Archiv für den Tag: 7. März 2017

KURZBESPRECHUNG: Johnny Depp – ScienceFiction Film: TRANSCENDENCE

Durch Zufall bin ich auf einen  interessanten Film gestoßen: Transcendence (Transzendenz), dies ist mal ein echter Science-Fiction Film (und ich kenne einige).
SCHLECHTER START 2014
Der Film erschien April 2014. Die ersten Reaktionen waren verhalten, dazu viele negative Kritiken. Zum Glück habe ich das erst alles gelesen, als ich den Film selbst gesehen hatte. Ich kann keine einzige der negativen Kritiken bestätigen.
HABE EINE ANDERE MEINUNG
Im Gegenteil, ich finde den Film aus Sicht von ‚fiction‘ absolut ansprechend, da er die aktuelle Situation in eine nahe Zukunft verlagert, die deutlich anders ist als das Jetzt, in dem wir leben, aber doch nah genug, dass man den heißen Atem einer solchen alternativen Zukunft sehr wohl spüren kann.
ECHTER SCIENCE FICTION
Vom Standpunkt der ’science‘ (Wissenschaft, Technologie) greift der Film die wichtigsten Themen auf, die zur Zeit weltweit in den Laboren und Entwicklungsabteilungen real entwickelt und ausprobiert werden (Biotechnologie, Nanotechnologie, künstliche Intelligenz, Genetik, Roboteroperationen, Vernetzung, technische Singularität, Gehirn-Scan, …); manches ist sogar schon real im Einsatz. Der Abstand zur Vision im Film ist nicht groß. Man kann nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die Vision des Films schon in ca. 10 – 30 Jahren voll einlösbar sind.
TREFFEN DEN NERV UNSERER SITUATION
Diese Entwicklungen rühren an tiefgreifende Fragen von Menschenbild, Gesellschaftsform, Rechtssystem und wir erleben ja schon heute, wie die Digitalisierung der Gesellschaft, in manchen Ländern nahezu jeden Bereich des alltäglichen Lebens ergriffen und verändert hat. Die Vernetzung ist schon so umfassend und durchdringend, dass normales Leben ohne gar nicht mehr funktionieren würde. Eine wirkliche Diskussion über all diese Umbrüche und neuartigen Entwicklungen findet bislang öffentlich kaum statt; meist sind es nur ein paar Spezialisten oder ‚Verrückte‘, die sich darüber Gedanken machen.
In dieser Situation, vor diesem Hintergrund trifft der Film Transzendenz im Jahr 2017 vielleicht mehr als im Jahr 2014 mitten ins Schwarze. Er greift nicht nur all diese Themen auf, sondern führt sie in einer Weise zusammen, wie es bislang noch niemand gemacht hatte (es gibt viele andere sogenannte science fiction Filme mit bunteren Bildern, mehr Action, aber grottenschlechten Stories; eigentlich sind diese dann auch nur ‚fictions‘, nicht ’science fictions‘). Die Kombination von künstlicher Intelligenz mit Gehirnscan, die Einbettung der künstlichen Intelligenz in ein globales Netzwerk, die Beachtung der Energieproblematik von Computern, die Verknüpfung von künstlicher globaler Intelligenz mit Produktionsanlagen (Industrie 4.0 ist da schon sehr nah dran!), die Einbeziehung von Gentechnik und Nanotechnologie, um in der realen Welt Datenstrukturen aus dem Computer nachbauen zu können, das durchgehende ‚Upgrading‘ der Menschen samt ihrer Vernetzung, dies sind je für sich genommen Themen, die nicht neu sind, aber ihre Kombination zu einem einzigen KI-Ökosystem ist kreativ und beeindruckend.
SPANNEND ERZÄHLT
Dies alles wird in Form einer Geschichte erzählt, die von Anfang an spannend ist, von Rückblicken und Erwartungen lebt, wo man nicht so ohne weiteres voraussehen kann, wie der Plot genau laufen wird. Die Personen kommen – für mich – sehr überzeugend rüber. Die Verknüpfung mit sehr menschlichen Eigenschaften, Gefühlen, Liebe, Sinnfragen, Vertrauen, kommt sehr natürlich daher, nicht erzwungen, ergibt sich aus den Handlungssituationen. Alles, was in diesem Film gezeigt wird (und der Film zeigt ja letztlich nur einen winzigen Ausschnitt), ist absolut beziehbar auf unser Heute und auf unser mögliches Morgen.
KONTEXT LEBEN AUF DER ERDE
Betrachtet man die Geschichte der Evolution des Lebens auf der Erde, dann ist ein Trend ganz eindeutig: das Leben baut immer komplexere Strukturen auf und zugleich vernetzt sich alles immer mehr. Der menschliche Körper besteht aus einer Arbeits- und Lebensgemeinschaft von ca. 36 Billionen (10^12) Zellen (dies entspricht etwa 120 Galaxien unseres Universums!), die miteinander auf unendlich komplexe Weise kommunizieren. Dies ist real. Unser normales Alltagsverstehen ist nicht in der Lage, diese Komplexität angemessen zu denken; es macht sich ständig sehr primitive Bilder der realen Welt, Bilder die zwangsläufig falsch sind. Vielleicht kann man den Film als eine Art ‚Klopfzeichen‘ aus einer Zukunftsvision verstehen, die bei uns anklopft um uns darauf aufmerksam zu machen, dass so, wie wir heute leben, sicher nicht die Form ist, die in der Zukunft stattfinden wird.

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Kurzbesprechung: Ulrich Ott, Meditation für Skeptiker. Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 7.März 2017
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Ulrich Ott, Meditation für Skeptiker. Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst, O.W. Barth, eBook. 2015 (auch als Taschenbuch)

Im Rahmen einer geplanten interdisziplinären Lehrveranstaltung zur Meditation wurde ich auf dieses Buch aufmerksam … und habe es ziemlich zügig durchgelesen. Dazu muss ich sagen, dass ich selbst schon über eigene Meditationserfahrungen verfüge, mehr als 20 Jahre, in verschiedenen Stilen, alleine und mit anderen. Insofern war die Lektüre ein wenig eine Art ‚Abgleich‘ der eigenen Erfahrungen mit dem Buch.

RELIGIONSFREIE PRAKTISCHE ANLEITUNG

Was positiv auffällt, ist die nüchterne Art, mit der hier das praktische Herangehen an die Praxis des Meditierens sehr konkret und anschaulich beschrieben wird. Ohne Anleihen bei irgendwelchen speziellen religiösen Traditionen wird im Teil 1 schlicht beschrieben, welche verschiedenen Haltungen es gibt, wie man atmen kann, wie man sich bei seinen ersten eigenen Übungen dazu bringen kann, längere Zeit (ca. 20 – 30 Min) da zu sein, sich wahr zu nehmen, zur Ruhe zu kommen. Während man in anderen Kontexten oft hören kann, warum diese oder jene Vorgehensweise ‚besser‘ sei, stellt Ott nüchtern fest, dass es aus wissenschaftlicher Sicht bislang keine eindeutigen Empfehlungen für die ‚ideale‘ Haltung oder Atemtechnik gibt. Jeder muss da seine eigene ideale Haltung finden.

NEUROWISSENSCHAFTLICHE BEFUNDE

Eingestreut in die praktischen Anleitungen im Teil 1 und dann im Teil 2 ausschließlich finden sich Erkenntnisse der Neurowissenschaften und der verhaltensbezogenen psychologischen Forschung. Diese Befunde sind aktuell, treffend und zeigen, wie das Thema Meditation in den letzten Jahren immer mehr zu einem wichtigen Forschungsthema wird. Zugleich wird hier aber auch deutlich, dass die Neurowissenschaft hier an methodische Grenzen stößt. So beeindruckend heutige neurowissenschaftliche Datenerhebungen z.T. schon sind, so sagen diese Daten zum eigentlichen individuellen Erleben in der Meditation so gut wie gar nichts aus (sie messen ja nicht das individuelle Erleben direkt, sondern irgendwelche biochemischen Prozesse in einem vermuteten zeitlichen Zusammenhang). Das Gleiche gilt für die unterschiedlichen Wirkungsstudien, die einen positiven Einfluss auf bestimmte als ‚krank‘ klassifizierte Verhaltensmuster diagnostizieren. Wie Ott selber zu Beginn von Teil 2 herausstellt, gibt es bislang keine befriedigende wissenschaftliche Definition zum Begriff ‚Meditation‘ und die Kontextbedingungen sind in den einzelnen experimentellen Anordnungen oft so unterschiedlich, dass es schwierig ist, hier zu eindeutigen Zuordnungen zu kommen (ganz zu schweigen von der Grobheit und Ungenauigkeit der neurowissenschaftlichen Messungen).

WELTBILD IM HINTERGRUND

Wenn ich zuvor den nüchternen Beschreibungsstil bei der Hinführung zu einer meditativen Praxis gelobt habe, so muss ich dies für die zweite Hälfte von Teil 1, speziell bei den Abschnitten ‚Denken‘ und ‚Sein‘, ein wenig einschränken.
Gleich zu Beginn in der Einführung des Buches weist Ott zwar deutlich darauf hin, dass unser aktuelles Erleben umfassend geprägt ist durch die Eigenheit unseres Körper, seine evolutionär gewordene Prägung, und durch die verschiedenen kulturellen Einflüsse, die unser Bild von der Welt und von uns selbst im Lauf des Lebens beeinflussen. Im weiteren Verlauf benutzt er dann aber selber ein Deutungsschema für unser Erleben in der Mediation, das so, wie er es benutzt, sich auch einer bestimmten kulturellen Deutung verdankt, die so nicht ohne weiteres zwingend ist.

DUALISMUS: DENKEN – FÜHLEN

Für die fortgeschritteneren Stufen des Meditierens folgt er letztlich dem klassischen Deutungsschema, dass das Meditieren sich von den unterschiedlichen Ablenkungen mehr und mehr löst, um sich dann – bei einigen – in einer speziellen (mystischen) Seinserfahrung wieder zu finden, in der sich alle Spannungen und Widersprüche in gewisser Weise aufheben, und aus der jeder einzelne viel Ruhe, Kraft, Gelassenheit usw. ziehen kann.

LEBEN IST ANDERS

Nimmt man die Erkenntnisse der modernen Evolutionsbiologie ernst, dann besteht das grundlegende Kennzeichen des biologischen Lebens gerade darin, dass es die Kunst des Gleichgewichts zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch beherrscht. Diese Kunst des Gleichgewichts hat ihren Zweck nicht ‚in sich selbst‘, sondern darin, immer komplexere Strukturen zu ermöglichen, wie z.B. Bedürfnisse, Emotionen, Gefühle, Erinnerungen, Begriffe, komplexe Verhaltensmuster, und mehr. Das damit immer stärker anwachsende ‚Universum der Unterschiede‘ erscheint dann als jenes Medium, durch das sich das individuelle Leben mehr und mehr begreifen kann als Teil eines komplexen Lebensprozesses, dessen Energie (rein physikalisch) zwar allen Unterschieden prinzipiell voraus liegt (und von daher nicht wirklich sterben kann), dessen Dynamik aber eben nur in diesem ‚Rauschen der Unterschiede‘ erlebbar ist. In diesem Kontext wäre das Wahrnehmen, Denken, Erinnern, Fantasieren usw. kein Gegensatz zum ‚Sein‘, sondern jenes Medium, in dem die Struktur des Seins überhaupt erlebbar wird.

Zu diesen neuen Erkenntnissen der Biologie zum Leben gibt es eine interessante Parallel zur christlichen Mystik. In fast 2000 Jahren christlicher Mystik wird das ‚Fühlen des Seins‘ nicht als ‚Abkehr von der Welt‘ verstanden wurde, sondern als ein besondere Form des ‚inneren Erkennens (Trost und Mißtrost)‘, um die Strukturen der Welt (und des Denkens) noch tiefer zu verstehen. Leider kennt heutzutage kaum noch jemand diese Form von mystischer Tradition (nicht zuletzt vielleicht auch deswegen, weil diese Art von mystischer Seinserfahrung von den Kirchen selbst oft dadurch verdeckt wurde, dass sie mit sekundären religiösen Traditionen überlagert wurde, die mit der eigentlichen Erfahrungen nicht wirklich etwas zu tun hat).

MEHR WAHRHEIT, WENIGER BIOCHEMIE

Man kann auch die Frager aufwerfen, ob die Rolle der Neurowissenschaften und der verhaltensbezogenen Psychologie (der ich im übrigen sonst auch stark anhänge), im Kontext der Meditation nicht überschätzt wird. Sicherlich, es kann nicht schaden, psychologische und neurowissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen, aber das, was das individuelle Erleben auszeichnet, liegt weit außerhalb einer empirischen Datenerfassung. Wenn ich mich dafür interessiere, welche emotionalen und begrifflichen Wirkungen ein Computerspiel auf Jugendliche hat, dann werde ich keine großen Erkenntnisse erhoffen dürfen, wenn ich die Ladungszustände in den Computerchips messen würde (was mit erheblich größerer Genauigkeit möglich ist als Messungen an ca. 80 Milliarden lebenden Neuronen (plus der vielen Milliarden unterstützenden Zellen)). Statt also diffuse Erregungszustände von riesigen Zellverbänden zu kartieren, die im Detail viele Millionen unterschiedliche Funktionen haben können, wäre es vielleicht wichtiger, die individuellen Erfahrungen selbst systematisch zu beschreiben.

MENSCH NUR BIOCHEMIE?

Angesichts der heutigen an Intensität zunehmenden Diskussion, ob die immer leistungsfähiger werdenden intelligenten Maschinen auf Dauer den Menschen ersetzen und überflüssig machen werden, wäre es nicht unerheblich, ob es sich beim Menschen auch ’nur‘ um eine biochemische Maschine handelt, deren biochemischen Zustände sich durch Drogen und Techniken (auch Meditationstechniken) beliebig manipulieren lassen, oder ob wir es hier mit einem komplexen Lebensprozess zu tun haben, dessen konkrete Ausprägungen in den verschiedenen Lebensformen bis hin zum homo sapiens ein Mehr an Bedeutung in sich tragen, das sich durch biochemische Erbsenzählerei sicher nicht erfassen lässt.

FAZIT
Trotz aller kritischen Anmerkungen finde ich das Büchlein lesenswert, man sollte aber in eine intensive Diskussion über die hier angedeuteten Fragen einsteigen.

PS:

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