Archiv für den Tag: 14. Juli 2024

SELBSTZERSTÖRUNG IST EINE OPTION. Notiz

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Start: 14.Juli 2024; Letzte Änderung: 14.Juli 2024

Diesen Text kann man als Teil des Textes „Neustart der Menschlichkeit (Rebooting humanity)“ betrachten.

(Die Englische Version findet sich HIER)

Ausgangspunkt

BILD : Notiz vom 14.7.24

WIR AUF DEM PLANETEN

Im Jahr 2024 der christlichen Zeitrechnung befinden wir uns als Menschen (die Lebensform ‚Homo sapiens‘) noch immer auf dem Planet Erde. Wir sind quantitativ ein sehr kleiner Teil des ‚Lebens‘, qualitativ verfügen wir über Fähigkeiten, alles Leben und den gesamten Planeten entweder in ihrer Existenz zu unterstützen oder alles auszulöschen.

SELBSTPROGRAMMIERUNG

Im Gegensatz zu den heutigen Maschinen sind alle Lebewesen — der Mensch eingeschlossen — so gebaut, dass sie sich ’selbst programmieren‘: was immer wir von uns selbst, den anderen, von der Umwelt wahrnehmen, es wird vollautomatisch in unser Inneres transportiert und dort ebenfalls weitgehend automatisch strukturiert, angeordnet, bewertet, und vieles mehr. Niemand kann sich dagegen wehren. Man kann diese ‚Selbstprogrammierung‘ nur dadurch etwas steuern, dass man seine Umgebung so gestaltet, dass bestimmte Wahrnehmungen eher nicht stattfinden, dafür andere mehr. Erziehungsprozesse setzen diese Selbstprogrammierungsfähigkeit voraus und sie entscheiden auch über das, was während der Erziehung stattfinden soll.

DIKTATUR DES ‚IST DA‘

Was in unserem Inneren angekommen ist, das ist erst einmal da. Es bildet unsere primäre Wirklichkeit. Wenn wir handeln wollen, dann greifen wir erst einmal zurück auf das, was da ist. Das, was da ist, ist für uns irgendwie ‚wahr‘, prägt unser weiteres Wahrnehmen und Verstehen. Etwas ‚um uns herum‘, was ‚anders‘ ist, ist tatsächlich ‚anders‘ und ‚passt nicht‘ zu unserer inneren Wahrheit.

WELCHE VERGLEICHSPUNKTE?

Angenommen, die Mehrheit dessen, was ‚in uns drin‘ ist, was wir erst mal als ‚wahr‘ annehmen, wäre in der realen Welt da draußen ‚falsch‘, ‚unangemessen‘, ‚unzutreffend‘ usw., wir hätten kaum eine Chance die eigene ‚Unwahrheit‘ zu erkennen, so lange die meisten Menschen um uns herum die gleiche ‚Unwahrheit‘ teilen‘.[1] Das Erkennen von ‚Unwahrheit‘ setzt voraus, dass man irgenwie über ‚Beispiele der Wahrheit‘ verfügt, die geeignet sind, mit der herrschenden Unwahrheit ‚verglichen‘ zu werden. Das Vorhandensein von Beispielen der Wahrheit garantiert allerdings keine Erkenntnis von Unwahrheit, sondern es steigt nur die Wahrscheinlichkeit, dass es passieren könnte.[2]

[1] Durch die ganze bekanntgewordene Geschichte der Menschheit können wir beobachten, wie bestimmte ‚Unwahrheiten‘ ganze Völker beherrschen konnten, nicht nur in autokratischen Systemen.

[2] Systeme mit staatlich geförderter Unwahrheit kann man u.a. daran erkennen, dass das Vorkommen von Vielfalt, Beispielen von Wahrheit, drastisch unterdrückt wird und nur bestimmte Formen von Meinungen zugelassen werden.

MODERNE UNWAHRHEITEN

Im Gegensatz zu autokratischen Systemen herrscht in demokratischen Systemen offiziell ‚Meinungsfreiheit‘, was eine große Vielfalt ermöglicht. In demokratischen Systemen im Format Demokratie 1.0 geht man davon aus, dass diese garantierte Freiheit nicht missbraucht wird.[1]

Mit dem Aufkommen von modernen Medien, speziell von Medien in Verbindung mit dem Internet, ist es aber möglich, mit der Verbreitung von Medien im großen Stil Geld zu verdienen. Die Versuchung liegt nahe, Medien über das Internet so zu verbreiten, dass man damit maximal viel Geld verdienen kann. Eine beliebte Methode ist ‚Werbung‘: je länger und öfter ein Nutzer vor einem Inhalt verweilt, umso mehr Werbeeinnahmen sprudeln. Die Versuchung ist groß genug, dem Nutzer möglichst nur das zu bieten, was sein ‚automatisches Interesse weckt‘. Dass das ‚automatische Interesse‘ ein sehr starkes Motiv darstellt und speziell mit solchen Inhalten korreliert, die nicht viel Nachdenken erfordern, bestätigt sich täglich. Dass auf diese Weise große Teile einer Population ’speziell programmiert‘ werden kann, ist mittlerweile bekannt und wird immer mehr beschrieben.

Im ‚Kampf der Macht getriebenen Systeme‘ macht man sich diese Möglichkeit der Fremdprogrammierung von Menschen mit Hilfe des Internets im Rahmen der sogenannten ‚Hybriden Kriegführung‘ massiv zu Nutze. Während autokratische Systeme ‚massiv geschlossene‘ Systeme sind, sind die modernen Demokratien im Format 1.0 geradezu ein Eldorado für die Anwendung von Methoden der hybriden Kriegführung. Ähnlich wie die Geldbessessene Medienindustrie benutzt man in der hybriden Kriegführung auch ‚leichte Inhalte‘, mischt Fragmente von ‚Wahrem‘ mit Fragmente von ‚Falschem‘, und zwar solches, was leicht aufregt, und in kurzer Zeit wächst die ‚Schar der Gläubigen‘ von diesen Botschaften.[2] Die ‚Gemeinde dieser Propaganda-Gläubigen‘ kann man normalerweise nicht mittels ‚Argumenten‘ beeinflussen. Diese Überzeugung sind so programmiert, dass alle die Quellen, die kritische Alternativen darstellen könnten, von vornherein schon ‚geächtet‘ sind.[3]

Und es ist leider wahr, dass Demokratien im Format 1.0 für diese Art von Freiheitsgebrauch bislang ’schwach‘ wirken, und ‚hilflos‘, wenngleich langsam die Erkenntnisse zunehmen, dass es so etwas wie ein Missbrauch durch ‚Falschprogrammierung der Menschen‘ gibt.

[1] Das Unterbinden von systematischem Missbrauch von Freiheit ist in Demokratien 1.0 nur schwer bis gar nicht durchführbar, ohne die Meinungsfreiheit selbst zu verändern.

[2] Die breite Abdeckung dieser Propaganda kann man leicht daran erkennen, wenn man in verschiedenen Orten von Deutschland (und im Ausland!) mit Menschen ins Gespräch kommt, die sich untereinander nicht kennen, aber im Laufe des Gespräches mehr oder weniger die gleichen Geschichten im Brustton der Überzeugung erzählen. Viele (die meisten davon?) haben sogar studiert. Was die Frage aufwirft, wie wenig eine akademische Ausbildung offenbar einen ‚kritischen Geist‘ fördert.

[3] Eine beliebte Formulierung ist die von der ‚Lügenpresse‘. Alles was ‚gefährlich‘ werden könnte ist ‚Lüge‘, obgleich diejenigen, die von Lügenpresse sprechen, sich mit dieser Presse überhaupt nicht ernsthaft beschäftigen.

WELCHE ÜBERLEBENSWAHRSCHEINLICHKEIT HAT WAHRHEIT?

Wer sich in seinem Leben schon mal intensiv mit der Frage von ‚Wahrheit‘ beschäftigt hat und wer weiß, dass es vielerlei Recherchen, Untersuchungen, Überlegungen, auch Experimente braucht, um ‚hinter die augenscheinlichen Phänomene‘ zu schauen, dazu viel Kommunikation mit anderen Menschen, bisweilen in anderen Sprachen, derjenige weiß, dass Wahrheit kein ‚Selbstläufer‘ ist; Wahrheit passiert ’nicht einfach so‘; Wahrheit kann man nicht zum ‚Nulltarif‘ bekommen. Der Einsatz von Wahrheit für hilfreiche Technologien, neue Landwirtschaftsformen, neue Verkehrssysteme usw. erscheint im Nachhinein, am Ende eines langen Weges, wenn es dann irgendwie ‚offensichtlich‘ ist, wofür das alles gut ist, als erstrebenswert, aber am Beginn des Weges ist dies für fast jeden nicht erkennbar. Die bemitleidenswerte Form des Bildungssystems in vielen Ländern gibt ein beredtes Zeugnis ab für die Geringschätzung von Bildung als Trainingsprozess für Wahrheit.

Angesichts der rasanten Ausbreitung von skrupellosen Internet-Medien-Geschäften begleitend von einem weltweiten Anschwellen von hybrider Kriegführung erscheint die Überlebenswahrscheinlichkeit von Wahrheit immer geringer zu werden. Die Demokratien als eigentliche ‚Horte der Wahrheit‘ erleben gerade sich selbst als einen Ort der beschleunigten ‚Wahrheitsverflüchtigung‘.