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PHILOSOPHIE IM KONTEXT oder: BEGRIFFSNETZE oder: THEORIENETZWERKE

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(1) In dem Vortrag in Bremerhaven ist die Verzahnung von Philosophie und Wissenschaft hevorgehoben worden. Ansatzweise wurde skizziert, wie eine bewusstseinsbasierte Philosophie als das primäre Denken innerhalb seines Denkraumes einen ‚Unterraum‘ spezifizieren kann, der sich über die spezielle Teilmenge der ‚empirischen Phänomene‘ [PH_Emp] definiert bzw. umgekehrt, wie man ausgehend von den empirischen Disziplinen über die Frage nach den notwendigen Voraussetzungen zu einem größeren Zusammenhang kommen kann, der letztlich mit dem philosophischen Denken zusammenfällt. Versucht man, die begrifflichen Verhältnisse zwischen den verschiedenen hier einschlägigen Disziplinen zu klären, dann wird man alsbald feststellen, dass diese bei den meisten nicht ganz klar sind; dies betrifft die ganze ‚Community‘. Im Folgenden ein weiterer Versuch, die hier geltenden grundsätzlichen Verhältnisse transparent zu machen.

 

(2) Die grundsätzliche Idee (die ich seit mehr als 20 Jahren immer wieder mal auf unterschiedliche Weise versucht habe, — in erster Lnie mir selbst — zu verdeutlichen) ist im Schaubild Nr.1 angedeutet.

 

 

Gesamtrahmen Philosophie und Wissenschaften

 

 

(3) Nimmt man seinen Ausgangspunkt von existierenden empirischen Disziplinen wie Physik [Phys], Chemie [Chem], Biologie [Biol] usw. dann sind diese dadurch gekennzeichnet, dass sie aufgrund spezifischer Fragestellungen und spezifischer Messverfahren entsprechend verschiedene ‚Messwerte‘ gewinnen.

 

(4) Hierbei ist aber zu beachten, dass die empirischen Messwerte zwar – idealerweise – unabhängig von einem bestimmten Körper oder Bewusstsein ‚gewonnen‘ werden, dass sie aber nur in dem Maße in eine wissenschaftliche Theoriebildung eingehen können, als die Messwerte von Menschen auch ‚wahrgenommen‘ werden können, d.h. nur insoweit, als die handlungs- und technikbasierten Messwerte zu ‚bewussten Ereignissen‘ werden, zu ‚Phänomenen‘ [PH]. Als ‚Phänomen‘ ist ein Messwert und ein Zahnschmerz nicht unterscheidbar, allerdings haben sie verschiedene ‚Ursachen der Entstehung‘, die sich in einer ‚Reflexion‘ erschließen lassen. In dem Masse, wie man diese Unterscheidung durchführen kann, kann man dann innerhalb der ‚allgemeinen‘ Menge der Phänomene PH eine spezielle Teilmenge der ’speziellen‘ Phänomene ausgrenzen, also PH_Emp PH.

 

 

(5) In diesem Sinne kann man sagen, dass die Menge der empirischen Phänomene sich bezüglich ihrer ’speziellen Herkunft‘ von allen anderen Phänomenen unterscheiden und dass die verschiedenen empirischen Disziplinen sich diese spezielle Teilmenge auf unterschiedliche Weise ‚aufteilen‘. Idealerweise würde man sich die Menge der empirischen Phänomene PH_Emp zerlegt denken in endliche viele disjunkte Untermengen. Ob die tatsächlichen Messverfahren mitsamt den daraus resultierenden Messwerten real vollständig disjunkt sind, ist aktuell offen; spielt für die weiteren Überlegungen zunächst auch keine wesentliche Rolle. Wichtig ist nur, dass in diesem Zusammenhang nur dann von empirischen Daten wie z.B. ‚psychologischen Daten‘ DATA_SR gesprochen werden soll, wenn es reale Messwerte von realen Messvorgängen gibt, die von einem Menschen wahrgenommen werden können und dieser diese Phänomene als entsprechende empirische Phänomene PH_Emp_x interpretiert (das ‚x‘ steht hierbei für die jeweilige Disziplin).

 

(6) Wie in vorausgehenden Blogeinträgen schon mehrfach festgestellt, bilden empirische Daten DATA_x als solche noch keine wirkliche Erkenntnis ab. Diese beginnt erst dort, wo Verallgemeinerungen vorgenommen werden können, Beziehungen erkennbar sind, regelhafte Veränderungen, usw. Die Gesamtheit solcher struktureller Eigenschaften im Zusammenhang mit Daten nennt man normalerweise eine ‚Theorie‘ [TH]. Ob und inwieweit alle heutigen empirischen Disziplinen wirklich systematisches Wissen in Form von expliziten Theorien TH_x entwickeln, steht hier nicht zur Diskussion (es gibt sicher viel weniger explizite Theoriebildung als man sich wünschen würde. Die einzige Disziplin, von der man den Eindruck hat, dass sie überwiegend durch formale Konstrukte begleitet wird, die den Anspruch von Theorien erfüllen, ist die moderne Physik. Alle anderen Disziplinen fallen hinter das Ideal mehr oder weniger weit zurück.).

 

(7) Solange man sich nun innerhalb einer ganz bestimmten Disziplin bewegt, ist die Welt — in gewissem Sinne – ‚in Ordnung‘: man weiß wie man misst und man hat elementare Techniken, wie man Daten strukturiert. Fängt man an, Fragen nach den ‚Voraussetzungen‘ dieser fachspezifischen Theoriebildung zu stellen, nach der Angemessenheit der verwendeten Methoden, wird es schwierig, da für solche Fragen strenggenommen kein Instrumentarium verfügbar ist (Warum und wieso sollte ein Chemiker sich Fragen nach den Grundlagen der Erkenntnis stellen, aufgrund deren er überhaupt etwas erkennt, oder nach dem Problem der sprachlichen Bedeutung, wenn er über chemische Sachverhalte spricht, über die Angemessenheit seiner Begrifflichkeit für den zu untersuchenden Gegenstand, usw.). Noch schwieriger wird es, wenn es um mögliche Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Theorieansätzen geht: ob und wie verhalten sich die Daten und theoretischen Modelle zwischen z.B. beobachtetem Verhalten in der Psychologie TH_SR mit zeitgleichen Messungen im Körper TH_Bd oder spezieller im Nervensystem TH_NN? Wann darf ich denn überhaupt von einer Theorie sprechen? In welchem Sinne kann ich Theorien TH_x und TH_y vergleichen? Diese – und viele andere – Fragen gehen weit über die fachspezifischen Fragestellungen hinaus, verweisen auf allgemeine fachübergreifende Zusammenhänge.

 

(8) Im deutschen Sprachraum gab es in der Zeit von ungefähr 1970 bis 1990 eine Phase, in der man verstärkt von ‚Wissenschaftstheorie‘ sprach als jener ‚Metadisziplin‘, die die allgemeinen Eigenschaften und Randbedingungen von ‚Theorien‘ untersucht und klärt. Im englischen Sprachraum nannte man dies ‚Philosophy of Science‘ (allerdings mit einer nicht ganz deckungsgleichen Bedeutung). Alle diese Strömungen haben – so scheint es – bis heute keinen nachhaltigen Einfluss auf den ’normalen Wissenschaftsbetrieb‘ nehmen können; eher ist das Thema sogar wieder rückläufig. Zwar bräuchte man es aus methodischen Gründen dringen, aber keiner will dafür Geld ausgeben.

 

(9) Die deutschsprachige Wissenschaftstheorie hatte den Nachteil, dass sie zwar versuchte, disziplinenübergreifend strukturelle Eigenschaften von Theorien zu klären, sich aber letztlich weigerte, sämtliche Voraussetzungen (einschließlich ihrer eigenen) zu reflektieren, d.h. die Wissenschaftstheorie nahm zwar einerseits gegenüber den Fachdisziplinen allgemeine Eigenschaften von Denken, Folgern, Sprechen, Messen usw. in Anspruch, die über die engen Fachdisziplinen hinausgehen, weigerte sich aber, diesen Anspruch in letzter Konsequenz zu reflektieren und auszuweisen (auch nicht die Erlanger Schule und die sogenannten Konstruktivisten). Eine solche grundlegende Reflexion war und blieb die Domäne der klassischen Philosophie, von der sich die Wissenschaftstheorie panisch abzugrenzen versuchte.

 

(10) So sehr eine gesunde Kritik an der klassischen Philosophie nottat, eine vollständige Verdrängung der philosophischen Aufgabenstellung und Denkweise wirkte aber wie eine ‚Überreaktion‘; diese hatte zur Folge, dass sich die Wissenschaftstheorie von ihren eigenen Voraussetzungen mittels einer klassischen ‚Verdrängung‘ zu befreien suchte, sich dadurch aber entscheidende Aspekte vergab.

 

 

(11) Wie das Schaubild zeigt, gehe ich davon aus, dass die im Erleben wurzelnde Reflexion der primäre Ausgangspunkt für jede Art von spezialisierendem Denken ist. Selbst eine empirische Disziplin ist im Raum der bewussten Erlebnisse, im Raum der Phänomene, verankert, und was immer ein empirischer Wissenschaftler denkt, er denkt im Rahmen der Denkmöglichkeiten, die ihm über das Bewusstsein und die ‚an das Bewusstsein gekoppelten Subsysteme‘ verfügbar sind. Andere hat er gar nicht. Ein Wissenschaftstheoretiker, der über das theoretische Denken von Fachdisziplinen forschen will, ist auch nicht besser dran. Auch er ist an den Phänomenraum als primärem Bezugssystem gebunden und auch er nutzt jene allgemeinen Reflexionsmöglichkeiten, die im Bewusstseinsraum generell verfügbar sind. D.h. jeder Versuch, eine irgendwie geartetes geordnetes Denken — sei es fachwissenschaftlich oder wissenschaftstheoretisch – als solches auf seine Voraussetzungen und Wechselwirkungen hin zu befragen, muss auf dieses ‚primäre Denken‘ zurückgehen und es für die Erkenntnis nutzen. Dieses primäre Denken aber ist genau das philosophische Denken, das auf der einen Seite mit dem alltäglichen Denken verschwimmt, und auf der anderen Seite in Wissenschaftstheorie oder gar Fachwissenschaft übergeht.

 

(12) Von der Intention her hat sich ‚Philosophie‘ immer als solch ein ‚erstes Denken‘ verstanden, das alles andere Denken umfassen sollte. In der konkreten Ausformung eines solchen ersten Denkens gab es aber immer vielfältige und starke Unterschiede. Generell kann man die Tendenz beobachten, dass das philosophische Denken sich entweder vom alltäglichen und wissenschaftlichen Denken ‚zu weit entfernt‘ hat oder aber umgekehrt diesem ‚zu nah‘ kam. Im letzteren Fall büßte Philosophie ihre kritisch-klärende Funktion ein.

 

(13) Will Philosophie beides zugleich realisieren, kritische Distanz wie auch kenntnisreiche Nähe, muss das philosophische Denken sowohl die ‚Form‘ eines wissenschaftlichen Denkens hinreichend klären wie auch die eigenen Erkenntnis — sofern überhaupt strukturierbar – entsprechend explizieren. Das philosophische Denken als ‚erstes Denken‘ wird zwar niemals seinen eigenen Anteil zugleich vollständig und korrekt explizieren können (das liegt primär an der Struktur des Denkens selbst sowie an der Verwendung von Sprache), aber es kann den Zusammenhang der einzelwissenschaftlichen Theorieansätze sowie deren allgemeinen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen soweit explizieren, dass klar wird, (i) was ist überhaupt eine Theorie TH_x, (ii) welche erkenntnistheoretischen Voraussetzungen müssen für eine bestimmte Theorie TH_x berücksichtigt werden, (iii) wie kann man das Verhältnis von Theorien beschreiben XREL(TH_x, TH_y), (iv) wie können Objektbeschreibungen aus unterschiedlichen Theorien (z.B. Eigenschaften von Neuronen beschrieben in einer neurowissenschaftlichen Theorie TH_nn, und Eigenschaften eines beobachtbaren Verhaltens in einer psychologischen Theorie TH_sr) aufeinander bezogen werden, usw.

 

(14) Fordern muss man aber auch, dass das philosophische Denken seine Inhalte, soweit sie explizierbar sind, auch in Form von Daten DATA_ph kenntlich macht, und, darauf aufbauend, verdeutlicht, welche Strukturen TH_ph das philosophische Denken vermeintlich besitzt bzw. benutzt, um die Möglichkeit und das ‚Funktionieren‘ der Einzeltheorien zu ‚erklären‘. In gewisser Weise muss die Philosophie genauso ein ‚Modell‘ ihres Gegenstandes bauen wie dies die anderen Wissenschaften auch tun. Im Fall der Philosophie geht es um den Menschen selbst, speziell um den Menschen, insofern er ‚erkennt‘, ‚Wissen‘ entwickelt‘, er ’spricht‘, und vieles mehr. Und natürlich könnte (bzw. sie müsste es!) die Philosophie — wie alle anderen Disziplinen auch – Computermodelle benutzen, um ihr theoretisches Modell vom erkenntnisfähigen und ethisch handelndem Menschen zu explizieren. ‚Computergestützte Philosophische Theorie‘ (etwa ‚computational philosophy‘) ist nicht nur kein Gegensatz sondern ein absolutes Muss! Ohne solche Modelle hat eine moderne Philosophie kaum eine Chance, die zu behandelnde Komplexität angemessen beschreiben zu können.

 

 

Eine korrigierte Version dieses Beitrags findet sich hier.

 

 

Einen Überblick über alle bisherigen Beiträge findet man hier.

 

 

(15) Weitere Details in Fortsetzungen bzw. im Rahmen meiner online-Skripte zur allgemeinen Lerntheorie.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DIE ANDERE DIFFERENZ – Teil3 – Definition des Lebens

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Datum: 6.März 2012

(1) Nachdem in vorausgehenden Blogeinträgen das biologische Leben mit dem Konzept der ‚anderen Differenz‘ beschrieben wurde ergänzt um   ein paar theoretische Überlegungen zu möglichen formalen Modellen, hier nochmals kurze Überlegungen zur ‚Definition‘ von ‚Leben‘.

 

(2) Definitionen im Sinne der formalen Logik sind solche Begriffe (‚Terme‘), die als ‚Abkürzungen‘ für eine Menge ’schon bekannter Eigenschaften‘ eingeführt werden. Also Definiendum := Definiens; das ‚Definiendum‘ ist das zu Erklärende und das ‚Definiens‘ ist das schon Bekannte, mit dem erklärt wird.

 

 

(3) Solch eine Definition sieht unscheinbar aus, stellt aber einen ‚Auswahlprozess‘ dar: aus der großen Menge E der verfügbaren bekannten Eigenschaften wird eine kleine Teilmenge E‘ ausgewählt, die künftig unter einem neuen ‚Namen‘ (Label) auftreten soll, da der Autor einer solchen  Einführung Gründe hat (das wird jetzt mal unterstellt), genau diese Eigenschaften E‘ als in mindestens einer ‚Hinsicht‘ als ‚relevant‘ anzusehen.

 

(4) Sofern es sich bei solchen Eigenschaften E‘ um ‚empirische Eigenschaften‘ handelt, also Eigenschaften von Dingen, die sich im intersubjektiven Raum ‚beobachten‘ – oder gar ‚messen‘ – lassen, kann eine solche Auswahl möglicherweise eine Menge von Eigenschaften beschreiben, die ein ‚zusammenhängendes Phänomen‘ beschreiben. Beispiele wären technische Geräte (Kafffeemaschine, Mobiltelefon, Waschmaschine,….) oder Gebäude (Einfamilienhaus, Bürogebäude, Brücke, …), aber auch Pflanzen und Tiere, oder Kombinationen davon wie eine ‚Viehweide‘, ein ‚Reservat‘, ein ‚Sumpfgebiet‘, ein ‚Dschungel‘, usw. Ein ‚zusammenhängendes Phänomen‘ wäre in diesem Sinne also so etwas wie ein ‚Gegenstand‘, ein ‚Objekt‘, eventuell mit ‚unscharfen Rändern‘, wo man unsicher ist, ob dies auch noch ein ‚Haus‘, ein ‚Telefon‘ oder eine bestimmte ‚Pflanze‘ ist.

 

(5) Die Bildung einer Auswahl von Eigenschaften E‘ mit einem neuen ‚Namen‘, mit einer neuen ‚Abkürzung‘, stellt im ’normalen Leben‘ meist ein Vorgang dar, bei dem Menschen versuchen solche Eigenschaftsbündel E‘ hervor zu heben, die für den praktischen Ablauf des Lebens irgendwie eine Bedeutung haben und die in dieser spezifischen Konstellation ‚vorkommen‘. Während bei technischen Geräten der Hersteller in der Regel sagen kann, welche Eigenschaften sein Gerät ‚laut Plan‘ haben soll (und wir aufgrund von solchen Angaben auch die Korrektheit und Vollständigkeit eines Gerätes samt seiner Funktion normalerweise überprüfen können), ist es bei  ’natürlichen Gegenständen‘ zunächst mal so, dass wir nicht wissen, was ‚laut Plan‘ dazugehören soll. Geologische und klimatische Prozesse z.B. sind so komplex, dass wir bis heute nicht nur viele konkrete Experimente anstellen müssen, um Hinweise DAT_emp auf ‚beteiligte Eigenschaften‘ ‚finden‘ zu müssen, wir können aufgrund solcher empirischer Messwerte DAT_emp mit den bisher bekannten Modellen TH_emp immer nur sehr begrenze Aussagen machen, Annäherungen an den Gesamtzusammenhang. Im Falle biologischer Gegenstände haben wir gelernt, dass wir mit RNA- bzw. DNA-Molekülen die ‚Pläne‘ für die daraus sich entwickelnden Pflanzen und Tieren vorliegen haben, eine genaue Zuordnung zwischen einem solchen RNA-/ DNA-Plan und den daraus sich ergebenden individuellen Wachstumsprozessen (Ontogenese) lässt sich aber bislang nur sehr begrenzt treffen. Immerhin hat man mit diesen Plänen eine Art ‚Signatur‘ des jeweiligen zugehörigen Organismus in der Hand, und diese Signaturen kann man miteinander vergleichen. ‚Ähnlichkeiten‘ zwischen solchen Signaturen werden dann als ‚genetische Verwandtschaft‘ gedeutet; je ähnlicher umso mehr miteinander verwandt.

 

(6) Wenn es nun darum geht, zu definieren, was man unter dem neuen Begriff  ‚(biologisches) Leben‘ verstehen, dann steht man vor der Herausforderung, zu entscheiden, welche der bekannten empirischen Eigenschaften E‘ man als ‚relevant‘ ansieht für diesen Begriff. Welche Eigenschaft E’_i muss man unbedingt ‚dazutun‘ und zwar so, dass ein Verzicht auf diese Eigenschaft E’_i den Begriff wesentlich ‚unvollständig‘ machen würde, also E‘ = {E’_1, E’_2, …}.

 

(7) Wichtig hierbei ist schon der Hinweis ‚bekannt‘: wer immer sich an solch einer Begriffsbildung versucht, er wird das Problem haben, dass er/ sie immer nur aus jenen Eigenschaften E auswählen kann, die zu diesem Zeitpunkt ‚bekannt‘ sind. Das ‚verfügbare Wissen E‘ ist zu jeder Zeit t unterschiedlich gewesen, und auch innerhalb einer Zeitspanne (t, t‘) kann das verfügbare Wissen bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich sein (ein Spezialist für Pflanzenkunde wird in der Regel über ein ganz anderes Wissen E_x von E verfügen wie ein Jurist E_x‘ oder ein Schreiner E_x“, also E_x ≠ E_x‘ ≠ E_x“. Wenn man also über die ‚bekannten‘ Eigenschaften E spricht, dann sollte man also mindestens einen Zeitpunkt t mit angeben, oder ein Zeitintervall (t,t‘), und zusätzlich den jeweiligen ‚Autor‘. Angenommen t‘ sei deutlich später wie t, dann würde man vielleicht vermuten, dass die bekannten Eigenschaften E zum Zeitpunkt t‘ E(t‘) alle bekannten Eigenschaften E zu einem vorausgehenden Zeitpunkt t E(t) mit beinhalten E(t) subset E(t‘). Dies muss aber keinesfalls so sein, denn entweder ist dieses Wissen zwischendurch wieder verloren gegangen (durch die Zerstörung von Bibliotheken mit dem griechischen Wissen gab es viele Jahrhunderte, in denen das Wissen ‚geringer‘ war als zu den Zeiten der Griechen; erst durch die vor der Zerstörung angefertigten Übersetzungen ins Arabische, die mit dem Islam dann über Spanien wieder nach Europa kamen, gelang das Wissen dann wieder ‚zurück‘ in die Köpfe und entfaltete im Mittelalter eine neue, ungeheure Kraft), oder aber, man gewann neue tiefgreifende Einsichten, so dass man nun ‚andere‘ Eigenschaften E* subset E(t‘) kennt, die zuvor keine Rolle gespielt haben, also E(t) cut E(t‘) = E*, die dann nun in die Definition eingehen können. Die Entwicklung des Wissens um Eigenschaften im Laufe der Zeiten E(t) –> E(t+1) –> E(t+2) –> … muss also keinesfalls ‚geradlinig‘ verlaufen; eine Population kann Eigenschaften ‚vergessen‘, die schon mal wichtig waren oder ’neue‘ finden, die zuvor nicht bekannt waren.

 

(8) Bei meinen Überlegungen, die zum Konzept der Differenz führten, habe ich mich von vielen Autoren inspirieren lassen (siehe Blogeinträge vorher oder einige meiner Buchbesprechungen bei Amazon (Deutsch und Englisch!)). Direkt nenne würde ich hier jetzt nur Gale (2009) und – insbesondere — Ward und Brownlee (2000). Storch et al (2007) ist ein Beispiel – wie man es heute leider oft findet –wo hochkarätige Experten sehr viel Detailwissen zusammengetragen haben, wo aber der eigentliche ‚Leitbegriff‘ selbst — nämlich der des Lebens – nicht thematisiert wird! In einem Buch über ‚Evolutionsbiologie‘ gibt es keinen einzigen Gedanken dazu, was eigentlich der Leitbegriff all der vielen beeindruckenden Einzeluntersuchungen ist, keinerlei theoretisches Konzept zum Leben; hier wird mit großer Detailkenntnis eine molekulare ‚Maschinerie‘ im historischen Kontext geschildert, es bleibt aber – aus philosophie-wissenschaftlicher Sicht — völlig unklar, ob dies etwas mit ‚Leben‘ zu tun haben soll, weil nirgends definiert ist, was diese Autoren unter ‚Leben‘ verstehen (wobei aus übergreifendem Wissen klar ist, dass diese vielen Details natürlich ‚irgendwie‘ etwas mit ‚Leben‘ zu tun haben, nur vergeben sich diese Autoren eine Chance, dies klar zu machen).

 

(9) Die Variabilität der bekannten Eigenschaften E(t) hängt dabei nicht nur von der generellen ‚Bekanntheit‘ ab, sondern auch, wie die unten angeführten Publikationen demonstrieren, vom ‚Standpunkt des Betrachters‘. Wenn ich mich primär nur für die chemischen Eigenschaften bestimmter Moleküle interessiere, achte ich auf andere Aspekte, als wenn ich die Frage stelle, was denn die grob als ‚biologisch‘ klassifizierten Eigenschaften E_biol subset E_emp generell charakterisiert, auch mit Blick auf andere Kontexte als die Erde. Eine solche ‚erweiterte Perspektive‘ kennzeichnet die Astrobiologie. Sie fragt explizit nach den Bedingungen, unter denen ‚Leben‘ auf der Erde möglich wurde, ist und sein wird sowie, ob und in welchem Umfang ‚Leben‘ auch woanders im Universum möglich ist. Um solch eine Frage so generell stellen zu können, muss man sich Gedanken machen, wie man den möglichst prägnant den Begriff ‚Leben‘ so fasst, dass alle Eigenschaften E_life subset E_emp, die unbedingt notwendig sind, explizit kenntlich gemacht werden, so dass man das Phänomen ‚Leben‘ im gesamten Universum ‚identifizieren‘ kann. Dazu reicht es in keinem Fall, einfach zu unterstellen, jeder wisse ja, was ‚Leben‘ sei, daher genüge es, einfach mal unterschiedliche dinge aufzuzählen, die irgendwie in diesem Zusammenhang bekannt sind. Solche Aufzählungen haben zwar den grossen Vorteil, dass sie strenggenommen niemals ‚falsch‘ oder ‚wahr‘ werden können ( da ja nicht klar ist, im Hinblick auf welche Eigenschaftsmenge sie letztlich ‚bewertet‘ werden sollen), verlieren damit aber wissenschaftlich entschieden an Wert.

 

(10) Als einzelner Mensch beurteilt man das, was man möglicherweise unter ‚Leben‘ versteht, vom Standpunkt seines ’subjektiven Erlebens‘. Dies ist eine Mischung aus ‚Aussenweltwahrnehmungen‘ mit ‚Innenwahrnehmungen‘, also im letzteren Fall von allerlei diffusen Stimmungen, Gefühlen, Bedürfnissen usw. Wir können ‚Leben‘ gar nicht ohne unseren eigenen Standpunkt, nicht ohne die Besonderheiten unseres eigenen Körpers, wahrnehmen. Von daher haben persönliche Schilderungen von ‚Leben‘ stark psychologische und autobiographische Färbungen. Durch die moderne Wissenschaft haben wir aber gelernt, wie wie zwischen den ’subjektiven Anteilen‘ unserer Welterfahrung und den empirisch beschreibbaren Eigenschaften unterscheiden können. Da unser subjektives Erleben an unser Gehirn gebunden ist, dieses in einem Körper eingebettet ist, der sowohl eine individuelle Geschichte hat (Wachstum, Lernen, Ontogenese) wie auch als Teil einer Population eine phylogenetische Geschichte besitzt (die Teil der übergreifenden biologischen Evolution ist, die wiederum eingebettet ist ein eine chemische Evolution, die wiederum nicht isoliert ist, …), wird man das subjektive Erleben auch besser einordnen können, wenn man es von diesen übergreifenden Zusammenhängen aus betrachtet (ohne dass man das subjektive Erleben darauf ‚reduzieren‘ würde; damit würde man wichtige Erkenntnisse ‚verschenken‘, die nur so verfügbar sind).

 

(11) Biologen tendieren dazu, Phänomene des Lebens von ihren ‚Mechanismen‘ her zu betrachten, was naheliegt, da ja der Biologe sich dem Phänomen des ‚Lebens‘ von seinen konkreten Erscheinungsformen her nähert. Durch Inspizierung vieler tausender, zehntausender – oder mehr — spezieller Erscheinungsformen von ‚Leben‘ wird er in die Lage versetzt zu vergleichen, zu klassifizieren, Beziehungen aufzuspüren, Abhängigkeiten zu identifizieren, um dann – möglicherweise – mittels erster ‚Modelle‘ oder ‚Theorien‘ diese vielen Phänomene zu ’systematisieren‘. Insofern geht es dann nicht nur um ‚reine Eigenschaften‘ E_biol oder E_life, sondern es geht dann auch schon um Eigenschaften E_biol, die in sich Klassifikationen darstellen, um Beziehungen (Relationen) R_biol und Dynamiken f_biol, Ax_biol, deren typisches ‚Wechselspiel‘ erst das Phänomen ‚Leben‘ so beschreibt, wie es der Experte zu erkennen meint. Also irgendwie wird man eine Struktur haben wie z.B. TH_biol = <E_biol, R_biol, f_biol, Ax_biol>. Und im Normalfall wird es so sein, dass man mit einer ersten  Theorie TH_biol_0 anfängt, und dann im Laufe der Zeit diese dann immer immer verändert TH_biol_i, bis man dann den Zustand der gerade aktuellen Theorie TH_biol_now erreicht hat.

 

(12) Während man in dem erwähnten Buch von Storch et al. keinerlei Definition zum Begriff Leben findet – erst Recht natürlich keine Theorie – findet sich im Buch von Gale (2009) zumindest eine ‚Liste von Eigenschaften‘ (Gale, 2009:17), allerdings ohne einen klaren funktionalen Zusammenhang (und damit auch keine Theorie). Sowohl Gale (S.17) wie auch Ward and Brownlee (S.56) verweisen aber auf charakteristische dynamische Eigenschaften wie ‚Wachstum‘, ‚Interaktion mit der Umwelt‘, sowie ‚Vererbung mit Variationen‘. Dies alles unter Voraussetzung von minimalen zellulären Strukturen, der Fähigkeit zur Informationskodierung, sowie der Fähigkeit, Energie aus der Umgebung aufzunehmen um diese komplexen Leistungen verfügbar machen.

 

(13) Die Physik, die sich nicht primär für das Konzept ‚Leben‘ ineressiert, sondern an mehr allgemeinen Begriffen wie ‚Energie‘ und ‚Materie‘ (und deren Zuammenspiel) interessiert ist, hat unter anderem die Gesetzmäßigkeit aufgedeckt, dass die Entropie (salopp die ‚Unordnung‘) in einem geschlossenen System einen Maximalwert annimmt. Das aktuelle Universum ist von diesem Zustand noch weit entfernt. Die ‚Differenzen‘ zur maximalen Entropie manifestieren sich als lokale ‚Ordnungen‘ in Form von ‚frei verfügbarer Energie‘. Sofern ‚Leben‘ angenähert das ist, was Gale (2009) sowie Ward and Brownlee (2000) mit ihren wenigen Begriffen nahelegen, dann hat sich das Phänomen des Lebens genau an diesen Differenzen zur maximalen Entropie gebildet, im Umfeld freier Energien, und nicht nur das, sondern das Phänomen des ‚Lebens‘ demonstriert quasi ein Antiprinzip zur Entropie: statt Strukturen ‚auszugleichen‘ werden hier Strukturen in Form frei verfügbarer Energien in andere Strukturen umgeformt, und zwar expansiv und mit einer immer größeren Komplexität. Das Phänomen des Lebens als Ganzes ist vergleichbar mit einem großen Staubsauger, der alle frei verfügbare Energie im kosmologischen Gesamtzustand unter der maximalen Entropie ‚aufsaugt‘ und damit neue, vorher nicht dagewesene Strukturen generiert, die neue Eigenschaften aufweisen, die weit über die bekannten physikalischen Phänomene hinausgehen. Angenommen, das Phänomen des Lebens als Ganzes könnte die frei verfügbaren Energien idealerweise vollständig nutzen, dann würde sich die maximale Existenzzeit des Lebens im Universum aus der Zeit ergeben, in der im Universum noch Energie frei verfügbar ist. Sicher aber sind weitere Varianten möglich, die wie heute einfach noch nicht sehen, weil unsere Wissensfähigkeit dramatisch eingeschränkt ist.

 

(14) Andererseits, während die Biologen stark an den konkreten Eigenschaften von Manifestationen des Lebens ‚hängen‘, kann man versuchen, diese Eigenschaften von einem ‚abstrakteren‘ Standpunkt aus zu betrachten, was ich in den vorausgehenden Blogeinträgen versucht hatte. Nach dem bekannten Spruch, dass man ‚den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht‘, kann die Vielzahl der Eigenschaften biologischer Systeme das Denken daran hindern, die im Leben implizit vorhandenen Strukturen zu erkennen. In meinen Überlegungen hatte ich versuchsweise angenommen, dass die gesamte Maschinerie biologischer Systeme (z.B. der ganze ‚Körper‘), dessen Komplexität uns erschlägt, möglicherweise nur ein ‚Mittel zum Zweck‘ ist, nämlich die Rahmenbedingungen für ein neuronales System zu schaffen, dessen Zweck wiederum die Fähigkeit ist, ‚Eigenschaften der Welt‘ in ‚kognitive Strukturen‘ umzuwandeln, durch die das gesamte Universum schrittweise ‚transparent‘ wird und damit ’sich selbst‘ nahezu beliebig ‚umbauen‘ könnte. Wie wir heute wissen, lässt sich jede Form von uns heute bekanntem Wissen und Denken über minimale Potentialsysteme realisieren, die beliebig vernetzbar sind. Von diesem Leitgedanken aus liegt es nahe, die Vielfalt der Eigenschaften biologischer Systeme unter dieser Rücksicht zu analysieren. Dies führte zur Idee des minimalen Differenzsystems, vernetzbar, energetisch betrieben, kopierbar mit Veränderungen. Alles keine wirklich neue Gedanken.

 

(15) ‚Leben‘ wäre dann also jenes Phänomen im Universum, das in der Lage ist, ausgehend von den freien Energien einer nicht-maximalen Entropie beliebig skalierbare Differenzsysteme erzeugen zu können, die sich variierend kopieren lassen, und die mit ihren jeweiligen Umgebungen (und damit mit sich selbst) interagieren – und das heißt auch: kommunizieren – können. Mit welchem konkreten Material und unter welchen konkreten Randbedingungen dies auftritt, ist unwesentlich. Das ‚Geistige‘, das sich in Gestalt von ‚Lebensformen‘ zeigt, ist letztlich eine implizite Eigenschaft der gesamten umgebenden Materie-Energie, weswegen es nicht klar ist, was das Verschwinden eines konkreten Körpers (‚Tod‘) für das Phänimen des ‚Geistes‘ letztlich bedeutet. Seiner ‚Natur‘ nach kann ‚Geist‘ nicht ’sterben‘, nur eine bestimmte Realisierungsform kann sich ändern.

 

 

 Unsere Verwandten die Tiere 1

 

 

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge findet sich hier.

 

 

 

LITERATURHINWEISE

 

Gale, J.; Astrobiology of Earth. The Emergence, Evolution, and Future of Life on a Planet in Turmoil. New York: Oxford University Press, 2009

 

Storch, V.; Welsch, U.; Wink, M.; Evolutionsbiologie. 2.Aufl. rev. and ext., Berlin – Heidelberg: Springer Verlag, 2007

 

Ward, P.D.; Brownlee, D.; Rare earth. Why Complex Life is Uncommon in the Universe. New York: Springer-Verlag New York, Inc., 2000

DIE ANDERE DIFFERENZ – TEIL2 – THEORETISCHE MODELLE

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Datum: 3.März 2012

(1) Die Charakterisierung von ‚Leben‘ über das Konzept der ‚Differenz‘ (siehe vorausgehende Blogeinträge) kann mit unterschiedlichen theoretischen Konzepten formuliert werden. Wichtig dabei ist, dass man nicht die konkreten ‚Bestandteile‘ eines biologischen Organismus betrachtet, sondern die ‚Funktion(en)‘, die durch diese verfügbar werden. So kann man z.B. die grobe Unterteilung machen in ‚Versorgungsstrukturen‘ (Energie, Bewegung, Fortpflanzung,…) und ‚Informationsstrukturen‘. Letztere unterteilt nach ‚Strukturinformationen‘ und ‚Arbeitsinformationen‘.

(2) DNA-Moleküle (und zusätzliche Moleküle) realisieren Informationen über potentielle Körperstrukturen und jenen Wachstumsprozessen, die zu deren Aufbau führen; sie gelten damit als ‚Strukturinformationen‘. Die Nervensysteme (Gehirne), die sich mittels Strukturinformationen ausbilden können, besitzen als Eigenschaft eine spezifische ‚Lernfähigkeit‘, die es ermöglicht, dass aktuelle Ereignisse im und außerhalb des Körpers registriert und verarbeitet werden können. Diese Art von Informationen gehört zur ‚Arbeitsinformation‘.

(3) Von einem gewissen Abstraktionspunkt aus betrachtet könnte man sagen, dass der ‚Zweck‘ von biologischen System letztlich die Bereitstellung von solchen Strukturen ist, die fähig sind, Arbeitsinformationen zu realisieren. Alle anderen Strukturen haben einen ‚Supportcharakter‘: damit Arbeitsinformationen realisiert werden können, muss beständig hinreichend viel Energie herbeigeschafft werden; damit hinreichende Bewegungen im Raum möglich sind, müssen entsprechende Raumstrukturen durch Knochen, Sehnen und Muskeln bereitgestellt werden; damit der gesamte Prozess erhalten bleibt, müssen alle notwendigen Strukturinformationen hinreichend gut kopiert und partiell modifiziert (Mutation) werden können.

(4) Im folgenden soll daher das Konzept der ‚biologischen Differenz‘ vor allem am Beispiel solcher Strukturen erklärt werden, die dazu dienen, Arbeitsinformationen zu realisieren; alle anderen bleiben hier momentan außer Betracht.

 Kopplung von Differenzsystemen

 Bild 1: Kooperierende Differenzsysteme

(5) In der Literatur gibt es mehr als tausend Publikationen zu sogenannten künstlichen Neuronen, mittels deren man das Verhalten von biologischen Neuronen (Nervenzellen) modellieren kann. In diesem Kontext soll – soweit dies bei all dem Hintergrundwissen heute noch möglich ist – weitgehend von diesen bekannten Modellen abgesehen werden und ausgehend von dem Differenzgedanken die Frage nach einer minimalen Modellierung nochmals gestellt werden.

(6) Wie die Handskizze in Bild 1 andeutet, reichen als Annahmen die Folgenden: (i) wesentlich muss ein Differenzsystem zwischen mindestens zwei Zuständen {‚1‘, ‚0‘} wechseln können, wobei einer dieser Zustände, der ’sensitive‘ oder ‚kritische‘, durch Zuführung von Energie E künstlich erzeugt wird (hier angenommen als Zustand ‚1‘). (ii) Spezifische Umweltereignisse können ein spezifisches Eingangsereignis σ (Klein-Sigma) erzeugen, bei dessen Auftreten das Differenzsystem vom kritischen Zustand ‚1‘ in den unkritischen Zustand ‚0‘ übergeht. (iii) Beim Verlassen des kritischen Zustands wird ein spezifisches Ausgangsereignis ξ (Klein-Xi) erzeugt, das in die Umgebung des Differenzsystems hineinwirken kann. (iv) Sofern genügend Energie vorhanden ist, kann das Differenzsystem DS durch Zuführung von Energie wieder in den kritischen Zustand ‚1‘ zurückkehren. Damit wären die minimalen Bestandteile eines biologischen Differenzsystems für Arbeitsinformationen beschrieben. Für theoretische Zwecke könnte man auf weite Strecken auch auf den Faktor Energieversorgung E verzichten. Andererseits kann der Faktor Energie E ein Parameter sein, der helfen kann, die ‚Kosten‘ eines Differenzsystems, vor allem wenn es viele sind, die im Verbund arbeiten, abzuschätzen (Biologische Differenzsysteme in realen Systemen haben noch weit mehr Elemente, diese gehören aber zur ‚Versorgungsstruktur‘, die wir hier ausklammern). Als Besonderheit von biologischen Differenzsystemen sollte man noch erwähnen, dass es im Bereich der Eingangsereignisse σ neben den ’normalen‘ Ereignissen σ+ auch solche Eingangsereignisse σ- gibt, die den gesamten Eingang neutralisieren können, d.h. Liegt ein negatives ‚hemmendes‘ Eingangsereignis vor, dann sind alle anderen positiven ‚aktivierenden‘ Eingangsereignisse wirkungslos.

 Hemmende Ereignisse

 Bild 2: Blockierende (hemmende) Eingangsereignisse

(7) Biologische Differenzsysteme kann man dann beliebig ‚kombinieren‘, entweder entlang von Außenweltmembranen, um Umweltereignisse ‚außerhalb‘ des Systems ins ‚Innere‘ des Systems zu transformieren, oder um Outputereignisse an andere Differenzsysteme weiter zu reichen. Für diese nachfolgenden Differenzsysteme sind die Outputs des einen Systems dann Inputs. Statt explizit die Differenzustände {‚1‘, ‚0‘} anzuführen, könnte man auch allgemein eine Differenzfunktion δ: σ x κ → κ‘ x ξ hinschreiben, also wenn ein Inputereignis σ auftritt und ein kritischer Zustand κ (Klein-Kappa) liegt vor, dann geht das System, in den unkritischen Zustand κ‘ über und erzeugt gleichzeitig ein Outputereignis ξ. Ein Differenzsystem wäre dann eine Struktur wie folgt < σ, κ, κ‘, ξ, δ> (ohne Energiekomponente) oder < σ, κ, κ‘, ξ, δ, E,EO> mit ι: EO —> E; ι (Klein-Iota) ist die Energiefunktion, die aus einem Energieeingangspuffer Energie in den Systemenergiepuffer E überführt.

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 Bild 3: 5 Differenzsysteme {1,…,5}

(8) Eine Komposition von Differenzsystemen wäre dann eine Menge von Differenzsystemen N mit der Angabe ihrer Verbindungen Δ (Gross-Delta), also <N, Δ>. Ein einfaches Beispiel zeigt die Handskizze Nr.3: 5 Elemente sind angeordnet, und die Beschreibung der Anordnung erfolgt über eine Menge von geordneten Paaren, also z.B. der Ausgang von Element N1 geht auf den Eingang von Element N2 wird geschrieben ‚(1,2)‘, usw. Die Menge aller dieser Verbindungspaare wird geschrieben als Δ = {(1,2), (2,3), …}. Die Menge der Verbindungen Δ bildet also eine Struktur. Die Struktur gehört zur ‚Strukturinformation‘; die Informationen, die innerhalb solcher Strukturen ‚laufen‘ können, bilden die ‚Arbeitsinformation‘.

(9) Wie die Handskizze auch andeutet, arbeiten alle Elemente eines realen biologischen Differenzsystems ’simultan‘ oder ‚parallel‘. Wie verhält sich dies zum bekannten Konzept des ‚Automaten‘, wie ihn die Informatik als Grundbegriff für alle Phänomene der Berechenbarkeit benutzt? Nach der These von Church (1936) lassen sich ja alle berechenbare Prozesse zurückführen auf allgemein rekursive Prozesse, insbesondere dann auch auf die Turingmaschine. Es wäre eine interessante Frage, ob man das bislang skizzierte Differenzensystem mit einer Turingmaschine gleichsetzen könnte. Der Grundtyp eines Automaten arbeitet nicht parallel, sondern ’sequentiell‘.

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 Bild 4: Automat als Grundbegriff

(10) Die Grundelemente eines Automaten, die sich letztlich von dem Konzept der Turingmaschine her ableiten, das Turing 1936/7 eingeführt hatte, bestehen auch aus Input- und Output-Ereignissen, die von einem sogenannten ‚Schreib-Lese-Band‘ stammen. Während ein Differenzsystem grundsätzlich nur einen Zustand umfasst kann ein Automat endlich viele (n) Zustände Q umfassen. Sobald es mehr als ein Zustand ist (n > 0) bilden die verschiedenen Zustände auch eine Struktur Δ ähnlich wie Differenzstrukturen, die man miteinander kombiniert. Die Struktur entsteht hier aber nicht durch fest Verbindungen zwischen Elementen, sondern durch logische ‚Übergänge‘ zwischen Zuständen; diese sind in der Regel abhängig vom jeweiligen Inputereignis σ. Vereinfachend kann man die Struktur Δ eines Automaten dann auch auffassen als eine Menge von Paaren der Art Δ = {(q1, q2), (q2, q3), …} mit ‚q_i‘ als einen der möglichen Zustände.

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 Bild 5: Zerlegung einer Verbundsystems in individuelle Einheiten

(11) Wie steht es nun mit der sequentiellen Abarbeitung eines parallel arbeitenden Verbundes von Differenzsystemen? Generell kann man sich klar machen, dass bei einer idealen simultanen Verarbeitung diejenigen Inputereignisse σ benutzt, werden die zum Zeitpunkt t verfügbar sind (die Menge aller dieser Inputereingisse bilden den ‚Definitionsbereich‘ oder das ‚Urbild‘ der Berechnungen). Angenommen alle Differenzsysteme arbeiten gleich schnell und benötigen die Zeit (t,t‘) mit t‘ > t, dann erzeugen alle Differenzsysteme zum Zeitpunkt t‘ ein neues Ausgangsereignis ξ (Die Menge all dieser Ausgangsereignisse bilden den ‚Wertebereich‘ aller Berechnungen bzw. das ‚Bild‘). Man kann sich also abstrakt eine ‚Zerlegung‘ (Partitionierung) eines Verbundes von Differenzsystemen vorstellen, die jeweils ein Differenzsystem mit seinen speziellen Eingangs- und Ausgangsereignissen betrachtet. Wenn man jetzt jedes Differenzsystem rechnen läßt – die Reihenfolge ist irrelevant –, dann erhält man nach (t,t‘) für jedes System sein Ergebnis. Ersetzt man im Urbild alle Werte durch die neuen Bild-Werte, erhält man den Nachfolgezustand des Systems. Da es auf die Reihenfolge dieser Rechnung nicht ankommt, könnte man sie auch alle ‚hintereinander‘ (sequentiell) ausführen; dies würde am Ergebnis logisch nichts ändern. Würde die reale Zeit der Abarbeitung von Bedeutung sein, dann müsste man sicherstellen, dass bei einer angenommen Taktrate von T = t‘ – t die Einzelberechnungen mit der Geschwindigkeit T/n (n := Anzahl der beteiligten Elemente) durchgeführt würde. Für eine logische Äquivalenz ist die reale Zeit allerdings irrelevant.

(12) Die vorausgehende Überlegung deutet an, dass es prinzipiell eine Übersetzung der Parallelität in die Sequentialität geben kann. Reicht dies aus für eine Simulation durch eine Turingmaschine TM? Turing selbst hat gezeigt, wie man hier vorgehen kann. Man geht davon aus, dass man die Beschreibung eines Differenzsystem-Verbundes DS = <N, Δ> auf das Schreibleseband schreibt und in jedem Zeitpunkt auch alle Eingangsereignisse, denen dieser Verbund ausgesetzt sein soll. Dann simuliert die TM das Verhalten von DS indem – entsprechend der zuvor skizzierten Idee einer Zerlegung – die Werte für jedes Element individuell berechnet werden und dann die neuen Werte auf das Band als neue Eingangswerte eingetragen werden. Es gibt kein Argument, dass eine TM genau diese Berechnung nicht durchführen kann. Damit ist aber klar, dass eine sequentiell arbeitende Turingmaschine jeden Verbund von Differenzsystemen simulieren kann.

(13) Man kann auch leicht nachvollziehen, dass eine ‚genetische Beschreibung‘ eines Differenzsystem-Verbundes DS letztlich – wie immer die Kodierung auch vorgenommen wird – genau eine Struktur DS = <N, Δ> repräsentiert. Eine geeignete Kopier- und Mutationsfunktion (z.B. im Stile eines genetischen Algorithmus GA) könnte dann aus bestehenden Strukturen neue Strukturen generieren, die dann zum Ausgangspunkt neuer Simulationen werden.

(14) Eine andere Variante sind zelluläre Automaten. Ein zellulärer Automat (cellular automaton, CA) bezieht sich auf einen Bereich (analog dem Band eines Automaten), der im Prinzip n-dimensional sein kann. Die Funktion der Differenzsysteme haben hier Übergangsregeln der Art m —> m‘, d.h. bei Vorliegen eines bestimmten Musters m im Bereich wird dieses ersetzt durch ein Muster m‘. In der Regel ist die Menge der Regeln Δ_ca größer als 1, also Δ_ca| > 1. Alle Regeln sind gleichberechtigt, d.h. Sie werden simultan (parallel) abgearbeitet (Beispiele finden sich z.B. in dem Artikel von Gardner über Conways ‚Game of Life‘ oder im Buch von Wolfram). Ein zellulärer Automat CA besteht also aus einem Bereich W und einer Menge von Umformungsregeln Δ_ca, also CA = <W, Δ_ca>. Für jedes Element w in W werden die passenden Regeln δ aus Δ_ca angewendet, man erhält eine Folgezustand W‘. Um einen zellulären Automaten durch eine Turingmaschine zu simulieren zerlegt man den Bereich W in geeignete Teilbereiche, berechnet für jeden Teilbereich die neuen Werte w und dann setzt man den Nachfolgebereich W‘ daraus zusammen. Dieses Verfahren setzt voraus, dass die Zielbereiche in jeder Zerlegung disjunkt (voneinander unabhängig) sind. Daraus folgt, dass ein zellulärer Automat nicht mächtiger ist als eine Turingmaschine (Anmk: Man kann einen zellulären Automaten auch mittels einer kontextsensitiven Grammatik beschreiben).

(15) Die Beziehung zwischen einem Verbund von Differenzsystemen DS und einem zellulären Automaten kann man sich dadurch klar machen, dass man (siehe Bild 5) sich den Bereich W des CA vorstellt als eingeteilt in feste disjunkte Unterbereiche W_1, W_2 usw., denen bestimmte Umformungsregel ebenfalls fest zugeordnet sind. D.h. Ein Verbundsystem von Differenzsystemen ist eine eingeschränkte Version eines zellulären Automaten.

(16) Was man aus diesen Überlegungen entnehmen kann ist die Einsicht, dass biologische Differenzsysteme, sofern sie genau die Eigenschaften besitzen, die hier unterstellt wurden, sich mit den Mitteln von Automaten (maximal einer Turingmaschine) simulieren lassen. Dies wiederum bedeutet, dass man im Rahmen der Forschung (einschließlich philosophierender Wissenschaft) einen Simulationsansatz ohne Einschränkung der Allgemeinheit benutzen kann.

(17) Letzte Bemerkung: Statt mit Automaten könnte man auch mit Classifier-Systemen arbeiten (Details dazu in meinem <a href=“http://www.uffmm.org/science-technology/single/themes/computer-science/personal-sites/doeben-henisch/KNOW/gbblt/index.html“> GBBCLT-Skript</a>).

LITERATURVERWEISE

Church, A.; „An Unsolvable Problem of Elementary Number Theory“, Amer.J.Math. 58 (1936) 345-363

Gardner, M. „MATHEMATICAL GAMES. The fantastic combinations of John Conway’s new solitaire game ‚life’“, Scientific American 223 (October 1970): 120-123.

Turing, A. M. „On Computable Numbers with an Application to the Entscheidungsproblem“, In: Proc. London Math. Soc., Ser.2, vol.42(1936), pp.230-265; received May 25, 1936; Appendix added August 28; read November 12, 1936; corr. Ibid. vol.43(1937), pp.544-546. Turing’s paper appeared in Part 2 of vol.42 which was issued in December 1936 (Reprint in M.DAVIS 1965, pp.116-151; corr. ibid. pp.151-154).

Wolfram, S., „A New Kind of Science“, Champaigne (IL, USA): Wolfram Media, Inc., 2002

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DIE ANDERE DIFFERENZ (im Gespräch über das, was ein ‘glücklicher Zustand’ sein soll)

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Datum: 2.März 2012

(1) Im Nachklang zu meinem letzten Blogeintrag und in Erinnerung an ein Gespräch, das ich gestern mit einem lieben Freund hatte (und davor mit einem meiner Studenten), trat nochmals die Frage in den Mittelpunkt, was denn das Besondere am Leben sei. Als einzelne(r) erlebt man das Leben aus der individuellen Perspektive und aus dieser Perspektive eröffnen sich zahllose Paradoxien (Widersprüche): z.B. stehen die Endlichkeit des Körpers und der individuellen Lebenszeit in einem scheinbar unauflösbaren Widerspruch zum persönlichen Wunsch nach einem glücklichen, unbeschwerten Leben. Denn, der Körper ist nicht nur endlich, sondern auch geschwängert mit zahllosen Bedürfnissen, Trieben, Emotionen und Gefühlen, die auf vielfältige Weise Spannungen in das Lebensgefühl hineintragen, Unruhen, Unzufriedenheiten, Ängste und dergleichen mehr. Dazu kommt für die überwiegende Anzahl der Menschen die tägliche Notwendigkeit, Zeit und Energie aufwenden zu müssen – man nennt es ‚Arbeiten‘ –, um den ‚Lebensunterhalt‘ zu sichern. Für die allerwenigsten ist diese Arbeit das, was sie tun würden, wenn sie nicht diesem ‚Zwang‘ unterliegen würden; für die meisten erscheint die Arbeit als ‚Last‘, und für nicht wenig ist sie eher ‚Hölle‘ denn ‚Himmel‘. Die täglichen Qualen, die hier sehr viele Menschen erleiden müssen, würden, könnte man sie hörbar machen, eine ‚Musik des Grauens‘ entstehen lassen, die den wenigen, die sich – aus welchen Gründen auch immer –, dieser täglichen Hölle entziehen können, das Leben unerträglich machen, wobei es sicherlich mehr ‚Höllen‘ in diesem Sinne gibt, als der äußere Anschein auf den ersten Blick an Eindruck erweckt. Denn die Endlichkeit, in der wir uns als individuelle Menschen vorfinden ist in sich eine Struktur, der niemand entfliehen kann. Das ‚Hineingeworfensein‘ in das tägliche Leben hat eine Uerbittlichkeit, die letztlich über allem und jedem steht, sie ist Teil unseres Vorkommens in dieser Welt, Teil unseres Erlebens und Fühlens, Teil unseres Denkens, unentrinnbar, wesentlich, selbst im Versuch des ‚Nicht-Denkens‘ verbleibt eine grundlegende ‚Differenz‘ ähnlich wie der kosmischen Hintergrundstrahlung, die noch 13.2 Mrd Jahre nach dem ‚BigBang‘ Kunde gibt, von diesem Anfangsereignis.

(2) Beschreibungen von ‚Glück‘ und ‚Zufriedenheit‘ orientieren sich oft an der gewünschten ‚Abwesenheit‘ der täglichen Spannungen, Abwesenheit von ‚Müssen‘, Abwesenheit von ‚Unruhen‘ oder, konkreter, durch Erfüllung konkreter Bedürfnisse und Triebe wie ‚viel Geld‘, ‚viel Macht‘, ’sexuelle Befriedigung‘, ‚tolles Essen‘, ‚eigenes Haus mit Garten‘, usw. Alle solchen ‚konkreten‘ Erfüllungswünsche tragen den Samen zu neuer Unzufriedenheit, den Samen zu neuen Spannungen schon in sich, bevor sie überhaupt so richtig ‚das Licht dieser Welt‘ erblickt haben. Es sind Wechselpositionen, bei denen man eine Unzufriedenheit gegen eine andere (neue) eintauscht. Hier sind wir alle gern und leicht ‚Wiederholungstäter‘; wir sind unzufrieden mit dem ‚Bisherigen‘, trennen uns, weil wir die Unzufriedenheit loswerden wollen, und schon sind wir im scheinbar ‚Neuen‘ genau wieder da, wo wir eigentlich herkommen: weil wir nicht wirklich etwas Neues kennen oder suchen landen wir immer wieder bei dem, was uns vertraut ist, selbst im Muster der ‚Flucht‘.

(3) Ähnlich der klassischen bewusstseinsorientierten Philosophie, in der alle – auch noch so großen – Gedanken im engen Raum des bewussten Erlebens wie Atome an die Wände eines Behälters prallen und so auf engem Raum verharren, und den Anschein von Aporien (Widersprüchen) entstehen lassen, so unterliegt unser subjektives Erleben der permanenten Gefahr, seine eigentümliche Kraft in einer Art dauerhaften ‚psychischen Selbstverbrennung‘ zu verzehren, anstatt zu erleben, dass es weit über sich selbst hinausweisen kann, dass es sehr wohl individuelle Schranken überwinden kann, dass es nicht nur dem Anschein nach, sondern ‚wirklich‘, ‚real‘ ‚grenzenlos‘ sein kann.

(4) Dies kann man aber nur erkennen, wenn man den Blick über den Augenblick hinaus ausweitet und sich der Zusammenhänge bewusst wird, die alle wirksam sind dafür, dass man selbst in dem jeweiligen Augenblick ‚da ist‘, und zwar ’so‘ da ist, wie man sich gerade vorfindet. Denn, schon der eigene Körper, in den man sich so leicht verlieben kann, ist so da, ohne dass man selbst irgend etwas dafür getan hätte; natürlich, die Ernährung dieses Körpers, die tägliche Bewegung oder Nicht-Bewegung können diese Körper beeinflussen, können ihn ‚dick‘ oder ‚dünn‘ machen, können ihn ‚verschleißen‘ und dergleichen mehr, aber dies sind nur Modulationen eines Grundthemas, das als solches uns vorgegeben ist. Grundsätzlich finden wir uns vor mit unserem Körper, mit den Eigenschaften dieses Körpers; wir finden uns vor mit anderen Menschen, die wir uns nicht ausgesucht haben, wir finden uns vor in Gebäuden, Strassen, Infrastrukturen, die wir selbst nicht gemacht haben, wir finden uns vor mit Pflanzen und Tieren, die wir nicht gemacht haben, mit einer Atmosphäre, einer Erde, usw. Strenggenommen gibt es nahezu nichts von Bedeutung, was wir selbst dazu beigetragen haben, dass das Leben ist, wie wir es vorfinden. Merkwürdigerweise scheint es es nur wenige Menschen zu geben, denen diese Grundtatsache bewusst ist. Nicht wenige zeigen ein Selbstgefühl im Sinne eines ‚Grundanspruchs auf alles‘, ‚Hier bin ich, seht doch, ich habe ein Anspruch auf…‘. Dabei sind Alle ‚Gewordene‘, ungefragt; alle sind Teil eines größeren Prozesses, der nicht nur Orte und Regionen umfasst, sondern die ganze Erde, unser Sonnensystem, unsere Milchstraße, ja sogar das gesamte Universum: wer sich dieser Perspektive verschließt, wird vermutlich niemals verstehen, verstehen können, wer er ist, was das Ganze soll. Es kann keine ‚partielle‘ Wahrheit geben; dies ist ein Widerspruch in sich.

(5) Was ist ein ‚wirklich glücklicher Zustand‘? Wir Menschen haben unzählige Bilder entwickelt von dem, was wir als ’schön‘ und ‚gut‘ empfinden wollen, unzählige (Texte, Musik, Mode, Rezepte, Bauten, soziale Gebilde, Verhaltensweisen,….), aber, was auch immer es war oder ist, im Moment des Geschehens ist klar, dass das nicht ‚voll wirklich‘ sein kann, weil es einen nächsten Moment gibt, noch einen, und noch einen und dann verfällt entweder das mühsame zubereitete Gebilde oder das Erlebnis ist vergangen, wird zur Erinnerung, oder wir selbst haben uns verändert, verändern uns beständig weiter, und noch so viele ‚Verdrängungsmassnahmen‘ können auf Dauer unser Altern und Sterben nicht verhindern, und was ist ’schön‘ und ‚wahr‘ im Moment des Sterbens?

(6) Was also ist ein ‚wahrhaft glücklicher Zustand‘? Die Logik hat uns gelehrt, dass wir nur Dinge als ‚logisch wahr‘ beweisen können, die in den akzeptierten Voraussetzungen potentiell enthalten sind. Angewandt auf unsere Fragestellungen würde dies bedeuten, dass wir nur dann ein ‚umfassendes‘ Glück finden können, wenn unsere jeweiligen Voraussetzungen solch ein umfassendes Glück prinzipiell zulassen könnten.

(7) Erinnert man sich nun, dass das biologische Leben seinen Ausgangspunkt bei der Tatsache nimmt, dass sich in einem Universum, in dem das Gesetz der Entropie gilt (salopp: Ausgleich aller Unterschiede auf Dauer) — in einer bestimmten Region dieses Universums (ob woanders als auf der Erde auch, wissen wir noch nicht; ist aber nicht auszuschließen) durch Verbrauch von Energie lokale Unterschiede gebildet haben, die die Eigenschaft besitzen, als ‚Signale für Ereignisse‘ fungieren zu können, und – mehr noch –, die nicht nur die außergewöhnliche Eigenschaft besitzen, sich ‚kopieren‘ zu können, sondern darüber hinaus auch noch, sich zu ‚immer komplexeren Differenzmustern‘ anreichern zu können, für deren ‚Ausdehnung‘ es keine ‚Grenze‘ zu geben scheint. Diese Differenzmustern verbrauchen immer mehr Energie aus der Umgebung, sind aber in der Lage, ihre ‚Signaleigenschaften‘ dahingehend ‚organisieren‘ zu können, dass Sie unterschiedliche ‚Signalebenen‘ generieren, die sich ‚wechselseitig repräsentieren‘ können. Dadurch besteht die Möglichkeit, dass ‚Ereignisprofile der Umgebung‘ als energetische Muster in die internen Signalstrukturen ‚abgebildet‘ und dort weiter ‚verarbeitet‘ werden können. Auf diese Weise hat das Universum eine Möglichkeit geschaffen, in Form ’selbstorganisierender Differenzstrukturen‘ energetisch bedingte Eigenschaften des Universums in Form von ‚Signalmodellen‘ zu ‚reformulieren‘ und damit ‚explizit‘ zu machen. Durch das Aufspannen von ‚Signalebenen‘ ist auch das entstanden, was wir ‚Bewusstsein‘ nennen. D.h. die sich selbst organisierenden und expandierenden Differenzmuster des ‚Lebens‘ können ‚in sich‘ die Struktur des Universums (einschließlich ihrer selbst) ‚wiederholen‘ und in steigendem Umfang auf diese zurückwirken. Grundsätzlich ist nicht ausgeschlossen, dass das Prinzip der vielschichtigen Differenzmuster nicht nur die wesentlichen Wirkprinzipien des Universums entschlüsselt (und dabei zu einem ‚zweiten‘ Universum, zur ’symbolischen Form‘ des Universums wird), sondern letztlich das gesamte Universum ‚mittels seiner eigenen Prinzipien‘ ‚verändert. In dem Masse, wie dies geschieht, kann das ‚erreichbare Glück‘ für solch eine Differenzstruktur ’sehr weit‘ anwachsen.

(8) Natürlich wird hier auch klar, dass es nicht die einzelne, isolierte Differenzstruktur ist, auf die es ankommt (wenngleich es ohne jede einzelne Struktur auch kein Ganzes geben kann), sondern die Gesamtheit, die nur solange eine ‚Gesamtheit‘ ist, solange es ihr gelingt, sich untereinander durch ‚Kommunikation‘ und entsprechende ‚Verarbeitung‘ zu ‚koordinieren‘. ‚Isolierte‘ hochentwickelte Differenzstrukturen haben keine Überlebenschance auf Dauer; sie vergehen, ohne möglicherweise eine ‚Wirkung‘ entfaltet zu haben. Überleben können nur solche ‚Verbände‘ von Differenzstrukturen, die einen ‚hinreichenden‘ Zusammenhang, sprich eine hinreichende ‚Koordinierung‘ haben. Dies kann bis zu einem gewissen Grad durch ‚Zwang‘ geschehen, aber auf Dauer ist ‚Zwang‘ ‚unproduktiv‘. Ein ‚Optimum‘ liegt nur vor, wenn jede einzelne Differenzstruktur ihr ‚Maximum‘ erreichen kann und diese individuellen Maxima durch ‚Kommunikation‘ miteinander im permanenten ‚Austausch‘ bestehen. Historisch beobachten wir momentan, dass die Kommunkationstechnologie zwar das Ausmaß des Austausches dramatisch erhöhen konnte, dass aber die individuellen Verarbeitungskapazitäten der einzelnen Differenzmuster quasi konstant auf einem bestimmten Niveau verharrt (daneben gibt es  kulturell und machtpolitisch errichtete Barrieren des Austausches und des ungehinderten Denkens, die erheblich sind). Dieser ‚Bottleneck‘ ist eine ernsthafte Gefahr. Es steht den Differenzmustern allerdings frei, ihre Denkpotential zu nutzen, um den ‚eigenen Bottleneck‘ durch geeignete Maßnahmen zu beheben (Denktechnologie in Verbindung mit Gentechnik, d.h. Beschleunigung der Evolution dadurch, dass die Evolution eine ihrer größten Errungenschaften, die Denkmöglichkeiten des homo sapiens, dazu benutzt, ihren Konstruktionsprozess zu beschleunigen. Viele aktuell gehandelte sogenannte ‚Ethiken‘ (salopp: Regeln des richtigen Verhaltens) sind hoffnungslos falsch und damit für das Überleben des Lebens (nicht nur auf der Erde) gefährlich).

Natürlich ist das Thema damit nicht erschöpft. Unser Schicksal ist es, ein großes Ganzes immer nur in Splittern und Bruchstücken denken zu können; viele Splitter können ‚Umrisse‘ ergeben, Umrisse …. usw.

 

 

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RÜCKKEHR DER METAPHYSIK? Natur als Offenbarung? Universale Ethik?

Einbettung von Metaphysik in moderne Wissenschaft

 

 

 

 

(1) Im Zwiegespräch mit dem Text ‚Metaphysik der Erkenntnis‘ (erstmalig 1921) von Nicolai Hartmann trifft man auf zahlreiche Aporien (siehe die anderen Blogeintragungen). Hartmann nimmt seinen Ausgangspunkt bei der — für ihn grundlegenden – Beziehung zwischen einem ‚erkennenden Subjekt‘ und einem ‚erkannten Objekt‘. Dies in einer primär ‚phänomenologischen‘ Einstellung, die ihren Ausgangspunkt bei dem ‚Gegebenem‘ nimmt im Versuch, ’sichtbar zu machen‘, was sich vorfindet.

 

(2) Tatsächlich ist das, was wir im Bewusstseinserlebnis als aufscheinendes ‚Phänomen‘ vorfinden, das erste und einzige, was wir vorfinden. Nach Hartmann ist dieses aufscheinend Gegebene aber eingebettet in eine begleitend vorhandene ‚Reflexion‘, mittels der sich Eigenschaften fokussieren, abstrahieren und in Beziehung setzen lassen; nicht zuletzt lassen sich ‚Begriffe‘ bilden. Die Reflexion als solche ist nicht mehr ’neutral‘; sie kann das vorfindlich Gegebene verändern, modifizieren und damit in gewisser Weise interpretieren.

 

(3) Die ‚Abfallprodukte‘ der Reflexion bilden nicht automatisch eine ‚Theorie‘ verstanden als ein systematisches Begriffsnetzwerk, in dem alle Begriffe vollständig aufeinander bezogen sind entweder als ‚Grundterme‘ oder als ‚axiomatische Terme‘, eingebunden in Relationen und Axiome, repräsentiert in einer eigenen ‚Theoriesprache‘. Eine Theorie auf der Basis der primären Reflexion bildet eine ‚Metaebene‘ und stellt eine Konstruktion dar, die aus einer Vielzahl von Möglichkeiten eine Variante herausgreift. Zugleich ist jede Theorie eine bestimmte Interpretation. Eine interessante Frage ist, ob und wie sowohl die Begriffe der primären Reflexion wie auch die Strukturen einer Theorie in einem bestimmbaren Sinn ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ sein können.

 

(4) Hartmann diskutiert die Frage der ‚Wahrheit‘ im Umfeld seiner Subjekt-Objekt-Relation mit einem sehr unspezifischen Begriff von ‚Erkenntnis‘. Er geht von der Annahme aus – die er nicht weiter begründet –, dass Wahrheit mit Übereinstimmung zu tun haben muss, nämlich der Übereinstimmung (oder Nicht-Übereinstimmung) von dem erkennbaren Objekt für das Subjekt mit einem Objekt an sich, das dem erkennenden Subjekt per definitionem nicht zugänglich ist; daher spricht er hier auch von einem ‚transzendentem Objekt‘ bzw. vom ‚Transobjektivem‘, das das erkennende Subjekt ‚objiziert‘ mithilfe von ‚Bestimmtheiten‘, die ein ‚Bild‘ des ursprünglichen Objektes darstellen, nicht das transzendente Objekt selbst. Die vom Transobjektivem objizierten Bestimmtheiten, die vom verursachenden Objekt verschieden sind, will er auch eine ‚Repräsentation‘ des Transobjektiven nennen.

 

 

(5) Das ‚Transobjektive‘, das vom erkennenden Subjekt nicht erreicht werden kann, ist damit auch nicht intelligibel, ist im vollen Sinne ‚irrational‘. Dennoch assoziiert Hartmann genau mit diesem Transobjektiven das eigentliche ‚Sein‘, ‚volle Wirklichkeit‘, ‚Realität‘. Hier verortete er die ontologische Dimension, den Fluchtpunkt jeder Metaphysik. In einer Metaphysik ist Erkenntnis nur ein Durchgang, ein Medium zur Erfassung und Beschreibung von ‚Wahrheit‘ als letztlich im ‚Sein‘ gründend.

 

 

(7) Der von ihm zuerst favorisierte Wahrheitsbegriff als Übereinstimmungsoperation wahr: OBJ x OBJ* —> {wahr, falsch} mit ‚OBJ‘ für das Transobjektive (verursachende) Sein und ‚OBJ*‘ als der Repräsentation des Transobjektiven für das erkennende Subjekt setzt die Verfügbarkeit des Transobjektiven in dieser Übereinstimmung voraus, ohne aber in der Lage zu sein, zu erklären, wie das erkennende Subjekt dies nutzen soll, da das Transobjektive ja per definitionem vom Erkennen eines Transobjektiven ausgeschlossen wurde. Die sich hier auftuende logische Antinomie verwirbelt Hartmann in bis zu vier unterschiedliche Aporien, die allesamt letztlich nur diese eine zentrale Antinomie umschreiben.

 

(8) Aktuell weiss ich noch nicht, wie es ab S.88 in seinem Buch weiter gehen wird. Bezogen auf seine bisherigen Ausführungen kann man nur sagen, dass er sich mit seinem bisherigen Begriffsapparat in einer Sackgasse befindet. Auch wenn er noch weitere Aporien durch Einführung neuer begrifflicher Gebilde generieren mag, sein Grundproblem wird er nicht lösen, solange er seine bisherigen Voraussetzungen nicht einer kritischen Re-Analyse unterzieht.

 

(9) Ob mein Lösungsansatz tatsächlich ein Lösungsansatz ist, muss sich in den weiteren Diskussionen und Experimenten noch zeigen, aber auf jeden Fall sehe ich einen gedanklichen Weg, der ohne die antinomischen Konstruktionen Hartmanns auskommt, der mit den großen Themen der Philosophie kompatibel ist, und der nicht zuletzt auch mit den tiefgreifenden Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften harmoniert (soweit wir heute meinen zu verstehen, was wir verstehen).

 

(10) Wie schon im Bremerhaven-Vortrag skizziert nehme ich auch den Ausgangspunkt im Raum der Phänomene (es gibt keine Alternative), allerdings mit der Differenzierung, dass sich im Gesamtbereich der Phänomene Ph eine spezielle Teilmenge der empirischen Phänomene Ph_emp identifizieren lässt. Dies sind solche Phänomene, die durch Verwendung von definierten Messprozeduren meas() generiert werden, etwa meas: Ph —> Ph_emp. Empirische Phänomene sind zwar auch Phänomene, aber eben solche, die auf eine spezielle Weise hervorgebracht werden, die unabhängig vom Körper eines Menschen ist. Nur das Produkt eines Messvorganges muss wahrnehmbar sein, der Messvorgang selber ist unabhängig von einem menschlichen Körper (und Gehirn, und Bewusstsein).

 

(11) Auf den ersten Blick wirkt dieser Hinweis auf die Teilmenge der empirischen Phänomene möglicherweise unscheinbar. Aber bei längerer Betrachtung zeigt sich, dass hier die Lösung für nahezu alle Aporien liegen kann, mit denen sich Hartmann herumschlägt.

 

(12) Natürlich gilt im Falle der empirischen Phänomene Ph_emp auch – wie im Falle aller Phänomene –, dass die empirischen Phänomene nicht ‚isoliert‘ dastehen, sondern auch eingebettet sind in die allgemeine ‚Reflexion‘, die alles Erleben begleitet und durchdringt; und es gilt auch, dass sich im Medium dieser Reflexion Unterscheidungen treffen lassen, Zusammenfassungen bilden lassen, Begriffe einführen lassen, Beziehungen aufzeigen lassen, usw. bis hin dazu, dass sich explizite Theorien formulieren lassen. Diese Reflexion, Begriffsbildungen, Theoriebildung unterscheidet sich im Allgemeinen in Nichts von der alltäglichen oder philosophischen Reflexion, wohl aber im Speziellen. Auf der Basis von empirischen Daten lassen sich nämlich eindeutiger und klarer als durch die rein körperbasierten Phänomene Ph\Ph_emp Begriffe mit einer ‚operationalisierten‘ Bedeutung einführen, darauf aufbauend Abstraktionen, Relationen und Gesetzmäßigkeiten unter kontrollierten Bedingungen und in mathematischer Form. Natürlich ist auch diese Form von Erkenntnisbildung nicht frei von Problemen (dazu gibt es weit mehr als 1000 wissenschaftliche Publikationen!), doch trotz all dieser Probleme hat die Praxis gezeigt, dass diese Erkenntnisstrategie trotz aller Spezialisierung Erkenntnisse (und Technologien) hervorgebracht hat, die noch vor 100 – 150 Jahren unvorstellbar waren.

 

(13) Mittels der Reflexion (und darauf aufbauenden Theorien oder theorieähnlichen begrifflichen Strukturen) lassen sich im Strom der Phänomene Objekte, Beziehungen, und Aktionen identifizieren, die das Bild eines ‚Außenraums‘ um den Körper herum entstehen lassen, der eine eigene Dynamik hat, die man heute ansatzweise in seiner evolutionären Dimension fassen kann. Ferner kann man im Bereich der identifizierbaren Objekte solche unterscheiden, die man durch spezifische Eigenschaften als ‚biologisch‘ qualifizieren kann, als ‚Körper‘ mit einer Innenstruktur, zu der u.a. ein Nervensystem (Gehirn) gehört. Durch Korrelation der empirischen Daten mit den Erlebnisdaten läßt sich die starke Hypothese formulieren, dass die uns primär zugänglichen Phänomene Ph im Raum des Bewusstseins Eigenschaften eines Nervensystems sind, das sich empirisch nur ‚von außen‘ messen und beschreiben läßt. D.h. man kann nicht die bewussten Erlebnisse selbst ‚messen‘, sondern nur physikalisch-chemische Eigenschaften des Nervensystems DAT_nn, die zeitlich mit bestimmten Erlebnissen Ph korrelieren.

 

(14) Abseits vieler ungelöster Detailfragen lässt sich eine generelle Schlussfolgerung auf jeden Fall ziehen: die Phänomene unseres Bewusstseins sind als solche keine Objekte der umgebenden Außenwelt! Vielmehr scheint es so zu sein, dass die ‚Zustände der Außenwelt‘ auf einen ‚Körper‘ einwirken können, der diese physikalisch-chemischen Einwirkungen mittels einer Vielzahl sogenannter ‚Sensoren‘ in ’neuronale Signale‘ ‚übersetzt‘, also etwa sens: ENV x IS —> IS x NN, d.h. die Menge aller Sensoren realisieren eine Abbildung von Umweltereignissen ENV – eventuell modifiziert durch aktuelle interne Zustände IS des Körpers – in eine Menge von neuronalen Signalen NN, eventuell begleitet von zusätzlichen internen Zuständen IS des Körpers.

 

(15) Wie wir heute schon wissen werden diese sensorisch induzierten neuronalen Signale NN_sens über ein komplexes Schaltwerk von Neuronen auf verschiedenen ‚Ebenen‘ und durch verschiedene ‚Querschaltungen‘ und ‚Rückkopplungen‘ zu abstrakteren Konzepten und Beziehungen ‚weiterverarbeitet‘. D.h. das, was uns irgendwann ‚bewusst‘ wird als Phänomen Ph ist in der Regel sowohl ein ’spätes Verarbeitungsprodukt‘ und zugleich eine ‚Auswahl‘ aller stattfindender neuronaler Zustände, also etwa nn: NN_sens x NN —> NN x Ph. Hierbei gilt die weitreichende Annahme, dass die Menge der Phänomene Ph aus Sicht des Gehirns letztlich eine Teilmenge, und zwar eine echte Teilmenge, der Menge aller neuronalen Zustände ist. Sei NN_ph jene Menge von Neuronalen Signalen, die mit den erlebten Phänomenen Ph korrelieren, und NN_nph die Menge der neuronalen Signale, die nicht mit Ph korrelieren, dann gilt, dass die Menge der neuronalen Signale NN = NN_ph u NN_nph, mit der Annahme, dass die Menge der neuronalen Signale NN_ph, die mit den erlebten Phänomenen Ph korrelieren, eine echte Teilmenge aller neuronalen Signale sind NN_ph  rsubset NN. Denn gerade in diesem Umstand der echten Teilmenge wurzelt der evolutionäre Gewinn des ‚Bwusstseins‘: durch die Möglichkeit einer ‚Abstraktion‘ von der beliebig großen Komplexität des begleitenden Körpers und eines kontinuierlich wachsenden Gehirns kann man aktuelles Entscheiden und Kommunizieren in einem überschaubaren Bereich halten.

 

(16) Zu sagen, dass die bewussten Phänomene Ph aus ‚Sicht des Gehirns‘ auch nur neuronale Zustände sind ist kein (logischer) Widerspruch zur Annahme, dass die Phänomene unseres Bewusstseins aus Sicht unseres Erlebens etwas Besonderes sind, das sich nicht auf neuronale Signale reduzieren lässt. Dies hat mit dem begrifflichen Rahmen zu tun, in dem man sich bewegt. Im phänomenologischen Kontext bewege ich mich im Raum meines Erlebens. Meine ‚Daten‘ DAT_ph sind die erlebbaren Phänomene meines Bewusstseins. Aufbauend auf diesen primären Daten kann ich Begriffsnetze entwickeln, ja sogar Theorien reflexion: DAT_ph —> Th_ph. Beschränke ich mich auf die Teilmenge der empirischen Phänomene Ph_emp habe ich zwar immer noch Phänomene, im Fall der empirischen Untersuchungen zum Körper und Gehirn benutze ich aber zusätzlich zum ’normalen‘ Erkennen empirische Messverfahren meas(), mit denen ich Eigenschaften des Körpers bzw. des Nervensystems untersuche, also meas: BODY x BRAIN —> DAT_bd x DAT_nn. Insofern ich diese Messwerte als Messwerte wahrnehmen kann, sind diese natürlich auch Phänomene Ph_emp_bd und Ph_emp_nn, aber das Besondere dieser Phänomene liegt nicht in dem, was ich als Messergebnis wahrnehme, sondern in der Art, wie ich dieses Phänomen erzeugt habe, eben durch einen zusätzlichen Messvorgang. Wenn ich also bei dem Drücken einer bestimmten Taste auf einem Klavier einen bestimmten Ton höre DAT_ph_ton_i, und die Neuropsychologen zeitlich gleichzeitig durch eine geeignete Messvorrichtung in bestimmten Bereichen meines Gehirns bestimmte Erregungsmuster DAT_nn_ton_i messen können, dann kann man in der Regel nicht direkt von DAT_nn_ton_i auf DAT_ph_ton_i schliessen oder umgekehrt, aber eine Versuchsperson Vpn, die einen Ton hört (DAT_ph_ton_i)Person_abc, und die zugleich das Messergebnis (DAT_nn_ton_i)Person_abc wahrnehmen kann, kann kontrollieren, ob es zwischen den empirischen Messwerten und ihren subjektiven Wahrnehmungen eine signifikante Korrelation gibt (wobei wir unterstellen, dass die ausgewählte Gehirnregion ‚relevant‘ ist). Insofern also solch eine Versuchsperson in dieser speziellen Konstellation eine signifikante Korrelation feststellen könnte, könnte man begründet vermuten, dass das erlebte Phänomen und die gemessenen neuronalen Zustände ‚identisch‘ sind in dem Sinne, dass Erlebnisse als indirekt messbare neuronale Zustände ‚auftreten‘. Davon zu unterscheiden ist die Frage, wie man das Phänomen des subjektiven Erlebens im Rahmen einer empirischen Theorie des Gehirns ‚erklärt‘. Offensichtlich handelt es sich um eine Art ‚Innensicht‘ des Gehirns, bei der ausgewählte Bereiche der Gehirnzustände dazu dienen, wichtige Steuerungsparameter des Gehirns auf einer hohen Abstraktionsebene so zu organisieren, dass sie sich u.a. auch mit symbolischer Sprache verknüpfen lassen.

 

(17) Zusammenfassend gilt, dass die jeweiligen Konstruktionen des Gehirns auf Basis der sensorischen und körpereigenen Signale DAT_nn_sens und DAT_bd vollständige Eigenleistungen des Gehirns sind. Letztlich baut das Gehirn mit seinen ‚Bordmitteln‘ eine ‚Theorie der umgebenden Welt‘ TH_nn_env mit sich selbst als ‚agierendem Objekt‘ Th_nn_ego subset Th_nn_env.

 

(18) In diesem Kontext stellt sich die ‚Wahrheitsfrage‘ – will man diesen klassischen Term beibehalten – auf mindestens zweifache Weise: (i) systemintern und (ii) in Relation zur umgebenden Außenwelt.

 

(19) Systemintern (hier ‚Wahrheit_1‘ genannt) stellt sich primär die Frage, ob die emergierenden Theorien Th_nn als hypothetische Deutungen der in den Daten DAT_nn implizit mitgegebenen Dynamiken mit den Daten hinreichend ‚kongruent‘ sind? D.h. gilt es, dass die Daten DAT_nn vollständig in der ‚Bildmenge‘ der Theorie(n) Th_nn vorkommen? Bzw. gilt, dass  DAT_nn_sens subset Th_nn(DAT_nn_sens)? Da jede Theorie aufgrund der ihr ‚innewohnenden‘ Generalisierungen grundsätzlich mehr Elemente in ihrer Bildmenge hat als sensorische Daten in sie eingehen, kann man nicht verlangen, dass sich zu allen theoretisch möglichen Bildelementen 1-zu-1-Entsprechungen in den Primärdaten finden lassen, wohl aber kann – und muss – man verlangen, dass alle tatsächlich auftretenden Primärdaten sich als Elemente der Bildmenge darstellen lassen. Wahrheit_1 wäre dann also genau die Erfüllung dieser Forderung, dass man also sagen könnte: Eine nuronale Theorie der Welt ist Wahr_1 genau dann, wenn gilt: DAT_nn_sens subset Th_nn(DAT_nn_sens). Also nicht Übereinstimmung sondern abschwächend ‚Enthaltensein‘. Der Bewusstseinsraum Ph als ‚Bewusstsein‘  CONSC ist hier verstehbar als korrespondierend mit eine Teilmenge NN_ph der Menge der neuronalen Zustände NN, also NN_ph subset NN und die zu prüfenden neuronalen Theorien sind Muster innerhalb von NN_ph und NN_nph und ihr Referenzpunkt (ihr ‚Kriterium‘) für Wahrheit_1 ist das Enthaltensein der auftretenden neuronalen Ereignisse in der Bildmenge der Theorie. Eine logische Antinomie und daraus sich herleitenden Aporien gibt es hier nicht.

 

(20) In Relation zur umgebenden Außenwelt (hier ‚Wahrheit_2‘ genannt) stellt sich die Frage nicht innerhalb eines Systems, da das einzelne System in seinem internen Modell ‚gefangen‘ ist. Die modernen empirischen Wissenschaften haben uns aber die Möglichkeit eröffnet, dass wir andere Körper – menschliche wie tierische und andere – als ‚empirische Objekte‘ untersuchen können. Zusätzlich können wir – bis zu einem gewissen Grad – die Entwicklung von Populationen im Laufe der Zeit untersuchen. In diesem Kontext kann man die Frage der ‚Passung‘ des Verhaltens einer Population zur jeweiligen Außenwelt nach unterschiedlichen Kriterien gewichten. Z.B. stellt das schlichte ‚Überleben‘ bzw. ‚Nicht-Überleben‘ ein Basiskriterium dar. Populationen, die nicht überleben, haben offensichtlich ein Verhaltensspektrum, was nicht geeignet ist, alle notwendigen ‚Aufgaben‘, die die jeweilige Umgebung stellt, in der verfügbaren Zeit befriedigend zu lösen. Insofern das Verhalten ein Ouput des Körpers mit seinem Nervensystem ist, das auf einem bestimmten Input basiert – also sys: IN x BD x NN —> OUT — muss man sagen, dass die Systemfunktion sys offensichtlich unzulänglich ist. Da jede Systemfunktion eine Synthese von Körper mit Nervensystem BD x NN bildet, von dem wir wissen, dass es auf biochemischem Wege über Genetik, Wachstum und Vererbung weitergegeben und zugleich ‚verformt‘ wird, könnte man sagen, ein Körper-mit-Nervensystem-System SYS_bd_nn hat eine ‚wahre_2‘ Struktur, wenn das potentielle Verhalten sys( IN x BD x NN) geeignet ist, dass die Population dieses Systems POP_sys überlebt. Hier wird also der Körper mit seinem Nervensystem und den im Nervensystem bildbaren ‚Modellen‘ Th_nn einheitlich als ein dynamisches Modell sys() gesehen, das alle für das Überleben notwendigen Eigenschaften in der umgebenden Außenwelt hinreichend abbilden und gestalten kann. Das ‚Transobjektive‘ von Hartmann könnte in diesem Kontext interpretiert werden als die umgebenden Außenwelt, die auf den jeweiligen Körper einwirkt und über die verfügbaren Sensoren in dem Körper ein ‚Bild ihrer selbst‘ erzeugt, das nicht die Außenwelt ist, wie sie ‚an sich‘ ist, sondern die Außenwelt, wie sie aufgrund einer kausalen Wirkkette innerhalb eines Organismus repräsentiert werden kann. Die verfügbare neuronale Maschinerie generiert aus diesem primären ‚Bild‘ unterschiedliche komplexe Theorien, die über die konkreten einzelnen Daten hinausreichen (sie ‚transzendieren‘) und mittels einer Theorie ein übergreifendes Bild von einem ‚transzendierenden Objekt‘ entwerfen. Dieses selbst generierte ‚Bild eines Urbildes‘ kann mit dem Urbild – von einem Metastandpunkt aus betrachtet — mehr oder weniger ‚übereinstimmen‘ –also: wahr2: ENV x BD x NN x IN —> {passt, passt-nicht} –, doch ist diese Art von Passung dem individuellen System nicht zugänglich! Sie erschliesst sich nur in einer empirischen Untersuchung, die historische Entwicklungen untersuchen kann.

 

(21) Behält man das Verständnis von Metaphysik als Wissenschaft vom Seienden bei, das sich durch und jenseits der Erkenntnis erschließt und das unabhängig von der Erkenntnis existiert, dann müsste man nun sagen, Metaphysik ist im Prinzip möglich, nicht jedoch als Disziplin individuellen Erkennens, sondern nur als empirische Disziplin, die in einem Netzwerk betrieben wird. Moderne empirische Wissenschaften mit explizitem Theorieanteil, die die Leistungsfähigkeit von Populationen unter expliziter Berücksichtigung des neuronal basierten Verhaltens mit Bezug auf ihre Umwelt untersuchen, bilden gute Kandidaten für eine moderne Metaphysik.

(22) Man kann diese Überlegungen auf vielfältige Weise ergänzen und weiterführen. Ein interessanter Aspekt ist der ‚Offenbarungscharakter‘ von Natur. Wenn man bedenkt, wie umfangreich der Weg vom sogenannten Big-Bang (reine Energie mit einer unvorstellbar großen Temperatur) über Ausdehnung, Sternenbildung, Elementbildung, Bildung unserer Galaxie mit einem komfortablen Platz für unser Sonnensystem, mit einem komfortablen Platz für unsere Erde mit einer extrem günstigen Konstellation aller Planeten, der Entstehung von Molekülen aus Elementen, bis hin zu den ersten Zellen (bis heute letztlich ungeklärt)(vor ca. -3.2 Milliarden Jahren), von da aus eine ‚endogen und interaktiv  getriebene Entwicklung‘ genannt Evolution hin zu körperlichen Strukturen mit vielen Zellen, hin zu Nervensystemen (Start vor ca. -700 Mio Jahren), hin zu Körpern und Gehirnen, die explizite Modelle ihrer Umwelt und ihrer selbst entwickeln können, die symbolische Sprache erfunden haben und vieles mehr. Entscheidend: von der reinen Energie am Anfang sind wir zu Gehirnzuständen gekommen, in denen sich das Universum gleichsam ’selbst‘ anschauen kann, den Augenblick, das Einzelne, aber auch Alle und die ganze Entwicklung. Im Bewusstsein eines JEDEN Menschen kann sich potentiell das gesamte Universum mit allen seinen Facetten ‚versammeln‘, ‚aufscheinen‘. Ich habe nicht den Eindruck, dass irgendein Mensch sich der Tragweite dieses Faktums bewusst ist. Und bezogen auf die klassischen Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum, Islam) habe ich den Eindruck, dass diese die Menschen, statt sie mehr und tiefer zu Gott und einer Ehrfurcht vor dem Leben hinzuführen, eher dazu dienen, die Menschen Gott zu entfremden und das Leben – auch in Gestalt anderer Menschen – zu verachten, zu hassen oder gar zu töten. Ein solches Verhalten ist NIEMALS die Botschaft des Lebens, wenngleich das ‚Fressen und Gefressenwerden‘ im Bereich des Lebens eine Eigenschaft darstellt, die an die Notwendigkeit der Verfügbarkeit von hinreichender Energie gekoppelt ist. Doch in der Gestalt des Menschen hat das biologische Leben einen Punkt erreicht, bei dem dieses zwanghafte Fressen und Gefressenwerden prinzipiell durchbrochen werden kann. Wir haben die grundsätzliche Möglichkeit –zum ersten Mal seitdem es dieses Universum gibt!!! — die Gesetze des Lebens neu zu gestalten, neu zu formen, ja, letztlich können wir im Prinzip das gesamte bekannte Weltall von Grund auf neu umformen (natürlich nicht an einem Tag….). Genau dazu sind wir ‚berufen‘. Aber wen interessiert schon die Wahrheit2? Noch liegt immer ein gewisser ‚Schleier‘ über der Bestimmung des gesamten Lebens. Dass es auch irgendwo anders im riesigen Universum ähnliches der gar gleiches Leben wie unseres geben sollte, ist grundsätzlich weder auszuschließen noch würde es unserer ‚Bestimmung‘ irgendeinen Abbruch tun. Die Erkenntnis des ‚gemeinsam Gewordenseins‘ enthält in sich eine gemeinsame Berufung für das Ganze, von dem wir in Gestalt des messbaren Universums möglicherweise bislang nur einen kleinen Zipfel sehen (so wie unser Gehirn im Körper sich als ‚Herr der Dinge‘ erlebt, obgleich es doch, wie wir heute wissen können, nur einen winzigen Ausschnitt eines viel Größeren erlebt). ‚Wahrheit‘ ist das jeweils ‚Größere‘ (Magis), dem wir uns beugen und dienen müssen, da wir als einzelne nicht ‚Herr des Geschehens‘ sind. Insofern wir aber untereinander mit allem unauflöslich ‚verbunden‘ sind, ist diese individuelle Beschränkung nur relativ.

 

 

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Gnoseologische, ontologische, teleologische Wahrheit – Fortsetzung 2 der Überlegungen zu N.Hartmanns Metaphysik der Erkenntnis

ZWISCHENSTAND

 

(1) In den bisherigen Überlegungen arbeitet N.Hartmann immer schärfer einen Gegensatz heraus zwischen dem empfangenden und erkennenden Subjekt einerseits (wobei eine genauere Beschreibung und Analyse dieses ‚Subjektes‘ bemerkenswerter Weise auf sich warten lässt) und der Realisierung eines Objektes im phänomenalen Raum, von der er sagt, dass sie über sich hinaus weist (transzendieren, Transzendenz) auf ein eigentliches Objekt, auf ein ‚Objekt an sich‘, das als solches der Erkenntnis entzogen ist, das aber als dieses ganz und gar eigenständige Objekt die wahre ‚Objektivität‘, die wahre ‚Existenz‘ verkörpere. Dies ist für ihn der Gegenstandsbereich der ‚Ontologie‘, der Kern des ‚Metaphysischen‘.

 

(2) Mit dieser Art von Rede über ein ‚Objekt an sich‘ bei gleichzeitigem Festhalten an einer phänomengebundenen Erkenntnis konstruiert Hartmann sowohl eine logische Antinomie des Bewusstseins wie auch eine logische Antinomie des Objekts. Nach meinem Verständnis beruhen beide Antinomien auf Annahmen, die so nicht zwingend sind.

 

(3) Von diesen logischen Antinomien gibt es unterschiedliche Spielarten. Eine ist diejenige, die sich im Kontext der a apriorischen Erkenntnis ergibt. Hartmann schreibt „Wie ist es möglich, dass dasjenige, was das Bewusstsein bei sich selbst am immanenten Vorstellungs- oder Gedankengebilde erschaut, Gültigkeit für ein Reales habe, welches ihm unaufhebbar transzendent ist?“ (MdE, 65) Und natürlich ist diese Frage unausweichlich, solange man Erkenntnisimmanenz und Objekttranszendenz per Annahme so radikal trennt, dass ein Zusammenhang logisch nicht fassbar ist. Das ist schlichtweg tautologisch.

 

(4) Es folgen dann auf den Seiten 66-87 Überlegungen zum Wahrheitsbegriff, die grundsätzlich daran leiden, dass der Wahrheitsbegriff in gewisser Weise vorausgesetzt wird, ohne dass er irgendwie erklärt wird. Er tritt in immer wieder neuen Formulierungskontexten auf ohne dass die beteiligten Begriffe klar sind. So benutzt Hartmann z.B. die Begriffe ‚Wahrheit‘, ‚Wahrheitsbewusstsein‘ und ‚Kriterium der Wahrheit‘ in einer vieldeutigen Weise.

 

(5) Die Wahrheits-Sprachspiele werden eröffnet durch die Formulierung „Erkenntnis kann nur entweder wahr oder unwahr sein.“ (MdE,66) Der Begriff ‚Erkenntnis‘ ist in diesem Kontext völlig unterbestimmt. Genauso gut hätte Hartmann schreiben können “ XYZ kann nur entweder wahr oder unwahr sein“. Aufgrund der nachfolgenden Feststellungen kann man zumindest entnehmen, dass Hartmann annimmt, dass es bei XYZ darum geht, dass es eine Übereinstimmung WAHR() zwischen den ‚Bestimmtheiten eines Objektbildes (OBJ*)‘ mit einem ‚zugehörigen Objekt (OBJ)‘ gibt, und dass der Ort dieser Übereinstimmung das  ‚Subjekt (SUB)‘ ist. Also er geht von einer Beziehung WAHR(OBJK*, OBJ) aus, die innerhalb eines SUB stattfinden soll. Nach den vorausgehenden Überlegungen kann hier eine Bedeutungsverschiebung von ‚Bewusstsein (BEW)‘ zu Subjekt nicht ausgeschlossen werden. Dann ginge es um die Beziehung WAHR() innerhalb des Bewusstseins. Ferner nimmt Hartmann an, dass diese Übereinstimmung entweder stattfinden kann oder nicht. Dies bedeutet dann, dass die Beziehung WAHR() nicht bloß eine Relation ist sondern eine Abbildung der Art wahr: OBJ* x OBJ —> {wahr, falsch}. Da diese Abbildung innerhalb des Subjekts bzw. innerhalb des Bewusstseins stattfinden soll, impliziert dies, dass das Objekt OBJ, mit dem das Bild OBJ* des Objektes OBJ verglichen wird, sich innerhalb des Subjets/ Bewusstseins befindet; andernfalls wäre der Vergleich nicht möglich.

 

(6) Doch hier scheint die Unterscheidung zwischen ‚Wahrheit‘ und ‚Wahrheitsbewusstsein‘ zu greifen. Die ‚Wahrheit‘ scheint sich auf das ‚Innenverhältnis‘ zwischen Objekt OBJ und dessen Bild OBJ* zu beziehen. Und innerhalb dieser Beziehung ist –rein logisch– kein Problem erkennbar, da –per definitionem– die Bestimmtheiten des Bildes eben mit dem ‚Original‘ übereinstimmen oder nicht. Hartmann „Es gibt keine Aporie der Wahrheit“. (MdE, 67).

 

(7) Doch lässt sich schwerlich über die ‚Wahrheit an sich‘ reden, da für uns ’normal Erkennende‘ sich die Frage nach der Übereinstimmung nur innerhalb unseres Bewusstseins stellt, es also nicht einfach nur um die Wahrheit ‚als Wahrheit‘ geht, sondern um unser ‚Bewusstsein von der Wahrheit‘ spricht um unser ‚Bewusstsein von der Übereinstimmung‘ zwischen OBJ* und OBJ. Hier gibt es dann aber eine „Aporie des Wahrheitsbewusstseins“ (MdE, 67). Per definitonem kann das Objekt an sich OBJ nicht Teil des Bewusstseins sein; dann aber ist die Vergleichsoperation wahr: OBJ* x OBJ —> {wahr, falsch} nicht möglich. Für die Abbildung fehlt dann ein Faktor: wahr: OBJ* x ??? —> {wahr, falsch}.

 

(8) Doch, wie schon zuvor herausgearbeitet, besteht der Eindruck, dass diese Aporie des Wahrheitsbewusstsein eine Scheinaporie ist, hervorgerufen durch mindestens eine Annahme, die zweifelhaft erscheint. Hartmann schreibt: „Die Aporie des Wahrheitsbewusstseins läuft also auf eine Aporie des Kriteriums der Wahrheit hinaus. Dass es Übereinstimmung des Objektbildes mit dem transzendenten Objekt geben kann, unterliegt keinem Zweifel. Die Frage ist nur, ob es eine Möglichkeit für das Subjekt gibt, diese Übereinstimmung zu erkennen … In dieser Möglichkeit würde das Kriterium bestehen. Die Frage ist also: gibt es ein Kriterium der Wahrheit?“. (MdE, 67)

 

(9) Die zweifelhafte Annahme steckt in der Formulierung „Dass es Übereinstimmung des Objektbildes mit dem transzendenten Objekt geben kann, unterliegt keinem Zweifel.“ Es bleibt rätselhaft, wie Hartmann zu dieser Annahme kommen kann. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, warum man diese Annahme machen sollte bzw. überhaupt machen kann. Jenseits der Erkenntnis wissen wir nichts von einem Objekt außerhalb der Erkenntnis (wenngleich, wie wir später sehen werden, es einen ‚indirekten Weg‘ gibt, etwas Vergleichbares anzunehmen, allerdings auf eine Weise, die eben nicht zu einer Aporie führt).

 

(10) Nebenbei erfährt man aber auf diese Weise, was er unter einem ‚Kriterium der Wahrheit‘ verstanden haben wissen will. Das Wahrheitskriterium besteht demnach in der Möglichkeit des Erkennens einer Übereinstimmung zwischen Objekt und Objektbild. Da es sich bei dieser Übereinstimmung um eine Abbildungsoperation handelt wahr: OBJ* x OBJ —> {wahr, falsch} setzt ein so verstandenes Wahrheitskriterium nicht nur die Existenz der beiden zu vergleichenden Bereiche OBJ und OBJ* voraus, sondern auch noch die Möglichkeit einer effektiven Vergleichsoperation auf den ‚Elementen‘ dieser beiden Bereiche. Wenn wir allerdings davon ausgehen, dass die Annahme der Verfügbarkeit eines Objektes an sich OBJ für das Bewusstsein nicht zu rechtfertigen ist, dann fällt auch das Wahrheitskriterium in sich zusammen. Überhaupt ist dann das ganze Konstrukt von Wahrheit als Übereinstimmung hinfällig.

 

 

(11) Eine gänzliche Verwerfung des Wahrheitsbewusstseins verortet Hartmann schon in der antiken Skepsis. (MdE, 67) Für Hartmann würde aus solch einer Verwerfung folgen, dass man dann „den Anspruch des Subjekts auf das Wissen um wahr und unwahr als schlechthin illusorisch verwerfen [müsste]“. (MdE, 68). Mit Blick auf die „unabsehbaren Folgen“ einer solchen skeptischen Verwerfung zieht Hartmann daher diese Position in Zweifel. (vgl. MdE, 68). Dies wirkt wenig überzeugend. Das wirkt fast so, also ob er zwar keine wirklichen logischen Argumente hat, aber aufgrund seines ‚Bauchgefühls‘ –wie manche heute sagen würden– eher etwas anderes für wahr halten möchte. Dies ist allerdings keinesfalls ‚rational‘ sondern eher ‚mirakulös‘.

 

 

(12) Statt also die Unhaltbarkeit der Annahme einer Erkenntnis des Objekts an sich von innerhalb der Erkenntnis zu akzeptieren, spekuliert Hartmann über eine mögliche begriffliche Konstruktion, wie vielleicht doch irgendwie die Existenz eines Objekts an sich gerettet werden kann, um sein Konzept von Wahrheit zu retten. (vgl. MdE, 68f) Er sinniert über ein „zweites Erfassen“, über ein „Wissen des Wissens“, über eine „zweite übergreifende Bindung“, und bemerkt dann immerhin, dass dies zu einer „ungeheuren Komplizierung und Belastung des Erkenntnisproblems“ führt. (MdE, 69)

 

(13) Nicht genug all dieser fruchtlosen Spekulationen, führt er dann noch am Beispiel des „Wissens des Nichtwissens“ eine neue „Aporie des Problembewusstseins“ ein, die im Prinzip nichts Neues aufzeigt als nur das Gleiche mit anderen Worten: „Wie ist ein Erfassen dessen möglich [des Objekts OBJ], was viel mehr unerfasst bleibt, und gerade sofern es unerfasst bleibt [am erkennbaren Bild OBJ*]?“ (MdE, 70) Dies verdeutlicht auch eine andere Formulierung: „Was hier verlangt wird ist eine Objektion des Transobjektiven an das Subjekt, in der dasselbe transobjektiv bleibt…“. (MdE, 70)

 

(14) Für Hartmann besteht der feine Unterschied zwischen der Aporie des Wahrheitskriteriums und der Aporie des Problembewusstseins darin, dass das Kriterium der Wahrheit es angeblich nur mit „dem zu tun hat, was diesseits der Grenze“ liegt, wohingegen das Problembewusstsein im Wissen um das Nichtwissen „über die Objektgrenzen hinaus“ greifen soll. (vgl. MdE, 71) Dies führt Hartmann zur Annahme einer „dritten Art von Bindung“ zwischen Subjekt und Objekt als Trans-objektivem. (vgl. MdE, 71)

 

(15) Die Formulierung „diesseits der Grenze“ ist mehr als zweifelhaft, da sie suggeriert, als ob ein Vergleich zwischen Objektbild OBJ* und Objekt an sich OBJ ganz ohne dem Objekt OBJ auskäme. Das widerspricht aber seiner eigenen Definition des Wahrheitskriteriums und macht auch logisch keinen Sinn. Die Abgrenzung des Problembewusstseins von dieser Art von Wahrheitskriterium hängt damit aber in der Luft. Die Formulierungen „über die Objektgrenzen hinaus greifen“ bzw. „Objekt als Transobjektives“ erscheinen daher nur als unnötige Verdopplungen von Begriffen für ein und denselben Sachverhalt, der in sich daran krankt, dass er auf Annahmen beruht, die bislang schlicht und einfach ‚haltlos‘ sind.

 

(16) Hartmann führt einen weiteren neuen Begriff ein, den des „Erkenntnisprozesses“. Gegenüber dem „Problembewusstsein“ charakterisiert Hartmann den Erkenntnisprozess als „dynamisch“, als Lösungen generierend. (MdE, 72) Im Erkenntnisprozess emanzipiert sich das Subjekt vom Transobjektiven, indem es Objekterkenntnis in seinem Rahmen entwickelt. (vgl. MdE,72) Das Transobjektive wird als Objiziertes in ein „Erkanntes“ verwandelt, das einerseits unabhängig von allen zuvor genannten Aporien ist, zugleich aber von der impliziten Bestimmtheit des Objektbildes OBJ* durch das Objekt OBJ wie auch durch das Problembewusstsein um diese unvollendete Bestimmtheit weiß. (vg. MdE, 73)

 

(17) Für Hartmann kulminieren im Erkenntnisproblem dann letztlich vier Aporien, denen unterschiedliche Arten von Bindungen zwischen Subjekt und Objekt korrespondieren, eine „Komplizierung“, wie er feststellt, die letztlich durch die eigentliche Theorie aufzuhellen sei. (MdE, 73)

 

(18) Nach meiner Einschätzung sind alle die genannten vier Aporien Artefakte falscher Annahmen. Sie lenken das Denken auf begriffliche Konstellationen, die nicht weiterführen.

 

(19) Nach all dem Festhalten am Objekt an sich wundert es nicht, dass Hartmann die bisherigen Aporien als „gnoseologisch“ qualifiziert, da es „Erkenntnisprobleme“ sind, im Unterschied zu den „ontologischen“ Aporien, die sich auf den Gegenstand an sich beziehen, der als einziger „real“ ist, „voll wirklich“, „existent“. (vgl. MdE, 74)

 

(20) Hartmann hat drastische Formulierungen: „Der Schwerpunkt der Erkenntnisrelation liegt außerhalb ihrer selbst, jenseits der verschiebbaren Objektionsgrenze, im Transobjektiven, ja, … im Irrationalen (genauer im Transintelligiblen…). Hinter dem ‚Gegenstand‘ taucht die seiende Sache, hinter der Erkenntnisrelation die Seinsrelation auf. In dieser steht, statt des Erkennenden und Erkannten, nur noch ein Seiendes einem Seienden gegenüber.“ (MdE, 74)

 

(21) Mit diesen Formulierungen ist der zuvor schon diagnostizierten Irrationalität Tür und Tor geöffnet. Wenn es möglich ist, Sachverhalte zu postulieren, die jenseits und unabhängig vom Denken angesiedelt sein sollen, dann verliert das Denken seine Spielregeln; dann kann man alles behaupten, weil nichts mehr falsch sein kann. Da wir später sehen werden, dass eine Analyse des tatsächlichen Denkens Strukturen zutage fördern kann, die –obschon klar im Denken verwurzelt– über das aktuell Erkennbare hinaus Strukturen erzeugen können, die geeignet sind, über den Bereich der ‚Bilder‘ hinaus (transzendierend) zu denken um damit ‚mögliche‘ Objekte jenseits des Wahrnehmbaren zu ‚orten‘, sind die begrifflichen Versuche von Hartmann, genau jene in jeglichem Denken angelegten ‚induktiv-transzendierende‘ Strukturen zu denken (und für wahr zu halten), nicht völlig ’sinnlos‘, aber sie sind in dem Kontext, in dem er argumentiert, –wie er selbst sagt!– ‚irrational‘ und ‚transintelligibel‘. Auf den Seiten SS.75f kumuliert er die Irrationalitäten in dem wechselweisen Verweis von Ontologie und Gnoseologie aufeinander. Viele schöne Worte für einen einfachen Sachverhalt.

 

(22) Auf den SS.78 – 87 folgen unterschiedliche Anmerkungen zu den vorausgehenden grundsätzlichen Überlegungen. So führt Hartmann u.a. aus, dass es zwischen Phänomenologie und Metaphysik kein Problem gibt. Das Metaphysische ist in allen Phänomenen notgedrungen implizit gegeben. Die Phänomenologie hilft, diese Vorkommen sichtbar zu machen, nicht aber, es zu lösen.(vgl. MdE, 77f) Zum Problem des Objektbildes innerhalb der Phänomenologie schreibt er z.B. „Ein Bewusstseinsgebilde als solches kann überhaupt niemals einem außerbewußten Urbilde ähnlich sein; es ist und bleibt von ihm wesensverschieden. Die Ähnlichkeit kann sich immer nur auf bestimmte Züge erstrecken, die das Urbild irgendwie in einer ihm heterogenen Materie und mit heterogenen Mitteln nachformen…. Der bessere … Ausdruck für das ‚Bild‘ ist daher der von Leibniz geprägte Begriff der Repräsentation. Die Bestimmungen des Erkenntnisgebildes müssen die des Objekts irgendwie wiedergeben, ‚ausdrücken‘, oder im Bewusstsein ‚vertreten‘.“ (MdE, 80)

 

(23) In diesem Abschnitt wiederholen sich wieder die vielen Ungereimtheiten, die schon zuvor den Gedankengang beschwert haben. Es wird (aufgrund welcher Erkenntnisbasis?) einerseits behauptet, das das Bild des Objektes im Bewusstsein niemals dem verursachenden Objekt ähnlich sein kann (obgleich wir ja angeblich über dieses verursachende Objekt nichts wissen, also auch nicht, ob es ähnlich ist oder nicht), dennoch wird angenommen, dass es dennoch eine Ähnlichkeit gibt, die sich auf „bestimmte Züge“ erstreckt (woher wissen wir dies denn nun schon wieder, wo wir doch gar nichts wissen sollen?). Ebenso unmotiviert erscheint dann die Argumentation, warum der Leibnizsche Ausdruck ‚Repräsentation‘ anstatt ‚Bild‘ besser geeignet sein soll? Da wir ja über die ‚wahre Natur‘ der Objekt-Bild-Beziehung nichts Genaues wissen, fragt sich, warum wir beurteilen können sollen, ob die Bezeichnung ‚Bild‘ oder ‚Repräsentation‘ besser sein soll, zumal diese beiden Begriffe selbst als solche auch keine präzise Bedeutungsbeschreibung bieten. Aus mathematischer Sicht würde es sich bei einer Objekt-Bild-Beziehung grundsätzlich um eine Abbildung handeln und eine Bezeichnung als ‚Bild‘ oder ‚Repräsentation‘ macht keinen wirklichen Unterschied.

 

(24) Hartmann macht darauf aufmerksam, dass es in der traditionellen Metaphysik noch eine Variante des Wahrheitsbegriffs gibt, die über den zuvor als ‚ontologisch‘ charakterisierten noch hinausgeht; es geht um einen „teleologischen“ Wahrheitsbegriff, in dem man ein ewiges ideales Urbild allen Seins annimmt, aus dem alles andere Seiende hervorgeht und das im Verhältnis zum Urbild relativ gesehen immer ein „Abbild“ ist. (vgl. MdE, 84) Dieses Konzept findet sich bei Platon und dann weiter z.B. bei Aristoteles, Leibniz und Hegel. (vgl. MdE, 85f) Hartmann disqualifiziert diesen Wahrheitsbegriff als ein „teleologisches Adäquationsverhältnis“, das mit Wahrheit nichts zu tun habe. (vgl. MdE, 85) Hier stockt dann allerdings das denken da ja zuvor das ontologische Wahrheitsverhältnis ein Verhältnis zwischen Objekt und Objektbild unterstellte; warum das Verhältnis zwischen Urbild und Abbild von einer anderen Art sein soll, ist aus der Natur des ontologischen Verhältnisses aus nicht direkt erkennbar, zumal wir ja bislang immer noch keine klaren Kriterien haben, um überhaupt etwas Verbindliches zum Verhältnis Objekt und Objektbild sagen zu können. Für Hartmann, der bereit ist, in Sachen Irrationalität recht weit zu gehen, ist aber im Falle der teleologischen Wahrheit eine Grenzmarke überschritten: „Diese extreme Verschiebung des Wahrheitsbegriffs ins Metaphysisch-Teleologische hat den schlichten gnoseologischen Sinn der ‚Wahrheit‘ bis zur Unkenntlichkeit entstellt, hat das eigentliche Wahrheitsproblem nahezu verschüttet… Eine so gewichtige Metaphysik kann das Erkenntnisproblem unmöglich tragen. Ihr entspricht keines seiner Teilprobleme.“ (MdE, 86)

 

 

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LITERATURVERWEISE

 

Hartmann, N. “ Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis“, Berlin: Walter de Gruyter & Co, 5.Aufl. 1965 (Erstausgabe 1929).

OBJEKT AN SICH, SUBJEKT – Fortsetzung 1 zu den Überlegungen von N.Hartmanns Metaphysik der Erkenntnis

ZWISCHENSTAND

 

(1) In den bisherigen Überlegungen arbeitet N.Hartmann immer schärfer einen Gegensatz heraus zwischen dem empfangenden und erkennenden Subjekt einerseits (wobei eine genauere Beschreibung und Analyse dieses ‚Subjektes‘ bemerkenswerter Weise auf sich warten läßt) und der Realisierung eines Objektes im phänomenalen Raum, von der er sagt, dass sie über sich hinaus weist (transzendieren, Transzendenz) auf ein eigentliches Objekt, auf ein ‚Objekt an sich‘, das als solches der Erkenntnis entzogen ist, das aber als dieses ganz und gar eigenständige Objekt die wahre ‚Objektivität‘, die wahre ‚Existenz‘ verkörpere. Dies ist für ihn der Gegenstandsbereich der ‚Ontologie‘, der Kern des ‚Metaphysischen‘.

 

(2) Mit dieser Art von Rede über ein ‚Objekt an sich‘ bei gleichzeitigem Festhalten an einer phänomengebundenen Erkenntnis hat Hartmann eine logische Antinomie aufgebaut, die als solche nicht auflösbar ist, solange er an beiden ‚Polen‘ (‚Objekt an sich‘ versus ‚Raum der Phänomene mit Reflexion‘) festhalten will. So nimmt es auch nicht wunder, dass er auf den folgenden Seiten MdE 61-71 letztlich nichts anderes tut, als mit immer neuen –oder auch gleichen– Worten diese Antinomie zu beschreiben, wie ein Hamster in einem Laufrad; das Ergebnis ist vorhersagbar….

 

ES GEHT WEITER

 

(3) Folgendes Zitat mag diese These illustrieren: „Das Problem beginnt schon mit dem nackten Gegenüber von Subjekt und Objekt. Wie kann zwischen diesen beiden eine aktuelle Relation bestehen, da doch ihre Sphären derart getrennt und einander getrennt sind, dass jede von ihnen auch außer der Relation für sich besteht? Entweder die Relation ist ihnen unwesentlich und inaktuell, oder sie hebt ihre Transzendenz auf. (MdE, 61).

 

(4) Dies ist der eine Pol, die Annahme eines ‚Objekts an sich‘. Wohlgemerkt: Hartmann hat vorher nirgends eine wirkliche Begründung für die Annahme eines ‚Objekts an sich‘ geliefert. Es erscheint ihm einfach ‚evident‘, wobei die Eigenschaft ‚evident‘ nicht weiter erläutert wird (z.B. durch Kontextbedingungen) (mir persönlich z.B. erscheint diese Annahme keinesfalls ‚evident‘).

 

(5) Der andere Pol, der Gegenpol, ist illustriert durch die folgenden Worte: „Wenn Subjekt und Objekt mit ihrem ganzen Sein nur Erkennendes und Erkanntes wären und in der Erkenntnisrelation aufgingen, so könnte diese als das Primäre aufgefasst werden. Subjekt und Objekt wären dann nichts als untergeordnete Momente an ihr … dann wäre ihre Einheit ihnen wesentlich und mit ihnen notwendig gesetzt;…“ (MdE, 61)

 

(6) Wenn es so wäre, dass das Objekt und Subjekt ausschließlich in der Erkenntnisrelation vorkommen, dann wäre es so und man müsste untersuchen, was daraus folgt. Doch aus irgendwelchen Gründen tut sich Hartmann schwer mit dieser Ansicht; er schreibt: „… mit dem Subjekt wäre notwendig das Objekt gesetzt und umgekehrt. Diese Auffassung ist die aller Identitätsphilosophie; sie ist falsch, weil sie dem Phänomen nicht entspricht.“ (MdE, 61) So einfach ist das: „weil sie dem Phänomen nicht entspricht“. In seiner Erkenntnis von Welt, muss Hartmann ein ‚Wissen‘ haben, das ihn daran hindert, die Verortung von Subjekt und Objekt in der Erkenntnisbeziehung so zu sehen, dass es ein unabhängig davon existierendes Objekt nicht geben könnte. ‚Etwas‘ in seinem ‚Wissen‘ treibt ihn dazu, zu postulieren, dass das Phänomen in sich Informationen trägt, die ‚über es selbst‘ hinausweisen hin in einen von der Erkenntnisbeziehung unabhängigen Bereich. Dieses Wissen, das ihn da ‚treibt‘ beschreibt er aber nicht direkt und explizit. Man könnte an dieser Stelle spekulieren, dass er ‚mehr‘ haben möchte, ein ‚umfassenderes‘ Wissen als nur ein solches, das im Rahmen der Subjekt-Objekt-Erkenntnisbziehung entstehen kann. Doch dies ist Spekulation. Die Überlegungen sind hier wie im Fall der sogenannten ’schwarzen Materie‘ (‚dark matter‘) der Physiker: man kann sie nicht direkt beobachten, nur indirekt über ihre beobachtbaren Wirkungen erschliessen.

 

(7) Möglicherweise kann die folgende ‚Antinomie des Bewusstseins‘ einen leichten Hinweis bieten. Hartmann umschreibt diese wie folgt: „These: Das Bewusstsein muß aus sich heraustreten, sofern es außer sich erfasst, d.h. sofern es erkennendes Bewusstsein ist. Antithese: das Bewusstsein kann nicht aus sich heraustreten sofern es nur seine Inhalte erfassen kann, d.h. sofern es erkennendes Bewusstsein ist.“ (MdE, 62)

 

(8) Diese Antinomie lebt von ihren beiden Thesen. Wenn eine davon falsch wäre, würde sie in sich zusammen sinken. Z.B. ist die These, dass das Bewusstsein ‚aus sich heraustreten‘ müsse, sofern es außer sich etwas erfassen würde, fragwürdig. (i) Erstens unterstellt Hartmann hier eine Verschiebung von Subjekt zu Bewusstsein: ursprünglich war es das ‚Subjekt‘, das innerhalb einer Erkenntnisbeziehung zusammen mit einem ‚Objekt‘ vorkommt und das ‚Bewusstsein‘ kann gesehen werden als dieser ‚Erkenntnisraum‘, der sich durch die Erkenntnisbeziehung ‚aufspannt‘; natürlich nicht wie ein ‚physikalischer‘ Raum, sondern ein gnoseologischer (kognitiver) Raum des gleichzeitigen Vorkommens von Erkanntem und Erkennen (letzteres bei Husserl das transzendentale ego). (ii) In dieser Lesart muss also das Bewusstsein nicht aus sich herausgehen, um zu erkennen, sondern anlässlich des Erkennens in einer sich ereignenden Erkenntnisbeziehung ‚gibt‘ es einen Erkenntnisraum, das Bewusstsein. Das Bewusstsein ist das ‚Resultat‘ des ‚Aufeinandertreffens‘ von zu erkennendem Objekt und ‚Erkennen‘. Das Erkennen selbst ist kein ‚Objekt‘, keine ‚Substanz‘. Die Einführung der Bezeichnung ‚Subjekt‘ für das ‚Erkennen‘ ist eine Notlösung, da es für das ‚Erkennen‘ keine anderen vergleichbaren Objekte gibt. Das ‚Erkennen‘ ist etwas ganz Einzigartiges. Die Benutzung des Begriffs ‚Subjekt‘ verleitet viele Menschen dazu, hinter ‚Subjekt‘ etwas Konkretes, Substantielles zu sehen; das ist aber in keiner Weise gerechtfertigt. Würde man dieser Begriffsklärung folgen, dann wäre die These hinfällig, und damit wäre die Antinomie hinfällig.

 

(9) Neben der sogenannten ‚Antinomie des Bewusstseins‘ beschreibt Hartmann aber auch noch eine ‚Antinomie des Objekts‘: „These: Die Bestimmtheiten des Objekts müssen dem Subjekt irgendwie übermittelt werden, sofern Erkenntnis stattfindet; das Bild im Subjekt kann nur ‚objektiv‘ sein, d.h. Züge des Objekts tragen, wenn das Objekt sie irgendwie auf dasselbe übertragen kann; in dieser Übertragung ist aber die Transzendenz des Objekts für das Subjekt bereits durchbrochen. Antithese: die Bestimmtheiten des Objekts können sich auf das Bild im Subjekt nicht übertragen, sie bleiben der Sphäre des Subjekts transzendent; denn im Objektbewusstsein ist die Transzendenz des Objekts im Subjekt nicht durchbrochen, sondern bleibt intakt; es meint das Objekt gerade als Ansichseiendes, welches gleichgültig ist gegen sein Erkanntwerden.“ (MdE, 63)

 

(10) Als erstes fragt man sich, wie es möglich ist, dass Hartmann über ein Objekt reden kann, das nach seiner Charakterisierung ‚außerhalb der Erkenntnisbeziehung‘ anzusiedeln ist. Denn –wie er ja selber umschreibt– ist das Objekt ‚innerhalb‘ der Erkenntnisbeziehung, dann ist es kein eigenständiges Etwas ‚außerhalb‘ des Erkennens (eine Tautologie, die aus der zuvor angenommenen Definition folgt), oder aber es ist etwas ‚außerhalb des Erkennens‘, dann fragt man sich zurecht, wie kann man davon wissen. Nach gesetzter Definition von Erkennen als an eine Erkenntnisbeziehung gebundenes Phänomen ist dies –wieder ganz tautologisch– aufgrund der vorausgesetzten Definition nicht möglich. Es gibt hier vielerlei Strategien, um die Antinomie aufzulösen. Zwei grundsätzliche sind die folgenden: (i) Hartmann zieht entweder seine Aussagen über das ‚Objekt an sich‘ zurück weil sie unzulässig sind, weil es keinen hinreichenden ‚Erkenntnisgrund‘ gibt um über ‚Objekte an sich‘ zu sprechen, oder (ii) er muss seinen Erkenntnisbegriff ändern; dann muss er annehmen, dass es jenseits der primären Subjekt-Objekt-Relation noch weitere Aspekte für das Subjekt gibt, die es ihm erlauben, vom ‚Bild des Objekts‘ auf das ‚hinter dem Bild liegende‘ ‚Objekt an sich‘ zu schliessen.

 

(11) Wie ich in meinem Vortrag in Bremerhaven ansatzweise herausgearbeitet hatte, sehe ich eine Lösung zwischen (i) und (ii). Die Rede von einem Objekt an sich im Sinne einer ‚absoluten‘ Erkenntnis eines ‚Objekts an sich‘ erscheint mit durch nichts gedeckt (und Hartmann kann dazu letztlich auch nichts Überzeugendes einbringen). Deshalb ist auch die Formulierung vom ‚Bild des Objekts‘ zunächst nicht wirklich begründet. Das Subjekt hat tatsächlich primär nur diejenigen Eigenschaften eines Objekts, die innerhalb der Erkenntnisbeziehung –und damit innerhalb des Bewusstseins– auftreten. Allerdings bietet der Raum der Reflexion vielerlei Anknüpfungspunkte, durch die deutlich wird, dass das erkennende Subjekt Abstraktionen, Verallgemeinerungen jenseits aktueller Phänomene bilden kann, Beziehungen und Vergleiche –auch zwischen Vorher und Nachher–, die die Bildung von Begriffen erlauben, die ein aktuelles Phänomen sehr wohl als nur eine ‚Realisierung‘ von einem Phänomenkomplex erkennen kann, der ansatzweise die Bildung eines Objektbegriffs erlaubt, der weit allgemeiner ist als jede aktuelle Realisierung, aber dennoch nicht das ‚Objekt an sich‘ repräsentiert. Wohl lassen sich Begriffe bilden, die diese ‚Veränderlichkeit‘ eines Objektbegriffs, sein ‚potentielles Wachsen‘ adressieren können. Dies könnte man auch als ‚Transzendenz‘ bezeichnen, allerdings in einem abgeschwächten Sinne als ‚gnoseologische (kognitive) Transzendenz‘; es ist eine Form von Transzendenz, aber eine ‚induktive‘, keine solche, die sich aus der Erkenntnis eines ‚Objekts an sich‘ direkt speisen würde.

 

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LITERATURVERWEISE

 

Hartmann, N. “ Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis“, Berlin: Walter de Gruyter & Co, 5.Aufl. 1965 (Erstausgabe 1929).

Philosophische Büttenrede…

(Vorgetragen am 19.Febr.2012)

Liebe Narren,

in diesen Tagen,

was soll ich sagen?

 

Die Welt trauert um Whitney Houston,

die Demokraten feiern den Abschied von Christian Wulff,

in Syrien richtet Assad ein Blutbad nach dem anderen an,

die Tuareg wehren sich gegen die Ausrottung durch ihre eigenen Regierungen,

 

aber — trotz allem – und dennoch —

die Narren sind los.

Von Mainz bis Düsseldorf,

von Köln bis Franken,

die Menschen proben den Ausstand vom Alltag,

die Ausnahme von der Regel,

suchen die Nähe der anderen,

feiern und schunkeln,

erleben die Kraft der Fantasie,

ja, ich bekenne,

ich bin ein Fan der Stunksitzung in Köln,

ich bin besoffen von Pink Punk Pantheon,

ich bin ein Philosoph zwischen

Spass und Wahrheit,

zwischen der Alternative und dem Jetzt, das schon tot ist in dem Moment, wo es stattfindet.

 

PHILOSOPH UND WAHRHEIT

Ja, es ist wahr,

in all diesem Gewusel von Ereignissen, Hektiken, Schlagzeilen,

ein wahrer Philosoph versinkt trotz allem in seinen Gedanken,

taucht ab in Sein und Nichtsein,

denkt über sein Denken,

fragt sich, ob wirklich ist, was zu sein scheint,

fragt ob wahr ist, was Wahr zu sein beansprucht,

grübelt über sich, Gott und die Welt,

und weiss nie, ob Sinn macht, was er da treibt.

 

Ja, so ein Philosoph der hat’s nicht leicht…

 

Körper, Triebe, Sucht…

… wohnt sein Denken doch im Hirn,

dieses sitzt im Körper,

wie in einer Flaschenpost,

angefüllt mit Trieben allerlei Art.

Diese schrein Jucheeh, wenn wir sie bedienen.

Wen wundert’s dann wenn

Sex, Alkohohl und Drogen tun so gut,

süße Speisen, Anerkennung, Lob geh’n runter wie nichts, …

Macht, Reichtum, Publicity… wer kann dem widerstehen?

Für sich sein, Alleinsein, sein eigener Herr sein,

wie angenehm…

Drum, liebe Narren, wundert euch nicht, wenn

so viele Kranke uns umgeben.

Es ist nicht nur die Arbeit, die uns quält,

nein, wir selbst

sind unsre eignen Feinde,

der Körper ist’s, das Hirn,

das in uns waltet ohne uns zu fragen.

 

Geschlechterkampf

Geschlechterkampf,

Mann und Frau,

ein pompöses Gerede,

das ablenkt von den harten Trieben,

tief in uns drin,

die mitgegeben uns durch lange Zeiten,

vom Werden und Vergeh’n des Lebens auf dieser Erde.

Nicht wir, 2012, sind die Herren des Geschehens,

nein, die Gene sind’s, die uns treiben!

 

Philosoph

So ist’s dann doch wieder der Philosoph, der

erahnt, vielleicht erkennt,

was die Welt im Innersten zusammendrängt,

warum heute ist, was uns umgibt,

warum wir sind, was wir sind,

und was das bessere Bild vom Menschen wäre –vielleicht–

nicht ganz so kitschig, so naiv, als ….

 

Politik

… während ich so räsoniere sucht Schöneck einen neuen Bürgermeister –oder auch eine Meisterin, Hausfrau oder Jugendbildungsexpertin–

die Deutschen suchen einen neuen Präsidenten,

der Sarkozy ringt um seine Macht,

die Griechen wollen unser Geld,

die USA türmen Schulden auf Schulden,

Lobbyisten umgarnen die Politik,

Minister vergeben massenweise neue Pöstchen mit unserem Geld,

Vetternwirtschaft nennt man das,

Korruption greift weiter um sich,

Staatsanwälte sind nicht unabhängig,

Richter werden seltsam, Polizei kassiert erst mal ab,…

 

Medien

Wo sind da unsere Medien, unsere Journalisten?

Gibt es noch welche, die ‚frei‘ sind, ‚unabhängig‘?

Gibt es noch Zeitungen, die untersuchen, was zu untersuchen ist?

Frei von Werbung, frei von platter Sensationsmache?

Haben wir noch eine reelle Chance, uns eine Meinung zu bilden,

uns das Bild zu machen, das wir brauchen,

um zu wissen, wo es langgeht?

 

Natur und Tiere

Auf die Tiere können wir wohl nicht warten, dass sie uns helfen.

In mehr als 3 Mrd Jahren

  • sind wir es, der homo sapiens, der den Durchbruch schaffte zu Bewusstsein, Sprache, komplexen sozialen Gebilden

  • sind wir es die die Welt überziehen wie ein überall sich ausbreitender Teppich von Menschen, Gebäuden, Strassen, die Nachts als bunte Lichterketten leuchten

  • sind wir es die die Erde aussaugen mit Rohstoffen, Energie,

  • sind wir es die alle anderen Arten ausrotten, buchstäblich auffressen

Hunger und Durst wachsen, weil wir uns vermehren

doch es gibt nicht beliebig viel:

die Erde ist klein,

das Weltall so groß…

 

Abgang

Ja…was ein Philosoph so alles denken muss…

doch, wer will’s schon wissen?

Der Alltag dreht sein Rad auch so,

heute wie morgen.

Du fährst zur Arbeit,

das Radio plärrt,

der Kollege nervt,

abends ist Feierabend

das Bier schmeckt….

und doch…

spürt es nicht jeder?

Dieses ‚Oh je‘, ‚Ach‘ und ‚Au‘ …

das sind nicht unsere letzten Worte.

Wir können jammern, ja lamentieren,

wir können aber auch fantasieren,

Wir können ändern was uns drückt und quält,

wir können lachen und

das machen, was uns weiterhilft.

Gemeinschaft ist ein Zaubertrank,

mit Witz, Humor und Fantasie,

kann Dunkles neu erhellen,

kann Leben sich neu erfinden lassen.

Deswegen liebe Narren hier,

lasst uns leben aus der Freude,

die verändern kann, was uns bedrückt.

Städe – Helau!!!

 

A POSTERIORI, A PRIORI, TRANSZENDENZ, AN SICH, FÜR SICH – Überlegungen zu N.Hartmanns Metaphysik der Erkenntnis

Begrifflicher Rahmen zu N.Hartmann’s MdE

VORGESCHICHTE

(1) Bei der Lektüre von Husserls Pariser Vorlesungen von 1929 –bekannt als ‚Cartesianische Meditationen‘– hatte sich gezeigt, dass sich Husserl im Rahmen seiner Beschreibung der phänomenologischen Analyse schwer tat, die Eigenstellung des ‚Objektes‘ in seinem Denkrahmen zu beschreiben (siehe dazu die vorausgehenden Reflexionen in diesem Block; eine Übersicht findet sich hier). Obgleich das ‚Objekt‘ ein wesentliches Moment in seiner Beschreibung des ‚transzendentalen ego‘ war, hatte es dennoch keine absolute Eigenständigkeit innerhalb des Denkhorizontes. Das Denken war primär. In diesem Sinne erweist sich das Husserlsche Denken als ‚idealistisch‘. Zum Ende seiner Vorlesungen bemerkt Husserl, dass er mit diesem Denkansatz ein Problem bekommt um dem Phänomen des ‚Anderen‘ als ‚Du‘ gerecht werden zu können.

 

(2) In meinem Vortrag in Bremerhaven hatte ich nachfolgend herausgearbeitet, dass ein phänomenologisches Denken sich nicht im absoluten Gegensatz zu einem empirischen Denken befindet und dass, darüber hinaus, ein phänomenologisches Denken sogar der Unterstützung des empirischen Denkens bedarf, um seine eigenen Denkvoraussetzungen ‚kritisch‘ zu klären. Kritisch nicht im Sinne von Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘ als Klärung ohne Bezug zur Empirie, sondern durch Einbeziehung der Empirie hinsichtlich der empirischen Voraussetzungen des Denkens.

(3) Die Vorgehensweise der Einbeziehung der Empirie zur Klärung der Voraussetzungen des Denkens wurde schon von anderen praktiziert (im Vortrag verweise ich auf einige Publikationen im Rahmen einer sogenannten ‚Evolutionären Erkenntnistheorie‘: Literaturhinweise). Ein solches Vorgehen setzt allerdings die Annahme voraus, dass das uns bekannte bewusste Denken eine Leistung des Gehirns ist. Dies bedeutet, dass wir nur solches bewusst erleben und denken können, was durch die ‚Schaltungen der neuronalen Maschinerie‘ möglich ist. Allerdings folgt daraus nicht, dass man aus den physikalischen Eigenschaften dieser neuronalen Maschinerie die korrespondierenden bewussten Leistungen direkt erschließen könnte. Die ‚bewussten‘ Leistungen gehören zur ‚Innensicht‘ des Gehirns und sind als solche nur von dem beschreibbar, der diese ‚Erlebnisse‘ hat. Daraus ergibt sich, dass eine Beschreibung der Struktur und Dynamik des Bewusstseins aus der Innensicht eine unverzichtbare und irreduzible Aufgabe einer philosophischen Analyse des menschlichen Denkens ist –als phänomenologische Theorie TH_ph–, allerdings notwendigerweise korrespondierend mit neuropsychologischen Untersuchungen zur Denkmaschinerie TH_nn und dem korrespondierenden Verhalten TH_sr, will man ein minimal vollständiges Bild gewinnen.

(4) In diesem Zusammenhang bin ich durch die Lektüre von K.Lorenz ‚Die Rückseite des Spiegels‘ aufmerksam geworden auf die Philosophie Nicolai Hartmanns. In der Darstellung von Konrad Lorenz gewann ich den Eindruck, dass N.Hartmann der Stellung des ‚Objekts‘ innerhalb des Denkens von vornherein mehr Gewicht verleiht als Husserl. Während Husserl gegen Ende seiner Pariser Vorträge große Probleme hat, dem ‚Objekt‘ innerhalb seines Denkens wieder eine angemessene Stellung zu verschaffen, nachdem er es zuvor weitgehend annulliert hatte, soll Hartmann nach Lorenz dem ‚Objekt‘ innerhalb des Denkens von vornherein eine sehr starke Stellung eingeräumt haben.

(5) Nach kurzer Recherche habe ich dann begonnen jenes Werk von Hartmann zu lesen, durch das er sich vom Idealismus einer Marburger Schule abgewendet haben soll, eben seine ‚Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis‘ [MdE] von 1929.

MdE – AUSGANGSPUNKT

(6) In der ‚gnoseologischen‘ Einleitung bezeugt Hartmann, dass er den Ausgangspunkt einer philosophischen Analyse analog zu Husserl in einer ‚phänomenologischen Analyse‘ des Gegebenen sieht. So schreibt er explizit „Nur das größtmögliche Maximum an Gegebenheit kann der wahrhaft kritischen Einstellung genügen, die bis hinter alle möglichen Standpunkte zurückgreift und auch gegen sie kritisch bleibt.“ (MdE,43). Und weiter „Der Phänomenologie müssen alle Phänomene als gleichwertig gelten. Für die Theorie können sie es nicht sein. Phänomenologie … steht ja nicht nur diesseits der Theorie, sondern diesseits aller Problemstellung. Ihre ganze Arbeit ist die Ordnung und Zusammenfassung des Gegebenen unter der Einheit deskriptiver Begriffe. Was sie als gegeben zusammenstellt, erhebt nicht den Anspruch auf objektive Realität, sondern nur auf Geltung als Phänomen. Und eben das Phänomen ist es, was die Theorie zu deuten hat.“ (MdE,43)

 

(7) Dieser Abschnitt enthält eine Reihe von wichtigen Begriffen, die innerhalb der Einleitung nicht wirklich erläutert werden, die aber dennoch Schlüsselbegriffe zu sein scheinen, die einen ‚Rahmen‘ aufspannen, innerhalb dessen sich alle weiteren Überlegungen bewegen werden.

(8) Ein erstes Gegensatzpaar bilden einerseits die ‚Phänomen als Gegebenes‘ und andererseits ein möglicher ‚Standpunkt‘, der von den gegebenen Phänomenen insoweit als ‚unabhängig‘ anzunehmen ist, als es offensichtlich mehr als einen einzigen Standpunkt zu den gleichen Phänomenen geben kann (andernfalls gäbe es eine denknotwendige Verbindung von gegebenen Phänomenen zu einem Standpunkt und eine Betonung auf die Phänomene ‚hinter allen möglichen‘ Standpunkten wäre unnötig). An dieser Stelle ist nicht ganz klar, was ein solcher ‚möglicher Standpunkt‘ unterschieden von gegebenen Phänomenen sein soll. Hartmann stellt nur fest, dass die Konzeption des ‚Standpunktes‘ auf der „letzten und abhängigsten“ Einsicht basiert, die vom „Ganzen der Problembehandlung“ abhängig ist (vgl. MdE, 43).

 

(9) Ebenso gibt es eine Unterscheidung zwischen gegebenen Phänomenen und einer ‚Theorie‘, von der gesagt wird, dass sie die Phänomene ‚deute‘. Was man sich genau unter ‚Theorie‘ oder unter ‚Deuten‘ vorstellen sollte, erklärt er auf den ersten 43 Seiten nicht). Man kann vermuten, dass es sich um eine von den gegebenen Phänomenen verschiedene Ebene des Denkens handeln kann, die durch Bereitstellung von eigenständigen Zusammenhängen diese Phänomene ‚deutet‘.

 

(10) Er spricht außerdem von ‚deskriptiven Begriffen‘, die dazu dienen, die gegebenen Phänomene Ph zu ‚Ordnen und Zusammenzufassen‘ bzw. ‚Zusammenzustellen‘. Was man sich unter ‚deskriptiven Begriffen‘ vorstellen soll bzw. wie man sich ein ‚Ordnen‘ und ‚Zusammenstellen‘ vorzustellen habe, wird nicht erklärt. Man kann spekulieren, dass ‚deskriptive Begriffe‘ B_des Ausdrücke einer Sprache L sind (B_des subset L), mittels deren Bezug genommen wird auf gegebene Phänomene als mögliche ‚Bedeutungsträger‘ D subset Ph (Designate, Bezeichnete, Signifie, …) M: L —> D. Es stellt sich dann die Frage, inwieweit solche deskriptiven Begriffe B_des selbst auch Phänomene sind/ sein müssen. Wären die Ausdrücke B_des Phänomene im Sinne Husserls, dann wären sie bar jeglicher Bedeutung D, da die Bedeutungsbeziehung M(L,D) als solche etwas ist, was weder einem Ausdruck B_des als solchem noch einem potentiellen Bedeutungsträger D als solchem zukommt. Die Bedeutungsbeziehung ist ein ‚eigenständig Gegebenes‘ als Eigenschaft unseres Bewusstseins, das wir ‚vorfinden‘. D.h. unser Bewusstsein ‚zeigt‘ uns, dass wir zwei unterschiedliche eigenständige gegebene Phänomene B_des_i und Ph_j über eine Bedeutungsbeziehung M() so miteinander verknüpfen können, dass ab einem bestimmten ‚Punkt‘ eine Bedeutungsbeziehung M(B_des_i, Ph_j) gegeben ist, durch die das Phänomen Ph_j zu einem ‚Designat‘ (zu einer Bedeutung) für das Phänomen B_des_i wird und umgekehrt das Phänomen B_des_i zu einem ‚Zeichen‘ für das Phänomen Ph_j. In diesem Zusammenhang könnte man die deskriptiven Begriffe dann ‚definieren‘ als solche ‚Zeichen‘, die in einer Bedeutungsbeziehung M() zu einem gegebenen Phänomen des Bewusstseins stehen. Sofern man solche deskriptiven Begriffe zur Kommunikation zwischen verschiedenen Bewusstseinen benutzen möchte müsste geklärt sein, wie es möglich ist, dass zwei verschiedene Bewusstseine A und B eine ‚hinreichend ähnliche‘ Bedeutungsbeziehung etablieren können, obschon weder A die Phänomene von B kennt noch B jene von A. Ferner wäre zu klären, ob und wie die Bedeutungsbeziehung M() in beiden Bewusstseinen ‚hinreichend ähnlich‘ ist bzw. sein kann.

 

(11) Schließlich bringt Hartmann den Begriff ‚objektive Realität‘ ins Spiel, und zwar als etwas, was außerhalb der phänomenologischen Analyse liegt. Phänomene sind zwar per se auch ‚real‘, aber nicht ‚objektiv‘. An dieser Stelle ist schwer ersichtlich, was mit einer Realität ‚außerhalb‘ der Phänomene des Bewusstseins gemeint sein kann, da ja nach allgemeiner Annahme alles, was wir wissen und wissen können nur durch die Vermittlung des Bewusstseins erkenntnismäßig fassbar wird.

 

MdE – SUBJEKT, OBJEKT, TRANSZENDENTAL

 

(12) Hartmann beginnt seine Analyse mit der Annahme, dass jegliche ‚Erkenntnis‘ geprägt ist von den unterscheidbaren Momenten ‚Subjekt‘ und ‚Objekt‘: das Subjekt ‚erfasst‘ das Objekt und das Objekt ist für das Subjekt ‚erfassbar‘. Diese Asymmetrie ist nicht ‚umkehrbar‘ bzw. nicht ‚vertauschbar‘. Hartmann spricht sogar davon, dass sich in diesem ‚Hinausgreifen des Subjekts‘ anzeigt, dass die Sphäre des Objekts für das Subjekt ‚transzendent‘ ist, da das Subjekt zum Erfassen des Objekts ’sich verlassen‘ (‚transzendieren‘) muss. Andererseits bedingt eine Objekt-Erkenntnis, dass das Subjekt im Erkennen nicht beim Objekt verbleibt, sondern trotz allem auch bei ’sich selbst‘ ist; dadurch nur ist ein Bewusst-sein-des-Objekts möglich. Schließlich gilt, dass innerhalb der durch das Erkennen zustande kommenden Verknüpfung von Subjekt und Objekt das Objekt ‚unaufhebbar erhalten‘ bleibt. (vgl. MdE, 44f,Nr.1-6)

 

(13) Wie so oft werden in diesem Buch Begriffe –hier ‚Subjekt‘ und ‚Objekt‘– eingeführt, die nicht weiter erklärt werden. Da es sich um komplexe Begriffe handelt, denen allem Anschein nach eine zentrale Rolle zukommt, ist dies ein wenig befremdlich. Andererseits ist aus dem Bereich der modernen Theoriebildung bekannt, dass man innerhalb eines theoretischen Gefüges ‚theoretische Terme‘ einführen kann, deren Bedeutung nur durch ihre logische Funktion im Gesamtkontext gegeben ist. Angenommen, dass es sich bei den Begriffen ‚Objekt‘ und ‚Subjekt‘ um solche theoretischen Begriffe handelt, dann müssen wir ihre Bedeutung durch den ‚Kontext ihrer Verwendung‘ erschließen. Dabei sollte man bedenken, dass moderne Theorien formale Theorien sind, in denen der Kontext eindeutig gegeben ist. Davon kann hier nicht die Rede sein. Gegen diese Interpretation als ‚theoretische Terme‘ spricht auch, dass Hartmann ja gerade zuvor eine deutliche Abgrenzung zwischen einer ‚phänomenologischen Analyse mittels deskriptiver Begriffe‘ einerseits und möglichen ‚deutenden Theorien‘ andererseits gefordert hat. In diesem Sinne würde man erwarten, dass er hier nicht mit theoretischen Begriffen operiert, sondern mit deskriptiven. Deskriptive Begriffe sollten sich dann aber auf jene Phänomene beziehen, von deren Gegebenheiten wir ausgehen. Nehmen wir dies als Deutungshypothese an, dann müssten wir fragen, auf welche Phänomene beziehen sich die deskriptiven Begriffe ‚Objekt‘ und ‚Subjekt‘?

 

(14) Husserl hatte den Begriff des ‚transzendentalen ego‘ eingeführt, um den nicht weiter aufzeigbaren ‚Fluchtpunkt‘ allen Wissens um etwas zu benennen. Descartes hatte in der Formulierung des ‚cogito ergo sum‘ ein ‚ego‘ impliziert, das als solches kein Phänomen ist wie ein Phänomenkomplex ‚Stuhl‘, ‚Hund‘, ‚Hand‘ usw. Das ‚wissende ego‘ wurde sowohl von Descartes wie auch Husserl als Bedingung jeglicher Erkenntnis geortet –und insofern von Husserl als ‚transzendental‘ bezeichnet–, aber eben nicht vergleichbar jenen Phänomenkomplexen, die gewöhnlicherweise das ‚Etwas‘ im Erkennen markieren, den intentionalen Gegenstand. Nehmen wir einmal an, Hartmann meint mit ‚Subjekt‘ in diesem Kontext das, was Husserl ‚transzendentales ego‘ nannte und Descartes implizit mit seinem ‚cogito ergo sum‘ meinte. Dann könnte man annehmen, dass Hartmann vielleicht mit ‚Objekt‘ all jene Phänomenkomplexe meint, die in der Erkenntnisbeziehung dem transzendentalem ego als ein ‚Etwas‘ gegenübertreten.

 

(15) Mit dieser Interpretation könnte man dann formulieren, dass das in der Erkenntnisbeziehung aufscheinende ‚Etwas‘ als Gegenüber zum transzendentalen ego weder durch das transzendentale ego ‚hervorgebracht‘ wird noch im Erkennen vom transzendentalen ego ‚absorbiert‘ wird. Innerhalb der Erkenntnisbeziehung ist ein mögliches ‚Objekt‘ als ein Etwas der Erkenntnis gegenüber dem erkennenden transzendentalem ego gleichberechtigt und damit dann auch transzendental; es bildet eine Voraussetzung der Erkenntnis, die das transzendentale ego nicht selbst hervorbringt, sondern vorfindet. Gerade darin liegt ja auch irgendwie der Reiz des Erkennens; es hat fundamental den Charakter des ‚Vorfindens‘, ‚Entdeckens‘, ‚Begegnens‘ mit etwas Verschiedenem, Anderem. Strenggenommen geht aber eine Qualifizierung von etwas Gegebenem als ‚transzendental‘ über die phänomenologische Analyse schon hinaus. Zwischen ‚Objekt‘ und ‚Subjekt‘ zu unterscheiden macht Sinn, da sich hier unterschiedliche Eigenschaften im gegebenen Phänomen einer Beschreibung ‚aufdrängen‘. Diese Beschreibungen weiter zu analysieren hinsichtlich logischer Verhältnisse gehört eigentlich schon in den Bereich einer möglichen Theorie.

 

MdE – BILD DES OBJEKTS

(16) An dieser Stelle trifft Hartmann eine Entscheidung von großer Tragweite. Er schreibt „Das Einholen des Erfaßten bedeutet nicht ein Einholen des Objekts in das Subjekt, sondern nur die Wiederkehr der Bestimmtheiten des Objekts an einem inhaltlichen Gebilde im Subjekt, dem Erkenntnisgebilde, oder dem ‚Bilde‘ des Objekts…. Am Objekt entsteht nichts Neues, im Subjekt aber entsteht das Gegenstandsbewußtsein mit seinem Inhalt, dem ‚Bilde‘ des Objekts.“ (MdE, 5, Nr.7). Auf den ersten Blick verletzt er mit dieser Feststellung seine eigenen methodischen Forderungen. Wenn es nicht das Objekt selbst ist, was im Erkennen aufscheint, sondern nur ein ‚Bild‘ von dem Objekt, dann gehört das vorausgesetzte Objekt nicht zu den Phänomenen. Dann aber liegt es außerhalb der von ihm selbst postulierten deskriptiven Phänomenologie. Bestenfalls könnte es Gegenstand einer theoretischen Diskussion sein, die sich um eine angemessene theoretische Deutung des phänomenologischen Sachverhalte bemüht. Innerhalb einer deskriptiven Phänomenologie habe ich aber nur jene Phänomene, die tatsächlich innerhalb des Erkennens aufscheinen. Lässt sich der Begriff des ‚Objekts‘ wie vorher angesprochen einigermaßen deuten als typische Phänomenkomplexe, die innerhalb des Erkennens als ‚Etwas‘ aufscheinen, entzieht sich der Begriff eines ‚Objekts als dem Erkennen jenseitig‘, verstanden als ‚Objekt als solches‘, jeglicher Phänomenologie; dies ist mehr als transzendent und daher –in diesem Kontext– rational nicht nachvollziehbar.

(17) Hartmann scheint sich dieser Problematik bewusst zu sein. Er führt nämlich dann die Unterscheidung zwischen ’schlichter, unreflektierter Erkenntnis‘ ein und solcher Erkenntnis (MdE. 45), in der ein Moment von ‚Reflexion‘ vorkommt; letztere aber noch unterschieden von einer vollständigen ‚Theorie‘ (MdE,46). Die schlichte, naive, unreflektierte Erkenntnis kann nach ihm nicht unterscheiden zwischen dem ‚Objekt als solchem‘ und dem ‚Bilde des Objektes‘. Erst in Verbindung mit Reflexion lassen sich die ‚Bestandteile des Phänomens aufzeigen‘, bewusst machen. Die hier notwendige Reflexion ist noch nicht die Theorie, aber doch die Voraussetzung einer möglichen Theorie. Aufgrund ihrer Unterscheidung kann eine Theorie entstehen. Zugleich stellt er fest, dass eine schlichte, naive Erkenntnis im Alltag niemals isoliert auftritt sondern immer schon eingebettet in ein alltägliches ‚Meinen über das Erfasste‘, das direkt in das Erfasste ‚hineininterpoliert‘ ist (vgl. MdE, 46).

(18) Selbst wenn man Hartmann zustimmt, dass das alltägliche Erkennen eine beständige Mixtur von phänomenologischen Sachverhalten, vorgefertigten Interpretationen in Form von Meinungen und andauernden Reflexionen ist, so kann und muss man sich fragen, warum er zuvor so klare methodische Unterscheidungen aufstellt, wenn er sie dann doch nicht –mit Verweis auf eine vorphilosophische, davon abweichende Praxis– dann noch nicht selbst beherzigt?

 

(19) Nach diesem Einschub mit ’naiver‘ versus ‚reflektierender‘ Erkenntnis wiederholt er dann seine These „Es ist der Gegenstand nicht wie er an sich ist, sondern wie er gesehen, erfaßt oder gemeint ist. Zum Bewusstsein kommt dieser Unterschied wo erneutes Erfassen zu erstmaligem Erfassen in inhaltlichen Gegensatz tritt.“ (MdE,46) Und, etwas später „…Dieses Etwas nun,als welches er vorkam oder vorschwebte, ist offenbar weder der Gegenstand selbst noch auch das Subjekt, sondern ein von beiden unterschiedenen Drittes, das in die Erkenntnisrelation eingeflochten ist. Es ist das, was man die ‚Vorstellung‘ des Gegenstandes genannt hat.“ (MdE, 46f)

 

(20) Entscheidend ist hier der Satz „Zum Bewusstsein kommt dieser Unterschied wo erneutes Erfassen zu erstmaligem Erfassen in inhaltlichen Gegensatz tritt.“ Dieser Satz setzt voraus, dass es beim Erfassen eine Unterscheidung von ‚Vorher – nachher‘ gibt

also eine Art Folge von Erfasstem <Erf_1, Erf_2, …, Erf_n>

und dass die inhaltlichen Eigenschaften von etwas Erfassten Erf_i und Erf_i+1 vergleichbar sind, mindestens im Sinne von ‚gleich’/ ‚ungleich‘, also

comp(Erf_i, Erf_i+1) = 1, wenn ‚gleich‘ und =0, wenn ‚ungleich‘.

Eine solche komplexe Operation setzt voraus, dass es ein minimales Gedächtnis (Memory) gibt, das in der Lage ist, ‚vorausgehende‘ Erfassungen soweit zu speichern, dass ein Vergleich mit ’neuem‘, ‚aktuellem‘ Erfassten möglich ist. Sagen wir, dass die zu vergleichenden Gebilde Erf_i und Erf_i+1 auf der ‚gedanklichen Ebene‘ Level_k liegen, dann operiert der Vergleich auf einer höheren Ebene Level_k+1. Auf dieser höheren Ebene Level_k+1 ließe sich dann eine Art ‚Metakonzept‘ MK(Erf_i, Erf_i+1) bilden, in dem Gemeinsamkeiten und Unterschiede repräsentiert werden könnten (Anmk: in der kognitiven Psychologie gibt es zahlreiche Modelle, wie man solche begrifflichen Strukturen beschreiben könnte). Die ‚Vorstellung‘ bzw. das ‚Bild‘ eines Objektes wäre in dieser theoretischen Rekonstruktion dann eine aktuelle ‚Instanz‘ (Erf_i) eines abstrakten ‚Objektkonzeptes‘ (MK()), das sich anhand der vielen individuellen Instanzen langsam ‚bilden‘ würde. Das ‚Objekt an sich‘ wäre dann ein theoretisches Konstrukt auf der Basis der phänomenalen Ereignisse. In diesem Modell könnt man zum Level_k+1 einen weiteren Level_k+2 bilden. Auf diesem Level könnte man dann Eigenschaften von Objektkonzepten modellieren, z.B. dass ein Objektkonzept ‚unabgeschlossen‘ ist, d.h. ein Objektkonzept kann sich grundsätzlich verändern, weiter entwickeln (Anmk: dieses Modell wurde schon anlässlich der Diskussion von Husserls Cartesiansichen Meditationen beschrieben. Würde man es akzeptieren, dann würden sich hier Husserl und Hartmann bis zu diesem Punkt nicht wirklich unterscheiden).

 

(21) Für Hartmann ist es wichtig, zu betonen, –hier Fichte positiv zitierend– „Erkenntnis ist Bestimmung des Subjekts durch das Objekt“. (MdE,47) Und „Das Subjekt verhält sich in der Erkenntnisrelation prinzipiell rezeptiv zum Objekt“. (MdE,48) Obgleich wir heute wissen (und in anderem Zusammenhang geht Hartmann selbst darauf ein), dass das Subjekt sehr wohl das Aufscheinen von Objekten in seinem Bewusstsein so manipulieren kann, dass das, was aufscheint, mit ‚unabhängig vom Bewusstsein existieren Objekten‘ wenig bis gar nichts mehr zu tun hat (Selbsttäuschung, Wahn, Lüge, Propaganda, Desinformation, Fantasie, Virtuelle Welten,…), kann man zustimmen, dass dort, wo das Subjekt in einer ’nicht manipulierten Umgebung‘ lebt, das im Bewusstsein Erfasste Eigenschaften ‚von Etwas jenseits des Bewusstseins‘ transportiert, die die Gestalt des Bewusstseins ‚prägen‘ können. In gewisser Weise folgt dann das Bewusstsein dem Objekt anhand des postulierten Gedächtnisses.

 

MdE – A POSTERIORI, A PRIORI

(22) Hartmann führt dann auch noch die Unterscheidung ‚a posteriori‘ und ‚a priori‘ ein. ‚A posteriori‘ nennt er alles Erfassen, bei dem das Erkennen sich auf einen ‚realen Einzelfall‘ bezieht. (cf. MdE,50). Alles Erfassen, bei dem ein realer Einzelfall nicht vorliegt und eine Erkenntnis aufgrund des ‚allgemeinen Wesenszuges‘ des Gegenstandes, aufgrund seines ‚idealen‘ Seins, möglich ist, nennt er ‚a priori‘. (vgl. MdE, 50).

 

(23) Auf den ersten Blick bieten diese Begriffsdeutungen zum Vorausgehenden kein Problem, da Metakonzepte als solche immer Möglichkeiten bieten, allgemeine Aussagen über ein Erfasstes zu machen, ohne dass dieses als Instanz gegeben ist. D.h. das ‚A priorische‘ wäre in diesem Modell indirekt gegeben durch die sich herausbildenden Strukturen im Bereich der Metakonzepte. Es ist aber nicht ganz klar, ob Hartmann nicht doch noch etwas anderes, und sogar ‚mehr‘ meint, wenn er diese Begriffe benutzt.

(24) So spricht er vom ‚äußeren‘ und ‚inneren‘ Sinn und zitiert Kant mit dem Gedanken, „… dass er das eigentliche Erkenntnisphänomen des Apriorischen in seiner ‚objektiven Gültigkeit‘ erblickt, d.h. im Zutreffen des innerlich Erschauten auf den transzendenten Gegenstand.“ (MdE, 51). Im vorausgehenden Modell könnte man zwar ein entstehendes Metakonzept immer wieder neu mit dem aktuell Erfassten vergleichen und im Falle der ‚hinreichenden Ähnlichkeit‘ dies als ‚Bestätigung‘ mit der ‚transzendentalen Quelle‘ interpretieren, unabhängig von den Metakonzepten macht es aber keinen rechten Sinn, von einem ‚transzendenten Objekt‘ zu sprechen, da hierfür jeglicher Ansatzpunkt fehlt. Man kann sich zwar vorstellen, dass man die Erkenntnisebenen Level_k+2 weiter ausdehnt und z.B. ein umfassendes Metakonzept bildet, in dem das Konzept (die Idee?) eines Raumes formiert wird, in der das Bewusstsein als ein Element vorkommt, das von hypothetischen Objekten beeinflusst werden kann. Dies wären dann Konzepte möglicher transzendenter Objekte, aber diese Metakonzepte selbst wären natürlich keine transzendenten Objekte. Es ist schwer zu sehen, wie Hartmann diese Rede von transzendenten Objekten im Rahmen der menschlichen Erkenntnis rechtfertigen kann. Auch die Rede vom ‚äußeren‘ und ‚inneren‘ Sinn ist problematisch. Wenn das Subjekt über phänomenologische Komplexe sowie darauf aufbauende Metakonzepte nicht hinauskommt, wie kann er dann in einem absoluten Sinne von ‚Außen‘ versus ‚Innen‘ sprechen? Bislang wäre eine Reden von ‚Außen‘ nur in einem abgeleiteten Sinne innerhalb der Metakonzeptbildung möglich.

 

(25) Hartmann hält diese Mehrdeutigkeit eine Zeitlang noch in der Schwebe, da er für den Bereich des Erkennens (die gnoseologische Sicht) eine letzte Unabhängigkeit von Subjekt und Objekt voneinander ausschließt (vgl. MdE, 51-53), formuliert aber so, dass mit Blick auf eine ontologische (die Existenz betreffende) Sicht ein An-sich-sein postuliert, von dem aus das Objekt vom Subjekt unabhängig ist und in diesem Sinne wahrhaft ‚transzendent‘ und nicht nur ‚transzendental‘. Ferner schließt er in ontologischer Sicht nicht aus, dass auch das Subjekt ‚mehr‘ ist als nur Erkennen. (vgl. MdE, 52f)

 

(26) Ein solcher ‚Flirt‘ mit einer ontologischen Sicht mag ’nett‘ wirken, ist aber letztlich ‚unseriös‘, wenn darauf verzichtet wird, heraus zu arbeiten, wie es möglich ist, auf der Basis einer gnoseologischen (strikt an der Erkenntnis orientierten) Sicht zu ontologischen Aussagen zu kommen, die deutlich mehr Informationen enthaltenen, als die Erkenntnisbasis hergibt. Ich sehe in dem Text soweit bislang keinerlei Ansatzpunkt, wie Hartmann seine ontologischen Deutungen rechtfertigen könnte.

 

MdE – HANDLUNG

(27) Hartmann weist kurz darauf hin, dass das Subjekt durch sein ‚Handeln‘ sehr wohl auch das Objekt verändern könne. (vgl. MdE, 53f). Er gibt hier aber weiter keine Erläuterungen. Dies wäre aber sinnvoll, da das Reden von ‚Handlungen des Subjekts, die das Objekt verändern‘ phänomenologisch alles andere als einfach ist. Allein der saubere Aufweis, wie man begrifflich beschreiben sollte, dass ein Subjekt ‚Aktivitäten‘ ‚plant/ intendiert/ will…‘, diese dann ‚umsetzt‘, die ‚Wirkung‘ dieses seines ‚Handelns‘ erfassen kann als sein eigener Beitrag zur Veränderung des erfahrbaren Objektes ist maximal komplex und ist nach meiner Kenntnis bis heute von niemandem auch nur annähernd geleistet worden. Dies reisst eine gewaltige Lücke in die philosophische Reflexion um das Verhältnis von Subjekt und Objekt.

 

MdE – VARIABLES OBJEKT

(28) Oszillierend zwischen Gnoseologie und Ontologie kreist Hartmann beständig um die Differenz von aktuell erkanntem Objekt und dem allgemeineren Konzept, das sich aus vielen konkreten Ereignissen herausbilden kann. Er selbst neigt dazu (mit Anlehnung an eine nicht begründete Ontologie) diese Differenz interpretierend auszuweiten auf ein Objekt an sich, auf ein wahrhaft transzendentes Objekt, auf ein ‚Transobjektives‘. (MdE, 54) Und er nimmt an, dass das Subjekt von dieser Inadäquatheit zwischen realisiertem und transzendentem Objekt wissen kann, ein ‚Wissen des Nichtswissens‘. (MdE, 54). Daraus leitet Hartmann ein Bewusstsein der ‚Beschränkung‘ her, das zu einem Spannungsmoment wird, welches wiederum den Erkenntnisprozess als Progreß antreibt. (vgl. MdE, 55)

 

(29) Diese schon eher psychologisch anmutenden Spekulationen zeigen, was passiert, wenn man die Bedingungen der Aussagen nicht mehr sauber kontrolliert. Im Rahmen des Erkenntnisprozesses gibt es kein ‚Objekt an sich‘ als ‚transzendierendes‘ Objekt. Wohl lässt sich vorstellen, wie man mit Hilfe von Erkenntnisebenen unterschiedliche Abstraktionsebenen konstruieren kann, die unter Einbeziehung eines –noch näher zu beschreibenden– Gedächtnismodells aus einem Strom von Einzelereignissen abstrakte Konzepte bilden können, die sich durch eine Kontrolle möglicher Übereinstimmungen als abstrakte Metakonzepte etablieren können, mit deren Hilfe das Subjekt seine Orientierung in der Flut der Phänomene verbessern kann. Als Metakonzept lassen sich auch Eigenschaften wie die ‚Unabgeschlossenheit eines Konzeptes‘ bilden, die wiederum die Ausarbeitung einer Strategie erlauben würde, mit Unabgeschlossenheit umzugehen, aber dieser Mechanismus könnte seine eigenen immanenten Beschränkungen nicht vollständig überwinden. Das ‚Objekt an sich‘ bleibt wesentlich unerreichbar. Eine Konsequenz davon ist, dass das subjektive Wissen wesenhaft unabgeschlossen ist und von daher der Strom der Phänomene einen hohen Informationswert besitzt; alles, was ‚abweicht vom Bekannten‘ kann extrem bedeutsam sein.

(30) Erkennen bleibt für ein Subjekt eine zentrale Aufgabe, da das Wissen ‚um das mögliche Ganze‘ ‚verpackt‘ ist im Strom der Phänomene. Das einzelne Subjekt kann nur in der Gemeinsamkeit aller Phänomene die mögliche umfassende ‚wahre‘ Antwort finden. Kein einzelnes menschliches Subjekt kann die Wahrheit des potentiellen Ganzen alleine vorweg nehmen. Die ‚Neugierde‘ wird von Hartmann psychologisch gedeutet als verursacht aus der anhaltenden Differenz, aus dem Wissen des Nichtwissens. Evolutionär-Philosophisch gibt es Hinweise, dass das nackte Überleben eines Organismus von einer immer besseren ‚Anpassung‘ des gesamten Organismus an das vorgegebene ‚universale Objekt‘ Welt – Sonnensystem – Universum abhängt, d.h. unser gesamter Organismus ist so ausgelegt, dass er kontinuierlich auf ein ‚Begreifen des Ganzen‘ ‚programmiert‘ ist, unabhängig vom ‚Wollen‘ eines einzelnen. Der einzelne kann sich allerdings verweigern.

 

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LITERATURVERWEISE

Hartmann, N. “ Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis“, Berlin: Walter de Gruyter & Co, 5.Aufl. 1965 (Erstausgabe 1929).

Philosophie der Zukunft – Literaturverweise

Anmerkung:

Auf eine ausführliche Angabe aller hier einschlägigen Literaturstellen wurde verzichtet, da es hier primäre darauf ankam, eine bestimmte Argmentationslinie zu verdeutlichen. Detaillierte Angaben wären im Rahmen einer ausführlicheren Diskussion notwendig. Einige wenige Quellen, auf die dennoch explizit Bezug genommen wurden, finden sich hier:

 

Derrida, J. “La voix et le phénomene. Introduction au Problème du Signe dans la Phénoménologie de Husserl“, Paris: Presses Universitaires de France, 1967 (Deutsch von Gondeck, H-D., „Die Stimme und das Phänomen. Einführung in das Problem des Zeichens in der Phänomenologie Husserls“, Frankfurt. Suhrkamp, 2003

 

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