Die exponentielle Vermehrung der Menschen seit mindestens 200 Jahren, die Überflutung des Alltags mit Varianten an Verhalten, Objekten, Anschauungen usw., die überall anzutreffenden Machtanmaßungen im Privaten, lokalen, regionalen, nationalen und globalen Bereichen, die Explosion des Wissens schlechthin können den Eindruck erwecken, als sei es letztlich beliebig, was wir tun, ‚anything goes‘, alles sei relativ da beliebig.
Die täglichen Nachrichten belehren uns allerdings eines besseren (wenn wir es denn wissen wollen): das Klima kann ganze Regionen verdorren, in Wasser absaufen oder in Kälte erstarren lassen. Entsprechend lassen sich Nahrungsmittel anbauen oder nicht. Erdbeben sind zwar lokal, können aber verheerende Zerstörungen bewirken, durch die die Wirtschaft empfindliche Produktions- und Lieferausfälle zu beklagen hat. Viele Ressourcen sind endlich und knapp. Nicht erneuerbar werden sie sich absehbar erschöpfen (ein paar hundert Jahre zählen so gut wie gar nicht; in der Entwicklung des Lebens sind ein paar hundert Jahre weniger wie ein ‚Wimpernschlag‘). Abhängig von der Sonneneinstrahlung gibt es maximale Grenzen der Energieumwandlung für Nahrungsmittel, die niemand verändern kann, es sei denn, er könnte die Sonne kontrollieren (was grundsätzlich gehen würde, wenn man wüsste, wie). Der ‚Erfolg‘ des homo sapiens sapiens drängt immer mehr andere Arten zurück, löscht sie aus, biologische Arten, die aber für Kreislaufprozesse wichtig sind, von denen wir abhängen. Ihre irreversible Auslöschung entzieht uns selbst mehr und mehr den Boden, auf dem wir stehen. Darüber hinaus gibt es Wechselwirkungen zwischen einer Unzahl von Faktoren, die sich über Jahrmillionen eingespielt haben, deren Entwicklung bis zu Milliarden Jahren gedauert hat, die wir schrittweise außer Kraft setzen, beschädigen, zerstören. Diese Liste ließe sich verlängern.
Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass wir selbst durch und durch ein ‚Produkt‘ (!!!) eben dieser Prozesse sind, die wir so leichthändig beschädigen und zerstören. Wir haben uns nicht selbst erfunden. Wir wurden erfunden durch Prozesse, die nicht nur viele Milliarden chemische und biologische Evolution gebraucht haben, sondern zusätzlich auch noch viele Jahre einer physikalischen Evolution, von der ‚reinen Energie‘ über Atome, Gaswolken, Sonnen, Galaxien bis hin zu den Konstellationen, unter denen aller erst biologisches Leben entstehen konnte. Und die heute bekannten biologischen Lebensformen haben alle eines gemeinsam: sie verkörpern das Ergebnis des Zusammenwirkens eines (auch) zufällig arbeitenden generierenden Mechanismus (Kopieren, Mischen, Weitergeben von genetischen Informationen) mit einer ‚Leitlinie‘, nämlich der vorfindlichen Umgebung (in unserem Fall die Erde (die sich selbst allerdings im Laufe der Zeit z.T. dramatisch verändert hat!). Nur die genetischen Strukturen, die ‚hinreichend‘ zur vorfindlichen Umgebung Erde ‚passten‘, konnten ihre genetischen Produktionen fortsetzen. Dabei heißt ‚passen‘ auch ‚anpassen‘, da sich sowohl die Erde selbst als auch die Welt des Biologischen beständig ‚mit verändert‘ (Koevolution) hat (Räuber-Beute Konstellationen, Nischeneigenschaften,…).
Es ist genau diese ‚Leitlinien‘-Funktion, auf die es hier ankommt. Wir sind so, wie wir sind, durch und durch für ein Leben auf dieser Erde ‚optimiert‘. Dazu gehört nicht nur die ‚Passung‘ für Sauerstoff, Klima, Tag-Nacht-Schema, bestimmte Nahrungsmittel, Erdanziehung usw., sondern auch für das Miteinander mit den anderen biologischen Formen (Pflanzen, Mikroorganismen, Tieren, andere Menschen…). D.h. wenn wir – ganz klassisch – ‚Wahrheit‘ als eine Relation auffassen wollen zwischen Organismen O die in einer Umgebung E ‚passen‘ (=wahr) oder ’nicht passen‘ (=falsch), dann besteht die physikalische/ chemische/ biologische Evolution darin, dass sie Objekte eines Komplexitätslevels O_i zu einer bestimmten Zeit in einer Umgebung E_t mittels bestimmter Konstruktionsprozesse P_i in Objekte mit einem Komplexitätslevel j ≥ i verwandelt, die überlebensfähig sind: X-evol: E x T x O_i —> E x T x O_j. Die primäre Wahrheit ist dann die Fähigkeit, zu überleben, und zwar ’nachhaltig‘!
Interessant an diesem Prozess ist, dass die Überlebensfähigkeit mit der Zunahme an ‚Flexibilität‘ zunimmt. Letztere aber hängt u.a. daran, dass die jeweiligen Lebensformen im Organismus selbst (!) immer mehr über eine ‚Informationsverarbeitung‘ verfügen, die sie in die Lage versetzt, immer mehr Aspekte der Umgebung im Organismus so zu repräsentieren, dass das ‚eigene Verhalten‘ sich daran ‚orientieren‘ kann. Das immer bessere Erkennen von ‚Nahrung‘, ‚Gefahren‘, das ‚Vorwegnehmen‘ potentieller Situationen, das ‚Erfinden‘ von Hilfsmitteln, die ‚Koordinierung‘ mit anderen usw. sind unmittelbar hilfreich für das Überleben. Eine ‚Übereinstimmung‘ dieser inneren (=subjektiven) Repräsentationen mit den auslösenden externen (=empirischen, objektiven) Eigenschaften der Umgebung ist also eine fundamentale Eigenschaft dieser Informationsverarbeitung. Da die ‚Außenwelt‘ immer nur in Form der informatorisch aufbereiteten ‚Innenwelt‘ vorliegt, kann eine ‚Überprüfung‘ der ‚Korrektheit = Wahrheit‘ dieser modellierten Innenwelt immer nur indirekt geschehen durch ‚Hypothesenbildung‘: Unter der Annahme, dass die Innenwelt ’stimmt = wahr‘ ist, können mögliche ‚Folgezustände‘ ‚berechnet‘ (vorgestellt, gedacht, geplant,…) werden. Treffen diese Folgezustände dann so ein, dass die aktuelle Wahrnehmung mit der ‚erwarteten Wahrnehmung‘ ‚hinreichend übereinstimmt‘, dann kann sich der agierende Organismus bzgl. seines ‚Wissens‘ ‚bestätigt‘ fühlen. Das Wissen scheint ‚wahr‘ zu sein. Andernfalls muss er sein Wissen ‚in Frage stellen‘ oder es gar ‚verwerfen‘ (nicht bestätigt, ‚falsch‘).
Es gibt damit mindestens zwei ‚Wahrheitsmechanismen‘ im Bereich des biologischen Lebens: (i) einen überindividuellen Mechanismus, der lebensfähige (= wahre) genetische Strukturen hervorgebracht hat und weiter hervorbringt; (ii) einen individuellen Mechanismus aufgrund interner Informationsverarbeitung, der im unterschiedlichen Umfang die interne ‚Kodierung‘ und ‚Manipulation‘ von externen Umwelteigenschaften zum Zwecke der Handlungssteuerung erlaubt. Dieser interne Mechanismus gewinnt seine Wahrheit aus der (begrenzten) Möglichkeit der ‚Bestätigung‘.
In beiden Fällen ist aber ganz klar, dass die Organismen selbst nicht ‚im Besitz der Wahrheit‘ sind!!! Die Wahrheit als ‚Übereinstimmung‘ mit einer Vorgabe ist primär an der Vorgabe orientiert. Dies ist aktuell die Erde und das umgebende Universum. Kein Lebewesen kann diese Vorgabe für sich beanspruchen bzw. ‚außer Kraft‘ setzen. In existentialistischer Sprechweise sind wir in diesem Punkt alle in gleicher Weise ‚Geworfene‘, ‚Ausgesetzte‘. Keiner hat ‚von Natur aus‘ irgendwelche Vorrechte, mehr Rechte, Privilegien usw. (dass wir Menschen uns im Laufe der Jahrtausende ‚Pseudowerte‘ geschaffen haben wie ‚Rangstufen‘, ‚Adelshierarchien‘, ‚Kastensysteme‘, ‚Rassenideologien‘ und dergleichen mehr zeugt in erster Linie von Unwissenheit gepaart mit Machtinstinkten und Gruppenegoismen (wer per Konvention angeblich ‚besser‘ sein soll als jemand anderes hat es natürlich bequemer; er muss nicht erst beweisen, dass er tatsächlich ‚gut‘ ist). Auf Dauer sind solche falschen ‚Rankings‘ aber irreführend, falsch und damit schädlich. Sie verhindern die Entfaltung realer Potentiale, jener Potentiale, die wir alle brauchen, um die Zukunft hinreichend gut nachhaltig gestalten zu können. WAHRHEIT IST – in diesem Sinne — GANZ UND GAR NICHT KÄUFLICH.
Eine Übersicht über alle bisherigen Themen findet sich HIER
Das gesprochene Wort ‚authentisch‘: ein einzelner Mensch kann das Wort ‚authentisch‘ im Deutschen ganz unterschiedlich aussprechen (langsam, schnell, laut, leise, mit speziellen Betonungen…). Beim Sprechen wird ein veränderlicher Schalldruck erzeugt, den man messen kann (z.B. mit einem Mikrophon, analog) und dann ‚digitalisieren‘. Diese besteht in einer periodischen (1x pro Sekunde, 10x, 1000x, …) Abtastung des analogen Signals mit einer bestimmten ‚Bitauflösung‘ (2 Bit, 4, 8, 16 ….). Damit entsteht eine Zahlenfolge, die jeweils verschieden ist. Ein Computerprogramm ohne ‚Vorwissen‘, könnte damit nicht viel anfangen. Sprecher der deutschen Sprache sind aber in der Regel in der Lage, die verschiedenen lautlichen Realisierungen des einen gesprochenen Wortes als ‚das gleiche Wort‘ zu erkennen. Dies bedeutet, dass unser Gehirn verbunden mit dem Gehörorgan in der Lage ist, bei unterschiedlichen Schallobjekten ‚Gemeinsamkeiten‘ zu erkennen, die nicht ‚unmittelbar‘ im Schall selbst präsent sind. Menschen können – bei ein bischen Training – ‚Lautbestandteile‘ an einem Wort unterscheiden (Konsonanten, Vokale, Halbsilben, Silben, Morpheme,…), die ein Computerprogramm nur mit erheblichem Aufwand zu identifizieren in der Lage ist (die heute (August 2012) käuflich erhältlichen Programme zum Diktieren können dies immer noch nur sehr begrenzt!). Zu fragen, was denn die ‚richtige‘ Aussprache des Wortes ‚authentisch‘ sei, hängt also von dieser besonderen Fähigkeit des menschlichen Gehirns ab und ist — von daher schwierig. Das, was jeder Mensch jeweils als ‚das Gemeinsame‘ in den unterschiedlichen Aussprachen (‚Realisierungen‘) des einen Wortes ‚authentisch‘ ‚erkennt‘, ist selbst nicht ‚vorzeigbar‘. Es existiert nur im individuellen Erkennen. Dass es dieses ‚Gemeinsame‘ gibt, erkennen wir indirekt daran, dass ein Mensch bei unterschiedlicher Aussprache immer das gleiche Wort auf einen Zettel ’schreiben‘ könnte (wobei das ‚Schreiben‘ eine eigenständige Leistung ist. Sogenannte ‚Analphabeten‘ können sprechen, aber nicht schreiben). Sprachgemeinschaften versuchen zwar, eine ‚offizielle Aussprache‘ zu ’normieren‘ (das ‚Hochdeutsche‘, das ‚Bühnendeutsch‘ der Nachrichtensprecher, usw.), doch können diese Normierungen letztlich nur grobe Leitlinien sein, die — aufgrund des Sachverhalts — niemals vollständig eindeutig sein können. Halten wir fest: schon das gesprochene Wort als primäres Mittel sprachlicher Kommunikation existiert in Realisierungsformen, die eine letzte Eindeutigkeit nicht zulassen; man braucht eine Vielzahl von Beispielen, man braucht Hypothesen (Annahmen, Vermutungen), man ’nähert sich an‘, man operiert mit einem ’subjektivem Konstrukt‘ auf der Basis ‚empirischer Ereignisse‘.
Die Bedeutung des Wortes ‚authentisch‘: Ein Lautereignis als solches hat normalerweise keine Bedeutung. Wenn ich im Deutschen Laute äußern würde, die sich schriftlich in etwa als ‚Dididu‘, ‚Garseku‘, ‚Uklukl‘ usw. repräsentieren lassen, dann wird normalerweise niemand etwas damit anfangen können. Äußerungen, die sich schriftlich in etwa als ‚Haus‘, ‚Tasse‘, ‚Stuhl‘ usw. repräsentieren lassen (und die sich lautlich als ‚das gleiche Wort‘ identifizieren lassen), würde man sehr wohl als ‚bedeutsam‘ einstufen. Eine lautliche Äußerung, die sich als ‚Stuhl‘ aufschreiben lässt, verbindet man mit ‚etwas anderem‘, eben jenem, was man ‚meint‘, wenn man das Wort ‚Stuhl‘ äußert. Dieses ‚andere Gemeinte‘ konstituiert dann die ‚Bedeutung‘ des lautlichen Ereignisses ‚Stuhl‘. Dieses ‚Andere‘ zum gesprochenen Wort, das seine ‚Bedeutung‘ konstituieren kann, ist auch wieder – im einfachen Fall – ein ‚Wahrgenommenes‘ (sichtbar, hörbar, tastbar, schmeckbar,…), das in verschiedenen Realisierungen vorkommt: dasselbe ‚Stuhlobjekt‘ aus verschiedenen Perspektiven, mit verschiedenen Beleuchtungsverhältnissen in unterschiedlichen Kontexten, oder aber ‚unterschiedliche‘ Stuhlobjekte (Farben, Materialien, Abmessungen, Formen,…) (auch hier würde eine einfache Digitalisierung z.B. der visuellen Signale einer Videokamera Zahlenkolonnen erzeugen, die selbst bei dem gleichen Stuhlobjekt völlig verschieden wären. Ein Computerprogramm ohne ‚Vorwissen‘ würde nichts erkennen können). Aber auch in diesem Fall besitzt das menschliche Gehirn im Verbund mit den verschiedenen Sinnesorganen (Sehsinn, Höhrsinn, Tastsinn,…) die erstaunliche Fähigkeit, in der Vielzahl der Eindrücke ‚Gemeinsamkeiten‘ zu erkennen, aufgrund deren dann ein Mensch (z.B. ein Kind, das Sprache lernt) bei einem bestimmten Stuhlobjekt trotz wechselndem Standpunkt, wechselnder Perspektive, unterschiedlichem Abstand, unterschiedlicher Beleuchtung dieses Stuhlobjekt als das ‚gleiche Objekt‘ in den unterschiedlichen Wahrnehmungsrealisierungen zu erkennen. Diese Fähigkeit des Erkennens von ‚Gemeinsamkeiten‘ in ‚veränderlichen Details‘ ist eine entscheidende Fähigkeit zum Erkennen überhaupt (heute käufliche Computerprogramme zur Objekterkennung sind hier mittlerweile erstaunlich weit gekommen, zumindest wenn man auf bestimmte Teilaspekte abhebt (z.B. Gesichtserkennung)). Aber auch hier gilt, dass der entscheidende Aspekt des ‚Erkennens‘ nicht in der aktuellen Realisierung eines Objektes liegt, sondern in dem ’subjektiven Konstrukt‘ eines Gehirns, das sich anlässlich der unterschiedlichen ‚empirischen Realisierungen‘ eines Objektes ‚bildet‘. Dieses ’subjektive Konstrukt‘ Cog(Perc(EObj)) = CObj eines ‚kognitiven Objektes‘ anlässlich unterschiedlicher ‚empirisches Objekte‘ ist aber – wie schon im Falle des subjektiven Konstrukts des gesprochenen Wortes – selbst nicht ‚vorzeigbar‘, sondern existiert nur ‚intern‘, als ‚gewusstes Etwas‘, indirekt erkennbar an einem bestimmten ‚Verhalten‘, z.B. daran, dass ein Mensch bei ‚ein und demselben Objekt‘ immer das ‚gleiche Wort‘ benutzt, obwohl er das empirische Objekt unterschiedlich realisiert wahrnimmt. Dies hat zur Folge, dass die ‚gemeinte Bedeutung‘ eines Wortes wie ‚Stuhl‘ grundsätzlich niemals ‚eindeutig‘ sein kann noch jemals ‚abgeschlossen‘ ist. Neue Stuhlereignisse können das bisherige subjektive Konstrukt ‚verändern‘, und diese Veränderungen sind von Mensch zu Mensch verschieden und sie sind dem einzelnen Menschen selbst nicht notwendigerweise ‚bewusst‘! Man merkt solche Veränderungen des subjektiven Erkenntnisstandes oft erst dann, wenn man in einer Gesprächssituation feststellen darf, dass der Gesprächspartner aktuell einen anderen ‚Aspekt‘ des Objektes ‚thematisiert‘ als man selbst bereit oder fähig ist, zu thematisieren. Halten wir fest: die subjektive Bedeutung von empirischen Ereignissen ist der eigentliche Kern sprachlicher Bedeutungen, diese selbst sind dynamische Gebilde, als solche nicht vorzeigbar, teilweise dem Sprecher selbst nicht ‚bewusst‘ und bilden sich interaktiv in gemeinsame geteilten Sprechsituationen.
Im Fall des Wortes ‚authentisch‘ kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: während ‚empirisch aufweisbare‘ Objekte wie ‚Stuhl‘, ‚Tisch‘, ‚Tasse‘ für alle beteiligten Sprecher einen ‚gemeinsamen objektiven Referenzpunkt‘ bilde können, an dem die verschiedenen Sprachteilnehmer ihre ‚Bedeutungshypothesen‘ ‚ausrichten‘, gibt es Worte – wie das Wort ‚authentisch‘ –, die nicht als ‚einfache empirische Objekte‘ vorkommen. Zu sagen, ein Mensch sei ‚authentisch‘ kann sich prinzipiell auf sämtliche Aktivitäten dieses Menschen beziehen, auf sämtliche Situationen, in denen er auftritt. Faktisch wird man sich meistens auf eine Auswahl beschränken, da normalerweise niemand das vollständige Verhalten eines Menschen untersuchen kann (wie ja auch der einzelne Mensch von sich selbst nur eine sehr begrenzte Kenntnis hat (weil man vieles vergisst, weil die Selbstwahrnehmung unvollständig ist, weil das Verständnis von einem selbst unvollständig oder unpassend ist,….). Man hat also normalerweise eine kleine Auswahl von Fragmenten eines komplexen Geschehens, dessen Randbedingungen einem nur unvollständig zugänglich sind (z.B. hat man keine direkten Kenntnisse von den inneren (subjektiven) Zuständen, die einen Menschen dazu bringen, etwas Bestimmtes zu tun). Will man in solch einer komplexen und unübersichtlichen Situation dennoch einen Bedeutungsinhalt konstruieren, der eine minimale ‚Gemeinsamkeit‘ zwischen verschiedenen Sprechern erlaubt, dann kann dies nur dadurch geschehen, dass es ‚Standardsituationen‘ und ‚Standardverhaltensweisen‘ gibt, die sich von allen Beteiligten hinreichend identifizieren lassen und die man als ‚Kriterium‘ benutzen kann, um zur ‚Einschätzung‘ zu kommen, jemand sei ‚authentisch‘ oder nicht.
Fragt man sich, wie solche ‚Standardsituationen‘ und ‚Standardverhaltensweisen‘ aussehen könnten, dann benötigt man etwas ‚Allgemeines‘, das über einzelne konkrete Ereignisse hinausreicht, so, dass man sagen könnte, dass diese oder jene konkrete Verhaltensweise ‚Beispiele‘ für dieses ‚Allgemeine‘ sind (z.B. Formulierungen wie ‚X kocht‘, ‚X hebt Geld ab‘, ‚X macht Musik‘, ‚X lernt gerade‘,… als Beispiele für etwas Allgemeines, dem sich ein konkretes individuelles Verhalten zuordnen lässt). Die Gesetzgebung — wie auch unterschiedliche Normierungen — sind ein Beispiel dafür, wie man versucht, mittels Texten Situationen so zu beschreiben, dass man im Einzelfall entscheiden kann, ob die Handlung einer Person solch einer Beschreibung subsumiert werden kann und ein Richter feststellen kann, ob eine Person mit diesem Verhalten im Sinne dieser Beschreibung ’straffällig‘ geworden ist oder nicht. Wie man aus der Praxis der Rechtsfindung weiß, ist dies alles andere als einfach und ganz selten eindeutig. Letztlich sind es die aktiven Richter, die darüber ‚befinden‘, ob bestimmte Ereignisse als unter eine Beschreibung ’subsumierbar‘ anzusehen sind oder nicht. Im alten lateinischen Spruch ‚in dubio pro reo‘ (Etwa „Im Zweifel für den Angeklagten“), drückt sich schlagwortartig diese Einsicht in die Begrenztheit der Erkenntnis aus, so dass man im Strafprozess einen Angeklagten aufgrund der notorisch schwierigen Erkenntnislage nicht verurteilen sollte, wenn Zweifel an seiner Schuld verbleiben.
Was wären ‚Standardsituationen‘ für ‚authentische‘ Menschen? Wenn jemand – ohne erkennbare Not — sagt, er heiße ABC, laut Ausweis aber CAB heißt, wäre dies vielleicht ein Grenzfall (ein Scherz? Schauspielerei? Vorgauklung falscher Tatsachen?..). Wenn jemand (ebenfalls ohne Not) sagt, er übe Position XYZ in einer Institution aus oder den Beruf XYZ, tatsächlich aber nicht, wäre dies eher kein Beispiel für ‚Authentizität‘? Wenn jemand nichts vom modernen Modebetrieb hält, sich aber dennoch bestimmte Kleidungsstücke anzieht, weil dies die mediengesteuerte Mehrheit in einer bestimmten soziologischen Gruppe ’so tut‘, ist dies ‚Anpassung‘, ‚Unterwerfung‘ – und damit nicht authentisch – oder ist dies ‚Pragmatismus‘, ‚Klugheit‘ und dadurch noch authentisch? Wenn jemand in Gesprächen mit KollegenInnen eine ‚Rolle‘ spielt, von der er/sie meint, damit komme er/sie ‚gut an‘, obgleich er/sie tatsächlich andere Meinungen und Werte haben, wäre dies auch ein Grenzfall; eher kein Fall von Authentizität? Was aber, wenn bestimmte berufliche Positionen nur erreicht werden können, wenn man einer Mehrheit ‚gefällt‘, deren Meinung man nur bedingt teilt. Gibt man sich auf, ‚verrät‘ man sich, wenn man dann ’so tut‘, ‚als ob‘ man diese Meinungen vertritt, um die Position zu bekommen? Falls die Position selbst dann Handlungen ermöglicht, hinter denen man stehen kann, wäre der Weg zu dieser Position dann ein ‚Kompromiss‘ (?), um etwas ‚Gutes‘ zu erreichen. Wäre dies ‚authentisch‘? Wenn aber die Position selbst weitgehend Handlungen erfordert, hinter denen man nicht wirklich steht, würde dies jede ‚Authentizität‘ ausschließen?
Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass offensichtlich Handlungen als solche nicht direkt etwas über ‚Authentizität‘ aussagen, da die Umstände von Handlungen sehr vielschichtig sein können und die ‚Bedeutung‘ einzelner Momente sich nur im Gesamtkontext erschließt.
Was kann es aber unabhängig von bestimmten Handlungsabläufen geben, was sich in all den verschiedenen Situationen ‚durchhält‘? Ferner muss man auch fragen, ob es unbedingt ‚für andere erkennbar‘ sein muss? Kann es nicht sogar sein, dass ein Mensch ’sich selbst treu‘ bleibt, wenn er in verschiedenen Situationen und Lebensphasen ganz unterschiedliche Dinge tut, in denen ein ‚Außenstehender‘ nur ‚Widersprüchliches‘ erkennt obwohl es aus Sicht des Handelnden einen ‚roten Faden‘ gibt. Wäre solch ein Mensch ‚authentisch‘ … sozusagen mit einer verborgenen Authentizität? Wäre ‚das Authentische‘ dann eher eine subjektive Kategorie, ein ’sich selbst treu bleiben‘ im Laufe unterschiedlichster Situationen? Wenn wir aber annehmen müssen, dass das Bild von einem selbst sehr fehleranfällig, sehr unvollständig ist, dann wäre eine Authentizität, die sich an diesem problematischen Selbstbild orientiert, nicht minder problematisch und fehleranfällig.
Möglicherweise haben wir hier einen ersten ‚Ankerpunkt‘ für die Bedeutung von ‚Authentizität‘. Da wir wissen, dass jede Form von Wissen grundsätzlich unvollständig und fehleranfällig ist, bleibt uns nur die bescheidene Möglichkeit, mit dem Wenigen, was wir haben, ’sorgsam umzugehen‘. Wir können versuchen, das Wenige, was wir tatsächlich meinen zu wissen und vom dem wir glauben, dass es ‚wichtig‘ sein könnte, dieses in jeder Hinsicht so ‚transparent‘ wie möglich zu ‚bewahren‘ und es zu ‚benutzen‘. Da wir nichts anderes haben als dieses ‚Wenige‘ entscheidet Sorgsamkeit, Ehrlichkeit, Transparenz darüber, ob wir mit diesem Wenigen ‚ein Stück mehr‘ erkennen können, ‚wie es ist‘ oder nicht. In diesem Sinne ist unser eigener Umgang mit dem Wenigen, was wir haben die Voraussetzung für nächste Schritte bzw. für die Integration von einzelnen Aspekten zu größeren Zusammenhängen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir einen Menschen, der in diesem grundlegenden Sinne ’sorgsam‘, ‚ehrlich‘, ‚transparent‘ mit sich selbst und anderen umgeht, etwas ‚Authentisches‘ hat, dass er eine ‚Atmosphäre‘ ‚ausstrahlt‘, in der man ‚vertrauen‘ kann, sich ‚entspannen‘ kann usw. Ein authentischer Mensch in diesem Sinne repräsentiert daher einen ‚Raum von Transparenz, Ehrlichkeit, Sorgsamkeit, Verantwortlichkeit‘, von der aus sich im Prinzip alles erreichen lässt, was wichtig ist, allerdings in – meistens – vielen Schritten, längeren Zeiträumen, mit viel Energie, mit viel Arbeit, mit einer ’sich selbst speisenden‘ Motivation und Zufriedenheit, die sich nicht aus ‚Sachen‘ speist, sondern aus einer Haltung, einem Prozess, einem sich daraus ergebenden Zustand.
Ich glaube nicht, dass man in irgendeinem Buch (Wörterbuch, Lexikon,…) dieser Welt im einzelnen nachlesen kann, was ‚authentisch‘ ist. Wer für sich selbst diesen ‚Zustand‘ nicht selber findet, wird niemals verstehen können, was es ist (wie mit allen wichtigen Dingen). Zugleich gibt es keinen harten Grund, warum nicht grundsätzlich jeder Mensch ein ‚authentischer Mensch‘ werden könnte, wenngleich Schmerzen, Folter, Terror, Überlebenskampf und dergleichen starke Faktoren sind, die einen Menschen darin behindern können. Doch gibt es viele Beispiele, wo Menschen selbst unter solchen extremen Umständen ihren authentischen Charakter beibehalten haben. Letztlich gibt es für uns Menschen auch keine wirkliche Alternative zum Authentischsein. Wer in den elementaren Dingen des Lebens Kompromisse mit dem Nicht-Authentischen eingeht, zerstört letztlich seine eigene Lebensgrundlage und damit meistens auch die Lebensgrundlage von anderen Menschen. Wir sind niemals alleine: weder im Empfangen noch im Geben. Die Vorstellung des Alleine-Seins ist ein tragischer Irrtum, der den Keim der Lüge und Unwahrheit von Anbeginn in sich trägt und mehr zur Selbstzerstörung beiträgt als alles andere. Jeder Mensch braucht den anderen Menschen, und zwar so authentisch wie möglich. Leider garantiert dies keinen Erfolgt im Überlebenskampf. Ohne diese Kunst des wechselseitigen Authentischseins kann es aber auch keinen nachhaltigen Erfolg geben, da Authentischsein die Voraussetzung für wahre Erkenntnis ist, diese wiederum ist die Voraussetzung für Theorien (und Technologien), die nachhaltig funktionieren. Große Teile unserer heutigen Lebensweisen und Technologien sind dabei, die Lebensgrundlagen fast aller Arten und damit auch die des Menschen nachhaltig zu zerstören. In diesem Sinne sind sie nicht ‚wahr‘, weil wir, die Urheber und Schöpfer, nicht ausreichend authentisch sind. Wir Verschließen unsere Augen, weil wir uns wechselseitig suggerieren, so schlimm sei es doch nicht, wenn wir es im Detail nicht so genau nehmen, wenn wir uns wechselseitig verletzen und ruinieren. Doch, mit der Wahrheit lässt sich nicht spielen. Sie war schon lange vor unseren modernen Unwahrheiten dar und sie ist unvergleichlich mächtiger. Unwahrheit führt unweigerlich zum Scheitern (dazu braucht man keine ‚Pseudogötter‘ zu beschwören. Die Wahrheit selbst reicht dazu völlig aus).
Eine Übersicht über alle bisherigen Themen findet sich HIER
In meinem Notizbuch sammeln sich immer mehr Themen, über die ich im Blog schreiben möchte.
Aktuell arbeite ich aber an einer Zusammenfassung des Buches von Paul Davies ‚The FIFTH MIRACLE: The Search for the Origin and Meaning of Life, New York:1999, Simon & Schuster‘. Nicht mehr ganz neu ist es dennoch ein sehr bemerkenswertes Buch. Werde – wie so oft – eine Besprechung bei amazon schreiben (meistens dann, wenn mir etwas besonders gut oder besonders schlecht aufgefallen ist); danach werde ich eine größere Reflexion hier im Blog schreiben. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass das Buch von Davies die bisherigen Reflexionen sehr bereichern kann. Andererseits habe ich den Eindruck, dass er gerade an den spannenden Stellen selbst noch ‚herumstochert’… wir werden sehen.
(1) In Computerspielen müssen die Spieler in der Regel Aufgaben lösen, für die sie dann irgendwie ‚belohnt‘ werden (Tierdressur funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip…). Meist gibt es dann verschiedene ‚Level‘ die man aufgrund der spielerischen Leistungen erreichen kann (Punktezahlen, ein vergleichender Rang mit anderen, mehr Handlungsmöglichkeiten, …). Zugleich werden die Aufgaben ’schwieriger‘, umfassender, ‚bedeutsamer‘. Und wenn es kein expliziter ‚Level‘ ist, dann ist es ein ‚quantifizierbarer‘ Zustand (mehr Einwohner, mehr Waffen, mehr Land, ….). Für die Spieler ist ihre Spielwelt ‚real‘, sind die durch das Spielen ausgelösten Erlebnisse ‚real‘. Wenn ich über die Kopfhörer (oder die HiFi-Anlage) die Geräusche der Spielwelt höre, die Gespräche anderer Spielteilnehmer, ich in 3D eine Situation wahrnehme mit nahezu realistisch anmutenden Pflanzen, Gegenständen, Körpern usw. bei der ich selbst die Perspektive steuern und Aktionen einfließen lassen kann, dann erzeugt dies schon eine sehr realistisch wirkende Situation, der man sich nur mit Mühe entziehen kann (obgleich das Gehirn, wenn es soll/ will, den Unterschied noch erkennen kann).
SIND WIR EINE SIMULATION?
(2) Nicht erst seitdem es Computerspiele gibt haben sich Menschen darüber Gedanken gemacht, ob all das, was wir erleben, ‚wirklich real‘ sei, ob wir nicht einer großen ‚Täuschung‘ unterliegen (z.B. Platons Höhlengleichnis, Descartes Reflexionen über einen unbezweifelbaren Wahrheitsgrund), oder ob wir nicht Teil einer gigantischen ‚Simulation‘ seien (möglicherweise Leibnizens Spekulationen über die Möglichkeit der Welt in seiner später so genannten Schrift ‚Monadologie‘, verschiedene — mittlerweile sehr viele — Science-Fiction Bücher und Filme (z.B. Simulacron 2, 13th Floor, Matrix, um nur einige zu nennen). Ein kürzlicher, vergleichsweise systematischer Versuch unter Berücksichtigung der modernen Physik findet sich bei Witworth (2008). Dazu mein Kommentar an der angegebenen URL).
(3) Eines der methodischen Problemen mit solchen Überlegungen ist, dass das Wort ‚Simulation‘ voraussetzt, dass man zwischen mindestens zwei ‚Bereichen‘ unterscheiden kann, dem ‚Simulierten Bereich‘ – nennen wir ihn den ‚S-Raum‘ [SR] – und der ‚hervorbringenden Funktion‘ – nennen wir dies die ‚S-Funktion‘ [f_s] –. Sofern wir als Menschen solche Simulationen organisieren befinden wir uns ‚außerhalb‘ dieser Simulationen, d.h. wir sind im ‚organisierenden Raum‘ [OR], innerhalb dessen der simulierte Raum SR , die simulationserzeugende Funktion f_s, und wir als Simulationsarrangeure [SA] als Bestandteile vorkommen, also irgendwie OR(x) gdw x = <SA, SR, f_s,…>. Auf jeden Fall sind wir nicht selbst direkt Bestandteile unsere eigenen Simulationsräume, höchstens mittels sogenannter ‚Avatare‘ (quasi ‚Platzhalter‘). Dies sind simulierte Objekte im Simulationsraum, die über vereinbarte Interaktionen zwischen SR und SA Eigenschaften des Simulationsarrangeurs in der simulierten Welt repräsentieren können und umgekehrt.
(4) Wenn jetzt also spekuliert wird, ob wir nicht selbst Teil einer Simulation seien, d.h. dass unsere ganze Welt eine ’simulierte Welt‘ sei (ein Simulationsraum: Welt = SR_Welt), dann macht diese Rede nur Sinn, wenn wir annehmen, dass es einen ‚übergeordneten‘ organisierenden Raum OR_Welt gibt, innerhalb dessen wir als simulierter Raum vorkommen, dann muss es auch jenseits unserer simulierten Welt SR_Welt eine erzeugenden Simulationsfunktion f_s_Welt geben, also OR_Welt(x) gdw x = <SA_Welt, SR_Welt, f_s_Welt,…>. Weder die Simulationsfunktion f_s_Welt noch die zugehörigen Simulations-Arrangeure und ihre möglichen organisierenden Räume sind uns direkt zugänglich.
(5) Die alten Philosophen nannten Spekulationen über die mögliche Wirklichkeit ‚hinter‘ der erfahrbaren Welt hinaus ‚Meta-Physik‘. Dies kann ein sehr seriöses Geschäft sein; bei unsachgemäßer Handhabung wird es aber zu einer ‚Spekulationsblase‘ die mehr verwirrt, als sie klarstellt‘. Und in ’naiven‘ Formen der Spekulationen über ‚das, was die Welt im Inneren zusammenhält‘ finden wir dann die bekannten Formen von ‚Aberglauben‘, ‚Magie‘, ‚Mythen‘, ‚Märchen‘, ‚Propaganda‘, ‚Ideologien‘, usw. Natürlich enthalten alle diese ‚Grenzformen‘ des Wissens meist einen kleinen Teil an ’scheinbarer‘ Wahrheit als ‚Einstiegsdroge‘ in das dann einsetzende größere Verwirrspiel. Aber entscheidend ist der Gesamtzusammenhang, der durch diese Verwirrspiele in der Regel die Bruchstellen mit der Wahrheit verdeckt.
(6) Dies scheint mir auch im Fall des Redens über die Welt als ‚Simulation‘ der Fall zu sein. Unser ‚Meta-Wissen‘ über mögliche Zusammenhänge ‚hinter‘ der erfahrbaren Welt beziehen wir aus einem Standpunkt ‚in‘ dieser Welt (laut Simulationshypothese sind wir ‚in‘ dem simulierten Raum SR_Welt). Jede Form von ‚Spekulation‘ über die möglichen Gesetzmäßigkeiten der erfahrbaren Welt sind –aber auch in einer simulierten Welt — letztlich ‚Netzwerke von Begriffen‘ (natürliche Sprachen, Diagramme, mathematische Formeln,…), die im bestmöglichen Fall als ‚empirische Theorien‘ organisiert sind, deren Erfahrungsbezug über nachkontrollierbare Experimente verlaufen und deren ‚Zusammenhang‘ über eine nachvollziehbare ‚Logik‘ organisiert ist (über das dazu notwendige ‚Know-How‘ verfügt die Menschheit erst seit ca. Beginn des 20.Jahrhunderts (mit ersten ‚Spuren‘ eines solchen KnowHows – wie so oft – schon zu früheren Zeiten), wobei es selbst in der offiziellen Wissenschaft bei den meisten Wissenschaftlern sicher noch kein wirkliches explizit abrufbares Wissen darstellt). Fast alle ‚Nicht-Wissenschaftler‘ wissen nichts von alledem (allerdings: selbst Leute mit einem Doktortitel können faktisch – trotz aller akademischen Regeln – noch in einem magisch-mythischen Denken in all jenen Bereichen verhaftet sein, die sie nicht direkt untersucht haben; nicht auszuschließen ist sogar, dass sie selbst in ihrem eigenen Untersuchungsbereich Ansätze zu Magie und Mythos huldigen, da es akademische Bereiche gibt, die ohne explizite Theorien auskommen…!!!).
(7) Wenn also – selbst in einer simulierten Welt – die Gesamtheit der Wissenschaften zu einem bestimmten Zeitpunkt – z.B. im Jahr 2008, als der Artikel von Witworth publiziert wurde — eine empirische Theorie T_2008 hatte, in der keine erzeugende Funktion f_s_Welt_2008 vorkommt, dann kann man die Einführung einer solchen Funktion seitens Witworth in die offizielle Theorie zunächst einmal als ‚Spekulation‘ bezeichnen. Spekulationen gehören bis zu einem gewissen Grade zum Alltagsgeschäft der Wissenschaft. Man spielt mal verschiedene ‚Varianten‘ der Begriffsnetze durch um zu prüfen, ob man damit die bekannten Daten eventuell ‚besser‘ erklären kann (wobei es nicht einfach ist, zu definieren, was ‚besser‘ in jedem Fall bedeutet (hier zitiert man gerne Ockhams Rasiermesser und ähnliche ‚vertraute Sprüche’…). Grundsätzlich ist die Hypothese von Witworth – falls sie eine ’seriöse‘ Variante der allgemeinen Welttheorie ist, und das nehmen wir bis zum Beweis des Gegenteils hier an – zunächst einmal nichts anderes als eine andere ‚formale Variante‘ eines Begriffsnetzes, also neben der geltenden Welttheorie T_2008 (die es so natürlich nirgends explizit gibt) nun eben T_2008_Witworth. Damit hat sie die ‚gleiche Aussagekraft‘ (die gleiche ‚Bedeutung‘, den gleichen ‚Beschreibungsumfang‘, den gleichen ‚Wahrheitswert‘,…) wie die offizielle Variante T_2008. Nur die benutzten Worte sind ‚verschieden‘ (so sprechen z.B. die einen von ‚Grad Celsius‘, die anderen von ‚Fahrenheit‘, die einen von ‚miles per hour‘, die anderen von ‚Kilometer pro Stunde‘. Andere ‚Worte‘ erschaffen nicht notwendigerweise einen neuen ‚Inhalt‘. In der Theorie der Informatik gibt es z.B. neben dem Konzept der Berechenbarkeit repräsentiert im Konzept der Turingmaschine sehr viele andere Konzepte (formale Sprachen, funktionsbasierte Kalküle,…) die völlig verschiedene Begriffe und Regeln benutzen, die aber alle – wie bewiesen wurde – den ‚gleichen‘ Begriff der Berechenbarkeit repräsentieren. Wenn also irgendwer plötzlich anfängt, von der erfahrbaren Welt als von einer ‚Simulation‘ zu sprechen, dann bedeutet dies bezogen auf die erfahrbare Welt nicht notwendigerweise irgendetwas Neues. Der abweichende Wortgebrauch fällt zu Beginn noch auf, dann aber –wie heute –, wenn immer mehr das Wort ‚Simulation‘ benutzen, fällt nicht einmal mehr das auf. Ich sehe nicht, dass das Reden von Simulation im Falle der Welterklärung irgendeine nennenswerte brauchbare neue Erkenntnis geliefert hat oder liefert.
WIR SIND MONADEN
(8) Eventuell ist die Benutzung des Begriffs ‚Monade‘ hier nicht ganz glücklich, da das Konzept der Monade bei Leibniz (ursprünglich 1714 französisch, dann 1720 deutsch, dann 1721 lateinisch), ein sehr komplexes Begriffsnetz voraussetzt, das mit den populären Verkürzungen (von denen ich hier Gebrauch mache) nur wenig gemein hat. Immerhin hat er Formulierungen, die in Richtung der Vereinfachungen deutbar sind (siehe Beispiele: (Nr.51) … eine geschaffene Monade keinen physischen Einfluss auf das Innere der anderen haben kann… (Nr.56) …..dass jede einfache Substanz..fortwährender lebendiger Spiegel der Welt…(Nr.57) ..dass es wegen der unendlichen Menge der einfachen Substanzen gleichsam ebenso viele verschiedene Welten gibt, die gleichwohl nichts anderes sind als die perspektivischen Ansichten des einzigen Universums, je nach den verschiedenen Gesichtspunkten jeder einzelnen Monade….(Nr.60) … es ist also nicht der Gegenstand, sondern die Abstufung der Erkenntnis des Gegenstandes, worin die Monaden beschränkt sind…(Nr.61) … Aber eine Seele kann in sich selbst nur das deutlich Vorgestellte lesen; sie kann nicht auf einen Schlag auseinanderlegen, was in ihr zusammengefaltet ist, denn diese Fältelung geht ins Unendliche…(alles nach der Übersetzung von Glockner))(Vielleicht schaffe ich mal demnächst eine ausführliche Diskussion des ganzen Textes der sogenannten Monadologie)..
(9) Die vereinfachende Grundidee ist die einer Monade als eines Systems, das zwar mit der umgebenden Wirklichkeit in einem gewissen Austausch steht, aber bzgl. jener internen Zustände, die seine Geistigkeit charakterisieren, gibt es keinen direkten Austausch, sondern nur einen hochgradig ‚vermittelten‘.
(10) Dies entspricht dem heutigen Erkenntnisstand von dem Gehirn im Körper, das nur sehr begrenzt Informationen von der ‚Welt jenseits des Körpers‘ empfangen kann und das auf seine Weise immer komplexere ‚Modelle‘ einer ‚möglichen Außenwelt‘ entwirft, die wir als ‚Bewusstsein‘ eines solchen Gehirns mit Körper so benutzen, als ob die Modelle die Welt selbst seien. D.h. schon an der Wurzel unserer Erkenntnis basiert unser Weltzugang auf einer ‚Simulation einer möglichen Welt‘, die allerdings so gut ist, dass wir damit nicht nur viele praktische Aufgaben befriedigend lösen können, sondern darüber hinaus fällt es uns Menschen im Alltagsbetrieb fast nie auf, dass ‚unsere‘ Welt gar nicht die Welt ist, innerhalb deren diese simulierten Welten auftreten (natürlich kann man den Unterschied zwischen der simulierten Welt genannt ‚Bewusstsein‘ und ‚Außenwelt‘ feststellen, aber nur bei expliziter Reflexion und sehr oft nur durch Einbeziehung expliziter experimenteller Arrangements).
MONADEN ALS OFFENE SYSTEME
(11) Entscheidend scheint aber zu sein, dass unsere Monadenstruktur eben nicht vollständig ist; wir sind keine völlig abgeschlossenen Systeme, weder auf der körperlichen Ebene noch auf der geistigen.
(12) Wie wir heute wissen sind unsere körperlichen Strukturen Teil eines evolutionären Geschehens, innerhalb dessen sich alle Körper (‚Phänotypen‘ von zugrunde liegenden ‚Genotypen‘, aus denen die Phänotypen mittels Wachstum hervorgehen) in direkter Wechselwirkung mit der umgebenden ‚Welt‘ so herausgebildet haben, dass die ‚äußeren‘ Bedingungen nahezu vollständig alles bestimmt haben, was sich dann faktisch ‚entwickelt‘ hat. Nichts an den Phänotypen des biologischen Lebens (Bakterien, Pflanzen, Tiere, homo sapiens sapiens,….) ist ‚einfach so‘ entstanden; alles, radikal alles ist eine ‚Antwort‘ auf die Vielzahl der ‚Randbedingungen‘, die die umgebende Welt repräsentiert (wäre das Leben auf einem anderen Planeten, in einem anderen Sonnensystem entstanden (was wir grundsätzlich nicht ausschließen können, dass dies auch geschehen ist), dann würde die evolutionäre Entwicklung unausweichlich andere konkrete Strukturen favorisiert haben als jene, die wir kennen. Allerdings nicht beliebig andere, sondern nur ’solche andere‘, die die ‚Anreicherung von freier Energie in sich selbst organisierenden Strukturen‘ ermöglichen.
(13) Von daher sind die inneren Zustände der empirischen Monaden nicht völlig unbestimmt, sondern gebunden an Phänotypen, die hochgradige Ähnlichkeiten aufweisen (Leibniz spricht – wenngleich auch mit einer etwas anderen Konnotation – von der sogenannten ‚prästabilisierten Harmonie‘, ein Gedanke, den die moderne Physik und Biologie letztlich vollständig bestätigen) und die auch wechselseitig über kontinuierliche Kausalketten miteinander verknüpft sind. Es gibt innerhalb des Universums keinen radikal ‚isolierten‘ Ort, eher einen beständigen ‚Austausch‘).
(14) Zusätzlich benutzen die Lebewesen auf jeder Komplexitätsebene die materiellen Interaktionsmechanismen, um mittels dieser ‚direkten‘ Interaktionsereignisse ‚indirekte‘ (kodierte) Ereignisse zu ‚übertragen‘ und dann zusätzlich zu ‚interpretieren‘, ‚deuten‘, ‚verstehen‘, indem materielle Ereignisse zu ‚Zeichen‘ werden, mittels deren sich ‚Bedeutungen‘ kodieren lassen. Aufgrund der hochgradigen Ähnlichkeiten der materiellen, körperlichen Strukturen lassen sich solche semiotischen Kodierungsprozesse bis zu einem gewissen Grade erfolgreich durchführen. Sofern solche semiotischen Kodierungen gelingen lassen sich ‚abstrakte‘ (und ‚virtuelle‘!) Modelle entwickeln, die ‚mögliche Weltzustände‘ repräsentieren, die zur Orientierung für komplexe Handlungsabläufe werden können, die ohne diese semiotische Kodierungen unmöglich wären. Trotz der Abgeschlossenheit der ‚inneren‘ Zustände einer Monade von der Außenwelt ist also ein kontinuierlicher ‚Strom‘ von semiotischen Ereignissen möglich, der zu einem daran ‚gekoppelten‘ kontinuierlichen ‚Verarbeitungsprozess‘ ‚im Innern‘ einer Monade führen kann. In diesem Sinne sind wir als ‚Monaden‘ ‚offene Systeme‘, die sich bis zu einem gewissen Grad mit den Zuständen anderer Monaden ‚koordinieren‘ können.
STUFEN DER INTERAKTION
(15) Wie die Kulturgeschichte der Menschheit als Teil der übergreifenden biologischen Evolution (diese wiederum als Teil der übergreifenden kosmischen Entwicklung!) zeigt, haben sowohl die materiellen Interaktionsmöglichkeiten wie auch die semiotischen sowohl an Quantität wie auch an Komplexität zugenommen. Im Falle des homo sapiens sapiens kann man geradezu von einer Explosion sprechen, die sich in unvorstellbar kurzer Zeit entwickelt hat und die zugleich eine Beschleunigung andeutet, die – gemessen an der geringen Veränderungsgeschwindigkeit der körperlichen Trägerstrukturen — auf den ersten Blick bedrohlich wirken können (verglichen mit den hier stattfinden Problemkomplexen wirken die Angstreflexe an den Börsen angesichts von Kursverfällen geradezu lächerlich, was nicht heißt, dass diese Kursverläufe konkrete Existenzen im aktuellen gesellschaftlichen Gefüge ‚finanziell‘ zerstören können…).
(16) Im Laufe von mindestens 3.5 Mrd Jahren hat das Leben auf der Erde viele sehr dramatische Veränderungen erlebt (beständige Klimawechsel mit großen Eiszeiten, gewaltige Vulkanausbrüche, Einsturz von Kometen mit der Vernichtung von bis zu 90% aller Arten, usw.), aber der homo sapiens sapiens stellt eine so ‚hochentwickelte‘ Lebensform dar, dass er viele solcher Änderungen, wie sie in der Vergangenheit schon stattgefunden haben, heute eher gar nicht überleben würde. Dazu kommen vom homo sapiens sapiens selbst verursachte Veränderungen (z.B. durch erhöhten Verbrauch endlicher Ressourcen für Energie, Ernährung, Trinkwasser, …), die absehen lassen, wann die endlichen Kreislaufsysteme, die bislang über natürliche Rückkoppelungsprozesse eine gewisse Regulierung erfahren hatten, ins Ungleichgewicht kommen.
(17) Andererseits hat man den Eindruck, dass die gesamte Entwicklung – von der der homo sapiens sapiens ja nicht isoliert gesehen werden darf – genau auf den Punkt zuläuft, wo nach der kosmologischen, dann der chemischen und schließlich der biologischen Evolution nun eine Art ‚kognitive‘ (man könnte auch ‚geistige‘ sagen) Evolution stattfinden muss, in der die bislang vorwiegend randomisiert-kombinatorischen Suchprozesse im Umfeld des Planeten Erde zusätzlich durch technologisch gestützte modellbasierte Suchprozesse ergänzt werden müssen, um den nächsten ‚Entwicklungsschritt‘ (den nächsten ‚Level‘) zu schaffen. Dieser muss mindestens so ‚kontextsensitiv‘ sein wie die vorausgehenden Entwicklungsprozesse, da die komplexen Prozesse der umgebenden Natur bislang noch in keiner Weise vom homo sapiens sapiens alleine gesteuert werden können. Sicher wird – sofern der homo sapiens sapiens es nicht ‚vermasselt‘ — der Punkt kommen, wo der homo sapiens sapiens nicht nur vor der Notwendigkeit steht, seine Koexistenz mit den vorhanden Systemen dramatisch zu verbessern, er wird es auch können. Alles ist in gewisser Weise daraufhin ‚angelegt‘ (zumindest deutet die gesamte bisherige Entwicklung in genau diese Richtung).
KOMPLEXITÄTSPROBLEME UND FALSCHE ETHIK
(18) Momentan erleben wir – erstmalig für das Leben auf dieser Erde – dass die Handlungsmöglichkeiten des Lebens in Gestalt des homo sapiens sapiens eine immer größere Veränderungsgeschwindigkeit erzeugen, dass aber die Basis dieser Veränderungen, die körperliche Struktur (der Phänotyp) des homo sapiens sapiens sich nicht mit gleicher Geschwindigkeit mitverändert. Zwar wissen wir alle, dass der heutige Phänotyp des Menschen ein ‚Zwischenprodukt‘ ist, etwas ‚Gewordenes‘, auf keinen Fall etwas ‚Endgültiges‘, und in seiner konkreten Ausgestaltung auch nur gerechtfertigt durch die konkreten Lebensnotwendigtkeiten, die vor ca. 200.000 bis einige Millionen Jahre vor unserer Gegenwart (BP := Before Present) bestanden hatten, dennoch leisten wir uns den Luxus einer sogenannten Ethik, nach der wir das menschliche Genom nicht verändern dürfen. Wenn man weiß, dass wir nur deshalb heute leben, weil dieses Genom in den vorausgehenden 3.5 (oder mehr) Milliarden Jahren beständig und kontinuierlich verändert worden ist, dann wirkt es geradezu makaber, dass unter dem Vorwand, Leben zu erhalten, genau das verboten wird, was überhaupt unser Leben ermöglicht hat. Im übrigen ist kein einzelner Mensch ‚Herr‘ über das biologische Leben. Klassisch würde man dies als ‚Hybris‘ bezeichnen. Wenn wir dem Leben ‚dienen‘ wollen dann sicher nur dort und darin, wo wir die Mechanismen, die Leben ‚möglich‘ machen, immer weiter identifizieren und weiter unterstützen. Auf jeden Fall müssen wir das psychische Inventar des homo sapiens sapiens dramatisch verbessern (wobei wir niemanden haben, den wir fragen können! Wir sitzen alle im gleichen Boot des Suchens….).
OPEN END
(19) Ich höre an dieser Stelle mal auf. Natürlich wurde – wie immer – vieles Wichtiges nicht gesagt. Vieles ist zudem kryptisch, verlangt ausführlichere Erklärungen. Aber das genau ist Teil unseres Problems: wir müssen sehr große, komplexe Probleme mit Hilfe eines – trotz allem Fantastischen – sehr endlichen Gehirn mit sehr primitiven Kommunikationsmöglichkeiten in vergleichbar kurzer Zeit lösen. Dazu kommt ein Arsenal von Emotionen und Gefühlen, die für diese Aufgabe wenig geeignet sind (siehe vorausgehende Blog-Einträge). Nichtsdestotrotz, je mehr ich über diese Dinge nachdenke, um so mehr verfestigt sich in mir das Gefühl, dass es in allem viel, viel mehr ‚Ordnung‘ gibt als ‚Chaos‘. Denn, in welcher ‚dunklen‘ Ecke man auch immer anfängt herum zu gucken, über kurz oder lang findet man ‚Spuren‘ von Ordnung. Dies hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir selbst als homo sapiens sapiens durch und durch ein hochintegriertes Ordnungssystem darstellen, aus dem wir nicht aussteigen können (weswegen auch der französische Strukturalismus als Antistrukturalismus bestenfalls amüsant war; was soll schon herauskommen, wenn man sein eigenes Gehirn zu leugnen versucht…). Aber genau ist dann auch wichtig: sollte um uns herum tatsächlich nur Chaos herrschen, dann könnte sich auch in keiner Weise irgendeine Ordnungsstruktur daraus entwickeln. Die Tatsache, dass dies aber der Fall war, zeigt, dass es ein sehr hohes Mass an vorgegebener Ordnung gegeben haben muss (und gibt). Zudem bestätigen alle bekannten wissenschaftlichen Ergebnisse genau dieses. Methodisch ist es natürlich allemal besser, man arbeitet mit der ‚Null-Hpothese‘ (in diesem Fall: nur Chaos). Wenn man dann allerdings immer nur und immer mehr ‚Ordnung‘ findet, sollte man sich gelegentlich auch mal den ‚Luxus‘ erlauben, über das Gefundene konstruktiv nachzudenken. Vielleicht scheuen die meisten davor zurück, weil dies z.B. bedeuten würde, wir müssten uns einer neuen Ethik stellen, die vieles von den liebgewordenen Normen in Frage stellt. Noch schlimmer: dem homo sapiens sapiens käme eine Verantwortung zu, nicht für alles und jedes, aber doch für die Lebenden eine ‚totale’…für jeden…wer mag das schon…
Drei Jahre später gibt es einen neuen Eintrag, in dem die Worte ‚Computerspiel‘ und ‚Level‘ vorkommen, aber dort konkreter in Richtung von Stufen des phlosophischen Bewusstseins.
Whitworth, B., The physical world as a virtual reality, CDMTCS Research Report, CDMTCS-316, 2007, http://arxiv.org/abs/0801.0337 1-17, rev. 2008
G. W. Leibniz: Monadologie (Deutsch). Übersetzt , eingeleitet und erläutert von Helmut Glockner Stuttgart: Reclam, 1954
G. W. Leibniz: Monadologie (Französisch/Deutsch). Übersetzt und herausgegeben von Hartmut Hecht, Stuttgart: Reclam, 1998. ISBN 3-15-007853-9 (eine online Version der ersten deutschen Übersetzung von Köhler 1720 findet sich hier: http://gutenberg.spiegel.de/buch/2790/1)
Eine Übersicht über alle bisherigen Themen von Autor cagent findet sich hier.
(1) In den letzten Jahren kamen unterschiedliche Aspekte an unserem menschlichen Dasein zum Vorschein, zur Sprache, notgedrungen sehr selektiv, fragmentarisch und damit mit Vorsicht zu genießen. Trotz aller Fragmentarität werden dennoch schwache Konturen eines größeren Ganzen sichtbar, das völlig neue Fragen aufwirft, Fragen die weit über das hinausgehen, die man hat, wenn man in einer konkreten Aufgabe befangen ist und deren Aufgabe verantwortlich zum Ziel führen soll.
DIE IM RAD DREHEN
(2) Für diejenigen, die in dieser Welt Arbeit haben, stellt sich die Arbeit meist als ein Anforderungsrahmen dar, der durch andere Menschen bestimmt wird, durch sachliche Randbedingungen, durch zeitliche Vorgaben, durch Anstrengungen aller Arten, körperlich und psychisch, geistig und emotional, dass in der Regel wenig bis gar keine Zeit bleibt, sich jenseits dieser Arbeit körperlich und geistig zu betätigen. Meist ist es auch nicht so, dass man in der Arbeit weiter qualifiziert wird, so dass man sich weiter entwickeln kann, dass man später mal etwas anderes machen könnte, dass man Perspektiven hätte. Man verbraucht sich – seine Kraft, Energie, Ideen, Fähigkeiten – für einen Ablauf, der in sich ein ‚Verfallsdatum‘ hat, das immer schneller wird, auf das man aber selbst meist keinen direkten Einfluss hat. Die Arbeitsverträge spiegeln dies dadurch wieder, dass sie eher befristet sind mit allerlei Klauseln aufgeweicht, die keine ’sichere‘ Zukunft vorgaukeln können. Gerade junge Menschen werden stark ausgenutzt, ihr Idealismus, ihre Angst, ihre Unerfahrenheit; man lässt sie bis zur Erschöpfung arbeiten, de-sozialisiert sie, und wenn sie – was absehbar ist – körperlich-psychisch am Ende sind, zusammenbrechen, fehlt ihnen immer mehr das soziale Netz, das sie auffängt und wieder aufbaut. Indem man sich aus Angst und Unsicherheit immer mehr an die konkreten Abläufe klammert nimmt die konkrete und psychische Abhängigkeit zu, potenzieren sich Ängste, gerät die Psyche verstärkt unter Druck, leidet der Körper bis er versagt, sucht man zwangsweise nach Ersatz-Sozialitäten, die Momente von sozialer Nähe vorgaukeln, die aber nicht das sind, für das man sie gerne halten würde. Man belügt sich selbst, weil man keine Alternativen sieht…
DIE AM RAD DREHEN
(3) ‚Chefs‘ sind die, von denen andere ‚abhängen‘ mit Richtungsentscheidungen, Ressourcenzuteilungen, konkreten Erlaubnissen und mehr. Chefs sind aber auch ‚im‘ Rad, haben selbst wieder ‚Chefs‘ über sich, stehen als einzelne meist auch unter Druck, Erwartungsdruck, Leistungsdruck, von ‚oben‘ wie auch von ‚unten‘. Sie sollen ‚Erfolge‘ liefern durch Prozesse und mit Menschen, die sie nur indirekt beeinflussen können, in einem Konkurrenzumfeld, auf der Basis von Informationen, die unvollständig oder falsch sein können, mit Ressourcen an Geld, Zeit usw. die meist ‚zu wenig‘ sind, durch Kooperation mit anderen Chefs, die oft Partner und Konkurrenten zugleich sind, durch Kooperation mit ‚Kunden‘, die ihre ‚Stärke‘ ausspielen, durch Zulieferer, durch Gesetze, die schwer durchschaubar sein können, die unsicher sein können, wenn das Justizsystem überlastet oder korrupt ist, durch ein Steuersystem, das immer unübersichtlicher und unplanbarer wird, durch wirtschaftliche Rahmendaten, die schwer kalkulierbar sind, durch Infrastrukturen, die mangelhaft oder überlastet sind, durch kulturelle Muster, die ungeschriebene Gesetze sind, die in den Köpfen und Herzen der Menschen dennoch stark wirken können, durch lokale Besonderheiten, auf die man eingehen muss, durch die eigene Familie, die auch Erwartungen hat, einen Partner/in, die man nur noch gelegentlich sieht, durch Eltern, die krank werden können, durch einen Managervertrag, der nur 12 Monate läuft und am kurzfristigen Erfolg orientiert ist, durch Zeitkomponenten bei Technologieentwicklung/ -einsatz, die er nicht selbst beeinflussen kann, durch ein paar äußere Statussymbole, die den Mangel an echten Freunden nicht aufwiegen, den Mangel an ‚Zeit für sich‘, der auf Dauer absehbar Wissen und Emotionen aushöhlt, Spannungen im Innern aufbaut, die alles zerreißen können,…ein kaputter oder entlassener Mitarbeiter kann meist auf ‚Mitleid‘ hoffen, ein kaputter oder entlassener Chef nicht…
DIE GETRIEBENEN
(4) Es gibt viele Menschen, deren Leben überwiegend durch ‚Emotionen‘ bestimmt werden: eine innere Aggression treibt sie an; Hass taucht alles in ein bestimmtes Licht; abgründige Trauer lähmt sie, durchtränkt den Körper, macht krank; leidenschaftliche Gier lässt sie alle Vernunft vergessen; Machthunger lässt sie nicht zur Ruhe kommen; Gier auf Geld treibt sie von Stunde zu Stunde und korrumpiert sie für das Leben; permanente Ängste erfüllen das Innere, werden nach außen projiziert, lassen keine Ruhe aufkommen, quälen; Sucht hält sie in ihren Klauen, macht sie scheinbar ‚willenlos‘, zerstört nach und nach alle Strukturen; Fanatismus – religiös, ethnisch, politisch, … — zeichnet die Welt in grellen Farben, reduziert die Handlungsalternativen, generiert klare Feinde, verhindert weiteres Denken; Eitelkeit ist ein ‚inneres Gefängnis‘, man hat sich an bestimmte Bilder von sich selbst ‚verkauft‘ und ist dann ein Gefangener von diesen Bilder, man gestattet sich kein Abweichen, kann sich keine anderen Bilder vorstellen, ein Käfig ohne sichtbare Gitter;….alle diese Getriebene zerstören nicht nur sich selbst sondern sie zerstören unweigerlich viele andere Menschen mit, verhindern Sozialität, verhindern wahre Erkenntnis, verbreiten eine vergiftete Atmosphäre,….
DIE AM RANDE
(5) Wahr ist auch, dass viele Menschen (30%, 40% … ?) nicht Teil des ‚organisierten Spiels‘ sind, sie haben keine wirkliche Arbeit, sie haben zu wenig Ressourcen, sie haben zu wenig Bildung, sie haben keine Perspektive, sie sind ‚zu jung‘ oder ‚zu alt‘ oder ‚zu krank‘ oder ‚zu wenig ausgebildet‘ oder sie leben in einer Region dieser Welt, in der vieles von dem fehlt, was ein Mensch ‚zum Leben braucht’…sie vertrauen auf Führer, die keine sind oder einfach zu ’schwach‘ sind, sie vertrauen auf Politiker, die es nicht ernst meinen, sie sind Opfer von Konzernen, die mit ihrem Geld staatliche Institutionen kaufen und ganz Landstriche enteignen (legal illegal), sie sind Mitglieder eines kulturellen Musters, das gegenüber anderen konkurrierenden Mustern keine wirtschaftlich-militärische Macht entgegen setzen können, die nach Werten leben, die andere so nicht kennen oder ablehnen,…..
DIE GERADE STÜRZEN
(6) Egal wo ein Mensch sich befindet, er kann in jedem Moment stürzen, abstürzen, sterben. Der junge Verlobte bricht bewusstlos zusammen in einer Tiefgarage, weil ein Wirbel auf seine Nerven drückt, irgendwann findet ihn jemand und ein Krankenwagen bringt ihn in eine Klinik, in der keine Ärzte da sind, die ihn versorgen können, irgendwann sind seine Nerven so beschädigt, dass er vom Bauch ab vollständig gelähmt ist; Kinder werden mit Herzfehlern geboren, die beständig Operationen verlangen; eine junge Frau sitzt in einem Auto, das von einem jungen Mann gegen einen Baum gesteuert wird und kann ab dann nur noch einen Finger bewegen; eine junge schwangere Frau bekommt auf der Toilette eine Lungenembolie: Mutter und Kind tot. Du fährst bei Sonnenschein im Auto und ein übermütiger junger Mann überholt im Überholverbot: rechts ein Graben, links Gegenverkehr, vor Dir das andere Auto, Überleben ja, aber verkrüppelt bis ans Lebensende; Du willst gerade die Schule beenden, als ein schnell wachsender bösartiger Tumor in deinem Gehirn entdeckt wird; schneller Tod. Du bist zur falschen Zeit am falschen Ort: aggressive junge Männer ohne klares Ziel prügeln dich tot; eine Regierung folgt einer merkwürdigen Ideologie und schickt zehntausende junger Männer und Frauen in einen sinnlosen Krieg, der zwangsläufig tausende Tote Frauen, Männer und Kinder bedeutet, nur weil keiner in der Öffentlichkeit klare Verantwortung für irgend etwas übernehmen will (aber gewisse Firmen verdienen damit gutes Geld und schüren u.U. Mit die Stimmung, die man braucht, um Krieg zu führen); ….
DIE ‚BESCHENKTEN‘
(7) Es gibt einige Menschen in dieser Welt, die ‚bekommen‘ scheinbar alles geschenkt, weil ihre Eltern bzw. Vorfahren in der Vergangenheit Privilegien und Geld anhäufen konnten (in vielen Fällen mit nicht ganz feinen Methoden, wie die Geschichte uns lehrt). Sie haben die gleichen Emotionen, die gleiche Gier, die gleichen Ängste, die gleichen Grenzen wie alle anderen Menschen auch. Auch sie können von jetzt auf gleich sterben, krank werden, auch sie haben das Problem der ‚wahren‘ FreundeInnen, von Sozialität, von Wahrheit und Sinn,… materiell können sie sich zwar alles leisten, aber welche Emotionen haben sie zu Verfügung, sich zu motivieren? Welche Erfahrungen haben sie, die sie leiten könnten? Welches Wissen haben sie, das sie in eine bestimmte Richtung führen würde? Welche Menschen kennen sie, von denen sie lernen können? Sie beeinflussen durch ihren materiellen Besitz und der daraus resultierenden Gestaltungsmacht sehr stark die restlichen 90%, aber wo gibt es die ’natürliche‘ Beziehung zu diesen 90%, die ’natürliche‘ Kommunikation, die gemeinsam geteilten Ziele? Normalerweise herrscht soziale Abgrenzung, bildet man ‚Ghettos‘ der Reichen, meidet man ‚die anderen’….
DIE IN EKSTASE
(8) Inmitten all dieser Ungereimtheiten, Ängsten, Anstrengungen, Verzweiflungen, Gier, Krankheiten, usw. gibt es Menschen, die ‚anders‘ sind, die ‚auffallen‘ (zumindest im Kreise der Menschen in ihrer Umgebung). Es gibt sie überall, in allen Ländern, in allen Kulturen, in allen Schichten, Menschen, die trotz all der Unwägbarkeiten, Grenzen, Krankheiten, Grausamkeiten usw. eine Ruhe haben, eine Gelassenheit, eine Freude, eine Hoffnung, eine Klarheit, eine Einsicht, eine Einfühlung usw. die keinen Grund in den äußeren Umständen hat. Es ist ein ‚Lächeln‘ der ‚Seele‘ von dem sie selbst wissen, dass es ein ‚Geschenk‘ ist. Es gibt diese Menschen, in denen die Dinge dieser Welt sehr ‚transparent‘ sind, ‚durchlöchert‘, ‚durchschaut‘ von einem ‚Grundgefühl‘ her, das nicht sie selbst erzeugen, sondern das auf sie ‚zukommt‘, sie ‚durchdringt‘, sie ‚begleitet‘, angesichts dessen die ’normalen‘ Dinge eben als ’normal‘ erscheinen und nicht ‚übermächtig‘ wie in einem von ‚Gier‘ und ‚Machthunger‘ und von ‚Ängsten‘ besetztem Menschen, der letztlich ‚Sklave‘ seiner Gier ist, ‚Getriebener‘ seiner Ängste, usw. In besonderen Momenten kann dieses Grundgefühl einen ‚ekstatischen‘ Charakter haben, doch ist dieses hervortretend ‚Ekstatische‘ nicht das Wesentliche und eher sogar störend; das Entscheidende ist die ‚Nähe und Gegenwart des ganz Anderen‘, durch die sich das eigene Dasein ‚aufhellt‘, ‚aufwärmt‘, ‚reinigt‘, ‚klärt‘ usw. Aber natürlich nicht ‚automatisch‘, sondern nur durch Mitwirkung, durch persönliches Engagement im ‚Einklang‘ mit dieser anderen ‚Gegenwart’…..
DIE MIT ALLEM VERBUNDENEN
(9) Die Geschichte lehrt uns, dass Menschen sehr leicht dazu tendieren etwas vermeintlich ‚Besonderes‘ schnell ‚hochzustilisieren‘, es auf ein ‚Podest‘ zu heben, anstatt bereit zu sein, zuzugestehen, zuzulassen, dass Sie selbst dieses Besondere sind bzw. sein könnten. Es ist allemal leichter, einen – wie auch immer gearteten – ‚Popanz‘ zu feiern als sich selbst ein klein wenig zu ändern. Die allgemeine Botschaft lautet nämlich, dass diese ‚besonderen‘ Menschen nicht als Menschen anders oder ‚mehr besonders‘ sind als andere Menschen. Sie sind nur ‚Hinweise‘ auf das, was ‚an und mit Menschen‘ geschehen kann, wenn jeder Mensch in sich ‚das andere‘ zulässt. Das ‚Andere‘ ist nämlich letztlich nicht etwas ‚Fremdes‘, sondern ‚ein Teil von uns‘, das uns allen gemeinsam ist. Solange Menschen sich als ‚Fremde‘ sehen, als ‚Feinde‘, als ‚Konkurrenten‘, werden sie dies niemals entdecken können, solange befinden sie sich letztlich auf der ‚Flucht vor sich selbst‘.
WERTE DIE KEINE SIND
(10) Bei der Frage nach der biologischen Herkunft des Menschen hat sich die Wissenschaft auf die Formel eingeschworen, dass das biologische Leben vorangetrieben wird durch die Weitergabe genetischer Informationen (bestimmte Moleküle), die mittels Wachstumsprozessen in funktionierende Körper übersetzt werden, die wiederum in Wechselwirkung mit der jeweiligen Umwelt ‚Erfolg‘ oder ’nicht Erfolg‘ haben. Erfolg hier verstanden als ‚Überleben einer Population bis zur Gegenwart‘. Da die jeweilige Umgebung auf dieser Erde zu einem Zeitpunkt sehr unterschiedlich sein kann und sich – über längere Zeiträume von vielen Millionen Jahren betrachtet – kontinuierlich und rabiat ändern kann und sich auch geändert hatte, war es für ein Überleben immer wichtig, dass sich die genetischen Strukturen im Laufe der Zeit ‚ändern‘ können, damit sich ‚mit der Zeit‘ solche Strukturen ‚herausbilden‘ konnten, die dann unter den jeweiligen Bedingungen ‚überlebensfähig‘ waren.
(11) Wenn man weiß, dass der Mechanismus der Veränderung als solcher keiner ‚übergeordneten Handlungsinstanz‘ zugehört, sondern sich einzig und allein durch das ‚Auftreten‘ einer ’nachweisbaren Veränderung‘ manifestiert, deren Auftretensmuster man als ‚zufällig‘ bezeichnet, da wir als Forscher darin keine Regelhaftigkeiten erkennen können, dann bedeutet dies, dass die Herausbildung von Mustern nach einem Prinzip erfolgt, das wir mit dem theoretischen Konzept ‚Zufall‘ beschreiben. ‚Zufall‘ ist dabei so definiert, dass er ‚redundant‘ bzw. ‚invariant‘ ist bzgl. irgendwelcher zusätzlicher Faktoren. Insbesondere ‚weiß‘ ein Zufall nichts von ‚gut‘ oder ’schlecht‘. Vorausgesetzt es gibt eine Menge von Möglichkeiten P, die im Prinzip auftreten könnten, dann wird bei einem ‚echten‘ Zufall eine dieser Möglichkeiten auftreten unabhängig davon, was es sonst gibt. Für den Fall genetischer Informationen bedeutet dies, dass ein ‚reiner Zufall‘ ein Gen auch dann verändern kann, wenn es – wie auch immer bewertet – schon ‚optimal‘ wäre. Ein Zufall kann ‚verbessern‘ oder ‚verschlechtern‘. D.h. der Zufall als solcher ist auf keine ‚Richtung‘ festgelegt; er wählt eine der vielen Möglichkeiten von P aus, egal was diese dann ‚bedeuten‘.
(12) Will man also ‚erklären‘ ob eine Struktur S* ‚besser‘ ist als eine andere Struktur S dann kann man nicht auf den Zufall rekurrieren sondern man muss ein eigenes ‚Kriterium K‘ benennen, mit Blick auf das eine Eigenschaft, eine Handlung, ein Prozess als ‚K-gut‘ oder ‚K-schlecht‘ bezeichnet werden kann. Würde man als solch ein Kriterium K die Eigenschaft nehmen ‚K1=Überleben bis zur Gegenwart‘, dann wären alle Eigenschaften einer Population, die das Überleben ermöglichen in diesem Sinne ‚gut‘, alle anderen ’schlecht‘. Alles andere wäre ‚willkürlich‘, ‚lebensfremd‘.
(13) Betrachtet man nun die Geschichte des biologischen Lebens auf der Erde, dann wird man schnell merken, dass man mit solch einem einfachen Kriterium K1 nicht weit kommt. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten waren die Lebensbedingungen auf dieser Erde so gravierend anders, dass die Kriterien des Überlebens markant verschieden waren (im Wasser/ an Land, bevor es Sauerstoff gab, in den großen Eiszeiten, Einzeller/ Vielzeller, usw.). D.h. ein Kriterium K1 kann zwar in einer bestimmten Zeit eine bestimmte konkrete Bedeutung haben, diese kann sich aber aufgrund von Veränderungen der Umgebung (hier: Erde) – oder auch aufgrund der Entwicklung der Lebensstrukturen selbst! — markant ändern. Ferner darf man ja auch die Frage stellen, warum wir nur die Erde als Bezugssystem wählen. Unser Wissen um das Universum ist mittlerweile groß genug, um die Frage auszudehnen, wie das Kriterium K bezogen auf unser Sonnensystem, unsere Heimatgalaxie oder gar mit Bezug auf das ganze Universum aussehen könnte bzw. müsste.
(14) Ist man gedanklich soweit fortgeschritten, könnte man ja auch die Frage stellen, ob sich nicht über das ‚rein formale Überleben‘ hinaus in der ‚Struktur‘ von allem ‚Eigenschaften‘ zeigen, ‚Dynamiken‘, die ein Verständnis von ‚Leben‘ als einer ‚universalen Kategorie‘ enthüllen könnten. Die einzige wissenschaftliche Disziplin, die zumindest ansatzweise so denkt, ist bislang die Astrobiologie. Sie schleppt aber noch viele methodische Einschränkungen mit sich, die eine entsprechende Erweiterung der Theoriebildung wenig begünstigen.
DIE STEUERUNG IM ZUFALL
(15) Die häufig gehörte Floskel vom Zufall, der die ganze Entwicklung steuert, dann auch noch in Kombination mit der Gegenrede zu einem möglichen religiös motivierten ‚Glauben an einen höheren Sinn‘, gehört in das Reich der Märchen und hilft uns nicht weiter. Der Schlüssel zu einer vertieften Erkenntnis liegt im besseren Verständnis der Strukturen selbst, die sich innerhalb des Prozesses zeigen. Es macht keinen Sinn, eine Ideologie durch eine andere auszutreiben. Was wir brauchen sind wirkliche Erkenntnisse und unvoreingenommene Forschungen.
WANN FANGEN WIR AN EHRLICH ZU REDEN?
(16) Was immer wir tun, die minimale Voraussetzung zu einer besseren Erkenntnis ist ein radikal ehrlicher Umgang mit uns selbst, den anderen und der umgebenden Welt, auch über die Erde hinaus. Und mein bisheriges Leben sagt mir, dass genau diese radikale Ehrlichkeit etwas zu sein scheint, wo wir uns sehr, sehr schwer tun. Es ist geradezu unheimlich, wie viel Kraft Menschen aufwenden, ihre eigene Unwahrheit immer und überall zu schützen, zu verteidigen und sogar bereit sind, furchtbare Dinge zu tun, um ja nur nicht ihr bisheriges Bild von sich, von den anderem, vom Ganzen ändern zu müssen. Die Physiker haben sehr spät die sogenannte ‚dunkle Materie‘ entdeckt, die den größten Teil der Masse im Universum auszumachen scheint. Vielleicht wird es Zeit, dass wir Menschen entdecken, dass für viele — die meisten? — das größte Problem eine verborgene innere alles umklammernde Angst ist, die uns lähmt, die uns blind macht…..und die wir dann auf die Umwelt, auf andere Menschen projizieren….
Eine Übersicht über alle bisherigen Beiträge findet sich HIER
Wir beginnen mit einem Erkenntnisbegriff, der im subjektiven Erleben ansetzt. Alles, was sich subjektiv als ‚Gegeben‘ ansehen kann, ist ein ‚primärer‘ ‚Erkenntnisinhalt‘ (oft auch ‚Phänomen‘ [PH] genannt).
Gleichzeitig mit den primären Erkenntnisinhalten haben wir ein ‚Wissen‘ um ’sekundäre‘ Eigenschaften von Erkenntnisinhalten wie ‚wahrgenommen‘, ‚erinnert‘, ‚gleichzeitig‘, ‚vorher – nachher‘, ‚Instanz einer Klasse‘, ‚innen – außen‘, und mehr.
Auf der Basis der primären und sekundären Erkenntnisse lassen sich schrittweise komplexe Strukturen aufbauen, die das subjektive Erkennen aus der ‚Innensicht‘ beschreiben (‚phänomenologisch‘, [TH_ph]), aber darin auch eine systematische Verortung von ‚empirischem Wissen‘ erlaubt.
Mit der Bestimmung des ‚empirischen‘ Wissens lassen sich dann Strukturen der ‚intersubjektiven Körperwelt‘ beschreiben, die weit über das ’subjektive/ phänomenologische‘ Wissen hinausreichen [TH_emp], obgleich sie als ‚Erlebtes‘ nicht aus dem Bereich der Phänomene hinausführen.
Unter Einbeziehung des empirischen Wissens lassen sich Hypothesen über Strukturen bilden, innerhalb deren das subjektive Wissen ‚eingebettet‘ erscheint.
Der Ausgangspunkt bildet die Verortung des subjektiven Wissens im ‚Gehirn‘ [NN], das wiederum zu einem ‚Körper‘ [BD] gehört.
Ein Körper stellt sich dar als ein hochkomplexes Gebilde aus einer Vielzahl von Organen oder organähnlichen Strukturen, die miteinander in vielfältigen Austauschbeziehungen (‚Kommunikation‘) stehen und wo jedes Organ spezifische Funktionen erfüllt, deren Zusammenwirken eine ‚Gesamtleistung‘ [f_bd] des Input-Output-Systems Körpers ergibt. Jedes Organ besteht aus einer Vielzahl von ‚Zellen‘ [CL], die nach bestimmten Zeitintervallen ‚absterben‘ und ‚erneuert‘ werden.
Zellen, Organe und Körper entstehen nicht aus dem ‚Nichts‘ sondern beruhen auf ‚biologischen Bauplänen‘ (kodiert in speziellen ‚Molekülen‘) [GEN], die Informationen vorgeben, auf welche Weise Wachstumsprozesse (auch ‚Ontogenese‘ genannt) organisiert werden sollen, deren Ergebnis dann einzelne Zellen, Zellverbände, Organe und ganze Körper sind (auch ‚Phänotyp‘ genannt). Diese Wachstumsprozesse sind ’sensibel‘ für Umgebungsbedingungen (man kann dies auch ‚interaktiv‘ nennen). Insofern sind sie nicht vollständig ‚deterministisch‘. Das ‚Ergebnis‘ eines solchen Wachstumsprozesses kann bei gleicher Ausgangsinformation anders aussehen. Dazu gehört auch, dass die biologischen Baupläne selbst verändert werden können, sodass sich die Mitglieder einer Population [POP] im Laufe der Zeit schrittweise verändern können (man spricht hier auch von ‚Phylogenese‘).
Nimmt man diese Hinweise auf Strukturen und deren ‚Schichtungen‘ auf, dann kann man u.a. zu dem Bild kommen, was ich zuvor schon mal unter dem Titel ‚Emergenz des Geistes?‘ beschrieben hatte. In dem damaligen Beitrag hatte ich speziell abgehoben auf mögliche funktionale Unterschiede der beobachtbaren Komplexitätsbildung.
In der aktuellen Reflexion liegt das Augenmerk mehr auf dem Faktum der Komplexitätsebene allgemein. So spannen z.B. die Menge der bekannten ‚Atome‘ [ATOM] einen bestimmten Möglichkeitsraum für theoretisch denkbare ‚Kombinationen von Atomen‘ [MOL] auf. Die tatsächlich feststellbaren Moleküle [MOL‘] bilden gegenüber MOL nur eine Teilmenge MOL‘ ⊆ MOL. Die Zusammenführung einzelner Atome {a_1, a_2, …, a_n} ⊆ ATOM zu einem Atomverband in Form eines Moleküls [m in MOL‘] führt zu einem Zustand, in dem das einzelne Atom a_i mit seinen individuellen Eigenschaften nicht mehr erkennbar ist; die neue größere Einheit, das Molekül zeigt neue Eigenschaften, die dem ganzen Gebilde Molekül m_j zukommen, also {a_1, a_2, …, a_n} ≠ m_i (mit {a_1, a_2, …, a_n} als ‚Bestandteilen‘ des Moleküls m_i).
Wie wir heute wissen, ist aber auch schon das Atom eine Größe, die in sich weiter zerlegt werden kann in ‚atomare Bestandteile‘ (‚Quanten‘, ‚Teilchen‘, ‚Partikel‘, …[QUANT]), denen individuelle Eigenschaften zugeordnet werden können, die auf der ‚Ebene‘ des Atoms verschwinden, also auch hier wenn {q_1, q_2, …, q_n} ⊆ QUANT und {q_1, q_2, …, q_n} die Bestandteile eines Atoms a_i sind, dann gilt {q_1, q_2, …, q_n}≠ a_i.
Wie weit sich unterhalb der Quanten weitere Komplexitätsebenen befinden, ist momentan unklar. Sicher ist nur, dass alle diese unterscheidbaren Komplexitätsebenen im Bereich ‚materieller‘ Strukturen aufgrund von Einsteins Formel E=mc^2 letztlich ein Pendant haben als reine ‚Energie‘. Letztlich handelt es sich also bei all diesen Unterschieden um ‚Zustandsformen‘ von ‚Energie‘.
Entsprechend kann man die Komplexitätsbetrachtungen ausgehend von den Atomen über Moleküle, Molekülverbände, Zellen usw. immer weiter ausdehnen.
Generell haben wir eine ‚Grundmenge‘ [M], die minimale Eigenschaften [PROP] besitzt, die in einer gegebenen Umgebung [ENV] dazu führen können, dass sich eine Teilmenge [M‘] von M mit {m_1, m_2, …, m_n} ⊆ M‘ zu einer neuen Einheit p={q_1, q_2, …, q_n} mit p ∉M‘ bildet (hier wird oft die Bezeichnung ‚Emergenz‘ benutzt). Angenommen, die Anzahl der Menge M beträgt 3 Elemente |M|=3, dann könnte man daraus im einfachen Fall die Kombinationen {(1,2), (1,3), (2,3), (1,2,3)} bilden, wenn keine Doubletten zulässig wären. Mit Doubletten könnte man unendliche viele Kombinationen bilden {(1,1), (1,1,1), (1,1,….,1), (1,2), (1,1,2), (1,1,2,2,…),…}. Wie wir von empirischen Molekülen wissen, sind Doubletten sehr wohl erlaubt. Nennen wir M* die Menge aller Kombinationen aus M‘ (einschließlich von beliebigen Doubletten), dann wird rein mathematisch die Menge der möglichen Kombinationen M* gegenüber der Grundmenge M‘ vergrößert, wenngleich die Grundmenge M‘ als ‚endlich‘ angenommen werden muss und von daher die Menge M* eine ‚innere Begrenzung‘ erfährt (Falls M’={1,2}, dann könnte ich zwar M* theoretisch beliebig groß denken {(1,1), (1,1,1…), (1,2), (1,2,2), …}, doch ‚real‘ hätte ich nur M*={(1,2)}. Von daher sollte man vielleicht immer M*(M‘) schreiben, um die Erinnerung an diese implizite Beschränkung wach zu halten.
Ein anderer Aspekt ist der Übergang [emer] von einer ’niedrigerem‘ Komplexitätsniveau CL_i-1 zu einem höheren Komplexitätsniveau CL_i, also emer: CL_i-1 —> CL_i. In den meisten Fällen sind die genauen ‚Gesetze‘, nach denen solch ein Übergang stattfindet, zu Beginn nicht bekannt. In diesem Fall kann man aber einfach ‚zählen‘ und nach ‚Wahrscheinlichkeiten‘ Ausschau halten. Allerdings gibt es zwischen einer ‚reinen‘ Wahrscheinlich (absolute Gleichverteilung) und einer ‚100%-Regel‘ (Immer dann wenn_X_dann geschieht_Y_) ein Kontinuum von Wahrscheinlichkeiten (‚Wahrscheinlichkeitsverteilungen‘ bzw. unterschiedlich ‚festen‘ Regeln, in denen man Z%-Regeln benutzt mit 0 < Z < 100 (bekannt sind z.B. sogenannte ‚Fuzzy-Regeln‘).
Im Falle des Verhaltens von biologischen Systemen, insbesondere von Menschen, wissen wir, dass das System ‚endogene Pläne‘ entwickeln kann, wie es sich verhalten soll/ will. Betrachtet man allerdings ‚große Zahlen‘ solcher biologischer Systeme, dann fällt auf, dass diese sich entlang bestimmter Wahrscheinlichkeitsverteilungen trotzdem einheitlich verhalten. Im Falle von Sterbensraten [DEATH] einer Population mag man dies dadurch zu erklären suchen, dass das Sterben weitgehend durch die allgemeinen biologischen Parameter des Körpers abhängig ist und der persönliche ‚Wille‘ wenig Einfluß nimmt. Doch gibt es offensichtlich Umgebungsparameter [P_env_i], die Einfluss nehmen können (Klima, giftige Stoffe, Krankheitserreger,…) oder indirekt vermittelt über das individuelle ‚Verhalten‘ [SR_i], das das Sterben ‚begünstigt‘ oder ‚verzögert‘. Im Falle von Geburtenraten [BIRTH] kann man weitere Faktoren identifizieren, die die Geburtenraten zwischen verschiedenen Ländern deutlich differieren lässt, zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen sozialen Gruppen, usw. obgleich die Entscheidung für Geburten mehr als beim Sterben individuell vermittelt ist. Bei allem Verhalten kann man mehr oder weniger starke Einflüsse von Umgebungsparametern messen. Dies zeigt, dass die individuelle ‚Selbstbestimmung‘ des Verhaltens nicht unabhängig ist von Umgebungsparametern, die dazu führen, dass das tatsächliche Verhalten Millionen von Individuen sehr starke ‚Ähnlichkeiten‘ aufweist. Es sind diese ‚gleichförmigen Wechselwirkungen‘ die die Ausbildung von ‚Verteilungsmustern‘ ermöglichen. Die immer wieder anzutreffenden Stilisierungen von Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu quasi ‚ontologischen Größen‘ erscheint vor diesem Hintergrund eher irreführend und verführt dazu, die Forschung dort einzustellen, wo sie eigentlich beginnen sollte.
Wie schon die einfachen Beispiele zu Beginn gezeigt haben, eröffnet die nächst höhere Komplexitätstufe zunächst einmal den Möglichkeitsraum dramatisch, und zwar mit qualitativ neuen Zuständen. Betrachtet man diese ‚Komplexitätsschichtungen‘ nicht nur ‚eindimensional‘ (also z.B. in eine Richtung… CL_i-1, CL_i, CL_i+1 …) sondern ‚multidimensional‘ (d.h. eine Komplexitätsstufe CL_i kann eine Vielzahl von Elementen umfassen, die eine Komplexitätstufe j<i repräsentieren, und diese können wechselseitig interagieren (‚kommunizieren‘)), dann führt dies zu einer ‚Verdichtung‘ von Komplexität, die immer schwerer zu beschreiben ist. Eine einzige biologische Zelle funktioniert nach so einem multidimensionalen Komplexitätsmuster. Einzelne Organe können mehrere Milliarden solcher multidimensionaler Einheiten umfassen. Jeder Körper hat viele solcher Organe die miteinander wechselwirken. Die Koordinierung aller dieser Elemente zu einer prägnanten Gesamtleistung übersteigt unsere Vorstellungskraft bei weitem. Dennoch funktioniert dies in jeder Sekunde in jedem Körper Billionenfach, ohne dass das ‚Bewusstsein‘ eines biologischen Systems dies ‚mitbekommt‘.
Was haben all diese Komplexitätstufen mit ‚Erkenntnis‘ zu tun? Nimmt man unser bewusstes Erleben mit den damit verknüpften ‚Erkenntnissen‘ zum Ausgangspunkt und erklärt diese Form von Erkenntnis zur ‚Norm‘ für das, was Erkenntnis ist, dann haben all diese Komplexitätsstufen zunächst nichts mit Erkenntnis zu tun. Allerdings ist es dieses unser ’subjektives‘ ‚phänomenologisches‘ ‚Denken‘, das all die erwähnten ‚Komplexitäten‘ im Denken ’sichtbar‘ macht. Ob es noch andere Formen von Komplexität gibt, das wissen wir nicht, da wir nicht wissen, welche Form von Erkenntnis unsere subjektive Erkenntnisform von vornherein ‚ausblendet‘ bzw. aufgrund ihrer Beschaffenheit in keiner Weise ‚erkennt‘. Dies klingt paradox, aber in der Tat hat unser subjektives Denken die Eigenschaft, dass es durch Verbindung mit einem Körper einen indirekt vermittelten Bezug zur ‚Körperwelt jenseits des Bewusstseins‘ herstellen kann, der so ist, dass wir die ‚Innewohnung‘ unseres subjektiven Erkennens in einem bestimmten Körper mit dem Organ ‚Gehirn‘ als Arbeitshypothese formulieren können. Darauf aufbauend können wir mit diesem Körper, seinem Gehirn und den möglichen ‚Umwelten‘ dann gezielt Experimente durchführen, um Aufklärung darüber zu bekommen, was denn so ein Gehirn im Körper und damit korrelierend eine bestimmte Subjektivität überhaupt erkennen kann. Auf diese Weise konnten wir eine Menge über Erkenntnisgrenzen lernen, die rein aufgrund der direkten subjektiven Erkenntnis nicht zugänglich sind.
Diese neuen Erkenntnisse aufgrund der Kooperation von Biologie, Psychologie, Physiologie, Gehirnwissenschaft sowie Philosophie legen nahe, dass wir das subjektive Phänomen der Erkenntnis nicht isoliert betrachten, sondern als ein Phänomen innerhalb einer multidimensionalen Komplexitätskugel, in der die Komplexitätsstrukturen, die zeitlich vor einem bewussten Erkennen vorhanden waren, letztlich die ‚Voraussetzungen‘ für das Phänomen des subjektiven Erkennens bilden.
Gilt im bekannten Universum generell, dass sich die Systeme gegenseitig beeinflussen können, so kommt bei den biologischen Systemen mit ‚Bewusstsein‘ eine qualitativ neue Komponente hinzu: diese Systeme können sich aktiv ein ‚Bild‘ (‚Modell‘) ihrer Umgebung, von sich selbst sowie von der stattfindenden ‚Dynamik‘ machen und sie können zusätzlich ihr Verhalten mit Hilfe des konstruierten Bildes ’steuern‘. In dem Masse, wie die so konstruierten Bilder (‚Erkenntnisse‘, ‚Theorien‘,…) die tatsächlichen Eigenschaften der umgebenden Welt ‚treffen‘ und die biologischen Systeme ‚technologische Wege‘ finden, die ‚herrschenden Gesetze‘ hinreichend zu ‚kontrollieren‘, in dem Masse können sie im Prinzip nach und nach das gesamte Universum (mit all seinen ungeheuren Energien) unter eine weitreichende Kontrolle bringen.
Das einzig wirkliche Problem für dieses Unterfangen liegt in der unglaublichen Komplexität des vorfindlichen Universums auf der einen Seite und den extrem beschränkten geistigen Fähigkeiten des einzelnen Gehirns. Das Zusammenwirken vieler Gehirne ist absolut notwendig, sehr wahrscheinlich ergänzt um leistungsfähige künstliche Strukturen sowie evtl. ergänzt um gezielte genetische Weiterentwicklungen. Das Problem wird kodiert durch das Wort ‚gezielt‘: Hier wird ein Wissen vorausgesetzt das wir so eindeutig noch nicht haben Es besteht ferner der Eindruck, dass die bisherige Forschung und Forschungsförderung diese zentralen Bereiche weltweit kum fördert. Es fehlt an brauchbaren Konzepten.
Eine Übersicht über alle bisherigen Beiträge findet sich hier
In vorausgehenden Blog-Einträgen habe ich schon mehrfach in verschiedener Weise über Religion und Glauben etwas aufgeschrieben (Überblick im Wiki zum Blog). Da ich dennoch immer wieder darauf angesprochen werde hier ein weiterer Eintrag, z.T. wiederholend, z.T. ergänzend.
(2) UMFANG DES WISSENS
Abkürzungen: BP := Before Present, Vor der Gegenwart, Aktuelle Gegenwart: 2012.
Jede der drei großen Offenbarungsreligionen Judentum [J], Christentum [C] und Islam [I] umfasst eine lange Geschichte (J mehr als 2700 Jahre, C ca. 2000 Jahre (mit J als Vorgeschichte), I ca. 1300 (mit J+C als Vorgeschichte)). Dazu gehören unterschiedliche Länder, Religionen, Kulturen, unterschiedliche Sprachen, zahllose Schriften in vielfältigen Sprachen (manche verschollen, viele für die meisten nur schwer zugänglich). Es dürfte heute keinen einzigen Menschen geben, der auch nur von einer dieser Religionen ‚alles‘ weiß. Selbst die Besten dürften nur Bruchstücke wissen. Daraus ergibt sich, dass jeder zunächst einmal mit großem Respekt vor dem jeweiligen Phänomen stehen sollte. Insbesondere sollte man hellhörig werden, wenn jemand als einzelne Person für sich in Anspruch nimmt, wesentliche Aussagen über den ‚Inhalt‘ einer dieser Religionen zu machen. Ein jeder, der so auftritt, dass er den Eindruck erweckt, er rede jetzt mit ‚absoluter Autorität‘ ohne dass er/sie sich die Mühe macht, die konkreten Voraussetzungen seiner Rede und die darin unausweichlich mitgegebenen Grenzen zu benennen, macht sich zunächst einmal automatisch ‚verdächtig‘, Dinge sagen zu wollen, über die er eigentlich gar nicht genügend weiß. Diese Vorsicht gilt gegenüber jedem und jeder – natürlich auch gegenüber dem Schreiber dieser Zeilen. Niemand ist davor geschützt trotz bester Absicht Dinge zu sagen, die sachlich nicht zutreffend sind.
(3) OFENBARUNGSMEDIUM/-MEDIEN
Zum Selbstverständnis einer Offenbarungsreligion gehört die Überzeugung, dass die primäre Quelle der ‚Offenbarung‘ ‚Gott selbst‘ ist [G], der sich auf unterschiedliche Weise bestimmten Menschen ‚mitgeteilt‘ hat (In den verschiedenen Sprachen hat Gott unterschiedliche Namen: Elohim, Jahwe, Theos, Deus, Allah,…). Diese Menschen – meistens Propheten genannt (es gibt aber viel mehr Spielarten, wie und wo Gott sich mitgeteilt haben soll) – haben das, was sie meinten, von Gott empfangen zu haben, in der Regel mündlich weiter gegeben (zumindest im Judentum und Christentum war das so; direkte schriftliche Notizen gibt es von keinem einzigen sogenannten Propheten, nicht einmal von Jesus). Diese mündlichen Mitteilungen wurden in einer Kultur der mündlichen Überlieferung auf dem zur jeweiligen Zeit üblichen Weg weitererzählt. Später (im Falle des Neuen Testaments nach wenigen Jahrzehnten, im Fall des Alten Testaments z.T. auch noch später) wurden diese mündlichen Überlieferungen von einzelnen (meist Gruppen) aufgeschrieben und als Texte überliefert. Auf diese Weise entstanden Sammlungen von Überlieferungen aus unterschiedlichen Zeiten, die – im Falle des Alten Testaments deutlich nachweisbar – auch zu größeren Einheiten zusammengefasst wurden. Angelegentlich solcher Zusammenfassungen wurden dann auch schon mal ‚Anpassungen‘ vorgenommen, spezielle Überleitungen oder Ausleitungen geschaffen oder bestimmte Teile umgestellt, ergänzt, gekürzt oder sogar überarbeitet. Dieser Prozess erstreckte sich über viele Jahrhunderte. Dadurch nahmen sehr unterschiedliche Sprache, Kulturen, Zeitanschauungen, lokale Besonderheiten usw. Einfluss auf die Darstellung. Für die islamische Tradition gilt dies entsprechend. Nur sind die historisch-kritischen Forschungen hier noch nicht soweit fortgeschritten wie im Falle der jüdisch-christlichen Traditionen. Aus Sicht der Gegenwart sollte man aber immer bedenken, dass die Sprache des hebräischen alten Testaments nicht das Hebräisch der Gegenwart ist, das Koine-Griechisch des neuen Testaments war weder das Aramäisch-Hebräisch das Jesus und seine Jünger gesprochen haben noch gleicht es dem modernen Griechisch des heutigen Griechenlands. Genausowenig entspricht das Arabisch des Koran dem modernen gesprochenen Arabisch. Wenn wir also von dem ‚Offenbarungsinhalt‘ sprechen, von der eigentlichen ‚Botschaft‘ von G an ‚uns heute‘, dann sollten wir vor Augen haben, welch schwierige Überliefungskette zwischen G und uns heute liegt (solange wir uns auf diese Überlieferungskette beschränken).
(4) BOTSCHAFTEN VERSTEHEN
Zusätzlich zu dieser beeindruckenden Überlieferungskette wissen wir aus den philosophischen und allgemeinwissenschaftlichen Arbeiten mindestens der letzten 100 Jahre sehr viel mehr über die Bedingungen sprachlicher Kommunikation als zu jeder anderen Zeit vor uns. Eine Grundtatsache ist die, dass zwei Menschen A und B nur dann ein ‚einigermaßen gleiches Verständnis‘ mit einem bestimmten sprachlichen Ausdruck E verknüpfen können, wenn sie (i) hinreichend ähnliche Wahrnehmung haben, (ii) hinreichend ähnliches Gedächtnis, (iii) hinreichend ähnliche Denkoperationen und sie (iv) wissen, unter welchen ‚Bedingungen‘ der sprachliche Ausdruck E verwendet werden soll. Im Falle eines Ausdrucks wie ‚diese rote Tasse da‘ ist. z.B. nur verständlich, wenn es dazu eine Zeigegeste gibt, die hinreichend eindeutig vom Sprecher auf ein geeignetes Objekt zeigt und der Hörer diese Geste entsprechend einordnen kann. Zudem muss der Hörer wissen, was mit ‚rot‘ gemeint ist und mit ‚Tasse‘. Zahllose konkrete empirische Untersuchungen haben aufgezeigt, wie komplex das Bedingungsgefüge für funktionierende Kommunikation im Alltag ist. In der Regel können nur Menschen einigermaßen ‚verständnisvoll‘ miteinander reden, die hinreichend viel gemeinsames Training und gemeinsame Erfahrungen teilen. Sobald der gemeinsame Erfahrungshintergrund zu ‚dünn‘ ist, hilft selbst die gleiche Sprache nicht weiter. Sind verschiedene Sprachen im Spiel, benötigt man Übersetzungen. Diese stellen ‚Interpretationen‘ dar, die vom Verständnis und der Erfahrung des Übersetzers abhängig sind, die niemals eine 1-zu-1 Abbildung gewährleisten können. Die z.T. sehr unterschiedlichen Übersetzungen des gleichen Textes illustrieren dies (dies gilt auch für die vielen Übersetzungen der Offenbarungsschriften in andere Sprachen). Ein Übersetzungsverbot hilft hier nicht unbedingt, da dann die Gefahr besteht, dass man zwar den Wortlauf des ursprünglichen Textes erhält, aber man keine Klarheit hat über die ‚Botschaft‘ des Textes. Aber auf diese kommt es an. Handelt es sich um Botschaften, die überwiegend mit ‚inneren Anschauungen‘ zu tun haben, die sich kaum bis gar nicht in der ‚Welt zwischen den Körpern‘ verorten lässt, wird Verstehen zum ‚Glücksspiel‘. Man kann sich zwar individuell etwas vorstellen, was es sein ‚könnte‘, aber wirklich ‚wissen‘ tut man es nicht.
(5) KONSEQUENZEN?
Nun könnte man versucht sein, daraus den Schluss zu ziehen, dass das mit den Offenbarungsbotschaften ein einziges ’semantisches Chaos‘ ist, das jedem seine beliebige Interpretation erlaubt und von daher wenig erhellend ist. Solange man aus dem Horizont der verfügbaren Offenbarungsschriften die eine, einzig wahre und alles erklärende Botschaft erwarten würde, hätte man tatsächlich ein Problem, da die Schriften, so, wie Sie in ihrer beeindruckenden geschichtlichen Breite, Tiefe und Vielfalt vorliegen, eine einzige klare Botschaft für viele heutige Fragen nicht zuzulassen scheinen. Sieht man in diesen Schriften aber das Zeugnis von Menschen aus mehr als 2700 Jahren, die um die Frage des Sinns der Geschichte, der Schöpfung, des Menschen usw. ringen und gerungen haben, dann bleiben diese Schriften überwältigend und einzigartig. Dann kann man aus ihnen vieles lernen, gerade aus dem Scheitern, aus den Grenzen, aus den Fehlern usw. speziell aber auch – und dies ist vielleicht mit das Bedeutsamste – gerade über Überlieferungsprozesse, über Weitergabe von Botschaften, über den Wandel von Ideen, Wandel von Sprachen und Bedeutungen. Diese Schriften ersetzen in keiner Weise die modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse; warum auch, sie liegen weit vor dem Aufkommen moderner Wissenschaften. Andererseits bilden die modernen Wissenschaften auch keinen Gegensatz zu den Offenbarungsschriften, da alles, was die Wissenschaften bislang zutage gefördert haben, in keiner Weise irgendeiner dieser Offenbarungsschriften widerspricht. Hier ist anzumerken, dass die ganze Debatte biblischer Schöpfungsbericht contra moderne Evolutionstheorie schon in der Wurzel an der großen Verirrung leidet, dass man von einem biblischen Schöpfungsbericht ausgeht, der angeblich beschreibt, wie Gott die Erde erschaffen habe. Wer sich den hebräischen Urtext anschaut wird sehr schnell sehen, dass der sogenannte biblische Schöpfungsbericht aus mindestens zwei Texten entsteht mit ganz unterschiedlichen sprachlichen Mitteln. Im einen heißt G ‚Elohim‘, im anderen ‚Jahwe‘, ferner unterscheiden sich die Texte in Sprache, Grammatik und Aussage diametral, d.h. schon ‚innerbiblisch‘ haben wir zwei konkurrierende Deutungen zum Beginn der bekannten Welt, in der Menschen aus unterschiedlichen Zeiten mit unterschiedlichem Wissen versucht haben, für sich die Frage zu beantworten, wie man den ‚Anfang‘ wohl verstehen sollte. Dazu kommt, dass beide sogenannte Schöpfungsberichte unterschiedliche Anleihen bei Überlieferungen aus umgebenden und älteren Kulturen machen. Dazu gibt es viele hundert exzellente Untersuchungen. Biblische Texte gegen moderne Wissenschaft auszuspielen erscheint von daher widersinnig. Umgekehrt macht es sehr wohl Sinn, die modernen Erkenntnisse zur Entstehung des Universums und zur Entstehung von Leben als Ausgangspunkt für eine vertiefende Betrachtung eines möglichen ‚Sinns‘ in dem Ganzen zu nehmen. Die Wissenschaft selbst tut dies eher nicht (ist i.e.S. nicht ihre Aufgabe). Aussagen von Wissenschaftlern (prominente Beispiele Hawking, Dawkins), dass Sie meinen, aus den Erkenntnissen der modernen Wissenschaften ein Argument gegen die Existenz Gottes ableiten zu können, ist genauso widersinnig. Weder bieten die modernen wissenschaftlichen Theorien irgendeinen Ansatzpunkt, die Existenz Gottes ausschließen zu können (dazu müsste man ja erst mal wissenschaftlich definieren können, was man unter ‚Gott‘ versteht; kenne niemanden, der das schon mal versucht hat), noch bieten die Offenbarungsschriften irgendeinen sinnvollen Ansatzpunkt, sich gegen moderne Wissenschaften zu wenden. Ich würde daher dazu tendieren zu sagen, dass es nicht nur ein großes Versäumnis der Offenbarungsreligionen ist, sich nicht aktiv, konstruktiv, umfassend, vorbehaltlos den modernen Wissenschaften zu öffnen, sondern hier liegt eine Verantwortung für die Wahrheit, der man sich verweigert. Das Universum als Ganzes ist mindestens soviel Offenbarung wie Gemütsregungen in einem einzelnen Menschen zu einer bestimmten Zeit, der diese dann als ‚Mitteilungen Gottes an die Welt‘ darstellt. Hier sollten die ‚Vertreter Gottes ‚in sich gehen‘, um nicht Gefahr zu laufen, die Sache Gottes eher zu verraten als ihr zu dienen. Wenn überhaupt dann ist G das jeweils Größere und nicht zu verwechseln mit den jeweils sehr beschränkten Vorstellungen eines einzelnen Menschen.
SPÄTERE BLOGEINTRÄGE
Das Thema Religion, Glaube taucht immer wieder auf. Sehr hilfreich kann auch eine rein historisch-strukturelle Betrachtung sein, so z.B. das Buch von Bergmeier Christlich-abendländische Kultur – eine Legende (Teil 1) und Teil 2. Bei diesem Buch handelt es sich um eine interessante historische Studie zum Wechselspiel zwischen ‚Gesellschaft – Christentum‘ einerseits und parallel zwischen ‚Gesellschaft – Islam‘ andererseits im Zeitraum 700 – 1400. Aus dieser Studie — und unter Berücksichtigung der Jahrhunderte danach — kann man ersehen, dass ein blühende Gesellschaft ohne Religion möglich ist, dass aber Religion umgekehrt ganze Gesellschaften behindern oder zerstören kann. Auch wenn man es aus der Sicht des Jahres 2015 kaum glauben mag, aber die kulturell höchstentwickelte Perioe und Blütezeit hatte Ganz-Europa in der Zeit ca. 800 – 1100 im arabisch-islamischen Reich. Parallel verzeicnen wir einen wirklich dramatischen Niedergang der Gesellschaft unter der römischen Papstkirche bis sich die Zivilgesellschaft von diesem Einfluß ab ca. 1200 schrittweise und mühsam im Laufe von ca. 600Jahren befeien konnte.
Für einen Überblick zu allen Blogeinträgen nach Titeln siehe HIER.
(1) Angesichts der scheinbaren Komplexität der uns umgebenden Welt und zugleich der zunehmenden Überflutung durch immer mehr von Menschen generierten Informationsereignissen bei biologischer Konstanz der Akteure kann der Eindruck entstehen, ‚Wahrheit‘ sei nicht nur nicht mehr möglich sondern irgendwo vielleicht auch ‚egal‘, scheint doch der Alltag ‚irgendwie‘ trotz allem zu funktionieren.
(2) Ein Teil dieser ‚Gleichgültigkeit‘ gegenüber der Wahrheit ist auch die ‚Koexistenz‘ von unterschiedlichen Weltanschauungen ’nebeneinander‘ – einschließlich der zahlenmäßig großen ‚Religionen‘ dieser Welt –, die inhaltlich nicht nur abweichend sind, sondern sich teilweise wechselseitig widersprechen. Während die verschiedenen Weltanschauungen selbst ‚aus sich heraus‘ eigentlich den Anspruch haben, das ‚Richtige‘ zu ‚wissen‘, erzwingen die politischen Machtverhältnisse heutzutage oft eine ‚Beschränkung‘ des jeweiligen Deutungsanspruchs auf den Bereich der jeweiligen ‚Mitglieder‘ / ‚Anhänger‘.
(3) Blickt man zurück in der Geschichte dann kann man diese ‚Koexistenz‘ von unterschiedlichen – und letztlich ‚konkurrierenden‘ – Weltanschauungen als Fortschritt verstehen: ohne dass die Deutungsansprüche schon alle vollständig abgeklärt werden konnten, erlaubt die Koexistenz ein friedliches Lebens ’nebeneinander‘ ohne sich zu töten.
(4) Versteht man eine Weltanschauung [W] als eine Struktur W=<E,M, Int> mit den Komponenten einer umgebenden ‚Welt‘ [‚E‘ für environment], einem ‚Modell‘ [M] dieser Welt, sowie einer bestimmten ‚Deutung/ Interpretation‘ [Int], durch die sich das Modell auf die Umgebung E bezieht, und umgekehrt, also etwa Int: E <—> M, dann könnte man sagen, dass die existierenden Weltanschauungen wie das Judentum [W_Jud], das Christentum [W_Christ], der Islam [W_Islam], die modernen empirischen Wissenschaften [W_Wiss] usw. (also W_i in W) unterschiedliche Interpretationen und Modelle der gleichen Welt E liefern. Zugleich sollte man bedenken, dass Weltanschauungen W_i nicht im ‚luftleeren Raum‘ existieren, sondern Konstruktionen sind, die ‚in den Köpfen‘ von Menschen entstehen. Dies aber bedeutet, dass es das jeweilige Gehirn in einem Körper ist, das im Rahmen seiner Möglichkeiten solch eine Weltanschauung mit Modell M und Interpretation aufgrund von verfügbaren Sinnesdaten E_sens erzeugt. E_sens ist aber, wie die vorausgehenden Überlegungen gezeigt haben, nicht die Welt E wie sie ‚ist‘ (E_sens != E), sondern jener ‚Messwert‘, den die Sinnesorgane zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort von der dann und dort aktuellen Welt E ‚erzeugen/ generieren‘, also inp: E —> E_sens. Diese Sinnesdaten werden dann durch die körpereigene Wahrnehmung [perc für perception] zu jenen ‚bewussten Erlebnissen‘ [PH_emp] verarbeitet, die wir dann als ‚Wahrnehmung bezeichnen, also perc: E_sens x BD —> PH_emp mit PH_emp subset PH. Bei dieser ‚Verarbeitung‘ von Sinnesdaten E_sens in die wahrgenommenen Phänomene PH_emp spielen unterschiedliche komplexe Körperprozesse BD mit hinein, die zum endgültigen Wahrnehmungsereignis PH_emp beitragen.
(5) In der zurückliegenden Geschichte war es oft üblich, dass die Anhänger einer Weltanschaung W_i, sofern sie sich ‚politisch stärker‘ fühlten, alle ‚anderen‘ unterdrückt, verfolgt oder gar getötet haben. Diese blutige Spur durchzieht die ganze Geschichte. In vielen Fällen ist nicht klar, ob es immer nur um die ‚Reinheit der Lehre‘ ging oder ob man sich den Umstand der unterschiedlichen Deutungen nur zunutze gemacht hat, um seine eigenen Machtinteressen mit Hilfe einer ‚Deutungshoheit‘ durchzusetzen. Es gibt genügend historische Zeugnisse, aufgrund deren man heute sagen würde, auch unter dem Deckmantel von ‚religiösen‘ Deutungsansprüchen wurden reine Machtansprüche auf brutalste Weise umgesetzt.
(6) Doch wäre es zu einfach und zu billig, würde man bestimmte Deutungsansprüche nur deshalb ‚diskreditieren‘, weil sie bisweilen von Menschen für ihre privaten Machtinteressen missbraucht wurden. Dies geschieht ja heute immer noch, ja, sogar heute gibt es viele Länder auf dieser Erde, wo Menschen auf dieser Erde nur aufgrund einer anderen Weltanschauung diskreditiert, verleumdet, unterdrückt, verfolgt und getötet werden. Die Frage, wie man eine bestimmte Weltanschauung W_i bewerten soll, ist also keine rein akademische Frage, obwohl sie philosophisch-theoretisch behandelt werden sollte.
(7) Die Frage, wie man mit differierenden Deutungsansprüchen umgeht, ist von daher für eine friedliche und konstruktive Zukunft der Menschheit wichtig.
(8) Würden die ‚Träger einer Weltanschauung W_i‘ [POP_i = POP cut W_i] in dieser Welt so verteilt sein, dass sie sich nie treffen würden, dann wäre es eigentlich fast egal, welche Weltanschauung sie genau haben, sie würden sich in einem bestimmten Abschnitt E_i subset E bewegen und würden sich wechselseitig ‚bestätigen‘. Einziger Konfliktfall könnte sein, dass ein Mitglied der Population p in POP_i Schwierigkeiten hat, ‚für sich‘ die Weltanschauung W_i zu ‚akzeptieren‘. Die meisten Weltanschauungen (nicht nur solche, die sich ‚Religion‘ nennen) haben einen Katalog von ‚Sanktionen‘, mit denen sie diejenigen ‚bestrafen‘, die ihre ‚Anerkennung‘ verweigern (eine Zusammenstellung der Praktiken im Laufe der Menschheitsgeschichte könnte sehr lehrreich sein). Dies kann von einfachen ‚Mahnungen‘ über verschiedene ‚Strafen‘ bis hin zur ‚Verstoßung‘ oder gar ‚Tötung‘ reichen. Historisch lässt sich aber auch beobachten, dass Weltanschauungen sich durch die Art und Weise des ‚Gebrauchs‘ von Weltanschauungen ‚verändern‘ können. Ausmaß der Veränderung und ‚Geschwindigkeit‘ der Veränderungen können von unterschiedlichsten Faktoren abhängen.
(9) In dem Masse, wie sich der homo sapiens sapiens auf der Erde ausgebreitet hat, hat die Bevölkerungsdichte zugenommen. Waren es um ca. 2012 Jahren vor unserer Gegenwart [BP := Before Present, Present = 2012] ca. 250 Mio Menschen auf der Erde, waren es um ca. 262 Jahren BP (1750 n.C.) ca. 771 Mio. 2 Jahre BP (= 2010 n.C.) ca. 6.9 Mrd (Quelle: Gans (2011), S.17). In den urbanen Regionen der Erde erleben wir heute eine ungeheure Zusammenballung von Menschen unterschiedlichster Weltanschauungen auf engstem Raum. In einer solchen Situation andere Menschen aufgrund differierender Weltanschauungen zu verfolgen oder gar zu töten stößt auf allerlei praktische Schwierigkeiten. Doch, wie uns der Gang der Geschichte lehrt, ist dies kein absolutes Hindernis dafür, dass Menschen sich gegenseitig dennoch diskriminieren, verfolgen und regelrecht abschlachten. Offensichtlich haben wir Menschen große Probleme damit, wie wir mit unterschiedlichen Weltanschauungen umgehen.
(10) Der entscheidende Punkt an einer Weltanschauung ist, dass diese nicht vollständig ‚unsichtbar‘ ist. Eine wesentliche Eigenschaft einer Weltanschauung ist es ja gerade, dass sie ‚Bezug nimmt auf Welt‘ und für denjenigen, der diese Weltanschauung hat, die Eigenschaften und Ereignisse der erfahrbaren Welt E_sens so ‚deutet‘, dass der Träger der Anschauung W_i mit Hilfe seiner Weltanschauung die Ereignisse ‚einordnen’/ ‚deuten’/ ‚bewerten‘ kann, vor allem, dass er aufgrund seiner Weltanschauung dann auch ‚weiß‘, was er als nächstes ‚tun kann‘ bzw. ‚tun soll‘. Mitglieder politischer Parteien, von Gewerkschaften, von Religionen leiten aus ihrer jeweiligen Weltanschauung ab, was sie ‚gut‘ finden, was ’schlecht‘, was man ’nicht tun soll‘, was man ‚tun soll‘, wer ein ‚Abtrünniger‘ ist, ein ‚Verräter‘, usw. Es gibt Regeln, wie man sich ‚kleidet‘ (Dresskode), um seine Zugehörigkeit zu demonstrieren, was man wann ist und trinkt, usw.
(11) Eine Weltanschauung ernsthaft zu haben, hat also unmittelbare Auswirkungen auf das konkrete Verhalten im Alltag. Bei der heutigen ‚Vermischung‘ der Menschen in dicht besiedelten Regionen bedeutet dies auf Schritt und Tritt ‚Berührung mit der Andersartigkeit‘: Kleidungsgewohnheiten im Straßenbild, auf der Arbeitsstelle; Essgewohnheiten in Lokalen und Flugzeugen; Gebetszeiten in der Öffentlichkeit und in der Arbeit; Verhaltensweisen von Frauen und Männern, von Jugendlichen, von Mädchen und Jungen; sexuelle Praktiken; Ansprüche auf bestimmte Orte, Städte oder gar Regionen; Akzeptanz oder Ablehnung von Menschen, die ‚anders‘ sind; Akzeptanz von wissenschaftlichen Erkenntnissen; Formen des Zusammenlebens (eine oder mehrere Ehefrauen, heterosexuelle Partnerschaften oder andere Formen, Formen des Geschlechtsverkehrs,…); Abtreibung oder nicht; Sterbehilfen ja oder nein; Genetik des Menschen, Gentechnologie im großen Stil; Vorlieben für bestimmte Musik; Umgang mit Bildern; Theater, Musicals, experimentelle Musik; Architektur; Umgang mit Abfall, Müll; Umgang mit Armut und Krankheit; Umgang der Generationen untereinander; Umgang mit der Natur, Nachhaltigkeit; usw.
(12) Diese heute real existierende Verschiedenartigkeit kann man als Chance verstehen oder als Bedrohung. Je weniger ein Mensch weiß, umso mehr tendiert er dahin, Verschiedenartigkeit als ‚Fremdartigkeit‘ aufzufassen, als potentielle oder reale ‚Bedrohung‘, die fast täglich ‚reizt‘, bis dahin, dass man anfängt, dieses ‚Andere‘ mehr oder weniger zu verteufeln oder gar real zu bekämpfen. Die eigene Unfähigkeit, verschiedene Standpunkte, insbesondere auch den eigenen, aufgrund der komplexen Voraussetzungen bis zu einem gewissen Grad zu ‚relativieren‘ und darin ein gewisses Verständnis für die ‚Andersartigkeit des Anderen‘ zu entwickeln (eine Form von ‚Weisheit‘), führt fast unweigerlich zu Spannungen, aus denen nahezu alles erwachsen kann (abhängig von den Umständen).
(13) Aufgrund der individuellen Grenzen ist ein einzelner Mensch in der Regel überfordert, die Vielfalt herrschender Weltanschauungen erschöpfend und systematisch so aufzuarbeiten, dass er ein volles Verständnis erlangt und dann noch darüber hinaus möglicherweise seine eigene, neue integrierende Sicht entwickelt, die dann auch noch von hinreichend vielen anderen Menschen geteilt wird.
(14) Das Maximum,was ein einzelner in der Regel erreichen kann, ist eine gewisse ‚Toleranz‘ gegenüber ‚Andersartigkeit‘, getragen von einem grundsätzlichen Respekt vor der Person anderer Menschen, und der Bereitschaft, möglicherweise etwas dazu zu lernen.
(15) Sofern es in einer modernen Gesellschaft eine funktionierende Öffentlichkeit gibt, lebendige Schulen, offene und kritische Hochschulen und eine kritische Forschung, kann es passieren, dass die Vielzahl dieser Unterschiede sich im täglichen Miteinander auf Dauer ‚mischen‘, ‚wechselseitig aneinander abarbeiten‘, sich z.T. relativieren, z.T. verstärken, sich auf neue Weise ‚integrieren‘ usw. Dies ist ein Prozess, der Zeit braucht, der aber auf Dauer die ‚größere‘ bzw. ‚tiefere‘ Wahrheit ‚ans Licht‘ bringen wird. Aus der komplexen Struktur von Weltbildern, ihrer Entstehung und ihrer Vermittlung ergibt sich, dass kein einzelner Mensch ‚Herr der Weltbilder‘ ist! Weltbildern sind ein ‚vermittelndes Etwas‘ zwischen Menschen; sie leben von der Aktivität jedes einzelnen Menschen, wirken aber auch auf diesen zurück. Es gab und gibt immer wieder Machtgruppen, die versuchen, die Gestalt von Weltbildern zu ‚kontrollieren‘ (weil sie angeblich um die ‚Wahrheit‘ besorgt oder wegen des ‚Gemeinwohls‘ oder wegen der ‚Staatsräson‘ oder….), aber es gehört zum Wesen der Weltbilder, dass sie sich letztlich nicht vollständig kontrollieren lassen. Wohl aber kann es passieren, dass die Mehrheit einer Population (von bestimmten Interessengruppen) so beeinflusst wird, dass nur eine bestimmte konkrete Ausformung eines Weltbildes akzeptiert und unterstützt wird (z.B. versuchen sogenannte christliche Fundamentalisten die Fakten der modernen Evolutionsforschung (Weltall, chemische Evolution, biologische Evolution…) über Gesetzgebung aus den Schulzimmern zu verbannen (es gibt viele andere, vielleicht noch schlimmere, Beispiele).
(16) Den meisten Gewinn haben alle, wenn Verschiedenartigkeit zum Anlass wird, die Art und Weise dieser Verschiedenartigkeit genauer zu untersuchen, die Gründe für diese Verschiedenartigkeit zu ermitteln, diese Gründe genau abzuwägen, um dann zu einem kritisch geläuterten Bild einer ‚erneuerten‘ Weltanschauung zu kommen, in der alle Beteiligten verstanden haben, warum und wie man dieses ‚erneuerte‘ Bild unterstützen sollte. Sogenannte ‚Religionen‘ haben meist das Problem, dass sie zumindest Teile ihrer Weltanschauung so ‚tabuisiert‘ haben, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Voraussetzungen schon im Vorfeld ‚verboten‘ wird. Damit gibt es ‚dunkle Flecken‘ auf der ‚Landkarte des Wissens‘, die von den jeweiligen ‚Sprechern‘ solcher Weltanschauungen für beliebige Interpretationen ‚missbraucht‘ werden können. Im Namen der ‚Wahrheit‘ können Sie dann die ‚Un-Wahrheit‘ verkünden. Eine unglückliche Konstellation, die vielen Schaden anrichten kann.
(17) Bei einer kritischen Untersuchung der möglichen Gründe für Verschiedenartigkeiten ist es normalerweise unausweichlich, die jeweiligen Menschen als ‚Träger‘ von Weltanschauungen bzw. als deren ‚Erzeuger‘ näher zu untersuchen. Da es ja u.a. der Körper und das Gehirn eines Menschen sind, die überhaupt so etwas wie eine ‚Weltanschauung‘ entstehen zu lassen bzw. sie zu ‚pflegen‘, ist eine genaue Untersuchung dieser Verhältnisse unumgänglich. Was können wir überhaupt wahrnehmen? Wie kann unser Gehirn aus isolierten einzelnen Sinnesdaten aus verschiedenen Sinnesorganen überhaupt zusammenhängende Objektbegriffe erzeugen? Was heißt Verallgemeinerung? Wie können wir überhaupt ein Objekt ‚wiedererkennen‘? Wodurch können unsere Verallgemeinerungen und Erinnerungen ‚gestört’/ ‚beeinträchtigt‘ werden? Welche Zusammenhänge können wir überhaupt erkennen? Wieso und wie können wir aus Erkanntem auf mögliche Ereignisse in der Zukunft schließen (Prognose)? Warum und wie können wir Prognosen überprüfen? Warum und wie kann ein Mensch A wissen, was ein anderer Mensch B ‚denkt‘ und ‚fühlt‘? Wie funktioniert überhaupt Sprache? Wie kommen die ‚Worte‘ zu ihrer ‚Bedeutung‘? Woher kann ich überhaupt ‚wissen‘, was der andere ‚meint‘, wenn er eine bestimmte sprachliche Äußerung tätigt? Usw. usw.
(18) Die Geschichte der christlichen Bibelauslegung ist ein beeindruckendes Zeugnis davon, wie jede Zeit ihr ‚Bild‘ vom Offenbarungsgehalt aufgrund neuer Erkenntnisse beständig verändert und erweitert hat. Andererseits kann man auch sehen, wie nicht nur das Gesamtbild sich im Laufe der Zeit geändert hat, sondern dass auch — abhängig von bestimmten speziellen Annahmen – ganz unterschiedliche, konkurrierende Deutungen innerhalb des Christentums entstanden sind. Die greifbare Tatsache, dass das Christentum heute in viele Spielarten zerfällt und auf wichtige moderne Erkenntnisse keine wirklich konsistent-überzeugende Antwort parat hat, kann man als Hinweis deuten, dass die philosophisch-theoretische Reflexion auf die Voraussetzungen von Glauben und Erkennen nicht hinreichend ausgearbeitet worden sind. In vielen christlichen Spielarten fehlen solche systematische Untersuchungen mehr oder weniger vollständig (ob andere Religionen wie Judentum und Islam hier mehr geleistet haben, kann ich nicht beurteilen; die äußeren Indizien legen zunächst mal die Vermutung nahe, dass es beim Judentum und Islam mit kritischen Reflexionen auf die Voraussetzungen von Glauben und Erkennen eher noch schlechter bestellt ist).
(19) Ich persönlich halte es für keine gute Strategie, unterschiedliche Weltanschauungen mit unterschiedlichen Methoden zu untersuchen und zu behandeln. Jede Art von Weltanschauung — ob politisch, wirtschaftlich, künstlerisch-ästhetisch, religiös, usw. — wird von Menschen mit konkreten Körpern und Gehirnen praktiziert, in einer gemeinsam geteilten Welt, die allgemein zugänglichen Gesetzen unterliegt, die für alle Menschen gleich sind. Wir alle unterliegen der gleichen Herausforderung, die Population des homo sapiens sapiens in Gemeinschaft mit allen anderen Populationen auf dieser Erde, in diesem Sonnensystem, in dieser Milchstraße ‚am Leben‘ zu erhalten, wobei es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch viele offene Fragen gibt, was viele Details angeht. Sofern eine Weltanschauung dazu beiträgt, dass dieser Prozess mit dem ‚maximalen Wohlergehen für alle‘ unterstützt wird, ist diese Weltanschauung ‚hilfreich‘, andernfalls ‚hindert‘ sie und ist in diesem Sinne eher schädlich. Da aber bis heute – und vermutlich auch bis weit in die Zukunft hinein — die Frage, was letztendlich ‚hilft‘ und was das ‚maximal Gute‘ für die einzelnen Populationen ist, kaum von einzelnen Menschen mit letzter Klarheit beantwortet werden kann, sind ‚Vorsicht‘, ‚Respekt‘, ‚Toleranz‘, ‚Geduld‘ usw. im Umgang miteinander die wichtigsten Regeln.
LITERATURNACHWEIS
Gans, P. „BEVÖLKERUNG. Entwicklung und Demographie unserer Gesellschaft“, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2011
Ein Überblick über alle bisherigen Einträge findet sich hier.
(1) In dem vorausgehenden Beitrag hatte ich versucht, auf der Basis der philosophischen Überlegungen seit Januar (letztlich natürlich noch Monate und Jahre weiter zurück) in einem Diagramm die grundsätzlichen Verhältnisse zu skizzieren, die man berücksichtigen muss, will man über das Zusammenspiel all der verschiedenen möglichen wissenschaftlichen und philosophischen Theorien sprechen, einschließlich des alltäglichen Denkens.
(2) Dabei ist mir ein gravierender Fehler unterlaufen, der natürlich nicht zufällig ist, sondern aus der Art und Weise resultiert, wie unser Denken funktioniert.
(3) Das Bild, so wie es jetzt ist (siehe Bild 1), zeigt — wie in einer Landkarte — das erkennende Individuum aus einer ‚Draufsicht‘ (3.Person) mit seinem Körper, darin enthalten sein Gehirn, und innerhalb des Gehirns irgendwo die subjektiven Erlebnisse als ‚Phänomene [PH]‘.
(4) Der Fehler liegt darin begründet, dass das subjektive Erkennen niemals als ‚Objekt einer dritten Person-Perspektive‘ auftreten kann. Das ist ja gerade das Besondere der subjektiven Erkenntnis, dass sie die ‚Innenansicht‘ eines Gehirns ist, das subjektive Erleben eines bestimmten Menschen (oder auch mit Abwandlungen eines Tieres), ’seines‘ Erlebens, bei Husserl dem ‚transzendentalen ego‘ zugeordnet. D.h. das ‚primäre Erkennen‘ ist in einem subjektiven Erleben verortet, das als solches kein Objekt einer dritten Person sein kann.
(5) Diesem Sachverhalt trägt Bild 2 Rechnung. Das Erkennen startet dort bei der Menge der Phänomene. Wie Husserl – und auch viele andere – zurecht herausgestellt hat, sind die Phänomene aber nicht nur ‚in sich geschlossene Objekte‘, sondern ‚phänomenologische Tatbestände‘ in dem Sinne, dass ihr ‚Vorkommen/ Auftreten‘ begleitet ist von einem ‚Wissen über sie‘; jemand, der ‚etwas erkennt‘, ‚weiß‘ dass er erkennt. Das wird im Diagramm durch den Pfeil mit dem Label ‚Reflexion‘ ausgedrückt: Im ‚Wissen um etwas‘ – Husserl nennt dies ‚Intentionalität‘ des Erkennens – können wir alles, was der Inhalt dieses primären Wissens ist, hinsichtlich möglicher unterscheidbarer Eigenschaften ‚explizit unterscheiden‘ und ‚bezugnehmende Konzepte‘ bilden.
(6) Und da der Mensch – in Ansätzen auch einige Tierarten – die wundersame Fähigkeit besitzt, ‚Gewusstes‘ [PH_Non-L] in Beziehung zu setzen (assoziieren, Assoziation) zu anderem Gewussten, das als ‚verweisenden Etwas‘ (Zeichen) [PH_L] dienen soll, kann der erkennende Mensch die ‚Inhalte seines Bewusstseins‘ – die Phänomene [PH] – mit Hilfe solcher verweisender Zeichen ‚kodieren‘ und dann unter Verwendung solcher kodierender Zeichen ‚Netzwerke solcher Zeichen‘ bilden, die – je nach ‚Ordnungsgrad‘ – mehr oder weniger ‚Modelle‘ oder gar ‚Theorien‘ bilden können.
(7) Da das begleitende Wissen, die Reflexion, in der Lage ist, auch ‚dynamische Eigenschaften‘ der Phänomene zu erfassen (‚Erinnern‘, ‚Vorher – nachher‘,…) kann diese Reflexion auch – nach sehr vielen Reflexionsschritten – unterscheiden zwischen jenen Phänomenen, die geschehen ‚ohne eigenes Zutun‘ (ohne eigenes ‚Wollen‘) und den anderen. Das ‚ohne eigenes Zutun‘ kann aus jenen Bereichen des ‚eigenen Körpers‘ herrühren, die die Reflexion ’nicht unter Kontrolle‘ hat oder aus Bereichen ‚außerhalb des Körpers‘, den wir dann auch ‚intersubjektiv‘ nennen bzw. neuzeitlich ‚empirisch‘ [PH_emp].
(9) In einer phänomenologischen Theorie [TH_ph], deren Gegenstandsbereich die subjektiven Erlebnisse [PH] sind, kann man daher die charakteristische Teilmenge der empirischen Phänomene [PH_emp] identifizieren. Daneben – und zugleich – kann man all die anderen Eigenschaften der Phänomene samt ihrer ‚Dynamik‘ unterscheiden und begrifflich ausdrücklich machen. Eine genaue Beschreibung aller möglicher Unterscheidung ist sehr komplex und ich habe nicht den Eindruck, dass irgend jemand dies bis heute erschöpfend und befriedigend zugleich geleistet hat. Möglicherweise kann dies auch nur als ein ‚Gemeinschaftswerk‘ geschehen. Dazu müsste man eine geeignete Methodik finden, die dies ermöglicht (vielleicht sind wir Menschen technologisch erst jetzt (2012, ca. 13.7 Milliarden Jahre nach dem Big Bang, ca. 3.7 Milliarden Jahre nach dem ersten Auftreten von lebensrelevanten Molekülen auf der Erde…) langsam in der Lage, eine solche Unternehmung einer ‚gemeinsamen Theorie des menschlichen phänomenalen Bewusstseins‘ in Angriff zu nehmen).
(10) Vieles spricht dafür, dass die unterschiedlichen Versuche von Philosophen, die Vielfalt der Reflexionsdynamik (und deren ‚Wirkungen‘ auf den Bewusstseinsinhalt) mit Hilfe von sogenannten ‚Kategorientafeln‘ zu strukturieren (keine gleicht wirklich völlig der anderen), in diesen Kontext der Bildung einer ‚phänomenologischen Theorie‘ [TH_ph] gehört. Idealerweise würde man – zumindest einige der bekanntesten (Aristoteles, Kant, Peirce, Husserl,…) – vor dem aktuellen Hintergrund neu vergleichen und analysieren. Sofern diese die Struktur der Dynamik des ’sich ereignenden Denkens‘ beschreiben, müssten diese Kategorientafeln letztlich alle ’strukturell gleich‘ sein. Dabei unterstellen wir, dass die Dynamik des Denkens der einzelnen Menschen aufgrund der Gehirnstruktur ‚hinreichend ähnlich‘ ist. Dies ist aber streng genommen bis heute nicht erwiesen. Die vielen neuen Erkenntnisse zur Gehirnentwicklung und zum individuellen Lernen (einschließlich der emotionalen Strukturen) legen eher die Vermutung nahe, dass es sehr wohl individuelle Unterschiede geben kann in der Art und Weise, wie einzelne Menschen die Welt ‚verarbeiten‘. Träfe dies zu, hätte dies natürlich weitreichende Folgen für die Alltagspraxis und die Ethik (und die Moral und die Gesetze…).
(11) Hat man sich dies alles klar gemacht, dann wundert es nicht mehr, dass die Bildung wissenschaftlicher empirischer Theorien [TH_emp] nicht ‚außerhalb‘ einer phänomenologischen Theoriebildung stattfinden kann, sondern nur ‚innerhalb‘, und zwar aus mindestens zwei Gründen: (i) die Menge der empirischen Phänomene [PH_emp] ist eindeutig eine echte Teilmenge aller Phänomene [PH], also PH_emp subset PH. (ii) Die empirische Theorie TH_emp entsteht im Rahmen und unter Voraussetzung der allgemeinen Reflexion, die unser primäres Denken ermöglicht und ausmacht; wir haben kein ‚zweites‘ Denken daneben oder ‚jenseits‘ im ‚Irgendwo‘. Dies erklärt auch sehr einfach das häufig bemerkte Paradox der Metatheorie: Theorien sind nur möglich, weil wir ‚über‘ (Alt-Griechisch: ‚meta‘) sie ’nachdenken‘ können. Dieses ‚Nachdenken über‘ (Metareflexion‘) ist unter Annahme der allem Denken vorausgehenden und begleitenden primären Reflexion keine Überraschung. Was immer wie uns ‚ausdenken‘, es geschieht im Rahmen der primären Reflexion und von daher kann auch alles und jedes, was wir jemals gedacht haben oder uns gerade denken beliebig miteinander in Beziehung gesetzt werden. Bezogen auf diese vorausgehende und begleitende Reflexion ist jeder ‚Denkinhalt‘ grundsätzlich ‚unabgeschlossen‘; die primäre Reflexion ermöglicht eine ‚endliche Unendlichkeit‘, d.h. der prinzipiell nicht abgeschlossene Denkprozess kann – als ‚Prozess‘ – jede endliche Struktur immer wieder und immer weiter ‚erweitern‘, ‚ausdehnen‘, usf.
(12) Kennzeichen von neuzeitlichen empirischen Theorien ist ihre Fundierung in ‚empirischen Messverfahren‘ [MEAS]. Kennzeichen dieser empirischen Messverfahren ist es, dass sie unabhängig vom Körper eines Menschen und auch unabhängig von seinem individuellen Erkennen, Fühlen und Wollen bei gleicher ‚Durchführung‘ immer wieder die ‚gleichen Messergebnisse‘ [DATA_emp] liefern sollen. Ob und wieweit solche ‚unabhängigen‘ Messungen tatsächlich durchgeführt werden können ist eine ‚praktische‘ und ‚technologische‘ Frage. Die Geschichte zeigt, dass dieses Konzept auf jeden Fall trotz aller Probleme im Detail bislang extrem erfolgreich war.
(13) Allerdings ist hier folgender Umstand zu beachten: obwohl die Messergebnisse [DATA_emp] als solche idealerweise ‚unabhängig‘ vom Fühlen, Denken und Wollen eines Menschen erzeugt werden sollen, gelangen dieses Messergebnisse erst dann zu einer ‚theoretischen Wirkung‘, wenn es irgendwelche Menschen gibt, die diese Messergebnisse DATA_emp ‚wahrnehmen‘ (Englisch: perception, abgekürzt hier als ‚perc‘) können, damit sie als ‚auftretende Phänomene‘ – und zwar hier dann als empirische Phänomene [PH_emp] – in den Bereich des ‚Wissens‘ eintreten, also perc: DATA_emp —> PH_emp. Dies bedeutet, der besondere Charakter von empirischen Phänomenen haftet ihnen nicht als ‚gewussten Eigenschaften‘, nicht qua ‚Phänomen‘ an, sondern nur im Bereich ihrer ‚Entstehung‘, ihres ‚Zustandekommens‘ (aus diesem – und nur aus diesem – Grund ist es so wichtig, beim Umgang mit Phänomenen jeweils klar zu kennzeichnen, ‚woher diese stammen), der ihrem ‚Phänomensein‘ ‚vorausliegt‘.
(14) In dem Masse nun, wie wir mittels empirischer Messungen Daten über das beobachtbare menschliche Verhalten [DATA_sr], über physiologische Eigenschaften des Körpers [DATA_bd] bzw. auch über Eigenschaften des Nervennetzes im Körper (‚Gehirn‘) [DATA_nn] gewonnen haben, können wir versuchen, basierend auf diesen verschiedenen Daten entsprechende wissenschaftliche Theorien TH_sr, TH_bd, TH_nn zu formulieren, die die Gesetzmäßigkeiten explizit machen, die durch die Daten sichtbar werden.
(15) Der wichtige Punkt hier ist, dass alle diese Theorien nicht ‚unabhängig‘ oder ‚jenseits von‘ einer phänomenologischen Theorie zu verorten sind, sondern ‚innerhalb‘ von dieser! Jede beliebige Theorie kann immer nur eine Theorie ‚innerhalb‘ der umfassenden und zeitlich wie logisch vorausgehenden phänomenologischen Theorie sein. Eine spezifische empirische Theorie [TH_i] zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie sich auf eine echte Teilmenge [PH_i] aller verfügbarer Phänomene [PH] beschränkt. Gerade in dieser methodischen Beschränkung liegt – wie der Gang der Geschichte uns lehrt – der große Erfolg dieser Art von Theoriebildung. Zugleich wird aber auch deutlich, dass jede dieser speziellen Theorien TH_i aufgrund ihrer speziellen Datenmengen DATA_i (denen die entsprechenden Phänomenmengen PH_emp_i] korrespondieren) zunächst einmal nichts mit einer der vielen anderen speziellen Theorien TH_j ≠ TH_i zu tun hat. Es ist eine eigene theoretische Leistung, Querbeziehungen herzustellen, strukturelle Ähnlichkeiten aufzuzeigen, usw. Dies fällt dann in den Bereich ‚interdisziplinärer Theoriebildung‘, ist ‚Metatheorie‘. Diese Art von metatheoretischen Aktivitäten ist aber nur möglich, da die primäre Reflexion alle Arten von speziellen Reflexionen zeitlich und logisch vorausgeht und das entsprechende ‚Instrumentarium‘ zur Verfügung stellt.
(16) In diesem Kontext ist unmittelbar einsichtig, dass subjektives Wissen prinzipiell kein Gegenstand empirischer Theoriebildung sein kann. Im Umfeld der modernen Neurowissenschaften (einschließlich Neuropsychologie) sowie im Bereich der Psychologie ist dieser grundsätzliche Tatbestand – so scheint es – bislang methodisch nicht wirklich sauber geklärt. In unzähligen Experimenten mischen sich klare empirische Vorgehensweisen mit der Benutzung von subjektiven Daten, was methodisch ungeklärt ist. Dies durchzieht alle ‚Kreise‘.
(17) Will man von der einzigartigen Datenquelle des primären Wissens PH für wissenschaftliche empirische Forschung PH_emp profitieren, bietet sich bislang einzig ein ‚hybrides‘ Vorgehen an, in dem ein Mensch sein eigenes subjektives Wissen PH auf der Basis einer ‚zeitlichen Korrelation‘ (t,t‘) mit empirischen Daten PH_emp, die von anderen Wissenschaftlern mittels Messungen über seinen Körper und sein Nervennetz erhoben werden. Also etwa CORR((t,t‘), PH, PH_emp). Dies ist zwar mühsam und fehleranfällig, aber die einzige methodische Möglichkeit, mit diesen ungleichen Phänomenmengen zurecht zu kommen (Mir ist nicht bekannt, dass irgendjemand diese scharfe methodische Forderung bislang erhebt geschweige denn, dass irgend jemand danach tatsächlich vorgeht).
(18) Für die weiteren Überlegungen soll versucht werden, diesen methodologischen Anforderungen gerecht zu werden.
(19) Es zeigt sich nun auch sehr klar, dass und wie das philosophische Denken gegenüber allen anderen theoretischen Erklärungsansätzen tatsächlich eine Sonderstellung einnimmt. Das philosophische Denken ist das fundamentale Denken, das jeglichem speziellen Denken zeitlich und logisch voraus liegt, nicht als Gegensatz oder als etwas ganz Anderes, sondern als das primäre Medium innerhalb dessen sich alles andere ‚abspielt‘. Während ich eine spezielle empirische Theorie als ‚Objekt des Wissens‘ klar abgrenzen und beschreiben kann, ist die dazu notwendige Metareflexion als solche kein ‚Objekt des Wissens‘, sondern immer nur ein nicht weiter hintergehbares ‚Medium‘, eben das ‚Denken‘, in dem wir uns immer schon vorfinden, das wir nicht erst ‚machen‘, das wir nur ‚benutzen‘ können. Die ‚Eigenschaften‘ dieses unseres Denkens ‚zeigen‘ sich damit auch nur ‚indirekt‘ durch die ‚Wirkung‘ der Denkaktivität auf die Inhalte des Bewusstseins (Eine Kooperation von empirischer Psychologie TH_emp_psych und phänomenologischer Analyse TH_ph kann hilfreich sein, allerdings sind die Gegenstandsbereiche DATA_emp_psych als PH_emp_psych und PH komplett verschieden und wirklich interessant würde es erst dann, wenn wir eine TH_emp_psych einer TH_ph gegenübersetzen könnten (bislang sehe ich nirgends – nicht einmal in Ansätzen – eine phänomenologische Theorie, die diesen Namen verdienen würde, noch eine wirkliche empirische psychologische Theorie, und das im Jahr 2012).
Ein Überblick über alle bisherigen Einträge findet sich hier.
In dem Online-Skript General Computational Learning Theory versuche ich, diese erkenntnisphilosophischen Aspekte zu berücksichtigen. Ich kann in diesem Skript allerdings nur einen Teilbereich behandeln. Aber aus diesen sehr abstrakt wirkenden Überlegungen ist meine ‚Rückkehr zur Philosophie‘ entscheidend mitbeeinflusst worden.
(1) Wie die vorausgehenden Beiträge auf unterschiedliche Weise gezeigt haben, führt die Frage nach dem ‚Sinn‘ (eng verknüpft mit der Frage nach der Wahrheit), wenn man sie ernsthaft stellt, schnell auf allerlei ‚Randbedingungen‘ des ‚Erkennens‘, die nicht nur ‚passiver Natur‘ sind (was ‚uns geschieht‘), sondern zugleich auch vielfältiger ‚aktiver‘ Momente (was ‚wir tun‘), damit wir überhaupt etwas erkennen, ‚wie‘ wir erkennen, ‚wann‘, ‚wo‘, usw. ‚Erkennen‘ zeigt sich somit als ein komplexes Geschehen, eingebettet in eine Vielzahl von Randbedingungen, die eine unüberschaubare Anzahl von Möglichkeiten zulassen.
(2) In jeder dieser unendlich vielen Kombinationen haben wir ein Erkenntniserlebnis, was immer auch die aktuelle Konstellation sein mag (Fernsehen gucken, Lesen, Laufen, reden, arbeiten, Malen, Streiten, Internet surfen, ….). Dieses aktuelle Erlebnis ist als Erlebnis ‚real‘. Wir können uns diesem realen Erleben nicht entziehen. Wir sind ‚mitten drin‘. Und wenn wir über das, was wir erleben, nicht explizit und zusätzlich ’nachdenken‘ (reflektieren…), dann ist die Welt das, was wir aktuell faktisch erleben (Wittgensteins berühmter Satz ‚Die Welt ist, was der Fall ist‘ (der in einem ganz bestimmten Kontext geäußert wurde) würde hier jetzt genau dies bedeuten: die Welt ist, was ich erlebe (was Wittgenstein genau vehement abstreiten würde (das war sein Problem…)). Denn nur das haben wir zur Verfügung (oder, wie zuvor mehrfach ausgeführt, das ist das, was das Gehirn ’sich selbst‘ aufgrund der verfügbaren Signale ‚zubereitet‘ (… wobei ‚Gehirn‘ ein komplexes theoretisches Konzept ist, dessen Anführung in diesem Kontext für viele Leser eher irreführend als zielführend sein kann)).
(3) Was die Sache mit dem Erleben (aus theoretischer Sicht) ’schwierig‘ macht (mit den entsprechenden weitreichenden Folgen für das alltägliche praktische Leben), ist die Tatsache, dass unser Erleben (wie jetzt schon oft besprochen) keine 1-zu-1-Abbildung von ‚Dingen außerhalb des Körpers‘ ist, sondern eine permanente dynamische Konstruktionsleistung unseres Gehirns, das aktuell verfügbare Signale mit schon zuvor ‚erworbenen (gelernten?)‘ Daten (Erinnerung, Gedächtnis) ‚verrechnet‘ und ‚Arbeitshypothesen‘ entwickelt, wie das alles ‚zusammenpassen‘ (Kohärenz, Konsistenz…) kann. Da das Gehirn endlich ist und in knapp bemessener Zeit aus einer Signalflut permanent auswählen muss, fallen beständig Sachen unter den Tisch, werden ausgeklammert, werden Dinge ‚vereinfacht‘ usw. Auf der ‚Habenseite‘ dieses atemberaubenden Geschehens verbleibt aber ein ‚Erkenntniseindruck‘, der ‚uns‘ das Gefühl vermittelt, wir ’sehen‘ etwas, wir ‚hören‘, usw.
(4) Dieser permanente Rückgriff auf ’schon Bekanntes‘ hat den großen Vorteil, dass die meist unvollkommenen Daten durch den Bezug auf ‚Ähnliches‘ ‚ergänzt‘ (interpretiert, gedeutet…) werden können und damit der ‚Entscheidungsprozess‘ während der ‚Berechnung‘ der ‚möglichen Strukturen in den Signalströmen‘ in Richtung des ’schon Bekannten‘ geleitet und damit abgekürzt werden kann (in Experimenten im Rahmen der Phonetik konnte man zeigen, dass Menschen bei der Identifizierung von akustischen Signalen ohne ‚Kontextwissen‘ deutlich schlechter waren, als mathematische Algorithmen für die Signalerkennung. Sobald die Menschen aber nur ein wenig Kontextwissen besaßen, waren sie den Algorithmen (nachvollziehbarerweise) deutlich überlegen. Andererseits konnte man sie dadurch aber auch gezielter ‚manipulieren‘: wenn man weiß, welches Kontextwissen bei einem bestimmten Menschen ‚dominant‘ ist, dann kann man ihm Daten so servieren, dass er diese Daten ’spontan‘ (wenn er nicht kritisch nachdenkt) im Sinne seines Kontextwissens interpretiert und damit zu ‚Schlüssen‘ kommt, die mit der tatsächlich auslösenden Situation gar nichts mehr zu tun haben).
(5) Diese ambivalente Rückwirkung des ’schon Bekannten‘ wird noch komplexer, wenn man berücksichtigt, dass mit dem Erlernen einer Sprache die ‚Gegenstandswelt‚ erweitert wird um eine ‚Welt der Zeichen‚, die auf diese Gegenstandswelt (und auf sich selbst!) auf vielfältige Weise ‚verweisen‘ kann. Ein sprachlicher Ausdruck als solcher ist auch ein reales Erlebnis, das aber – im Normalfall – von sich weg auf etwas ‚Anderes‘, auf seine ‚Bedeutung‘ ‚verweist‘. Jede mögliche Bedeutung ist letztlich immer erst mal wieder nur ein Erlebnis, das irgendwann einmal stattgefunden hat, und sei es als bloß ‚Imaginiertes/ Vorgestelltes/…‘. D.h. die Verwendung der Sprache als solche führt nicht grundsätzlich über den Bereich des Erlebbaren hinaus. Ein Denken mit Hilfe von sprachlichen Ausdrücken ist nur ’strukturierter‘, ‚berechenbarer‘, ‚handhabbarer‘ als ein Denken ohne sprachliche Ausdrücke. Sprache erlaubt die ‚wunderbare Vermehrung der Dinge‘, ohne dass real die Dinge tatsächlich vermehrt oder verändert werden (ein Roman von vielen hundert oder gar über tausend Seiten kann für den Leser ein sehr intensives ‚Erlebnis‘ erzeugen, gestiftet von einem bunten Strauss von sprachlich induzierten ‚Vorstellungen‘, die als solche real sind, ohne dass diesen Vorstellungen irgendetwas in der Außenwelt entsprechen muss.
(6) Mit den modernen Medien (Film, Fernsehen, Video, Computeranimation…) wird die Erzeugung von ‚Vorstellungen‘ nach ‚außen‘ verlagert in ein Medium, das Erlebnisse erzeugt ’scheinbar wie die Außenwelt‘, die aber ‚willkürlich erzeugt‘ wurden und die mit der empirisch-realen Welt nichts zu tun haben müssen. Dem ‚Erlebnis als solchem‘ kann man dies u.U. Nicht mehr ansehen, sofern man nicht (wie auch in allen anderen Fällen) sehr bewusst ‚kritisch‘ Randbedingungen überprüft und berücksichtigt. Während das Lesen eines Romans ‚als Lesen‘ deutlich macht, dass alle durch das Lesen induzierten Erlebnisse ‚künstlich‘ sind, kann das sehen/ hören/ fühlen… eines künstlichen Mediums die Einsichtsschwelle in die ‚Künstlichkeit‘ immer ‚höher‘ legen. Ein Film über ‚Erfundenes‘ neben einem Film über ‚empirisch-Reales‘ ist nicht mehr ohne weiteres identifizierbar.
(7) Sofern man nicht explizit die Frage nach der ‚Wahrheit‘ stellt (ich definiere ‚Wahrheit‘ hier jetzt nicht; siehe dazu die vorausgehenden Reflexionen) sind alle diese möglichen Erlebniswelten (real-empirisch bezogen oder beliebig generiert) aus Sicht des Erlebens ‚gleichwertig‘. Wer hier nicht ausdrücklich immer darauf achtet, was wann wie von wem mit welcher Absicht usw. ‚erzeugt‘ wurde, für den verschwimmen alle diese erlebnisfundierten Bilder zu einem großen Gesamtbild, wo jedes jedes ‚interpretiert‘ und wo die Frage nach der Wahrheit aus den Händen gleitet. Dennoch bieten alle diese Bilder – so verzerrt und willkürlich sie auch sein mögen – für den, der sie ‚hat‘ eine ‚Interpretation‘ und damit einen ‚möglichen Sinn‘. Ohne die ‚Gewichtung‘ durch den Aspekt der Wahrheit sind alle diese ‚möglichen Sinne‘ ‚gleichwertig‘. Es gibt im Bereich des möglichen Sinns keine ausgezeichnete Instanz, die einen besonderen Vorzug verdienen würde. Entsprechend ‚bunt‘ ist das Bild, das sich bietet, wenn man schaut, was Menschen alles für ’sinnvoll‘ halten. Es kann für jemand anderen noch so ‚grotesk‘ erscheinen, für den ‚Besitzer‘ dieses Sinns ist es ‚der allein Seligmachende‘.
(8) Wie gesagt, solange man die Frage nach der ‚Wahrheit‘ ausklammert, geht alles. Die Frage nach der Wahrheit wiederum setzt eine ‚kritische Reflexion‘ auf Randbedingungen voraus. Wie der Alltag zeigt, ist aber den meisten Menschen gar nicht klar, was ‚kritische Reflexion‘ praktisch bedeutet. Selbst wenn sie ‚kritisch reflektieren‘ wollten, sie könnten es nicht. Millionen von Menschen sind zwar bereit, viel Geld, viel persönliche Zeit, ja sogar ihr ganzes persönliche Leben, in ‚Gefolgschaften‘ von Kursen und Organisationen zu investieren, ohne ein Minimum an kritischem Denken dafür zurück zu bekommen. Das ‚Verwirrspiel‘ um den ‚Sinn‘, um den ‚Lebenssinn‘, um den ‚wahren Sinn‘ wird damit nur schlimmer und furchtbarer. Meist werden ein paar Leute dadurch sehr viel reicher, und viele andere sehr viel ärmer. So etwas sollte immer als ein mögliches Alarmzeichen dienen, um darauf aufmerksam zu machen, dass es bei solchen Veranstaltungen (das müssen nicht nur sogenannte ‚Sekten‘ sein, das kann — wie wir täglich leidvoll dazu lernen — jede Art von sogenannten ‚Beratern‘ sein) nicht um ‚wahren Sinn‘ geht, sondern um simple materielle Vorteile einzelner auf Kosten anderer.
(9) Das Thema ist damit nicht erschöpft (was ja auch die vorausgehenden Eindrücke zusätzlich belegen können), …es ist nur eine ‚Notiz‘ zwischendurch….
LITERATURNACHWEISE
Wittgenstein, L.: Logisch-philosophische Abhandlung, W. Ostwald (Hrsg.), Annalen der Naturphilosophie, Band 14, 1921, S. 185–262
nachlesbar in:
Wittgenstein, L.: Logisch-philosophische Abhandlung, Tractatus logico-philosophicus. Kritische Edition. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998
Einen Überblick über alle Blogeinträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.
Einen Überblick über alle Themenbereiche des Blogs findet sich HIER.