Archiv für den Monat: Oktober 2018

MEDITATION IM ALLTAG. Eine philosophische Betrachtungsweise … erste Skizze

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 26-27.Okt. 2018
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Letzte Korrekturen: 14.Nov.2018

KONTEXT

Der nachfolgende Text stellt keine direkte Fortsetzung des vorausgehenden Beitrags zu ‚Meditation und Wissenschaft‚ dar, ist aber in diesem Kontext zu sehen. Er versucht das konkrete Geschehen des Meditierens zu adressieren, wie es sich aus einer eher philosophisch-wissenschaftlichen Betrachtungsweise darstellt.

RICHTIGE KÖRPERHALTUNG

Wenn wir meditieren wollen, dann geschieht dies nicht im ‚Irgendwo‘ sondern mit unserem konkreten Körper an einem konkreten Ort. Und es stellt sich unweigerlich die Frage, welche Stellung mein Körper einnehmen soll.

Rein theoretisch kann unser Körper sehr viele unterschiedliche Stellungen einnehmen. Dies nochmals moduliert ob ’statisch‘ (innerhalb der Meditation unveränderlich) oder ‚dynamisch‘ (innerhalb der Meditation ‚veränderlich‘) (siehe z.B. eine Auswahl von verschiedenen Körperstellungen, die der Meditationsforscher Ulrich Ott  auf der Webseite zu seinem Buch ‚Yoga für Dummies‘ anzeigt). Dazu kommt, dass der einzelne mit seinem Körper Besonderheiten aufweisen kann, sodass bestimmte Körperstellungen für ihn/ sie von vornherein ausgeschlossen sind.

Letztlich gilt nur eine Hauptregel: man nehme solch eine Körperstellung ein, die es zulässt, dass man für die geplante Dauer der Meditation vom Körper nicht durch ‚körperliche Schmerzen‘ ‚abgelenkt‘ wird.

Für alle Menschen, die keine besonderen körperlichen Besonderheiten aufweisen und die in einer Kultur groß geworden sind, wo das Sitzen auf Stühlen Bestandteil des Alltags ist, haben sich zwei Körperstellungen als – in der Regel – sehr hilfreich erwiesen: (i) das Sitzen auf einem Stuhl und (ii) das Sitzen auf einem erhöhten Kissen (oder Meditationsbänkchen) auf dem Boden. Bei (ii) sitzt man auf dem erhöhten (und stabilen) Kissen (oder Bänkchen) und kniet mit beiden Knien auf dem Boden (Sitzmatte, Teppich…). Dadurch hat man drei stabile Punkte, die es erlauben, mit dem Oberkörper ohne Beeinträchtigungen gerade zu sitzen, Im Fall von (i) hat man einen normalen Stuhl. Die allgemeine Empfehlung lautet, sich auf den Stuhl zu setzen, ohne sich anzulehnen, und die Beine gerade vor sich aufsetzen. Tatsächlich kann es aber helfen, vorne auf der Kante des Stuhls zu sitzen, die Beine nach unten abzuwinkeln, dass sie wie Hebel den Oberkörper leicht nach oben schieben, und die Beine dabei im unteren Bereich leicht zu verschränken. Dies nimmt zwar etwas Stabilität von den Beinen weg, erhöht aber die Freiheit und Leichtigkeit des Oberkörpers. Wer will, kann sich auch auf den Rücken auf den Boden legen; dies verleitet aber zum Einschlafen. In allen Fällen kann man die Augen offen oder geschlossen haben; nach vielen Jahrzehnten Praxis würde ich die Schließung der Augen befürworten, weil dies sehr oft mehr hilft, sich auf seinen eigenen Körper zu konzentrieren.

KÖRPER ALS UNIVERSUM

Bevor wir uns jetzt auf die Abenteuerreise Meditation einlassen, einige wenige Gedanken vorweg, um zu verstehen, in welche Kontext wir uns bewegen.

Wenn wir hier vom ‚Körper‘ sprechen, von ‚unserem Körper‘, dann haben wir normalerweise die Bilder vor Augen, die wir aus unserer Alltagspraxis wahrnehmen: unsere Körper haben eine bestimmte ‚Form‘, sie können sich ‚bewegen‘, sie haben ‚Bedürfnisse‘, sie können ‚Schmerzen‘ empfinden, aber auch verschiedene Formen von ‚Lust‘, sie reagieren auf unterschiedliche Aspekte der Umgebung, sie können ‚krank‘ werden, sie können ‚wachsen‘, sie können ‚altern‘ bis hin zum ‚Tod‘, und vieles mehr.

Diese Erfahrungen sind unsere primären Erfahrungen und graben sich seit unserer Kindheit tief ein in unseren inneren Erfahrungsraum, in unsere Erinnerungen, in unsere Erwartungen, und in unser ‚Bild von der Welt und uns selbst‘. Je nachdem, welche individuellen Erfahrungen ein einzelner Mensch in seinem Leben gemacht hat, können sich diese Bilder unterscheiden, bis dahin, dass Aspekte des Alltag für den einen ‚positiv‘ besetzt sind, für die andere ’negativ‘. Positive Erinnerungen ermutigen, diese Bilder zu wiederholen, negative lösen ‚Ängste‘ aus und blockieren.

In den letzten 100 Jahren konnte die Wissenschaft über den Körper viele neue Dinge in Erfahrung bringen, die unser Bild vom Körper nachhaltig verändert haben, und in den letzten 10 – 50 Jahren kamen sehr viele weitere Erkenntnisse hinzu, die es uns heute erlauben, das Bild von unserem Körper noch radikaler neu zu zeichnen.

Zu Beginn des 20.Jahrhunderts entdeckte der Naturwissenschaftler Sigmund Freud (1856 – 1939), dass unser Bewusstsein‘ ‚lückenhaft‘, ‚fragmentarisch‘ ist; eine Erfahrung, die jeder in seinem Alltag leicht wiederholen kann. Der Inhalt unseres ‚Gedächtnisses‘ ist uns zu keiner Zeit vollständig bewusst; wir erinnern nur solche Fragmente, die sich aufgrund eines ‚Schlüsselreizes‘ aufrufen, aktivieren lassen. Potentiell erscheint unser ‚Gedächtnis‘ nahezu beliebige groß zu sein (wenn man bedenkt, wie viele Details wir lernen können), faktisch, ‚im Lichte des Bewusstseins‘, wissen wir aber immer nur kleine Fragmente. Freud bildete die Arbeitshypothese, dass es neben dem uns bekannten ‚Bewussten‘ zugleich noch ein ‚Unbewusstes‘ geben muss, das immer da ist, das mit dem ‚Bewussten‘ kooperiert, und dass daher das ‚Psychische‘ sich aus beidem zusammensetzt: aus dem ‚Bewussten‘ und aus dem ‚Unbewussten‘. Während er Zeit seines Lebens viele verschlungene Wege ging, um diese Arbeitshypothese weiter zu verstehen, sie zu erforschen, hat er in seinem letzten Text 1938 vor seinem Tod im September 1939 seinen theoretischen Ansatz auf genau diesen Punkt zugespitzt. Und interessant ist auch seine Bemerkung zur Rolle des Bewusstseins: angesichts der Entdeckung des ‚Unbewussten‘ könnte man der Versuchung verfallen, das ‚Bewusste‘ damit zur Seite zu schieben als bedeutungslos. Das hat Freude nicht getan, er schreibt am Ende seines Textes: „Mit alledem ist aber nicht gesagt, dass die Qualität der Bewusstheit ihre Bedeutung für uns verloren hat. Sie bleibt das einzige Licht, das uns im Dunkel des Seelenlebens leuchtet und leitet.“(Freud (1952), S.147)

Mit der Entdeckung des ‚Unbewussten‘ wird das ‚Bewusste‘ also nicht überflüssig.

Nach Freud, ca. 60 Jahre, kann die Wissenschaft die Arbeitshypothese vom ‚Bewussten‘ und ‚Unbewussten‘ weiter präzisieren. Wir wissen heute ziemlich klar, dass unsere ‚Bewusstheit‘ an die Funktionen des Gehirns gebunden ist, das im Körper sitzt, und dass unser Gehirn nur etwa 0.1% der gesamten Zellen repräsentiert, die unseren Körper bilden (für Details dieser Überlegung siehe meinen Blogbeitrag HIER) Dies bedeutet, dass nur ein kleiner Teil dessen, was im Körper passiert, überhaupt im Gehirn präsentiert ist, und dass von dem, was im Gehirn verfügbar ist, wiederum nur ein kleiner Teil punktuell bewusst ist.

Zusätzlich sind zweierlei Aspekte zu bedenken: einmal (i) dass der Signalfluss vom Körper zum Gehirn Zeit benötigt, ebenso von jenen Gehirnteilen, die ’nicht bewusst‘ sind zu jenen, die für uns ‚Bewusstheit‘ ermöglichen; zum anderen (ii) werden die Signale ‚am Ziel‘ nicht einfach nur 1-zu-1 übernommen sondern in der Regel nach bestimmten Mustern verarbeitet, sowohl in Richtung ‚Strukturbildung‘ (Klassen, Kategorien, Typen, …) wie auch in Richtung ‚funktionale Beziehung‘ (Wenn X dann Y). Diese Signalverarbeitung durch das Ziel kann wiederum in zweifachen Sinne geschehen: (a) genetisch induzierte feste Muster oder (b) ’neu gelernte‘ Muster.

Wenn wir also den Raum aller jener Ereignisse, deren wir uns zu einem bestimmten Zeitintervall ‚bewusst‘ sein können, ‚Bewusstsein‘ (BW) nennen, und alle jene Ereignisse, die diesen Raum des Bewusstseins füllen ‚Phänomene (PH)‘, dann haben wir eine erste wissenschaftlich motivierte Arbeitshypothese zu dem, was wir unter ‚Bewusstsein‘ verstehen können. Folgen wir dem Vorschlag von Freud und nennen die Gesamtheit des Bewussten und des Unbewussten das ‚Psychische‘, dann wird durch diese Begriffsbildung klar zum Ausdruck gebracht, dass beide unauflöslich miteinander verknüpft sind.

TUN – FÜHLEN – DEUTEN

Wenn wir eine bestimmte Körperstellung einnehmen, um zu meditieren, (unser TUN) und wir dabei vorzugsweise unsere Augen schließen, dann bildet für uns unser Bewusstsein eine Art ‚psychisches Teleskop‘ hinein in die unendlichen Weiten unseres Unbewussten. Die Vielzahl der Phänomene, die wir dabei erleben können (unser FÜHLEN), erscheint nahezu unerschöpflich, und bis heute existiert weder eine allgemein akzeptierte ‚Landkarte‘ des Bewusstseins (als Teil des Psychischen) noch haben die Philosophen und Wissenschaftler es bislang geschafft, hier eine wissenschaftlich begründete erschöpfende Theorie zu formulieren (Teil einer DEUTUNG). Wir sind daher eher vergleichbar mit einem Christoph Columbus, der dachte, er folge einem Weg nach Indien, und dann in Amerika landete …. Wenn wir uns mutig in die Meditation begeben, glaubt so mancher, er wisse, was er finde, aber die Wahrheit ist eher eine andere …

ZEIT

Da der Raum der Phänomene aus sich heraus keine ‚Fixpunkte‘ ermöglicht, anhand deren man die Dauer einer Meditation festmachen kann, empfiehlt es sich, vor Beginn der Meditation ein festes Zeitintervall vorzugeben, an dem man sich orientiert (ein Wecker oder heutzutage eine Timer-App auf dem Handy kann hier sehr nützlich sein).

Für alle die anfangen und in anfordernde Tagesabläufe eingebunden sind, empfiehlt es sich, die psychologische Einstiegsschwelle möglichst niedrig zu legen. 10 Minuten + X kann ein guter Start sein, also z.B. mit X=2 hätte man 12 Minuten.

Wichtiger als ab und zu lange zu meditieren ist es, regelmäßig zu meditieren, und dies gelingt zu Beginn nur, wenn die Einstiegsschwelle niedrig genug ist.

Mit ca. 12 Minuten zu Beginn ist die ‚Entdeckungstiefe‘ zwar begrenzt, aber erste interessante Entdeckungen und erste Wirkungen auf das Lebensgefühl können eintreten (natürlich individuell verschieden, und nicht ganz unabhängig vom jeweiligen Kontext). Wichtig ist es, das Meditieren so ’normal wie möglich‘ zu sehen und zu praktizieren. Man tut etwas für sich, so wie man ja auch schläft und isst.

Siehe Anmerkung: ZEIT(1)

LOGBUCH UND REFLEXION

Wer nicht nur ‚Fühlen‘ will (was für sich schon sehr positiv ist!), sondern auch ‚Erkennen‘ will, für den empfiehlt es sich, eine Art ‚Logbuch‘ zu führen, wie die Seeleute auf dem Meer oder die frühen Astronomen bei der Erkundung des Himmels.

Solch ein Logbuch zu führen, ist nicht ganz einfach, da es bislang – im Gegensatz zu den Seeleuten und Astronomen — keine klaren Kriterien gibt, worauf man denn achten soll. Das Bewusstsein als Fenster ins Unbewusste ist mit einer Unendlichkeit konfrontiert, die bislang eher unerforscht ist, und dies wird dadurch weiter erschwert, dass – nach all unserem Wissen – nicht nur das Unbewusste selbst extrem veränderlich sein kann, sondern auch das Bewusstsein ist keine statische Größe. Das Wissen, das wir aus unserem Alltag kennen, ist vergleichsweise einfach, meist sehr statisch, sehr fragmentiert. Es ist eher hinderlich bei dem eigenen Forschungsprojekt in das eigene Selbst, das nicht statisch ist, das nicht endlich abgrenzbar ist. Möglicherweise muss man ganz neue Begriffe und Denkmuster erfinden, um den Phänomenen gerecht zu werden, auf die man bei dem Experiment Meditation trifft.

Von daher gibt es keinen Königsweg, wie man sein Logbuch schreibt. Man muss einfach mal anfangen und schreiben, so gut man kann. Und bei diesem Aufschreiben sollte man versuchen, so wenig wie möglich mit bekannten Mustern zu ‚deuten‘, sondern so viel wie möglich zu ’notieren‘, was ’so passiert‘ ist. Was, wann, wie, zeitliche Anordnung, … das Logbuch dient der ‚Sammlung von ersten Daten‘.

Wenn man eine Zeitlang sein Logbuch geschrieben hat, dann kommen oft schon ‚von selbst‘ gewisse Ideen hoch nach Zusammenhängen, Mustern, Regelhaftigkeiten. Man kann diese dann separat notieren als ‚erste Deutungsversuche‘, die Anlass sein können, um über verschiedene mögliche Zusammenhänge neu nachzudenken. Diese Deutungsversuche sollte man als ‚Arbeitshypothesen‘ auffassen, die man im Alltag überprüfen kann.

INTENSIVIERUNGEN

Wer es schafft, die psychologische Einstiegsschwelle im Alltag zu überwinden und es fertig bringt, tatsächlich regelmäßig zu meditieren, und zwar täglich (!), der wird mit der Zeit vielerlei Effekte an sich spüren können. Einmal kann sich sein gesamtes Fühlen deutlich ändern, zum anderen kann sich sein ‚Verstehen‘ zunehmend ändern, sollte er/ sie auch ein Logbuch führen. Da Menschen erstaunliche Unterschiede aufweisen, können die Details dieser Veränderungen sich deutlich unterscheiden.

Die Erfahrung legt den Rat nahe, dass alle, die regelmäßig meditieren, sich einen Kreis Gleichgesinnter suchen (soziale Netze können hierzu u.U. helfen), in dem sie sich über ihre Erfahrungen austauschen können. Dies könnte vielfache positive Effekte haben. Ein ganz wichtiger Aspekt ist, dass man im Austausch mit anderen eher die Chance hat, zu entdecken, was man mit anderen gemeinsam hat, und was speziell ist. Das gemeinsame kann stark verbinden. Das Spezielle kann sowohl Hinweise liefern, wo persönliche Stärken und Begabungen liegen, als auch Hinweise, dass es Individuelles gibt, was einen stört, hindert, traurig macht, Schmerzen bereitet usw. und wo man den Dingen ‚auf den Grund‘ gehen sollte. Möglicherweise benötigt man hier dann zusätzliche Unterstützung durch ExpertenInnen, die sich mit solchen Belastungen auskennen und konkret helfen können, sich davon zu befreien.

Ein häufiger Effekt nach einer längeren Zeit des regelmäßigen Meditierens ist, dass man dann auch mal ‚länger‘ meditieren oder gar eine Art ‚Meditations-Urlaub‘ verbringen möchte, in dem man 10 Tage oder länger in einer ruhigen Umgebung verbringt, mit anderen Meditierern, wo man auch mal länger meditiert (20, 40 … Minuten, vielleicht mehrmals am Tag). Dies kann das ‚Fühlen‘ erheblich intensivieren.

Letztlich ist die Bandbreite dessen, was man fühlen kann, auch wie intensiv, wie sich dies auf ein Leben auswirken kann, sehr groß. Berichte dazu könnten Bibliotheken füllen. Entsprechend haben sich im Lauf der Jahrtausende auch viele Deutungsversuche angesammelt. Was davon allgemeingültig ist, was letztlich diese Deutungen ‚wirklich‘ bedeuten, ist aufgrund der Besonderheit des Gegenstandes und der Schwierigkeit, darüber zu kommunizieren, bis heute offen. Viele lieben solche Deutungen, weil sie eine Deutung in der Unendlichkeit unseres Daseins haben möchten, die  ihnen ein ‚Gefühl von Ordnung und Sicherheit‘ vermittelt. Aber diese persönlichen Vorlieben und das ‚Gefühl von Sicherheit‘ ersetzen nicht die Wahrheit…

Die volle Wahrheit erschließt sich zwar für uns nur über Deutungen, aber sie erschöpft sich nicht in ihnen. Es geht nicht um ‚festhalten‘, sondern um ‚Leben‘ …

Siehe Anmerkung INTENSIVIERUNG (1).

QUELLEN

Sigmund Freud (1952), Gesammelte Werke. Imago Publishing Company, Ltd., London, 1952, Band 17, mit dem Abschnitt ‚Schriften aus dem Jahr 1938‘; darin ein deutscher Text mit englischer Überschrift: ‚Some Elementary Lessons from Psychanalysis‘, Online: http://freud- online.de/

 

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MEDITATION UND WISSENSCHAFT. Überlegungen zu einem Lehr- und Forschungsexperiment an einer Deutschen Hochschule

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 16.Okt. 2018
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Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

KONTEXT

Das Hauptthema in diesem Blog ist seit Beginn die Suche nach dem neuen Menschenbild innerhalb der Koordinaten ‚Philosophie – Wissenschaft‘ ergänzt um die Themen ‚Gesellschaft – Technologie‘ und ‚Religion‘.

Im Laufe der Jahre haben sich aufgrund dieser Überlegungen immer wieder ‚Unterprojekte‘ außerhalb des Blogs herausgebildet, um die allgemeinen Überlegungen auch konkret zu prüfen bzw. umzusetzen.

Aktuell gibt es drei Unterprojekte: (i) Vorbereitet durch viele Jahre Vorlesungen gibt es ein online-Buchprojekt zum integrierten Engineering, das weit fortgeschritten ist. (ii) Ferner gibt es nun schon im vierten Semester ein Projekt ‚Meditation und Wissenschaft‘ an einer Deutschen Hochschule als reguläre interdisziplinäre Lehrveranstaltung, aus der ein erstes Buch hervorgegangen ist (kurz vor dem Druck), und zu dem es in wenigen Tagen einen ersten wissenschaftlichen Kongress geben wird. (iii) Seit dem Frühjahr 2018 hat sich im Anschluss an einen Kongress zur Städteplanung ein neues interdisziplinäres Projekt gebildet, das eine ziemlich direkte Umsetzung der Theorie des Engineerings ist, die unter (i) erwähnt wird (die aktuelle Webseite https://www.frankfurt-university.de/index.php?id=4664 verrät noch nicht all zu viel, aber eine deutlich erweiterte Fassung ist in Vorbereitung (bis ca. Mitte November) und adressiert alle Kommunen in Deutschland (und letztlich in ganz Europa). Eine weitere Variante adressiert Universitäten und Schulen, auch Firmen.

Hier soll kurz auf das unter (ii) genannte Projekt eingegangen werden.

GESELLSCHAFTICHE AUSGANGSLAGE

Wie in dem im Frühjahr 2019 erscheinenden Buch ausführlich dargelegt wird, erleben wir eine Zeit, in der aktuelle technologische Entwicklungen (sehr dominant: die sogenannte ‚Digitalisierung‘) die gewohnten Abläufe in der Gesellschaft von Grund auf neu formen. Zusätzlich wirbeln alte, bekannte Weltbilder mit neuen wissenschaftlichen Sehweisen, meist sehr fragmentiert, durcheinander und lassen den einzelnen eher verwirrt denn aufgeklärt zurück. Die konkreten Alltagsformate der einzelnen Menschen in den Industrieländern induzieren viele neue Stresssituationen, selbst schon bei Kindern, Jugendlichen und Studierenden, die das aktuelle Bildungssystem zu überfordern scheinen.

VERANTWORTUNG DER HOCHSCHULEN

In einem solchen Kontext müssen sich Hochschulen, auch die Hochschulen für angewandte Wissenschaften, neu orientieren und sortieren.

Traditionellerweise verbindet man mit Hochschulen ‚Wissenschaft‘, ‚wissenschaftliches Denken und Arbeiten‘, und es gibt zahlreiche juristische und organisatorische Abläufe, die diese Wissenschaftlichkeit absichern sollen. Aus Sicht des einzelnen Studierenden erscheint eine Hochschule aber immer mehr wie eine ‚Service-Maschine‘, die eine Vielfalt von Studienprogrammen anbietet, die jeweils kleine Ausschnitte aus dem großen Wissenskosmos vorstellt, die — in der Regel — weder mit dem Rest der Wissenschaft noch mit der Breite der Gesellschaft irgendetwas zu tun haben. Wichtiges Detail: der einzelne Studierende als ‚Person‘, als ‚Mensch‘ mit all seinen Facetten und heutigen Belastungen kommt in diesen Programmen normalerweise nicht vor. Dies ist ‚Privatsache‘. Da muss jeder auf eigene Faust schauen, wie er das ‚regelt‘.

Der wachsende ‚Veränderungsdruck‘ in der gesamten Gesellschaft, die Zersplitterung der kognitiven Landkarte in viele Fragmente, die nicht mehr zusammen zu passen scheinen, die allseitige Zunahme an körperlichen und psychischen Erkrankungen, kann man, wenn man will, als Anregung, als Herausforderung verstehen, den Ort ‚Hochschule‘ neu zu formen, um diesen greifbaren Defiziten mehr gerecht zu werden.

ERSTER ANTWORTVERSUCH

Eine umfassende Antwort würde möglicherweise in eine sehr grundlegende Reform der Hochschulen münden. Ob, wann und wie dies geschieht, weiß momentan sicher niemand. Aufgrund einer besonderen Situation an der Frankfurt University of Applied Sciences kam es im Frühjahr 2017 zu einer Initiative (Dievernich, Frey, Doeben-Henisch), die zum Start eines offiziellen Lehrmoduls ‚Meditation als kulturelle Praxis‘ führte, das sich seitdem inhaltlich immer mehr zur Thematik ‚Meditation und Wissenschaft‘ hin entwickelt hat.

Es soll hier einführend beschrieben werden, wie das Projekt so zwei unterschiedlich erscheinende Themen wie ‚Meditation‘ einerseits und ‚Wissenschaft und Technologie‘ andererseits miteinander zu einer Lehrveranstaltung mit forschendem Charakter verbinden kann. Zudem sollte es einen Beitrag zur personalen, menschlichen Situation der Studierenden leisten.

INTERDISZIPLINÄRES FELD STUDIUM GENERALE

Vorweg zu den Details der nachfolgenden Erläuterungen muss festgestellt werden, dass der Start zu dem neuen, innovativen, Projekt ‚Meditation als kulturelle Praxis‘ (oder dann künftig eher ‚Meditation und Wissenschaft‘) nur möglich war, weil es in der Hochschule schon seit 2005 die alle Fachbereiche und Studienprogramme übergreifende Einrichtung eines ‚interdisziplinären Studium Generale (ISG)‘ gibt. In diesem Rahmen können nahezu beliebige Themen von Dozenteams aus mindestens 2 – eher 3 — verschiedenen Fachbereichen angeboten werden, und die Studierenden aus allen Bachelorstudiengängen können sich dafür anmelden. Dieser kreative Raum innerhalb der ansonsten ziemlich ‚hart verdrahteten‘ Lehre war schon vielfach ein Ort für neue, innovative, und vor allem teamorientierte Lernerfahrungen. Doch auch hier gilt: was nützen die besten Optionen, wenn es zu wenig kreative und mutige Dozenten und Studierende gibt. Freiräume sind ‚Einladungen zu‘ aber keine ‚Garantien für‘ eine kreative Nutzung.

PHÄNOMEN MEDITATION

Das Thema ‚Meditation‘ blickt zurück auf eine Tradition von mehr als 2000 Jahren, mit vielen unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen, und erlebt seit Jahren eine starke Wiederbelebung in von Technologie geprägten Gesellschaften, deren Vielfalt kaum noch zu überschauen ist. Im Kern wird das Thema Meditation aber begleitet von einer Art Versprechen, dass jemand, der meditiert, daraus sowohl für seinen Körper als auch für seine Psyche ‚positive Wirkungen‘ ziehen kann.

Meditieren heißt, dass man mit seinem Körper etwas konkretes ‚tut‘, dass man konkrete Zustände seines Körpers konkret ‚erlebt‘, und dass man dieses Tun und Erleben ‚interpretieren‘ kann, aber nicht muss. Sowohl zu den konkreten praktischen Formen des Meditierens wie auch zu den möglichen Interpretationen gibt es ein breites Spektrum an Vorgehensweisen und Deutungen.

Was kann ein einzelner Mensch tun, wenn er sich mit Meditieren beschäftigen will? Was kann er tun, wenn er in einer von Wissenschaft und Technik geprägten Welt mit dem Phänomen Meditation konfrontiert wird? Welche Rolle spielen die ‚Deutungsmodelle‘? Warum gibt es überhaupt so viele unterschiedliche Deutungsmodelle? Was bedeutet es, dass diese Deutungsmodelle in so vielen verschiedenen Sprachen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten vorliegen?

DEUTUNGSMODELLE UND WISSENSCHAFT

Die modernen empirischen Wissenschaften sind im Laufe der Jahrhunderte (mit langen Vorlaufzeiten von bis zu 2000 Jahren!) entstanden als eine neue Art von ‚Wahrheitsbewegung‘: wie kann man in der Vielfalt der Erfahrungen und des Wissens jene ‚Bestandteile‘ herausfinden, die ‚wirklich Geltung‘ haben im Unterschied zu jenen Bestandteilen, die sprachlich zwar beschrieben und behauptet werden, aber nur schwer bis gar nicht als ‚gültig‘ erwiesen werden können? In einem mühsamen Prozess, der in den ca. letzten 400 Jahren zu seiner heutigen Form fand, zeigte sich, dass das Festhalten an intersubjektiv überprüfbaren ‚Standards‘ intersubjektiv nachvollziehbare und reproduzierbare ‚Messoperationen‘ mit ‚Messwerten‘ ermöglichte, was wiederum ganz neue explizite ‚Arbeitshypothesen‘, ‚Modelle‘ und dann ‚Theorien‘ ermöglicht.

KEIN GEGENSATZ ZWISCHEN WISSENSCHAFT UND ‚GEIST‘

Während das Projekt ‚empirische Wissenschaft‘ lange Zeit als Gegensatz zur klassischen Philosophie und den sogenannten Geisteswissenschaften erschien, führten die Ergebnisse der ca. letzten 150 Jahre mehr und mehr dazu, dass man die Position des ‚Geistes‘, der ‚Geisteswissenschaften‘ im Rahmen der modernen empirischen Theorien schrittweise so ‚einordnen‘ kann, dass die Geisteswissenschaften einerseits im Rahmen der empirischen Wissenschaften integriert werden können, andererseits aber die Besonderheit des Menschen (als Teil des gesamten biologischen Lebens) nicht verschwindet. Statt dass die Besonderheit des Geistigen und des Lebens verschwindet, scheint es eher so zu sein, dass die Besonderheit des Geistigen als Teil des Biologischen eine noch viel größere Wucht erhält als je zuvor. Diese neue mögliche Fusion von empirischen Wissenschaften und ‚Theorie des Geistigen‘ wird bislang noch kaum genutzt. Zu tief haben sich traditionelle Begrifflichkeiten als kulturelle Muster in die Gehirne ‚eingegraben‘; solches zu ändern dauert erfahrungsgemäß viele Generationen.

KANT 2.0

Während der Philosoph Immanuel Kant (1724 – 1804) eingesperrt in sein Bewusstsein, ohne Sprachkritik und ohne Evolutionstheorie, die Antworten auf seine Fragen nur als abstrakte Postulate formulieren konnte, nach denen u.a. Raum und Zeit ‚konstitutiv‘ für menschliches Erkennen sind, ohne dass er dies weiter erklären konnte, hat die moderne Wissenschaft nicht nur ein Stück mehr erklären können, wie überhaupt Sprache funktioniert, sondern zusätzlich wie die Strukturen unserer Wahrnehmung, unseres Gedächtnisses, unseres Denkens und vieles mehr von den Strukturen unseres Gehirns in einem bestimmten Körper geprägt sind, die sich wiederum in einer Entwicklungsgeschichte von vielen Milliarden Jahren herausgebildet haben. Wir wissen heute, dass das ‚Bewusstsein‘ nur einen quantitativ verschwindend kleinen Teil des Gesamtkörpers repräsentiert; das meiste ist ‚unbewusst‘ (die Gehirnzellen haben am ganzen Körper einen Anteil von ca. 0.15%, das ‚Bewusstsein‘ wiederum ist nur mit einem Teil der Gehirnzellen assoziiert…). Zusätzlich hat die Wissenschaft ansatzweise aufgedeckt, wie das Gehirn die aufgenommenen Sinnesreize und Körperreize im Kontext von Wahrnehmung, Gedächtnis und Lernen ‚induktiv‘ zu nahezu beliebig komplexen Mustern verrechnen kann, die für uns dann die Konzepte/ Kategorien bilden, mit denen wir die Welt und und uns selbst anschauen. Da diese komplexen Strukturbildungsprozesse durch kommunikative Interaktionen (speziell auch sprachlichen) beeinflusst werde können, können sich Gehirn-induzierte und Kultur-induzierte Muster mischen, vermischen, und so komplexe Deutungsmuster entstehen lassen, deren ‚Gültigkeitsgehalt‘ stark variieren.

REFORMBEDARF DER WISSENSCHAFTEN

Während die empirischen Wissenschaften (und darauf aufbauen die Ingenieurskunst), in den letzten Jahrhunderten viele Pluspunkte sammeln konnten, zeigen sich im bisherigen Konzept und der Praxis von Wissenschaft dennoch gewisse Schwachpunkte: im Rahmen des empirischen Paradigmas können zwar erfolgreiche empirische Experimente und partielle Modelle entwickelt werden, aber die bisherigen empirischen Konzepte reichen nicht aus, um (i) die vielen einzelnen Theorien zu ‚integrieren‘, und (ii) die bisherigen Konzepte sind nicht in der Lage, den ‚Theoriemacher‘ und ‚Theoriebenutzer‘ in der Theorie mit zu repräsentieren. Gerade in den Ingenieurwissenschaften mit ihren immer komplexeren Projekten führt dies zu grotesken Verzerrungen und vielfachen Projektabstürzen. In den empirischen Wissenschaften ist dies nicht wirklich besser, nur fällt es dort nicht so direkt auf. Allerdings kann man zwischen einer rein physikalischen Betrachtungsweise und einer biologischen immer größere Probleme entdecken.

RÜCKKEHR DER PHILOSOPHIE

An dieser Stelle wird klar, dass das historisch ‚ältere‘ Projekt einer umfassenden Philosophie noch nicht ganz ausgedient hat. Während die Philosophie in der oftmals selbst gewählten Abstinenz von Wissenschaft (seit ca. 1500 Jahren) mehr und mehr den Kontakt zur Welt verlor, kann Philosophie in enger Kooperation mit Wissenschaft dieser helfen, ihre fehlende ‚Einheit‘ zurück zu gewinnen. Das neue Paradigma lautet daher ‚Philosophie und Wissenschaft‘ als grundlegendem Denkmuster, erweitert, konkretisiert in der ‚Ingenieurskunst‘. Diese liefern den Rahmen, in dem sich die Freiheit und Kreativität des Lebens entfalten und gestalten kann.

MEDITATION UND WISSENSCHAFT

Schematisches Modell für eine philosophisch begründete empirische Weltsicht am Beispiel des Meditierens
Schematisches Modell für eine philosophisch begründete empirische Weltsicht am Beispiel des Meditierens

Diese neuen, spannenden Entwicklungen in Philosophie und Wissenschaft eröffnen auch neue, interessante Zugangsweisen im Umgang mit dem empirischen (und historisch überlieferten) Phänomen der Meditation. Im folgenden Text (siehe auch die Schaubilder) wird versucht, aufzuzeigen, wie ein modernes Philosophie-Wissenschafts-Paradigma eine aktive Auseinandersetzung mit dem Phänomen leisten könnte.

Für diese aktive Beschäftigung mit dem Phänomen Meditation wird angenommen, dass sich grob vier Perspektiven unterscheiden lassen:

  1. REALE PRAXIS: Meditation wird in einer bestimmten Umgebung praktiziert von einem Menschen, der dabei mit seinem Körper etwas tut. Dies kann zu Veränderungen an seinem Körper führen wie auch in seinem Erleben.

  2. BEOBACHTEN: Vor der Praxis kann man in Form von Fragen festlegen, auf welche Art von Phänomenen man vor, während und nach der Meditation achten will. Dazu kann man festlegen, in welcher Form die Beobachtung ausgeführt werden soll und wie man die Beobachtungswerte/ -daten protokollieren will. Sie sollten unter festgelegten Bedingungen für jeden potentiellen Beobachter reproduzierbar sein. Ort, Zeit, Umstände usw. sollten aus den Protokollen entnehmbar sein.

  3. DEUTUNG: Einzelne Beobachtungswerte repräsentieren isolierte Ereignisse, die als solche noch keine weiterreichenden Deutungen zulassen. Die einfachste Form von Deutungen sind einfache Beziehungen zwischen verschiedenen Beobachtungswerten (räumliche, zeitliche, …). Sobald mehr als eine Beziehung auftritt, ein Beziehungsbündel, kann man Beziehungsnetzwerke formulieren, Modelle, in denen Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Faktoren sichtbar werden. Wahrheitsfähig werden Deutungen aber erst, wenn sie als Theorie formuliert werden (Strukturen, Beziehungen, Dynamiken, Folgerungsbegriff, …), erst dann können sie wahr oder falsch sein, können sie möglicherweise falsifiziert werden, weil man Voraussagen ableiten kann. Generell kann man für Deutungen noch folgende Eigenschaften festhalten:

    1. Die einfachste und historisch häufigste Form von Deutungen sind Texte in ‚Normalsprache‚, eventuell angereichert mit Bildern oder anderen Artefakten.

    2. In modernen Versionen von Deutungen finden sich zusätzlich mehr und mehr voll definierte Diagramm-Sprachen bis hin zu animierten Bildfolgen

    3. Für die eigentliche, harte Modell- und Theoriebildung haben sich aber formale Sprachen durchgesetzt bzw. eine konsequent mathematische Darstellungsweise, ergänzt um eine explizite Logik, die beschreibt, wie man korrekte Folgerungen aus einer gegebenen Theorie gewinnen kann.

    4. Quer zu den Darstellungsweisen Text, Bild und Formel gibt es die zusätzliche Dimension einer dynamischen Repräsentation in Form von Ablaufschilderungen, Bildfolgen, Computer-Simulationen, oft noch erweitert um Interaktionen, die dem Ganzen einen spielerischen Charakter verleihen.

    5. ÜBERLIEFERUNG: Zu vielen (den meisten…) Phänomenen finden sich Überlieferungen aus früheren Zeiten. Die Überlieferungsgeschichte ist unterschiedlich gut, bisweilen sehr schlecht. Die Kontexte und die verwendeten sprachlichen sowie bildhaften Mittel setzen Interpretationsbeziehungen voraus, die heute gar nicht oder nur partiell bekannt sind. Die konkreten Umstände der Überlieferung, die beteiligten Personen, deren Innenleben, sind oft nur wenig bis gar nicht bekannt. Die Einbeziehung von Überlieferungen ist daher mit großer Vorsicht zu sehen. Dennoch können sie wertvolle Hinweise liefern, die man neu überprüfen kann.

  4. REFLEXION: Die bislang genannten Themen ‚Reale Praxis – Beobachtung – Deutung‘ kann man als solche ‚definieren‘, ‚beschreiben‘ und anwenden. Allerdings setzen alle diese Themen einen übergreifenden/ vorausgehenden Standpunkt voraus, in dem entschieden wird, ob man sich überhaupt einer Realität zuwenden will, welcher Realität, wie, wie oft usw. Ebenso muss vor der Beobachtung geklärt werden, ob man überhaupt beobachten will, wie, wann, wie oft, was man mit den Beobachtungswerten dann tun will, usw. Und entsprechend muss man vor Deutungsaktionen entscheiden, ob man überhaupt deuten will, wie, was, usw. Diese Dimension der vorbereitenden, begleitenden, und nachsinnenden Überlegungen zum gesamten Prozess wird hier Reflexion genannt. Als Menschen verfügen wir über diese Fähigkeit. Sie wird in all unserem Tun, speziell dann auch in einem wissenschaftlichen Verhalten, nicht direkt sichtbar, sondern nur indirekt durch die Art und Weise, wie wir mit der Welt und uns selbst umgehen. Es ist irgendwie die gesamte Vorgehensweise, in der sich ein ‚Plan‘, verschiedene ‚Überlegungen‘, verschiedene ‚Entscheidungen‘ auswirken und damit ausdrücken können. Und ein wissenschaftlicher Umgang mit der Welt und sich selbst setzt insofern bestimmte Verhaltensformate voraus. Wissenschaft im üblichen Sinne ist die geordnete Umsetzung eines solchen Planes. Die Analyse und das Design eines solchen wissenschaftlichen Handlungsformates leistet idealerweise die Wissenschaftsphilosophie. Den kompletten Rahmen für jedwede Art von Vorgehen, das Nachsinnen ob und wie überhaupt, die Klärung von Motiven und Voraussetzungen, die Methode einer Wissenschaftsphilosophie, und vieles mehr, das ist die originäre Aufgabe der Philosophie. Insofern ist die Domäne der vor- und übergreifenden Reflexion die Domäne der Philosophie, die darin in einer methodisch engen Weise mit jedweder Form von Wissenschaft verknüpft ist.

Die hier aufgelisteten Punkte bilden eine minimale Skizze, die weitere Kommentare benötigt.

BEOBACHTUNG: SUBJEKTIVITÄT – OBJEKTIVITÄT

Die Verschränkung des 'Objektiven' mit dem 'Subjektiven' aufgrund des heutigen Kenntnisstands
Die Verschränkung des ‚Objektiven‘ mit dem ‚Subjektiven‘ aufgrund des heutigen Kenntnisstands

Setzt man obigen Rahmen voraus, dann scheint es hilfreich, einen Punkt daraus hier speziell aufzugreifen: das Verhältnis von Subjektivität und Objektivität, das sich nahezu durch die gesamte Geschichte der Philosophie und der Auseinandersetzung zwischen Philosophie und empirischer Wissenschaft zieht. Und gerade im Fall des Meditierens gewinnt diese Unterscheidung eine besondere Bedeutung, da neben jenen Wirkungen des Meditierens, die sich äußerlich und in Körperfunktionen direkt (empirisch, objektiv) beobachten (messen) lassen, es viele (die meisten) Wirkungen gibt, die sich nur ‚im Innern‘ (subjektiv) des Meditierenden erfassen lassen. Wie geht man damit um?

Aufgrund der Erkenntnisse der empirischen Wissenschaften können wir heute relativ klar sagen, dass das persönliche Erleben an das jeweilige, individuelle Bewusstsein (‚consciousness‘) geknüpft ist, das wiederum – in einer noch nicht genau rekonstruierten Weise – eine Funktion des individuellen Gehirns ist. Das Gehirn wiederum sitzt in einem Körper und wird von diesem neben der notwendigen Energie mit allerlei Erregungsmustern (neuronale Signale) versorgt. Einige stammen von Sinnesorganen, die verschiedene energetische Ereignisse er Außenwelt (Licht, Schall, Geruch, …) in neuronale Signale übersetzen, andere vom Körperinnern, andere vom Gehirn selbst. Das Gehirn weiß also von der Außenwelt ‚direkt‘ nichts, sondern nur in dem Maße, als ihm diverse neuronale Signale übermittelt werden, die in sich schon eine erste Übersetzung darstellen. Aus all diesen Signalen errechnet das Gehirn kontinuierlich ein Netzwerk von repräsentierenden Ereignisstrukturen, die zusammen ein ‚komplexes (dynamisches) Bild‘ des aktuellen Zustands ergeben. Dieses Zustandsbild ist beeinflusst von ‚vergangenen Bildern‘ (Gedächtnis), von unterschiedlichen ‚Abstraktionsprozessen‘, von unterschiedlichen ‚Erwartungswerten‘ und ‚Bewertungen‘, um as Mindeste zu sagen. Wie viel von den kontinuierlichen Berechnungen des Gehirns tatsächlich ins ‚Bewusstsein‘ gelangt, also ‚bewusst‘ ist, lässt sich nicht klar sagen. Sicher ist nur, dass das, was uns bewusst ist, in jedem Fall eine Auswahl darstellt und es insofern – aus Sicht des Bewussten – ein Unbewusstes gibt, das nach groben Schätzungen erheblich größer ist als das Bewusste.

Philosophen nennen die unterschiedlichen Inhalte des Bewusstseins ‚Phänomene [PH]‘ (zumindest in jener Richtung, die sich phänomenologische Philosophie‘ nennt). Innerhalb dieser Menge der Phänomene kann man anhand von Eigenschaften unterschiedliche Teilmengen der Phänomene unterscheiden. Eine sehr wichtige ist die Teilmenge der ‚Phänomene von den externen Sensoren (PH_W_EXT)‘. Durch ihren Bezug zu unterstellten Objekten der Außenwelt und zusätzlich unterstützt durch Phänomene einer realen Kommunikation lässt sich eine Art ‚Korrelation‘ dieser Phänomene mit unterstellten Objekten der Außenwelt in einer Weise herstellen, die sich mit anderen ‚Beobachtern‘ ’synchronisieren‘ lässt. Sofern dies gelingt (z.B. durch vereinbarte Formen des Messens mit vereinbarten Standards) bekommen diese Phänomene PH_W_EXT einen besonderen Status. Wir nennen sie empirische Phänomene weil sie – obgleich sie weiterhin Phänomene bleiben und damit subjektiv sind – sich in einer Weise mit externen Ereignissen koppeln lassen, die sich in der Reaktion anderer Beobachter auch reproduzieren lässt. Durch diese ‚Rückkopplung‘ gelingt es einem Gehirn, seine ‚locked-in‘ Situation partiell zu überwinden. Daher kommt den als empirisch qualifizierbaren subjektiven Phänomene eine ganz besondere Rolle zu.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass die modernen empirischen Wissenschaften durch ihren methodischen Bezug auf die empirischen subjektiven Phänomene sich eine Beobachtungsbasis geschaffen haben, der ein maximaler Erfolgt deswegen vergönnt war, weil tatsächlich nur jene Phänomene Berücksichtigung fanden, die im Prinzip allen Beobachtern in gleicher Weise zugänglich sind.

Eine unkritische – was hier heißt: eine un-philosophische – Handhabung des empirischen Auswahlprinzips kann aber zu unerwünschten Ergebnissen führen. Einer der größten Fehler der Wissenschaftsgeschichte ist wohl (und da hat die Philosophie simultan auch versagt), aus der methodisch sinnvollen Einschränkung auf die subjektiven empirischen Phänomene zu schließen, dass alle anderen (subjektiven) Phänomene grundsätzlich unwichtig oder gar irreführend seien. Diese Folgerung war und ist sachlich völlig haltlos und in ihrer Wirkung verheerend.

Es ist ja nicht nur so (siehe den vorausgehenden Text), dass die empirisch genannten Phänomene weiterhin rein subjektive Phänomene bleiben, sondern das Bewusstsein als Ganzes ist die primäre Quelle für jede Form von Erkenntnis, deren der homo sapiens fähig ist! Die neueren Erkenntnisse zur gleichzeitigen Existenz eines sehr großen Unbewussten setzen das Phänomen des Bewusstseins ja nicht ‚außer Kraft‘, sondern, ganz im Gegenteil, es stellt sich verschärft die Frage, warum es in der Evolution zur Ausprägung des Bewusstseins unter Voraussetzung des Unbewussten kam? Was ist der ‚Vorteil‘ für ein biologisches System zusätzlich zum gewaltigen Komplex der ‚unbewussten Maschinerie‘ des Körpers und des Gehirns noch die Form des ‚Bewusstseins‘ zu besitzen? Bei einem sehr groben Vergleich der Zeiträume von Lebewesen ‚mit‘ und ‚ohne‘ Bewusstsein ist unübersehbar, dass es erst mit der Verfügbarkeit eines hinreichend differenzierten Bewusstseins zu den überaus komplexen und beständig weiter anwachsenden komplexen Verhaltensleistungen ganzer Populationen gekommen ist. Und aus der Tatsache, dass sich nur ein kleiner Teil der Phänomene des Bewusstseins direkt über die Außenwelt mit anderen Beobachtern korrelieren lässt, zu folgern, dass alle anderen Phänomene ‚irrelevant‘ seien, ist weder sachlich noch logisch irgendwie begründbar. Mit dem heutigen Wissensstand müssten wir eher das Gegenteil folgern: eine neue bewusste und herzhafte Hinwendung zu jener reichen Phänomenwelt, die ein biologisches System hervorbringen kann, die sich aber (bislang) einem direkten empirischen Zugriff entziehen.

In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass eine ‚Erklärung‘ von subjektiven Phänomenen durch Rückgriff auf ausschließlich direkt korrelierbare physiologische Eigenschaften methodisch fragwürdig ist und in der Regel genau das nicht erklärt, was erklärt werden sollte.

Diese wenigen ersten Gedanken können vielleicht deutlich machen, dass der Anteil subjektiver Phänomene im Kontext des Phänomens ‚Meditation‘ philosophisch und wissenschaftlich kein unüberwindbares Hindernis darstellt, sondern eher eine Einladung, die Forschungen zu vertiefen und zu verbessern.

WIE PRAKTISCH VORGEHEN?

Was bedeutet dies nun für ein praktisches Vorgehen? Wie kann man dies im Rahmen eines konkreten Lehrmoduls umsetzen? Hier ein erster Entwurf:

  1. Als primärer Referenzpunkt sollen konkrete praktische Meditationsübungen dienen, von denen unterschiedliche Formen vorgestellt und dann unter Anleitung ausprobiert werden können. Dies kann in jeder Sitzung und außerhalb, im privaten und öffentlichen Bereich geschehen.

  2. Damit die Perspektive der Wissenschaft und Philosophie zur Wirkung kommen kann, sollte von Anfang an diese Perspektive vorgestellt und demonstriert werden, wie diese sich auf das konkrete Beispiel Meditation anwenden lässt. Neben einer allgemeinen Einführung müsste konkret erläutert werden, welche Fragen sich stellen lassen, und wie eine Beobachtung aussehen könnte. Jeder für sich und dann auch im Team versucht eine Art ‚Logbuch‘ zu führen, in dem alle für die Beobachtung wichtigen Daten eingetragen werden.

  3. Nachdem erste Beobachtungen vorliegen, kann man gemeinsam überlegen, ob und wie man solche Daten ‚deuten‘ könnte: welche Art von Mustern, Regelmäßigkeiten deuten sich an? Gibt es Unterschiede in den verschiedenen Logbüchern? Welchen Status haben solche Deutungen?

  4. Die Schritte (1) – (3) kann man mehrfach wiederholen. Im Alltagsleben kann dies Jahre dauern, viele Jahre. Im Lehrbetrieb hat man nur ca. 2-3 Monate Zeit, um zumindest den grundlegenden Ansatz zu vermitteln.

  5. Nachdem ein erster Eindruck vermittelt wurde, wie man selber sowohl konkret meditieren wie auch empirisch seine Erfahrungen analysieren kann, kann man den individuellen Prozess in größere Kontexte einbetten wie (i) Beispiele von traditionellen Deutungen anhand von prominenten Texten aus der Überlieferung oder (ii) Beispiele aus der Arbeitsweise der verhaltensbasierten Psychologie und der etwas differenzierteren Psychoanalyse oder (iii) Beispielen aus der Philosophie und der Wissenschaftsphilosophie.

Wie man aus diesem kleinen Aufriss entnehmen kann, stellt ein einzelnes Modul nur ein minimales Kick-Off dar, für eine allererste Idee, wie es gehen könnte. Im Grunde genommen bräuchte man für jeden der genannten Punkte (i) – (iii) ein eigenes Modul, und selbst dies wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Hieran kann man erahnen, wie schwierig die Ausbildung einer eigenen konkreten Selbsterfahrungs-Praxis mit einer wissenschaftlichen Begleitung eigentlich ist, und wir dürfen uns nicht wundern, wenn so viele Menschen heute sich im Strom der Ereignisse schnell ‚verloren‘ vorkommen… sogenannte ‚Patentantworten‘ sind nicht notwendigerweise ‚richtige Antworten’…

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ÜBER DIE MATERIE DES GEISTES. Relektüre von Edelman 1992. Teil 9

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 12.Okt. 2018
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Gerald M.Edelman, Bright Air, Brilliant Fire. On the Matter of the Mind, New York: 1992, Basic Books

BISHER

Für die bisherige Diskussion siehe die kumulierte Zusammenfassung HIER.

KURFASSUNG

Aus wissenschaftsphilosophischer Sicht ist das Kapitel 10 sehr aufschlussreich. Der in den vorausgehenden Kapiteln immer wieder angedeutete Brückenschlag zwischen Physiologie (mit Gehirnforschung) und Psychologie (verhaltensorientiert) wird in diesem Kapitel ein wenig ‚anfassbarer‘. Allerdings nicht in dem Sinne, dass der Brückenschlag nun explizit erklärt wird, aber so, dass einerseits die Begrifflichkeit auf psychologischer Seite und andererseits die Begrifflichkeit auf physiologischer Seite etwas ausdifferenziert wird. Die Beschreibung der Beziehung zwischen beiden Begrifflichkeiten verbleibt im Bereich informeller Andeutungen bzw. in Form von Postulaten, dass die zuvor geschilderte physiologische Maschinerie in der Lage sei, die angedeuteten psychologischen Strukturen in ihrer Dynamik zu ‚erklären‘.

KAP.10 Gedächtnis und Konzepte (‚Memory and Concepts‘): Errichtung einer Brücke zum Bewusstsein (‚Building a Bridge to Consciousness‘)

  1. Nach den vorbereitenden Kapiteln 1-9 versucht Edelman mit den soweit formulierten Grundlagen nun ‚höhere‘ Hirnleistungen und ‚psychologische (=verhaltensbasierte)‘ Eigenschaften durch Rückgriff auf die evolutionären und neuronalen Mechanismen zu ‚erklären‘.

  2. Der Ausgangspunkt der Überlegungen in Kap.10 bilden die Annahmen der vorausgehenden Kapitel, dass die ‚Welt‘ ‚außerhalb‘ eines Organismus ein überwältigendes Ereignisfeld ist, das vom wahrnehmenden Organismus erst einmal ’strukturiert‘ werden muss, damit der Organismus mit diesen Ereignisfeldern konstruktiv umgehen kann. Es stellen sich in diesem Kontext folgende Fragen: (i) welche Strukturierungen nimmt ein Organismus vor, und (ii) wie konnten sich jene Mechanismen ausbilden, die solche Strukturierungen ermöglichen? Zusätzlich ist zu bedenken, dass sich die außer-organismischen Ereignisfelder – kontinuierlich wie auch disruptiv – ändern. Es reicht also nicht, die Fähigkeit der Herausbildung solcher strukturierenden Mechanismen einmalig anzunehmen, sondern (iii) es muss auch geklärt werden, wie es zu ‚dynamischen Anpassungen‘ der strukturierenden Mechanismen angesichts einer sich ändernden Umwelt kommen kann? Die bisherige Antwort auf die Fragen (i) – (iii) war der Verweis auf (a) evolutionäre Strukturbildung, auf (b) embryonale Entwicklung, sowie auf die (c) flexible Verschaltung von neuronalen Karten sowohl durch (c.1) Rückkopplungen wie auch durch (c.2) Hierarchiebildungen. Mit diesen Annahmen zu einer komplexen dynamischen Maschinerie verbindet Edelman die Überzeugung, dass sich damit alle bekannten komplexen Funktionsleistungen des Gehirns (wie z.B. ‚Gedächtnis‘ (‚memory‘) wie auch beobachtbare psychologische Eigenschaften ‚erklären‘ lassen. (vgl. S.99f)

  3. Für das, was nach Edelman ‚erklärt‘ werden soll, benutzt er die Worte ‚Bewusstsein‘, ‚Intentionalität‘, ‚Kategorisierung der Wahrnehmung‘ (‚perceptual categorization‘), ‚Gedächtnis‘ und ‚Lernen‘. Und er spricht im Zusammenhang dieser Wortmarken von ‚höheren Gehirnfunktionen‘ (‚higher brain functions‘). Damit verknüpft Edelman in dieser kurzen Beschreibung zwei methodisch unterschiedliche Betrachtungsweisen: die Begriffe ‚Bewusstsein‘, ‚Intentionalität‘, ‚Kategorisierung der Wahrnehmung‘, ‚Gedächtnis‘ und ‚Lernen‘ gehören normalerweise in den Bereich der verhaltensbasierten Psychologie; der Begriff ‚höhere Gehirnfunktionen‘ dagegen verweist auf den Bereich der Biologie mit den Spezialbereichen Physiologie und darin noch spezieller der Gehirnforschung. Damit findet sich hier die Stelle, wo er die beiden Pole Psychologie und Gehirnforschung verknüpfen möchte. Bemerkenswert ist seine ausdrückliche Feststellung, dass diese 5 mentalen Leistungen, obwohl sie oft ‚getrennt/ isoliert‘ (’separated‘) behandelt werden, doch ‚untrennbare Aspekte einer gemeinsamen mentalen Leistung‘ (‚inseparable aspects of a common mental performance‘) darstellen. Diese Feststellung geht weit über die benannten einzelnen Wortmarken hinaus. Aus dieser Feststellung folgt, dass wir es hier mit 5 unterscheidbaren mentalen ‚Leistungen‘ zu tun haben, die man als ‚Funktionen‘ {f1, …,f5} auffassen kann und sie in einer wissenschaftlichen Sicht auch so auffassen muss; dazu postuliert Edelman eine Superfunktion f*, die sich aus diesen genannten 5 Funktionen ‚zusammensetzt‘ als etwa f* = f1 u … u f5. Sind schon die einzelnen Funktionen – jede für sich – sehr ‚komplex‘ (und bis heute in der Psychologie nur unvollständig erklärt), so führt die postulierte Superfunktion f* in einen Denkbereich, der nur schwer zu fassen ist, und der bislang eigentlich von niemandem theoretisch irgendwie modelliert worden ist. (vgl. S.100) //* Falls es doch irgendwo solch eine Ausarbeitung gibt, wäre ich als Autor für einen Hinweis sehr dankbar! *//

  4. Edelman sagt ganz klar, dass es der Bereich des ‚Verhaltens‘ (‚behavior‘, ‚B‘ ) ist, an dem die Bedeutung der drei ‚fundamentalen Funktionen‘ (‚fundamental functions‘) f1 ‚Kategorisierung der Wahrnehmung‘, f2 ‚Gedächtnis‘ und f3 ‚Lernen‘ zu ‚testen‘ sind. Und er sieht auch eine funktionale Abhängigkeit zwischen diesen fundamentalen Funktionen der Art, dass f2 (Gedächtnis) die Funktion f1 (Kategoriale Wahrnehmung) voraussetzt und die Funktion f3 (Lernen) setzt sowohl f1 als auch f2 voraus. Alle drei ‚beeinflussen‘ (‚affect‘) das Verhalten ‚B‘, weil sie sich untereinander beeinflussen. Angenähert könnte man dann formulieren B = (f1,f2,f3). Nach Edelmann versorgen Wahrnehmen und Gedächtnis das System mit grundlegenden Datenstrukturen, und Lernen kann daraus neue, weiterreichende Strukturen ableiten. Dann stellt Edelman plötzlich fest, dass die beiden Funktionen f1 und f2 für das Lernen f3 zwar notwendige Voraussetzungen bilden (also: f3 = (f1,f2), aber sie alleine noch nicht ausreichend wären; es bedarf noch einer weiteren Funktionalität fx, also f3=(f1,f2,fx). Diese weitere Funktion fx verweist nach Edelman auf ein ‚Wertesystem‘ (‚value system‘), das von den Kategorisierungsleistungen des Wahrnehmens und Erinnerns unabhängig ist. Wir bekommen damit folgende Zusammenhänge: B = f*() mit f* = (f3,f4,f5) und f3 = (f1,f2,fx). (vgl. S.100)

  5. Das ‚Wertesystem‘ fx hat – aus Sicht des Verhaltens B – mehrere Eigenschaften: (i) es basiert auf unterschiedlichen Wertelieferanten fx = (fx1, …, fxn), die (ii) unterschiedliche ‚Erwartungen‘ (‚expectancy‘) als ‚Referenzpunkte‘ (’set points‘) ausbilden können. Diese Erwartungen können als Fitnesswerte in dem Sinne genutzt werden, dass ein Systemverhalten solche Referenzpunkte entweder ‚befriedigt‘ (und damit wieder ‚zurück setzt‘) oder ’nicht befriedigt‘ (und damit ’nicht zurücksetzt‘). Ein Lernen f3 ist ‚erfolgreich‘ (‚is achhieved‘), wenn das System seine ‚Systemzustände‘ (‚IS‘) so arrangieren kann, dass ‚in der Zukunft‘ das Verhalten des Systems bei Auftreten von werthaften Referenzpunkten direkt die ‚richtige Verhaltensantwort‘ findet. Dies impliziert als eine weitere Komponente eine ‚Dauer‘, eine zeitliche Erstreckung zwischen zwei ‚Zeitpunkten‘ (t,t‘) mit t‘ als ’später‘ zu t. Nur unter Voraussetzung einer ‚hinreichend langen‘ Zeitdauer (t,t‘) kann Lernen sich realisieren, also f3(f1,f2,fx,(t,t‘)) = (Success_1, …, Success_n) mit der Bedeutung, dass Lernen innerhalb einer Zeitspanne (t,t‘) dazu führt, dass werthafte Referenzpunkte von fx() mit Hilfe von Wahrnehmung, Wahrnehmungskategorien und Gedächtnis in ‚möglichst kurzer Zeit‘ so bedient werden können, dass sie auf einen ’neutralen Wert‘ zurück gehen. Das exakte Zusammenspiel zwischen einem solchen Lernen f3() und den übrigen Größen f4, f5 und Verhalten ‚B‘ bleibt zunächst offen. (vgl. S.101)

  6. Den Zusammenhang zwischen diesen verhaltensbasierten Begriffen – nennen wir sie hier ‚Begriffe_B‘ – und jenen Begriffen, die auf der Theorie der neuronalen Gruppen basiert – nennen wir sie hier ‚Begriffe_NN‘ – sieht Edelman grundsätzlich darin, dass die Begriffe_NN letztlich ein materielles System S_NN beschreiben, das als ein ‚Modell‘ dienen kann, über dem man die Begriffe_B ‚interpretieren‘ kann. Anders ausgedrückt postulirt Edelman hier eine Abbildung der Art: Interpretation_B_NN : Begriffe_B <—> Begriffe_NN. Edelman beschreibt diese Abbildung an dieser Stelle aber nicht wirklich; er unterstellt sie einfach; er nimmt sie an und illustriert sie anhand sehr vager Beispiele. (vgl. S.101)

  7. Edelman führt an dieser Stelle noch einen weiteren Prozess (eine Funktion) ‚fc‘ ein, dem er die Fähigkeit zuschreibt, dass dieser auf der Basis von Wahrnehmung (f1) und von Gedächtnis (f2) im Kontext des Lernens (f3) und möglicherweise auch — das sagt er nicht explizit – unter Berücksichtigung des Wertesystems (fx) in der Lage ist, ‚allgemeine Beziehungen‘ (‚general relational properties‘) hervorzubringen (‚to yield‘). Unter Voraussetzung dieser fünf Funktionen {f1, f2, f3, fx, fc} will er dann später zeigen, wie man damit das ‚Auftreten eines Bewusstseins‘ (‚the emergence of consciousness‘) erklären kann. //* Es sei hier darauf hingewiesen, dass die Kozeptualisierungsleistung fc im Rahmen psychologischer Modelle des Gedächtnisses oft als eine Eigenschaft des Gedächtnisses angesehen wird bzw. — was Edelman ja zuvor selbst feststellt – z.T. auch schon als eine Leistung der Wahrnehmung f1. *//

  8. Den Rest des Kapitels widmet Edelman zwei Wortmarken: ‚Gedächtnis‘ (‚memory‘) und ‚Konzepte‘ (‚concepts‘).

  9. Seine allgemeinste Bedeutungszuschreibung zur Wortmarke ‚Gedächtnis‘ geschieht in der verhaltensbasierten Perspektive der Psychologie, indem er die Wortmarke ‚Gedächtnis‘ verbindet mit der ‚Fähigkeit, ein Verhalten zu wiederholen‘ (f2) (‚ability to repeat a performance‘). Diese Fähigkeit beinhaltet die andere, kurz zuvor eingeführte, Fähigkeit zur Konzeptualisierung fc, die im Rahmen des Gedächtnisses die zu einem bestimmten Zeitpunkt t vorhandenen konzeptuellen Strukturen ISc(t) ‚erweitert‘ (‚enhancement‘), so dass zu einem späteren Zeitpunkt T‘ eine erweiterte konzeptuelle Struktur ISc(t‘) vorliegt.(vgl. S.102)

  10. Parallel und zwischen diesen vorausgehenden psychologischen Erklärungen streut Edelman immer wieder auf informelle Weise Bemerkungen ein, wie sich die so beschriebenen psychologischen Strukturen und Funktionalitäten durch seine neuronale Maschinerie S_NN erklären lassen würden. Eine wirkliche Erklärung der hier notwendigen Interpretationsleistung der Art: Interpretation_B_NN : Begriffe_B <—> Begriffe_NN mit Begriffe_NN = S_NN leistet Edelman hier aber nicht. (vgl. S.102)

  11. Edelman verweist ferner auf das sich im Verhalten manifestierende Phänomen, dass Konzeptualisierungen, die wir als ‚Kategorien‘ auffassen und nutzen, nicht statisch sondern ‚dynamisch‘ sind, d.h. der Prozess des Anordnens läuft kontinuierlich und neue Ereignisse können bisherige Anordnungen ‚überschreiben‘, ‚ergänzen‘. (vgl. S.102)

  12. Wie schon zuvor bemerkt, ist die Einführung der eigenständigen Kategorisierungsleistung (Konzeptbildung) fc im Rahmen des Gedächtnisses in ihrer Beziehung zu der vorausgehenden Kategorisierungsleistung f1 in der Wahrnehmung nicht klar beschrieben. Und auf S.104 charakterisiert er die Kategorisierungsleistung der Wahrnehmung f1 als ‚zufallsgesteuert‘ (‚probabilistic‘) und als die ‚initiale Basis‘ (‚initial basis‘) des Gedächtnisses f2 und — das muss man hier unterstellen – der weiteren Kategorisierungsleistung fc des Gedächtnisses. Allgemeine, sich im Verhalten manifestierende psychologisch begründete Begriffe wie ‚Assoziation‘, ‚Ungenauigkeit‘ (‚inexactness‘), sowie ‚Generalisierung‘, sieht Edelman als Ergebnis dieser vorausgesetzten f1, f2 und fc Leistungen.(vgl. S.104)

  13. Edelman betont ausdrücklich, dass das ‚Gedächtnis‘ f2 über die Fähigkeit verfügt, die ‚zeitliche Abfolge von Ereignissen‘ zu ’notieren‘ (‚to account of‘).(vgl. S.104)

  14. Nachdem Edelman eine Reihe von psychologisch motivierte Wortmarken – wie z.B. {f1, f2, f3, fx, fc} – eingeführt hatte, die das verhaltenspsychologische Begriffsfeld Begriffe_B bilden, führt er nun weitere, neue Wortmarken aus dem Bereich des Gehirns ein, die alle zum physiologisch motivierten Begriffsfeld Begriffe_NN gehören. Sein Motiv für diese begrifflichen Erweiterungen ist, dadurch mehr begriffliche Möglichkeiten zu bekommen, um die Interpretationsfunktion Interpretation_B_NN : Begriffe_B <—> Begriffe_NN zu differenzieren.

  15. Er beginnt mit der Einführung der Begriffe ‚Cortex‘ (Cx), ‚Cerebellum‘ (Cm), ‚Hippocampus‘ (Hp), und ‚Basal Ganglia‘ (Bg), wobei Cm, Hp und Bg den Prozess des Cortex im Bereich des ‚räumlichen und zeitlichen Ordnens‘ unterstützen, was Edelman in Verbindung sieht mit den psychologisch beschriebenen Leistungen des Gedächtnisses. (vgl. S.104) Auf der nächsten Seite erwähnt er auch noch den ‚Motor Cortex‘ (Cxm), der als Teil des Cortex eng mit den zuvor genannten Strukturen kooperiert. (vgl. S.105)

  16. Bemerkenswert ist, dass Edelman bei der Charakterisierung der Leistungen der genannten Gehirnstrukturen auf psychologische Begriffe zurückgreift, z.B. wenn er vom Cerebellum Cm sagt, dass es eine wichtige Rolle spiele bei der ‚zeitlichen Ordnung‘ und einem ‚möglichst kontinuierlichen Verlauf‘ von Bewegungen (‚timing and smoothing of successions of movements‘). Letztlich kennen wir primär nur ein beobachtbares Verhalten und dessen Eigenschaften. Und es ist natürlich ein solches beobachtbares Verhalten (Gegenstand der Psychologie) als eine Art ‚Referenzpunkt‘ zu nehmen, um zu schauen, welche physiologischen Prozesse und welche zugehörigen physiologische Strukturen – wie z.B. das Cerebellum – im Kontext eines solchen beobachtbaren Verhaltens auftreten. Sofern es gelingt (was methodisch und messtechnisch extrem schwierig ist), eine irgendwie statistisch signifikante Korrelation zwischen physiologischen Messwerten und psychologischen Beobachtungswerten zu erfassen, kann man feststellen, dass z.B. das Cerebellumg Cm ‚eine wichtige Rolle spiele bei‘. Ohne ein explizites psychologisches Referenzmodell Begriffe_B wäre eine solche Korrelation ’spielt eine Rolle bei‘ nicht möglich. Dabei reicht es auch nicht aus, irgendwelche isolierte physiologische Messwerte zu haben, sondern man benötigt ein komplettes physiologisches Referenzmodell Begriffe_NN, das von den physiologischen Messwerten motiviert wird, das man mit dem psychologischen Referenzmodell Begriffe_NN in Beziehung setzt. Man müsste dann verfeinert sagen: (i) aufgrund von psychologischen Verhaltensdaten DAT_B generieren Psychologen ein psychologisches Referenzmodell Begriffe_B; (ii) aufgrund von physiologischen Messwerten DAT_NN generieren Physiologen (Gehirnforscher) ein physiologisches Referenzmodell Begriffe_NN; (iii) In einem interdisziplinären Team wird eine Interpretationsfunktion Interpretation_B_NN : Begriffe_B <—> Begriffe_NN konstruiert, die einen Zusammenhang herstellt zwischen psychologischen Verhaltensdaten und physiologischen Messwerten.(vgl. S.104f)

  17. Auf der Verhaltensebene unterscheidet Edelman zwischen der ‚einzelnen Handlung‘ mit deren zeitlicher und kontinuierlicher Ausführung einerseits und ‚zeitlich sich erstreckenden Handlungsfolgen‘. Diese längeren, komplexeren – psychologisch charakterisierten — ‚Handlungsfolgen‘ bringt er in Verbindung mit der physiologischen Struktur genannt ‚Basal Ganglia‘ Bg. Eine solche komplexe Funktion wie ‚Handlungsplanung‘ (fd) interagiert mit sehr vielen unterschiedlichen anderen Funktionen, u.a. auch mit dem Wertesystem fx.(vgl. S.105f)

  18. Für die Charakterisierung der nächsten physiologischen Struktur Hippocampus (Hp) benötigt Edelman weitere psychologische Begriffe, die er bislang noch nicht eingeführt hatte: er unterscheidet bei der psychologischen Funktion des Gedächtnisses (f2) zwischen eine ‚Kurzzeit-Gedächtnis‘ (’short-term memory‘) (Mst) und einem ‚Langzeit-Gedächtnis‘ (‚long-term memory‘) (Mlt). Zwischen diesen beiden psychologischen Formen des Gedächtnisses gib es spezifische Interaktionsmuster. Eines hat damit zu tun, dass Elemente des Kurzzeitgedächtnisses in das Langzeitgedächtnis ‚übernommen‘ werden. Und mit Bezug auf dieses psychologische Referenzmodell sieht Edelman den Hippocampus mit beteiligt. Der Hippocampus empfängt von allen Teilen des Cortex Signale, auch vom Wertesystem fx, und schickt seine Prozesswerte auch wieder zu den sendenden Stellen zurück.(vgl. S.106f)

  19. Abschließend zu den genannten Strukturen ‚Cortex‘ (Cx), mit ‚Motor-Cortex (Cxm), ‚Cerebellum‘ (Cm), ‚Hippocampus‘ (Hp), und ‚Basal Ganglia‘ (Bg) meint Edelman, dass die Differenziertheit und Flexibilität dieser Strukturen – kondensiert in einem physiologischen begrifflichen Modell Begriffe_NN – ausreicht, um das zuvor erstellte psychologische Referenzmodell des Verhaltens zu erklären.(vgl. S.107f)

  20. An dieser Stelle kommt Edelman nochmals zurück auf die Wortmarke ‚Konzepte‘ (‚concepts‘) und grenzt seine Verwendung dieser Wortmarke ab von jener, in der ‚Konzepte‘ in einem rein linguistischen Kontext gesehen wird. Für Edelman sind ‚Konzepte‘ Ordnungsstrukturen (Kategorien), durch die der Strom der Wahrnehmungen und der Gedächtnisinhalte, immer wieder neu geordnet werden können, vorab zu jeder Sprache, als Voraussetzung für Sprache. Das System gewinnt dadurch die Möglichkeit, sein Verhalten mit Bezug auf diese Strukturen neu zu kontrollieren. (vgl. S.108)

  21. Das Besondere an der Konzeptualisierungsfähigkeit ist, dass sie auch unabhängig von aktuellen Stimuli stattfinden kann, dass sie sich auf ‚alles‘ anwenden kann, was im Wahrnehmen, Erinnern und Denken vorkommen kann. Dies bedeutet, die Konzeptualisierungsfähigkeit kann ihre eigenen Ergebnisse, so abstrakt sie auch sein mögen, zum Gegenstand einer späteren Aktivität machen. //* Mathematiker nennen solch eine Struktur ‚rekursiv‘ *// Solche ‚abstrakteren‘ Strukturen (Konzepte) benötigen auch keine ‚topographischen‘ Strukturen, wie man sie im Bereich der sensorischen Wahrnehmung findet. Dies hat zur Folge, dass auch nicht-topographische Ereignisse wie z.B. systemrelevante ‚Werte‘ (über Bedürfnisse wie Hunger, Durst,…) in die Strukturierung einbezogen und damit verhaltensrelevant werden können. (vgl. S.108-110)

  22. Erstaunlich ist, dass Edelman an dieser Stelle nun eine Wortmarke einführt, die weder dem physiologischen Sprachspiel zugehört, noch dem psychologischen, sondern dem philosophischen Sprachspiel sofern es auf den Raum subjektiver Phänomene fokussiert ist: ‚Intentionalität‚, indem er sagt, dass die konzeptuellen Strukturbildungen ‚intentional‚ (‚intentional‘) sind. Und Edelman geht noch weiter; er sieht hier einen ‚Übergang‘, eine ‚Brücke‘ (‚the bridging elements‘) von der Physiologie zum ‚Bewusstsein‚ (‚consciousness‘) und er stellt ausdrücklich fest, dass für diesen Brückenschlag ‚keine neuen theoretischen Annahmen‘ (’no new theoretical assumptions‘) gemacht werden müssen. Diese letzte Bemerkung trifft zu, wenn man sie auf die vorausgesetzte physiologische Maschinerie bezieht: das physiologische Modell Begriffe_NN wird nicht verändert. Mit der Einführung der Wortmarken ‚Intentional‘ und ‚Bewusstsein‘ aktiviert er aber ein neues (philosophisches) Sprachspiel, das er bislang nicht benutzt hat, und das er bislang in keiner Weise erklärt hat. Man müsste hierfür auch einen eigenen Begriff Begriffe_PH einführen vergleichbar zu Begriffe_B und Begriffe_NN und man müsste natürlich auch hier explizite Interpretationsfunktionen einführen wie Interpretation_B_PH : Begriffe_B <—> Begriffe_PH sowie Interpretation_NN_PH : Begriffe_NN <—> Begriffe_PH.

DISKUSSION FORTSETZUNG: KAP.10

  1. Aus wissenschaftsphilosophischer Sicht ist das Kapitel 10 sehr aufschlussreich. Der in den vorausgehenden Kapiteln immer wieder angedeutete Brückenschlag zwischen Physiologie (mit Gehirnforschung) und Psychologie (verhaltensorientiert) wird in diesem Kapitel ein wenig ‚anfassbarer‘. Allerdings nicht in dem Sinne, dass der Brückenschlag nun explizit erklärt wird, aber so, dass einerseits die Begrifflichkeit auf psychologischer Seite und andererseits die Begrifflichkeit auf physiologischer Seite etwas ausdifferenziert wird. Die Beschreibung der Beziehung zwischen beiden Begrifflichkeiten verbleibt im Bereich informeller Andeutungen bzw. in Form von Postulaten, dass die zuvor geschilderte physiologische Maschinerie in der Lage sei, die angedeuteten psychologischen Strukturen in ihrer Dynamik zu ‚erklären‘.

  2. Am Ende des Kapitels 10, mehr nur in Form einer kurzen Andeutung, in einer Art Fußbote, bringt Edelman noch die Begriffe ‚Intentionalität‘ und ‚Bewusstsein‘ ins Spiel, allerdings ohne jedwede Motivation, ohne jedwede Erklärung. Diese Begriffe entstammen einen ganz anderen Sprachspiel als dem zuvor besprochenen physiologischen oder psychologischem Sprachspiel; sie gehören zum philosophischen Sprachspiel, und die Behauptung Edelmans, dass man auch diese Wortmarken aus dem philosophischen Sprachspiel in ein Erklärungsmuster einbeziehen könnte, das seine Grundlage in dem physiologischen Modell Begriffe_NN habe, ist an dieser Stelle ein reines Postulat ohne jeglichen Begründungsansatz.

  3. Wissenschaftsphilosophisch kann man hier festhalten, dass man drei Sprachspiele unterscheiden muss:

    1. Ein psychologisches Sprachspiel, das von Verhaltensdaten DAT_B ausgeht, und relativ zu diesen Begriffsnetzwerke Begriffe_B einführt (Modelle, Theorien), um die Verhaltensdaten zu erklären.

    2. Ein physiologisches Sprachspiel, das von physiologischen Daten DAT_NN ausgeht, und relativ zu diesen Begriffsnetzwerke Begriffe_NN einführt (Modelle, Theorien), um die Prozesse der physiologischen Strukturen (Gehirn) zu erklären.

    3. Ein phänomenologisches Sprachspiel (Teilbereich der Philosophie), das von phänomenologischen Daten DAT_PH ausgeht, und relativ zu diesen Begriffsnetzwerke Begriffe_PH einführt (Modelle, Theorien), um die Prozesse der phänomenologischen Strukturen (Bewusstsein) zu erklären.

  4. Diese Sprachspiele kann man isoliert, jedes für sich betreiben. Man kann aber auch versuchen, zwischen den verschiedenen Sprachspielen ‚Brücken‘ zu bauen in Form von ‚Interpretationsfunktionen‘, also:

    1. Zwischen Psychologie und Physiologie: Interpretationsfunktion Interpretation_B_NN : Begriffe_B <—> Begriffe_NN

    2. Zwischen Psychologie und Phänomenologie: Interpretationsfunktion Interpretation_B_PH : Begriffe_B <—> Begriffe_PH

    3. Zwischen Phänomenologie und Physiologie: Interpretationsfunktion Interpretation_PH_NN : Begriffe_PH <—> Begriffe_NN

  5. Man muss festhalten, dass es bis heute (2018) solche Interpretationsfunktionen als explizite Theorien noch nicht gibt; genauso wenig gibt es die einzelnen Theorien Begriffe_X (X=B, PH, NN) als explizite Theorien, obgleich es unfassbare viele Daten und partielle (meist informelle) Beschreibungen gibt.

ANHANG: BILD VON ANGESTRICHENEN BUCHSEITEN

 

Beispiel, wie die Buchseiten aussehen, nachdem ich sie 'gelesen' habe ...
Beispiel, wie die Buchseiten aussehen, nachdem ich sie ‚gelesen‘ habe …

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ÜBERLEBENSWICHTIG. CANDIDA MYKOSE und das Dilemma der deutschen Alltagsmedizin. Buchbesprechung

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 11.Oktober 2018
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Den folgenden Text habe ich zunächst als Review-Artikel  unter amazon.de veröffentlicht. Da er aber etwas grundsätzlicher Natur ist, veröffentliche ich ihn auch hier im Blog.

KONTEXT

Ich selbst bin kein Mediziner, hatte aber einmal eine extreme Mykose, die mich mehr oder weniger Alltags-untauglich gemacht hatte. Nur durch Zufall fand ich damals eine Arztpraxis, die sich auf Pilzerkrankungen spezialisiert hatte und mich dann – schon nach Wochen deutlich spürbar, nach 6-8 Monaten vollständig – von dieser Mykose befreite. Als Wissenschaftler hat mich das Thema seitdem immer wieder interessiert, allerdings eher beiläufig; wer will sich schon ständig mit Erkrankungen auseinander setzen. Ich musste dann im Laufe der Jahre zur Kenntnis nehmen, dass diese Mykosen wiederkommen können, und dass die Bereitschaft von Alltagsmedizinern, sich damit zu beschäftigen, gegen Null geht (selbst bei solchen, bei denen ich ein ernsthaftes Interesse an ihrem Beruf und ihren Patienten zu erkennen meine). Dies ist irritierend und hilft einem persönlich natürlich nicht weiter. Aufgrund meiner zurückliegenden Erfahrung konnte ich mir bislang notdürftig selbst helfen, aber dies ersetzt natürlich keine professionelle medizinische Begleitung.

AKTUALITÄT UND BEDEUTUNG DES BUCHES

Vor diesem Hintergrund erscheint das Buch ‚Candida, der entfesselte Hefepilz‘ von Dr.Markus und Hans Fink auf den ersten Blick als kleiner Rettungsanker. Doch mag manchen das hohe Alter des Buches (3.Auflage 1996) zurückschrecken. Gerade in der Medizin gibt es auch eine dynamische Forschung, die schnell voranschreitet, allerdings nicht in allen Gebieten, und Forschung ist nicht gleichzusetzen mit der medizinischen Versorgung im Alltag.

Im Bereich medizinische Forschung muss man wissen, dass es zwischen der englischsprachigen Forschung zu candida albicans und der deutschsprachigen ein krasses Missverhältnis gibt (als kleines Indiz vergleiche man mal den Beitrag zu ‚candida albicans‘ in der englischsprachigen Wikipedia und in der deutschen Wikipedia. In der englischsprachigen Wikipedia findet man eine sehr umfangreiche Darstellung, forschungsmäßig auf aller neuestem Stand, während der deutschsprachige Beitrag sich nur mit einigen wenigen Fakten begnügt.).

Dass es auch in Deutschland zu beeindruckenden systematischen Forschungen im mikrobiologischen Bereich kommen kann, wenn viele Personen und Institutionen zusammen arbeiten, zeigt das Buch von Reinhard et al. zu den ‚Cystischen Fibriosen‘, allerdings stammt auch dieses Buch schon aus dem Jahr 2001 ( wird aber als Ausgabe von 2013/2014 angeboten).

Scheint also schon die Deutsche medizinische Forschung zu diesem Thema zu schwächeln, so gibt es im Bereich der Mykologie leider ein noch viel größeres Missverhältnis zwischen medizinischer Forschung und der medizinischen Alltagspraxis . Seitdem ich ca. 1993 zum ersten Mal mit dem Thema Mykose als Patient eine sehr unerfreuliche Bekanntschaft schließen durfte, habe ich bislang noch keinen einzigen (!) Alltags-Arzt getroffen, der zu dem Thema etwas Nennenswertes wusste (und da waren engagierte Ärzte dabei). In der Regel wird das Thema mit der Bemerkung abgeblockt, das sei alles nicht ernst zu nehmen, dies ohne eine wirkliche Begründung.

Berücksichtigt man die Situation der Alltags-Ärzte, dann kann man diese Reaktion bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Da es generell zu wenig Ärzte gibt sind die wenigen – vor allem auch die, die ihren Beruf ernst nehmen – permanent völlig überlastet. Selbst wenn diese wollten, sie haben keine echte Chance, sich mit solch einem komplexen Thema wirklich auseinander zu setzen. Dann ist es psychologisch für den Arzt einfacher, es als ‚Unfug‘ abzutun. Dass damit viele tausende Patienten, eher Zehntausende und mehr, mit ihrem Leiden sich selbst überlassen werden, ist dann weniger schön. Allerdings gibt es neben Mykosen viele weitere Krankheiten, deren sich die deutsche Alltagsmedizin (und auch nicht die deutsche medizinische Forschung) nicht annimmt. Dies soll hier aber nicht weiter verfolgt werden. Dies wäre ein Thema einer engagierten kritischen Medizinsoziologie, die es in Deutschland nicht gibt…. zum Leidwesen aller Bürger.

Für das Buch ‚Candida, der entfesselte Hefepilz‘ von Dr.Markus und Hans Fink bedeutet diese alltägliche Situation, dass es trotz seines Alters immer noch eine sehr große Bedeutung besitzt!

WICHTIGE THESEN AUS DEM BUCH

Als Nicht-Mediziner kann ich die entscheidenden Thesen hier nur grob formulieren. Sollten sie so stimmen – davon muss ich bis zum Beweis des Gegenteils ausgehen – dann ist diese Krankheit sehr ernst zu nehmen und sie hat das Zeug, zu einer Massenepidemie zu werden.

Der generelle Ausgangspunkt ist, dass ein Mensch, der ’normal gesund‘ ist, sich richtig ernährt, sich genügend bewegt, ein intaktes Immunsystem hat, keine Probleme mit candida albicans (und den anderen Pilzen) hat, obwohl dieser Pilz sich – meistens — im Darm befindet (geschätzt 75% aller Menschen).

Angesichts der ungesunden Ernährung vieler Menschen (als ein Indiz unter vielen kann man die rasant ansteigende Zahl der adiposen Menschen nehmen), der zunehmenden Belastungen des Immunsystems (die sich durch die ansteigende Zahl der Allergien manifestieren, dazu weitere Umweltbelastungen wie Lärm, Luftverschmutzung, Anteil von Giften in der Nahrung (über die Landwirtschaft), …), dem zunehmenden psychischen Stress (‚burn-out‘, starker Anstieg psychischer Erkrankung, schon bei jungen Menschen (neueste Untersuchungen zur Lage der Studierenden)), verschlechtert sich dieser ’normale Gesundheitszustand‘ bei den meisten Menschen rapide. Dies bietet für Pilze – hier allen voran candida albicans – eine ideale Ausgangslage.

Eine ausgewogene Darmbesiedlung hält den Pilz normalerweise ‚in Schach‘; ein gesundes Immunsystem verhindert das Vordringen des Pilzes in das Blut und damit eine Ausbreitung in innere Organe. Wie man aber heute weiß, kann eine zahlenmäßige Überflutung ein Immunsystem überwinden. Und wie man heute auch weiß, hat gerade der Pilz candida albicans interessante Strategien entwickelt, das Immunsystem mit seinen eigenen Abwehrmechanismen zu täuschen. Wenn der Pilz also erst mal da ist, sich aufgrund einer gestörten Darmflora (z.B. auch durch Antibiotika, die viele wichtige Darmbakterien abtöten, die dem im ‚Normalfall‘ Pilz Paroli bieten) ausbreiten kann, und dann durch die einfachste und üblichste Strategie, bedroht ‚fühlt‘ (wie z.B. durch ein geeignetes Essverhalten, das auf Zucker und Alkohol verzichtet, auch auf einfachen Kohlehydrate, um damit dem Pilz seine natürliche Energieaufnahme zu entziehen), dann versucht der Pilz, sich auf eigene Faust ‚Nahrung zu verschaffen‘. Er verfügt über mikrobiologische Techniken, sich in Schleimhäute hinein und durch zu bohren,auch Darmwände zu überwinden um bis ins Blut zu gelangen. Wenn man also versucht, den Pilz nur durch eine Diät zu bekämpfen und nicht auch direkt,, dann wandert er in immer mehr Schleimhäute, gelangt ins Blut, und fängt an, innere Organe zu besiedeln. In dieser Phase einer ’systemischen Mykose‘ – also der worst case Fall aus Sicht der Gesundheit — ist der Pilz nur noch sehr schwer zu diagnostizieren. Gerade in dieser Phase muss man ihn aber direkt bekämpfen (natürlich auch schon vorher, damit es erst gar nicht zu einer systemischen Mykose kommt). Nun gibt es aber nur wenige bekannte Anti-Pilz Medikamente, und die Pilze haben mittlerweile partielle Resistenzen gegen diese entwickelt. Dieses Problem fehlender Medikamente führt mittlerweile dazu, dass weltweit jährlich 1.7 Mio Menschen an Mykosen sterben (Artikel in der Zeitschrift NATURE MICROBIOLOGY 2, 17120 (2017)), und die Zahlen steigen.

PRAKTISCHER NUTZEN

Obwohl also das Buch für medizinische Verhältnisse etwas alt ist, spricht hier doch ein Arzt, der etwa 25.000 Menschen mit Mykosen behandelt hat, der mit vielen Forschern und Deutschland intensiven Austausch hatte, und der auf wichtige Symptome, Behandlungsweisen und Medikamente hinweist. Die Grunderkenntnisse sind auf jeden Fall auch heute noch gültig, obwohl die Forschung viele Details dazu gelernt hat.

UNTERSTÜTZUNG

Sollte jemand diesen Text lesen und meinen, er habe ’sachdienliche Hinweise‘ für aktuell praktizierende Ärzte (Alltags-Medizin oder Forschung), die sich mit dem Thema ernsthaft und kompetent beschäftigen, wäre ich sehr dankbar.

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GOTT 3.0. Notiz

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 8.Oktober 2018
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

  1. Wer auf der Home-Page des Blogs cognitiveagent.org das Stichwort ‚Gott‘ anklickt, bekommt (am 8.Oktober 2018) 58 Blogeinträge angezeigt, in denen die Wortmarke ‚Gott‘ vorkommt. Dies kann man als Indiz dafür werten, dass die Wortmarke ‚Gott‘ und das damit potentiell ‚Gemeinte‘ in diesem Blog nicht ganz fremd ist.

  2. Trotz alledem kann man nicht behaupten, dass das Thema ‚Gott‘ in diesem Blog auch nur annähernd hinreichend behandelt wurde. Der Umfang der Phänomene, die sich historisch um die Wortmarke ‚Gott‘ samt ihren vielen Spielarten in all den Sprachen dieser Welt ranken, ist zu groß, als dass man sie hier aufzählen könnte, geschweige denn, dass man all die Texte und Manifestationen auch nur ansatzweise hier würdigen könnte.

  3. Dennoch – und dies erscheint wie ein Paradox (auf den ersten Blick) – ist es möglich, das Themenfeld im Umfeld der Wortmarke ‚Gott‘ in drei Phasen einzuteilen. In Anlehnung an die spärlichen Notizen aus dem Beitrag zu den epistemischen Schockwellen der letzten 3500 Jahre  gibt es eine Periode im kulturellen Erbe der Menschheit (im Beitrag nur angedeutet), die in der Zeit zwischen ca. -1500 und +700 Vorstellungen vom Göttlichen in das Denken der Menschheit eingeführt hat, die in vielen Punkten eine neue Qualität im Denken der Menschen über das Göttliche ermöglicht haben. Bezeichnet man diese Phase im kulturellen Erbe der Menschheit versuchsweise als die ‚Gott 2.0 Phase‘ und die Zeit davor als ‚Gott 1.0 Phase‘, dann beginnt danach, langsam, zunächst kaum wahrnehmbar, dann aber immer deutlicher, eine neue Phase, die ich hier mal mit ‚Gott 3.0‘ deklarieren möchte. Dabei ist zu beachten, dass in der Gott 3.0 Phase die alten Konzepte Gott 2.0 – und sogar Gott 1.0 — weiter bestehen. Kulturelle Denkmuster können sich sehr ‚zäh‘ in einem Alltag am Leben erhalten, wenn die Menschen daran gehindert werden, durch Lernprozesse die Weite, Größe, Feinheiten des Lebens und des Kosmos tiefer zu studieren als es die ‚älteren‘ und ‚primitiveren‘ Denkvorstellungen zum Thema ‚Gott‘ zuvor ermöglicht haben.

  4. Auffällig an den Gott-2.0 Protagonisten ist, dass sie einerseits zwar einen Deutungsanspruch auf das Ganze des Lebens erheben, andererseits aber sich in vielem von jeweils anderen Gott-2.0 Protagonisten unterscheiden. Anstatt die manifesten Unterschiede aufzugreifen und anhand dieser nach der tieferen, umfassenderen Wahrheit zu suchen, haben sie entweder versucht, andere Positionen in einer schlecht gemachten Weise zu ‚integrieren‘ oder aber sich einfach abzugrenzen durch Herabwürdigung der ‚anderen‘ Positionen. Mit Beginn des neuzeitlichen Denkens in Wissenschaft, Philosophie und Gesellschaft ist das Totalversagen aller Gott-2.0 Protagonisten überdeutlich; dies Totalversagen führt zu kulturellen Reibungsphänomenen, die ein tieferes und positiveres Verhältnis zur Gesamtheit des Lebens und des Universums mehr oder weniger stark behindert und damit verdunkeln.

  5. Ist schon die Behinderung der neuen, vertiefenden Sichten des Lebens für das Leben ungünstig, so führt die Koexistenz von Gott-2.0 (und älteren) Konzepten mit der Moderne vielfach dazu, dass die Menschen der Moderne Gotteskonzepten generell misstrauen. Solch ein verbreitetes, unterschwelliges generelles Misstrauen gegen Gottes-Konzepte aufgrund schwacher Gotteskonzepten wie Gott-1.0 und Gott-2.0 verhindert die Ausbildung von Gott-3.0 Konzepten, die als Teil des modernen Denkens dieses mit ganz anderer spiritueller Wucht beflügeln und vorantreiben könnten.

  6. Der Verfasser dieser Zeilen, der einen Teil seines Lebens intensivst Gott-2.0 Konzepte, studiert, praktisch gelebt, spirituell durchfühlt hatte, konnte in einer anderen Phase seines Lebens ausprobieren, was passiert, wenn man sich aus Gott-2.0 Konzepten herauslöst (theoretisch und praktisch). Was verschwindet, das sind die historischen Artefakte der Gott-2.0 Konzepte, aber die potentielle Dimension ‚hinter‘ der Wortmarke ‚Gott‘ verschwindet natürlich nicht. Im Gegenteil, das Handeln und Denken befreit von Gott-2.0 Mustern kann sich plötzlich in die unfassbaren Weiten des modernen Denkens und des gesamten Phänomenraums des biologischen Lebens im physikalischen Universum ausdehnen und das potentielle ‚Fühlen‘ der potentiellen Dimension ‚hinter‘ der Wortmarke ‚Gott‘ gewinnt mit diesem erweiterten Denken und Handeln einen ‚Resonanzraum‘, der alles in den Schatten stellt , was innerhalb der Gott-2.0 Konzepte bekannt war und heute – oft in zusätzlich sehr verzerrten Formen – weiterlebt.

  7. ‚Religion‘ ist in dieser Perspektive keine Sache einer – wie auch immer gearteten – speziellen ‚Institution‘, sondern ein wesentlicher Bestandteil des gesamten Phänomens Leben im Universum, analog zum Phänomen ‚Wissenschaft‘, die auch grundsätzlich keiner bestimmten Gruppe, keinem bestimmten Land, keiner bestimmten Organisation ‚gehört‘, obgleich es auch hier beständig die Versuche gibt,Wissenschaft als Mittel der Macht zu vereinnahmen, abzuschließen, abzugrenzen.

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