Archiv für den Tag: 26. Juni 2024

Eine ‚Logik des Lebens‘?

Dieser Text ist Teil des Textes „Neustart der Menschlichkeit (Rebooting humanity)“

(Die Englische Version findet sich HIER)

Autor Nr. 1 (Gerd Doeben-Henisch)

Kontakt: cagent@cognitiveagent.org

(Start: 25.Juni 2024, Letzte Änderung: 28.Juni 2024)

Ausgangspunkt

Die ersten Überlegungen zur ‚kollektiven menschlichen Intelligenz (KMI)‘ lassen anfangshaft aufscheinen, wie im Grundschema allen Lebens —  (i) Fortpflanzung Generation 1, dann  Geburt einer Generation 2, dann  Wachstum der Generation 2, dann Einsetzen von Verhalten der Generation 2 begleitet von Lernprozessen, dann Fortpflanzung der Generation 2 – …. — genetische Voreinstellungen und ‚freies Adaptieren‘, meist ‚Lernen‘ genannt, sich phasenweise abwechseln. Während genetische Vorgaben Strukturen ermöglichen mit typischen Funktionalitäten, die ‚mögliche Handlungsräume‘ erschließen, ist das ‚Ausfüllen dieser Handlungsräume‘ selbst nicht genetisch determiniert. Dies würde auch keinen Sinn ergeben, da ja das reale ‚biologische Trägersystem‘ nicht alleine ist, sondern in einer ‚offenen Umgebung‘ vorkommt, deren konkrete Ausgestaltung samt Dynamik sich konstant ändert. Aus Sicht eines ’nachhaltigen Überlebens‘ ist es also wichtig, dass das biologische Trägersystem über die Fähigkeiten verfügt, die Eigenheiten der Umgebung nicht nur ‚aktuell punktuell aufzufassen‘, sondern auch unter Einbeziehung von Raum und Zeit kombinatorisch zu repräsentieren, zu kombinieren, austesten zu können. Diese einfachen Worte verweisen auf einen höchst komplexen Prozess, den als ‚Lernen‘ zu bezeichnen, sich zwar eingebürgert hat, aber diese ‚Einfachheit der Benennung‘ kann leicht darüber hinweg täuschen, dass wir es hier mit einem ‚evolutionären Wunder der Extraklasse‘ zu tun haben. Das weit verbreitete Konzept von ‚Evolution‘ greift in dieser Perspektive viel zu kurz; es beschreibt nur ein Fragment.

Eine ‚Logik des Lebens‘?

Grundschema allen Lebens

Das ‚Grundschema allen Lebens‘ regt zu vielen Überlegungen an. Auffällig ist, wie Phasen der genetischen Veränderung, die neue Strukturen und Funktionalität implizieren, letztlich den ‚Ausgangsraum‘ der genetischen Veränderungen in neue, erheblich komplexere Räume transformieren, nicht nur einmal, sondern immer wieder, und je öfter, umso mehr Komplexität gerät in Reichweite. [1]

Die Lebensform des ‚Homo sapiens‘ — also ‚Wir‘, die wir uns ‚Menschen‘ nennen — stellt in der zeitlichen Betrachtung der bisherigen Geschichte einen vorläufigen Höhepunkt an Komplexität dar, verweist aber ‚aus sich‘ heraus schon auf eine mögliche ’nächste evolutionäre Stufe‘.

Verkörpert schon der einzelne Mensch — nah betrachtet — mit seiner strukturierten Zellgalaxie, mit den hier möglichen Funktionen, mit seinem individuellen Lernen ein außerordentliches Ereignis — bezogen auf das gesamte bekannte Universum –, so ist dieser ‚einzelne‘ Mensch in seiner aktuellen Beschaffenheit aber schon voll ausgelegt auf eine ‚Vielheit von Menschen‘, auf ‚kollektives Verhalten‘, auf ‚kollektives Lernen‘, und auf jeden Fall auch auf ‚kollektive Leistungen‘.

[1] Die Welt der ‚Moleküle‘ wird transformiert in die Welt der ‚einzelnen Zellen‘; die Welt der ‚einzelnen Zellen‘ wird transformiert in die Welt von ‚vielen Zellen (Zellverbänden)‘; die Welt der ‚Zellverbände‘ wird transformiert in die Welt der ’strukturierten Zellverbände‘, …., die Welt der strukturierten ‚Zellgalaxien‘ wird transformiert in die Welt der ‚kooperierenden strukturierten Zellgalaxien mit individuellem und kollektivem Lernen‘, …

Zeitliche Einordnung

Nicht nur die letzten Jahrtausende haben aufblitzen lassen, wozu viele Menschen zusammen fähig sind, sondern auch und gerade die ‚modernen Ingenieurleistungen‘ im Zusammenwirken von vielen tausenden, wenn nicht gar zehntausenden von Experten, global verteilt, über längere Zeiträume (Monate, Jahre, viele Jahre), simultan mit vielen verschiedenen Sprachen, im Umgang mit hoch komplexen Materialien und Erzeugungsprozessen — Prozessen, in denen Meta-Reflexion und Rückkopplungen selbstverständlich sind — … Diese Prozesse, die spätestens seit dem großen Krieg Mitte des 20.Jahrhunderts weltweit angelaufen sind, wurden seitdem mehr und mehr zum alltäglichen Standard, weltweit. [2] Die Erfindung von programmierbaren Maschinen, von Informationsnetzwerken, von hoch komplexen Speichersystemen, die Bereitstellung von immer ‚menschen-gemäßeren Schnittstellen‘ (visuell, akustisch, taktil, …), bis hin zu jenen Formaten, die dem menschlichen Benutzer so erscheinen, als ob ‚hinter der Schnittstelle‘ ein anderer lebender Mensch sitzt (auch wenn es ’nur‘ eine Maschine ist), haben innerhalb von nur ca. 70 Jahren stattgefunden.

Während es also von den ersten Zeugnissen biologischen Lebens auf dem Planet Erde (vor ca. -3.4 Milliarden Jahre) bis zum ersten nachweisbaren Auftritt des Homo sapiens in Nordafrika (vor ca. -300.000 Jahre) eine ziemliche Zeitspanne gebraucht hat, ging es mit der Entwicklung der komplexen ‚geistigen‘ und ‚kommunikativen‘ Leistungen des Homo sapiens ab ca. -300.000 Jahren erst langsam (Erfindung der Schrift ca. -6000) und dann in den letzten ca. 150 Jahren immer schneller voran: die komplexen Ereignisse überstürzen sich geradezu. Berücksichtigt man aber die gesamte Zeit seit der angenommenen Entstehung des gesamten Universums von vor ca. 13.7 Milliarden Jahren, dann gibt es das grobe Zeitschema:

  • Nach ca. 75% der Gesamtzeit der Existenz des Universums erste Anzeichen für biologisches Leben
  • Nach ca. 99,998% der Gesamtzeit der Existenz des Universums erste Anzeichen für den Homo sapiens
  • Nach ca. 99,999998% der Gesamtzeit der Existenz des Universums erste Anzeichen von komplexen kollektiven menschlich-technischen Intelligenzleistungen

Dies bedeutet, bezogen auf die Gesamtzeit sind die Zeitspannen für die ‚letzten‘ Komplexitätssprünge so ‚kurz‘, dass sie sich auf der großen Skala gar nicht mehr unterscheiden lassen. Man kann dies auch als ‚Beschleunigung‘ interpretieren. Es stellt sich die Frage, ob diese ‚Beschleunigung‘ in dem Hervorbringen von immer komplexeren kollektiven Intelligenzleistungen eine ‚Prozesslogik‘ erkennen lassen, die weitere Überlegungen ermöglichen würde?

[2] Hier begann die Karriere der modernen Form von ‚Systems Engineering‘, jenem quasi Standard der Problemlösung, zumindest in der Englischsprachigen Welt.

Komplexitätsebene Biologische Zelle

Mit der Beschreibung eines ‚Grundschemas allen Lebens‘ deutet sich ein Muster an, das mindestens ab der Komplexitätsebene einer biologischen Zelle beschreibbar ist.

Die Komplexitätsebene, welche der biologischen Zelle voraus geht, ist die Ebene der ‚Moleküle‘, die in unterschiedliche Prozessketten eingebunden sein können.

Im Fall der biologischen Zelle haben wir u.a. den Fall, dass im Kontext der Fortpflanzung einer Zelle Moleküle einer Art 1 von Molekülen einer Art 2 so verwendet werden, ‚als ob‘ die Moleküle der Art 1 ‚Zeichenketten‘ sind, die Moleküle einer Art 3 ‚repräsentieren‘, die dann durch bestimmte chemische Prozesse ‚erzeugt‘ werden. Anders formuliert: es gibt materielle Strukturen, die andere materielle Strukturen als ‚Zeichenketten‘ interpretieren, für die sie über eine ‚Bedeutungszuordnung‘ verfügen, die zur Erzeugung von neuen materiellen Strukturen führt. [3]

So gesehen demonstrieren biologische Zellen den Einsatz einer ‚Bedeutungszuordnung‘, wie wir sie strukturell im Fall symbolischer Sprachen von komplexen Zellgalaxien kennen. Dies ist extrem erstaunlich: wie können ‚ganz normale Moleküle‘ einer Art 2 über eine ‚Bedeutungszuordnung‘ verfügen, die es erlaubt, andere Moleküle einer Art 1 als ‚Zeichenketten‘ so zu interpretieren, dass sie — im Sinne der Bedeutungszuordnung — zur Organisation von anderen Molekülen einer Art 3 führen, die vom Endergebnis her eine Struktur mit funktionellen Eigenschaften bilden, die sich ‚rein materiell‘ nicht aus den Molekülen der Art 1 ableiten lassen.

…. !! Neuer Text in Vorbereitung !! …

[3] In diesem Zusammenhang wird in der Literatur meistens von ‚Information‘ (oder auch ‚biologischer Information‘) gesprochen. Sollte dieser Sprachgebrauch auf die Terminologie von Claude Shannon anspielen, dann wäre sie im Ansatz schwer anwendbar, da es im konkreten Fall nicht wie bei Shannon um eine Vermittlung von ‚Signal-Elementen‘ über einen Signal-Kanal zu ‚empfangenen Signal-Elementen‘ (eine strukturelle 1-zu-1 Abbildung) geht, sondern um eine Zuordnung von ‚Zeichen (= Signalelementen)‘ zu etwas ‚ganz anderem‘ als die ursprünglichen Signalelementen.

Eine ‚Logik‘?

Wenn hier — wenn auch versuchsweise (‚hypothetisch‘) — im Haupttitel von ‚Logik des Lebens‘ gesprochen wird, dann sollte auch geklärt werden, was speziell mit dem Wort ‚Logik‘ als möglichem Konzept ‚gemeint‘ ist.

Ein Begriff von ‚Logik‘ geht auf Aristoteles zurück, der ihn vor ca. 2400 Jahren in Griechenland in Umlauf brachte und der — über den Umweg der islamischen Kultur ab ca. 1000 wieder ins Latein des christlichen Mittelalters zurück übersetzt — bis ins hohe Mittelalter das geistige Leben Europas tief geprägt hat. In Abgrenzung von der ‚modernen formalen Logik‘ — ab dem Ende des 19.Jahrhunderts — spricht man bei der ‚aristotelischen Logik‘ auch von der ‚klassischen Logik‘.

Sieht man von vielen Details ab, unterscheiden sich klassische und moderne Logik eigentlich nur in einem Punkt: in der klassischen Logik spielt die ’sprachliche Bedeutung‘ der verwendeten Ausrücke eine wichtige Rolle, in der modernen Logik wurde die sprachliche Bedeutung hingegen vollständig ausgeklammert. ‚Verstümmelte Reste‘ von Bedeutung finden sich noch im Konzept eines ‚abstrakten Wahrheitsbegriffs‘, der sich in ‚abstrakten Wahrheitswerten‘ niederschlägt, deren ‚Bedeutungsgehalt‘ aber völlig leer ist.

Das Konzept der klassischen wie modernen Logik wird — trotz aller Unterschiede — geeint durch das Konzept des ‚logischen Folgerns‘: Angenommen, man hat eine Menge von Ausdrücken, die von den Logikanwendern als ‚irgendwie wahr‘ eingestuft wird, dann gibt es ‚Regeln der Anwendung‘, wie man auf der Basis der Menge der ‚als wahr angenommenen Ausdrücke‘ andere Ausdrücke ‚erzeugen‘ kann, die dann auch als ‚wahre Ausdrücke‘ angesehen werden dürfen. Dieses ‚Erzeugen‘ von neuen Ausdrücken aus schon vorhandenen Ausdrücken wird ‚Schließen‘ genannt oder ‚Folgern‘ und das ‚Ergebnis‘ des Folgerns ist dann ein ‚Schluss‘, eine ‚Folgerung‘.

Eine eher moderne — formelhaft verkürzende — Schreibweise für diesen Sachverhalt wäre z.B.:

A ⊢Tr B

Das Symbol ‚A‘ steht hier für eine Menge von Ausdrücken, die als ‚wahr‘ angenommen werden, ‚Tr‘ steht für eine Menge von Transformationsanweisungen (meist ‚Schlussregeln oder Folgerungsregeln genannt), ‚B‘ steht hier für einen erzeugten (abgeleiteten) Ausdruck, und ‚⊢‘ verweist auf einen ‚Handlungszusammenhang‘, innerhalb dessen Logikanwender mit Hilfe von Transformationsregeln die ‚Erzeugung von B bezogen auf A‘ vornehmen.

Ein ’normaler‘ Logiker spricht im Falle des Symbols ‚⊢‘ nicht von einem Handlungszusammenhang‘ sondern meist nur von einem ‚Folgerungsbegriff‘ oder — mit Blick auf den heute verbreiteten Einsatz von Computern — von einem ‚Folgerungsmechanismus‘; diese Art zu reden darf aber nicht darüber hinweg täuschen, das ‚das, was real vorliegt‘, einmal konkrete ‚Objekte‘ in Form von ‚Ausdrücken‘ ‚A‘ und ‚B‘ sind, zum anderen in Form von Ausdrücken ‚Tr‘. Diese Ausdrücke als solche haben weder irgendeine ‚Bedeutung‘ noch können diese Ausdrücke ‚aus sich heraus‘ irgendeine Erzeugung generieren. Damit die konkreten Ausdrücke ‚B‘ als ‚Folgerung‘ aus den Ausdrücken ‚A‘ klassifiziert werden können, die ‚mittels der Ausdrücke Tr‘ ‚real erzeugt‘ werden, muss real ein ‚Prozess‘ stattfinden, in dem ‚B‘ aus ‚A‘ ‚im Sinne von Tr‘ ‚real erzeugt‘ wird.

Ein Prozess ist ein realer Vorgang ‚in der Zeit‘, in dem es einen realen Zustand gibt, der das Objekt ‚A‘ enthält, und einen realen Logikanwender, der ‚in seinem Kopf‘ über ein ‚Konzept = Modell‘ des ‚logischen Folgerns‘ verfügt, in dem die ‚Ausdrücke‘ der Erzeugungsregeln Tr mit konkreten Prozessschritten (der Bedeutung der Ausdrücke Tr) verknüpft sind, so dass der Logikanwender die zu A gehörenden Ausdrücke als Teil der Erzeugungsregeln in einer Weise identifizieren kann, dass die Erzeugungsregeln den Ausdrücken A einen neuen Ausdruck B ‚zuordnen‘ können. Sofern diese Zuordnung ‚im Kopf des Logikanwenders‘ (im Alltag spricht man von ‚Denken‘) gelingt, kann dieser dann mit Verweis auf die konkreten Ausdrücke Tr in einer ’nachfolgenden Situation‘ einen neuen Ausdruck B hinschreiben. Ein anderer Logikanwender wird diesen neuen Ausdruck ‚B‘ nur akzeptieren, wenn er in seinem Kopf ebenfalls über ein ‚Konzept = Modell‘ des logischen Folgerns verfügt, das in seinem Kopf um gleichen Ergebnis ‚B‘ führt. Kommt der andere Logikanwender zu einem anderen Ergebnis als ‚B‘, dann wird er widersprechen.

–!! Noch nicht fertig !–