KANN MAN VON METAL-BANDS ETWAS LERNEN?

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Datum: 20.Okt 2024

Kontakt: cagent@cognitiveagent.org

KONTEXT

Kein spezieller Kontext, außer … lies im Text weiter.

Ich bin tatsächlich sehr geflasht

Manchmal braucht es Zeit, um Gedanken nachhängen zu können.

So jetzt gerade bei mir mit einem Infekt in den Bronchien, der mich weitgehend lahmlegt. In den ersten Tagen bäumt man sich noch auf, weil man ja so viel zu tun hat, Sachen, Termine, …. bis einem klar wird: Komm runter Junge. Der Körper braucht gerade mal Ruhe, …. und langsam pendelt sich ein neuer Ablauf ein, die Gefühle steuern um, die Gedanken nehme neue Richtungen…

***

Viel tun kann man tatsächlich nicht.

Partiell, fragmentarisch habe ich über ‚menschliche Kommunikation‘ nachgedacht: was kann zwischen Menschen passieren, die ein funktionierendes Gehirn haben … und einen Körper, der noch nicht ganz tot ist? Unser Verhalten, unsere Bewegungen, unsere Kleidung, … nimmt der andere wahr, unbewusst, und ordnet sie ein: oh, interessant, wie doof, Narzisst, nett, ergreifend, … wir wissen meist nicht wirklich etwas, aber unser Unbewusstes arbeitet rund um die Uhr und versorgt uns ungefragt mit ‚Meinungen‘…

Wir können aber auch ganz bewusst bestimmte Rollen einnehmen, sie ‚in Szene setzen‘, so dass der andere gezielt diese Rollen mit uns in Verbindung bringt: es soll beim anderen ein bestimmtes Bild von uns entstehen … weil … ? … Vielleicht lieben wir dieses Bild selbst und möchten für andere so erscheinen, wie die Bilder die wir lieben. Die Zutaten zu Bilder kann man machen, man kann sie kaufen.

Kann man sich selbst ‚machen‘?

Sich selbst einfach kaufen geht nicht so richtig.

Wer ist man überhaupt selbst?

Manche haben diese Frage vielleicht noch nie gestellt, weil …

***

Ab einem bestimmten Punkt fange ich immer an, eine Reise durch das Universum der Musik anzutreten.

Viel Kraft braucht man nicht, viel Nachdenken muss man nicht unbedingt, es funktioniert selbst noch im Halbschlaf.

Ich stelle fest, ich bevorzuge ‚Bands‘ … nicht die Konfigurationen aus der Retorte, die ‚gemachten‘, wo man nicht weiß was hat die ‚Erscheinung‘ mit den Menschen zu tun, die in diesen Verkleidungen auftreten, sondern solche Bands, die einen ‚realen Weg‘ zurück gelegt haben, bei denen die äußere Erscheinung, der Klang das Verhalten, nicht immer schon so da war sondern sich entwickelt hat: im Ineinander mit den anderen, mit der Umwelt, den Fans, den ‚Feinden‘, mit dem eigenen Ich, dem eigenen Körper, dem Klangraum, …. und deren Musik nicht ‚vollautomatisch‘ funktioniert, sondern real live entsteht (was Geräte nicht ausschließt). Ja, Bands die auch ‚Texten‘, die ihre Sprache benutzen, ihre Muttersprache, die Sprache des Alltags, und die nicht irgendwie ‚beliebig‘ Texten, ‚märchenhaft-fantastisch‘ (weil es so schön klingt), oder nur ‚artifiziell‘, weil sie einfach mal ein neues Muster um des Musters ausprobieren wollen …

Eine Nicht-Retorten-Band ist von sich aus schon eine Manifestation bevor sie irgendetwas Spezielles macht: es ist eine Manifestation, dass es hier Menschen gibt, die es geschafft haben, ihr eigenes Ego zu überwinden und im Miteinander mit anderen etwas hervor zu bringen, was es nur so geben kann: Verständnis, Freundschaft, Ringen, Leiden, Hoffen, Trauer, Wut, Verzeihen, Enttäuschung, Verzweiflung, Absturz, wieder Auferstehen, Entdecken, gemeinsame Schwingungen, Synergie, geteilte Freude, … die Breite menschlichen Daseins erweitert sich in einer Gruppe (natürlich nicht notwendigerweise).

***

Ja, und warum ich dann letztlich immer wieder eher ‚Metal-Bands‘ höre … so ganz klar ist mir dies noch nicht.

Es hat mit ‚Authentizität’ zu tun, mit Direktheit des Gefühls, mit Wucht und Energie, … Liebe kann man flüstern, aber warum nicht laut sagen? Hoffen kann verhalten sein, warum nicht brüllen? Wut sowieso … Begeisterung: im Flüsterton, im arrangierten Set? …

Was auch immer.

Eine Band im Metal-Stil kommt wuchtig daher und entweder stimmt hier alles oder es ist nur furchtbar. Im Metal-Stil liegt alles direkt offen vor Dir … es sei denn …

***

Auch Metal-Bands sind Menschen, die all die ‚Automatismen‘ mit sich herumschleppen, die uns Menschen gemeinsam ist (siehe oben): auch sie können letztlich ‚Rollen‘ spielen, hinter denen sie sich verstecken, von denen sie sich ‚beherrschen‘ lassen ohne jemals ihre eigenen Personalität in ihre Gesamterscheinung einzubringen.

Da gibt es die ‚brutal verhüllten‘, die eine technisch fast nahezu maschinelle Musik spielen, äußerlich verhüllt und Dunkel auftreten, wo man sich fragt, warum sie nicht gleich Roboter auf die Bühne schicken, die diesen Klang in die Welt pusten? Die Musik erscheint hier als reiner Selbstzweck …

Dann gibt es die ‚Fantastischen‘: eingehüllt in fantastische Kostüme, die fantastische Geschichten erzählen, weitab des normalen Alltags, fast schon gefällige Klänge, aber die Musiker bleiben hinter dieser ‚Verhüllung‘ seltsam fern, fremd. Trotzdem finden nicht wenige das ‚nett‘.

Ja, und dann gibt es diese immer seltener werdenden Gruppierungen, die vom Alltag erzählen, von sich selbst, von realen Ereignissen, von realem Leben, in der Grauzone, von jenen Zonen, die man eher meidet, die wir aber erleben, an denen wir leiden oder gar zerbrechen können; die kleinen Wunder im Alltag, wie uns wieder aufrichten; in einer Sprache, die niemand übersetzen muss; Worte, die jeder kennt, und doch, hier im Moment des Auftritts, aus sich heraus zu leuchten beginnen, zu sprechen, zu singen, auch wenn die Stimme des Sängers oder der Sängerin nicht die allerbeste ist. Und wenn dann diese Höhen und Tiefen des Alltags nicht nur als Worte daherkommen von ‚irgend jemandem‘, sondern von denen, die dies alles selbst erlebt haben, über Jahre, über viele Jahre, mit den Höhen und Tiefen, die alle mit erleben konnten, synchron zu den eigenen Höhen und Tiefen, dann entsteht schon alleine durch diese Worte ein Einklang der Herzen, eine Art ‚Schicksalsgemeinschaft‘ ‚von innen‘ und außen, die es so unter anderen Bedingungen schlicht nicht geben kann.

Bands, die solches verkörpern und in ihrem Dasein, in ihren Konzerten umsetzen, sind Lebensereignisse, die alle Beteiligten nur als ‚Geschenk‘ empfinden können: die Bands selbst wie alle ihre Fans. Wer solche Konzerte erlebt hat, der weiß es aus dem Herzen, da kann noch so viel andere Show nicht heran reichen. … und diese Beziehung ist ‚real endlich‘: wir altern, wir werden krank, wir sterben … die ‚Ewigkeit im Jetzt‘ ist eine spezielle: schon echt, aber noch nicht die Vollendung 🙂

***

Gut, es gibt tatsächlich mehr als eine Band in unserer Welt auf die diese letzten begeisternden Gedanken zutreffen. Aber jetzt, gerade jetzt bin ich – das merkt jeder, der diese Zeilen liest – ziemlich geflasht von einer bestimmten Band, die gar nicht weit von mir seit mehr als 40 Jahren uns alle im Alltag begleitet und von der ich trotzdem erst diese Tage durch ‚Zufall‘ Kenntnis bekommen habe.

Eigentlich hätte dies schon viel früher geschehen können, eigentlich, weil ein Nachbar in seinem Auto ein Spruchband mit ihrem Namen hatte.

Dieser Name war aber so, dass ich – mein Unbewusstes! – dachte: was ist das denn für ein Schwachsinn, und mich durch dieses ‚unbewusste Geschehen‘ all die Jahre habe blockieren lassen.

Diese Tage wollte ich es dann aber mal wissen, weil der Name einfach zu krass ist.

Und dann konnte ich in arte das erste Konzert anschauen, dass sie nach ihren mit Abstand größten Krise von fast 10 Jahren leben konnten. Obwohl keiner wusste, ob einer aus ihren Reihen jemals wieder spielen konnte, haben sie die Band nicht aufgelöst und fast 10 Jahre gewartet… und er kam zurück, besser als je zuvor.

Das ist etwas extrem Menschliches.

Welch eine wortlose Kommunikation…

In Kurzform heißt diese Band ‚bo‘, und es sind vier Frankfurter Jungs …. die ‚Böhsen Onkelz‘. Die Geschichte des Namens kann vieles erzählen.