node & code live 30.Juli 2013 – Erstes Feedback zu ‚motion bank projekt‘

1) Wie in node & code 30.Juli 2013 notiert, hatte ich Gelegenheit gehabt, im Rahmen einer ’node & code‘ Veranstaltung Gedanken zum Emerging Mind Projekt vorzustellen. Bevor es aber dazu kam stellte Amin Weber (und Florian Jenett) seine Arbeiten im Kontext des Projektes motion bank vor, einem Projekt der ‚Forsythe Company‘. Diese Arbeiten waren beeindruckend, anregend und warfen – aus meiner Sicht – eine Menge Fragen auf.
2) Wie man aus der Website zu motion bank entnehmen kann, geht es einerseits um die komplexe Beziehung zwischen einem Choreographen, der Ideen zu einem möglichen ‚Tanz(aufführung)‘ hat und der Umsetzung dieser Ideen in einem realen Tanz; zugleich das Interesse, diese komplexen Prozesse zu visualisieren und bis zu einem gewissen Grad zu ‚analysieren‘ bzw. Tanzprozesse in neuer Weise zu ‚kodieren‘ und mit diesen Kodes weitere, andere künstlerische Prozesse anzustoßen (z.B. kodierte Choreographien in Form von computersimulierten Bewegungsereignissen zu simulieren).
3) Allerdings sucht man auf der bisherigen Website von ‚motion bank‘ vergeblich nach konkreten theoretischen Überlegungen oder theoretischen Modellen. Die Texte bleiben sehr im Allgemeinen, dafür umso mehr schöne Bilder. Möglicherweise ist dies auch ein indirekter Hinweis auf das grundsätzliche Problem von ‚Tanz‘: unter Voraussetzung eines ‚menschlichen‘ Körpers ist der Körper die ‚Oberfläche‘ eines hochkomplexen Systems, dessen ‚wahren Zustand‘ man niemals direkt wahrnehmen kann; die Oberfläche, in Bewegung, liefert nur sehr vage ‚Hinweise‘ auf das im Körper eingehüllte ‚System‘. Jeder Versuch, die Oberfläche vom eigentlich ‚treibenden inneren System‘ zu isolieren kann leicht zu Abstraktionen führen, die die Oberfläche ‚verabsolutieren‘ und damit in einer Weise verfremden, die zwar noch mit ‚Bewegungen‘ zu tun hat, nicht aber mehr mit ‚Tanz‘ im Sinne eines ‚innerlich beseelten‘ Vorgangs.
4) Die Präsentation von Amin Weber war sehr klar, zugleich konkret, und vermittelte seine Sicht des motion bank Projektes. Danach stand bei ihm am Ausgangspunkt die Choreographin Deborah Hay mit ihrem Buch „My Body, the Buddhist. Wesleyan University Press, October 2000. “ In diesem Buch beschreibt sie in einem introspektiven Stil Körper-, Raum- und Bewegungswahrnehmungen, die dann für Sie Inspiration und Leitlinie für mögliche Tänze (die Tänzer sprechen eher neudeutsch von ‚Tanz Performance‘ statt ‚Tanz Aufführung‘ oder ‚Tanzrealisierung‘ oder …). Das Problem ist — wie bei allen introspektiven Erkenntnissen –, wie sie ihre Inspirationen anderen TänzernInnen so ‚vermitteln‘ kann, dass diese überhaupt ‚verstehen‘, was sie ‚meint‘. Wie in allen anderen ‚Berufen‘, in denen ’subjektives Wissen‘ weiter gegeben werden muss, verläuft diese ‚Weitergabe‘ durch eine Phase gemeinsamer Praxis von Choreographin und Tänzerin, in denen die Tänzerinnen über gemeinsam geteilte Situationen versuchen, den ‚inneren Kode‘ der Choreographin vermittelt durch die Tanzsituation zu ‚erahnen‘ und dann versuchsweise in eigene Bewegungsinterpretationen umzusetzen. Eine Rückkopplung für diesen Lernprozess ist die Reaktion der Choreographin. Kann so etwas gelingen?
5) Ein interessanter Punkt an dem Projekt von Amin Weber und Florian Jenett war (und ist), dass sie die mehrere Tänze von von einer Tänzerin wie auch von verschiedenen Tänzerinnen zu einer Vorgabe der Choreographin gefilmt und dann ‚übereinander‘ gelegt haben, allerdings abstrahiert zu Linien (und Punkten). Damit wurde sichtbar, ob und wieweit sich die Bewegungen eines Tanzes mit denen eines anderen ‚überdeckten‘ bzw. diesen ähnelten. Mit bloßem Auge gab es partiell solche Überdeckungen, aber auch Nicht-Überdeckungen. Amin Weber meinte, dass ein menschlicher Betrachter eine ‚Überdeckung sähe‘, wenngleich die Bilder, die gezeigt wurden, eine solche nicht ohne weiteres erkennen ließen (nach meiner Einschätzung).
6) Die Stärke der Vorgehensweise von Amin Weber bestand darin, dass mit seinen abstrahieren Analysen zunächst einmal überhaupt Strukturen sichtbar wurden. Zugleich wurde aber dadurch erkennbar, dass diese Strukturen noch zu vieldeutig waren. Letztlich müssten an dieser Stelle ‚maschinelle‘ Verfahren eingesetzt werden, um die ‚Ähnlichkeit‘ zwischen den verschiedenen ‚Graphen‘ zu ‚berechnen‘. Doch, was auch immer solche maschinelle Verfahren dann berechnen würden, stellt sich die eigentliche Frage ja weit früher, nämlich dort, wo das, was die Choreographin ‚empfindet, denkt, fühlt…‘, als Leitlinie für eine Choreographie genommen wird. Hier stellen sich zahlreiche philosophische und theoretische Fragen, auf die weder Deborah Hay in ihrem Buch eingeht, noch finden sich dazu Texte auf der motion bank Webseite. Auch Amin Weber ging darauf in seiner ansonsten exzellenten Präsentation nicht weiter ein.
7) Sehr anregend waren dann die verschiedenen eigenen Ansätze von Amin Weber, wie er versucht hat, eine eigene ‚Videosprache‘ zu finden, die Ideen von Deborah Hay im Medium computeranimierte Bewegung, festgehalten in einem Video. Dies gewann besonders an Kontur, da Anim Weber die verschiedenen ‚Vorstufen‘ mit präsentierte, so dass man die schrittweise Entwicklung der letzten Kodierung in gewisser Weise nachvollziehen konnte.
8) Aus Sicht des Emergent Mind Projektes ist das motion bank Projekt mehrfach interessant. Einmal geht es um die Beziehung TänzerIn zu ChoreographIn: letztlich haben wir es hier mit einer ‚Lernbeziehung‘ zu tun. Die Tänzerin muss irgendwie ‚lernen‘, was die Choreographin ‚meint‘, wenn sie ein bestimmtes ‚Thema‘ in einen ‚Tanz‘ ‚umgesetzt‘ sehen möchte. Zum anderen geht es um die grundsätzliche Frage, was denn ‚das‘ ist, was ‚in der Choreographin existiert‘, was in ihr überhaupt ein ‚Thema‘, ‚ein Bild‘, eine ‚Meinung‘ usw. ‚erzeugt‘, aufgrund deren die Choreographin einen bestimmten Tanz ‚realisieren möchte‘. Alle diese Fragen werden im motion bank Projekt – soweit ich bislang sehen kann – nicht berührt. Es gab zwar auch Beziehungen zu Neurowissenschaftlern, aber diese können solche Fragen natürlich nicht beantworten. Die haben ja selber eine methodologisches Problem, ihre physiologischen Befunde mit subjektiver Erkenntnis zu korrelieren; genauso wenig verfügt die Neurowissenschaft bislang über irgendwelche brauchbaren theoretischen Modelle zu ‚Wissen‘, ‚Erkennen‘ oder ‚Lernen‘, um nur einige der Themen zu nennen.
9) Viele interessante Fragen, wenig Antworten, aber viele schöne bunte Bilder. Dennoch erscheint mir gerade die Arbeit von Anim Weber und Florian Jenett in diesem ‚Dunkel von fehlender Erkenntnis‘ als ein gewisser Lichtblick, an dem man weiter ansetzen könnte. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob die beiden das auch so sehen.

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