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Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass bei unklaren Fragestellungen der Rückgang auf die ‚Klassiker‘ zu Klarheiten verhilft, die die neue und neueste Literatur nicht bieten kann. Die neuere Fachliteratur ist oft schon so fortgeschritten im Detailwissen, dass man sich als ‚Neuling‘ sehr schwer tut, zu verstehen, warum all dieser Aufwand getrieben wird. In den letzten Monaten war es z.B. die Lektüre von Schrödingers ‚What is Life‘ oder Heisenbergs ‚Physics and Philosophy‘ gewesen, die wertvolle Einsichten vermittelt hatten.
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Nach einiger Mühe ist es mir gelungen, die ‚Populären Schriften‘ von Ludwig Boltzmann (publiziert 1905) zu bekommen. Allein schon die ersten Beiträge waren sehr erhellend. Wunderbar finde ich seinen Vortrag ‚Der zweite Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie‘, den er 1886 in einer feierlichen Sitzung vor der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften vorgetragen hatte. Zu sehr vielen grundlegenden Fragestellungen, die uns noch heute bewegen, erhellt er Grundlegendes; dies aber auf einer Weise formuliert, die von großer Klarheit und Verständlichkeit ist.
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Er nimmt sich in diesem Vortrag sogar etwas Zeit, um die besondere Rolle der Naturforschung gegenüber allgemeiner Philosophie und Alltagswissen zu verdeutlichen. Mit Anspielung auf Herbarth lokalisiert er die Rolle des Bewusstsein zwar an der Quelle unseres Weltzuganges (im Sinne dass wir ‚Empfindungen‘ haben), aber der primäre Inhalt dieses Bewusstseins kann uns aus sich heraus nichts darüber sagen, wie sich diese Inhalte zusammensetzen, wie sie entstehen (vgl. S.48f). Und, wie wir heute wissen, sind diese Bewusstseinsinhalte komplexe Produktionen unseres Gehirns, u.a. auf der Basis sensorischer Daten, die sich aus den energetischen Ereignissen der Umwelt speisen. Die Naturforschung kann — und muss wohl — die bewusste Wahrnehmung als Ausgangspunkt nehmen, beginnt ihre eigentliche Arbeit aber dort, wo sie versucht mittels ‚Hypothesen‘ und ‚Messungen‘ hinter diese Phänomene zu schauen.
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Eine dieser — mittlerweile komplexen — Hypothesen ist die von der ‚atomistischen‘ Struktur der Materie, aus der sich dann die weitere Hypothese der mechanischen Wärmelehre herleitet, dass nämlich die ‚Elemente der Körperwelt‘ beständig in ‚reger Bewegung begriffen sind‘ (S.32) Hierher gehört der von Robert Mayer begründete erste Hauptsatz von der Erhaltung der Energie, wobei Energie nach Mayer in den drei Formen ’sichtbare Bewegung‘, ‚Wärme‘ oder ‚Arbeit‘ auftreten kann. Währen die Gesamtmenge der Energie in einem geschlossenen System bei Umwandlung einer Energieform in die andere unverändert bleiben soll, so sagt der zweite Hauptsatz, dass zwar Bewegung und Arbeit bedingungslos ineinander und in Wärme übergehen können, Wärme kann aber höchstens partiell in Bewegung oder Arbeit zurückverwandelt werden (vgl. S.33). In dieser Eigenschaft erscheint Wärme ‚dissipativ‘, als ‚degradierte‘ Energie (Unter Verwendung des von Clausius eingeführten Begriffs der ‚Entropie‘ kann man auch sagen, dass mit Zunahme der Degradation nicht nur die Wahrscheinlichkeit des Zustandes zunimmt, sondern auch seine Entropie (vgl. S.37)). Der zweite Hauptsatz induziert damit eine Art Richtung im Prozess, der schlussendlich zu einer völligen Degradierung von Energie führt oder — in der bekannten Formulierung — zum ‚Wärmetod des Universums‘ (vgl. S.33). Letzterer Schluss gilt aber nur, solange die Annahme eines geschlossenen Systems gilt (vgl. S.48).
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Das Prinzip hinter dem Prinzip des 1. und 2. Hauptsatzes ist, dass sich Energie grundsätzlich vom unwahrscheinlicheren Zustand in den wahrscheinlicheren Zustand verändert. So ist die höhere Energiekonzentration in der Sonne im Vergleich zur Erde ‚unwahrscheinlicher‘. Auf dem Weg der ‚Degradation‘ gelangt Energie von der Sonne zur Erde und kann auf diesem Weg und auf der Erde unterschiedliche Zwischenzustände durchlaufen, bis sie als Wärme ‚verschwindet‘. Es sind die Pflanzen, die diesen Energiefluss aufgreifen und ihn mittels chemischer Prozesse in solche Energieformen verwandeln, die anderen biologischen Lebensformen als ‚Nahrung‘ dienen können, bevor der Zustand höherer Entropie weiter angenähert wird (vgl. S.40).
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Boltzmann wagt einige Spekulationen zur möglichen ‚Erklärung‘ der Lebensformen, des erfahrbaren Geistes, indem er die Hypothese anformuliert, dass sich die komplexen bekannten biologischen Formen eventuell doch aus den allereinfachsten Atomen durch immer komplexere Konfigurationen herausgebildet haben (vgl.S.49). Heute haben wir so viele Indizien sammeln können, dass diese Hypothese zu großen Teilen als ‚gewiss‘ gelten kann, wenngleich noch nicht vollständig.
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Vor dem Hintergrund der Hautsätze der Wärmelehre sieht es dann so aus, als ob sich die komplexen biologischen Lebensformen nur gestützt auf den Energiefluss von Seiten der Sonne bilden konnten. Unter Ausnutzung dieser Energieformen konnten sich immer komplexere molekulare Strukturen herausbilden, die schließlich — Zwischenstand 2011 — in der Lage sind, anhand der energetischen Ereignisse in der Welt sich ‚intern‘ in einem Körper ‚Bilder‘, ‚Modelle‘ der ‚Welt da draußen‘ zu generieren, die auch ‚Selbstbilder‘ mit einschließen. Die Allokierung von Energie in Form von biologischen Strukturen ermöglicht das ‚Sichtbarwerden‘ all jener Dynamiken und Strukturen, die den physikalischen Kosmos auszeichnen. Allerdings sind diese biologischen Strukturen grundsätzlich limitiert durch den Bedarf an ‚freier‘ Energie. Versiegt der Strom von Energie in einer Form, die sich ’nutzen‘ lässt, dann verlieren die biologischen Lebensformen ihre ‚Seele‘; sie versinken im ‚Nichts‘ nahe der maximalen Entropie.
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Aus dieser allgemeinen Perspektive kann man den Eindruck gewinnen, dass die entscheidende Eigenschaft, die die biologischen Lebensformen in das bekannte Universum einbringen, jene ist, dass sie ’sichtbar machen können‘, dass sie ‚erkennen‘ können, dass sie ein ‚Bewusstsein von‘ den Dingen entwickeln können. Durch die Verfügbarkeit von Wissen innerhalb des Kosmos gewinnt der Kosmos eine eigentümliche ‚Handlungsfähigkeit‘ ’sich selbst gegenüber‘. Mit der Entstehung, Verfügbarkeit und Ausbreitung von ‚Erkenntnis‘ kann der Kosmos im Prinzip ‚zu sich selbst‘ kommen und darin und dadurch seine Strukturen dazu nutzen, ‚etwas‘ ‚zu tun‘. Fragt sich natürlich: was?
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Nach den bisherigen Erkenntnissen entsteht in den biologischen Strukturen Wissen durch ‚Verdichtungen’/ ‚Abstraktionen‘, durch das Finden von Beziehungen/ Relationen, durch die die Wechselwirkungen unterschiedlicher Beziehungen (verstehbar als Netzwerk/ Modell/ Theorie), durch unterschiedlichste Assoziationen zwischen Wissensmomenten und allen möglichen Zuständen (auch Bedürfnissen, Emotionen, Gefühlen,…). Ferner haben wir gelernt, dass sich Wissen wesentlich auch nur im Austausch zwischen unterschiedlichen Gehirnen ereignet/ bilden kann. Für solch eine Kommunikation benötigt man symbolische Mittel, Sprachen, speziell formale Sprache wie z.B. die Sprache der Mathematik oder heute die algorithmischen Formen von Computersprachen und Simulationen.
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Ein anderer wesentlicher Aspekt ist die Kooperation als Bedingung für Kommunikation. Eine ‚hinreichende‘ Kooperation wiederum benötigt eine ‚hinreichende‘ Öffentlichkeit: ohne funktionierende Öffentlichkeit keine gute Kommunikation, ohne gute Kommunikation nur partielle, schlechte Erkenntnis.
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Berücksichtigt man all dies, stellt sich natürlich die Frage nach dem ‚Sinn‘ des Ganzen. Klar ist, dass die Frage wer am meisten Geld hat, die größte politische Macht, wie berühmt jemand ist, wie ’schön‘ usw. relativ bedeutungslos sind gemessen an der globalen Aufgabe, die verfügbare Energie in jenes Wissen zu verwandeln, das den ‚Wärmetod‘ ‚überlebt‘. Militärische Macht kann punktuell und regional eventuell entscheiden, welche Gruppeninteressen sich für eine kurze Zeit ‚durchsetzen‘, doch auch militärische Macht entkommt nicht der globalen Herausforderung, wie das biologische Leben als solches sich angesichts seiner fragilen Lage innerhalb des verfügbaren Zeitfensters auf Dauer den Kosmos so umgestaltet, dass aus der ‚Anfangsübung‘ ‚Leben auf der Erde‘ ‚mehr‘ wird. Vielleicht müssen wir uns auch gar nicht physikalisch behaupten; vielleicht besteht der ‚Sinn‘ dieses Lebens auf der Erde/ in diesem Kosmos nur darin, die ‚Hoffnung auf Mehr‘ zu schmecken, um dann im/ nach dem körperlichen Tod den ‚eigentlichen‘ Zustand zu erleben. Wer kann dies so genau sagen. Ich persönlich halte allerdings den ‚Aufwand‘, der bislang getrieben wurde, um biologisches Leben überhaupt zu ermöglichen und über all die Milliarden Jahre zu immer komplexeren Formen heran zu reifen für so immens, dass es nicht so recht einleuchten will, dass darin kein spezieller ‚Auftrag‘ gegeben ist. Zu sagen, wir sind ’nur‘ Menschen übersieht, dass dieses ’nur‘ genau den Punkt verpasst, der das zentrale Drama der ganzen Erde, des ganzen Sonnensystems auszeichnet. Natürlich wäre es unbequem, zuzugeben, dass der Erfolg dieses Lebens wichtig ist…
Quelle: Ludwig Boltzmann, „Populäre Schriften“, Leipzig: Verlag Johann Ambrosius Barth, 1905