Archiv für den Monat: März 2017

SUPERINTELLIGENZ – JUSTIERUNG DES PROBLEMS

KONTEXT

  1. Das Thema Super-Intelligenz wurde in diesem Blog schon öfters angesprochen, nicht zuletzt sogar wie ein Buchprojekt behandelt. Irgendwie habe ich es als wichtig angesehen, aber irgendwie auch nicht so richtig. So hatte ich nach einer ersten Querlektüre des Buches von Nick Bostrom ‚Superintelligence‘ vor etwa einem Jahr dieses wieder beiseite gelegt als nicht wirklich weiter führend.
  2. Die Tage sah ich eine Dokumentation, in der Nick Bostrom mit einem Statement vorkam, in dem er ausdrückte, dass für ihn die Frage der möglichen technischen Superintelligenz eine entscheidende, ja geradezu existentielle Frage sei: wenn dies stattfinden würde – und er war sich sicher, dass der Tag kommen wird – dann sei es um uns Menschen, um den homo sapiens, geschehen.
  3. Es ist schwer, die Ernsthaftigkeit eines Menschen nur von solch einem einzelnen Statement aus zu beurteilen, aber irgendwie wirkte Bostrom bei diesem Statement sehr ernst, fast betroffen. Ob er es wirklich war … es ist offen, jedenfalls reichte dieser Moment aus, um bei mir dies Thema nochmals zu triggern. Denn, in der Tat, rein rational, wenn tatsächlich irgendwann einmal eine technische Superintelligenz realisiert würde, als Algorithmus, der auf irgendwelcher Hardware läuft, dann werden wir Menschen es schwer haben, vorausgesetzt, wir haben uns bis zu diesem Zeitpunkt nicht weiter verändert.
  4. Und dies war (und ist) für mich der neue Gedanke: ja, eine mehr als menschliche Superintelligenz wäre ein gefährlicher Quantensprung und zugleich die Frage: kann der Mensch, der homo sapiens sich nicht weiter entwickeln, so weit, dass er diese Superintelligenz konstruktiv nutzen könnte?

BISHERIGE EVOLUTION BIS HOMO SAPIENS

Die Kondensierung von matrieller Komplexität über Materie, biologischer Zelle, Systemen von Zellen, homo sapiens (hs), hin zu einer biologischen Population, die sich aufgrund der Geistigkeit kulturell und technologisch in eine Vielzahl von Gesellschaften ausgeformt hat. Durch neue Informationstechnologien und künstliche Intelligenz kann die Späre des Wissens (Noos-Sphäre) erweitert werden
Die Kondensierung von matrieller Komplexität über Materie, biologischer Zelle, Systemen von Zellen, homo sapiens (hs), hin zu einer biologischen Population, die sich aufgrund der Geistigkeit kulturell und technologisch in eine Vielzahl von Gesellschaften ausgeformt hat. Durch neue Informationstechnologien und künstliche Intelligenz kann die Späre des Wissens (Noos-Sphäre) erweitert werden
  1. Schaut man sich die Entwicklung des homo sapiens in evolutionärer (und dann auch historischer) Sicht an, dann repräsentiert der homo sapiens ja als homo sapiens eine fantastische Entwicklung von einer ersten einfachen Zelle über komplexe Zellen, zu Zellverbänden, Systemen von Zellen, Systeme mit Gehirn und Bewusstsein, mit Sprache, Kultur, Technologie, ja gar künstlicher Intelligenz. Dies bedeutet, dass der homo sapiens selbst eine Demonstration von fast unfassbaren Veränderungsprozessen ist.
  2. Was man am homo sapiens und den Gesellschaftssystemen mit dem homo sapiens als Mitglied ablesen kann, sind mindestens vier unterschiedliche Niveaus von Wissen: (i) Wissen im Format von DNA-Molekülen eingebettet in eine reproduktionsfähige Zellstruktur; (ii) Wissen im Format von Nervensystemen, die als Gehirne zu komplexen Signalverarbeitungen und Mustererkennungen fähig sind; (iii) Gehirne mit Bewusstsein, die zu symbolischer Kommunikation und komplexen Interaktionen fähig sind (Werkzeuge, Kultur, Technik…); (iv) Künstliches Wissen in Form von Algorithmen in Verbindung mit geeigneter Hardware (analog der DNA-Molekül Struktur einer Zelle mit den Reproduktionsmechanismen).
  3. Die Kombination von (i) bis (iv) stellt eine Transformationsleistung dar, innerhalb deren biologische Strukturen sich in alternativen Wissensformen repräsentieren und verändern können, mehr noch: sie können anders und schneller Eigenchaften der umgebenden Welt aufgreifen, anordnen, kombinieren, um sich so noch besser an die Umgebung anpassen zu können.
  4. Dabei gibt es eine Asymmetrie: während das biologische Wissen sich nur sehr langsam (und eher blind, per Zufall) verändern kann, bietet die technologische Dimension die Möglichkeit, Wissen im Sekundentakt zu akkumulieren, zu strukturieren, neu zu kombinieren, auszutesten, und reale Veränderungen anzustoßen. Diese technologische Veränderungsgeschwindigkeit ist dem neuronalen letztlich haushoch überlegen.
  5. Die Menschheit erlebt aktuell, wie die Verfügbarkeit von technologischem Wissen das eigene Leben in nahezu allen Dimensionen anreichern kann, damit verändert, und fast wie ein Traum erscheint, wenn nicht gerade der eigene Arbeitsplatz weg rationalisiert wird.
  6. Man kann sich aber an seinen fünf Fingern abzählen, dass diese technische Form von Wissen (maschinelle Intelligenz), sollte sie sich vom Menschen emanzipieren können, indem sie ihre eigene Entwicklung steuern könnte, sich mit einer rasenden Geschwindigkeit von Menschen entfernen kann.

TECHNISCHE SUPERINTELLIGENZ

Der homo sapiens hat eine Geistigkeit ausgebildet, die ihn in die Lage versetzt, in Kooperation mit anderen komplexe theoretische Modelle zu entwickeln, die dann in Form von Maschinen real existieren können. Er kann Maschinen bauen, die möglicherweise genau so intelligent sind wie er selbst. Diese intelligente Maschinen können möglicherweise intelligenter werden als er selbst. Die Reproduktionsrate von Maschinen kann schneller sein als die von biologischen Systemen.
Der homo sapiens hat eine Geistigkeit ausgebildet, die ihn in die Lage versetzt, in Kooperation mit anderen komplexe theoretische Modelle zu entwickeln, die dann in Form von Maschinen real existieren können. Er kann Maschinen bauen, die möglicherweise genau so intelligent sind wie er selbst. Diese intelligente Maschinen können möglicherweise intelligenter werden als er selbst. Die Reproduktionsrate von Maschinen kann schneller sein als die von biologischen Systemen.
  1. Da davon auszugehen ist, dass – mit Blick auf den aktuellen Technologiestand – die Abhängigkeit aller technischen Systeme von Algorithmen ins schier unmessbare steigen wird, wird eine technische Superintelligenz im Nu alle technischen Systeme durchdringen und beherrschen können (wenn heute schon Hacker überall eindringen können, weitgehend gefördert durch nationale Geheimdienst, dann wird eine technische Superintelligenz dies mit Links erledigen (zumal die Geheimdienste die Softwaretechnologien unter dem Vorwand der Sicherheit systematisch durchlöchern, um selbst Kontrolle behalten zu können; genau diese Löcher werden die ersten Einbruchstellen der möglichen Superintelligenz sein!)). Dieses Ereignis wird sich nicht mehr rückgängig machen lassen. Rein praktisch könnte man zwar versuchen, alle Maschinen abzuschalten, aber abgesehen davon, dass ja auch das Abschalten heute weitgehend einer algorithmischen Kontrolle unterliegt, würde eine solche umfassende Abschaltung aller algorithmisch gesteuerten technischen Systeme das gesellschaftliche System des homo sapiens völlig zum Erliegen bringen. Vollständiges Chaos innerhalb von Stunden wäre das Ergebnis. Nichts würde mehr funktionieren. Der homo sapiens wäre blitzschnell zurück in an seinem Ausgangspunkt in Afrika, allerdings mit dem Nachteil, das keiner mehr wüsste, wie man in solch einer Situation überlebte. Eine Steinzeit kannte vielleicht nur 100.000 Exemplare des homo sapiens weltweit; viele Milliarden könnten diese einfachen Systeme nicht ernähren.

WELCHE KONSEQUENZEN DEUTEN SICH AN?

  1. Angesichts dieser Perspektive muss man sich vielleicht ernsthaft der Frage stellen (und das meine ich auch im Statement von Bostrom mitgehört zu haben), wie wir uns als Menschen auf dieses Ereignis vorbereiten wollen.
  2. Mit Blick auf die Leichtigkeit, wie menschliche Hacker und Geheimdienste heutige algorithmische Technologien unterlaufen und unter ihre Kontrolle bringen, wäre eine Strategie, die auf Abschottung (ABSCHOTTUNG) setzt, vermutlich wenig aussichtsreich. Eine potentielle technische Superintelligenz würde diese Löcher im Handumdrehen aufspüren und für ihre Zwecke nutzen.
  3. Die Idee, eine potentielle technische Superintelligenz grundsätzlich zu verhindern (VERHINDERN), erscheint auch nicht überzeugend. Das Machtinteresse der Menschen (und die forschende Neugierde) ist so stark, dass irgendwer irgendwo es probieren wird. Wenn es passiert, wird es niemand mehr stoppen. (Eine spezielle Variante wäre, dass es mehr als eine potentielle technische Superintelligenz geben wird, die sich bekämpfen. Das würde uns Menschen aber nicht wirklich helfen).
  4. Bliebe als weitere Möglichkeit noch, dass der homo sapiens sich selbst – mit Unterstützung von technischer Intelligenz ?! – so weit verändert, dass er eine potentielle technische Superintelligenz konstruktiv nutzen könnte (WEITERENTWICKLUNG). Ein schöner Gedanke, aber wie realistisch ist er?
  5. Die atemberaubende bisherige Evolution zeigt, zu welch unfassbaren Veränderungen das biologische Leben fähig war. Wenn man aber die Entwicklung nicht mit den Augen des homo sapiens betrachtet sondern mit den Augen eines – idealisierten – Beobachters von ‚außerhalb‘ (spielerisch hier), dann könnte man auch zu der Arbeitshypothese kommen, dass der homo sapiens möglicherweise im Rahmen der biologischen Evolution nur einen ‚Zwischenstation‘ ist/ war. Will sagen, der homo sapiens markiert zwar eine bemerkenswerte Phase in der biologischen Evolution, aber möglicherweise nicht als Endpunkt, sondern als Durchgangsstation für eine Superintelligenz, die ab dann die Kontrolle der Entwicklung übernehmen wird.
  6. Welche der möglichen Zukünfte ‚wahr‘ sein wird, wird sich unausweichlich zeigen. Wenn es in ein paar Jahrzehnten (oder auch in ein paar Jahrhunderten weiter; was spielt dies für eine Rolle) eine technische Superintelligenz geben wird, mit der die Menschheit nicht mehr mithalten kann, beantwortet sich die Frage von selbst.
  7. Die interessanten Fragen sind also, ob es (i) an der technische Superintelligenz irgendetwas gibt, was sie letztlich doch aus Sicht des homo sapiens verwundbar oder steuerbar macht, oder (ii) ob der homo sapiens in der Lage ist, sein eigens Veränderungspotential ausreichend und schnell genug zu nutzen.
  8. Grundsätzlich hat der homo sapiens drei mögliche Veränderungsdimensionen: (i) Veränderung seiner Erbanlagen in Richtung von mehr Leistungsfähigkeit; (ii) Entwicklung leistungsfähiger Prothesen und Implantate; (iii) Nutzung von technischer Intelligenz für die persönliche Leistungssteigerung (nicht in der Cloud, sondern als Teil der individuellen Person, die allerdings mit der Cloud interagieren kann).
  9. Mit diesen Fragen im Blick werde ich jetzt das Buch von Bostrom (2014, Superintelligence) nochmals in Ruhe durchgehen, und prüfen, wie er diese Fragen beantwortet. Dann sehen wir weiter.

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NUR EIN SOUND MIT STIMME – ZEITALTER DER KÜNSTLICHEN INTELLIGENZ – Prolog

Dies ist nur ein Sound mit einer Stimme:

Empfohlen: Guter Kopfhöer oder Soundanlage; entspannte Haltung wäre günstig, Augen geschlossen? Dauer ca.18 Min … Man muss aber nicht. Menschen müssen grundsätzlich nicht, sie können …

 

Fortsetzung (8.4.2017): Gedanken ohne Stimme

 

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INDIVIDUUM ALS BINDEGLIED ZWISCHEN BIOLOGISCHEM UND SOZIALEM – Nachtrag

  1. Nach den beiden vorausgehenden – nicht gerade leicht lesbaren – Beiträgen zum Versuch einer Periodisierung der biologischen Evolution anhand eines frei gewählten Komplexitätskriteriums, schälte sich heraus, dass die Besonderheiten des Biologischen sich mit bloßen systemtheoretischen Strukturen nicht fassen lässt. Man kann zwar eine bestimmte Form von Komplexität sichtbar machen, aber das empirisch vorkommende Phänomen des Biologischen kann man auf diese Weise kaum fassen

    Das Individuum als Bindeglied zwischen der biologischen und der sozialen Dimension
    Das Individuum als Bindeglied zwischen der biologischen und der sozialen Dimension
  2. Das Biologische involviert vom Start weg komplexe Kontexte (Erde, Sonnensystem, Galaxie, Universum) und innerhalb des Kontextes Erde sind vom Start weg viele Dimension gleichzeitig wirksam (Eigenschaften der Atome und Moleküle, Umgebungsbeschaffenheiten (Meer, …, Temperaturen, …), Energieverfügbarkeit, chemische Gradienten, Magnetfelder, …). Von Beginn an sind es außerdem komplexe physikalisch-chemische Prozesse, die Prozessumgebungen bereitstellen, innerhalb deren dann eben chemische Prozesse ablaufen können, die zu ihrer eigenen Kodierung und Reproduktion führen. Das ist in vielfacher Hinsicht bemerkenswert, erstaunlich, schwer fassbar, aber, wie sich zeigt, extrem effektiv.
  3. Die Selbstkodierung von Prozessen inklusive Reproduktionsmechanismen führt zu einer ersten generischen Wissensmaschine (genannt Zelle), die schon auf dieser Ebene das Potential hat, die Menge aller verfügbaren Veränderungen der aktuellen Umgebung zu lernen und kontinuierlich weiter zu entwickeln! Zunächst ist die aktuelle Umgebung – nach heutigem Kenntnisstand – der Ozean; später kam das Land hinzu und dann auch die Luft.
  4. Die biologische Ära des Lebens war aber gebunden an den Wissensspeicher DNA und jene molekularen Mechanismen, diese zu dekodieren, die dekodierten Informationen chemisch in neue Zellstrukturen zu transformieren. Eine Steigerung der Leistungsfähigkeit war lange nur möglich über die Kooperation von Zellen untereinander. Dies verlangte eine effektive Kommunikation zwischen Zellen. Wenn man weiß, wie schwer sich zwei Menschen tun können, sich selbst über die einfachsten Dinge zu einigen, dann kann man versuchen zu ahnen, was es bedeutet, dass die biologischen Zellen es geschafft haben, im menschlichen Körper ca. 150 Galaxien an Zellen (vom Format der Milchstraße) dazu zu bringen, miteinander im Millisekundenbereich miteinander so zu kooperieren, dass es für Außenstehende aussieht, als ob da ein geschlossenes System auftritt (ein Mensch kann sich so fokussieren, dass er eine Zeitlang nur spielt, oder Musik hört, oder zeichnet oder jemandem zuhört oder Klavier spielt oder …), und während dieser Zeit machen Milliarden, Billionen von Zellen irgendwelche anderen Dinge, aber so, dass diese eine Tätigkeit nicht gestört wird.
  5. Nach fast 13.8 Mrd Jahren Weltzeit und ca. 3.8 Mrd Jahren biologischer Zeit gab es dann spätestens mit dem homo sapiens eine Lebensform, deren Gehirn die Fähigkeit zum subjektiven Bewusstsein ausgebildet hatte, mittels dem biologische Systeme mit einem Mal auf einer abstrakt-virtuellen Ebene mit anderen biologischen Systemen unabhängig vom DNA-basierten Wissen aktuelle Ereignisse wahrnehmen, abstrahieren, speichern, erinnern, verändern, kombinieren und mittels zeichenbasierten Systemen akut kommunizieren konnten.
  6. Das eröffnete eine völlig neue Ebene der Wirklichkeitswahrnehmung und deren potentielle Veränderung. Mit einem Mal dauerten Veränderungen nicht mehr viele Generationen der Reproduktion, sondern nun diktierte die Geschwindigkeit des Denkens (Lernen, Planen, …) und kommunikativ vermittelten Kooperierens den Takt möglicher Veränderung.
  7. Während die moderne Physik den Begriff des ‚Wurmlochs‘ erfunden hat, um eine mögliche Verbindung zwischen zwei Universen beschreiben zu können, ist hier ein neuer Typ von biologischem System in der Lage, von den starren Strukturen des molekularen Wissens durchzutunneln zu den flexiblen Strukturen abstrakt-virtuellen Wissens.
  8. Die molekulare Maschinerie des Körpers hat sich mit dem Gehirn und darin der Struktur des Bewusstseins eine Möglichkeit geschaffen, molekular-biologisch verankert zu sein und zugleich einen anscheinend ungehemmten Blick in die Gegenwart, die Vergangenheit und die Zukunft aufbauen zu können.
  9. Die konkrete Empirie eines homo sapiens Körpers zeigt zwar viele konkrete, endliche Rahmenbedingungen im Bereich des Wahrnehmens, Speicherns, Erinnerns, Vorstellens usw., doch die generische Struktur dieser Art des Wissens lässt sich mit technischen Vorrichtungen in viele Richtungen verstärken (künstliche Sensoren und Aktoren, technische Wissensspeicher und Rechenvorrichtungen, Algorithmen zur Fixierung wichtiger Prozesse …). Damit folgt der Revolution durch den homo sapiens als virtuellem Wissensprozessor sehr schnell eine ganze Wolke von technischen Revolutionen, die den Bereich des virtuellen Wissens explosionsartig ausdehnen lassen.
  10. Hatte der homo sapiens für einen Wimpernschlag der Universalgeschichte die Vision des Individuums als zentraler Bezugsgröße angedacht, so stellt er sich mit seinen eigenen Erfindungen selbst radikal in Frage: der generische virtuelle Wissensraum, der potentiell alles Materielle verändern kann, kennt keine Individuen. Was ist mit dem Individuum von Typ eines homo sapiens? War dies nur ein extrem kurzer Traum oder steht das biologische Leben vor seiner nächsten großen Entdeckung? Alle bekannten sogenannten Religionen sind aus Sicht des modernen Wissens ‚Wissensschrott‘; sie stimmen vorne und hinten nicht; war es das mit einem potentiellen Schöpfer-Gott oder haben wir wichtige Dinge einfach noch nicht gut genug verstanden?
  11. Da wir fast alles noch kaum verstehen, nur ansatzweise, fragmentarisch, müssen wir bereit sein, dass neue Erkenntnisse alles, was wir bisher kennen, nochmals komplett auf den Kopf zu stellen oder von innen nach außen drehen oder …. Das Tröstliche an allem ist, wir sind keine ‚Fremden‘ in diesem Prozess; wir alle sind Teil dieses unfassbaren Lebensprozesses, wir sind ‚ins Spiel gebracht worden‘, wir erleben es, können handeln auch wenn es so unfassbar unbedeutend erscheinen mag. Selbst die größten Diktatoren einer Zeit oder die größten egoistischen Kapitalisten haben keine wirkliche Chance, wenn sie gegen den Prozess arbeiten. Bildung mit wahrem Wissen und Kommunikation sind die zentralen Treiber des Lebens. Die Zukunft beginnt immer jetzt, in diesem Moment. Jetzt entscheiden wir, wo wir morgen stehen werden. Wer nach hinten schaut oder bewahren will, was jetzt ist, hat schon verloren.

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DIE ZUKUNFT WARTET NICHT – 2117 – PHILOSOPHISCHE WELTFORMEL – Teil 4 – MIND-GEIST …

KONTEXT

  1. Diesem Beitrag ging ein Blogeintrag voraus mit einer einleitenden methodischen Reflexion sowie die Identifizierung einer ersten Periode im Phänomen des biologischen Lebens auf der Erde.Periodisierung der biologischen Evolution nach speziellen Kriterien. Siehe Text.

UR-GEDÄCHTNIS, ABSTRAKTES WISSEN

  1. Ein wichtiger Punkt der ersten Periode des biologischen Lebens ist jene Struktur, welche erstmalig im Universum die Überwindung der Gegenwart durch eine gedächtnishafte Kumulierung von Eigenschaften und Beziehungen (Speichermolekül, Bauplan, Genom…) erlaubt, wodurch die Erfolge der Vergangenheit in die aktuelle Gegenwart hinein wirken können.
  2. Die Herrschaft des Augenblicks wird damit ansatzweise überwunden. Nicht mehr das aktuell Faktische (‚Seiende‘) ist die eigentliche Wahrheit,  sondern erinnerte Eigenschaften und Beziehungen werden zu einer höheren Wahrheit, einer Wahrheit zweiter Ordnung; das Abstrakte und darin Virtuelle erweist sich als die bessere Aussage über die Gegenwart. Das gegenwärtig Stattfindende, aktuell in die Sinne Springende, ist nur ein Aspekt an einem dynamischen Geschehen, das als Geschehen mehr von der Wirklichkeit, vom Leben enthüllt, als das jeweils aktuell Seiende.
  3. Rückblickend gewinnt damit der Prozess, der zur Entstehung der ersten Zelle führte, ein eminent philosophische Bedeutung: wie konnte die sogenannte tote und dumme, schlichtweg die geistlose Materie, in der Lage sein, im Meer der Atome und Moleküle auf der frühen Erde eine Prozessumgebung bereit zu halten, in der sich chemische Prozesse so abspielten, dass nicht nur neue Energieumwandlungs- und -nutzungskonzepte entstehen konnten, sondern zugleich der Prozess sich selbst in Form eines Moleküls so kodiert, dass er sich bei der Selbstreproduktion auch wieder dekodieren konnte. Für die molekularbiologischen Details dieses komplexen Prozesses sei auf entsprechende Literatur verwiesen (Neben z.B. Christian de Duve sei noch vierwiesen auf The Origin and Nature of Life on Earth: The Emergence of the Fourth Geosphere. Cambridge University Press, 2016, Smith, Eric and Morowitz, Harold J.). Philosophisch entscheidend ist  letztlich, was durch diese komplexen Prozesse an wirkender Struktur und Funktionalität oberhalb der molekularen Ebene entstanden ist, welche die sich selbst reproduzierende Zelle mit einer ersten Form von Wissen ausgestattet haben.

UR-AUTOMAT, UR-ALGORITHMUS

  1. Die Besonderheit dieses ersten Wissens (‚Proto-Wissen‘, ‚Ur-Wissen‘…) liegt in seinem algorithmischen Charakter: im Wechselspiel mit den dekodierenden Elementen einer Zelle zeigen diese Strukturen eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Konzept der Turingmaschine, das 1936 von Alan M.Turing entdeckt wurde, um das Phänomen der Berechenbarkeit zu beschreiben. Wie sich herausstellte, lassen sich alle Computer, die zeitlich nach Turing als reale Maschinen entwickelt wurden, bislang mit dem abstrakten Konzept der Turingmaschine beschreiben. [ANMERKUNG: Dass die neu entwickelten Quantencomputer von diesem Konzept abweichen, müsste erste noch bewiesen werden. Denn dass Prozesse ‚sehr schnell‘ sind, ‚parallel‘ stattfinden, und mehr als nur ‚zwei Zustände‘ kennen, sprengt das mathematische Konzept der Turingmaschine nicht notwendigerweise.]
  2. Diese Strukturähnlichkeit des Automatenkonzepts mit den elementaren Wissensnutzungskonzepten der ersten biologischen Zellen (und dann natürlich aller NachfolgerInnen) ist philosophisch von Interesse. Es legt die Vermutung nahe, dass das moderne algorithmische Informationsverarbeitungskonzept möglicherweise eine elementare Eigenschaft des biologischen Lebens selbst anzeigt, das ja nicht in einzelnen isolierten Komponenten besteht, sondern als ein dynamischer Zusammenhang auftritt, der auf der Basis der Eigenschaften der Materie in der Lage ist, solche Prozesse zum Laufen zu bringen, in denen sich dynamische Eigenschaften des Universums in geeignete abstrakte Kodierungen übersetzen lassen, die wiederum zu Befehlsketten für neue Prozesse werden können.

UR-ZEICHEN, UR-SEMIOTISCHER AKTEUR

  1. Mit Blick auf den weiteren Fortgang der biologischen Evolution ist auch noch folgender Perspektivwechsel von Interesse. Die Kodierung von Realität in eine repräsentierende Struktur mittels eines Materials für die Codeelemente (hier: Atomverbindungen im Kontext eines Moleküls) und die Dekodierung der im Material angeordneten Codeelemente mittels einer Dekodierungsvorschrift, kann man auch als semiotischen Prozess verstehen: die zu kodierende (auch prozesshafte) Realität bildet dann die Bedeutung (‚meaning‘), die in einem Zeichenmaterial (die Codeelemente) repräsentiert wird, und der Zusammenhang zwischen Zeichenmaterial und Bedeutung wird über eine Bedeutungsbeziehung hergestellt, welche immer eine prozesshafte Instanz sein muss, die sowohl die Kodierung wie auch die Dekodierung leisten kann. Innerhalb einer realisierten Bedeutungsbeziehung erscheint das Zeichenmaterial dann als Zeichen für die Bedeutung und umgekehrt wird die bezeichnete Realität zur Bedeutung des Zeichens.
  2. Außerhalb der Bedeutungsbeziehung gibt es weder Bedeutung noch Zeichen. Zeichen und Bedeutung sind an eine prozesshafte Instanz gebunden, durch die diese Beziehung generiert und realisiert wird. Nennt man jene prozesshafte Instanz, die Zeichenbeziehungen ermöglicht, einen semiotischen Akteur, dann ist die erste biologische Zelle der erste semiotische Akteur des Universums. Das Prozessmodell, das hier zum Tragen kommt ist – jenseits der molekularbiologischen Perspektive – das eines Automaten, das einer Turingmaschine, und damit repräsentiert die biologische Zelle – in philosophisch formaler Sicht – den ersten algorithmischen semiotischen Akteur des Universums.
  3. Zum Zeichenkonzept gehört auch, dass es konventionell ist: es ist beliebig, welches Ausdrucksmaterial die Prozessinstanz welchen möglichen Realitäten zuordnet. Das Beschränkende daran ist, dass die Zeichenbeziehung, die dann faktisch eingerichtet wurden, spezifisch sind: alle semiotischen Akteure, die die gleiche Zeichenbeziehung benutzen wollen, müssen sich bezüglich der Zeichenbeziehung koordinieren. Das Entgrenzende an einer Zeichenbeziehung ist, dass sie im Prinzip die gesamte Realität in sich aufnehmen kann. Durch einen semiotischen Prozess kann man die empirische Realität in eine abstrakt-virtuelle Realität transformieren und dabei zugleich verändern. Die veränderte virtuelle Realität kann dann dazu benutzt werden, um die empirische Realität im Hinblick auf mögliche zukünftige empirische Zustände zu befragen und neue Varianten voraus zu denken.
  4. Die Verfügbarkeit einer Zeichenbeziehung gibt damit einem individuellen System eine potentiell unbegrenzte Macht zum Verändern. Andererseits funktioniert dies nur, wenn der semiotische Akteur nicht alleine agiert, sondern als Teil einer Kollektion von semiotischen Akteuren. Jeder kann zwar die Zeichenbeziehung für sich ändern, sie gehört aber niemandem alleine. Es ist ein kollektives Wissen, das sich den einzelnen schafft und durch die Aktivität des einzelnen partiell, graduell modifizierbar ist.
  5. In der Phase der ersten semiotischen Revolution des Lebens wurde die Einheit der Zeichenbeziehung gewahrt durch die gemeinsame Nutzung der RNA- und DNA-Moleküle samt deren molekularen Kodierungs- und Dekodierungsstrukturen, die allen Zellen gleich sind. Und diese gesamte Zeichenstruktur war realisiert als eine universelle Turingmaschine.

 

REPRÄSENTATIONSPROBLEME

 

  1. Man kann sich fragen, in welcher Weise sich diese biologisch vorfindbaren Strukturen und Dynamiken im bisherigen Komplexitätskonzept identifizieren lassen? Wie lässt sich eine algorithmische semiotische Prozessstruktur mit Gedächtnis systemtheoretisch fassen? Was sagen schon Input-Output Mengen, interne Level, mit Blick auf solch komplexe Eigenschaften?
  2. Zeitlich punktuelle und beziehungsmäßig isolierte repräsentierende Strukturen können offensichtlich Phänomene, die sich in der Zeit erstrecken und in Wechselwirkungen stattfinden, nicht angemessen repräsentieren. Dazu kommen semiotische Eigenschaften und auch Erfolgskriterien der empirischen Systeme, die sich neben der Zeit auch in übergeordneten Strukturen repräsentieren (wenn überhaupt).
  3. Zusätzlich gibt es das Phänomen der Strukturveränderung STR im Laufe der Zeit, die zugleich einhergeht mit Verhaltensänderungen f. Und diese Veränderungen erfolgen nicht isoliert, sondern in einem Feld anderer Strukturen {<STR1,f1>, …, <STRn,fn>}(t1) ==> {<STR1,f1>, …, <STRn,fn>}(t1+1) und von Umgebungskontexten {C1, …, Cn}(t1)==> {C1, …, Cn}(t1+1) , die sich mit verändern.
  4. Jede einzelne biologische Struktur ist zudem Teil einer übergreifenden biologischen Population POP, die einen ähnlich kodierten Wissensspeicher G teilt, also POP = {Menge aller STRi für die gilt, dass ihr kodiertes Wissen Gi zur einer Ähnlichkeitsklasse Gi gehört}.
  5. Hier deuten sich komplexe Vernetzungsstrukturen in der Zeit an, die in dem bisherigen Komplexitätskonzept nicht befriedigend repräsentiert sind.
  6. Mit diesen ungelösten Fragen im Hinterkopf stellt sich die weitere Frage, welche der nachfolgenden Ereignisse in der biologischen Evolution eine weitere Steigerung der Komplexität manifestieren?

 

GEHIRN – BEWUSSTSEIN – GEIST

 

  1. Man kann beobachten, wie biologische Zellen sich in nahezu alle Lebensbereiche der Erde ausbreiten: im Meer, im Sediment, auf Land, in der Luft, in heißen und kalten Umgebungen, ohne und mit Sauerstoff, in immer komplexeren Verbänden von Zellen, mit immer komplexeren Strukturen innerhalb der Verbände, mit komplexer werdenden Kooperationen aufgrund von Kommunikation, als Pflanzen und Tiere, als Einzelgänger arbeitend, in Gruppen, Schwärmen, ganzen ‚Staaten‘, mit immer komplexeren Sprachen, mit Schriftsystemen, mit immer komplexeren Werkzeugen, …
  2. … die äußerlich beobachtbaren immer komplexer werdenden Verhaltensweisen korrelieren mit einer zunehmenden Verdichtung der internen Informationsverarbeitung mittels spezialisierter Zellverbände (Nervensystem, Gehirn). Die aktuelle Wahrnehmung der eigenen Körperzustände wie Eigenschaften der Umgebung wurde immer differenzierter. Die Informationsverarbeitung kann Wahrnehmungsereignisse abstrahieren, speichern und erinnern... Im Erinnerbaren lassen sich Unterschiede und Veränderungen erkennen, darin Beziehungen, zugleich kann Gegenwärtiges, Erinnertes neu kombiniert (Denken, Planen) werden. Dazu entwickelt sich die Fähigkeit, aktuell Wahrgenommenes symbolisch zu benennen, es mit anderen zu kommunizieren. Dies erschließt neue Dimensionen der Orientierung in der Gegenwart und über die Gegenwart hinaus.
  3. Wichtig ist, dass man diese neuen Fähigkeiten und Leistungen nicht direkt am Nervensystem ablesen kann (obgleich dies immer größer und dichter wird), sondern nur über das beobachtbare Verhalten, über die Wechselwirkungen mit anderen Systemen und der Umgebung. So ist das Gehirn von Säugetieren strukturell systemisch nicht wirklich verschieden, aber die Verhaltensweisen der jeweiligen Systeme im Verbund sind markant anders.
  4. Dies deutet auf eine neue Form von Dualität (oder wie andere vielleicht sagen würden), von Dialektik hin: die zunehmende Komplexität des Verhaltens korrespondiert mit einer entsprechend anwachsenden komplexen Umgebung, die ihre empirische Fundierung im Körper, im Gehirn zu haben scheint, aber andererseits kann sich diese Komplexität nur entfalten, nur zeigen, nur manifestieren, in dem Maße, wie diese äußere Komplexität empirisch verfügbar ist. Von daher ist es möglicherweise fruchtlos, zu fragen, was hier Ursache für was ist: das Gehirn für die Umgebung oder die Umgebung für das Gehirn. Manche sprechen hier ja auch von Ko-Evolution. Entscheidend ist offensichtlich der Prozess, durch den sich diese Wechselbeziehungen entfalten und wirken können. Dies impliziert, dass die beteiligten Strukturen plastisch, veränderlich sind.
  5. In der klassischen Philosophie nannte man ein komplexes Verhalten dieser Art ‚geistig‘, da man es im Organismus auf das Prinzip des Pneumas, der Psyche, des Geistes zurückführte (ohne letztlich zu wissen, was das jeweils ‚an sich‘ sein sollte). In diesem Verständnis könnte man formulieren, dass Lebensformen entstanden, deren Verhalten eine Komplexität zeigén, die man als geistig bezeichnen könnte.
  6. Dieses Aufkommen des Geistes (‚Emerging Mind‘) definiert sich damit nicht über die direkt messbaren Strukturen (Nervensystem, Struktur, Umfang,..), sondern über den Umfang der möglichen Zustände des Verhaltens, das direkt abhängig ist sowohl von den möglichen Zuständen des Gehirns, des zugehörigen Körpers, aber auch über die Gegebenheiten der Umwelt. Anders ausgedrückt, das neue Potential dieser Lebensform erkennt man nicht direkt und alleine an ihren materiellen Strukturen, sondern an der Dynamik ihrer potentiellen inneren Zustände in Wechselwirkung mit verfügbaren Umwelten. Es ist nicht nur entscheidend, dass diese Systeme symbolisch kommunizieren konnten, sondern auch WAS; nicht entscheidend alleine, dass sie Werkzeuge bilden konnten, sondern auch WIE und WOZU, usw.
  7. Es ist nicht einfach, dieses neue Potential angemessen theoretisch zu beschreiben, da eben die rein strukturellen Elemente nicht genügend aussagestark sind. Rein funktionelle Aspekte auch nicht. Es kommen hier völlig neue Aspekte ins Spiel.
  8. Für die Frage, wann ungefähr zeitlich solche Lebensformen auf der Erde auftreten, gibt es möglicherweise nicht den einen Zeitpunkt, sondern eher ein Zeitkorridor, innerhalb dessen sich unterschiedliche Phänomene angesammelt haben, die zusammen dann solch einen neuen Komplexitätshöhepunkt anzeigen. (Beginn Hominisation ca. -7 bis -5 Mio ; Migrationswellen ausgehend von Afrika (-130.000 bis -115.000 und -100.000 bis -50.000) ; Entstehung der Schrift  ca. -4000 im Gebiet des fruchtbaren Halbmonds)

 

KOEXISTENZ VON GEIST UND GESELLSCHAFT

  1. Da alle Handlungen des Menschen, die über den Augenblick hinausgehen, an seine Erinnerungs- und Denkfähigkeit gebunden sind, durch die der Augenblick in real erfahrene oder virtuell vorstellbare Zusammenhänge nach hinten und vorne eingebettet werden kann, wird man die gesamte Entwicklung komplexer Gesellschaften immer nur unter Voraussetzung einer entsprechenden Kommunikation und entsprechender Wissensmodelle verstehen können. Das verfügbare Wissen kann stabilisieren, konservieren und – im negativen Fall – blockieren, und im positiven Fall Alternativen aufzeigen, neue Möglichkeiten, Ursache-Wirkung Zusammenhänge deutlich machen.
  2. Daraus legt sich nahe, dass eine Theorie der Gesellschaft die handelnden semiotischen Akteure als Grundelemente umfassen sollte.
  3. Während eine biologische Population von Systemen durch den gemeinsamen biologischen Bauplan (realisiert im DNA-Molekül samt zugehöriger Dekodierungsstruktur) charakterisiert ist, definiert sich eine Gesellschaft von Systemen über gemeinsamen Wissensmodelle mit den zugehörigen semiotischen Prozessen (die Redeweise von den Memen, die Dawkins 1976 eingeführt hat, ist hier möglicherweise zu schwach) sowie den zugehörigen empirischen Umweltkontexten. Zu sagen, dass es eine Ko-Evolution zwischen Umgebung und Gesellschaft gibt ist zu schwach: entscheidend ist die Mikrostruktur des Prozesses und der hier wirkenden Faktoren in einem Multi-Agenten-Prozess mit Wissensanteilen und Bedeutung.

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DIE ZUKUNFT WARTET NICHT – 2117 – PHILOSOPHISCHE WELTFORMEL – FAKE-NEWS ALS TODESENGEL

NACHTRAG: Mo, 13.März 2017

Wichtiger Nachtrag zum Komplexitätsbegriff, seinen Grenzen, und erweiterte  Diskussion zur ersten Periodisierung genannt ‚Emergent Life‘ (hauptsächlich ab Nr.25)

KONTEXT

  1. Der aktuelle Blogeintrag ist keine direkte Fortsetzung des letzten Eintrags, sondern schließt gedanklich eher an den vorletzten Beitrag an und ist von daher eher als eine Einleitung zu dem Blogeintrag über das Bewusstsein zu verstehen.
  2. Welche Themen jeweils in die Feder fließen hängt von vielerlei Faktoren ab. Generell natürlich schon von den übergreifenden Perspektiven des Blogs, dann aber auch von alltäglichen Ereignissen und Diskussionen. Dass es heute nun zu diesem sehr grundsätzlichen Beitrag gekommen ist, ist u.a. den intensiven Diskussionen mit Manfred Fassler geschuldet, der aufgrund seines Hintergrundes in Soziologie und Anthropologie die gesellschaftliche Dimension stark in die Überlegungen einbringt, während ich mich meist auf systemische Perspektiven fokussieren. Als ich versucht habe (während ich durch meine Grippe weitgehend ausgeschaltet war (und immer noch bin)), seine Aspekte mit meinen Überlegungen zusammen zu bringen, entstand schrittweise eine Struktur, ein Modell, das sich darstellt wie der Beginn einer philosophischen Weltformel, mit deren Hilfe man mit einem Male viele komplexe Einzelphänomene in die Logik eines übergeordneten Zusammenhangs einordnen kann (siehe Schaubild).

    Periodisierung der Evolution des Lebens mit dem Versuch eines systematischen Kriteriums
    Periodisierung der Evolution des Lebens mit dem Versuch eines systematischen Kriteriums

WELTFORMEL

  1. Den Begriff Weltformel kennen wir ja meist nur im Kontext der modernen Physik, die mit ihren Erklärungsmodellen zu immer umfassenderen Aussagen über das Universum kommen konnte, so umfassend, dass man tatsächlich geneigt ist, von einer Weltformel zu sprechen. Nun wissen wir aber, dass diese sogenannten Weltformeln der Physik bislang noch nicht wirklich alles erklären, geschweige denn nicht all jene Phänomene, die wir dem Bereich des biologischen Lebens zuordnen und den damit verbundenen immer komplexeren Phänomenen von Verhalten und menschlichen Gesellschaften. Es besteht auch wenig Aussicht, dass die physikalischen Weltformeln jemals zu einer völlig erschöpfenden Weltformeln werden könnte, weil schon rein mathematisch eine Theorie der Welt ohne jene, die die Theorie hervorbringen, seit Gödel 1931 entweder als grundsätzlich unvollständig oder unentscheidbar gilt.
  2. Ein anderes Hindernis besteht darin, dass die Physik als empirische Wissenschaft – wie alle anderen empirischen Disziplinen auch – schon vom Start weg nur einen kleinen Teil der möglichen Phänomene dieser Welt als Ausgangspunkt zulässt. Diese vorwissenschaftlich getroffene methodische Beschränkung auf die sogenannten intersubjektiven Phänomene, die sich mittels vereinbarter Messverfahren messen lassen, und zwar invariant mit Bezug auf den, der misst, hat sich zwar im großen und ganzen als sehr leistungsfähig erwiesen, aber anzunehmen, dass sich mit dieser methodisch eingeschränkten Phänomenmenge auf lange Sicht alles erklären lassen wird, auch das, was sich hinter den ausgeschlossenen Phänomenen verbirgt, dies ist eine vor-wissenschaftliche Annahme, für die es keinerlei Belege gibt. Die Zukunft wird zeigen, wie es sich mit diesem Ausschluss verhält.
  3. Ob es also die Physik sein wird, die uns die endgültige Weltformel liefern wird, oder doch eher die Philosophie, wird uns die Zukunft zeigen. Die Philosophie hat gegenüber der Physik (und auch gegenüber allen anderen empirischen Disziplinen), den methodisch großen Vorteil, dass die Philosophie alle anderen Disziplinen voraussetzen und einbeziehen kann. So kann ein Philosoph alle Fragmente und Entwürfe von Weltformeln der Physik nehmen und dann dazu ergänzend, erweiternd, begründend seine Weltformel formulieren. Alles, was in der Physik gilt, wird dann hier auch gelten, aber eventuell noch mehr.
  4. Die Überlegungen des Autors zu den Umrissen einer philosophischen Weltformel begannen nun aber gerade nicht so, dass er sich vor den Computer gesetzt hat und sich sagte, so, jetzt wird eine philosophische Weltformel geschrieben. Nein, so würde es auch nie funktionieren. Formeln, selbst die einfachsten, sind immer Ergebnisse von Denkprozessen, mehr oder weniger bewusst, mehr oder weniger schnell. Und eine Weltformel ist, wie man vermuten kann, wenn überhaupt, das Ergebnis von vielen Jahren Arbeit mit ganz vielen Inhalten. Und wie wir wissen, Zeit und Aufwand alleine garantieren auch keine Ergebnisse; sie können die Wahrscheinlichkeit erhöhen, etwas Interessantes zu finden, aber garantieren kann man es nicht.
  5. Das Ganze fing eher unscheinbar an. Unter dem Eindruck eines Telefonats mit Manfred Fassler begann der Autor zunächst für sich, eine Skizze jener Themen zu malen, die in diesem Blog seit 2007 aufgeschlagen sind (380 Beiträge von cagent und 52 Beiträge von cagent im Kontext der Werkstattgespräche). Er überlegte sich, ob man die Themen nach bestimmten inhaltlichen Kriterien und zeitlich ‚clustern‘ könnte. Was dabei herauskam das waren diese merkwürdigen Zylinderfiguren auf der linken Seite des Bildes.

ZEITLICHE EINTEILUNGEN

 

  1. Von oben – beginnend mit dem Big Bang – bis nach unten, zur Gegenwart, haben wir eine zeitliche Erstreckung von ca. 13.8 Mrd Jahren. Eine Einteilung hängt von vorausgehenden Kriterien ab, von einem Muster, Modell, von dem man annimmt, dass es die Menge der Ereignisse sinnvoll strukturiert.
  2. Wie man aus der Skizze ersehen kann, wurde solch eine Unterteilung vorgenommen.
  3. Im ersten Anlauf wurde versucht, mit einem Begriff der Komplexität zu arbeiten. Dahinter steht die Intuition, dass es sich bei den zu beschreibenden Ereignissen um Strukturen handelt, sich sich im Laufe der Zeit bildeten und die immer dichter wurden. Die aktuelle Unterteilung markiert solche Phasen, in denen hervorstechende Komplexitätssprünge zu verzeichnen sind.
  4. Bevor auf die Details dieser Betrachtung eingegangen wird, soll aber zunächst der benutzte Komplexitätsbegriff näher erläutert werden. Dabei sei schon hier angemerkt, dass sich im weiteren Verlauf herausgestellt hat, dass der gewählte Komplexitätsbegriff viel zu schwach ist, um jene Eigenschaften zu repräsentieren, von denen die heutige Biologie, Ethologie und Anthropologie (und möglicherweise viele weitere Disziplinen) sagen würden, dass sie als ‚wichtig‘ für das Phänomen angesehen werden.

KOMPLEXITÄT

 

  1. Vorab, es gibt in der Literatur keinen einheitlichen Komplexitätsbegriff. Im Laufe der Jahre habe ich einen eigenen Begriff von Komplexität entwickelt, den ich hier kurz vorstelle. Man kann ihn dann kritisieren oder übernehmen. Im Falle von Kritik wäre ich an Argumenten interessiert, um weiter lernen zu können, ihn vielleicht weiter zu entwickeln oder letztlich doch wieder zu verwerfen.
  2. Die Frage ist immer, mit welcher mentalen Brille man die Wirklichkeit sieht. Der berühmte Pessimist sieht überall die halbleeren Gläser, der Optimist die halbvollen. Der Tierschützer sieht überall, wie die Tiere leiden, der Chemiker sieht überall chemische Verbindungen am Werke, der Immobilienmakler potentielle Kaufobjekte, und so fort.
  3. Für die Frage der Komplexität besteht eine Möglichkeit darin, sich die mentale Brille der Systeme aufzusetzen. Mit der System-Brille besteht die Welt nur noch aus Systemen. Ein System ist Etwas, das sich von seiner Umgebung unterscheiden lässt. Diese Annahme impliziert, dass es rein abstrakt zwischen diesem unterscheidbaren Etwas und seiner Umgebung Wechselwirkungen geben kann. Sofern es um Einwirkungen auf das System geht sprechen wir einfach vom Input (I) des Systems und im umgekehrten Fall, wenn das System auf die Umgebung einwirkt, vom Output (O) des Systems. Rein abstrakt, auf der begrifflichen Ebene, hat ein System demgemäß immer einen Input und Output in Wechselwirkung mit seiner Umgebung; im konkreten, empirischen Fall, kann diese Wechselwirkung so schwach sein, dass sie sich nicht messen lässt. Dann ist die Wechselwirkung leer, oder 0 = I = O.
  4. Nimmt man ein bestimmtes System S als Bezugspunkt, dann kann man sagen, dass sich das System S auf Ebene/ Level 0 befindet. Alle Systeme, die sich mit Bezug auf das System S in seiner Umgebung befinden, wären dann auf der Ebene/ dem Level +1. Alle Systeme, die sich im System S befinden, finden sich auf Ebene/ Level -1. Sollte ein System S‘ sich auf Level -1 von System S befinden, also LEVEL(S‘,S,-1), und sollte das System S‘ selbst weiter Systeme S“ enthalten, dann lägen diese auf Level -2 von System S (und auf Level -1 zu System S‘).
  5. Beispiel: Vom menschlichen Körper wissen wir, dass er sich so betrachten lässt, dass er aus einer endlichen Anzahl von Körperorganen besteht (Level -1), die wiederum aus vielen Zellen bestehen (Level -2). Hier kann man entweder weitere Subeinheiten annehmen oder betrachtet diese Zellen als nächsten Bezugspunkt, von denen wir wissen, dass jeder Körperzelle wiederum aus einer Vielzahl von Systemen besteht (Level -3). Diese Betrachtung könnte man weiter fortsetzen bis zu den Molekülen, dann Atomen, dann subatomaren Teilchen, usw. Nimmt man die Umgebung menschlicher Körper, dann haben wir auf Level +1 andere menschliche Körper, Tiere, Pflanzen, Gebäude, Autos, Computer usw. Jedes dieser Systeme in der Umgebung ist selbst ein System mit inneren Systemen.
  6. Was bislang noch nicht gesagt wurde, ist, dass man anhand der Inputs und Outputs eines Systems sein Verhalten definiert. Die Abfolge von Inputs und Outputs konstituiert eine Folge von (I,O)-Paaren, die in ihrer Gesamtheit eine empirische Verhaltensfunktion f_io definieren, also f_io ={(i,o), …, (i,o)}, wobei man mit Hilfe einer Uhr (eine Maschine zur Erzeugung von gleichmäßigen Intervallen mit einem Zähler) jedem Input- und Outputereignis eine Zeitmarke zuordnen könnte.
  7. Während empirisch immer nur endlich viele konkrete Ereignisse beobachtet werden können, kann man abstrakt unendlich viele Ereignisse denken. Man kann also abstrakt eine theoretische Verhaltensfunktion f_th über alle möglichen denkbaren Input- und Outputereignisse definieren als f_th = I —> O. Eine empirische Verhaltensfunktion wäre dann nur eine Teilmenge der theoretischen Verhaltensfunktion: f_io c f_th. Dies hat Vorteile und Nachteile. Die Nachteile sind ganz klar: theoretisch spricht die Verhaltensfunktion über mehr Ereignisse, als man jemals beobachten kann, also auch über solche, die vielleicht nie stattfinden werden. Dies kann zu einer falschen Beschreibung der empirischen Welt führen. Demgegenüber hat man aber den Vorteil, dass man theoretisch über Ereignisse sprechen kann, die bislang noch nicht beobachtet wurden und die daher für Prognosezwecke genutzt werden können. Wenn die Theorie also sagen würde, dass es ein bestimmtes subatomares Teilchen mit der Beschaffenheit X geben müsste, was aber bislang noch nicht beobachtet werden konnte, dann könnte man aufgrund dieser Prognose gezielt suchen (was in der Vergangenheit auch schon zu vielen Entdeckungen geführt hat).
  8. Rein abstrakt kann man ein System SYS damit als eine mathematische Struktur betrachten, die über mindestens zwei Mengen Input (I) und Output (O) definiert ist zusammen mit einer Verhaltensfunktion f, geschrieben: SYS(x) genau dann wenn x = <I,O,f> mit f: I → O.
  9. Rein abstrakt gilt also, dass jedes System SYS auch weitere Systeme als interne Elemente besitzen kann, d.h. Jedes System kann Umgebung für weitere Systeme sein. Nennen wir die Gesamtheit solcher möglicher interner Systeme IS, dann müsste man die Strukturformel eines Systems erweitern zu SYS(x) gdw x = <I,O,IS,f> mit f: I x IS —> IS x O. Dies besagt, dass ein System mit weiteren internen Systemen IS in seinem Verhalten nicht nur abhängig ist vom jeweiligen Input I, sondern auch vom Output der jeweiligen internen Systeme. Aus beiden Inputs wir dann nicht nur der Systemoutput O ermittelt, sondern zugleich bekommen auch die internen Systeme einen Input (der diese internen Systeme u.U. So verändern kann, dass sie beim nächsten Mal ganz anders reagieren als vorher).
  10. In welchem Sinn könnte man nun sagen, dass ein System S komplexer ist als ein System S‘ (geschrieben S >~> S‘)?
  11. Es gibt jetzt verschiedene Möglichkeiten. Einmal (i) könnte die Anzahl der inneren Ebenen (-N) ein Ansatzpunkt sein. Ferner (ii) bietet sich die Anzahl der Systeme pro Ebene (|-n| mit n in N), ihre ‚Dichte‘, an. Schließlich (iii) macht es auch einen Unterschied, wie groß die Anzahl der möglichen verschiedenen Inputs-Outputs ist, die in ihrer Gesamtheit einen Raum möglicher Verhaltenszustände bilden (|I| x |O| = |f_io|). Rein mathematisch könnte man auch noch (iv) den Aspekt der Mächtigkeit der Menge aller Systeme einer Art SYS, also |SYS|, definieren und diese Menge – die in der Biologie Population genannt wird – als eine Art ‚Hüllensystem‘ S_pop definieren. Ein Hüllensystem wäre dann ein System, das ausschließlich Elemente einer bestimmten Art enthält. Ein Hüllensystem S_pop_a könnte zahlreicher sein als ein Hüllensystem S_pop_b, |S_pop_a| > |S_pop_b|, es könnte aber auch sein, dass sich die Mächtigkeit einer Population im Laufe der Zeit ändert. Eine Population mit einer Mächtigkeit |S_pop_x| = 0 wäre ausgestorben. Die Veränderungen selbst können Wachstumsraten und Sterberaten anzeigen.
  12. Im Folgenden nehmen wir hier an, dass ein System S komplexer ist als ein System S‘ (S >~> S‘), wenn S ein System im Sinne der Definition ist und entweder (i) mehr innere Ebenen enthält oder (ii) pro innere Ebene eine höhere Dichte aufweist oder aber (iii) der Raum möglicher Verhaltenszustände der beteiligten Systeme größer ist. Bei Gleichheit der Größen (i) – (iii) könnte man zusätzlich die Größe (iv) berücksichtigen.
  13. Beispiel: Die Milchstraße, unsere Heimatgalaxie, umfasst zwischen 150 und 400 Mrd. Sterne (Sonnen) und hat einen Durchmesser von ca. 100.000 bis 180.000 Lichtjahre. In einem einführenden Buch über die Mikrobiologie präsentiert Kegel als neueste Schätzungen, dass der menschliche Körper etwa 37 Billionen (10^12) Körperzellen umfasst, dazu 100 Billionen (10^12) Bakterien im Körper und 224 Mrd. (10^9) Bakterien auf der Haut. Dies bedeutet, dass ein einziger menschlicher Körper mit seinen Körperzellen rein quantitativ etwa 150 Galaxien im Format der Milchstraße entspricht (1 Zelle = 1 Stern) und die Bakterien darin nochmals etwa 400 Galaxien. Dies alles zudem nicht verteilt in einem Raum von ca. 550 x 100.000 – 180.000 Lichtjahren, sondern eben in diesem unserem unfassbar winzigen Körper. Dazu kommt, dass die Körperzellen (und auch die Bakterien) in intensiven Austauschprozessen stehen, so dass eine einzelne Zelle mit vielen Tausend, wenn nicht gar zigtausenden anderen Körperzellen kommuniziert (Hormone im Blut können können viele Milliarden Zellen adressieren). Diese wenigen Zahlen können ahnen lassen, mit welchen Komplexitäten wir im Bereich des Biologischen zu tun haben. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass ja die Zellen im Körper meist noch in funktionellen Einheiten organisiert sind mit weiteren Untereinheiten, so dass sich hier viele Ebenen finden lassen.

KOMPLEXITÄTSEREIGNISSE

 

  1. Unter Voraussetzung des bisherigen Komplexitätsbegriffs kann man nun die Ereignisse der biologischen Evolution mit diesem Begriff beschreiben und schauen, ob es irgendwann einen hervorstechenden Komplexitätssprung gibt, der möglicherweise den Beginn einer neuen Phase markiert.
  2. An dieser Stelle wird schon deutlich, dass die Wahl eines Komplexitätsbegriffs basierend auf Systemen möglicherweise noch zu schwach ist, um den zu beschreibenden Phänomenen gerecht zu werden. Den Begriff ‚Komplexitätssprung‘ kann man zwar formal definieren (es gibt immer viele Möglichkeiten), ob nun solch ein Konzept dann in der empirischen Realität aber genau das beschreibt, was wirklich dem Phänomen optimal entspricht, das kann sich letztlich nur am empirischen Ereignis selbst anschaulich entscheiden (im positiven Fall). Ein einfacher Ansatz wäre, einen Komplexitätssprung über den Begriff des minimalen Abstands zwischen zwei Komplexitäten S und S‘ zu definieren, und unter Einbeziehung ‚einer empirisch sinnvollen Konstante‘. Dann würde immer dann, wenn ein solcher Abstand gemessen werden kann, ein Komplexitätssprung vorliegt. Was wäre aber ein ‚empirisch sinnvoller Abstand‘ in biologischer Sicht?

PERIODISIERUNG

  1. Betrachtet man nach diesen Vorbemerkungen das Schaubild, dann kann man als ersten Abschnitt ‚Emergent Life‘ erkennen. Dies identifiziert die Zeit ab dem ersten nachgewiesenen Auftreten von biologischen Zellen, vor ca. 3.5 Mrd Jahren (nach neuesten Funden evtl. sogar schon ab 3.77 Mrd Jahren). Der Übergang von Molekülen zu sich selbst reproduzierenden Zellen markiert einen gewaltigen Komplexitätssprung.
  2. Man kann versuchen, den formalen Komplexitätsbegriff darauf anzuwenden. Nimmt man beispielsweise eine eukaryotische Zelle als System S, dann kann man typische Umgebungen ermitteln, interne Organisationslevel, die Dichte auf den Leveln sowie den Raum möglicher Verhaltenszustände von jedem beteiligten System. Nimmt man als Vergleich die strukturell einfacheren prokaryotischen Zellen (die als evolutionär älter gelten), dann kann man zu unterschiedlichen Werten kommen, die im Falle der prokaryotischen Zellen kleiner ausfallen. Im Unterschied zu einer Ansammlung von irgendwelchen Molekülen wird man noch größere Unterschiede feststellen. Will man diese strukturellen Unterschiede für eine Klassifikation nutzen, dann muss man sie gewichten. Ohne hier auf die Details einer solchen Gewichtung eingehen zu können (das wäre ein eigener riesiger Artikel) stellen wir hier einfach mal fest, dass gilt: S_eukaryot >~> S_prokaryot >~> S_molecule, wobei der ‚Abstand‘ zwischen den beiden Zelltypen deutlich kleiner ist als zwischen dem einfachen Zelltyp und einem einfachen Molekül, also Distance(S_eukaryot, S_prokaryot) < Distance(S_prokaryot, S_molecule).
  3. Unterstellen wir mal, alle Details vorausgehender Klassifikationen wären erfüllt. Was wäre damit erreicht? Wir wüssten schematisch, dass wir es mit drei verschiedenen Typen von Systemen zu tun hätte mit unterschiedlichen Levels, Input-Output-Räumen, unterschiedlichen Dichten … hätten wir damit aber irgendetwas von dem erfasst, was die evolutionäre Biologie, Molekularbiologie, Zellbiologie usw. bislang als charakteristisch für die biologische Zelle erkannt zu haben meint?
  4. Einige der wichtigen Eigenschaften werden informell so beschrieben: (i) Zellen haben eine erkennbare Struktur mit Wechselwirkungen zur Umgebung (insofern sind sie Systeme); (ii) sie sind in der Lage, Energie aus der Umgebung aufzunehmen und damit unterschiedliche chemische Prozesse zu moderieren; (iii) sie sind in der Lage, die Strukturen und Funktionen dieser Struktur in Form eines speziellen Moleküls zu kodieren (Bauplan, ‚Gedächtnis‘); (iv) sie können sich mit Hilfe des Bauplans reproduzieren, wobei die Reproduktion Abweichungen zulässt.
  5. Mindestens in diesen vier genannten Eigenschaften unterscheiden sich biologische Zellen von Molekülen. Der zuvor eingeführte Komplexitätsbegriff kann hier zwar eine höhere Komplexität herausrechnen, aber tut sich schwer, die vier Leiteigenschaften angemessen zu repräsentieren. Woran liegt das?
  6. Das ist einmal der Begriff der Energie. Dieser wurde von der Physik in vielen Jahrhunderten schrittweise erarbeitet und ist eine Eigenschaft, die generisch die gesamte empirische Welt durchzieht. Letztlich liegt er allem zugrunde als Äquivalent zur bewegten Massen. Wenn man nur Strukturen von Systemen betrachtet, kommt Energie nicht wirklich vor. Wenn es nun aber eine zentrale neue Eigenschaft eines Systems ist, freie Energie für eigene Zwecke ‚verarbeiten‘ zu können, dann müsste dies in die Systemstruktur aufgenommen werden (spezielle Funktionen…). Allerdings verarbeiten sogar Moleküle in gewisser Weise Energie, allerdings nicht so komplex und produktiv wie Zellen.
  7. Dann sind dort die metabolischen Prozesse (Stoffwechselprozesse) der Zellen. Diese sind extrem vielfältig und komplex miteinander verwoben. Der abstrakte Komplexitätsbegriff kann dies zwar anzeigen, aber nur ‚äußerlich‘; die Besonderheiten dieser Prozesse werden damit nicht sichtbar.
  8. Schließlich das Phänomen des Zellkerns mit Molekülen, die einen Bauplan kodieren; man könnte dies auch als eine Form von Gedächtnis beschreiben. Zum kodierten Bauplan gibt es auch eine komplexe Dekodierungsmaschinerie. Eine rein formale Repräsentation im Komplexitätsbegriff macht die Besonderheit nicht sichtbar. Wenn man weiß, worauf es ankommt, könnte man eine entsprechende Systemstruktur zusammen mit den notwendigen Operationen definieren.
  9. Was sich hier andeutet, ist, dass die abstrakte Seite der formalen Repräsentation als solche zwar nahezu alles zulässt an Formalisierung, aber welche Struktur letztlich etwas Sinnvolles in der empirischen Welt kodiert, folgt aus der abstrakten Struktur alleine nicht. Dies muss man (mühsam) aus den empirischen Phänomenen selbst herauslesen durch eine Art induktive Modellbildung/ Theoriebildung, also das, was die empirischen Wissenschaften seit Jahrhunderten versuchen.
  10. Der Versuch, ‚auf die Schnelle‘ die sich hier andeutenden Komplexitäten zu systematisieren, wird also nur gelingen, wenn die Verallgemeinerungen die entscheidenden empirischen Inhalte dabei ’nicht verlieren‘.
  11. Ohne diese Problematik an dieser Stelle jetzt weiter zu vertiefen (darauf ist später nochmals zurück zu kommen), soll hier nur ein Gedanke festgehalten werden, der sich mit Blick auf die nachfolgende Phase anbietet: mit Blick aufs Ganze und den weiteren Fortgang könnte man in der ersten Phase von Emerging Life als grundlegendes Ereignis die Ausbildung der Fähigkeit sehen, eine Art strukturelles Gedächtnis bilden zu können, das sich bei der Weitergabe strukturell variieren lässt. Damit ist grundlegend der Ausgangspunkt für die Kumulation von Wissen unter Überwindung der reinen Gegenwart möglich geworden, die Kumulierung von ersten Wirkzusammenhängen. Diese Urform eines Gedächtnisses bildet einen ersten grundlegenden Meta-Level für ein erstes Ur-Wissen von der Welt jenseits des Systems. Der Emerging Mind aus der nächsten Phase wäre dann der Schritt über das strukturelle Gedächtnis hin zu einem lokal-dynamischen Gedächtnis.
  12. Dann stellt sich die Frage, welche der nachfolgenden Ereignisse in der Evolution eine weitere Steigerung der Komplexität manifestieren? Kandidaten kann man viele finden. Zellen haben gelernt, sich in immer komplexeren Verbänden zu organisieren, sie haben immer komplexere Strukturen innerhalb der Verbände ausgebildet, sie konnten in immer unterschiedlicheren Umgebungen leben, sie konnten innerhalb von Populationen immer besser kooperieren, konnten sich auch immer besser auf die Besonderheiten anderer Populationen einstellen (als potentielle Beute oder als potentielle Feinde), und konnten immer mehr Eigenschaften der Umgebungen nutzen, um nur einige der vielfältigen Aspekte zu nennen. Manche bildeten komplexe Sozialstrukturen aus, um in zahlenmäßig großen Populationen gemeinsam handeln zu können (Schwärme, ‚Staaten‘, Verbünde, ….). Nach vielen Milliarden Jahren, von heute aus erst kürzlich, vor einigen Millionen Jahren, gab es aber Populationen, deren zentrale Informationsverarbeitungssysteme (Nervensysteme, Gehirne), das individuelle System in die Lage versetzen können, Vergangenes nicht nur zu konservieren (Gedächtnis), sondern in dem Erinnerbaren Abstraktionen, Beziehungen, Unterschiede und Veränderungen erkennen zu können. Zugleich waren diese Systeme in der Lage Gegenwärtiges, Gedachtes und neue Kombinationen von all dem (Gedachtes, Geplantes) symbolisch zu benennen, auszusprechen, es untereinander auszutauschen, und sich auf diese Weise ganz neu zu orientieren und zu koordinieren. Dies führte zu einer revolutionären Befreiung aus der Gegenwart, aus dem Jetzt und aus dem ‚für sich sein‘. Damit war mit einem Mal alles möglich: das schrittweise Verstehen der gesamten Welt, die schrittweise Koordinierung allen Tuns, das Speichern von Wissen über den Moment hinaus, das Durchspielen von Zusammenhängen über das individuelle Denken hinaus.
  13. Als nächster Komplexitätssprung wird daher das Auftreten von Lebewesen mit komplexen Nervensystemen gesehen, die ein Bewusstsein ausbilden konnten, das sie in die Lage versetzt, miteinander ihre internen Zustände symbolisch austauschen zu können, so dass sie einen Siegeszug der Erkenntnis und des Aufbaus komplexer Gesellschaften beginnen konnten. Dieses Aufkommen des Geistes (‚Emerging Mind‘) definiert sich damit nicht nur über die direkt messbaren Strukturen (Nervensystem, Struktur, Umfang,..), sondern auch über den Umfang der möglichen Zustände des Verhaltens, das direkt abhängig ist sowohl von den möglichen Zuständen des Gehirns, des zugehörigen Körpers, aber auch über die Gegebenheiten der Umwelt. Anders ausgedrückt, das neue Potential dieser Lebensform erkennt man nicht direkt und alleine an ihren materiellen Strukturen, sondern an der Dynamik ihrer potentiellen inneren Zustände in Wechselwirkung mit verfügbaren Umwelten. Es ist nicht nur entscheidend, dass diese Systeme symbolisch kommunizieren konnten, sondern auch WAS, nicht entscheidend alleine dass sie Werkzeuge bilden konnten, sondern auch WIE und WOZU, usw.
  14. Es ist nicht einfach, dieses neue Potential angemessen theoretisch zu beschreiben, da eben die rein strukturellen Elemente nicht genügend aussagestark sind. Rein funktionelle Aspekte auch nicht. Es kommen hier völlig neue Aspekte ins Spiel.

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KURZBESPRECHUNG: Johnny Depp – ScienceFiction Film: TRANSCENDENCE

Durch Zufall bin ich auf einen  interessanten Film gestoßen: Transcendence (Transzendenz), dies ist mal ein echter Science-Fiction Film (und ich kenne einige).
SCHLECHTER START 2014
Der Film erschien April 2014. Die ersten Reaktionen waren verhalten, dazu viele negative Kritiken. Zum Glück habe ich das erst alles gelesen, als ich den Film selbst gesehen hatte. Ich kann keine einzige der negativen Kritiken bestätigen.
HABE EINE ANDERE MEINUNG
Im Gegenteil, ich finde den Film aus Sicht von ‚fiction‘ absolut ansprechend, da er die aktuelle Situation in eine nahe Zukunft verlagert, die deutlich anders ist als das Jetzt, in dem wir leben, aber doch nah genug, dass man den heißen Atem einer solchen alternativen Zukunft sehr wohl spüren kann.
ECHTER SCIENCE FICTION
Vom Standpunkt der ’science‘ (Wissenschaft, Technologie) greift der Film die wichtigsten Themen auf, die zur Zeit weltweit in den Laboren und Entwicklungsabteilungen real entwickelt und ausprobiert werden (Biotechnologie, Nanotechnologie, künstliche Intelligenz, Genetik, Roboteroperationen, Vernetzung, technische Singularität, Gehirn-Scan, …); manches ist sogar schon real im Einsatz. Der Abstand zur Vision im Film ist nicht groß. Man kann nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die Vision des Films schon in ca. 10 – 30 Jahren voll einlösbar sind.
TREFFEN DEN NERV UNSERER SITUATION
Diese Entwicklungen rühren an tiefgreifende Fragen von Menschenbild, Gesellschaftsform, Rechtssystem und wir erleben ja schon heute, wie die Digitalisierung der Gesellschaft, in manchen Ländern nahezu jeden Bereich des alltäglichen Lebens ergriffen und verändert hat. Die Vernetzung ist schon so umfassend und durchdringend, dass normales Leben ohne gar nicht mehr funktionieren würde. Eine wirkliche Diskussion über all diese Umbrüche und neuartigen Entwicklungen findet bislang öffentlich kaum statt; meist sind es nur ein paar Spezialisten oder ‚Verrückte‘, die sich darüber Gedanken machen.
In dieser Situation, vor diesem Hintergrund trifft der Film Transzendenz im Jahr 2017 vielleicht mehr als im Jahr 2014 mitten ins Schwarze. Er greift nicht nur all diese Themen auf, sondern führt sie in einer Weise zusammen, wie es bislang noch niemand gemacht hatte (es gibt viele andere sogenannte science fiction Filme mit bunteren Bildern, mehr Action, aber grottenschlechten Stories; eigentlich sind diese dann auch nur ‚fictions‘, nicht ’science fictions‘). Die Kombination von künstlicher Intelligenz mit Gehirnscan, die Einbettung der künstlichen Intelligenz in ein globales Netzwerk, die Beachtung der Energieproblematik von Computern, die Verknüpfung von künstlicher globaler Intelligenz mit Produktionsanlagen (Industrie 4.0 ist da schon sehr nah dran!), die Einbeziehung von Gentechnik und Nanotechnologie, um in der realen Welt Datenstrukturen aus dem Computer nachbauen zu können, das durchgehende ‚Upgrading‘ der Menschen samt ihrer Vernetzung, dies sind je für sich genommen Themen, die nicht neu sind, aber ihre Kombination zu einem einzigen KI-Ökosystem ist kreativ und beeindruckend.
SPANNEND ERZÄHLT
Dies alles wird in Form einer Geschichte erzählt, die von Anfang an spannend ist, von Rückblicken und Erwartungen lebt, wo man nicht so ohne weiteres voraussehen kann, wie der Plot genau laufen wird. Die Personen kommen – für mich – sehr überzeugend rüber. Die Verknüpfung mit sehr menschlichen Eigenschaften, Gefühlen, Liebe, Sinnfragen, Vertrauen, kommt sehr natürlich daher, nicht erzwungen, ergibt sich aus den Handlungssituationen. Alles, was in diesem Film gezeigt wird (und der Film zeigt ja letztlich nur einen winzigen Ausschnitt), ist absolut beziehbar auf unser Heute und auf unser mögliches Morgen.
KONTEXT LEBEN AUF DER ERDE
Betrachtet man die Geschichte der Evolution des Lebens auf der Erde, dann ist ein Trend ganz eindeutig: das Leben baut immer komplexere Strukturen auf und zugleich vernetzt sich alles immer mehr. Der menschliche Körper besteht aus einer Arbeits- und Lebensgemeinschaft von ca. 36 Billionen (10^12) Zellen (dies entspricht etwa 120 Galaxien unseres Universums!), die miteinander auf unendlich komplexe Weise kommunizieren. Dies ist real. Unser normales Alltagsverstehen ist nicht in der Lage, diese Komplexität angemessen zu denken; es macht sich ständig sehr primitive Bilder der realen Welt, Bilder die zwangsläufig falsch sind. Vielleicht kann man den Film als eine Art ‚Klopfzeichen‘ aus einer Zukunftsvision verstehen, die bei uns anklopft um uns darauf aufmerksam zu machen, dass so, wie wir heute leben, sicher nicht die Form ist, die in der Zukunft stattfinden wird.

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Kurzbesprechung: Ulrich Ott, Meditation für Skeptiker. Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 7.März 2017
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Ulrich Ott, Meditation für Skeptiker. Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst, O.W. Barth, eBook. 2015 (auch als Taschenbuch)

Im Rahmen einer geplanten interdisziplinären Lehrveranstaltung zur Meditation wurde ich auf dieses Buch aufmerksam … und habe es ziemlich zügig durchgelesen. Dazu muss ich sagen, dass ich selbst schon über eigene Meditationserfahrungen verfüge, mehr als 20 Jahre, in verschiedenen Stilen, alleine und mit anderen. Insofern war die Lektüre ein wenig eine Art ‚Abgleich‘ der eigenen Erfahrungen mit dem Buch.

RELIGIONSFREIE PRAKTISCHE ANLEITUNG

Was positiv auffällt, ist die nüchterne Art, mit der hier das praktische Herangehen an die Praxis des Meditierens sehr konkret und anschaulich beschrieben wird. Ohne Anleihen bei irgendwelchen speziellen religiösen Traditionen wird im Teil 1 schlicht beschrieben, welche verschiedenen Haltungen es gibt, wie man atmen kann, wie man sich bei seinen ersten eigenen Übungen dazu bringen kann, längere Zeit (ca. 20 – 30 Min) da zu sein, sich wahr zu nehmen, zur Ruhe zu kommen. Während man in anderen Kontexten oft hören kann, warum diese oder jene Vorgehensweise ‚besser‘ sei, stellt Ott nüchtern fest, dass es aus wissenschaftlicher Sicht bislang keine eindeutigen Empfehlungen für die ‚ideale‘ Haltung oder Atemtechnik gibt. Jeder muss da seine eigene ideale Haltung finden.

NEUROWISSENSCHAFTLICHE BEFUNDE

Eingestreut in die praktischen Anleitungen im Teil 1 und dann im Teil 2 ausschließlich finden sich Erkenntnisse der Neurowissenschaften und der verhaltensbezogenen psychologischen Forschung. Diese Befunde sind aktuell, treffend und zeigen, wie das Thema Meditation in den letzten Jahren immer mehr zu einem wichtigen Forschungsthema wird. Zugleich wird hier aber auch deutlich, dass die Neurowissenschaft hier an methodische Grenzen stößt. So beeindruckend heutige neurowissenschaftliche Datenerhebungen z.T. schon sind, so sagen diese Daten zum eigentlichen individuellen Erleben in der Meditation so gut wie gar nichts aus (sie messen ja nicht das individuelle Erleben direkt, sondern irgendwelche biochemischen Prozesse in einem vermuteten zeitlichen Zusammenhang). Das Gleiche gilt für die unterschiedlichen Wirkungsstudien, die einen positiven Einfluss auf bestimmte als ‚krank‘ klassifizierte Verhaltensmuster diagnostizieren. Wie Ott selber zu Beginn von Teil 2 herausstellt, gibt es bislang keine befriedigende wissenschaftliche Definition zum Begriff ‚Meditation‘ und die Kontextbedingungen sind in den einzelnen experimentellen Anordnungen oft so unterschiedlich, dass es schwierig ist, hier zu eindeutigen Zuordnungen zu kommen (ganz zu schweigen von der Grobheit und Ungenauigkeit der neurowissenschaftlichen Messungen).

WELTBILD IM HINTERGRUND

Wenn ich zuvor den nüchternen Beschreibungsstil bei der Hinführung zu einer meditativen Praxis gelobt habe, so muss ich dies für die zweite Hälfte von Teil 1, speziell bei den Abschnitten ‚Denken‘ und ‚Sein‘, ein wenig einschränken.
Gleich zu Beginn in der Einführung des Buches weist Ott zwar deutlich darauf hin, dass unser aktuelles Erleben umfassend geprägt ist durch die Eigenheit unseres Körper, seine evolutionär gewordene Prägung, und durch die verschiedenen kulturellen Einflüsse, die unser Bild von der Welt und von uns selbst im Lauf des Lebens beeinflussen. Im weiteren Verlauf benutzt er dann aber selber ein Deutungsschema für unser Erleben in der Mediation, das so, wie er es benutzt, sich auch einer bestimmten kulturellen Deutung verdankt, die so nicht ohne weiteres zwingend ist.

DUALISMUS: DENKEN – FÜHLEN

Für die fortgeschritteneren Stufen des Meditierens folgt er letztlich dem klassischen Deutungsschema, dass das Meditieren sich von den unterschiedlichen Ablenkungen mehr und mehr löst, um sich dann – bei einigen – in einer speziellen (mystischen) Seinserfahrung wieder zu finden, in der sich alle Spannungen und Widersprüche in gewisser Weise aufheben, und aus der jeder einzelne viel Ruhe, Kraft, Gelassenheit usw. ziehen kann.

LEBEN IST ANDERS

Nimmt man die Erkenntnisse der modernen Evolutionsbiologie ernst, dann besteht das grundlegende Kennzeichen des biologischen Lebens gerade darin, dass es die Kunst des Gleichgewichts zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch beherrscht. Diese Kunst des Gleichgewichts hat ihren Zweck nicht ‚in sich selbst‘, sondern darin, immer komplexere Strukturen zu ermöglichen, wie z.B. Bedürfnisse, Emotionen, Gefühle, Erinnerungen, Begriffe, komplexe Verhaltensmuster, und mehr. Das damit immer stärker anwachsende ‚Universum der Unterschiede‘ erscheint dann als jenes Medium, durch das sich das individuelle Leben mehr und mehr begreifen kann als Teil eines komplexen Lebensprozesses, dessen Energie (rein physikalisch) zwar allen Unterschieden prinzipiell voraus liegt (und von daher nicht wirklich sterben kann), dessen Dynamik aber eben nur in diesem ‚Rauschen der Unterschiede‘ erlebbar ist. In diesem Kontext wäre das Wahrnehmen, Denken, Erinnern, Fantasieren usw. kein Gegensatz zum ‚Sein‘, sondern jenes Medium, in dem die Struktur des Seins überhaupt erlebbar wird.

Zu diesen neuen Erkenntnissen der Biologie zum Leben gibt es eine interessante Parallel zur christlichen Mystik. In fast 2000 Jahren christlicher Mystik wird das ‚Fühlen des Seins‘ nicht als ‚Abkehr von der Welt‘ verstanden wurde, sondern als ein besondere Form des ‚inneren Erkennens (Trost und Mißtrost)‘, um die Strukturen der Welt (und des Denkens) noch tiefer zu verstehen. Leider kennt heutzutage kaum noch jemand diese Form von mystischer Tradition (nicht zuletzt vielleicht auch deswegen, weil diese Art von mystischer Seinserfahrung von den Kirchen selbst oft dadurch verdeckt wurde, dass sie mit sekundären religiösen Traditionen überlagert wurde, die mit der eigentlichen Erfahrungen nicht wirklich etwas zu tun hat).

MEHR WAHRHEIT, WENIGER BIOCHEMIE

Man kann auch die Frager aufwerfen, ob die Rolle der Neurowissenschaften und der verhaltensbezogenen Psychologie (der ich im übrigen sonst auch stark anhänge), im Kontext der Meditation nicht überschätzt wird. Sicherlich, es kann nicht schaden, psychologische und neurowissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen, aber das, was das individuelle Erleben auszeichnet, liegt weit außerhalb einer empirischen Datenerfassung. Wenn ich mich dafür interessiere, welche emotionalen und begrifflichen Wirkungen ein Computerspiel auf Jugendliche hat, dann werde ich keine großen Erkenntnisse erhoffen dürfen, wenn ich die Ladungszustände in den Computerchips messen würde (was mit erheblich größerer Genauigkeit möglich ist als Messungen an ca. 80 Milliarden lebenden Neuronen (plus der vielen Milliarden unterstützenden Zellen)). Statt also diffuse Erregungszustände von riesigen Zellverbänden zu kartieren, die im Detail viele Millionen unterschiedliche Funktionen haben können, wäre es vielleicht wichtiger, die individuellen Erfahrungen selbst systematisch zu beschreiben.

MENSCH NUR BIOCHEMIE?

Angesichts der heutigen an Intensität zunehmenden Diskussion, ob die immer leistungsfähiger werdenden intelligenten Maschinen auf Dauer den Menschen ersetzen und überflüssig machen werden, wäre es nicht unerheblich, ob es sich beim Menschen auch ’nur‘ um eine biochemische Maschine handelt, deren biochemischen Zustände sich durch Drogen und Techniken (auch Meditationstechniken) beliebig manipulieren lassen, oder ob wir es hier mit einem komplexen Lebensprozess zu tun haben, dessen konkrete Ausprägungen in den verschiedenen Lebensformen bis hin zum homo sapiens ein Mehr an Bedeutung in sich tragen, das sich durch biochemische Erbsenzählerei sicher nicht erfassen lässt.

FAZIT
Trotz aller kritischen Anmerkungen finde ich das Büchlein lesenswert, man sollte aber in eine intensive Diskussion über die hier angedeuteten Fragen einsteigen.

PS:

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KÖNNEN UNSERE GEFÜHLE WAHR SEIN? – DIE ZUKUNFT WARTET NICHT – Teil 3a

DER MENSCH ALS HANDELNDER

  1. In dem vorausgehenden Blogeintrag zur anstürmenden Zukunft wurde u.a. angedeutet, dass wir als Menschen, als homo sapiens, bei aller Komplexität des modernen Lebens, noch immer die Handelnden sind, jene, die das alles zu verantworten haben.
  2. Als Teil des großen ‚Getriebes‘, das weltumspannend alles bewegt, treibt, verändert, kann man als einzelner jedoch den Eindruck bekommen, man sei ja letztlich nur ein kleines Rädchen im großen Räderwerk, ohne Einfluss, ohne Wirkung; zugleich ist jeder eingehüllt in eine subjektive Erlebniswolke von sinnlichen Eindrücken, Bedürfnissen, Emotionen, Erinnerungen, Wünschen, … die das persönliches Referenzsystem für die Wahrnehmung dessen bildet, was ist, wie auch für die Einschätzung, was sein sollte. Es hängt vom Ausmaß der zu erwartenden Belohnung oder Bestrafung ab, welche der verschiedenen Denk- und Handlungsmöglichkeiten man einen Vorzug gibt.
  3. Alles, was irgendwie ‚positiv bewertet‚ erscheint regt an, es zu tun; alles, was ‚negativ bewertet‚ erscheint, schreckt ab, bremst aus, demotiviert, macht Angst … oder  aggressiv.
  4. Die Einschätzung, ob es sich ‚lohnt‚ ein X zu tun oder eher ein Y bzw. dass es ‚ungut‚ ist, X zu tun, hängt sowohl ab von verfügbaren Erfahrungen und deren Bewertungen wie auch von einer Vielzahl unterschiedlicher Gefühle, Stimmungen, Bedürfnissen, Emotionen, Süchten… die alles ‚einhüllen‚.
  5. Für eine klare Entscheidung kann dies unübersichtlich sein, verwirrend. Jeder hat da so seine Strategien. Manche sprechen von ‚Bauchentscheidungen‚, um anzudeuten, das sie sich von Stimmungen, Gefühlen leiten lassen, die sich nicht völlig transparent in klare Entscheidungsmomente zerlegen lassen.

DER MENSCH ALS DETERMINISTISCHER AUTOMAT?

  1. Sind wir hier alle Getriebene eines Körpers, der durch seine evolutionäre Geschichte in einer Weise geprägt wurde, die aus uns letztlich dumpfe Maschinen macht, die vorprogrammiert reagieren, dumpf, reflexhaft, zufällig, letztlich ohne wirkliche eigene Verantwortung? Und haben nicht die Recht, die uns als solche biochemische Maschinen sehen, deren chemischen Prozesse man durch entsprechende Medikamente auf chemischen Weg weitgehend manipulieren kann (gegen Schmerzen, gegen Depression, für mehr Wachheit, für mehr Denkkraft …)?
  2. Wenn letztere Sicht voll zutreffen würde, wenn wir letztlich nur evolutionär vorprogrammierte Maschinen wären, dann wäre jede weiter Diskussion überflüssig, dann würde Erkenntnis, Verantwortung weiter keine Rolle spielen. Es gäbe keine Wahrheit. Alles wäre egal, es passiert einfach, weil die biochemischen Roboter genannt homo sapiens sich alle zwangsweise ausleben, ohne jede Möglichkeit der Einflussnahme.
  3. Gut, nehmen wir das einfach mal an, diesen worst case einer voll deterministischen biochemischen Maschine genannt homo sapiens. Dies würde implizieren, dass ein homo sapiens bei gleichem Input immer genau gleich antworten würde, und bei definierten Veränderungen seines Körpers, insbesondere seines Gehirns, müsste genau definierte Reaktionen auftreten. Trifft dies zu?

MENSCH ALS QUELLE VON NEUEM

  1. Eine empirische Betrachtung des Verhaltens von Menschen zeigt, dass dies auf keinen Fall zutrifft.
  2. Allein schon die Wachstums- und Alterungsprozesse zeigen, dass der Mensch ein dynamisches System ist, das sich beständig als Körper verändert.
  3. Eine ungeheure Zahl von verschiedenen Lernprozessen zeigen ferner, dass der Mensch nicht nur in der Lage ist, über angeborene Reflexe hinaus scheinbar beliebige komplexe Verhaltensmuster zu lernen, sondern er kann sogar angeborene Reflexe z.T. Umprogrammieren, überlernen.
  4. Im Lernen zeigt sich eine Beeinflussbarkeit durch die Umgebung, die in gewisser Weise aussieht, als ob man Menschen von außen beliebig steuern kann (Manipulation, Indoktrination, Abrichtung, …). Sofern man Menschen aber Freiräume lässt, sie ermutigt, auf sich selbst zu vertrauen, eigene Entscheidungen zu wagen, diese real auszuprobieren, in dem Maße kann man beobachten, dass Menschen dazu tendieren, mit ihren Möglichkeiten kreativ zu spielen, zu variieren, zu experimentieren, neue Verhaltensmuster auszuprobieren. Dies bedeutet, Menschen mit Selbstvertrauen und Handlungsspielräumen verändern ihr Verhalten, zeigen neue Muster, verändern die Umgebungen.
  5. Zu diesen auf dem beobachtbaren Verhalten basierten Einschätzungen kann man weitere hinzu fügen. Eine theoretische Untersuchung des Gehirns und seiner Zellen kann aufzeigen, dass die Gesamtheit dieser Zellen samt ihren Wechselwirkungen mindestens so mächtig sind wie eine sogenannte universelle Turingmaschine. Von dieser wurde von Alan Turing schon 1936/7 bewiesen, dass sie nicht deterministisch ist und dass ihre potentiellen Zustände grundsätzlich nicht in allen Fällen voraussagbar sind.
  6. Dass man also unter bestimmten Umständen die eine oder andere Eigenschaft biochemisch beeinflussen kann, sollte nicht zu dem Fehlschluss führen, dass man damit das komplexe Gesamtphänomen erschöpfend erklärt hätte.

BLEIBENDES GEHEIMNIS BEWUSSTSEIN

  1. Dies führt zu der eher grundsätzlichen Betrachtung, dass wir heute zwar am Menschen grob den Körper mit seinem Gehirn unterscheiden können, dass wir aber auch das Phänomen eines Bewusstseins konstatieren können und müssen, das zwar – so sieht es aus – eine Eigenschaft des Gehirns zu sein scheint, aber dennoch eine solche Eigenschaft ist, die sich nicht direkt empirisch messen lässt.
  2. Direkt am Körper und Gehirn lassen sich mittlerweile ungeheuer viele empirische Messungen vornehmen, aber das Phänomen des Bewusstseins zeigt sich bislang direkt nur dem einzelnen Gehirn in einer Art ‚Innensicht‘; wir sprechen von subjektiven Erfahrungen, von der ersten-Person-Sicht (1st-Person View), d.h. Jeder hat seine Sicht seines Bewusstseins, aber eine andere Person, ein Anderer, eine dritte Person (3rd Person View), hat keine direkte Möglichkeit, den Inhalt des Bewusstseins einer anderen Person irgendwie direkt wahr zu nehmen.
  3. Eine Auswirkung dieses Sachverhaltes besteht darin, dass es bis heute (März 2017) keine einzige wissenschaftliche Publikation gibt, die eine wissenschaftlich brauchbare Definition des Bewusstseins liefert! Auch wenn es viele Artikel und Bücher gibt, die im Titel oder im Text den Begriff ‚Bewusstsein‘ benutzen, so gibt es bislang keine wissenschaftlich brauchbare Definition von Bewusstsein. Bislang habe wir hier einen riesigen weißen Fleck auf der wissenschaftlichen Landkarte. Und je mehr Millionen Forschungsgelder bislang hier investiert wurden, um so weißer wurde dieser Fleck. Dies liegt daran, dass bislang etwas, das im Kern kein empirisches Objekt im klassischen Sinne ist, ausschließlich mit empirischen Methoden untersucht wird. Die so gewonnenen empirischen Erkenntnisse sind nicht wertlos, sie vertiefen unser Verständnis der biochemischen Maschinerie, aber sie führen uns nicht weiter im Verständnis jener Phänomene, die sich jenseits der klassisch-empirischen Perspektive andeuten.
  4. Unter Philosophen in Europa ist das Problem des Bewusstseins seit mindestens 2500 Jahren in unterschiedlichen Varianten bekannt, wirklich gelöst hat es aber noch niemand.
  5. Die Frage ist, was macht man mit Phänomenen, die ‚da‘ sind, die ein Mensch unzweifelhaft erleben kann und erlebt, für die man aber noch keine angemessene empirisch wissenschaftliche Erklärung hat?
  6. Eine bewährte Methode ist jene, solche Phänomene zu wahren, sie nicht zu verdrängen, sondern geduldig darauf zu warten, dass irgendwann doch irgendwelche Menschen die entscheidende Ideen haben werden, eventuell auch neue Untersuchungsmethoden erfinden, mit denen man die Phänomene angemessen erklären kann.
  7. Bis dahin müssen wir uns behelfen, so gut wir können.

FRAGEN DER INVARIANZ DES GESAGTEN

  1. Die Überlegungen, die jetzt folgen, werden in deutscher Sprache niedergeschrieben. Es wird angenommen, dass die wesentlichen Inhalte aber genauso zur Sprache kommen würden, wenn man dies in irgend einer anderen Sprache wie Deutsch aufschreiben würde, also etwa Englisch, Russisch, Chinesisch, Finnisch, Zulu, Türkisch usw. Es wird also eine Invarianz des Inhalts von der benutzten Sprache angenommen. Auf Englisch kann ich es – bis zu einem gewissen Grad – selbst versuchen. Bei anderen Sprachen müssten dies andere tun. Ein letzter Beweis der Invarianz wird aber schwierig sein, da es voraussetzen würde, dass die jeweiligen Philosophen mindestens mit zwei Sprachen sehr vertraut sind, die sie vergleichen könnten. Dabei würde es offen bleiben, ob ein Philosoph A der von Sprache L_DE in L_Chinesisch übersetzen würde und der Philosoph B, der von L_DE in L_Russisch übersetzen würde, letztlich tatsächlich das Gleiche übersetzen würden.
  2. Auch müsste man mit der Frage der Invarianz noch weiter gehen, indem man klären müsste, inwieweit das von mir Niedergeschriebene noch von anderen speziellen Voraussetzungen abhängig ist, die nicht auf alle Menschen zutreffen (z.B. biologisches Geschlecht, Zustände meines Wahrnehmungssystems, verfügbares Wissen usw.). Wäre dem so, dann würde das von mir Gesagte von sehr speziellen Voraussetzungen abhängen, dann würde die Frage nach der Wahrheitsfähigkeit unserer Gefühle entsprechend eingeschränkt gelten.
  3. Dazu muss ich feststellen, dass ich bislang zwar davon ausgehe, dass ich selbst ein Exemplar des homo sapiens bin, dies aber bislang niemals habe explizit wissenschaftlich feststellen lassen. Ich lebe, wie viele andere auch, als Teil einer Population, von der pauschal gesagt wird, dass sie zur Art homo sapiens gehöre. Wie weit trifft dies tatsächlich zu? Weicht meine DNA möglicherweise irgendwie ab? Im Vergleich zu welchem DNA-Maßstab? Und wenn es Abweichungen gäbe, wie viel Toleranz ist akzeptabel, um zu sagen, ich wäre ein Exemplar des homo sapiens?
  4. Und da wir davon ausgehen müssen, dass der homo sapiens sich auch ohne Gentechnik kontinuierlich weiter verändert, ist möglicherweise zu klären, wie hoch der Veränderungsgrad der homo sapiens DNA im Laufe der Zeit ist? Wie viele der Informationen auf dem DNA-Molekül ändern sich pro Jahr/ pro Jahrzehnt/ pro … ? Und was heißt hier Änderung? Verschwinden bestimmte Atome? Werden sie nur anders genutzt? Kommen neue dazu? Wieweit gibt es überhaupt einen klaren Zusammenhang zwischen DNA-Struktur und späterem Körper, Verhalten und Erleben?
  5. Eine weitere wichtige Frage wäre ja auch, wie genau das Zusammenspiel zwischen Gehirn und Körper ist? Werden tatsächlich alle Zustände des Körpers im Gehirn repräsentiert, und wenn ja, auf welche Weise? Wie wirkt das Gehirn auf die Körperzustände zurück? Wie wirkt das Gehirn auf sich selbst zurück? Wie kommunizieren die Körperzellen untereinander ohne das Gehirn? Wieweit brauchen die Körperzellen überhaupt das Gehirn? Bei ca. 37 x 10^12 Körperzellen keine leichte Frage, zumal diese ja – nach heutigem Kenntnisstand – auf komplexe Weise mit weiteren Billionen (10^12) von Bakterien kooperieren, sowohl im Körper wie auch auf der Haut.
  6. Für die folgenden Überlegungen könnte es also hilfreich sein, dass ich solche Verhaltensmuster finde, die jeder andere homo sapiens auch ausüben könnte, so dass die damit verbundenen subjektiven Erlebniszustände möglicherweise reproduzierbar und dann diskutierbar sind. Die Erlebnisse als solche wären noch nicht die mögliche Deutung! Das gleiche Erlebnis kann man grundsätzlich auf mehr als eine Weise deuten. Man müsste also gemeinsam nach einer ‚angemessenen Deutung‘ suchen.

ANGENOMMENES KOORDINATENSYSTEM

  1. In den folgenden Überlegungen gehe ich davon aus, dass wir die oben unterstellte Grundstruktur annehmen sollten, dass wir einen Körper mit einem Gehirn haben, und dass wir als homo sapiens über etwas verfügen, das hier provisorisch – nach üblichem Sprachgebrauch – ‚Bewusstsein‘ (BW) genannt wird.
  2. Es hat sich ferner eingebürgert, dass ein Mensch mit Bewusstsein auch von einem ‚Ich‘ spricht. Das ‚Ich‘ steht in Beziehung zu einem bestimmten individuellen Körper (K) (mit dessen Gehirn) und dem im Zusammenhang mit diesem Körper auftretenden ‚Bewusstsein‘ (BW), also ICH_(K,BW). Wenn also ich als Schreiber dieser Zeilen von meinem ‚Ich‘ spreche, dann spricht hier das ‚Ich‘ von dem Körper K_cagent, der zu cagent gehört, mit dem Bewusstsein BW_cagent, das als Teil dieses Körpers vorkommt, also Ich_(K_cagent, BW_cagent).

MESSBAR, NICHT-MESSBAR, REPRÄSENTIERBARKEIT

  1. Ferner gilt die Annahme, dass wir zwar den Körper (K) mit seinem Gehirn (NN) direkt empirisch messen können (nicht alles, sondern nur jene Größen, für die es geeichte Messverfahren gibt), nicht aber die Innenzustände des jeweiligen Bewusstseins (IBW). Zwar gibt es starke Hinweise auf vielfache Korrelationen zwischen messbaren Körper-Gehirn-Zuständen und Innenzuständen des Bewusstseins, aber aufgrund der Nicht-Messbarkeit der Innenzuständen des Bewusstseins handelt es sich hier immer nur um hypothetische Korrelationen CR(NN,IBW).
  2. Bisher die einzige Möglichkeit, die Innenzustände des Bewusstseins von einem Körper zu repräsentieren, besteht darin, dass das Ich eines Bewusstseins mit Körper einzelne Innenzustände samt möglichen Eigenschaften sprachlich benennt und in Strukturen einordnet, die Positionen und Dynamiken erkennen lassen. Auch wenn solche Innenzustände von Philosoph zu Philosoph im Detail abweichen würden, ließe sich über die zugeordnete Struktur dann möglicherweise das ‚Verhalten‘ dieses Elementes bewusstseinsunabhängig – also invariant gegenüber dem einzelnen Bewusstsein! – vergleichen. Diese Struktur könnte man als mathematische Struktur (STR) der beobachtbaren internen Zustände des Bewusstseins realisieren. Die Struktur eines Bewusstseins, die sich bei vielen einzelnen gleichermaßen wiederfinden würde, könnte man dann sogar als unser Bewusstsein (UBW) bezeichnen, etwas, das wir alle gemeinsam haben. Letzteres setzt voraus, dass es eine hinreichende Angemessenheit zwischen den subjektiv beobachteten Strukturelementen sowie der intersubjektiv vorzeigbaren mathematischen Struktur gibt. Dass solch eine Angemessenheit vorliegt, ist nicht zwingend. Da historisch die mathematische (mengentheoretische) Sprache unter Voraussetzung der vorgegebenen Struktur des Bewusstseins des homo sapiens entwickelt wurde, und zwar inter-subjektiv, d.h. unter Beteiligung von vielen verschiedenen Bewusstseinen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es eine einigermaßen ‚brauchbare‘ Angemessenheit zwischen mathematischer Struktur und vorgegebener Struktur eines sich selbst erlebenden Bewusstseins gibt.

BEWUSSTSEINSINHALTE

  1. Zur Annahme eines zu einem Körper mit Gehirn gehörigen Bewusstseins gehört es, weiter anzunehmen, dass das zugehörige Ich eine Vielzahl von Bewusstseinszuständen erleben kann. Solche erlebbaren Bewusstseinszustände werden hier global als Bewusstseinsinhalte oder als Phänomene des Bewusstseins (PH) bezeichnet. Ein Phänomen ist also ein Etwas, das im Bewusstsein erlebt werden kann, etwas, das sich von Anderem unterscheidet. Jedes Phänomen impliziert ein abstraktes Ich (ICH) als abstrakten Bezugspunkt, relativ zu dem das Phänomen als Erlebbares vorkommt. Viele Philosophen sprechen daher hier auch gerne von der Intentionalität des Bewusstseins, seiner Gerichtetheit auf Etwas. Die Intentionalität erscheint dann als eine Beziehung INT(ICH,PH), wobei wir hier das abstrakte ICH mit dem Körper-Ich ICH_cagent hypothetisch gleichsetzen.
  2. In der deutschen Sprache gibt es sehr viele Begriffe, die man ziemlich direkt mit den Begebenheiten unseres Bewusstseins in Beziehung setzen kann. Wenn wir z.B. sagen, dass wir etwas sehen, dann meinen wir solche Erlebnisse die in Abhängigkeit von unseren Augen auftreten können. Entsprechend mit hören (Ohren), schmecken (Mund), berühren (Haut), riechen (Nase), usw. Die Gesamtheit der Phänomene, die wir in Abhängigkeit von unserer multimodalen sinnlichen Wahrnehmung erleben können, soll hier sinnliche Wahrnehmung (PH_sens) genannt werden und bildet eine echte Teilmenge aller Phänomene, also PH_sens c PH. Aufgrund von Experimenten wissen wir, dass die Auslöser für sinnliche Wahrnehmungen Ereignisse in der Umgebung unseres jeweiligen Körpers sind. Die Umgebung wollen wir inter-subjektive Umgebung nennen, oder auch die empirische Welt (W_emp). Die Sinnesorgane funktionieren hier wie Übersetzer: Ereignisse einer Art (aus der empirischen Welt, E_emp) werden in Ereignisse einer anderen Art (hier in neuronale Erregungsmuster für das Gehirn, E_nn) übersetzt. Diese neuronalen Erregungsmuster E_nn führen nach verschiedenen Verarbeitungsschritten im Gehirn — nach einem noch nicht ganz aufgeklärten Verfahren – zu sinnlichen Wahrnehmungsinhalten im Bewusstsein PH_sens. Wir haben also eine Kette E_emp –→ E_nn –→ PH_sens. Es ist eine interessante Frage, inwieweit die Struktur der empirischen Welt E_emp nach so vielen Verarbeitungsschritten in den Phänomenen des Bewusstseins angemessen repräsentiert wird?
  3. [ANMERKUNG: Ein Leser, der philosophisch vorgebildet ist und insbesondere die phänomenologische Methode nach Husserl kennt, wird sich möglicherweise bei der Lektüre des Textes die Haare raufen, da es für eine phänomenologische Methode wesentlich ist, die Phänomene als solche sprechen zu lassen ohne jegliche ontologische Zusatz- oder Hintergrundannahmen. Dies ist richtig. Im vorliegenden Text wird eine Methode angewendet, die von einer phänomenologischen Analyse ausgegangen ist, innerhalb dieser dann u.a. die empirische Wissenschaft als Teilmodell der phänomenologischen Methode identifiziert und herausanalysiert hat, und dann in einem weiteren reflektierten Vorgehen auf der Metaebene die phänomenologische Analyse unter Einbeziehung der empirischen Theorie wiederholt. Dieses hybride Vorgehen erlaubt es, die Vorteile beider Vorgehensweisen zu nutzen, ohne sich jedoch die jeweiligen Nachteile einzuhandeln, die zu einer wechselseitigen Paralyse führen.]  Fortsetzung folgt.

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