Archiv für den Monat: Dezember 2016

DIE ZUKUNFT WARTET NICHT – 2047 – 2077 – 2107

FAHRGÄSTE

  1. Noch sind wir Fluggäste auf der Erde, die mit durchschnittlich 30 km/s ihrer Bahn um die Sonne nachjagt. In 365 ¼ Tagen hat sie es einmal um die Sonne geschafft. Im Äquatorbereich dreht sie sich mit 464 m/s an der Oberfläche um die eigene Achse. Wow, wir merken nahezu nichts davon; ein bisschen hell-dunkel, ein bisschen warm-kalt, aber von einer rasanten Geschwindigkeit ist nichts zu spüren. … und in wenigen Stunden vom Jetzt entfernt sagt uns unser mechanisches Zeit- und Kalendersystem, dass wir die Stunde Null des Jahres 2017 erreichen werden…

ÜBLICHE PARTIES

  1. Es wird die üblichen Jahresabschlussparties geben, viele Böller und Raketen, Jahresrückblicke, … aber – man kann staunen – keine Zukunftsbetrachtungen!
  2. Das Stöhnen über das letzte Jahr hat Tradition, die witzigstes, besondersten, grandiosesten, teuersten, unglaublichsten … Ereignisse werden aufgezählt, … eine wirkliche Moral von der Geschichte gibt es aber nicht, nicht mal im Ansatz.

TOTALAUSFALL ZUKUNFT

  1. Gibt es keine Zukunft? Ist das Denken über die Zukunft verboten? Haben wir Angst vor der Zukunft? Warum wollen wir nicht wissen, wie es vielleicht weitergeht? Haben wir nicht Wünsche für das Leben? Gibt es nicht drängende Aufgaben, die wir lösen müssten, gemeinsam?
  2. Ja, es ist sehr merkwürdig, wie wir öffentlich mit Zukunft umgehen.

HERAUSFORDERUNGEN GIBT ES

  1. Jede Firma, die auf sich hält, muss – schon um ihres eigenen Überlebens willen – einen Blick in die Zukunft werfen: wie wird sich der Markt entwickeln? Was werden die Kunden wollen? Welche Kunden wird es überhaupt geben? Was ist mit potentiellen Mitbewerben? Wie sieht es mit der Materialbeschaffung aus, dem Einkauf? Wie steht es um die Finanzierungsmöglichkeiten? Wie entwickeln sich Umtauschraten und Zinsen? Was tut die Gesetzgebung: muss man mit erschwerenden Auflagen in der Zukunft rechnen (z.B. durch den Verbraucherschutz, den Umweltschutz?) Wie steht es mit den Mitarbeitern: sind sie gut genug ausgebildet? Hat man genügend viele? Sind sie gut genug motiviert? Wie steht es mit der Lohnentwicklung – ist man noch konkurrenzfähig? Was wird mit der Logistik sein – Aufwand an Zeit und Geld, Zuverlässigkeit? Wie steht es um die Qualität der Produkte und Dienstleistungen? Muss man hier nachlegen? Wie aufwendig ist dies? Was ist mit neuen, innovativen Produkten: hat man die? Wie bekommt man diese? Wie aufwendig ist dies? ….
  2. In den kommunalen Verwaltungen der Dörfer und Städte ist dies nicht anders. Wie steht es mit der Bevölkerungsentwicklung: Ab- oder Zunahme? Vergreisung oder Verjüngung? Gibt es genügend bezahlbaren Wohnraum? Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Feuerwehr, …? Funktioniert der Verkehr, das Abwassersystem, die Wasserversorgung, die Elektrizität… ? Stimmen die Finanzen – Wo gibt es Risiken? Wo potentielle Einnahmen? Wo kommende Kosten? Was ist mit Handel und Industrie: hat man genug davon? Wie viele Arbeitsplätze bedeutet dies? Welche Umweltbelastungen, welche Verkehrsflüsse? Wie wird die gesamte Energieentwicklung sein? Was ist bei Katastrophen (welchen?): was muss vorgehalten werden? Wie dafür üben? Wie steht es mit der Versorgung für Nahrungsmittel? Welche Bodennutzungen müssen gewahrt werden, welche sind notwendig (Freiflächen, Grünflächen, Plätze, Gartenbau, Ackerbau, Weiden…)? …
  3. In der Landes- und Bundespolitik kommt das ganze Bildungssystem dazu: wer soll wofür und wie ausgebildet werden? Wo kommen die guten Ausbilder her? Öffentliche Ordnung und Sicherheit: was braucht man? Wer tut dies? Wie? Wieweit hilft das Rechtssystem, das gesellschaftliche Leben zu ermöglichen, zu stabilisieren? Wer befindet über das Recht? Wer macht es? Wie viel Recht brauchen wir? Wie schnelllebig darf es sein? Welche Ziele haben wir, für die wir das Recht brauchen? Was ist mit potentiellen Feinden von außen? Gibt es die? Können sie sich entwickeln? Woran erkennt man potentielle Feinde? Wie gewinnt man Freunde? Wie neutralisiert man Krisen? Was ist mit internationalem Handel? Wann kann wer wie Handel treiben? Was ist mit dem internationalen Informationsfluss? Flugwesen, Schiffswesen, Rohstoffgewinnung, Vermüllung der Meere, Verschrottung im Weltraum, Klimaänderungen, …..
  4. Brauchen wir immer noch Religionen? Was tun sie eigentlich? Sind sie Quelle von Intoleranz und Hass oder die Kraftfelder für Hoffnung, Toleranz, Weltverbesserung? Wie gehen sie miteinander um? Sollten sie nicht eine bessere Zukunft vorleben? Miteinander? Für andere? Eine universale Weltreligion der positiven Menschen?

LEIDER NICHT

  1. Zur Jahreswende, Sylvester, werden wir nichts von alledem hören und sehen. Und wenn der Jahreswechsel vorbei ist, wird das Schweigen zur Zukunft weiter gehen. Jeder scheint mit sich selbst beschäftigt zu sein, jeder scheint an seinem eigenen Stuhl zu sägen, fast verbissen. Nur nicht rechts oder links schauen, nur nicht aufblicken, man könnte ja der Wirklichkeit begegnen, den anderen Menschen, den anderen Kommunen, den anderen Ländern, der Erde, wie sie ihre Energien auslebt in Kontinentalverschiebungen, Erdbeben, Vulkanausbrüchen, dazu die anderen Asteroiden, Planeten, Sonnen,Galaxien, die ihren Lauf nehmen, und auch sterben, neu geboren werden, sich verschmelzen in Zeiträumen, die sich unserer beschränkten Wahrnehmung entziehen.

DAS KLEINE GALLISCHE DORF DER KREATIVITÄT

  1. Die verbreitete Paralyse des Denkens über unsere möglichen Zukünfte ist aber nicht vollständig … so wie bei Asterix und Obelisk eine kleine Enklave der Gallier existierte, die dem römischen Weltreich widerstand (in der realen Geschichte waren es die Alemannen und Franken, die den Römern im Norden Paroli boten), so finden sich in der nichtoffiziellen Welt der Filme und Computerspiele, in den Science-Fiction Romanen und Comics, eine überbordende Bilder- und Gedankenwelt zu möglichen Zukünften, die zeigt, dass der menschlicher Geist nicht nur ein bürokratisch verkümmertes Dasein fristen kann. Während die öffentlich-rechtliche Medienwelt sich in Bravheit und Langeweile gefällt, der offizielle Kulturbetrieb sich vorwiegend an der Vergangenheit berauscht, kämpfen in der inoffiziellen Kulturwelt mittlerweile ganze Legionen von Helden und Superheldinnen mit Supertechnologien in den wildesten Katastrophen, die sich ein menschliches Gehirn so auszudenken vermag. Hier mischen sich religiöse, wissenschaftliche, philosophische, technische, kulturelle und esoterische Gedanken zu einem Gedankentrunk, der aufreizt, mitreißt, benommen macht, begeistert, erschreckt, wundern lässt, nachdenklich macht. Hier, leider nur hier, lebt menschliche Kreativität und Innovation im Vollrausch, und Verbesserungen sind überall noch möglich.

QUO VADIS HOME SAPIENS?

  1. Was also tun homo sapiens?
  2. Die Zukunft wartet nicht.
  3. Das Jahr 2047 wird kommen und es wäre nicht schlecht, wenn wir als Menschen wüssten, was wir im Jahr 2047 wollen: wollen wir tatsächlich alle zusammen leben oder werden einige versuchen, sich auf Kosten aller anderen einen Platz an der vermeintlichen Sonne des Lebens zu sichern? Wenn wir ein Leben für alle wollen, was müssten wir unternehmen, um dahin zu kommen: Wissen, Bildung, stabile Austauschbeziehungen würden unerlässlich sein, dazu vieles mehr. Werden wir es anpacken oder warten wir einfach ab? Lassen wir unsere Enkel und deren Kinder alleine? Sollen sie doch sehen, wie sie zurecht kommen? Könnte ein Netanjahu, ein Trump, ein Putin, ein Erdogan (und viele andere) die Zukunft der ganzen Erde einfach so an die Wand fahren, nur weil sie – so scheint es – sich selbst lieber mögen als alles andere?
  4. Nach dem Jahr 2047 wird unausweichlich das Jahr 2077 kommen. Für die Älteren von uns schon jenseits ihrer normalen Lebenserwartung. Es wird die große Zeit der Enkel der 2.Generation unserer heutigen Enkel sein. Werden sie überhaupt noch leben? Wie? Wird es dann die USA, Russland, China, Europa noch geben? Werden nicht das Klima, der Wassermangel, der Ressourcenmangel, die Verschmutzung der Meere und des Weltraums ein Leben stark erschwert haben? Welche Krankheiten wird es geben? Körperliche Schwächen, psychische Ausfälle, neue Bakterien und Viren, das Werteproblem …. Werden tatsächlich die Maschinen übernommen haben oder wird es schon hybride Mensch-Maschine-Systeme geben, die deutlich anders sind als wir?
  5. Und dann das Jahr 2107 … von heute aus die 5.Generation der Enkel… Was werden die über uns denken, in denen wir Sylvesterparties gefeiert haben ohne jeden Gedanken über das, was kommen wird, über das, was kommen sollte, über das, was kommen könnte… wir leiden an uns selbst … warum ändern wir uns nicht? Warum provozieren wir Feindschaft statt Freundschaften zu schließen? Warum sind immer die anderen die Bösen? Was ist mit uns? Warum verbieten wir uns, über die Zukunft nachzudenken? Wollen wir nicht leben? Sind wir nicht Teil eines unfassbaren Wunders, das sich Leben im Universum nennt? Warum lässt uns dies kalt?

Fortsetzung: Ja, es gibt eine Fortsetzung zum Thema dieses Blogeintrags am 5.Februar 2017 unter dem Titel:

DIE ZUKUNFT WARTET NICHT – 2117 – GEHEN WIR LOS…

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ZEHN STATIONEN ZUM GLÜCK?

Neuer Nachtrag vom 29.Dez.2016 (unten)

VORBEMERKUNG

Die folgenden Punkte entsprangen ausnahmslos Gesprächen, die ich mit unterschiedlichen Menschen führen konnte: beim Einkaufen, am Rande von Festen, beim Warten auf etwas, in Zwischenzeiten bei Veranstaltungen …. jeder Punkt wäre ein Roman für sich, eine dicke Abhandlung wert. Da wir aber endliche Wesen sind die unendliche Gedanken in konkreten endlichen Zeitscheiben mit einem endlichen Körper verkosten, und das Aufschreiben nur eines einzigen Wortes viel Zeit nimmt, bleibt vieles ungesagt, das gesagt werden könnte, ganz zu schweigen von dem möglichen Tun… deshalb hier ausnahmsweise mal nur ein paar Stichworte zur Erinnerung, dass da mehr zu sagen wäre …

STICHWORTE

  1. … es gibt Menschen, die fühlen sich unglücklich angesichts einer schier unüberwindbaren Schuld …
  2. … es gibt aber auch Menschen, die empfinden geradezu Lust dabei, anderen Menschen böse Dinge zuzufügen; sie berauschen sich daran…
  3. … alle diese Menschen haben ein ‚Ich‘, etwas, von dem sie glauben, dass sie es sind, sie selbst, ….
  4. … Fakt ist, dass alles, was ein Ich vorfindet, gemacht wurde, geschenkt ist ohne eigenes Zutun…
  5. … und trotzdem, trotz dieses radikalen Geschenktseins, hat das Ich eine Wahl: es kann das Vorfindbare aufgreifen und mitgestalten, oder ablehnen …. Ja und Nein ist möglich …
  6. …. die Dinge kehren nicht wieder; wir sind Teil eines gerichteten Werdens …
  7. … umfassenden allumfassenden Sinn gibt es eigentlich nur in einem großen Ganzen, in der großen Vereinheitlichung …. und doch entstand aus einer Einheit eine galaktische Endlichkeit, ein Ozean an Konkretheit… es ist diese Konkretheit, die zu erklären ist ….
  8. … Leiden ist Scheiße … das Konkrete ist nicht das Ganze …
  9. … jenseits eines Ichs gibt es ein Zwischen … anscheinend weniger real, und doch wichtig … das Ich als Teil des Zwischen …
  10. … Hallo, Hej, Schalom, Peace, ….

Um die mögliche Verwirrung weiter zu komplementieren: als Nachtrag 29.12.2016 ein Sound-Gedanke:

Jerusalem – was not the place I hoped to be …(RUM 100%) Recorded after the reply of Netanjahu to Kerry … some vision of a difficult future …

JERUSALEM WAS NOT THE PLACE …

Jerusalem was not the place I hoped to be

Hate was hanging around

in the eyes of many people

but not all

a glimpse of heaven still there

deep in the hearts of some

deep in the hearts of some

glimpse of heaven was there, still

Jerusalem

Jerusalem

Jerusalem

glimpse of heaven

glimpse of heaven

glimpse of heaven still there

in the eyes of some

deep in the hearts of some

Jerusalem

Jerusalem

such an old song of disaster

should not be repeated today

not repeated today

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GNADE UND RECHT. Zu einer Vortragsveranstaltung der evangelischen Akademie Frankfurt

KONTEXT

1. Die folgenden Gedanken sind ein persönlicher Nachhall zu einer Vortragsveranstaltung der evangelischen Akademie Frankfurt vom 16.Dezember 2016, bei der eine Richterin vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (jetzt Vizepräsidentin) auftrat (Frau Prof.Dr. Angelika Nußberger) und der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (Prof.Dr.Martin Hein). Die nachfolgend aufgeschriebenen Gedanken sind unausweichlich subjektiv, d.h. sie spiegeln das Verständnis des Zuhörers cagent und werden möglicherweise der Aussageintention der jeweiligen Redner bzw. Diskussionsteilnehmern nicht gerecht. Ihr Wert liegt in der Reflexion als solcher, die Impulse aufgreift und diese nach ihnen innewohnenden Aspekten und den Modellen der Schreibers andenkt, durchdenkt, kreativ weiter entwickelt. Begreifen ist immer ein dynamischer Vorgang, der nicht mit 1-zu-1-Wiedergabe zu verwechseln ist, eher wie ein Verdauungsprozess, bei dem die Zutaten aus den angesammelten Interpretationsmodellen stammen. So gesehen sagt jede Nachreflexion immer auch etwas über den Schreiber selbst. Kein Ziel kann es sein, das auslösende Ereignis ganz unsichtbar zu machen … obwohl, selbst das kann interessant sein; wir landen dann im Bereich der Poesie, der Literatur, …. solchen Äußerungsformen spricht man in unserer Kultur auch einen gewissen Stellenwert zu… wenn auch schwerer fassbar.
2. Dabei sei vorausgeschickt, dass der Schreiber cagent sich nicht so recht vorstellen konnte, was in diesen Vorträgen gesagt werden würde; er war skeptisch, aber neugierig. Man kann ja nie wissen …

BEIDE REDNER

3. Die Richterin formulierte sehr zuhörerfreundlich, verständlich, vermied Polemik, erschien aber in der Sache extrem klar und fast radikal. Angesichts der Rhetorik des Bischofs fand sie nicht immer die Angriffspunkte, die es gebraucht hätte, um seine Position etwas kritischer aufleuchten zu lassen. Der Bischof sprach fast wie bei einer Sonntagsrede auf der Kanzel, rhetorisch geschult, ein Gedankenfluss, ergänzte aber anschließend im Gespräch seine Positionen kaum; er wiederholte oft nur, was er zuvor schon thesenhaft gesagt hatte. Dies muss nicht schlecht sein, wenn die Thesen richtig sind, kann aber enttäuschend sein, wenn zusätzliche Differenzierungen oder Argumente ausbleiben.

Stichworte aus der Vortragsveranstaltung 'Gnade und Recht' der evangelischen Akademie Frankfurt vom 16.Dezember 2016
Stichworte aus der Vortragsveranstaltung ‚Gnade und Recht‘ der evangelischen Akademie Frankfurt vom 16.Dezember 2016

DIE POSITION DES BISCHOFS

4. Für den Bischof war die Welt relativ klar. Für ihn zeigt sich im alten Testament (AT) (im Kern die hebräische Bibel), dass Gott seinem Volk Israel trotz allerlei wiederholter Verfehlungen und Unglauben treu bleibe; dies sei eine Form von ‚Gnade‘ (Und er ergänzte, dass für die Juden die heiligen Texte, die Thora, als ‚Gnade‘ Gottes aufgefasst werden). Mit dem neuen Testament (NT)(griechische Texte), wird dann mit der Gestalt Jesus von Nazareth deutlich, dass die Zuwendung Gottes an die Menschen nicht auf die Mitglieder des Volker Israel beschränkt sei, sondern allen Menschen gilt. Obwohl jeder Mensch fehlerhaft und sündhaft sei, habe sich Gott ihnen in Gestalt seines Sohnes zugewandt, der sogar freiwillig Leiden auf sich nahm, seinen eigenen Tod. Auch hier zeige sich, so Bischof Hein, ‚Gnade‘. Trotz aller Vorteile, die die im Laufe der Zeit einsetzende Verrechtlichung ergeben habe, betonte er doch, dass diese Verrechtlichung den Charakter von Gnade immer mehr einschränke. Verrechtlichung fördert ein Anspruchsdenken unter den Menschen, die ihnen urmenschliche Verhaltensweisen abgewöhne.
5. Die intensive historische Erfahrung, dass Gnade unter Menschen oft mit Willkür und Unrecht zusammenging, wurde wenig reflektiert; eher stand im Vordergrund, dass das Recht auch missbraucht werden kann von Machthabern aller Art.

DIE POSITION DER RICHTERIN

6. Die Richterin trat erwartungsgemäß für die wichtige und positive Rolle des Rechts ein, und dies tat sie sehr klar. Die Menschenrechte kommen klar ohne Bezugnahme auf die Begriffe ‚Gott‘ und ‚Gnade‘ aus. In gewisser Weise ersetzen die modernen menschenrechtsorientierten Verfassungen den alten Tempel: die Gnade ist nicht mehr etwas Zufälliges, Unberechenbares, sondern das Gesetz weist durch die Regelungen Lebensräume auf, Handlungsräume, die den Menschen unter dieser Verfassung zugesprochen, garantiert werden, und zwar jedem. Die Suche nach der rechten Lebensform wird unter dem Gewölbe der Menschenrechte zu einer umfassenden Praxis eines Lebens unter dem Leitbegriff ‚Menschenwürde‘. Sie schützen den einzelnen Bürger vor der Macht des Staates, da jede Macht immanent dazu tendiert, immer mehr Macht haben zu wollen. Eine demokratisch, von Menschenrechten geläuterte Macht wird daher immer die Menschenrechte als Korrektiv anerkennen. Die Menschenrecht bilden daher so eine Art Grammatik des menschenwürdigen Zusammenlebens im Groben, was dann für den Alltag in vielen zusätzlichen Unterscheidungen weiter und immer wieder neu zu klären ist.
7. Eine kritische Zone des Anspruchs der Menschenrechte ergibt sich, wenn der einzelne Mensch in seiner Autonomie für sich reklamiert, sterben zu dürfen, wann er will. Die Verpflichtung eines Rechtsstaates, die Würde jedes einzelnen Menschen zu schützen, primär vor der Willkür des Staates und der anderen Menschen, gerät in eine schwierige Position, wo der einzelne Mensch sich in seiner Autonomie selbst adressiert. Wann wird der Schutz des Staates im Falle des Einzelwillens zur Anmaßung? Wo ist es der angemessene Schutz?
8. Dies führt zu der Grundtatsache, dass jedes weltliche Recht (und dazu gehören die Menschenrechte) letztlich von Menschen gemacht ist. Der Mensch ist hier in einer paradoxen Doppelrolle: bei bestehendem Recht ist der Mensch Objekt des Rechts (das Recht spricht über den Menschen, wendet auf ihn Regeln an), zugleich aber auch Subjekt. Einmal in Gestalt einer Sonderklasse von Menschen, den Richtern, die das Recht jeweils neu auszulegen haben (wie in den Religionen die Priesterklassen), dann in Gestalt von verfassungsgebenden Bürgerversammlungen, in denen eine ausgewählte Sondermenge von Bürgern über die Gestalt und Inhalte der Verfassung beraten (was in den Religionen spezielle Menschen waren, die sich auf ‚Gott‘ beriefen, auch wenn die Gesetze selbst dann sehr menschlich erscheinen (und das Wort ‚Gott‘ hier möglicherweise missbraucht wird von Menschen, um ihre eigenen menschlichen Ziele ‚göttlich‘ erscheinen zu lassen). Insofern der Mensch Subjekt des Rechts ist, wird deutlich, dass das aktuelle Selbst- und Weltverständnis der aktuellen Richter und Verfassungsbürger den impliziten Maßstab abgibt, was als Grundwerte, als Leitlinie in der Verfassung (auch in den Menschenrechten) stehen soll.
9. Spätestens hier, an der Stelle der Verankerung des Rechts im Subjekt des Handelns, im Menschen selbst, wird deutlich, dass das Recht genauso ein Produkt der jeweiligen Kultur ist wie die Wissenschaft, die Musik, die Baukunst, die Technologie, und vieles mehr. Und genauso, wie sich die Kultur beständig wandelt, weil das Leben sich wandelt, die Welt, die Erkenntnisse, die Technologien, die demographischen Gegebenheiten, das Klima, usw. genauso steht das Recht beständig unter einem Anpassungsdruck. Während die Verfassung selbst sich eher langsam ändert, kann man im Bereich des allgemeinen Rechts ständige Änderungen beobachten, die mittlerweile so schnell und so kompliziert sind, das man das neue Recht noch kaum kennt wenn schon die nächste Version kommt, dazu schlecht vorbereitet in den Ministerien (mittlerweile ist es nicht selten, dass Gesetze verabschiedet werden, obgleich man weiß, dass der Text noch nicht fertig ist, nur, um einen Termin einzuhalten; oder man lässt den Gesetzestext von Lobbyisten schreiben, die nicht das Gemeinwohl im Blick haben).

GEGENÜBERSTELLUNG

10. Stellt man beide Positionen gegenüber, eine theologische Interpretation des Begriffs ‚Gnade‘ und eine richterliche Interpretation des Begriffs ‚Recht‘, dann kann schon der Eindruck entstehen, dass das alte Wort ‚Gnade‘ angesichts der umfassenden Wirkung des modernen Rechts wenig Strahlkraft entwickeln.
11. Das anschließende Gespräch zwischen beiden, Richterin und Theologe, verlief dann auch letztlich wenig dynamisch: die Richterin wiederholte die Stärken des modernen Rechts und der Theologe suchte in den alltäglichen Pannen der Rechtspraxis mögliche Lücken für seinen Gnadenbegriff.
12. Der Hinweis eines Zuhörers, dass ja nicht das Recht an sich gut oder schlecht sei, sondern immer nur die Art der Menschen, wie sie ihr Recht benutzen, hatte wenig Einfluss auf den Theologen. Er sah immer wieder nur den Aspekt der zunehmenden Verrechtlichung und der damit einhergehenden Verkümmerung menschlicher Verhaltensweisen der Kontrahenten.

WEITERE GEDANKEN

13. In der Tat läge hier in der Rolle des Menschen als Subjekt und Objekt des Rechts ein möglicher Ansatzpunkt, um sowohl über den Sinn und Wahrheitsgehalt von Recht nach zu denken wie auch über den Sinn, über die Möglichkeit, und über die mögliche Wahrheit von religiösen Überzeugungen. Während die Subjekt-Objekt-Rolle des Menschen im Falle des Rechts sehr transparent ist, erscheint die Subjekt-Objekt-Rolle des Menschen im Falle von Religionen entwicklungsfähig.
14. Aus der Geschichte der Offenbarungsreligionen ist klar, dass hier immer Menschen eine Rolle spielen als sogenannte ‚Empfänger‘ von ‚Offenbarungen‘, dann als ‚Verkünder‘ und ‚Ausleger‘, dann als ‚Objekte‘, und es ist klar, dass seit Anbeginn die Überlieferungen (zunächst nur mündlich, dann verschriftlicht) der beständigen Auslegung, der Interpretation bedürfen. Dennoch ist das Bewusstsein davon, dass der Begriff ‚Gott‘ hier immer nur indirekt vorkommt, als menschliche Konstruktion in einem Diskurszusammenhang, bis heute leider wenig verbreitet. Eine Akzeptanz des konstruktiven, zeitabhängigen Charakters des Begriffs ‚Gott‘ in der Geschichte würde ungeahnte Möglichkeiten für ein immer wieder neues Verständnis der möglichen Bedeutung des Begriffs ‚Gott‘ eröffnen. Doch die offiziellen Vertreter der Religionen (also auch Bischöfe) tendieren eher zu ‚abschließenden Diskursen‘, in denen man zwar vertraute Begriffe wiederholt, sie aber nicht wirklich zu neuem Leben erweckt. Diese vordergründige Spielerei mit Worten lässt die Frage nach einer möglichen Existenz des mit dem Wort ‚Gott‘ Gemeinten in den Hintergrund treten; die Wahrheitsfrage wird (wie Thomas Thiel in der FAZ vom 14.12.16 auf S.9 treffend bemerkte) lieber ausgeblendet. Ein ‚lebender Gott‘, dem ‚Wahrheit zukommt‘, der ‚wirklich existiert‘, den braucht – so hat es den Anschein – scheinbar niemand. Das wäre – nach der Vorstellung von Vielen (auch von Theologen und Kirchenmännern) – eine Art Generalangriff auf die eigene Autonomie, und dies löst Ängste und Abwehr aus. … Dabei soll die frohe Botschaft des Evangeliums doch befreiend wirken …
15. Die Subjekt-Objekt-Rolle des Menschen erscheint nach den letzten 2000 – 3000 Jahren Offenbarungsreligionen mehr denn je offen. Während die empirischen Wissenschaften heute mittlerweile alle Spuren von Besonderheit des Menschen ausgelöscht haben (in den Wissenschaften ist der Mensch quasi verschwunden), verkünsteln sich die Vertreter der Religionen noch mit sekundären Begrifflichkeiten und Abgrenzung von Machtansprüchen untereinander. Wieweit dies der ‚Sache Gottes‘ ‚schadet‘, ist schwer zu sagen, das Projekt des Lebens auf der Erde als eines erstaunlichen Projektes im ganzen bekannten Universum ist allerdings sehr wohl fragil. Wir Menschen als homo sapiens haben bislang eindrücklich bewiesen, dass wir nicht nur gut sein können, sondern extrem zerstörerisch und böse. … weil wir etwas besitzen, was man Freiheit nennt… verpackt in ein Gemisch aus Bedürfnissen, Trieben, Emotionen, begrenztem Gedächtnis, virtuellen Weltbildern usw., was das Ausleben eines gemeinsamen konstruktiven Wohlergehens zur Herausforderung werden lässt.

GOTTESEXPERIMENTE

16. Angenommen, man würde dem mit dem Wort ‚Gott‘ Gemeintem, eine irgendwie geartete Existenz zusprechen, und man würde sich nicht sofort den bekannten Klischees der alten Religionen gedanklich unterwerfen, inwiefern könnte dies dem homo sapiens als Teil des Gesamtphänomens Leben heute helfen? Die Frage darf man ja wohl stellen. Und die Antwort wären bestenfalls reale Experimente, keine leeren Worthülsen, Experimente, die jeder Mensch an jedem Ort zu jeder Zeit selbst machen könnte. Die Annahme im Experiment ist, dass das mit ‚Gott Gemeinte‘ sich jederzeit jedem direkt mitteilen kann (was er möglicherweise alleine schon dadurch tut, dass es die komplexen Lebensphänomene gibt, für die es bislang keine physikalischen ‚Erklärungen‘ gibt (wobei wissenschaftliche Erklärungen weniger sind, als das, was der normale Mensch sich unter Erklärung vorstellt)).
17. Das Ganze wäre weiter zu klären.

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DAS KOPFTUCH – DIE EMOTIONEN – GLAUBEN, POLITIK UND DIE GEWOHNHEITEN. Ein Reflex zu einem Gespräch unter FreundenInnen

EIN ARTIKEL

  1. Vor fast drei Wochen gab es im Freundeskreis ein Gespräch, zu dem ein Artikel von Simon Jacob im Heft 8 (2016) der Zeitschrift CICERO Anlass gab.
  2. Aus meiner Sicht würde ich die Gedanken des Artikels zu folgenden Arbeitshypothesen umformulieren: (i) Angesichts der historischen Entwicklung und der heutigen Vielfalt gibt es nicht DEN Islam, sondern eine VIELFALT von Interpretationen des Islam. (ii) Für viele Menschen, die sich Muslime nennen, ist die Hauptquelle für ihr VERHALTEN nicht der Koran selbst, sondern es sind bestimmte KULTURELLE MUSTER, in denen sie leben. Sie glauben, dass die konkrete Art und Weise, wie sie leben, der Lehre des Korans entspricht. Dazu zählt nach Jacob das PATRIARCHAT. Ferner (iii) gibt es nach Jacob neben den kulturellen Muster MACHTINTERESSEN, die sich der Religion und der kulturellen Muster bemächtigen, sie instrumentalisieren, um sie für die eigenen politischen Ziele nutzbar zu machen. Und (iv) in Europa haben die Gesellschaften die direkte Bindung an die Lehren der Religionen aufgehoben, um dadurch quer zu ALLEN Religionen und für ALLE Menschen (auch die nichtreligiösen) einen gemeinsamen WERTERAUM zu ermöglichen, in dem ALLE ohne Gewalt friedlich und respektvoll miteinander leben können.
  3. Daraus folgert Jacob, dass eine Diskussion um die Rolle der Frauen in Deutschland NICHT so sehr mit Argumenten der islamischen Religion geführt werden sollte (was auch die freiheitlich-demokratische Grundordnung mit ihrem Grundgesetz in Frage stellen würde), sondern mit Bezug auf das kulkturell-soziologische Muster eines Patriarchats, das dem Deutschen Werteraum widerspricht.
  4. In dem lebhaften, streckenweise sehr emotional-intensivem Gespräch, flammte all dies und noch viel mehr auf.

ZUSAMMENSTOSS UNTERSCHIEDLICHER KULTURELLER MUSTER

  1. Auf der einen Seite zeigte sich immer wieder, dass das allgemeine Wissen um den Islam (aber auch der christlichen und jüdischen Traditionen) kaum vorhanden ist (was bei Muslimen nicht unbedingt viel anders ist), auf der anderen Seite standen sich unterschiedliche deutsche (und westliche) Verhaltensmodelle und eben sehr patriarchalisch oder salafistisch anmutende Verhaltensweisen gegenüber. Ganz klar, für eine Frau, die in Deutschland aufgewachsen ist, wo der Einfluss eines (tendenziell) fundamentalistischen Christentums aus der Vergangenheit stark rückläufig ist, wo die Rechte der Frauen sowohl per Gesetz als auch im Alltag enorm zugenommen haben, wirken patriarchalische Verhaltensmuster und Werteüberzeugungen, wie sie von außen nach Deutschland hineingetragen werden, mindestens befremdlich, wenn nicht angsteinflößend, provozierend und rückwärtsgewandt.
  2. Wenn nun im deutschen Alltag Verhaltensmuster und Symbole aus eher muslimischen Kontexten auftreten (die christlichen sind seit Jahrzehnten verblasst und verschlissen; das Christentum der letzten 150 Jahre hatte viele Ähnlichkeiten mit dem heutigen Islam im gesellschaftlichen Auftreten, was gerne vergessen wird), so wird dies zusätzlich dadurch verkompliziert, weil diejenigen Menschen, die solche Verhaltensmuster haben, sehr oft keine klare Zuordnung zulassen.

VIELFALT IM ALLTAG

  1. Ich arbeite an einer Universität, an der junge Menschen aus über 100 Nationen studieren. Junge Frauen mit Hintergründen im Hinduismus, Buddhismus, Islam, Judentum, Christentum, dazu mit sehr vielen Spielarten in jeder Richtung, aus unterschiedlichen Ländern, in unterschiedlichen familiären Zusammenhängen, meist noch berufstätig, um das Geld für ihr Studium zu verdienen, in ganz verschiedenen Berufen, in allen Varianten von Kleidung, auch viele mit Kopftüchern; z.T. als Gaststudierende, meistens aber als Deutsche mit Eltern aus verschiedenen Ländern. Warum trägt die eine ein Kopftuch, die andere nicht? Warum bilden Deutsche im Ausland ‚Deutsche Kolonien‘ in denen man deutsches Brauchtum pflegt und primär Deutsch spricht? Aus religiöser Überzeugung oder vielleicht eher, weil man etwas soziale Nähe in einer fremden Kultur sucht? Warum laufen Fußballfans mit ihren Schals herum? Warum müssen Mitglieder christlicher Orden (heute weniger, bis vor wenigen Jahrzehnten immer und überall) eine Ordenskleidung tragen? Warum tragen Frauen fast zwanghaft das, was die jeweilige Mode gerade diktiert? Was ist, wenn man dem Trend nicht folgt? Warum kreieren mittlerweile immer mehr muslimische Frauen (aus vielen verschiedenen Ländern) eine eigene Mode? Mit Religion und Politik hat dies in der Regel nichts zu tun. Wäre das nicht auch eine eigene Form von Revolution und Emanzipation, dass junge muslimische Frauen die Insignien des Patriarchats und des fundamentalistischen-politischen Islams durch eigene Modepraktiken schlicht unterlaufen, umwerten, verändern, dieser Tradition ihren eigenen Stempel aufdrücken? Vielleicht sollten sich eingefleischte Feministen mal direkt mit den jungen muslimischen Frauen auseinandersetzen; möglicherweise könnten alle etwas lernen.

VERSCHIEDENE GENERATIONEN

  1. Interessant waren in unserem Gespräch auch die Unterschiede zwischen jüngeren Frauen (23-28) und älteren (über 50). Während die älteren Frauen zuerst die Abweichungen und möglichen Bedrohungen sahen, erlebten die jüngeren Frauen die muslimischen Frauen in ihrem Alltag als jene, die sich bemühen, in ihrem Alltag mit Kindern, Familie und Arbeit klar zu kommen, und die Schwierigkeiten weniger im Umgang mit der Deutschen Gesellschaft erleben, sondern mit den vielen Unterschieden innerhalb der anderen Kulturen und ihren z.T. rigorosen Wertesystemen.

VERÄNDERUNGSPROZESSE BRAUCHEN ZEIT

  1. Mit Blick auf die Veränderungsprozesse in Deutschland und Europa in den letzten Jahrhunderten wurde auch darauf aufmerksam gemacht, dass man möglicherweise die aktuellen Anpassungsprozesse als langatmige Prozesse sehen muss, als eine Angelegenheit von Generationen. Die Gastarbeiter von vor ca. 50 Jahren sind heute normaler Teil der Deutschen Gesellschaft; in weiteren 50 Jahren wird es vermutlich eine weitere Normalisierung geben.

MEHRHEITSGESELLSCHAFT IM WANDEL

  1. Allerdings, dies wurde auch bemerkt, erfordern solche Anpassungsprozesse Engagement auf allen Seiten. Auch die, die zur Zeit die Mehrheiten in Deutschland bilden, müssen sich immer wieder neu selbst die Frage stellen, was sind da genau die Werte, die im Gesetz, in der Verfassung stehen? Was heißt Menschenwürde und Religionsfreiheit heute? Dies ist eine Chance, die Verfassung in den Köpfen und Herzen lebendig zu halten. Der leichthändige Rückzug einer CSU auf die sogenannte Leitkultur mit christlichen Werten ist so, wie er bislang propagiert wird, historisch und inhaltlich schlicht falsch. Statt einfach Parolen in die Welt zu setzen sollte die CSU die historische Gelegenheit ergreifen, und einen entsprechenden gesellschaftlichen Diskurs beflügeln, in dem die Werte des Grundgesetzes neu erlebt und verstanden werden, statt eine kaum verstandene Leitkultur mit christlichem Standards einfach roboterhaft zu deklamieren. Das hilft niemandem.
  2. Auch unabhängig von religiösen Einflüssen befindet sich die industrialisierten Länder in einem dramatischen Struktur- und Wertewandel, der NICHT von den Religionen kommt, sondern von den empirischen Wissenschaften und den aktuellen Technologietrends. Während die Religionen sich oft bizarre Wortwechsel über Nebensächlichkeiten leisten, gibt es in der modernen Wissenschaft momentan weit und breit überhaupt keine Werte mehr, weil die Rolle des Menschen als möglichem Träger von Werten sich völlig aufgelöst hat. Der Mensch kommt wissenschaftlich so gut wie nicht mehr vor (und Religionen damit automatisch auch nicht). Zugleich lösen sich die demokratischen Strukturen von innen her auf, da technologische Entwicklungen viele klassische Grundwerte (z.B. Privatheit, individuelle Freiheit)  weitgehendschon  aufgelöst haben, und die Politik unter dem Motto ‚Sicherheit‘ dabei ist, mehr und mehr Freiheiten zu opfern. Zugleich grassiert ein Lobbyismus, der die normalen demokratischen Prozesse ab absurdum führt. Das ist ein Wertewandel, der an die Substanz geht; ob Religion hier eine Rolle spielen  könnte, ist fraglich; sicher nicht in jener Form der Vergangenheit, die sich durch Machtintrigen und fundamentalistisches Denken unglaubwürdig gemacht hat…. (ein gewisser Jesus von Nazareth starb damals (so heißt es) freiwillig am Kreuz, ohne Rekurs auf Machtmittel …)

DEN BLICK ETWAS AUSWEITEN

Vereinfachter Überblick zur Entstehungszeit der großen Religionen der Welt mit wichtigsten Aufspaltungen
Vereinfachter Überblick zur Entstehungszeit der großen Religionen der Welt mit wichtigsten Aufspaltungen
  1. Vielleicht könnte es in solch einer Situation auch hilfreich sein, nicht immer nur über Details einer Religion zu sprechen, ohne historische Kontexte. Stattdessen könnte man mal die Gesamtheit der Religionen in den Blick nehmen (siehe vereinfachendes Schaubild), ihre Entstehungen, die Vielzahl an Motiven, die bei der Gründung und den vielen Aufspaltungen eine Rolle gespielt haben. Auffällig ist auf jeden Fall, dass alle diese vielen Formen und Regeln kaum etwas mit Gott zu tun haben scheinen, dafür aber sehr viel mit menschlichen Ängsten, Wünschen, Fantasien, Bedürfnissen, vor allem mit blanker Macht.
  2. Falls Religion irgendwie für die Menschen (und das Leben überhaupt wichtig sein sollte), dann wäre heute ein guter Zeitpunkt, sich dieser Frage unvoreingenommen zu widmen, quer zu ALLEN Religionen, unter Einbeziehung ALLER wissenschaftlicher und kultureller Erkenntnisse. Dass die aktuellen Religionen möglicherweise NICHT authentisch sind, kann man daran ablesen, wie wenig sie bereit und fähig sind, eine friedliche Zukunft für ALLE Menschen zu denken und zu praktizieren, in der der Respekt vor JEDEM Menschen grundlegend ist. Es gibt keinen Automatismus für eine gelungene Zukunft. Aber ohne eine gemeinsame Lösung jenseits von Diktaturen, Gewalt und dogmatischem Wissen wird die Zukunft nicht gelingen.
  3. Was ist mit jenen gesellschaftlichen Systemen mit selbsternannten großen Anführern, wenn diese (in absehbarer Zeit) sterben? Eine Gesellschaft, die auf der Vergöttlichung einzelner sterblicher Individuen setzt hat keine wirklich nachhaltige Lebenskraft, und Sicherheit ohne Freiheit gleicht einer Todeszelle; das Ende ist sehr absehbar.

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