieser Welt würde das Risiko des Lebens zu den frühen Zeiten versichert haben; kein Investor dieser Welt hätte je in das Projekt des Lebens investiert; keine bekannte politische Bewegung hätte auf dieses Leben gesetzt, keine Religion dieser Welt hat jemals über dieses biologisch Leben geredet …. Ein Grund dafür ist sicher, dass die menschliche Akteure von der Art homo sapiens (sapiens) nur eine vergleichsweise verschwindend geringe Lebenserwartung haben verglichen mit den Zeiträumen, in denen sich das Projekt des Lebens auf der Erde (und damit auch im Universum) in seinem sichtbaren Teil in vielen Milliarden Jahren entwickelt hat.
  4. Rein Mathematisch (soweit wir heute Mathematik entwickelt haben) hatte das biologische Leben vor dem homo sapiens (sapiens) keine wirkliche Chance, und dennoch hat es überlebt, 3.8 Mrd Jahre im sichtbaren Teil. Wie? Warum?

DAS NOTORISCH UNBERECHENBARE AM LEBEN

  1. Das biologische Leben hat bis heute viele unaufgeklärte Geheimnisse. Neben dem Selbstreproduktionsmechanismus, der wertvolle Informationen aus der Vergangenheit enthält, ist der Prozess der Weitergabe von Informationen und deren Umsetzung in eine neue, lebensfähige Struktur, nicht deterministisch, nicht 1-zu-1!
  2. Der Prozess ist aus sich heraus vielfältig, lässt Variationen zu, Abweichungen, schafft neue Kombinationen, so dass die Menge der genetisch kodierten Informationen G in den Zellen eben nicht eine eindeutige Menge L von möglichen Lebensformen kodiert, sondern eine partiell undefinierte Menge L*, die sich aus den Variationen innerhalb des Prozesses herleiten. Diese Menge L* weicht von der Erfahrung der Vergangenheit mehr oder weniger stark ab. Sofern die neue Umwelt U‘, die auf eine aktuelle Umwelt U aufgrund der jeweiligen Weltveränderungsregel V folgt, mit der ursprünglichen Umgebung U hinreichend ähnlich ist, hatte jener Anteil von Lebensformen in den neu realisierten Lebensformen L*, die noch den alten Lebensformen L entsprachen, gute Chancen, zu überleben. Diejenigen Lebensformen in L*, die zu neu waren, möglicherweise nicht. Sofern aber die neue Umwelt U‘ sich von der vorausgehenden Umwelt U in machen Punkten unterscheidet, haben dagegen die Lebensformen, die den vorausgehenden Lebensformen L ähneln, weniger Aussichten auf das Überleben; die Lebensformen aus der neuen Menge von Lebensformen L*, die sich von den alten Lebensformen L hingegen unterscheiden, möglicherweise schon. Vor dem Ereignis von L* in U‘ konnte der Mechanismus der Selbstreproduktion dies nicht wissen; volles Risiko war notwendig! Man kann dies die Urform von Kreativität nennen, von Genietum, von Verrücktheit ….Es ist tief verwurzelt im Kern des geheimnisvollen Lebens…
  3. Normale wahrscheinlichkeitstheoretische Modelle sind nicht in der Lage, diese Prozesse angemessen zu beschreiben. In jeder Phase des Lebens (und es gab ja Millionen von Phasen) sind sie zum Scheitern verurteilt.
  4. Fakt ist nur, dass das Leben mit dieser Methode aus Erinnerung (= genetisch kodierte Informationen aus der Vergangenheit) + voll riskante Variationen (Würfeln gegen die unbekannte Zukunft) es geschafft hat, eine wahrscheinlichkeitstheoretische Unmöglichkeit in ein (bisher) Erfolgsmodell zu verwandeln, das eine Komplexität erreicht hat (z.B. allein der Körper eines einzelnen homo sapiens (sapiens) besitzt etwa 120 Milchstraßen-Galaxien an Zellen, die hochkomplex miteinander interagieren), die unser aktuelles Verstehen noch weitgehend überfordert.

LEHREN AUS DER VERGANGENHEIT?

  1. Was das biologische Leben uns, die wir ein Produkt dieses Lebens sind – und auch nur ein Teil davon – damit sagen kann/ will, ist ziemlich klar. Ein aktuelles Wissen von der Welt und dem Leben auf der Erde (und im Universum) ist niemals vollständig. Die objektiven Grenzen eines aktuellen Wissens zu überwinden kann nur gelingen, wenn man sich nicht in den objektiven Grenzen einmauert, sondern diese Grenzen durch ein ganzes Feuerwerk an Experimenten jenseits des Bekannten zu durchbrechen, zu überwinden sucht. Dies kann man Kreativität nennen, Visionen, Träume, Verrücktheit, Genietum … egal wie wir es nennen, ohne ein hinreichendes Maß an Verrücktheit, Kreativität, Mut zum Risiko hat das Leben keine Zukunft. In einer dynamischen Welt kann das Wissen um die Vergangenheit nicht der alleinige Maßstab für die mögliche Zukunft sein. Hätte das biologische Leben in der Vergangenheit nur das wiederholt, was bislang Erfolg hatte, es wäre schon lange gescheitert. Die Wahrheit des Lebens liegt nicht nur in ihm selbst, sondern in ihm und in Wechselwirkung mit einer dynamischen Umgebung, also mindestens mit dem bekannten Universum.
  2. Jetzt werden manche sagen, dass wir ja heute so viel mehr wissen. Wir können die Entstehung des bekannten Universums sehr weitgehend nachvollziehen und simulieren; wir haben technisches Knowhow, komplexe Maschinen, Gebäude, ganze Städte zu bauen; wir haben neue Informationstechnologien, um mehr Daten zu verwalten, sie zu finden, sie neu zu kombinieren ….
  3. Das ist richtig. Das Leben hat in Gestalt des homo sapiens (sapiens) Handlungsräume ermöglicht, die noch vor 100-200 Jahren unvorstellbar waren.
  4. Wahr ist aber auch, dass wir zunehmend die inhärenten Grenzen der bisherigen Methoden erkennen: der homo sapiens (sapiens) ist dabei, die Lebensgrundlage Erde weitgehend und nachhaltig zu stören oder gar zu zerstören. Die neue Vielfalt an Wissen, Lebensformen, Handlungsmöglichkeiten überfordert das aktuelle Format des Erlebens und Verstehens eines einzelnen homo sapiens (sapiens). Statt Frieden weltweit und Wohlstand für alle produziert der homo sapiens (sapiens) krasse Unterschiede zwischen Reich und Arm, zwischen Ernährung und Wasser im Überfluss in einer Region und Hunger und Wassermangel in einer anderen; statt globaler Friedensgesellschaft mit gemeinsamer Verantwortung (Vision der United Nations) beobachten wir wieder eine Tendenz zum Nationalismus, zur Radikalisierung, zu Fanatismus, zu Vereinfachungen.
  5. Die begrenzte Lebenszeit des homo sapiens (sapiens) und sein biologisch begrenztes Verstehen werden zum Stolperstein, das größere Ganze, den Zusammenhang zwischen allem, die großen Perspektiven wahrzunehmen und danach zu handeln. Die sogenannten nationalen Führer erweisen sich als krasse Zwerge gemessen an den Anforderungen der je größeren Zukunft.
  6. Mathematisch ist die Prognose für den homo sapiens (sapiens) als Teil des Lebens wie schon immer schlecht.
  7. Die Botschaft der Vergangenheit sagt aber, im Phänomen des Lebens steckt mehr als das, was die endlichen Gehirne eines homo sapiens (sapiens) bislang denken.
  8. Die Zukunft wird erzählen, was stimmt. Ganz unbeteiligt sind wir nicht. Visionen sind nicht unbedingt schlecht. Wir alle sind ein Produkt der Visionen von vielen Milliarden Jahren von aberwitzig vielen Experimenten.

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DENKEN IM FÜHLEN IM KÖRPER. BEGINN EINER REISE INS INNERE DES MENSCHEN. Einladung Philosophiewerkstatt 23.Okt.2016

EINLADUNG ZUR NÄCHSTEN

philosophieWerkstatt v3.0

am

Sonntag, 23.Okt.2016, 15:00 – 18:00h

ORT:

INM (Institut für Neue Medien), Frankfurt, Schmickstrasse 18

Parken direkt hinter dem Haus oder im Umfeld gut möglich. Essen und Trinken: es gibt keine Bewirtung; jeder bringt mit, was er braucht 🙂

Anliegen der Philosophiewerkstatt ist es, ein philosophisches Gespräch zu ermöglichen, in dem die Fragen der TeilnehmerInnen versuchsweise zu Begriffsnetzen verknüpft werden, die in Beziehung gesetzt werden zum allgemeinen Denkraum der Philosophie, der Wissenschaften, der Kunst und Religion. Im Hintergrund stehen die Reflexionen aus dem Blog cognitiveagent.org, das Ringen um das neue Menschen- und Weltbild. (Siehe auch den Text der Vorankündigung vom 9.Okt.2016 sowie der Ergänzung vom 12.Oktober 2016)

part of your road into the future

ALS PROGRAMMABLAUF FÜR DEN 23.10.16 WIRD VORGESCHLAGEN:

Bis 15:00h ANKOMMEN

(Achtung: Nach 15:00h kein Einlass mehr; bitte rechtzeitig da sein!)

15:00 – 15:10h MIT DEM ORT VERTRAUT WERDEN

15:10 – 15:25h IMPULSREFERAT: Schopenhauer zu Denken im Fühlen im Körper

15:25 – 15:45h ZEIT ZUM INDIVIDUELLEN FÜHLEN (… andere nennen es Meditation)

15:45 – 15:55h ASSOZIATIONEN INDIVIDUELL NOTIEREN (… Ein Blatt mit Schreibgerät wäre hilfreich)

15:55 – 16:15h KOMMUNIKATION EIGENER BEOBACHTUNGEN IN DER RUNDE (… sofern man etwas sagen möchte)

16:15 – 16:25h BEWEGUNG, TEE TRINKEN, REDEN (… jeder mit jedem, wer will)

16:25 – 17:10h GEMEINSAME REFLEXION, ZUGLEICH  ERSTELLUNG EINES GEDANKENBILDES

17:10 – 17:20h BEWEGUNG, TEE TRINKEN, REDEN (… jeder mit jedem, wer will)

17:20 – 17:40h NACHREFLEXION DES GEDANKENBILDES

17:20 – 18:00h AUSBLICK (Vorschläge, welche Ideen weiter verfolgt werden sollten)

Ab 18:00h VERABSCHIEDUNG VOM ORT

Stunden, Tage danach: ABSTAND NEHMEN, NACHSINNEN

Irgendwann: BERICHT(e) ZUM TREFFEN, EINZELN, IM BLOG

Irgendwann: KOMMENTARE ZU(M) BERICHT(en), EINZELN, IM BLOG

Koan: Das Denken im Fühlen verankern heisst nicht, mit dem Denken aufzuhören … Der Blick ins Innere führt direkt zum Äußeren …

 

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DENKEN GRÜNDET IM FÜHLEN – EIN MANIFEST

1. Dies ist eigentlich ein Nachtrag zum Eintrag von gestern. Dessen Überschrift ist missverständlich, da man annehmen muss, es gehe primär um die Einladung zur nächsten Philosophiewerkstatt. Ja, der Text von gestern ist eine Einladung zu Philosophiewerkstatt, aber darüber hinaus, vor allem, ist der Text ein

MANIFEST

2. in dem der Zusammenhang von Denken und Fühlen aus philosophischer Sicht grundlegend bestimmt wird.
3. Im alltäglichen Denken ist von jeher die Überzeugung fest verankert, dass letztlich der Bauch der bessere Entscheider sei als der Verstand; oder in den verschiedenen Religionen werden spirituelle Erfahrungen oder etwas, das Glaube genannt wird, über den Verstand gestellt. Menschen, die ähnlich denken, werden vielleicht – falls sie überhaupt solche Texte wie hier im Blog lesen – bei der These, dass der Verstand im Gefühl verankert sei, kurz nicken und zur Tagesordnung übergehen, in der Meinung, dass sie das ja immer schon wussten; also nach dem Motto „Nichts Neues unter der Sonne“.
4. Ein solcher Schluss wäre allerdings falsch. Die Tatsache, dass das Denken im Fühlen gründet, heißt nicht, dass das Fühlen das Denken ersetzt. Keinesfalls. Das Denken ist zwar evolutionsgeschichtlich sehr viel später als das Fühlen, das eine Begleiterscheinung des Körpers ist, und das Denken kann das Fühlen nicht ersetzen, aber es eröffnet Zustandsweisen, die radikal und fundamental über das Fühlen hinaus gehen.
5. Die Kombination von beiden, vom Fühlen UND Denken, ist spannend und evolutionär ein Quantenspruch. Umso trauriger, wenn nicht gar tragisch, ist es, wenn entweder Menschen es nicht schaffen, ihr Fühlen zu übersteigen und mit ihrem Denken zu versöhnen, oder umgekehrt, Menschen sich in ihrem Denken einsperren und alle Bezüge zum Fühlen zu verdrängen suchen. Beide Haltungen sind

ENTFREMDUNGEN VON SICH SELBST

6. Wer sich in seinem Fühlen einzurichten sucht wie in einem Mutterleib, der so schön kuschelig und überschaubar ist und das Denken als Unruhe- und Klärungsfaktor still legt, der versperrt sich vor dem Dauergeschehen Welt, dem übergreifenden Prozess, aus dem wir kommen, in dem wir mit reisen, auf den wir einwirken können (und sollten?). Das Denken, dass dennoch unausweichlich stattfindet, entwirft Bilder von sich selbst und der Welt, die weitgehend falsch sind. Denken wird darin missbraucht zur Abschottung, zur Begründung der Abschottung, als argumentative Hülle der Abwehr all jener Gedanken, die die kuschelige Einfachheit und Idylle stören könnten. Alles ist erlaubt sofern es nur den Status Quo wahrt.
7. Diejenigen die durch ihr Leben, durch Training, verschiedenen Schulungen, selber Denken, in die Zustände eines aktiven Denkens aufgebrochen sind, können in das andere Extrem abrutschen. Die denkerischen Weiten, die Leichtigkeiten, das Universelle, die Geschwindigkeit, die Größen, das Manipulierbare, die möglichen großen Außenwirkungen … dies und vieles mehr können auch wie ein Rausch wirken. Der konkrete Körper, seine Schwerfälligkeit, sein vielen Bedürfnisse, nicht nur schön sondern auch belastend, störend, verstörend, widerwillig, nicht vollständig manipulierbar, in seiner Vielfalt und Undurchschaubarkeit auch verwirrend, beängstigend, unheimlich, … von solch einem Körper möchte man sich eher abkoppeln. Man möchte nichts von ihm wissen. Man straft ihn quasi ab durch wenig Schlaf, unglückliche Nahrungsaufnahme, falsche Haltungen und Bewegungen. Der eigene Körper wird zum Feind.
8. Verfallen sein an den Körper und das Fühlen auf der einen Seite, Flucht vor dem Körper, Abstrafung, Kasteien auf der anderen Seite – zwei Extreme die vorkommen. Dazwischen kann es alles geben.

METHODISCHE ENTFREMDUNG

9. Dass es überhaupt zum Ausdruck MANIFEST gekommen ist bei der Beschreibung des Denkens als fundiert im Fühlen liegt darin, dass die offiziellen Denkbetätigungen im Bereich Philosophie, noch mehr aber im Bereich der modernen empirischen Wissenschaften, zu einer methodisch bedingten Verdrängung des Fühlens geführt hat bis hin zum vollständigen Ausschluss. Mag der methodisch bedingte Ausschluss unter entsprechenden Bedingungen begrenzt notwendig und von Nutzen sein, so hat diese Vorgehensweise doch faktisch zum vollständigen Ausschluss des Fühlens vom Denken geführt (zumindest offiziell; wenn man sieht wie viele Emotionen inoffiziell dennoch überall im Spiel sind, und leider sehr viele negative, aggressive, zerstörerische Emotionen, dann wird der methodische Ausschluss fast zur Farce; offiziell kein Fühlen, inoffiziell sind aber ganze Abteilungen, ganze Institutionen von Gefühlen nur so durchtränkt, dass das Fühlen den Menschen geradezu aus allen Poren heraustropft).
10. Die Menschen haben einige tausend Jahre gebraucht, bis sie zur methodischen Trennung von Denken und Fühlen fähig waren; eine große kulturelle Leistung. Sie haben es dann aber (zumindest nicht bis heute) nicht geschafft, gleichzeitig auch die Abhängigkeit des Denkens vom Fühlen, seine Fundierung im Denken soweit zu klären und im alltäglichen Handeln zu verankern, dass sie damit selbstverständlich umgehen können. Fühlen (Emotionen, Bedürfnisse, Erregungen, Stimmungen, …) gibt es, ja, aber was sie genau sind, warum, wieso, weshalb, das lässt man irgendwie im Dunkeln. Hier haben Esoteriker, Scharlatane, Geschäftemacher, auch Religionen, ein leichtes Spiel.

WAS NUN?

11. Allerdings, es ist eine Sache, die fundamentale Beziehung zwischen Denken und Fühlen zu konstatieren, zu proklamieren, die Feststellung als Manifest hoch zu stilisieren, eine ganz andere ist es, dieser Einsicht genügend Inhalte und Verhaltensweisen zu geben. Wie soll man das genau verstehen? Wie sollte man sich am besten verhalten?
12. Genau dazu sollen einmal die Veranstaltungen der Philosophiewerkstatt Version 3.0 helfen, ergänzend dieser Blog, und, vielleicht, sofern andere mitwirken, noch weitere Veranstaltungen oder Kommunikationsprozesse.

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PHILOSOPHIEWERKSTATT JETZT ALS PHILOSOPHISCHES LABOR FÜR PHILOSOPHISCHE SELBSTVERSUCHE – Version 3.0. Eine Vorausschau

KONTEXT

Leser dieses Blogs sind vertraut mit dem philosophischen Experiment der Philosophiewerkstatt (Version 1.0), wie sie im Herbst 2013 im Cafe-Bistro Confetti in Schöneck startete.  Dies waren erste Gehversuche. Es gab noch kein festes Format.

Ab Herbst 2014 gab es die Philosophiewerkstatt Version 2.0 in Kooperation mit der DENKBAR in Frankfurt. In dieser Zeit entwickelte sich eine kreative Form des gemeinsamen Gedankenaustausches, die sich stabilisierte.

Ab Herbst 2016 wird es die Philosophiewerkstatt in einer Neuauflage geben, in Version 3.0, Ortsveränderung inbegriffen: das Institut für Neue Medien in Frankfurt. Dies ist kein Abschied von der DENKBAR, die zwei Jahre lang eine belebende Umgebung für die sonntäglichen Treffen war, sondern es ist eine Kooperation von DENKBAR und INM in einer veränderten Umgebung, mit einem veränderten Konzept.

Worin besteht das Neue?

ORTLOS ZWISCHEN FÜHLEN UND DENKEN

Wer sich ein wenig in der Geschichte der Philosophie auskennt, der weiß, dass das Hauptanliegen der Philosophie eher die Klärung der Welt mit Hilfe des Denkens war. In der Verfertigung des Gedankens, im Reden, Schreiben, im Dialog da entsteht Wirklichkeit neu, als Gedachte, und im Denken als Geklärte, Bereinigte, Strukturierte, eingehüllt in Worte, in Symbole.

Die neuzeitliche Wissenschaft hat die Abkopplung des Fühlens vom Denken weiter beeinflusst; Wissenschaft wurde hier im Raum von Messwerten und mathematischen Formeln verortet; das Fühlen hat hier keine offizielle Rolle mehr und sogar das Subjekt der wissenschaftlichen Tätigkeit, der Forscher selbst, spielt keine Rolle mehr. Er wurde systematisch ausgeblendet.

Diese Ausklammerung von Fühlen und Subjekt aus dem offiziellen Denken führt mittlerweile zu sehr vielen Problemen, fundamentalen Problemen.

Im Bereich der Wissenschaft ist es der Verlust des Menschen. In vielen Bereichen – wie z.B. der Physik – kommt der Mensch als Mensch per se gar nicht mehr vor; in anderen – wie Biologie, Medizin, Gehirnwissenschaften, usw. – kommt der Mensch als Untersuchungsobjekt zwar vor, aber er zerfällt hier in unzählige Details, wird zu einem Ort bloßer chemischer Prozesse. Mögliche Zusammenhänge gehen weitgehend verloren. Die Frage, wer der Mensch denn überhaupt ist, hat in den Wissenschaften keine wirkliche Stelle mehr; sie ist unter die Räder gekommen.

Für einen einzelnen Menschen, der sich ernst nehmen will, bedeutet dies eine zunehmende Ortlosigkeit: eingebettet zwischen einem Fühlen, das diskreditiert ist, und einem Denken, das mit dem Menschen nichts anfangen kann. Hat der Mensch überhaupt noch eine Zukunft?

DAS DENKEN WOHNT IM FÜHLEN

Aus philosophischer Sicht ist klar, dass die begrifflichen Netze, mit denen empirische Wissenschaftler arbeiten, nur scheinbar vom Subjekt losgelöst sind. Denn die Theorie selbst wie auch die Messwerte brauchen die Rückkopplung an das Gehirn, an eine bestimmte Form von Bewusstsein. Ohne Bewusstsein und Gehirn gibt es weder Messwerte noch Begriffsnetzwerke. Es ist das Bewusstsein im Gehirn und im Körper als Teil eines komplexen biologischen Netzwerkes, in beständiger Interaktion mit der umgebenden Materie, welches der Ort von Fühlen und Denken ist. Es ist für uns Menschen der EINZIGE Ort, über den wir Kontakt zu dem haben, was wir Wirklichkeit nennen.

Wirklichkeit ist das erste Vorfindliche, ein Ur-begriff, an dem alle anderen Begriffe partizipieren. Was immer irgendeine wissenschaftliche Disziplin zu beschreiben versucht, sie setzt einen Ur-begriff von Wirklichkeit voraus, der durch die Einbettung in den Körper gegeben ist. Ohne den Körper ist jede Wissenschaft (und jedes Denken) nichts, echtes Nichts, das ganz und gar Undenkbare. Andererseits definiert sich eine wissenschaftliche Disziplin methodisch über eine Einschränkung und Abgrenzung. Die empirische Methode erzwingt eine Zerlegung des Phänomenraums in jene Teilräume, die intersubjektiv empirisch sind, und innerhalb dieser grundsätzlichen Einschränkung finden in der Regel weitere Abgrenzungen statt (Physik, Chemie, Biologie, (empirische) Soziologie, …).

Das Besondere des Menschen ist gerade diese Art seiner Welterfahrung, ermöglicht durch die Besonderheit seines Körpers: Makrostrukturen von Mikrostrukturen, die bis in den subatomaren Bereich – und damit unbegrenzt – hinein reichen und wechselwirken, beständig [Vorstellungshilfe: allein das menschliche Gehirn hat etwa 290 Mrd Zellen (etwa 30% Neuronen, 58% Astrozyten und etwa 12% Gliazellen). Das entspricht der Anzahl von Sternen in einer ganzen Galaxie. Der ganze menschliche Körper soll ca. 36 Billionen (10^12) Zellen haben (ohne die vielen Mrd zusätzliche Bakterien in und auf ihm), das wären dann in Entsprechung etwa 120 Galaxien. Bedenkt man noch die Komplexität der Wechselwirkung zwischen den Zellen des Körpers, dann übersteigt die Komplexität eines einzelnen menschlichen Körpers jene von 120 Galaxien um ein Mehrfaches, nur ein Körper!]. Diese Welterfahrung setzte einen Entwicklungsprozess von ca. 13.8 Mrd Jahre voraus. Unser Verständnis dieser Vorgänge ist noch ganz am Anfang (und es ist eine offene Frage, ob wir diese Komplexität wohl jemals ‚begreifen‘ können, wenn man bedenkt, dass das menschliche Arbeitsgedächtnis (auch bei Physikern) nicht mehr als ca. 7 +/- 2 Einheiten gleichzeitig verarbeiten kann).

Wenn man also als Philosoph die vorfindliche Wirklichkeit ernst nehmen will, dann darf man die eigene Körpererfahrung nicht von vornherein ausblenden, man muss sie akzeptieren, man muss sie zulassen, sie anschauen, und versuchen, daraus zu lernen, was es zu lernen gibt. Das Fühlen (im weitesten Sinne) ist ein Grundbestandteil philosophischer Weltwahrnehmung. Ob und was ein nachfolgendes Reflektieren mit solch einem Fühlen anfangen kann, das kann man vorab nicht abschätzen. Jedes Denken ist immer speziell, begrenzt, abgrenzend, ausgrenzend; das ist seine Art, seine Stärke wie zugleich seine Schwäche. Denken lebt vom Prozess, von der Wiederholung, vom unermüdlichen immer wieder neu ansetzen und neu sortieren. Denken hat kein absolutes Ende, nicht zuletzt auch deswegen nicht, weil es sich ja selbst zum Gegenstand machen kann; dies ist wichtig und gefährlich zugleich (die moderne Physik bietet das Schauspiel eines Denkens, das sich soweit von der Realität entfernt hat, dass im Einzelfall oft nicht mehr klar ist, ob hier eine wirklichkeitsrelevante Modellbildung vorliegt oder ein Artefakt des Modells, ein Denken des Denkens).

Es fragt sich dann, was hier ‚Fühlen‘ heißt und wie philosophisches Denken mit dem Fühlen umgehen kann?

WELCHES FÜHLEN UND WIE DAMIT UMGEHEN?

Für einen Philosophen kann es nur um das GANZE Fühlen gehen, d.h. alles, was ein Denken vorfinden kann. Und da dieses Fühlen an unseren Körper gebunden ist, geht es darum, was ein Körper in unterschiedlichsten Situationen fühlen kann und wie man solch ein stattfindendes Fühlen dann beschreiben kann, nicht nur punktuell, sondern auch in seiner prozesshaften Erstreckung in dem, was wir Zeit nennen.

In einer Philosophiewerkstatt wird man hier solche Prozesse kaum vorweg nehmen können. Man kann aber versuchen, die Grundeinstellung zu praktizieren, den Einstieg in das Fühlen üben, das dann Denken nachträglich zulässt.

Die Grundform des philosophischen Fühlens ist das bewusste Dasein ohne ein fokussiertes Denken. Es lassen sich zwar tausendfache Variationen denken, wie man dies tut (man denke nur an die Vielzahl von sogenannten Meditationsformen), aber das für eine bestimmte Zeitspanne einfach bewusste Dasein ohne irgend etwas anderes zu tun bzw. tun zu müssen, mit einem Denken in Ruhestellung, das ist die Grundübung. Und weil unser Körper mit seinen 120 Galaxien an Zellen samt seinen unendlich vielen Wechselwirkungen mit sich selbst und seiner Umgebung kein natürlicher Ruhepol ist, sondern ein permanenter Aufschrei an Bewegtheit, braucht es eine gewisse Zeit, bis sich überhaupt Ruhe einstellt und statt den marktschreierischen primären Wahrnehmungen auch solche Ereignisse bemerkbar machen können, die mit weniger Energie daher kommen. Jeder einzelne wird SEIN Fühlen haben, seine speziellen Wahrnehmungen (natürlich auch Gemeinsamkeiten mit anderen, weil unsere Körper strukturell ähnlich sind).

Es kann interessant sein, sich im Anschluss über sein Fühlen auszutauschen; auf jeden Fall kann es helfen, sich im Anschluss Notizen zu machen, sein Denken wieder mehr zulassen, Eindrücke zu sortieren.

FORMAT DER PHILOSOPHISCHEN SELBSTVERSUCHE

Für die Philosophiewerkstatt Version 3.0 ist folgendes Schema angedacht:

Bis 15:00h ANKOMMEN (Über die Einladung gibt es auch eine Fragestellung)

15:00 – 15:15h MIT DEM ORT VERTRAUT WERDEN

15:15 – 15:35h ZEIT ZUM INDIVIDUELLEN FÜHLEN

15:35 – 15:45h ASSOZIATIONEN INDIVIDUELL NOTIEREN

15:45 – 16:05h KOMMUNIKATION VON BEOBACHTUNGEN

16:05 – 16:20h BEWEGUNG, TEE TRINKEN, REDEN

16:20 – 17:05h GEMEINSAME REFLEXION MIT GEDANKENBILD

17:05 – 17:20h BEWEGUNG, TEE TRINKEN, REDEN

17:20 – 17:40h GEWICHTEN DES GEDANKENBILDES

17:20 – 18:00h AUSBLICK

Ab 18:00h VERABSCHIEDUNG VOM ORT

Stunden, Tage danach: ABSTAND NEHMEN, NACHSINNEN

Irgendwann: BERICHT(e) ZUM TREFFEN, EINZELN, IM BLOG

Irgendwann: KOMMENTARE ZU(M) BERICHT(en), EINZELN, IM BLOG

TERMINE

Um sich im Fühlen und Denken zu koordinieren, hier die geplanten Termine (vom INM bestätigt):

23.Okt 16

27.Nov 16

22.Jan 17

26.Febr.17 (Wegen Krankheit ausgefallen)

26.März 17 (Wegen Krankheit ausgefallen)

Einen Überblick über alle Einträge zur Philosophiewewrkstatt nach Titeln findet sich HIER.

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Hinweis: DIGITALE UNSTERBLICHKEIT. Zur Überwindung der biologischen Grenzen des Menschen. Am 1.November 2016

An dieser Stelle ein Veranstaltungshinweis (siehe Bilder unten).

BEZUG ZUM BLOG

Der Bezug zum Blog besteht darin, dass der Autor cagent zusammen mit Tobias Schmitt (acrylnimbus) im Herbst 2015 begonnen hat, die Idee einer philosophischen Musikperformance zu starten (siehe dazu auch die Webseite Philosophy-in-Concert). Da wir beide mit sehr vielen Dingen beschäftigt sind, läuft das Projekt nur langsam an, aber es lebt :-). Am 1.November 2016 gibt es Gelegenheit, einen weiteren Zipfel der Idee zu erleben. Wir hoffen, dass wir ab Frühjahr 2017 diese Idee etwas mehr intensivieren können.

HINTERGRUND

Leser dieses Blogs werden sich am Abend des 1.Novembers ‚zu Hause‘ fühlen; nur ein bisschen anders als sonst…

Philosophy-in-Concert als Gast bei der Evangelischen und Katholischen Akademie Frankfurt A
Philosophy-in-Concert als Gast bei der Evangelischen und Katholischen Akademie Frankfurt A
Philosophy-in-Concert als Gast bei der Evangelischen und Katholischen Akademie Frankfurt B
Philosophy-in-Concert als Gast bei der Evangelischen und Katholischen Akademie Frankfurt B

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MATHEMATIK UND WIRKLICHKEIT – DISKUTIERT AM BEISPIEL DES BUCHES VON TEGMARK: Our Mathematical Universe (2014) – Teil2

Max Tegmark (2014), Our Mathematical Universe. My Quest of the Ultimate Nature of Reality, New York: Alfred A.Knopf

Nachtrag: 3.Okt.13:55h, Bild zum letzten Abschnitt

KONTEXT

1. Diesem Teil ging ein einleitender Teil 1 voraus. In ihm wird ein erster Horizont aufgespannt. Darin u.a. die These, dass das Universum sich nicht nur mathematisch beschreiben lässt, sondern selbst auch ein mathematisches Objekt sei.
2. Für die weitere Diskussion werden die Kapitel 2-8 zunächst übersprungen und die Aufmerksamkeit gilt den Kapiteln 9ff. In diesen werden die erkenntnistheoretischen und physik- methodischen Voraussetzungen besprochen, die Tegmark in der modernen Physik am Werke sieht.

SELBSTBESCHREIBUNG EINES PHYSIKERS

Konzepte aus Kap.9 Tegmark (2014) herausgezogen und neu angeordnet von G.Doeben-Henisch (2016)
Konzepte aus Kap.9 Tegmark (2014) herausgezogen und neu angeordnet von G.Doeben-Henisch (2016)

3. Wir erinnern uns aus Kapitel 1, dass Tegmark selbst ein Mensch ist, ein homo sapiens (sapiens), der für sich die Methoden der Physik in Anspruch nimmt.
4. Von daher macht es Sinn, dass er sich selbst mit seinen Erkenntnis ermöglichenden Fähigkeiten in den Blick nimmt.
5. In diesem Zusammenhang (vgl. Bild 1) macht er darauf aufmerksam, dass wir nach den neuesten Erkenntnissen der Naturwissenschaften (und der Selbsterfahrung, die er in Beispielen in Form von Selbstexperimenten bemüht), davon ausgehen müssen, dass unsere bewusste Wahrnehmung einer Welt in unserem Körper, in unserem Gehirn stattfindet. Diese bewusste Wahrnehmung bildet für uns die primäre Realität, die man als interne Realität bezeichnen kann, wenn man außerhalb dieser inneren Realität eine externe Realität voraussetzt.
6. Nach allem, was wir heute wissen, übersetzen unsere Sinnesorgane Ereignisse der externen Realität (die in einer angenommenen externen Welt stattfinden), in komplexe Signalverarbeitungsprozesse in unserem Gehirn. Ein kleiner Teil dieser vom Gehirn automatisch – und daher nicht-bewusst – verarbeiteten Signale werden uns bewusst, bilden den Stoff unserer bewussten Wahrnehmung. Er nennt diese bewussten Signale auch Qualia. Sie werden automatisch so vom Gehirn aufbereitet, dass wir beständig z.B. ein konsistentes 3D-Model einer Wirklichkeit zur Verfügung haben, mittels dem wir uns im Raum des Bewusstseins orientieren. Wichtiges Detail: verschiedene Menschen können mit ihren Sinnesorganen u.U. unterschiedliche Signale von der gleichen Signalquelle empfangen (z.B. unterschiedliche Farbwahrnehmung). Trotzdem scheint das interne Modell zum Zwecke der Orientierung zu funktionieren.
7. Die wissenschaftlichen Untersuchungen zum Verhältnis zwischen messbaren externen Ereignissen und der Wahrnehmung dieser Ereignisse basierend auf den weitgehend nicht-bewussten sensorischen Prozessen im Körper deuten an, dass der Körper und das Gehirn keine 1-zu-1 Abbildung der externen Ereignisse liefern, sondern diese auf unterschiedliche Weise verändern: (i) hervorstechend ist, dass nur ein Bruchteil der (heute) messbaren externen Ereignisse erfasst und dann verarbeitet wird (z.B. nur ein kleiner Teil aus dem Wellenspektrum wird erfasst). Wir haben also den Sachverhalt der Auslassung (‚omission‘). (ii) Ferner liefert das Gehirn Eigenschaften in der bewussten Wahrnehmung (z.B. 3D-Modell), die in der auslösenden sensorischen Wahrnehmung (2D) nicht gegeben ist. Diesen Sachverhalt bezeichnet Tegmark als Illusion. (iii) Ferner kann das Gehirn eine Vielzahl von unterschiedlichen Halluzinationen erzeugen (z.B. Erinnerungen, Träume, Fantasien, Wahnvorstellungen …), die weder aktuell in der externen Realität vorkommen noch genau so, wie sie als halluziniertes Ereignis im Bewusstsein auftreten.

THEORIEN

Konzepte Nr.2 aus Kap.9 Tegmark (2014) herausgezogen und neu angeordnet von G.Doeben-Henisch (2016)
Konzepte Nr.2 aus Kap.9 Tegmark (2014) herausgezogen und neu angeordnet von G.Doeben-Henisch (2016)

8. Nach diesen vorbereitenden Überlegungen stellt sich die Frage, wo und wie in diesem Bild der Ort für physikalische Theorien ist?
9. Die große Mehrheit der Philosophen hatte in der Vergangenheit an dieser Stelle die interne Realität, das interne Weltmodell, als möglichen Ort weiterer Theoriebildung vermutet und dazu dann jeweils umfangreichste Überlegungen angestellt, wie man sich diese Maschinerie des bewussten Erkennens vorzustellen habe, damit man in diesem Rahmen das Denken einer physikalischen Theorie rekonstruieren könnte.
10. Tegmark klammert dieses Vorgehensweise vom Start weg aus. Bevor überhaupt ein Gedanke in diese Richtung aufscheinen kann erklärt er, dass der höchste Triumph der Physik darin bestehen würde, dass die Physik mit der externen Realität startet, diese mathematisch beschreibt, und zwar so, dass man innerhalb dieser Beschreibung dann die Entstehung und das Funktionieren der internen Realität ableiten (‚derive‘) kann. (vgl. S.237f)
11. Ihm ist schon bewusst, dass es für eine volle physikalische Theorie dieser Art notwendig wäre, eine vollständig detaillierte Beschreibung des Gehirns, speziell auch des Phänomens des Bewusstseins, mit zu liefern. (vgl. S.238) Aber er meint, man kann sich diese Aufgabe ersparen und den ganzen Komplex der subjektiven (und zugehörigen nicht-bewussten) Prozesse ausklammern (‚decouple‘), weil Menschen die Fähigkeit zeigen, sich trotz und mit ihrer individuellen Subjektivität auf eine Weise miteinander zu verständigen, die auf einer Sicht der externen Welt in der internen Welt beruht, die zwischen Menschen geteilt (‚shared‘) werden kann.
12. Diese zwischen Menschen in der Kommunikation gemeinschaftlichen Sicht der externen Welt (auf der Basis der internen Welt) nennt er Konsensus Realität (‚consensus reality‘).(vgl. S.238f)
13. Die Konsensus Realität verortet er zwischen der externen und der internen Realität.
14. Mit dieser begrifflichen Unterscheidung begründet er für sich, warum eine physikalische Theorie möglich ist, ohne dass man eine Theorie des Bewusstseins hat; er räumt aber ein, dass man natürlich für eine endgültige vollständige (physikalische) Theorie auch eine vollständige Theorie des Bewusstseins samt allen zugehörigen Aspekten bräuchte.
15. Während man sich als Leser noch fragt, wie denn die Physik diese nicht ganz leichte Aufgabe angehen will, erklärt Tegmark ohne weitere Begründung, dass diese delikate Aufgabe nicht von der Physik geleistet werden solle, sondern von der Kognitionswissenschaft (‚cognitive science‘). (vgl. S.238f)
16. Obwohl Tegmark selbst viele Beispiele bringt, die illustrieren sollen, dass es aus Sicht der Physik gerade die Wechselwirkung zwischen der externen und internen Realität war, um auf dem Weg zu einer umfassenden physikalischen Theorie voran zu schreiten (vgl. SS.240ff), delegiert er nun diese delikate Aufgabe an die Kognitionswissenschaft. Warum soll die Kognitionswissenschaft diese delikate Aufgabe lösen können und die Physik nicht? Bedeutet dies, dass die Kognitionswissenschaft ein Teil der Physik ist oder hat sie etwas Besonderes über die Physik hinaus? Letzteres würde seinem Anspruch widersprechen, dass die Physik das Ganze erklärt.
17. Tegmark lässt diese Fragen schlicht offen. Er meint nur, die Physik habe hier noch einen sehr langen Weg zu gehen. (vgl. S.242)
18. Er fällt einfach die Entscheidung, den Aspekt der ersten Realität innerhalb der allgemeinen Theoriebildung in seinem Buch auszuklammern und sich auf die Frage der Rolle der Mathematik in physikalischen Theorien zu beschränken, sofern sie sich mit der externen und der Konsensus Realität beschäftigen.(vgl. S.240)

DISKURS
EIN BISSCHEN ENTTÄUSCHT ….

19. Ich muss gestehen, dass ich als Leser an dieser Stelle des Buches irgendwie enttäuscht bin. Nachdem das Buch mit so viel Elan gestartet ist, so viel wunderbares Wissen aufbietet, um diese Fragen zu erhellen, kommt es an einer entscheidenden Stelle zu einer Art gedanklichen Totalverweigerung. Natürlich kann jeder verstehen – und ich besonders –, dass man aus Zeitgründen eine komplexe Fragestellung vorläufig ausklammert, deren Behandlung ‚nach hinten schiebt‘, aber es ist dennoch schade, nicht als Vorwurf, sondern als Erlebnis.
20. Trotz dieser Einschränkung der Perspektive des weiteren Vorgehens bleiben natürlich noch viele interessante Fragen im Raum, insbesondere das Hauptthema der Rolle der Mathematik in einer physikalischen Theorie verbunden mit der These von Tegmark, dass die externe Realität selbst ein mathematisches Objekt sei.
21. Bevor dieser Aspekt im Blog weiter untersucht wird, soll aber noch ein wenig an dieser Umschaltstelle in der Darstellung von Tegmark verweilt werden. Diese ist zu wichtig, als dass man sein Vorgehen einfach unkommentiert lassen sollte.

INNEHALTEN: EXTERN – INTERN

22. Tegmark geht davon aus, dass eine physikalische Theorie die externe und die Konsensus Realität beschreibt, und dies mit Hilfe der Mathematik.
23. Er stellt einleitend fest, dass wir direkt von der externen Realität aber nichts wissen. Unser Gehirn liefert uns ein Weltmodell W0, das uns als Basis des Verstehens und Verhaltens dient, das aber nicht die Welt ist, wie sie vielleicht jenseits dieses Modells W0 existiert. Die Geschichte des menschlichen Erkennens und die Untersuchungen zum modernen Alltagsverstehen belegen, dass die Erkenntnis, dass unser individuelles Welterleben auf Basis von W0 nicht die Welt sein kann, die jenseits des Gehirns existiert, nicht nur erst wenige tausend Jahre alt ist, sondern es in der Regel nur wenigen Menschen gelingt, dies explizit zu denken, selbst heute (die meisten – alle? – Naturwissenschaftler z.B. sind nicht in der Lage, die mögliche Welt jenseits von W0 unter expliziten Berücksichtigung von W0 zu denken!). Tegmark selbst demonstriert diese Unfähigkeit vor den Augen des Lesers.
24. Er beschreibt zwar empirische (und nicht-empirische) Fakten, die die Annahme der Unterscheidung von W0 und etwas jenseits von W0 nahelegen, aber er macht keine Anstalten, darüber nach zu denken, was dies für empirische Theorien über die Welt jenseits von W0 bedeutet.
25. Wie kann es sein, dass unser Denken in W0 verankert ist, aber doch über eine Welt jenseits von W0 redet, als ob es W0 nicht gibt?
26. Die Evolutionsbiologen sagen uns, dass im Laufe der Evolution von biologischen Systemen deren Gehirne in diesen Systemen so optimiert wurden, dass das jeweilige System nicht durch die internen (automatischen) Berechnungsprozesse des Gehirns abgelenkt wird, sondern nur mit jenen Aspekten versorgt wird, die für das Überleben in der umgebenden Welt (jenseits des Gehirns) wichtig sind; nur diese wurden dem System bewusst. Alles andere blieb im Verborgen, war nicht bewusst. Dies heißt, es war (und ist?) ein Überlebensvorteil, eine Identität von internem Weltmodell W0 und der jeweils umgebenden Welt zu ermöglichen. Hunderttausende von Jahren, Millionen von Jahren war dies überlebensförderlich.
27. In diesem Überlebenskampf war es natürlich auch wichtig, dass Menschen in vielen Situationen und Aufgaben kooperieren. Voraussetzung dafür war eine minimale Kommunikation und dafür eine hinreichend strukturell ähnliche Wahrnehmung von umgebender Welt und deren Aufbereitung in einem internen Modell W0.
28. Kommunikation in einer geteilten Handlungswelt benötigt Signale, die ausgetauscht werden können, die sich mit gemeinsamen wichtigen Sachverhalten assoziieren lassen, die sowohl Teil der äußeren Welt sind wie auch zugleich Teil des internen Modells. Nur durch diese Verbindung zwischen Signalen und signalverbundenen Sachverhalten einerseits und deren hinreichend ähnlichen Verankerung in den individuellen Weltmodellen W0 boten die Voraussetzungen, dass zwei verschiedene Weltmodelle – nämlich eines von einem biologischen System A mit W0_a und eines von einem biologischen System B mit W0_b – miteinander durch kommunikative Akte ausgetauscht, abgestimmt, verstärkt, verändert … werden konnten.
29. Dies ist der mögliche Ort der Konsensus Realität, von der Tegmark spricht.
30. Weil die individuellen Gehirne unterschiedlicher biologischer Systeme der Art homo sapiens (sapiens) eine hinreichend ähnliche Struktur von Signalverarbeitung und Modellgenerierung haben ist es ihnen möglich, Teile ihres Modells W0 mittels Kommunikation auszutauschen. Kommunikativ können sie austauschen, Ob etwas der Fall ist. Kommunikativ können sie sich zu bestimmten Handlungen koordinieren.
31. Die Zuordnung zwischen den benutzten Signalereignissen und den damit assoziierten Sachverhalten ist zu Beginn offen: sie müssen von Fall zu Fall im Bereich von möglichen Alternativen entschieden werden. Dies begründet arbiträre Konventionen, die dann – nach ihrer Einführung – zu pragmatischen Regeln werden können.
32. Die von Tegmark angesprochene Konsensus Realität ist von daher ein hybrides Konstrukt: primär ist es ein Produkt der internen Realität, Teil des internen Weltmodells W0, aber durch die Beziehung zwischen dem internen Modell W0 mit einer unterstellten externen Welt Wx (also z.B. wm0: Wx –→ W0, wm1:W0 –→ Wx*) und der Hypothese, dass diese Abbildungsprozesse bei unterschiedlichen Individuen A und B der gleichen Art homo sapiens (sapiens) hinreichend strukturell ähnlich sind, kann man annehmen, dass W0_a und W0_b strukturell hinreichend ähnlich sind – EQ(W0_a, W0_b) – und eine arbiträre Zuordnung von beliebigen Signalereignissen zu diesen unterstellten Gemeinsamkeiten damit synchronisierbar ist.
33. Man kann an dieser Stelle den fundamentalen Begriff der Zeichenrelation derart einführen, dass man sagt, dass diese grundlegenden Fähigkeit der Assoziierung von Signalereignissen S und zeitgleich auftretenden anderen Ereignissen O in der unterstellten äußeren Welt Wx sich über die Wahrnehmung dann im internen Weltmodell W0 eines biologischen Systems als S‘-O‘-Beziehung repräsentieren lässt. Diese interne Repräsentation einer in der Außenwelt Wx auftretenden Korrelation von Ereignissen S und O ist dann eine Zeichenrelation SR(S‘,O‘). Die an sich arbiträren Signalereignisse S und die davon unabhängigen zeitgleichen Ereignisse O können auf diese Weise in einer internen Beziehung miteinander verknüpft werden. Über diese intern vorgenommene Verknüpfung sind sie dann nicht mehr arbiträr. Ein Signalereignis s aus S und ein anderes Ereignis o aus O erklären sich dann gegenseitig: SR(s‘,o‘) liest sich dann so: das Signalereignis s‘ ist ein Zeichen für das andere Ereignis o‘ und das andere Ereignis o‘ ist die Bedeutung für das Zeichen s‘. Insofern verschiedene Systeme ihre Zeichenrelationen koordinieren entsteht ein Kode, ein Zeichensystem, eine Sprache, mittels deren sie sich auf Basis ihrer internen Weltmodelle W0 über mögliche äußere Welten verständigen können.
34. Die Konsensus Realität wäre demnach jener Teil des Bewusstseins eines biologischen Systems, dessen Phänomene (Qualia) sich über eine hinreichende Korrespondenz mit einer unterstellten Außenwelt Wx mit den internen Modellen W0 anderer Systeme koordinieren lassen.
35. Dass die beteiligten Signalereignisse als Zeichen mittels Symbolen realisiert werden, mittels Ausdrücken über einem Alphabet, später dann mit einem Alphabet, das man einer mengentheoretischen Sprache zuschreiben kann, die zur Grundsprache der modernen Mathematik geworden ist, ist für den Gesamtvorgang zunächst unwesentlich. Entscheidend ist die biologische Maschinerie, die dies ermöglicht, der ‚Trick‘ mit dem Bewusstsein, das das System von der unfassbaren Komplexität der beteiligten automatischen Prozessen befreit, von der Fähigkeit zu Abstraktionen (was hier noch nicht erklärt wurde), von dem fantastischen Mechanismus eines Gedächtnisses (was hier auch noch nicht erklärt wurde), und manchem mehr.
36. Dass Tegmark das Konzept der Konsensus Realität einführt, sich aber die Details dieser Realität ausspart, ist eine Schwachstelle in seiner Theoriebildung, die sich im weiteren Verlauf erheblich auswirken wird. Man kann schon an dieser Stelle ahnen, warum seine These von der äußeren Welt Wx als mathematischem Objekt möglicherweise schon im Ansatz scheitert.

SEMIOTIK GRUNDLEGENDER ALS PHYSIK?

37. Ohne diesen Punkt hier voll zu diskutieren möchte ich an dieser Stelle zu überlegen geben, dass der Erklärungsanspruch der Physik in weiten Teilen sicher berechtigt und unverzichtbar ist. Doch bei der Reflexion auf die Grundlagen einer physikalischen Theorie (die letztlich auch Teil einer wissenschaftlichen Erklärung sein sollte) müssen wir offensichtlich die Physik verlassen. Die klassische und die moderne Physik hat für ihre Existenz und ihr Funktionieren eine Reihe von Voraussetzungen, die nicht zuletzt den Physiker selbst mit einschließen. Sofern dieser Physiker als biologisches System ein Zeichenbenutzer ist, gehen die Gesetzmäßigkeiten eines Zeichenbenutzers als Voraussetzungen in die Physik ein. Sie hinterlassen nachhaltige Spuren in jeder physikalischen Theorie qua Zeichensystem. Diejenige Wissenschaft, die für Zeichen allgemein zuständig war und ist, ist die Semiotik. Bis heute hat die Semiotik zwar noch keine einheitliche, systematische Gestalt, aber dies muss nicht so sein. Man kann die Semiotik genauso wissenschaftlich und voll mathematisiert betreiben wie die moderne Physik. Es hat halt nur noch niemand getan. Aber die Physik hat ja auch noch niemals ihre erkenntnistheoretischen Voraussetzungen vollständig reflektiert. Vielleicht können sich eine neue Semiotik und eine neue Physik die Hand geben für ein gemeinsames Abenteuer des Geistes, was die Denkhemmungen der Vergangenheit vergessen macht. Das Beharren auf tradierten Vorurteilen war schon immer das größte Hindernis für eine tiefere Erkenntnis.

NACHTRAG

Konzepte in Anlehnung an Tegmark (2014) Kap.9 von G.Doeben-Henisch
Konzepte in Anlehnung an Tegmark (2014) Kap.9 von G.Doeben-Henisch

In Ergänzung zum vorausgehenden Text kann es hilfreich sein, sich klar zu machen, dass Tegmark als Physiker ein biologisches System der Art homo sapiens (sapiens) ist, dessen primäre Wirklichkeit in einem internen Modell der Art W0 zu suchen ist. Um sich mit seinen Physikkollegen zu verständigen benutzt er mathematische Texte, die mit bestimmten Messwerten korreliert werden können, die ebenfalls als Zeichen von Messprozeduren generiert werden. Der Zusammenhang der Messwerte mit den mathematischen Texten wird intern (!!!) kodiert. Insofern spielt die Art und Weise der internen Modelle, ihre Beschaffenheit, ihre Entstehung, ihre Abgleichung etc. eine fundamentale Rolle in der Einschätzung der potentiellen Bedeutung einer Theorie. Physikalische Theorien sind von daher grundlegend nicht anders als alle anderen Theorien (sofern diese mathematische Ausdrücke benutzen, was jeder Disziplin freisteht). Sie unterscheiden sich höchstens durch die Art der Messwerte, die zugelassen werden. Sofern eine moderne philosophische Theorie physikalische Messwerte akzeptiert — und warum sollte sie dies nicht tun? — überlappt sich eine philosophische Theorie mit der Physik. Sofern eine moderne philosophische Theorie die Voraussetzungen einer physikalischen Theorie in ihree Theoriebildung einbezieht, geht sie transparent nachvollziehbar über die Physik hinaus. Semiotik sehe ich als Teilaspekt der Philosophie.

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MR.ROBOT TV-SERIE: REALITÄT – VIRTUALITÄT – PSYCHO – GESELLSCHAFT … Blitzbesprechung

Diese Gedanken beziehen sich auf die TV-Serie Mr.Robot, die seit 2015 ausgestarhlt wird.

BILDERSEQUENZEN

  1. Es ist eine Sache, die Strukturen hinter den Alltagsphänomenen philosophisch und wissenschaftliche heraus zu arbeiten, eine andere, Alltagsphänomene unittelbar zu präsentieren, um dadurch den unmittelbaren Eindruck eines Prozesses zu vermitteln, den man – warum auch immer – sichtbar machen will.
  2. Jeder Roman, noch mehr, jeder Film (Video), gehört zu den Verehrern von Phänomenen, die als solche dann auf das Gehirn des Lesers einwirken, um damit im Leser, im Rezipienten, individuelle Prozesse auszulösen.
  3. Insofern gehört das Medium von Roman und Film auf den ersten Blick zu den einfachen Kommunikationsformen: man erzeugt Ereignisse und lehnt sich zurück. Irgendetwas werden diese schon im Leser/ Rezipienten bewirken.
  4. Unterschiede liegen dann in der Auswahl der Bilder, in ihrer Anordnung, in der benutzen (Bild-)Sprache.

MR.ROBOT SERIE

  1. Mr.Robot ist eine TV-Serie die in diesem Punkt auf den ersten Blick nichts anderes ist: sie liefert dem Zuschauer eine Flut von Bildern von jungen Erwachsenen, die auf bunte Weise in einer bunten Stadt leben, und der Hauptakteur ist ein begnadeter Programmierer im Bereich Systemprogrammierung. Er nutzt seine Fähigkeiten jenseits seiner Tätigkeit in einer Firma für Computersicherheit für private Hackeraktivitäten, durch die er Personen seiner Umgebung, Personen des öffentlichen Lebens und Firmen überlistet, in fremde Datenwelten und Programme eindringt, und auf diese Weise ein Wissen erlangt, was ambivalent ist. Er könnte es verwenden, um anderen Menschen zu helfen oder zu schaden.
  2. Im Laufe der Episoden wird sichtbar, dass der Hauptakteur eine psychisch gespaltene Persönlichkeit ist: sein Selbst ist in Form von zwei Personen organisiert. Die eine ist er, sein Selsbt1, die andere, sein Selbst2, ist er auch, aber in Gestalt seines Vaters. Wenn sein Vater-Selbst das Kommando übernimmt, weiß sein Selbst1 nicht, was in dieser Zeit geschah. Außerdem hat er in Staffel 1 noch ein massives Drogenproblem.
  3. Es ist die Bildersprache von Staffel 1, die diese Gespaltenheit seiner Persönlichkeit lange unsichtbar sein lässt, da sein Vater-Selbst als reale Person im Film auftritt, und dies zudem meistens zeitgleich. Als Zuschauer denkt man dann lange Zeit, hier sind zwei Personen am Handeln.
  4. Solange man als Zuschauer glaubt (weil die Bilder dies vorgaukeln), es seien zwei Personen, wirkt Staffel 1 wie ein spannender Plot, in dem junge Erwachsene in die Software eines der größten Finanzkonzerne der Welt eindringen, in die hochgradig geschützten Sicherungssysteme, und damit eine landes- und weltweite Finanzkrise auslösen, die letztlich nahezu allen Menschen Schaden zufügt.
  5. Die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen werden nie direkt Thema des Films. Sie bilden eine Art Hintergrundrauschen. Die jungen Hauptakteure motivieren ihr Handeln moralisch mit der Schlechtigkeit des Finanzsystems, seiner Korruptheit, seiner sozialen Ungerechtigkeit. Dass das Chaos, das sie erzeugen, möglicherweise schlimmer ist als das Leben zuvor, wird nicht thematisiert.
  6. Auch wird kommentarlos hingenommen, dass in diesem Zusammenhang die Sicherheitsfirma zugrunde geht, in der der Hauptakteur arbeitete, die für sich einen guten Job gemacht hatte.
  7. Der Hauptakteur benutzt sein Hackerwissen u.a. auch, um in einer bestimmten Situation einen Rauschgifthändler und Hochkriminellen zu enttarnen, ihn ins Gefängnis zu bringen, weil er gewalttätig gegenüber seiner Freundin geworden ist. Dass dies zu einer extremen Gefährdung (und schließlich Ermordung) seiner Freundin führt, sieht er nicht. Er ist hochintelligent aber sozial sehr begrenzt. Er sieht nur Ausschnitte, Momente, keine Zusammenhänge, ist stark autistisch in seiner Unfähigkeit sich in andere hinein zu versetzen. Dadurch lebt er in einer individuell-punktuellen Parallelwelt, in einer Welt seiner psychischen Virtualität, die weitgehend irreal ist, und schwebt durch die reale Welt wie ein träumender Fremdkörper. Sein Körper ist durchgehend real anwesend, aber sein Bewusstsein ist stark eingefärbt, überlagert, von unbewussten Dynamiken, die ihn steuern und kontrollieren ohne Kontakt zur Realität. Seine Intelligenz reicht nur zum Hacken.
  8. In der zweiten Staffel verselbständigt sich dieses Thema weitgehend.
  9. Hatte die erste Staffel noch eine Art Geschichte, die die Bilder kontrollierte und in einen nachvollziehbaren Plot organisierten, löst sich der Leitgedanke in Staffel 2 weitgehend auf. Die einzelnen Bestandteile von Staffel 1 existieren zwar irgendwie weiter, aber eher am Rande, taumeln dahin, wie ein Schneetreiben, während die Psyche des Hauptakteurs zum alles absorbierenden Thema wird. Für jemanden, der an der Realität gespaltener Persönlichkeiten interessiert ist, sind diese zeitlupenartig quälend langen Episoden zwar ein Blick auf die Welt, aber eben auf eine Sonderwelt.
  10. In Nebenkriegsschauplätzen wird eine Schulfreundin protegiert vom Chef des Finanzimperiums zu einer Mitarbeiterin, die ihre eigene Familientragödie auf diesem Weg rächen will, eine andere geheimnisvolle Schönheit taucht immer wieder mal als Versatzstück auf, ohne dass deren Rolle klar ist, und eine andere chinesische Hackergruppe, die Dark Army, taucht immer wieder auf und erscheint als organisierte kriminelle Vereinigung, die ihre eigenen Ziele verfolgt.
  11. Die Politik erscheint, sofern sie vorkommt, als Handlanger der Finanzindustrie, und das FBI rückt den Hauptprotagonisten immer näher.

SCHWACHE KONTEXTE

  1. Ähnlich wie in der Serie Person of Interest lebt der Plot von der Fokussierung auf einige wenige Akteure bei Ausblendung nahezu aller Kontexte. Die geschilderte Realität wird dadurch irreal, unwirklich, verzerrend. Individuelle Details werden zu Monstern, die Lebenssituation wird eingebettet in eine hoffnungslose, zukunftsfreie Welt von anonymen Kräften. Extreme sind normal, Leid passiert einfach.
  2. In einer Episode wird die gesellschaftliche Realität explizit als tägliche Gehirnwäsche beschrieben, eine mediale Dauerberieselung mit Bildern, die die Realität überlagern, ersetzen, und das reale Leben auflösen in ein bebildertes Universum ohne klare Konturen.
  3. Und in einer Szene, in der sich der Hauptakteure in einer evangelikalen Selbsthilfegruppe befindet, bricht aus ihm eine Religionskritik heraus, in der Religion nur (ganz marxistisch) Opium für das Volk ist. Das Leid wird so stilisiert, dass das Klagen und das Befolgen von Regeln nur die Abhängigkeit vom Leid erhöht, aber es nicht ändert. Tragisch: die Serie tut nichts anderes; sie reflektiert nichts, sie beschwört, sie malt Bilder der sozialen Vereinsamung; wirkliche Politisierung wird nur als Chaos kommuniziert, das Aktivisten erzeugen. Die einzigen funktionierenden Ordnungsstrukturen im Film sind die als verbrecherisch hingestellten Finanzinstitutionen.

GUT UND BÖSE

  1. Hier kann man auch nochmals das Begriffspaar ‚Gut – Böse‘ ins Spiel bringen. In einem anderen Eintrag in diesem Blog ist dieses am Beispiel der Filme (Bücher) Herr der Ringe, Star Wars sowie Person of Interest diskutiert worden.
  2. Während das Böse im Herrn der Ring und in Star Wars  gepaart mit Macht relativ eindeutig in bestimmten Personen lokalisiert war, war es in Person of Interest schon schwieriger. Es war eingebettet in Regierungshandeln, in das Agieren von Firmen, in die Infrastruktur von überwachenden intelligenten Computern. In der Serie Mr.Robot wird die Karte des Bösen der Finanzindustrie gegeben, die sich die Regierung gefügig macht, dazu andere Firmen, nicht nur national, sondern auch international.
  3. Das Gute war ebenfalls im Herrn der Ringe, und in Star Wars bestimmten Personen mit besonderen Fähigkeiten zugedacht: Hobbits, Zauberern, Menschen mit besonderem Blut. In Person of Interest verschwimmen die Linien: Menschen unterschiedlicher Herkunft können anderen Menschen helfen, allerdings brauchen sie besondere Fähigkeiten im Bereich Action oder im Bereich Computer, dazu helfende Infrastrukturen (Geld, Kommunikation, Computer…).
  4. In Mr.Robot erscheint das Gute vage am Horizont als das Wohlergehen aller Menschen und das Böse ist jenes Verhalten, das den Menschen schadet. Vor diesem Hintergrund werden die Finanzindustrie und Teile der Regierung als Verräter an der Menschheit gehandelt und einzelne Individualisten, die hacken können, schwächen die Bösen. Dass die Akteure des Guten schwach sind, extreme Verhaltensweisen zeigen, Auswirkungen von Aktionen kaum durchschauen, blauäugig gegenüber ihrer jeweiligen Umgebung sind, spielt keine Rolle.

ATEMNOT DER BILDER

  1. Während Staffel 1von Mr.Robot  noch eine gewisse Dynamik und Logik aufweist, hat man das Gefühl, dass die Bilder ab Staffel 2 eine gewisse Atemnot‘ zeigen: die Bilder sind zwar noch da, zitieren sich ständig selbst, halten sich irgendwie am Leben, aber es fehlt jene übergreifende Logik, die in der realen Welt alles antreibt und in Bewegung hält.
  2. Man hat den Eindruck, dass Staffel 2 eine Produktentscheidung war (Wir brauchen eine Fortsetzung), ohne dass der Autor eine weiterführende Intuition hatte.
  3. Und hier zeigt sich wieder(holt), dass noch so kühne Geschichten mit dem Geschehen in der realen Welt kaum Schritt halten können.
  4. Dies ist wie an der Börse: mittlerweile weiß jeder (oder kann jeder wissen), dass individuelle Anlageberater auf lange Sicht immer schlechter sind wie die tatsächlichen Kurse. Dies hat viele Gründe. Dennoch gab es viele Leute mit viel Geld, die glaubten, ihr Fondsmanager sei besser. Unterm Strich haben die meisten damit viel Geld verloren.
  5. Beim Schreiben von Seriendrehbüchern, die eine Handlung zeigen wollen, nicht einfach nur punktuelle Sitcoms, gilt das Börsenprinzip in abgewandelter Form: die Realität ist fantasievoller, kraftvoller, überraschender als jeder einzelne Autor… das menschliche Gehirn hat allerdings ein Problem mit dieser Komplexität. Daher erscheint es einfacher, sich selber Geschichten auszudenken….

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