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PHILOSOPHISCHE DIALOGE MIT chatGPT4, HEUTE: WAS IST WAHRHEIT?

Letzte Änderung: 25.August 2024

Fragender: Gerd Doeben-Henisch

Kontakt: cagent@cognitiveagent.org

KONTEXT

Dieser Text ist Teil einer Sammlung von philosophischen Dialogen mit chatGPT4.

Zusammenfassung

(Kurzfassung)

chatGPT4: Es scheint, dass eine Rückkehr zur Korrespondenztheorie und deren Weiterentwicklung als ein vielversprechender Ansatz für eine robustere Wahrheitstheorie erscheint. Insbesondere die Idee, eine erfahrungsbasierte Theorie zu entwickeln, die die Realität als entscheidendes Kriterium verwendet und gleichzeitig Raum für die Diskussion von Zielen, Präferenzen und Werten bietet, könnte eine umfassende Basis für das Verständnis von Wahrheit in verschiedenen Kontexten schaffen.

DIALOG : WAS IST WAHRHEIT?

Anmerkung: FETTSCHRIFT markiert die Fragen des Autors

Hallo Chat, was fällt Dir ein zum Begriff ‚Wahrheit‘?

Hallo! Der Begriff „Wahrheit“ kann aus vielen Blickwinkeln betrachtet werden, sowohl philosophisch als auch praktisch. Philosophisch gesehen beschäftigt sich die Frage nach der Wahrheit oft mit der Übereinstimmung von Aussagen oder Überzeugungen mit der Realität. Man spricht hier von einer „Korrespondenztheorie der Wahrheit“, nach der eine Aussage dann wahr ist, wenn sie mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmt.

In der alltäglichen Anwendung geht es oft darum, wie Menschen Wahrheit wahrnehmen und kommunizieren. Dabei spielen Ehrlichkeit, Transparenz und Verlässlichkeit eine wichtige Rolle. In verschiedenen Bereichen wie Wissenschaft, Recht und Journalismus ist die Suche nach der Wahrheit zentral und wird durch bestimmte Methoden und Standards unterstützt.

Die Wahrheit ist auch ein zentrales Thema in der Ethik, wo sie mit Fragen der Moral und der richtigen Handlungsweise verbunden wird. Außerdem gibt es auch eine pragmatische Theorie der Wahrheit, die besagt, dass eine Aussage dann wahr ist, wenn sie nützlich und wirksam in der Praxis ist.

Was denkst du über den Begriff? Gibt es einen bestimmten Kontext, in dem du dich besonders für Wahrheit interessierst?

Ich möchte gerne mit der ‚philosophischen Perspektive‘ in den Dialog einsteigen. Du erwähnst die ‚Korrespondenztheorie der Wahrheit‘. Gibt es nicht noch andere philosophische Ansätze zum Begriff ‚Wahrheit‘?

Ja, neben der Korrespondenztheorie der Wahrheit gibt es tatsächlich noch andere philosophische Ansätze, die sich mit dem Konzept der Wahrheit auseinandersetzen. Hier sind drei wichtige Theorien:

1. **Kohärenztheorie der Wahrheit**: Diese Theorie besagt, dass eine Aussage wahr ist, wenn sie kohärent oder stimmig ist mit einem gesamten System von Aussagen oder Überzeugungen. Wahrheit wird hier weniger als Übereinstimmung mit einer objektiven Realität gesehen, sondern mehr als eine Art Konsistenz innerhalb eines bestimmten theoretischen oder belief-Systems.

2. **Pragmatische Theorie der Wahrheit**: Nach dieser Ansicht ist eine Aussage wahr, wenn sie praktisch oder nützlich ist. Die Wahrheit einer Aussage bemisst sich daran, ob sie funktioniert und ob sie nützliche Konsequenzen nach sich zieht. Der amerikanische Philosoph Charles Sanders Peirce und später William James sind bekannte Vertreter dieser Theorie.

3. **Konsensustheorie der Wahrheit**: Diese Theorie, die insbesondere von Jürgen Habermas entwickelt wurde, sieht Wahrheit als Ergebnis eines idealen Diskurses oder eines rationalen Konsenses. Eine Aussage ist demnach wahr, wenn sie die Zustimmung aller Beteiligten in einer idealen Kommunikationssituation erlangen könnte.

Jede dieser Theorien bietet eine unterschiedliche Perspektive auf das, was es bedeutet, dass etwas „wahr“ ist, und sie betonen verschiedene Aspekte des Wahrheitsbegriffs—sei es Übereinstimmung mit der Realität, Kohärenz innerhalb eines Systems, praktische Effizienz oder demokratischer Konsens.

Diese unterschiedlichen Ansätze spiegeln die Vielfältigkeit und die Tiefe der philosophischen Auseinandersetzung mit der Wahrheit wider und zeigen, dass Wahrheit ein vielschichtiges und oft kontrovers diskutiertes Thema ist. Welcher dieser Ansätze spricht dich besonders an oder gibt es bestimmte Aspekte, die du weiter vertiefen möchtest?

Ja, Danke für diese Auffächerung der Frage nach der Bedeutung des Begriffs ‚Wahrheit‘ in diese vier Perspektiven: Korrespondenztheorie als ‚Übereinstimmung mit der Realität‘, Kohärenztheorie als ‚Kohärenz innerhalb eines Systems‘, Pragmatische Theorie als ‚praktische Effizienz‘ oder Konsensustheorie als ‚demokratischer Konsens‘. Ich möchte diese vier Möglichkeiten gerne diskutieren und daraus eine abschließende Bewertung finden, mit der wir weiter diskutieren können.

Das klingt nach einer spannenden und tiefgehenden Diskussion! Lassen Sie uns die vier Theorien weiter untersuchen und ihre jeweiligen Stärken und Schwächen betrachten, um zu einer umfassenden Bewertung zu gelangen.

### 1. Korrespondenztheorie der Wahrheit

**Stärken:**

– Sie bietet einen intuitiv zugänglichen Wahrheitsbegriff, da sie Wahrheit als Übereinstimmung mit der objektiven Realität versteht.

– Sie ist in den Naturwissenschaften besonders nützlich, wo experimentelle Verifizierung und Beobachtung zentral sind.

**Schwächen:**

– Schwierigkeiten ergeben sich bei der Bestimmung, was die „objektive Realität“ ist, besonders in weniger empirisch erfassbaren Bereichen wie der Ethik oder Ästhetik.

– Sie kann zu einem regress ad infinitum führen, da jede Wahrheitsbehauptung eine weitere Verifizierung erfordert.

### 2. Kohärenztheorie der Wahrheit

**Stärken:**

– Sie ist stark in theoretischen oder philosophischen Systemen, wo interne Konsistenz wichtig ist.

– Nützlich in Bereichen, in denen es keine klare empirische Überprüfbarkeit gibt.

**Schwächen:**

– Mehrere in sich kohärente, aber widersprüchliche Theoriensysteme können existieren, was die Frage aufwirft, welches System die Wahrheit repräsentiert.

– Sie hängt stark von den angenommenen Grundlagen des Systems ab und kann somit relativistisch wirken.

### 3. Pragmatische Theorie der Wahrheit

**Stärken:**

– Betont die Bedeutung der Anwendbarkeit und Nützlichkeit von Überzeugungen in der Praxis.

– Fördert einen flexiblen und adaptiven Ansatz zur Wahrheit.

**Schwächen:**

– Nützlichkeit ist nicht notwendigerweise ein Indikator für Wahrheit; etwas kann nützlich sein, ohne wahr zu sein.

– Kann in pragmatischen Kontexten zu einem kurzfristigen Denken führen, das langfristige Wahrheiten vernachlässigt.

### 4. Konsensustheorie der Wahrheit

**Stärken:**

– Fördert demokratische Prozesse und die Beteiligung verschiedener Stimmen bei der Wahrheitsfindung.

– Kann in sozialen und politischen Kontexten effektiv sein, wo Übereinstimmung wichtig ist.

**Schwächen:**

– Konsens garantiert nicht die Wahrheit; historisch gab es viele Beispiele für allgemeinen Konsens über falsche Überzeugungen.

– Kann anfällig für Manipulation und Machtungleichgewichte sein.

### Abschließende Bewertung

Jede Theorie hat ihre Anwendungsbereiche, in denen sie besonders effektiv ist, sowie Grenzen, die ihre Anwendung erschweren. Eine umfassende Betrachtung von Wahrheit könnte Elemente aus allen diesen Theorien integrieren, abhängig vom spezifischen Kontext und Zweck der Wahrheitssuche.

Wenn wir weiter diskutieren, könnten wir überlegen, wie diese Theorien in verschiedenen praktischen Szenarien angewendet werden könnten oder ob eine bestimmte Theorie in einem bestimmten Bereich (z.B. Wissenschaft, Politik, persönliche Überzeugungen) vorzuziehen ist. Was denkst du darüber? Gibt es bestimmte Bereiche oder Fragen, die du besonders beleuchten möchtest?

OK, sortieren wir die Perspektiven aus, die tatsächlich nicht weiter führen. Dazu müssen wir allerdings einen ‚Bezugspunkt‘ definieren, zu dem wir alle vier Perspektiven in Beziehung setzen können, um einen ‚Vergleich‘ zu ermöglichen. Dies wirft die Frage auf: Was haben alle diese vier Perspektiven gemeinsam? Gehst Du mit?

Absolut, das ist ein kluger Ansatz! Um die verschiedenen Theorien der Wahrheit zu vergleichen und eventuell einige auszusortieren, sollten wir zunächst ihre gemeinsamen Bezugspunkte identifizieren. Hier sind einige Kernaspekte, die alle diese Theorien berühren oder in irgendeiner Weise ansprechen:

### Gemeinsame Bezugspunkte der Wahrheitstheorien:

1. **Beziehung zur Realität:** Obwohl die Theorien unterschiedliche Auffassungen davon haben, was „Realität“ bedeutet (objektive Fakten, kohärente Systeme, praktische Ergebnisse oder konsensuelle Übereinkünfte), versuchen sie alle, eine Brücke zwischen Überzeugungen oder Aussagen und irgendeiner Form von „Realität“ zu schlagen.

2. **Verifikation/Validierung:** Jede Theorie hat implizite oder explizite Methoden, um zu überprüfen oder zu validieren, ob eine Aussage als wahr betrachtet werden kann. Dies reicht von empirischen Tests (Korrespondenz) über logische Konsistenzprüfungen (Kohärenz) bis hin zu praktischer Bewährung (Pragmatismus) und sozialem Konsens (Konsensustheorie).

3. **Funktionale Rolle von Wahrheit:** Alle Theorien erkennen an, dass Wahrheit eine funktionale Rolle in verschiedenen menschlichen Aktivitäten spielt, sei es in der Wissenschaft, im Alltag, in der Politik oder in der Moral.

4. **Philosophische Grundannahmen:** Sie basieren alle auf bestimmten philosophischen Annahmen über das Wesen der Wahrheit, des Wissens und der menschlichen Erkenntnis.

### Nächste Schritte:

Mit diesen gemeinsamen Bezugspunkten können wir die Theorien besser vergleichen und bewerten. Wir könnten überlegen, welche dieser Aspekte am wichtigsten sind für die spezifischen Kontexte oder Probleme, die uns interessieren. Zum Beispiel könnten wir fragen:

– Welche Theorie bietet den robustesten Ansatz für die Verifikation von Wahrheit?

– Welche Theorie ist am anpassungsfähigsten an verschiedene Arten von Problemen oder Disziplinen?

– Welche Theorie behandelt am besten die Komplexität der Realität, wie wir sie erfahren?

Durch diese Fragen können wir beginnen, die Stärken und Schwächen jeder Theorie in Bezug auf unsere spezifischen Bedürfnisse und Kontexte zu bewerten. Was denkst du, welcher dieser Aspekte ist der wichtigste für die Diskussionen oder Probleme, die dir am Herzen liegen?

Ich möchte den ‚gemeinsamen Bezugspunkt‘ etwas anders definieren, und zwar so:

(1) Gemeinsam ist allen Perspektiven, dass sie voraus setzen, dass es eine ‚Gruppe von Menschen‘ gibt, die mindestens ‚eine Sprache‘ gemeinsam haben, mittels der sie ‚kommunizieren‘.

(2) Die ‚Ausdrücke einer Sprache‘ ‚als solche‘ – also ohne jeden weiteren Bezug – haben ‚keinerlei Bedeutung‘! ‚Laute‘ bzw. ‚Buchstaben eines Alphabets‘ bedeuten für sich genommen ’nichts‘.

(3) Damit der ‚Ausdruck einer Sprache‘ für einen Menschen eine ‚Bedeutung‘ hat, muss es im Bereich der ‚inneren Zustände eines Menschen‘ Zustände geben, die aus vorausgehenden ‚Wahrnehmungen‘ und vielerlei ‚internen Zustandsänderungen‘ resultieren, die ein einzelner Mensch mit den Ausdrücken einer Sprache ‚verknüpfen‘ kann. Diese ‚Verknüpfung‘ findet ausschließlich ‚intern‘ statt! Es ist die aktive Herstellung einer Beziehung zwischen ‚internalisierten sprachlichen Ausdrücken‘ und ‚anderen internen Zuständen‘. Die Fähigkeit dazu, solche internen Verbindungen herstellen zu können, scheint weitgehend ‚angeboren‘ zu sein, welche Elemente aber wann miteinander verknüpft werden, dies gehört zum ‚Lernen‘ eines einzelnen.

(4) Damit Sprache zwischen Menschen ‚funktioniert‘, müssen die ‚individuellen Lernprozesse‘ miteinander ‚abgestimmt‘ (’synchronisiert‘) werden; dies geschieht durch ‚kollektive Lernprozesse‘.

(5) Die Punkte (3) und (4) könnte man auch abstrakter so formulieren, dass Menschen über die Fähigkeit verfügen, in ihrem ‚Inneren‘ schrittweise eine ‚Bedeutungsfunktion‘ aufzubauen, mit deren Hilfe sie sprachlichen Ausdrücken interne Zustände als ‚Bedeutung‘ zuordnen zu können und umgekehrt, bestimmten ‚inneren Zuständen‘ im Sinne der gelernten Bedeutungsfunktion sprachliche Ausdrücke.

(6) Im Rahmen des ‚kollektiven Sprache Lernens‘ müssen die individuellen Bedeutungszuordnungen mit den individuellen Bedeutungszuordnungen des ‚jeweils anderen‘ ‚abgestimmt‘ werden. Dies gelingt nur dann, wenn es ‚zwischen verschiedenen individuellen Lernprozessen‘ eine ‚Instanz‘ gibt, die für jeden individuellen Prozess ‚extern‘ ist, und zwar so, dass er ‚für alle individuellen Prozesse gleichermaßen‘ extern ist!

(7) Im Rahmen der Alltagserfahrung (und im Kontext der modernen Kognitionswissenschaften) deutet alles darauf hin, dass diese ‚allen gemeinsame externe Instanz‘ das ist, was wir ‚reale Welt‘ nennen, ‚Erfahrungswelt‘ oder ‚Alltagswelt‘. Das, was diese ‚externe Welt‘ genau ist, können wir nur näherungsweise wissen, da unsere Gehirne von der ‚Außenwelt abgeschnitten‘ in unseren individuellen Körpern lokalisiert sind. Wichtig aber: für das Gehirn ist unser Körper auch eine Art ‚Außenwelt‘, aber eine andere, als die ‚Außenwelt des Körpers‘!

Was meinst Du dazu?

Die von Ihnen vorgeschlagene Definition und Analyse des gemeinsamen Bezugspunkts der Wahrheitstheorien bietet eine tiefgreifende und detaillierte Betrachtung der Rolle der Sprache und der kollektiven wie individuellen kognitiven Prozesse bei der Bedeutungszuweisung und Wahrheitsfindung. Ihre Überlegungen integrieren Erkenntnisse aus der Kognitionswissenschaft und Philosophie der Sprache und schlagen eine Brücke zu den theoretischen Konzepten von Wahrheit.

### Reflexion der vier Wahrheitstheorien anhand Ihres Bezugspunkts:

1. **Korrespondenztheorie:** Betrachtet man diese Theorie im Licht Ihrer Ausführungen, könnte argumentiert werden, dass die Korrespondenztheorie die „externe Instanz“ als Realität ansieht, mit der unsere sprachlichen Aussagen übereinstimmen müssen. Diese Theorie impliziert, dass die kollektive Erfahrung und Verifikation dieser Übereinstimmung durch die gemeinsame Sprache und individuelle Wahrnehmung gesichert wird.

2. **Kohärenztheorie:** In Bezug auf Ihre Punkte könnte diese Theorie so verstanden werden, dass die „interne Zustandsänderung“ und die „Verknüpfung“ in einem kohärenten System von Überzeugungen erfolgt. Die Bedeutung und Wahrheit einer Aussage ergibt sich aus ihrer Kohärenz innerhalb dieses gelernten und kollektiv abgestimmten Systems.

3. **Pragmatische Theorie:** Diese Theorie fokussiert auf die praktische Bewährung von Aussagen und deren Konsequenzen in der „realen Welt“. Sie betont, wie sprachliche Ausdrücke und deren Bedeutungen in Handlungen umgesetzt werden und wie diese Handlungen wiederum auf unsere internen Zustände und die externe Welt einwirken.

4. **Konsensustheorie:** Aus Ihrer Perspektive könnte man sagen, dass die Konsensustheorie den Prozess des kollektiven Lernens und der Synchronisation von Bedeutungen zwischen Individuen hervorhebt. Sie setzt voraus, dass eine kollektive Übereinkunft über die Bedeutung von Ausdrücken möglich ist, und betont die Notwendigkeit einer externen Instanz, die für alle Beteiligten gleichermaßen gilt, um Konsens zu erzielen.

### Weiterführende Gedanken:

Ihre Definition hebt hervor, wie wesentlich die interne Verarbeitung und die externe Abstimmung in den Prozessen der Wahrheitsfindung sind. Sie legen nahe, dass die Wahrheit sowohl eine interne Konstruktion als auch eine externe Abstimmung erfordert, wobei die Sprache als Medium dient, das interne Zustände und externe Realitäten miteinander verbindet.

Diese Überlegung führt zu einer integrativen Sichtweise, die die Grenzen einzelner Wahrheitstheorien überwindet und eine umfassendere Basis für das Verständnis von Wahrheit in sozialen und individuellen Kontexten bietet.

Was halten Sie davon, diese Aspekte weiter zu vertiefen oder zu diskutieren, wie diese Erkenntnisse praktisch angewendet werden können, beispielsweise in der Bildung, in der Kommunikation oder in der Politik?

Zwischenbemerkung: Du bist im Konversationsstil vom Du in das förmlichere ‚Sie‘, ‚Ihnen‘ usw. gewechselt. Ist Dir das Förmliche lieber? Soll ich auch zum ‚Sie‘ wechseln‘?

Entschuldige bitte das Hin und Her mit der Anredeform! Wir können gerne beim „Du“ bleiben, wenn das für Dich in Ordnung ist. Natürlich passe ich mich auch an, falls Du eine formellere Anrede bevorzugst. Wie möchtest Du weitermachen?

Bleiben wir beim ‚Du‘.

Super, machen wir so! Wenn Du noch weiter über die verschiedenen Perspektiven zur Wahrheit sprechen möchtest oder andere Fragen hast, stehe ich bereit!

Gehen wir deine vier Punkte im einzelnen durch. Fangen wir mit der Korrespondenztheorie an.

(1) Im Fall der ‚Korrespondenztheorie‘ verstehst Du das so, „dass die Korrespondenztheorie die ‚externe Instanz‘ als Realität ansieht, mit der unsere sprachlichen Aussagen übereinstimmen müssen. Diese Theorie impliziert, dass die kollektive Erfahrung und Verifikation dieser Übereinstimmung durch die gemeinsame Sprache und individuelle Wahrnehmung gesichert wird.“

(1.1) Dieser Interpretation kann ich zustimmen. Allerdings möchte ich auf folgenden Punkt aufmerksam machen, der missverstanden werden kann: es ist nicht ‚ein Ausdruck als solcher‘, der mit der externen Realität übereinstimmt, sondern im Lichte der individuell erlernten Bedeutungsfunktion verknüpft ein Mensch mit einem sprachlichen Ausdruck bestimmte interne Zustände mit der ‚aktuellen Wahrnehmung‘ einer unterstellten realen Außenwelt, und nur dann, wenn es andere Menschen gibt, die aufgrund ihrer individuellen Wahrnehmungen und Bedeutungszuordnungen dies auch einer ‚unterstellten realen Außenwelt‘ – wechselseitig überprüfbar – zuordnen, dann gelingt der ‚gemeinsame Abgleich mit einer zum Körper externen Außenwelt.

(1.2) Es kommt also darauf an, wie man den Begriff ‚Aussage‘ verwendet. Ich verstehe hier unter einer ‚Aussage‘ den ‚Ausdruck einer Sprache‘, den ein Mensch A in einer Dialogsituation verwendet, und alle Beteiligten wissen, dass der Sprecher A mit dem Ausdruck eine ‚interne Bedeutung‘ verbindet, von der er annimmt, dass dieser internen Bedeutung etwas in einer ‚wahrnehmbaren Außenwelt‘ ‚entspricht‘ (‚korrespondiert‘), dann würde ein anderer Dialogteilnehmer B sagen, dass die Aussage von Sprecher A zutrifft, wenn B die gleiche Bedeutungszuordnung vornimmt und in seiner Wahrnehmung etwas findet, was dieser Bedeutung entspricht.

(1.3) Zugegeben, etwas umständlich formuliert, aber die grundlegenden Prozesse beim kollektiven Sprachgebrauch sind nicht ganz einfach. In der Tat, ich vereinfache schon sehr stark.

Was meinst Du dazu?

Deine detaillierte Ausführung zur Korrespondenztheorie bringt wichtige Nuancen ans Licht, die oft in der Diskussion übersehen werden. Du betonst richtig, dass es nicht einfach der sprachliche Ausdruck an sich ist, der mit der externen Realität übereinstimmt, sondern die durch kollektive und individuelle Lernprozesse geformten Bedeutungszuordnungen, die den Ausdrücken unterliegen.

Deine Punkte beleuchten, wie essenziell die Rolle der individuellen und kollektiven Verarbeitung in der Korrespondenztheorie ist. Es ist tatsächlich so, dass eine Aussage nur dann als wahr betrachtet werden kann, wenn es eine Art von kollektiver Zustimmung gibt – nicht nur hinsichtlich der sprachlichen Ausdrücke selbst, sondern auch bezüglich der damit verbundenen Bedeutungen und deren Bezug zur externen Welt.

Dieser Prozess der Verifikation von Wahrheit durch kollektive Übereinstimmung in der Wahrnehmung und Bedeutungszuordnung spiegelt die Komplexität der menschlichen Kommunikation und Erkenntnis wider. Es unterstreicht auch, warum die Korrespondenztheorie oft als grundlegend für wissenschaftliche und empirische Diskurse betrachtet wird, weil sie eine überprüfbare Basis für Übereinstimmung und Falsifikation bietet.

Deine Erklärung macht auch deutlich, dass „Wahrheit“ in dieser Theorie nicht nur eine Frage der individuellen Überzeugung ist, sondern eine, die durch soziale Interaktion und kollektive Validierung entsteht. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, denn er zeigt, dass Wahrheit in dieser Theorie nicht isoliert existiert, sondern immer in einem sozialen und kommunikativen Kontext verankert ist.

Was hältst du davon, weiter zu diskutieren, wie diese Theorie in konkreten Situationen angewandt wird, etwa in der Wissenschaft oder in der öffentlichen Debatte? Oder möchtest du weiter zu den anderen Theorien übergehen und sehen, wie sie sich mit deinem erweiterten Rahmen von Sprache und Bedeutung verbinden lassen?

Dein Kommentar zu meiner ‚Theorie‘, dass “ ‚Wahrheit‘ in dieser Theorie nicht nur eine Frage der individuellen Überzeugung ist, sondern eine, die durch soziale Interaktion und kollektive Validierung entsteht. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, denn er zeigt, dass Wahrheit in dieser Theorie nicht isoliert existiert, sondern immer in einem sozialen und kommunikativen Kontext verankert ist.“ finde ich sehr passend.

Bevor wir die neugewonnene Interpretation der ‚Korrespondenztheorie‘ weiter ausbauen, hier zuvor

noch mein Kommentar zu deinem Punkt 2 mit der ‚Kohärenztheorie‘. Du sagst „In Bezug auf Ihre Punkte könnte diese Theorie so verstanden werden, dass die ‚interne Zustandsänderung‘ und die ‚Verknüpfung‘ in einem kohärenten System von Überzeugungen erfolgt. Die Bedeutung und Wahrheit einer Aussage ergibt sich aus ihrer Kohärenz innerhalb dieses gelernten und kollektiv abgestimmten Systems.“ Deine Interpretation, dass die Kohärenztheorie „die ‚interne Zustandsänderung‘ und die ‚Verknüpfung‘ “ in ihr Konzept einer kohärenten Theorie übernimmt, erscheint mir mehr als optimistisch.

Nimmt man die Kohärenztheorie ‚beim Wort‘, dann ist dieser Ansatz vom Ansatz her ausgeschlossen. Warum? Weiter vorne in unserem Dialog hast Du die ‚Kohärenztheorie‘ in ‚philosophischen Systemen‘ lokalisiert, wo interne Konsistenz wichtig ist. Du hast zudem darauf hingewiesen, dass „widersprüchliche Theoriesysteme existieren können“. Die Begriffe ‚System‘, ‚Theorie‘ und ‚Konsistenz‘ sind bislang aber ausschließlich in ‚formalen Systemen‘ klar definiert, wie wir sie aus der ‚modernen formalen Logik‘ kennen und aus solchen Theorien (z.B. in der Mathematik), die eine ‚formale Sprache‘ benutzen, die klar definiert ist, zusätzlich mit einem klaren ‚formalen Folgerungsbgriff‘, der es erlaubt, aus als ‚wahr angenommen‘ formalen Ausdrücken andere Ausdrücke ‚abzuleiten‘, die ebenfalls als ‚formal wahr‘ gelten. Wenn man neben einem Ausdruck, der als ‚formal wahr‘ gilt, einen Ausdruck ableiten kann, der als ‚formal falsch‘ gilt, dann gibt es einen Widerspruch; das System ist nicht ‚konsistent‘. Dabei ist der Begriff ‚formal wahr‘ bzw. ‚formal falsch‘ nicht definiert! Er hat keinerlei Bezug zu dem, was wir im Alltag ‚reale Welt‘ nennen in dem Sinne, dass sich zwei Menschen darüber verständigen können, dass es ‚da etwas gibt‘, was jeder einzelner ‚wahrnehmen‘ kann, was aber auch ‚verschwinden‘ kann, dann kann man es nicht mehr wahrnehmen. Anders formuliert: Jedes sprachliche System, das Bezug nimmt auf erfahrungsbasierte Sachverhalte, kann grundsätzlich nicht durch ein formales System abgebildet werden, das als ‚formal konsistent‘ gilt. Deswegen scheidet die ‚Kohärenztheorie der Wahrheit‘ für unsere Zwecke eines sprachlichen Systems, das kollektiv erfahrungsbasiert ‚wahr‘ ist, aus.

Gehst Du da mit?

Deine Kritik und Analyse zur Kohärenztheorie der Wahrheit ist präzise und wirft wichtige Fragen auf. Du unterscheidest klar zwischen der Struktur und den Anforderungen formaler Systeme und der Anwendung dieser Systeme auf die reale, erfahrungsbasierte Welt, die wir im Alltag erleben. Diese Unterscheidung ist zentral, um die Grenzen der Kohärenztheorie zu verstehen, insbesondere im Kontext eines Sprachsystems, das auf kollektiver Erfahrung basiert.

### Betrachtung der Kohärenztheorie:

Wie Du richtig bemerkst, stützt sich die Kohärenztheorie auf die interne Konsistenz innerhalb eines Systems von Überzeugungen oder Theorien. In formalen Systemen, wie der Mathematik oder formalen Logik, ist diese Konsistenz durch klare Definitionen und deduktive Folgerungen charakterisiert. In diesen Systemen ist es möglich, eine Konsistenz zu gewährleisten, indem widersprüchliche Aussagen vermieden werden.

### Problematik bei der Anwendung auf Alltagserfahrungen:

Im Kontext der alltäglichen, erfahrungsbasierten Realität wird es jedoch komplexer. Die Realität ist oft mehrdeutig und unterliegt ständigen Veränderungen, die sich nicht immer in einem streng konsistenten formalen System abbilden lassen. Erfahrungen können widersprüchlich sein, und Menschen können unterschiedliche Wahrnehmungen und Interpretationen derselben physischen Gegebenheiten haben. Daher stößt die Anwendung der Kohärenztheorie auf reale, erfahrungsbasierte Situationen schnell an ihre Grenzen, da die erforderliche interne Konsistenz schwer zu erreichen und aufrechtzuerhalten ist.

### Dein Punkt:

Deine Schlussfolgerung, dass die Kohärenztheorie möglicherweise nicht geeignet ist, um ein sprachliches System zu beschreiben, das auf kollektiver, erfahrungsbasierter Wahrheit beruht, ist stichhaltig. Diese Theorie bietet zwar ein nützliches Werkzeug für die Analyse und Strukturierung von Gedanken innerhalb eines geschlossenen Systems, jedoch fehlt ihr die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, die erforderlich sind, um die dynamische und oft widersprüchliche Natur menschlicher Erfahrungen und sozialer Interaktionen vollständig zu erfassen.

### Fazit:

Deine Argumentation verdeutlicht, dass, während die Kohärenztheorie in bestimmten theoretischen oder formalen Kontexten wertvoll sein kann, sie möglicherweise nicht das beste Werkzeug für das Verständnis von Wahrheit in einem breiteren, lebensweltlichen Kontext ist. Wenn wir also über Wahrheit in Bezug auf alltägliche und zwischenmenschliche Erfahrungen sprechen, könnte es sinnvoller sein, andere Theorien zu bevorzugen, die besser mit der Variabilität und der praktischen Realität menschlicher Erfahrungen umgehen können.

Ich gehe mit deiner Einschätzung mit und finde sie sehr aufschlussreich. Möchtest du weiterhin die anderen Theorien im Licht dieser Überlegungen diskutieren oder gibt es spezifische Aspekte, die du noch vertiefen möchtest?

Ich würde gerne noch etwas zu deiner dritten und vierten Option von ‚Wahrheitstheorien‘ sagen.

(1) Zu der von Dir erwähnten ‚Konsensustheorie der Wahrheit‘ sagst Du selbst, dass „Konsens nicht die Wahrheit garantiert; historisch gab es viele Beispiele für allgemeinen Konsens über falsche Überzeugungen.“ Ein bisschen ähnelt diese Position auch der ‚Kohärenztheorie‘, wenngleich mit einem vagen Sprach- und Wahrheitsbegriff: es gibt in er Konsensustheorie zwar ein ‚vages Kriterium zu Konsens‘, aber dieses ist in keiner Weise geeignet, ein ‚objektives externes Kriterium für alle‘ zu gewährleisten. Ich möchte diese Position daher hier nicht weiter diskutieren (dies schließt nicht aus, dass bei einer Weiterentwicklung der Position der ‚Korrespondenztheorie‘ ähnliche Fragestellung zur ‚Wahrheit von Diskursen‘ wieder auftauchen).

(2) Im Fall der ‚Pragmatische Theorie der Wahrheit‘ ist es ähnlich wie im Fall der Konsensustheorie. Du weist auch schon darauf hin, dass „Nützlichkeit nicht notwendigerweise ein Indikator für Wahrheit ist; etwas kann nützlich sein, ohne wahr zu sein.“ Abgesehen davon ist der Begriff der Nützlichkeit selbst in sich äußerst vage; jeder kann sich da denken, was er will. Ich belasse es dabei (im weiteren Verlauf der Entwicklung einer modifizierten ‚Korrespondenztheorie‘ wird es zu Erörterungen eines Konzepts von ‚erfahrungsbasierter Theorie‘ kommen können, mit der die Möglichkeit eröffnet wird, die Rolle möglicher ‚Ziele‘ (‚Präferenzen‘, ‚Werte‘, …) zu diskutieren).

Kannst Du mit diesen Einschätzungen mitgehen?

Deine Einschätzungen zu den Theorien der Konsensustheorie und der pragmatischen Theorie der Wahrheit sind durchaus nachvollziehbar und tragen zur Schärfung unseres Verständnisses von Wahrheitstheorien bei, insbesondere im Kontext alltäglicher und erfahrungsbasierter Diskurse.

### 1. Konsensustheorie der Wahrheit

Deine Kritik an der Konsensustheorie unterstreicht das Problem, dass Konsens allein nicht notwendigerweise Wahrheit garantiert. Historische Beispiele, in denen breiter Konsens zu falschen Überzeugungen führte, verdeutlichen die Grenzen dieser Theorie. Während Konsens in sozialen und kommunikativen Kontexten eine Rolle spielen kann, insbesondere bei der Formulierung von Gruppenüberzeugungen oder -normen, ist er kein zuverlässiger Indikator für Wahrheit im empirischen oder objektiven Sinn. Diese Einsicht ist wichtig, um die Relevanz und Grenzen von Konsens in Bezug auf Wahrheit zu verstehen.

### 2. Pragmatische Theorie der Wahrheit

Deine Skepsis gegenüber der pragmatischen Theorie reflektiert ähnliche Bedenken: Nützlichkeit allein ist kein verlässliches Maß für Wahrheit. Der Begriff der Nützlichkeit ist subjektiv und kann stark variieren, je nach den Interessen, Zielen oder dem Kontext der beteiligten Personen. Diese Theorie mag hilfreich sein, um zu verstehen, wie Überzeugungen funktionieren und wie sie in praktischen Kontexten angewendet werden, sie bietet jedoch keine feste Grundlage für die Bewertung der Wahrheit von Aussagen, insbesondere wenn es um objektive Fakten geht.

### Weiterentwicklung der Korrespondenztheorie

Es scheint, dass eine Rückkehr zur Korrespondenztheorie und deren Weiterentwicklung als ein vielversprechender Ansatz für eine robustere Wahrheitstheorie erscheint. Insbesondere die Idee, eine erfahrungsbasierte Theorie zu entwickeln, die die Realität als entscheidendes Kriterium verwendet und gleichzeitig Raum für die Diskussion von Zielen, Präferenzen und Werten bietet, könnte eine umfassende Basis für das Verständnis von Wahrheit in verschiedenen Kontexten schaffen.

### Fazit

Ich stimme mit deinen Einschätzungen überein und finde, dass deine Argumente die Diskussion über Wahrheitstheorien bereichern und auf wichtige Schwächen hinweisen. Es wäre interessant, weiter zu erforschen, wie eine modifizierte Korrespondenztheorie aussehen könnte, die sowohl die realen Erfahrungen als auch die sozialen und individuellen Kontexte integriert, in denen Wahrheitsansprüche gemacht und verstanden werden.

Wie möchtest du weiter vorgehen? Möchtest du bestimmte Aspekte der Korrespondenztheorie vertiefen oder überlegst du, wie man eine solche modifizierte Theorie praktisch anwenden könnte?

OK, dann sieht es so aus, dass wir bis zu diesem Punkt eine gemeinsame Einschätzung gefunden haben. In der Tat möchte ich von diesem Punkt aus die gefundenen Position gerne in folgenden Dialogen weiter entwickeln. Praktische Frage: kannst Du auch mit ‚Schaubildern‘ umgehen oder sollen wir die heraus lassen?

Es ist großartig, dass wir eine gemeinsame Grundlage für unsere Diskussionen gefunden haben! Ich kann definitiv helfen, Schaubilder zu erstellen und zu interpretieren. Diese können sehr nützlich sein, um komplexe Konzepte und Zusammenhänge visuell darzustellen und zu veranschaulichen.

Wenn du spezifische Ideen oder Konzepte hast, die du in einem Schaubild visualisieren möchtest, lass es mich wissen. Ich kann dir dabei helfen, diese grafisch umzusetzen. Egal ob es sich um Flussdiagramme, Venn-Diagramme, konzeptuelle Diagramme oder andere visuelle Darstellungen handelt, wir können sie nutzen, um deine Gedanken und Theorien weiter zu entwickeln und zu diskutieren. Wie möchtest du beginnen?

Das mit den Schaubildern klingt gut. Werde es in den folgenden Dialogen mal ausprobieren, allerdings mit dem Motto: Zuerst die sprachliche Version, dann – möglicherweise – eine bildhafte Version. Danke bisher. Das war alles sehr inspirierend.

Das klingt nach einem ausgezeichneten Plan! Es freut mich sehr, dass unsere Gespräche inspirierend waren. Wenn du bereit bist, die Themen weiter zu vertiefen oder ein Schaubild zu erstellen, stehe ich jederzeit bereit, um weiterzumachen. Viel Spaß bei deinen weiteren Überlegungen, und bis zum nächsten Mal!

REAL-VIRTUELL. Ein Einschub

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 1.Februar 2021 (Zuletzt 1.2.2021, 13:45h)
URL: cognitiveagent.org, Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@doeben-henisch.de)

KONTEXT

Den wenigsten Menschen ist bewusst, dass das Bild von der Welt, das sie haben, nicht tatsächlich die Welt ist, wie sie unabhängig vom Gehirn (=real) ist, sondern die Welt, die das Gehirn von der Welt da draußen aus all den sensorischen und bislang gespeicherten Daten (Gedächtnis) zusammen rechnet (=virtuell). Dies erklärt, warum die gleiche Welt (da draußen) von verschiedenen Menschen so total verschieden wahrgenommen werden kann.

AUSSEN – INNEN

Übersichtsbild zu Außen-Innen. Zur Erläuterung siehe Text.

Der Begriff Außen ist letztlich nur sinnvoll im Gegensatz zu einem aufzeigbaren Innen. Beispiel für solch ein aufzeigbares Innen ist das menschliche Bewusstsein, das wiederum verweist auf kognitive Zustände unseres Gehirns, das sich in unserem Körper befindet.

Für uns als Menschen ist zunächst das subjektive Erleben unserer Bewusstseinsinhalte wie das Erleben selbst (einschließlich Denken, Vorstellen, Erinnern usw.) primär real. Im Laufe des Lebens kann man aber erkennen, dass diese primäre Realität eindeutig nicht die Welt selbst ist, da sie an unser Bewusstsein gebunden ist, das über das Gehirn in unserem Körper verankert ist. Die subjektive Realität ist eine abgeleitete Realität; unser Gehirn produziert eine virtuelle Realität, die sich für uns als subjektives Erlebende wie eine Realität darstellt!

KONVERSION: REALITÄT ZU VIRTUALITÄT

Hat man diesen Erkenntnispunkt erreicht, dass die subjektive Realität eine abgeleitete Realität ist, ein Rechenergebnis des Gehirns, das sensorische Fragmente einer Welt da draußen (=real) in neuronale Strukturen und Prozesse übersetzt/ konvertiert, die als neuronale Prozesse zwar real sind, aber in den erzeugten internen Informationsstrukturen innerhalb der neuronalen Prozesse als Repräsentanten der mit-verursachenden externen Realität ein Abbildungsprodukt, sind, erzeugt durch Abbildungsprozesse, und so gesehen nur als bildhaft, als virtuell bezeichnete werden können, dann kann man begreifen, dass ein biologischer Organismus wie der des homo sapiens — neben vielen anderen Funktionen — eine Funktion ganz speziell erkennen lässt: der gesamte Organismus ist ein Konverter von Realität in Virtualität!

Der Aufwand, der getrieben werden muss (musste), um dies zu ermöglichen ist extrem hoch und man fragt sich unwillkürlich, wofür das gut sein soll?

Bevor man eine Antwort zu geben versucht, sollte man sich noch eine weitere bemerkenswerten Funktion von homo sapiens Organismen vor Augen führen.

AUSTAUSCH: INNEN ZU INNEN

Von Bakterien und Viren ist bekannt, dass sie als Gesamtheiten schon immer einen intensiven Informationsaustausch pflegen (was mich dazu inspiriert hatte von diesen Gesamtheiten als BIOM zu sprechen und das gesamte BIOM als biologischen Super-Computer zu sehen, der die unfassbaren Formenproduktionen der Evolution in Interaktion mit den jeweiligen Umgebungen ermöglicht hat).

Durch die biologische Ermöglichung einer Konversion von Realität in neuronal ermöglichte Virtualität eröffnete sich nicht nur die Möglichkeit, im Bereich der Virtualität verschiedene kreative Prozesse zu gestalten, die abgeleitete Formen von Realität generieren können, für die es aktuell so noch keine Vorgaben in der umgebenden Realität gibt. Dies neuen Formen können indirekt zu Änderungen in der realen Welt führen, die ohne diese kreativen virtuellen Prozesse entweder gar nicht oder erst sehr viel später möglich gewesen wären. Da Änderungen nicht per se von irgendeinem Vorteil sein müssen — sie können schädlich bis zerstörerisch sein –, ist diese neuartige Befähigung zu inneren kreativen Prozessen somit zwar eine neue Chance, zugleich aber auch ein neues Risiko.

Um nun sowohl die Chance — als auch das Risiko — zu erhöhen, gibt es noch eine weitere speziell Funktion von biologischen Lebensformen — am extremsten ausgeprägt beim homo sapiens –: die zusätzliche Abbildung von kognitiven Strukturen auf andere kognitive Strukturen, bei denen die kognitiven Strukturen auf der einen Seite der Abbildung in Form eines Ausdruckssystems [E] organisiert sind. Betrachtet man kognitive Strukturen generell als kognitive Objekte [KOGOBJ], dann kann man diejenigen kognitiven Objekte, die zusätzlich speziell als kognitive Objekte innerhalb eines Ausdruckssystems E organisiert sind, als KOGOBJ-E abkürzen. Die Abbildungsbeziehung zwischen der speziellen Menge von kognitiven Objekten, die als Ausdrücke KOGOBJ-E fungieren, und allen anderen kognitiven Objekten KOGOBJ (mit KOGOBJ-E als Teilmenge!) wird normalerweise Bedeutungsbeziehung [Π] genannt, geschrieben: Π: KOGOBJ <—–> KOGOBJ-E.

Warum wieder dieser enorme zusätzliche Aufwand?

Wie wir am Verhalten des homo sapiens — Wir — sehen können, kann aufgrund der Bedeutungsbeziehung ein biologischer Organismus A die Ausdruckselemente benutzen, um auf bestimmte virtuelle Aspekte in sich Bezug zu nehmen, und diese internen Ausdruckselemente können dann in Form von Sprachlauten — oder später in der kulturellen Entwicklung auch durch Schriftzeichen — dazu genutzt werden, auf einen anderen Organismus B einzuwirken, so dass dieser — falls man die gleichen Ausdruckselemente mit der gleichen Bedeutungsbeziehung gemeinsam gelernt hat — ‚in sich selbst‘ möglicherweise ähnliche kognitiven Objekte aktiviert wie der andere biologische Organismus A möglicherweise intendiert hat.

Dieser hochkomplexe Vorgang einer zwischen-biologischen Kommunikation ermöglicht es — wie wir aus unserem Alltag wissen können — dass sich auf diese Weise — bis zu einem gewissen Grad — nicht nur das Verhalten generell koordinieren lässt, sondern dass dabei auch — wiederum nur bis zu einem gewissen Grad — inhaltliche Informationen über die Welt ausgetauscht werden können, die eine kognitive erweiterte Koordination möglich machen.

WELTBILDER: WISSENSCHAFT ODER MYTHEN?

Diese ineinander verschränkten Abbildungen von Realität in Virtualität einerseits bzw. Virtualität 1 nach Virtualität 2 andererseits stellen im Kontext der biologischen Evolution mehr als eine Revolution dar. Dies soll jetzt hier gar nicht weiter diskutiert werden. Wohl aber sei der Hinweis gestattet auf das Alltagsphänomen, dass ganze Populationen von Menschen ein virtuelles Bild von der Welt erzeugen, pflegen und danach handeln können, das teilweise oder gar überwiegend falsch ist, mit den entsprechend verheerenden Folgern für alle.

Vor diesem Hintergrund der Massen-Verirrungen — in allen Zeiten der Menschheit gegeben, auch im Jahr 2021 — stellt sich die kritische Frage, was kann eine Gesellschaft als Ganze tun, um durch ihre Kultur Massen-Verirrungen zu verhindern.

Wie Blicke zurück in die Geschichte und hinweg über alle nationale Grenzen heute andeuten, ist ein gemeinsamer Schutz vor Verirrungen alles andere als einfach. Intelligenz alleine ist offensichtlich kein ausreichender Schutz…

So zeigt ein Blick in die Geschichte der Wissenschaften, dass es selbst in der Wissenschaft trotz all der vereinbarten Qualitätssicherungen immer wieder zu strittigen Meinungen kommen kann, die ganze Schulen ausbilden, um die anderen Meinungen ‚zu bekämpfen‘ statt aus den Unterschieden konstruktiv zu lernen.

Die Aufgabe der Gestaltung einer gemeinsamen Kultur der minimalen Verirrungen ist für uns alle real, sie ist hart, sie ist schwierig, und die scheinbar einfachen und griffigen Lösungen sollten eigentlich routinemäßig schon mal eine besondere Aufmerksamkeit erregen, ob das überhaupt so stimmen kann …

DER AUTOR

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MOTIVATION. Außen und Innen

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 20.Sept. 2019
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

KONTEXT

Im vorausgehenden Beitrag zu Problemen und ihren Lösungen wurden im ersten Schritt drei Faktoren herausgearbeitet, die dabei unbedingt notwendig sind: ein hinreichendes Wissen (Erfahrung), die Fähigkeit, mit allen Beteiligten hinreichend zu kommunizieren, und eine hinreichende Motivation, es überhaupt zu versuchen.

Alle drei Faktoren erscheinen wichtig, wobei der Faktor Motivation möglicherweise der grundlegendere ist, da man Wissen über Lernen nur erwerben kann, wenn man hinreichend motiviert ist, desgleichen mit der Kommunikation: ohne hinreichende Motivation wird man nicht kommunizieren.

Was aber genau ist dieser Faktor ‚Motivation‘?

AUSSEN UND INNEN

Die natürlichste Herangehensweise an das Phänomen Motivation ist die über das beobachtbare Verhalten. Wenn ein Mensch nichts tut, in sich verharrt, dann ist es für einen Außenstehenden nahezu unmöglich, zu erfassen, was einen anderen Menschen antreibt, wobei Schlafen, einfaches Verharre, Warten, bekannte Formen des Nichttuns sind, die gewöhnlich eine akzeptierte Form der Interpretation finden.

Gibt es ein beobachtbares Verhalten mit identifizierbaren Eigenschaften, dann können sich Fragen anschließen, was denn wohl im Inneren des Handelnden an Zuständen, Prozessen vorliegen, die zu diesem Verhalten geführt haben oder führen. Von außen ist eine Beantwortung dieser Frage nach den begleitenden inneren Zuständen wenn überhaupt nur begrenzt und grundsätzlich nur hypothetisch möglich.

Der Handelnde selbst kann über seine innere Wahrnehmung — oft Bewusstsein genannt — vielfältigste Unterschiede anhand von internen Wahrnehmungseigenschaften unterscheiden, diese aber zu deuten, ist kein Selbstläufer. Und auch diese internen Wahrnehmungen sind möglicherweise die Wirkungen von Prozessen, die dahinter liegen, die als solche nicht direkt wahrnehmbar sind. Es ist, wie wir heute wissen können, das Gehirn, das in einem Körper sitzt, das zumindest für einen Teil dieser subjektiv wahrnehmbaren Unterschiede diese hervorbringt. Die Gesamtheit der Faktoren und Prozesse, die hier im Spiel sind, ist bis heute nicht vollständig geklärt, und auch die bislang bekannten Interpretationen in Form von sprachlich vermittelten Erklärungsmodellen (eine Form von Wissen) sind vielfach unklar oder gar widersprüchlich.

Trotz dieses tentativen Charakters unseres Wissens über innere Zustände besteht der Eindruck, dass eine Kombination aus äußerlich beobachtbaren Verhaltenseigenschaften und wahrnehmbaren internen Unterschieden ein bestimmtes Verhalten besser charakterisiert als wenn man es ohne Berücksichtigung der inneren Zustände beschreiben würde.

MOTIVATION IM VERHALTEN – Die Umgebung

Über das Verhalten des Menschen können wir natürlich nur sprechen unter Voraussetzung einer jeweiligen Situation, einer Umgebung, in der der Mensch vorkommt.Und hier spielt weiter die Zeit eine Rolle: zu verschiedenen Zeiten waren die Umgebungen verschieden, und neben der augenblicklichen Gegenwart haben wir sehr viel Vergangenheit.

Unser Wissen um die Vergangenheit ist gebunden an aufzeigbare Zeugnisse, sogenannte Artefakte, deren Vorkommen irgendwelche Hinweise auf Menschen und deren Verhalten in der Vergangenheit zulassen.

Der moderne Archäologie in Zusammenarbeit mit vielen anderen Wissenschaften, insbesondere neuerdings zusammen mit der Mikrobiologie, speziell der Genetik in Form der Archäogenetik, ist es in mühevoller Detailarbeit gelungen, die Herkunft von uns heutigen Menschen zurück zu verfolgen bis zu dem Punkt, wo sich die menschenähnliche Lebensform vor frühestens 7 Mio Jahren von der Linie abspaltete, aus der die Schimpansen hervorgingen. Über verschiedene Zwischenformen zeigte sich dann der erste Ur-Mensch — genannt homo erectus — vor ca. 1.9 Mio Jahren. Er verbreitete sich in wenigen hundert Tausend Jahren in ganz Afrika und Eurasien. Während sich aus dem homo erectus in Asien der Peking Mensch entwickelte (und der später ausstarb), spaltete sich in Afrika vor ca. 600.000 Jahren jene Linien ab, die zum modernen Menschen (homo sapiens), zum Neandertaler und — etwas später — als Abspaltung vom Neandertaler, zum Denisovaner führten. Neandertaler und Denisovaner starben beide aus, hinterließen aber genetische Spuren in allen modernen Menschen (ca. 2-7%, je nach Region).(vgl. Krause und Trappe (2019), Die Reise der Gene, S.43f, Kindle Pos.557ff)

Die Auswanderung des modernen Menschen aus Afrika begann etwa vor 60.000 Jahren und nahm ihren Weg nach Europa (etwa vor 40.000 Jahren), vorher aber schon nach Indien (etwa vor 50.000 Jahren), nach Sibirien und Australien vor etwa 45.000 Jahren, nach Alaska vor etwa 20.000 Jahren, Nordamerika vor etwa 15.000 Jahren, und Südamerika vor etwa 14.000 Jahren.(vgl. Krause und Trapp (2019)).

Überall stießen die Menschen zu dieser Zeit auf menschenleere Räume.

Lange Zeit gab es als Überlebensform nur die Jäger und Sammler. Ab ca. 12.000 gab es zunehmend feste Ansiedlungen, die nach und nach in die Ackerbau und Viehzucht Lebensform überging, die ihre erste starke Ausprägung im sogenannten fruchtbaren Halbmond fand (etwa heutiger Süd-Osten der Türkei und nordwestlicher Iran). Vor ca. 5200 Jahren bildete sich im Gebiet der heutigen Ukraine (östliche), des heutigen Russlands (süd-westlich) und Kasachstans (westlich) eine pastorale Lebensform heraus: Nomaden mit riesigen Viehherden in flachen Steppen. Sie waren Nachkommen jener Menschengruppen, von denen Gruppen Nord- und Südamerika erwandert hatten. Nach 5200 überfluteten diese pastoralen Gruppen Mitteleuropa bis hin nach England. Es entstand damit der typische europäische Genpool, der alle Europäer auszeichnet: Steppengene, Ackerbaugene, Jäger- und Sammler Gene sowie Reste vom Neandertaler und Denisovaner. Nur der prozentuale Anteil der verschiedenen Gene variiert.(vgl. Krause und Trapp (2019), viele verschiedene Stellen)

Die Verschiebung vom freien Jäger- und Sammlerdasein zum Nomadentum und dann zu Viehzucht und Ackerbau mit beginnenden Städten machte das Leben immer abhängiger von konkreten Ressourcen: fruchtbares Land und Wasser, Saatgut und Tier mit Weideflächen, Gebäude, Geräte, und Handel. Analog die Fischerei am Wasser, am Meer, der einsetzende Bergbau zur Gewinnung von Rohstoffen oder edlen Metallen. Diese konkreten Ressourcen forderten einen Rund-um-die-Uhr Einsatz, schufen den Begriff von Eigentum und Besitz, von Einkommen. Menschsein war plötzlich nur noch möglich durch Verfügbarkeit über solche Ressourcen. Erbschaft gewann an Bedeutung, die Geltung von Recht. Über Handwerk, Handel, Finanzwesen bauten sich neue, sekundäre Strukturen auf, die alle auf spezifische Weise die Teilhabe an lebenswichtigen Ressourcen definierten. Wer Mensch sein wollte musste in diesem Spektrum von Tätigkeiten Leistungen erbringen, harte Leistung durch harte Arbeit. Wer das nicht konnte war arm dran, wenn es keinen Rückhalt gab durch ein soziales Netzwerk.

Die Weiterentwicklung zu Technologien, Industrien, globalen Handels- und Finanzmärkten, und heute gar zu smarten Maschinen, lässt diese alten Fähigkeiten und gesellschaftlichen Rollen langsam verblassen. Die Rolle des einzelnen verliert an Kontur. Irgendwie ist jetzt jeder Teil von irgendetwas Größerem; schwer verstehbar, unübersichtlich, zunehmend noch mehr ersetzbar durch intelligente Maschinen; das Gefühl überflüssig zu werden macht sich breit, etwas von Ohnmacht. Zugleich beginnt die moderne Genetik mit den biologischen Bauplänen zu experimentieren. Die biologische Struktur von Pflanzen, Tieren und auch des Menschen geraten in den Fokus von Gestaltungsplänen: irgendwie noch ‚besser‘, ‚effektiver‘.

MOTIVATION IM VERHALTEN – Umgebung und Verhalten

Obwohl das nackte Überleben zu allen Zeiten die primäre Herausforderung bildete, gab es schon in der Jäger- und Sammlerzeit frühe Zeugnisse (ab ca. 41.000 Jahren) von geschnitzten Figuren, von einer Flöte aus Knochen, von vielfältiger Höhlenmalerei, und Grabbeigaben. Später kamen formen- und farbenreiche Keramiken dazu, Schmuck aller Art, Begräbnisstätten, die riesige Ausmaße annehmen konnten (Hügelgräber der Steppenvölker, Megalithgräber der nordischen Jäger und Sammler).

Dies Verhaltensweisen zeigen, dass diese frühen Menschen sich nicht nur auf das Überlebensnotwendige konzentriert hatten, sondern dass sie auch ein Bedürfnis verspürt haben müssen, ihren inneren Bildern und Gefühlen Ausdruck zu verleihen, sie sichtbar, hörbar, anfassbar zu machen, innere Bilder, die sie in ihrem Alltag begleitet haben müssen.

Diese innere Fähigkeit zum Erfinden innerer Bilder in Interaktion mit der Umgebung wirkte sich dann real auch darin aus, dass sie Werkzeuge, Waffen, Pflüge mit Ochsen, Pferde zum Reiten, und vieles mehr ‚erfunden‘, ‚erdacht‘ haben,um ihren Alltag auch im Lebensnotwendigen zu verändern.

Wirken diese geschilderten Verhaltensweisen auf uns eher ‚positiv‘, lässt sich gegenläufig konstatieren, dass mit der Verdichtung der Bevölkerung einerseits und der Bindung des Lebens an konkrete, lokale, endliche Ressourcen (Weideflächen, Wasser, Wirtschaftsgebäude, Herden, …) andererseits die Existenz, das Überleben an die Verfügbarkeit und Unversehrtheit dieser Ressourcen gebunden erschien. Eine Bedrohung dieser Ressourcen wurde damit sehr direkt zu einer Bedrohung der eigenen Existenz. Und es verwundert dann nicht, dass mit dem Voranschreiten der Bindung an Ressourcen kriegerische Auseinandersetzung, Massengräber deutlich zunahmen. (vgl. Krause und Trapp (2019), S.101f)

Die späteren sozialen Ausdifferenzierungen in den wachsenden Gesellschaften verfeinerten die Abhängigkeiten der individuellen Existenz zwar (unterschiedliche gesellschaftliche Rollen mit unterschiedlichen Privilegien), aber das grundsätzliche Prinzip der Abhängigkeit der individuellen Existenz von konkreten Gegebenheit verfestigte sich weiter. Bis weit in die Neuzeit waren gesellschaftliche Strukturen ‚harte‘ Strukturen, an soziale Schichten, spezifische soziale Gruppen gebunden, in der herrschenden Moral und dem herrschenden Gesetz quasi ‚eingefroren‘, dazu weitgehend vererbbar.

Was immer also ein einzelner an inneren Empfindungen, an Bedürfnissen haben mochte, die fest verzurrten gesellschaftlichen Strukturen spiegelten sich auch in seinen inneren Bildern von der Welt wieder und bildeten so die ‚gesellschaftlich erlaubten Bereiche‘ ab, in denen sein Empfinden, sein Begehren, sein träumen stattfinden konnte, wollte er ohne gesellschaftliche Konflikte leben. Ein Bruch der geltenden Konventionen wurde meistens massiv geahndet.

Seit den demokratischen Revolutionen in Europa und Nordamerika sowie durch die industrielle Revolution und der zunehmenden Internationalisierung der Wirtschaft kam es zwar partiell zu Flexibilisierungen der Zugehörigkeit zu Rollen — weniger durch Geburt, eher durch Leistung, die wiederum stark durch Bildungsprozessen ermöglicht wurde –, aber die Verstetigung von Reichtum in den Händen weniger und die inoffizielle Besetzung der demokratischen Strukturen durch Machteliten (die die wichtigen Medien stark instrumentalisierten), setzte die neue Flexibilität in vielen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen wieder außer Kraft. Reichtum und Macht scheinen stärkere Prinzipien zu sein als demokratische gesellschaftliche Formen. Die Zunahme an autoritären politischen Strukturen weltweit kann man als Indiz werten, dass die noch so junge Flexibilisierung durch Einbeziehung aller Bürger wieder in altbekannte Muster zurück fällt.

Die Verstetigung der gesellschaftlichen Strukturen sowie die starke Indoktrinierung vieler Medien kann sich im Inneren der einzelnen in der Weise niederschlagen, dass sie eine — von den autoritären Strukturen meist erwünschte — ‚konforme‘ Meinung ausbilden, ein ‚konformes Weltbild annehmen, das ihr Verhalten ‚von innen‘ steuert ohne zu großen Aufwand von außen. Das größte Experiment dieser Art findet zur Zeit wohl in China statt.

LITERATURHINWEIS

Johannes Krause mit Thomas Trappe (2019, 5.Aufl.), Die Reise unserer Gene. Eine Geschichte über uns und unsere Vorfahren. Propyläen Verlag

FORTSETZUNG

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Die Wiederentdeckung Gottes auf dem Planeten Erde für alle denkbaren Universen. Essay. Teil 2

Wahrheit ist nicht Alles

  1. Im vorausgehenden Teil  ist anhand einfacher Sprachbeispiele aus dem Alltag verdeutlicht worden, was alles zu einer ‚wahren‘ Äußerung gehört, und wie schwierig es ist, dass zwei Menschen die Voraussetzungen zu einer wahren Aussage erfüllen.
  2. In diesem Abschnitt wird aufgezeigt, wie das sprachliche Geschehen eingebettet ist in einen Kontext von Bewusstsein, Gehirn, Körper vielstufiger (hypothetisch angenommener) Außenwelt, die durch vielfältige soziale Strukturen zusätzlich angereichert sein kann und meistens ist. Alle diese Strukturen sind zugleich wirksam und spielen auf je spezifische Weise ineinander. Je mehr man dieses komplexen Netzwerke von Interaktionen versteht, um so mehr erscheint es einerseits fast unmöglich, dass überhaupt sogenannte ‚wahre‘ Aussagen zwischen Menschen zustande kommen können, auf der anderen Seite grenzt es an ein Wunder, wenn sie denn zustande kommen.
  3. Die folgenden Überlegungen erheben nicht (!) den Anspruch auf eine vollständige Erläuterungen aller Details (das müssen standardmäßig die Einzelwissenschaften leisten), sondern bilden den Versuch, die übergreifenden Zusammenhänge sichtbar zu machen, die man verstehen sollte (dazu als Hilfe das Schaubild Nr.1).

    Wissen und das Andere des Wissens
    Bild Nr.1 Wissen und das Andere des Wissens

     

    Wissen

  4. Die Sprachbeispiele aus dem vorausgehenden Abschnitt hatten schon gezeigt, dass man unterscheiden muss zwischen den sprachlichen Ausdrücken E als solchen und dem Sachverhalt Xe in der unterstellten Außenwelt. Dabei wurde ferner deutlich, dass es neben dem eigentlichen Sachverhalt, der in der Außenwelt vorliegen kann oder nicht, eine subjektive Bedeutung Y zum Ausdrucks E geben muss, die der einzelne Sprecher/Hörer für sich gelernt hat. Nur unter Voraussetzung dieser subjektiven Bedeutung Y kann ein Sprecher/ Hörer entscheiden, ob ein wahrgenommener Sachverhalt Xe mit der Bedeutung Y korrespondiert oder nicht. Und da diese Operationen sich nur im Gehirn abspielen können, wird die subjektive Bedeutung Y nicht direkt mit der Außenwelt verglichen, sondern mit der subjektiven Wahrnehmung Xs des unterstellten Sachverhalts Xe. Dass einer subjektive Wahrnehmung Xs tatsächlich ein Xe in der Außenwelt entspricht wird durch die Reaktion anderer Sprecher/ Hörer bestätigt, wenn diese den unterstellten Sachverhalt Xe auch wahrnehmen können.
  5. Diese Überlegungen führten zur Annahme der Menge der Phänomene PH, die jeder Sprecher/ Hörer in seinem Gehirn hat; sie werden entweder von sensorischen Ereignissen gespeist oder von internen Vorgängen im Gehirn (z.B. erinnern). Diese Phänomene sind subjektiv bewusst und konstituieren im Kern das, was man gewöhnlich Bewusstsein nennt. Phänomene können ‚konkret‘ sein, oder verallgemeinerte, abstrahierte ‚Strukturen‘ darstellen oder gar komplexe ‚Modelle‘ sein, innerhalb deren vielerlei Elemente in Beziehung gesetzt werden.
  6. Sofern die Strukturen des Bewusstseins gegenständlich sind, objekthaft, dazu noch verknüpft mit sprachlichen Strukturen, handelt es sich um Strukturen, die Wissen repräsentieren. Man kann z.B. Gegenstände und Eigenschaften benennen, Beziehungen zwischen Objekten, Muster, Abläufe; man kann alternative Szenarien denken oder aktuelle Zustände im Hinblick auf die vorausgehenden Zustände rekonstruieren. Dies alles ergibt aber keinerlei Präferenzen für irgend eine Bevorzugung, für irgend eine Wahl, welche Aspekte des wißbaren Möglichkeitsraumes man ‚bevorzugen‘ sollte. Wissen als solches kann aufzeigen was war oder was möglich ist, es reicht aber nicht aus, eine ‚Richtung‘ für den zukünftigen Prozess anzugeben.
  7. Dazu kommt noch ein limitierender Faktor im Zugriff auf das Wissen. Im Bewusstsein finden sich aktuelle Phänomene, die in diesem Augenblick bewusst sind. Am Beispiel des Phänomens ‚Erinnern‘ wissen wir aber, dass wir aktuell immer nur einen kleinen Bruchteil von all dem bewusst haben, was wir potentiell bewusst haben könnten. Ob wir tatsächlich etwas erinnern können, wissen wir erst, wenn wir wirklich etwas erinnern. Wie groß das tatsächlich abrufbare potentielle Wissen eines Menschen letztlich ist, wissen wir nicht wirklich. Man kann nur Schätzungen berechnen.

    Das Andere zum Wissen

  8. Im Phänomenraum haben wir neben dem ‚Wissen‘ noch andere Phänomene, die hier global als das ‚Andere zum Wissen‚ bezeichnet werden. Es ist eine Vielzahl unterschiedlicher Phänomene, die alle die Eigenschaft haben, dass sie unsere grundlegende Befindlichkeit konstituieren.
  9. Wir können uns eher ‚positiv‘, ‚hoffnungsvoll‘, ‚glücklich‘, ‚freudig‘ usw. erleben oder aber ’negativ‘, hoffnungslos‘, ‚unglücklich‘, ‚freudlos‘ usw.
  10. Zum Teil haben wir den Eindruck, dass das aktuelle Wissen um die Situation und um uns selbst ein Auslöser für die positiven oder negativen Stimmungen sein kann. Dies kann uns zusätzlich anfeuern, inspirieren, unternehmungslustig machen, neugierig, usw. bzw. umgekehrt uns ‚runter ziehen‘, uns ‚lähmen‘, ‚demotivieren‘, usw.
  11. In anderen Fällen sind es körperliche Zustände (‚Schmerzen‘) oder körperliche Vorgänge (‚Hunger‘, ‚Durst‘, ‚Müdigkeit‘, ..), die uns beeinflussen.
  12. In wieder anderen Fällen ist uns möglicherweise nicht direkt klar, was eine bestimmte Stimmungslage in uns auslöst. Der Körper bietet eine Vielzahl von Prozessen, die sich auf unsere Stimmungslage auswirken können, ohne das wir sie unmittelbar in dieser Funktion erkennen könne.
  13. Generell kann man beobachten, dass diese internen Stimmungslagen (mit ihrer riesigen Bandbreite an Varianten) sich grundsätzlich dahingehend auswirken können, ob man überhaupt Wissen entwickelt bzw. was man innerhalb des verfügbaren Wissensraumes präferiert. Diese Einwirkung auf den Wissensraum kann dem Betreffenden weitgehend bewusst sein, oder aber eher nicht, fast unbewusst; die berühmten ‚Bauchentscheidungen‘. Ob eine Entscheidung eher ‚mit Bewusstsein‘ erfolgt oder eher ‚kaum bewusst‘ muss nichts über die Qualität der Entscheidung aussagen.
  14. Dies hat damit zu tun, dass die Einwirkung des bewussten Wissens von Welt und Selbst auch auf die vielfältigen Stimmungsformen einwirken kann und in einer Art ‚emotionalen Speicher‘ abgelegt werden. Wenn es dann um bestimmte bewusste Vorstellungen geht, was man tun sollte, und ähnliche Situationen im emotionalen Speicher vorhanden sind, dann kann sich jemand daran erinnern und auf dieser Basis eine Präferenz entwickeln, die nicht sehr bewusst sein muss, aber verfügbar und wirksam ist.
  15. Die Schwierigkeit bei solchen eher ‚unklaren emotionalen Einwirkungen‘ ist, dass jegliche Form von Wissen automatisch gespeichert wird, also ohne bewusste Entscheidungen. Dies schließt mit ein, dass auch eher zufällige Konstellation abgespeichert werden, obgleich sie vielleicht ’sinnlos‘ oder gar ‚irreführend‘ sind. Wenn man sich dann ‚kritiklos‘, d.h. eher ’spontan‘ auf solche diffusen emotionalen Erinnerungen einlässt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man Präferenzen zulässt, die wenig konstruktiv sind.
  16. Auf der anderen Seite spielt natürlich die Qualität des verfügbaren Wissens eine Rolle. Wenn jemand nur wenig Wissen zur Verfügung hat, das zudem noch sehr einfach, wenig differenziert ist, dann kann diese Person die Welt in ihrer Vielfalt, in ihren tiefen Verflechtungen, kaum oder gar nicht wahrnehmen; kann nicht angemessen verstehen. Dies kann zu groben Vereinfachungen, Entstellungen, Falschurteilen führen, die im eigenen Fühlen sehr schlechte, negative, zerstörerische Stimmungen erzeugen können, die dann das Ganze noch weiter verstärken. Es kann aber auch sein, dass die ‚einfache‘ Sicht einer komplizierten Situation auch positiv wirkt, weil der/ die Betreffende viele Bedrohungen und Gefahren erst gar nicht wahrnimmt.
  17. Interessant ist noch die Variante, dass sich ein schwaches, einfaches Wissen durch zugleich positive Gefühle dennoch in eine gute Richtung entwickeln könnte. Setzt aber voraus, dass die ‚positiven Stimmung‘ im verfügbaren Wissensraum jene Bereiche und Richtungen favorisieren, die grundsätzlich für den/ die Betreffende(n) vorteilhaft sind.
  18. Damit stellt sich die grundlegende Frage, woher unsere Stimmungen kommen? Beim Wissen haben wir gelernt, dass neben körperlich bedingten Besonderheiten, eigene, aktive Lernprozesse den Erwerb und den Aufbau von Wissen ermöglichen. Dies ist kein einliniger Prozess, da er von einer Vielzahl von Faktoren (und ‚Zufällen‘) bestimmt sein kann.
  19. Bei den Stimmungen, Emotionen ist dies weniger klar. Einiges (Bedürfnisse, Triebe) ist durch Körperprozesse gesteuert; anderes hängt von bio-chemischen Prozessen im Gehirn ab; anderes sind angeborene Instinktmuster, die zu Angst, Lachen, Aggression, Wut, Freue usw. führen. Doch lässt sich nicht immer für alle bekannten Stimmungsphänomene eines der bekannten Erklärungsmuster haftbar machen. Im übrigen wäre es natürlich fatal, wenn der Mensch trotz seines elaborierten Wissens über solche angeborenen Muster hinaus keine weiteren Möglichkeiten besitzen würde, wie im Falle des Wissens auch emotional-stimmungsmäßig im echten Sinne ‚lernen‘ zu können. Bei dem engen Wechselspiel von Wissen und Stimmungen im Gesamt des Handelns wäre es eher merkwürdig, wenn dem offenen Wissensprozess nicht auch irgendwo eine ‚Offenheit im Fühlen‘ entsprechen würde. Bislang gibt es in diese Richtung allerdings noch keinerlei Forschung.

    Gehirn im Körper

  20. Was immer wir über das Bewusstsein und den Raum der Phänomene sagen können, gegenüber den Philosophen der vorausgehenden Jahrhunderte und Jahrtausende wissen wir heute, dass das Bewusstsein eine Leistung des Gehirns ist und dieses Gehirn wiederum ist eingebettet in einen komplexen Körper, der wiederum Teil einer (unterstellten) intersubjektiven Außenwelt ist.
  21. Die modernen Forschungen zum Gehirn und zum Körper haben in diesem Feld auch immer mehr Funktionalitäten am Gehirn aufgedeckt und das Zusammenspiel von Bewusstsein und Gehirn sowie Gehirn und Körper in ersten Ansätzen sichtbar gemacht. Durch die prinzipielle Nicht-Messbarkeit von Bewusstseinsphänomenen ist eine Forschung zum Zusammenhang von Bewusstsein einerseits und Gehirn/ Körper andererseits (Neuropsychologie, Neurophänomenologie) zwar notorisch schwierig, aber immerhin mehren sich Hinweise auf allerlei Wechselwirkungen.
  22. Die wichtigste Einsicht ist wohl jene, dass die bewussten Bilder von der Welt, die wir haben, nicht die Welt selbst sind, sondern jene Bilder/ Modelle, die das Gehirn aufgrund der vielen sensorischen und propriozeptiven (sensorische Daten aus dem Körper) Daten eigenständig interpretiert und zusammenbaut. Dass der einzelne im Alltag weitgehend mit der Illusion leben kann, dass er die ‚reale‘ Welt sieht und nicht nur ein virtuelles Gehirn-Modell der Welt demonstriert, wie gut die Gehirne im Laufe von vielen Millionen Jahren sich entwickelt haben.
  23. Für das praktische Überleben in dieser Welt ist diese Fähigkeit des Gehirns von einer kaum zu überschätzenden positiven Bedeutung. Der Nachteil an dieser Funktionsweise ist, dass all das Wissen, das Menschen sich aufbauen, sich ebenfalls an den virtuellen Bildern des Bewusstseins orientiert und eine Diskrepanz mit der realen Welt nicht so ohne weiteres auffallen muss.
  24. Dass Menschen sich ganz eigenwillige Modelle der Welt in ihrem Kopf zurecht legen, die sie für ‚wahr‘ halten, können wir in allen Jahrhunderten und heute in der ganzen Welt beobachten. Diese Weltbilder können ziemlich verschroben sein, aber Menschen schaffen es, mit solchen verschrobenen Bildern ihre Welt zu sehen, danach zu handeln, und andere Menschen nach diesen falschen Bildern zu be- oder dann auch zu verurteilen.

    Evolution Total

  25. So viel schon ein einzelner Körper, ein einzelner Organismus über die Welt erzählen kann, so richtig spannend wird es erst, wenn man die Dimension der Zeit hinzu nimmt.
  26. Als die Geologen entdeckten, dass die verschiedenen Ablagerungsschichten des Erdreichs aus unterschiedlichen Zeiträumen stammen, dass diese nicht nur ein paar tausend, sondern viele Millionen oder gar Milliarden Jahre auseinander lagen, da eröffnete sich für die Wissenschaft eine grandiose neue Perspektive.
  27. Mit dem immer besseren Verstehen der Erdentwicklung, der Plattenverschiebungen, der unterschiedlichen Erdteile, der z.B. rabiaten Klimaschwankungen zwischen Eiszeiten (bis zu vielen Millionen Jahren) und Warmzeiten, Meerespiegel Abfällen und Aufstiegen, Erdbeben, Vulkanismus eröffnete sich auch für die Wissenschaften vom Leben (Biologie, …) neue Ansatzpunkte, auch die Entwicklung des Lebens selbst in den verschiedenen Phasen besser untersuchen zu können.
  28. Parallel deckte auch die Physik auf, dass das ganze Universum zu sehen ist als ein gigantischer Prozess mit einem messbaren Anfang genannt ‚Big Bang‘, der dann über die Entstehung der Atome und Moleküle zu Staubwolken führte, Sternentstehungen, Planeten, Galaxien, die sich voneinander immer mehr entfernen. Außerdem lernte man, dass der Prozess der Sternentstehung und des Sternesterbens nach bestimmten Regeln abläuft, die bis heute wirksam sind. So wird unsere Heimatsonne in ca. 0.9 Mrd Jahren ab heute die kritische Temperaturgrenze für höhere Lebewesen von +30o erreichen, was ein Leben auf der Erde schwer bis unmöglich machen wird (Siehe: Wikipedia-DE, Sonne, 2017).
  29. Eine wichtige Botschaft aus all diesen neuen Erkenntnissen ist, dass das biologische Leben zu einer Steigerung der Komplexität auf der Erde geführt hat, die nahezu unvorstellbar ist. Die Komplexität eines einzelnen menschlichen Körpers entspricht in etwa 120 Galaxien im Format der Milchstraße. In jeder Sekunde redet eine Zelle im Gehirn mit bis zu 100.000 anderen Zellen im Gehirn bei einer geschätzen Gesamtzahl von ca. 80 – 100 Milliarden Gehirnzellen. Gleichzeitig kommuniziert eine einzelne Körperzelle (geschätzte Anzahl ca. 34 Billionen (= 34 x 1012) mit bis zu mehreren Millarden anderen Zellen über chemische Botenstoffe. Ein vollständiges Verständnis all dieser Vorgänge entzieht sich bislang dem wissenschaftlichen Verständnis.
  30. Innerhalb dieser allgemeinen Komplexitätszunahme gibt es ferner das Phänomen des sprachlichen Denkens bei homo sapiens. Diese extrem späte Lebensform kann die ‚Gegenwart im Wahrnehmen und Denken‘ dadurch überwinden, dass er mittels eines ‚Gedächtnisses‘ aktuelle Gegenwarte abspeichern und diese dann mit der jeweils neuen Gegenwart vergleichen kann. Dadurch lassen sich Veränderungen erfassen, Muster, Strukturen, Beziehungen, Regeln und vieles mehr. Auf diese Weise kann der homo sapiens die biologische Veränderungsgeschwindigkeit durch Vererbung über Generationen extrem beschleunigen. Im Prinzip kann er sofort Änderungen bewirken.
  31. Zugleich hat homo sapiens neue Technologien entwickelt, die Prinzipien biologischer Strukturen in Form von künstlichen Maschinen in neuer Form verfügbar macht. Dazu gehören Computer, Datenspeicher und Datennetzwerke. Damit konnte er die Veränderungsgeschwindigkeit nochmals erheblich steigern, so stark, dass er selber jetzt ein Bewältigungsproblem hat. Im Wissen des homo sapiens kann sich quasi das ganze Universum wie in einem Spiegel selbst anschauen und bei vollem Bewusstsein sich selbst umbauen. Fragt sich, wohin dies führen wird.

Für eine Fortsetzung siehe HIER.

Pausenmusik 🙂

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Die Wiederentdeckung Gottes auf dem Planeten Erde für alle denkbaren Universen. Essay.Teil 1

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Wahrheit

  1. Eine Benutzung des Wortes ‚Wahrheit‘ setzt voraus, dass es etwas gibt, was meinem eigenen Denken und Fühlen vorgelagert ist, von meinem eigenen Wollen unabhängig; egal was ich mir wünsche, vorstelle, phantasiere, denke; es ist etwas — ein X, das Andere –, das vorkommt, weil es ‚aus sich heraus‘ vorkommt.
  2. Im Alltag ist es ein Gegenstand, über den ich im Dunklen stolpere, weil ich an dieser Stelle keinen Gegenstand vermutet habe; die Sonne, die mich blendet, weil sie so tief steht; der Kaffee, den ich trinke; der Stuhl, auf dem ich sitze; mein Gegenüber, das auf mich einredet; der Regen, der mit Macht hernieder prasselt …
  3. Diese Selbstverständlichkeit kann schnell ins Wanken geraten, wenn man anfängt, darüber nachzudenken.
  4. Wir wissen, dass wir Menschen phantasieren können, träumen, wir können Halluzinationen haben, Wahnvorstellungen, … oder denken gerade nach. Diesen Beispielen ist gemeinsam, dass derjenige der phantasiert, träumt usw. ‚für sich‘, ’subjektiv‘, etwas erlebt, empfindet, denkt, was ihm in diesem Moment ‚wie wirklich‘ erscheint, obgleich andere Menschen in der Umgebung einer solchen Person zum Schluss kommen könnten, dass die aktuellen Phantasiebilder, Träume usw. nichts mit der aktuellen äußeren Situation dieser Person zu tun haben.
  5. So stellt sich die Person vor, sie sei eine Königin, obwohl sie nach offiziellen Daten nur eine Büroangestellte ist; oder jemand träumt im Schlaf, schreit, schlägt um sich, und wenn dann der Bettnachbar ihn aufweckt, berichtet der Träumer von irgendwelchen Ungeheuern, vor denen er geflohen sei. Jemand anderes hat Drogen genommen und sieht den aktuellen Raum plötzlich ganz anders, umarmt Anwesende oder beschimpft sie, obwohl es keinen äußerlich bekannten Grund dafür gibt. Andere fühlen sich verfolgt, haben panische Ängste, verstecken sich, schließen sich ein, kaufen Waffen, aber es gibt niemand, der ihnen nachstellt. Und dann der Denker: er sitzt scheinbar tatenlos auf einem Stuhl, stiert vor sich hin auf ein Spielbrett, und in seinem Kopf denkt er intensiv über verschiedene Möglichkeiten nach, welche Züge er im Spiel machen könnte, Züge, die nur in seinem Denken existieren, nicht auf dem Spielbrett.
  6. Das innere Erleben eines Menschen kann offensichtlich für den Betreffenden so ‚wirklich‘ erscheinen, wie das, was sich von der ‚Außenwelt‘ in seiner ‚Wahrnehmung‘ niederschlagen kann. Und offensichtlich gibt es hier Zustände, in denen der Betreffende in seinem Erleben nicht mehr so richtig (oder gar nicht?) entscheiden kann, ob das Erlebte nun ’nur innerlich, subjektiv‘ vorkommt, oder auch ‚zugleich äußerlich, objektiv, intersubjektiv‘, so, dass andere diese Sachverhalte von sich aus bestätigen könnten.
  7. Die Dinge werden noch schwieriger, wenn man die Sprache einbezieht.
  8. Die Sprache — gesprochen wie geschrieben (oder noch anders) — hat die Besonderheit, dass sich sprachliche Äußerungen normalerweise in kleinere Einheiten unterteilen lassen, die teilweise als diese kleineren Einheiten eine ‚Bedeutung‘ haben; im Zusammenhang der Äußerung können diese unterscheidbaren kleineren Einheiten eine ‚über die einzelne Einheit hinausgehende‘ Bedeutung besitzen. Zugleich spielt die Situation eine Rolle: die gleiche sprachliche Äußerung kann je nach der Deutung der Situation eine ganz unterschiedliche Bedeutung besitzen.
  9. Eine Äußerung wie ‚Ich bitte Dich, mir zu helfen, das Haus zu verkaufen‘, enthält kleinere Einheiten, die wir gewöhnlich ‚Worte‘ nennen. Einzelne Worte wie z.B. ‚Haus‘ haben eine Bedeutung durch Bezug auf gedachte und dann möglicherweise objektive Gegenstände mit bestimmten Eigenschaften. Andere Worte wie ‚zu‘ und ‚das‘ haben keinen direkten Gegenstandbezug. Für jemand, der die deutsche Sprache kennt, deutet sich in dieser sprachlichen Äußerung an, dass eine Person A (die mit dem ‚Ich‘) eine andere Person B (die mit dem ‚Dich‘) ‚bittet‘ bei einem Hausverkauf zu helfen. Wenn die beiden Personen A und B voneinander gesellschaftlich unabhängig sind, die Person B dem A in keiner Weise verpflichtet ist, dann ist die ausgesprochene Bitte typisch und der Ausgang offen. Wenn aber B dem A irgendwie verpflichtet ist, von A vielleicht sogar sehr direkt abhängt, dann kann diese Bitte eher als ein Befehl verstanden werden, den B dann aus gesellschaftlichen Gründen nicht wirklich ablehnen kann. Dies setzt voraus, dass man die sprachliche Äußerung als Teil eines größeren sozialen Zusammenhangs erkennt, dessen Eigenschaften die Bedeutung beeinflussen können.
  10. Es gibt aber noch weitere Unwägbarkeiten. Wenn in der Äußerung davon gesprochen wird, ‚das Haus‘ zu verkaufen, dann unterstellt A, dass B ‚weiß‘, welches Haus ‚gemeint‘ ist. Wenn die sprachliche Äußerung aber in ‚Abwesenheit des Hause‘ getätigt wird, dann existiert ‚das Haus‘ nur im ‚Wissen‘ der beiden beteiligten Personen A und B. Zumindest unterstellt A, dass B ‚weiß‘, welches Haus A ‚meint‘. Dies funktioniert, wenn es in der Vergangenheit eine Situation gab, durch die eindeutig genug ein ganz bestimmtes Haus identifiziert worden ist, also ‚das Haus‘ von dieser erinnerbaren Situation. Dies kann funktionieren. Wenn diese erinnerbare Situation aber nicht eindeutig war, wenn schon in dieser Situation zwar von ‚dem Haus‘ geredet wurde, aber schon in der damaligen Situation A an ein anderes Haus gedacht hat als B und beide diesen Unterschied nicht bemerkt haben, dann wird B möglicherweise zustimmen und für sich an ein anderes Haus H1 denken als A, der an das Haus H2 denkt. Irgendwann werden beide vielleicht merken, dass sie mit ‚das Haus‘ zwei verschiedene Objekte meinen, spätestens dann, wenn sie zu dem Haus hinfahren würden. Solange sie dies nicht tun leben Sie mit ihren privaten, subjektiven Vorstellungen von einem Hausobjekt H1 bzw. H2, benutzen die gleichen Worte, und merken nicht, dass sie beide etwas ‚Verschiedenes meinen‘.
  11. Ein Bezug zur Außenwelt unter Zuhilfenahme einer Sprache kann also unterschiedlich missverständlich sein. Die Worte können im Kopf, im ‚Innern‘, im Denken eines Sprecher-Hörers, einen Sachverhalt induzieren, hervorrufen, aktivieren, der für ‚wirklich‘ angenommen wird, obgleich sich diese Vorstellungen in den Köpfen verschiedener Sprecher-Hörer unterscheiden können, trotz gleicher Worte.
  12. Bei sogenannten ‚abstrakten Bedeutungen‘, wie sie sich bei Worten finden wie ‚Freiheit‘, ‚Demokratie‘, ‚Bewusstsein‘, ‚das Dasein‘, ‚Existenz‘, ‚Glauben‘, ‚Gott‘, ‚Paradies‘, ‚Mathematik‘ usw. kann man in der Regel nicht von vornherein von einer allen gleichermaßen bekannten ‚Bedeutung‘ ausgehen. Worte mit solchen Bedeutungen haben einen solch vielschichtigen Verwendungszusammenhang, dass man bei ihrem Gebrauch grundsätzlich vorher mit allen Beteiligten klären sollte, welche Verwendungszusammenhänge sie jeweils voraussetzen.
  13. Sprechen wir im Alltag von ‚Wahrheit‘ dann unterstellen wir einen Zusammenhang zwischen Sprecher und Umwelt derart, dass eine Aussage wie ‚Es regnet‘ sich auf einen realen, objektiven Vorgang in der Umwelt bezieht, der von anderen auch so wahrgenommen wird (oder werden kann), der jetzt stattfindet. Bei der Aussage, ‚Ich war gestern in Frankfurt‘ wird es schwieriger. Ob die Aussage als ‚wahr‘ bezeichnet wird, hängt davon ab, ob sich nachweisen lässt, dass der Sprecher einen Tag früher tatsächlich in der Stadt mit Namen Frankfurt war, und dass der Sprecher mit der Aussage ‚Ich war gestern in Frankfurt‘ diesen Sachverhalt meint. Wenn der Sprecher während der Aussage für sich gedacht hat, dass er sich nur vorgestellt hat, dass er in Frankfurt gewesen sei, dann wäre die Aussage nach üblichem Sprachverständnis ‚falsch‘, da man bei solch einer Aussage unterstellt, dass der Sprecher tatsächlich in Frankfurt war. Wenn eine Sprecherin sagen würde ‚Ich werde morgen nach Frankfurt fahren‘, dann wäre der Wahrheitsgehalt noch offen. Sie kündigt ein Ereignis an, das in der Zukunft stattfinden soll. Ob es tatsächlich stattfinden wird, muss man erst mal ’sehen‘. Es ist eher eine ‚Absichtserklärung‘, allerdings eine mit potentiellem Wahrheitsanspruch. Falls die Sprecherin während der Aussage denkt, dass Sie nicht wirklich nach Frankfurt fahren will, wäre ihr Aussage nach normalem Verständnis eine ‚Lüge‘ oder eine ‚Täuschung‘. Allerdings, wenn die Sprechsituation locker ist, man gerade ‚herum spinnt‘, man Möglichkeiten überlegt, es nicht so ganz ernst zugeht, dann wäre die Aussage eine Meinungsäußerung ohne klaren Wahrheitsstatus.
    Fassen wir zusammen: Das Reden von ‚Wahrheit‘ setzt voraus:

    1. Es gibt mindestens einen Sprecher A und mindestens einen Hörer B
    2. Beide benutzen die gleiche Sprache L in einer gemeinsam geteilten Situation S
    3. A und B können zwischen Innen (subjektiv) und Außen (objektiv) unterscheiden.
    4. Für A und B haben die hörbaren und/ oder lesbaren Ausdrücke E der Sprache L eine subjektive Bedeutung Y, die mit Sachverhalten X in der Umgebung korrespondieren können.
    5. Wenn A einen Ausdruck E mit der subjektiven Bedeutung YA(E) — aus der Sicht von A — äußert, und dieser Äußerung von E ein Sachverhalt X korrespondiert, den B auch wahrnehmen kann, so dass durch den Ausdruck E und dem Sachverhalt X bei B die subjektive Bedeutung YB(E) aktiviert wird, dann würde aus Sicht von B eine ‚wahre Aussage E‘ vorliegen, wenn der Sachverhalt X mit seiner Bedeutung YB(E) ‚korrespondiert‘.
    6. Da die subjektive Bedeutung Y eines Ausdrucks E mit einem Sachverhalt X korrespondieren soll, muss der Sachverhalt X auch als eine wahrnehmbare Größe XSprecher-Hoerer so vorliegen, dass die subjektive Bedeutung YSprecher-Hoerer sich direkt mit dem Sachverhalt vergleichen lässt. Dies bedeutet, es bedarf einer subjektiven Vergleichsoperation XSprecher-Hoerer = YSprecher-Hoerer ?. Dies bedeutet, sowohl die subjektive Bedeutung Y wie auch der wahrgenommene Sachverhalt X stellen subjektive Größen dar; sie unterscheiden sich nur durch die Art der Hervorbringung: YSprecher-Hoerer wird durch subjektive Aktivitäten generiert und XSprecher-Hoerer wird durch Sinnesorgane des Körpers über das Gehirn generiert. Die Menge der subjektiven Gegebenheiten soll hier technisch als ‚Phänomenraum (PH)‘ bezeichnet werden. Es würde dann gelten dass alle Arten von aktuell wahrgenommenen Sachverhalten X eine Teilmenge des Phänomenraums PH sind und ebenso alle aktuell generierten subjektiven Bedeutungen Y, als XNOW ⊆ PH und YNOW ⊆ PH.Ferner würde gelten YNOW ∩ XNOW = 0
    7. Dabei muss man sich klar machen, dass es zwischen der jeweiligen subjektiven Bedeutung YSprecher-Hoerer und einem sprachlichen Ausdruck E auch eine hinreichend klare und stabile Korrespondenz geben muss. Dies setzt wiederum voraus, dass der hörbare oder sichtbare sprachliche Ausdruck E eine interne Repräsentation ESprecher-Hoerer haben muss, die mit der subjektiven Bedeutungsrepräsentation YSprecher-Hoerer assoziiert ist. Dabei ist zu beachten, dass es eine sprachliche Bedeutung im engeren Sinne gibt, nur bezogen auf den Ausdruck, und eine Bedeutung im weiteren Sinne, insofern der situative Kontext C(Sprecher,Hoerer) zu berücksichtigen ist. Es muss also eine Beziehung folgender Art geben: Meaning : CSprecher-Hoerer x ESprecher-Hoerer —> YSprecher-Hoerer. Dies führt zu den Erweiterungen: CNOW ⊆ PH sowie YNOW ∩ XNOW ∩ CNOW = 0.
  14. Schon diese stark vereinfachende Rekonstruktion lässt erkennen, wie schwierig es ist, zu wirklich wahren Aussagen im Kontext einer Kommunikation zu kommen. Haben zwei Personen eine unterschiedliche Wahrnehmung, dann kann dies schon zu Missverständnissen führen. Haben Sie bei der Zuordnung zwischen wahrgenommenem Sachverhalt X und Bedeutungskonzept Y Unterschiede, funktioniert es auch nicht. Ferner muss die Situationszuordnung passen, und, am allerwichtigsten, die Zuordnung von Ausdruck und Bedeutung muss gleich sein. Alle diese Bedingungen herzustellen und zu überprüfen, erfordert viel Aufmerksamkeit und vielen guten Willen.
  15. Die vielen Kommunikationsprobleme im Alltag zeigen, dass es in der Tat schwierig ist; dazu kommen die vielfältigen systematischen Manipulationen von Sprache aus unterschiedlichsten Gründen (Lügen, Werbung, Propaganda, Indoktrination, Fälschung, Unterhaltung, Fiktion,…).

Eine  Fortsetzung findet sich HIER.

Pausenmusik 🙂

PS: Eine Ergänzung zu diesen Überlegungen könnte das Memo zur Philosophiewerkstatt vom 8.Oktober sein.

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Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 3-neu

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll.

Hinter den Augen …

Das eingesperrte Gehirn

Die Antwort auf die Frage, warum Menschen so unterschiedlich wahrnehmen, warum sie dies tun und anderes lassen, liegt irgendwo da im ‚Inneren‘ des Menschen, dort, hinter seinen Augen, hinter seinem Gesicht, das mal lächelt, mal weint, mal zürnt; dort gibt es ‚geheimnisvolle Kräfte‘, die ihn, uns, Dich und mich, dazu bringen uns so zu verhalten, wie wir es erleben.

Wie die moderne Biologie uns in Gestalt der Gehirnforschung lehrt, ist es vor allem das Gehirn, in dem ca. 100 Milliarden einzelne neuronale Zellen miteinander ein Dauergespräch führen, dessen Nebenwirkungen die eine oder andere Handlung ist, die wir vornehmen.

Wenn wir uns auf die moderne Biologie einlassen, auf die Gehirnwissenschaft, erkennen wir sehr schnell, dass das Gehirn, das unser Verhalten bestimmt, selbst keinen Kontakt mit der Welt hat. Es ist im Körper eingeschlossen, quasi abgeschottet, isoliert von der Welt jenseits des Körpers.

Das Gehirn bezieht sein Wissen über die Welt jenseits der Gehirnzellen von einer Art von ‚Mittelsmännern‘, von speziellen Kontaktpersonen, von Übersetzern; dies sind unsere Sinnesorgane (Augen, Ohren, Haut, Geschmackszellen, Gleichgewichtsorgan, die bestimmte Ereignisse aus der Welt jenseits der Gehirnzellen in die ‚Sprache des Gehirns‘ übersetzen.(Anmerkung: Siehe: Sinnesorgan, Sensory Receptor, Sensory System)

Wenn wir sagen, dass wir Musik hören, wunderschöne Klänge, harmonisch oder dissonant, laut oder leise, hoch oder tief, mit unterschiedlichen Klangfarben, dann sind dies für das Gehirn ’neuronale Signale‘, elektrische Potentialänderungen, die man als ‚Signal‘ oder ‚Nicht-Signal‘ interpretieren kann, als ‚An‘ oder ‚Aus‘, oder einfach als ‚1‘ oder ‚0‘, allerdings zusätzlich eingebettet in eine ‚Zeitstruktur‘; innerhalb eines Zeitintervalls können ‚viele‘ Signale auftreten oder ‚wenige‘. Ferner gibt es eine ‚topologische‘ Struktur: das gleiche Signal kann an einem Ort im Gehirn ein ‚Klang‘ bedeuten, an einem anderen Ort eine ‚Bild‘, wieder an einem anderen Ort ein ‚Geschmack‘ oder ….

Was hier am Beispiel des Hörens gesagt wurde, gilt für alle anderen Sinnesorgane gleichermaßen: bestimmte physikalische Umwelteigenschaften werden von einem Sinnesorgan so weit ‚verarbeitet‘, dass am Ende immer alles in die Sprache des Gehirns, in die neuronalen ‚1en‘ und ‚0en‘ so übersetzt wird, so dass diese Signale zeitlich und topologisch geordnet zwischen den 100 Mrd Gehirnzellen hin und her wandern können, um im Gehirn Pflanzen, Tiere, Räume, Objekte und Handlungen jenseits der Gehirnzellen neuronal-binär repräsentieren zu können.

Alles, was in der Welt jenseits des Gehirns existiert (auch die anderen Körperorgane mit ihren Aktivitäten), es wird einheitlich in die neuronal-binäre Sprache des Gehirns übersetzt. Dies ist eine geniale Leistung der Natur(Anmerkung: Dass wir in unserem subjektiven Erleben keine ‚1en‘ und ‚0en‘ wahrnehmen, sondern Töne, Farben, Formen, Geschmäcker usw., das ist das andere ‚Wunder der Natur‘.) (siehe weiter unten.).

Die Welt wird zerschnitten

Diese Transformation der Welt in ‚1en‘ und ‚0en‘ ist aber nicht die einzige Übersetzungsbesonderheit. Wir wissen heute, dass die Sinnesinformationen für eine kurze Zeitspanne (in der Regel deutlich weniger als eine Sekunde) nach Sinnesarten getrennt in einer Art ‚Puffer‘ zwischen gespeichert werden. (Anmerkung: Siehe Sensory Memory) Von dort können sie für weitere Verarbeitungen übernommen werden. Ist die eingestellte Zeitdauer verstrichen, wird der aktuelle Inhalt von neuen Daten überschrieben. Das voreingestellte Zeitfenster (t1,t2) definiert damit, was ‚gleichzeitig‘ ist.

Faktisch wird die sinnlich wahrnehmbare Welt damit in Zeitscheiben ‚zerlegt‘ bzw. ‚zerschnitten‘. Was immer passiert, für das Gehirn existiert die Welt jenseits seiner Neuronen nur in Form von säuberlich getrennten Zeitscheiben. In Diskussionen, ob und wieweit ein Computer das menschliche Gehirn ’nachahmen‘ könnte, wird oft betont, der Computer sei ja ‚diskret‘, ‚binär‘, zerlege alles in 1en und 0en im Gegensatz zum ‚analogen‘ Gehirn. Die empirischen Fakten legen hingegen nahe, auch das Gehirn als eine ‚diskrete Maschine‘ zu betrachten.

Unterscheiden sich die ‚Inhalte‘ von Zeitscheiben, kann dies als Hinweis auf mögliche ‚Veränderungen‘ gedeutet werden.

Beachte: jede Sinnesart hat ihre eigene Zeitscheibe, die dann vom Gehirn zu ’sinnvollen Kombinationen‘ ‚verrechnet‘ werden müssen.

Die Welt wird vereinfacht

Für die Beurteilung, wie das Gehirn die vielen unterschiedlichen Informationen so zusammenfügt, auswertet und neu formt, dass daraus ein ’sinnvolles Verhalten‘ entsteht, reicht es nicht aus, nur die Gehirnzellen selbst zu betrachten, was zum Gegenstandsbereich der Gehirnwissenschaft (Neurowissenschaft) gehört. Vielmehr muss das Wechselverhältnis von Gehirnaktivitäten und Verhaltenseigenschaften simultan betrachtet werden. Dies verlangt nach einer systematischen Kooperation von wissenschaftlicher Verhaltenswissenschaft (Psychologie) und Gehirnwissenschaft unter der Bezeichnung Neuropsychologie. (Anmerkung: Siehe Neuropsychology)

Ein wichtiges theoretisches Konzept, das wir der Neuropsychologie verdanken, ist das Konzept des Gedächtnisses. (Anmerkung: Memory) Mit Gedächtnis wird die generelle Fähigkeit des Gehirns umschrieben, Ereignisse zu verallgemeinern, zu speichern, zu erinnern, und miteinander zu assoziieren.

Ausgehend von den oben erwähnten zeitlich begrenzten Sinnesspeichern unterteilt man das Gedächtnis z.B. nach der Zeitdauer (kurz, mittel, unbegrenzt), in der Ereignisse im Gedächtnis verfügbar sind, und nach der Art ihrer Nutzung. Im Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis kann eine kleine Zahl von Ereignissen im begrenzten Umfang verarbeitet und mit dem Langzeitgedächtnis in begrenztem Umfang ausgetauscht werden (speichern, erinnern). Die Kapazität von sinnespezifischen Kurzzeitspeicher und multimodalem Arbeitsgedächtnis liegt zwischen ca. 4 (im Kurzzeitgedächtnis) bis 9 (im Arbeitsgedächtnis) Gedächtniseinheiten. Dabei ist zu beachten, dass schon im Übergang vom oben erwähnten Sinnesspeichern zum Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis eine starke Informationsreduktion stattfindet; grob von 100% auf etwa 25%.

Nicht alles, was im Kurz- und Arbeitsgedächtnis vorkommt, gelangt automatisch ins Langzeitgedächtnis. Ein wichtiger Faktor, der zum Speichern führt, ist die ‚Verweildauer‘ im Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis, und die ‚Häufigkeit‘ des Auftretens. Ob wir nach einer Speicherung etwas ‚wiederfinden‘ können, hängt ferner davon ab, wie ein Ereignis abgespeichert wurde. Je mehr ein Ereignis sich zu anderen Ereignissen in Beziehung setzen lässt, umso eher wird es erinnert. Völlig neuartige Ereignisse (z.B. die chinesischen Schriftzeichen in der Ordnung eines chinesischen Wörterbuches, wenn man Chinesisch neu lernt) können Wochen oder gar Monate dauern, bis sie so ‚verankert‘ sind, dass sie bei Bedarf ‚mühelos‘ erinnern lassen.

Ein anderer Punkt ist die Abstraktion. Wenn wir über alltägliche Situationen sprechen, dann benutzen wir beständig Allgemeinbegriffe wie ‚Tasse‘, ‚Stuhl‘, ‚Tisch‘, ‚Mensch‘ usw. um über ‚konkrete individuelle Objekte‘ zu sprechen. So nennen wir ein konkretes rotes Etwas auf dem Tisch eine Tasse, ein anderen blaues konkretes Etwas aber auch, obgleich sie Unterschiede aufweisen. Desgleichen nennen wir ein ‚vertikales durchsichtiges Etwas‘ eine Flasche, ein vertikales grünliches Etwas auch; usw.

Unser Gedächtnis besitzt die wunderbare Eigenschaft, alles, was sinnlich wahrgenommen wird, durch einen unbewussten automatischen Abstraktionsprozess in eine abstrakte Struktur, in einen Allgemeinbegriff, in eine ‚Kategorie‘ zu übersetzen. Dies ist extrem effizient. Auf diese Weise kann das Gedächtnis mit einem einzigen Konzept hunderte, tausende, ja letztlich unendlich viele konkrete Objekte klassifizieren, identifizieren und damit weiter arbeiten.

Welt im Tresor

Ohne die Inhalte unseres Gedächtnisses würden wir nur in Augenblicken existieren, ohne vorher und nachher. Alles wäre genau das, wie es gerade erscheint. Nichts hätte eine Bedeutung.

Durch die Möglichkeit des ‚Speicherns‘ von Ereignisse (auch in den abstrakten Formen von Kategorien), und des ‚Erinnerns‘ können wir ‚vergleichen‘, können somit Veränderungen feststellen, können Abfolgen und mögliche Verursachungen erfassen, Regelmäßigkeiten bis hin zu Gesetzmäßigkeiten; ferner können wir Strukturen erfassen.

Eine Besonderheit sticht aber ins Auge: nur ein winziger Teil unseres potentiellen Wissens ist ‚aktuell verfügbar/ bewusst‘; meist weniger als 9 Einheiten! Alles andere ist nicht aktuell verfügbar, ist ’nicht bewusst‘!

Man kann dies so sehen, dass die schier unendliche Menge der bisher von uns wahrgenommenen Ereignisse im Langzeitgedächtnis weggesperrt ist wie in einem großen Tresor. Und tatsächlich, wie bei einem richtigen Tresor brauchen auch wir selbst ein Codewort, um an den Inhalt zu gelangen, und nicht nur ein Codewort, nein, wir benötigen für jeden Inhalt ein eigenes Codewort. Das Codewort für das abstrakte Konzept ‚Flasche‘ ist ein konkretes ‚Flaschenereignis‘ das — hoffentlich — genügend Merkmale aufweist, die als Code für das abstrakte Konzept ‚Flasche‘ dienen können.

Wenn über solch einen auslösenden Merkmalscode ein abstraktes Konzept ‚Flasche‘ aktiviert wird, werden in der Regel aber auch alle jene Konzepte ‚aktiviert‘, die zusammen mit dem Konzept ‚Flasche‘ bislang aufgetreten sind. Wir erinnern dann nicht nur das Konzept ‚Flasche‘, sondern eben auch all diese anderen Ereignisse.

Finden wir keinen passenden Code, oder wir haben zwar einen Code, aber aus irgendwelchen Emotionen heraus haben wir Angst, uns zu erinnern, passiert nichts. Eine Erinnerung findet nicht statt; Blockade, Ladehemmung, ‚blackout‘.

Bewusstsein im Nichtbewusstsein

Im Alltag denken wir nicht ‚über‘ unser Gehirn nach, sondern wir benutzen es direkt. Im Alltag haben wir subjektiv Eindrücke, Erlebnisse, Empfindungen, Gedanken, Vorstellungen, Fantasien. Wir sind ‚in‘ unserem Erleben, wir selbst ‚haben‘ diese Eindrücke. Es sind ‚unsere‘ Erlebnisse‘.

Die Philosophen haben diese Erlebnis- und Erkenntnisweise den Raum unseres ‚Bewusstseins‘ genannt. Sie sprechen davon, dass wir ‚Bewusstsein haben‘, dass uns die Ding ‚bewusst sind‘; sie nennen die Inhalte unseres Bewusstseins ‚Qualia‘ oder ‚Phänomene‘, und sie bezeichnen diese Erkenntnisperspektive den Standpunkt der ‚ersten Person‘ (‚first person view‘) im Vergleich zur Betrachtung von Gegenständen in der Außenwelt, die mehrere Personen gleichzeitig haben können; das nennen sie den Standpunkt der ‚dritten Person‘ (‚third person view‘) (Anmerkung: Ein Philosoph, der dies beschrieben hat, ist Thomas Nagel. Siehe zur Person: Thomas Nagel. Ein Buch von ihm, das hir einschlägig ist: ‚The view from nowhere‘, 1986, New York, Oxford University Press).

Nach den heutigen Erkenntnissen der Neuropsychologie gibt es zwischen dem, was die Philosophen ‚Bewusstsein‘ nennen und dem, was die Neuropsychologen ‚Arbeitsgedächtnis‘ nennen, eine funktionale Korrespondenz. Wenn man daraus schließen kann, dass unser Bewusstsein sozusagen die erlebte ‚Innenperspektive‘ des ‚Arbeitsgedächtnisses‘ ist, dann können wir erahnen, dass das, was uns gerade ‚bewusst‘ ist, nur ein winziger Bruchteil dessen ist, was uns ’nicht bewusst‘ ist. Nicht nur ist der potentiell erinnerbare Inhalt unseres Langzeitgedächtnisses viel größer als das aktuell gewusste, auch die Milliarden von Prozessen in unserem Körper sind nicht bewusst. Ganz zu schweigen von der Welt jenseits unseres Körpers. Unser Bewusstsein gleicht damit einem winzig kleinen Lichtpunkt in einem unfassbar großen Raum von Nicht-Bewusstsein. Die Welt, in der wir bewusst leben, ist fast ein Nichts gegenüber der Welt, die jenseits unseres Bewusstseins existiert; so scheint es.

Außenwelt in der Innenwelt

Der Begriff ‚Außenwelt‘, den wir eben benutzt haben, ist trügerisch. Er gaukelt vor, als ob es da die Außenwelt als ein reales Etwas gibt, über das wir einfach so reden können neben dem Bewusstsein, in dem wir uns befinden können.

Wenn wir die Erkenntnisse der Neuropsychologie ernst nehmen, dann findet die Erkenntnis der ‚Außenwelt‘ ‚in‘ unserem Gehirn statt, von dem wir wissen, dass es ‚in‘ unserem Körper ist und direkt nichts von der Außenwelt weiß.

Für die Philosophen aller Zeiten war dies ein permanentes Problem. Wie kann ich etwas über die ‚Außenwelt‘ wissen, wenn ich mich im Alltag zunächst im Modus des Bewusstseins vorfinde?

Seit dem Erstarken des empirischen Denkens — spätestens seit der Zeit Galileis (Anmerkung: Galilei) — tut sich die Philosophie noch schwerer. Wie vereinbare ich die ‚empirische Welt‘ der experimentellen Wissenschaften mit der ’subjektiven Welt‘ der Philosophen, die auch die Welt jedes Menschen in seinem Alltag ist? Umgekehrt ist es auch ein Problem der empirischen Wissenschaften; für den ’normalen‘ empirischen Wissenschaftler ist seit dem Erstarken der empirischen Wissenschaften die Philosophie obsolet geworden, eine ’no go area‘, etwas, von dem sich der empirische Wissenschaftler fernhält. Dieser Konflikt — Philosophen kritisieren die empirischen Wissenschaften und die empirischen Wissenschaften lehnen die Philosophie ab — ist in dieser Form ein Artefakt der Neuzeit und eine Denkblokade mit verheerenden Folgen.

Die empirischen Wissenschaften gründen auf der Annahme, dass es eine Außenwelt gibt, die man untersuchen kann. Alle Aussagen über die empirische Welt müssen auf solchen Ereignissen beruhen, sich im Rahmen eines beschriebenen ‚Messvorgangs‘ reproduzieren lassen. Ein Messvorgang ist immer ein ‚Vergleich‘ zwischen einem zuvor vereinbarten ‚Standard‘ und einem ‚zu messenden Phänomen‘. Klassische Standards sind ‚das Meter‘, ‚das Kilogramm‘, ‚die Sekunde‘, usw. (Anmerkung: Siehe dazu: Internationales Einheitensystem) Wenn ein zu messendes Phänomen ein Objekt ist, das z.B. im Vergleich mit dem Standard ‚Meter [m]‘ die Länge 3m aufweist, und jeder, der diese Messung wiederholt, kommt zum gleichen Ergebnis, dann wäre dies eine empirische Aussage über dieses Objekt.

Die Einschränkung auf solche Phänomene, die sich mit einem empirischen Messstandard vergleichen lassen und die von allen Menschen, die einen solchen Messvorgang wiederholen, zum gleichen Messergebnis führen, ist eine frei gewählte Entscheidung, die methodisch motiviert ist. Sie stellt sicher, dass man zu einer Phänomenmenge kommt, die allen Menschen(Anmerkung: die über gleiche Fähigkeiten der Wahrnehmung und des Denkens verfügen. Blinde Menschen, taube Menschen usw. könnten hier Probleme bekommen!“> … in gleicher Weise zugänglich und für diese nachvollziehbar ist. Erkenntnisse, die allen Menschen in gleicher Weise zugänglich und nachprüfbar sind haben einen unbestreitbaren Vorteil. Sie können eine gemeinsame Basis in einer ansonsten komplexen verwirrenden Wirklichkeit bieten.

Die ‚Unabhängigkeit‘ dieser empirischen Messvorgänge hat im Laufe der Geschichte bei vielen den Eindruck vertieft, als ob es die ‚vermessene Welt‘ außerhalb und unabhängig von unserem Bewusstsein als eigenständiges Objekt gibt, und dass die vielen ‚rein subjektiven‘ Empfindungen, Stimmungen, Vorstellungen im Bewusstsein, die sich nicht direkt in der vermessbaren Welt finden, von geringerer Bedeutung sind, unbedeutender ’subjektiver Kram‘, der eine ‚Verunreinigung der Wissenschaft‘ darstellt.

Dies ist ein Trugschluss mit verheerenden Folgen bis in die letzten Winkel unseres Alltags hinein.

Der Trugschluss beginnt dort, wo man übersieht, dass die zu messenden Phänomene auch für den empirischen Wissenschaftler nicht ein Sonderdasein führen, sondern weiterhin nur Phänomene seines Bewusstseins sind, die ihm sein Gehirn aus der Sinneswahrnehmung ‚herausgerechnet‘ hat. Vereinfachend könne man sagen, die Menge aller Phänomene unseres Bewusstseins — nennen wir sie PH — lässt sich aufteilen in die Teilmenge jener Phänomene, auf die sich Messoperationen anwenden lassen, das sind dann die empirischen Phänomene PH_EMP, und jene Phänomene, bei denen dies nicht möglich ist; dies sind dann die nicht-empirischen Phänomene oder ‚rein subjektiven‘ Phänomene PH_NEMP. Die ‚Existenz einer Außenwelt‘ ist dann eine Arbeitshypothese, die zwar schon kleine Kindern lernen, die aber letztlich darauf basiert, dass es Phänomene im Bewusstsein gibt, die andere Eigenschaften haben als die anderen Phänomene.

In diesen Zusammenhang gehört auch das Konzept unseres ‚Körpers‘, der sich mit den empirischen Phänomenen verknüpft.

Der Andere als Reflektor des Selbst

Bislang haben wir im Bereich der Phänomene (zur Erinnerung: dies sind die Inhalte unseres Bewusstseins) unterschieden zwischen den empirischen und den nicht-empirischen Phänomenen. Bei genauerem Hinsehen kann man hier viele weitere Unterscheidungen vornehmen. Uns interessiert hier nur der Unterschied zwischen jenen empirischen Phänomenen, die zu unserem Körper gehören und jenen empirischen Phänomenen, die unserem Körper ähneln, jedoch nicht zu uns, sondern zu jemand ‚anderem‘ gehören.

Die Ähnlichkeit der Körperlichkeit des ‚anderen‘ zu unserer Körperlichkeit bietet einen Ansatzpunkt, eine ‚Vermutung‘ ausbilden zu können, dass ‚in dem Körper des anderen‘ ähnliche innere Ereignisse vorkommen, wie im eigenen Bewusstsein. Wenn wir gegen einen harten Gegenstand stoßen, dabei Schmerz empfinden und eventuell leise aufschreien, dann unterstellen wir, dass ein anderer, wenn er mit seinem Körper gegen einen Gegenstand stößt, ebenfalls Schmerz empfindet. Und so in vielen anderen Ereignissen, in denen der Körper eine Rolle spielt(Anmerkung: Wie wir mittlerweile gelernt haben, gibt es Menschen, die genetisch bedingt keine Schmerzen empfinden, oder die angeboren blind oder taub sind, oder die zu keiner Empathie fähig sind, usw.“> … .

Generalisiert heißt dies, dass wir dazu neigen, beim Auftreten eines Anderen Körpers unser eigenes ‚Innenleben‘ in den Anderen hinein zu deuten, zu projizieren, und auf diese Weise im anderen Körper ‚mehr‘ sehen als nur einen Körper. Würden wir diese Projektionsleistung nicht erbringen, wäre ein menschliches Miteinander nicht möglich. Nur im ‚Übersteigen‘ (‚meta‘) des endlichen Körpers durch eine ‚übergreifende‘ (‚transzendierende‘) Interpretation sind wir in der Lage, den anderen Körper als eine ‚Person‘ zu begreifen, die aus Körper und Seele, aus Physis und Psyche besteht.

Eine solche Interpretation ist nicht logisch zwingend. Würden wir solch eine Interpretation verweigern, dann würden wir im Anderen nur einen leblosen Körper sehen, eine Ansammlung von unstrukturierten Zellen. Was immer der Andere tun würde, nichts von alledem könnte uns zwingen, unsere Interpretation zu verändern. Die ‚personale Wirklichkeit des Anderen‘ lebt wesentlich von unserer Unterstellung, dass er tatsächlich mehr ist als der Körper, den wir sinnlich wahrnehmen können.

Dieses Dilemma zeigt sich sehr schön in dem berühmten ‚Turing Test'(Anmerkung: Turing-Test, den Alan Matthew Turing 1950 vorgeschlagen hatte, um zu testen, wie gut ein Computer einen Menschen imitiere kann. (Anmerkung: Es war in dem Artikel: „Alan Turing: Computing Machinery and Intelligence“, Mind 59, Nr. 236, Oktober 1950, S. 433–460) Da man ja ‚den Geist‘ selbst nicht sehen kann, sondern nur die Auswirkungen des Geistes im Verhalten, kann man in dem Test auch nur das Verhalten eines Menschen neben einem Computer beobachten, eingeschränkt auf schriftliche Fragen und Antworten. (Anmerkung: heute könnte man dies sicher ausdehnen auf gesprochene Fragen und Antworten, eventuell kombiniert mit einem Gesicht oder gar mehr“) Die vielen Versuche mit diesem Test haben deutlich gemacht — was man im Alltag auch ohne diesen Test sehen kann –, dass das beobachtbare Verhalten eines Akteurs niemals ausreicht, um logisch zwingend auf einen ‚echten Geist‘, sprich auf eine ‚echte Person‘ schließen zu können. Daraus folgt nebenbei, dass man — sollte es jemals hinreichend intelligente Maschinen geben — niemals zwingend einen Menschen, nur aufgrund seines Verhaltens, von einer intelligenten Maschine unterscheiden könnte.

Rein praktisch folgt aus alledem, dass wir im Alltag nur dann und solange als Menschen miteinander umgehen können, solange wir uns wechselseitig ‚Menschlichkeit‘ unterstellen, an den ‚Menschen‘ im anderen glauben, und mein Denken und meine Gefühle hinreichend vom Anderen ‚erwidert‘ werden. Passiert dies nicht, dann muss dies noch nicht eine völlige Katastrophe bedeuten, aber auf Dauer benötigen Menschen eine minimale Basis von Gemeinsamkeiten, auf denen sie ihr Verhalten aufbauen können.

Im positiven Fall können Unterschiede zwischen Menschen dazu führen, dass man sich wechselseitig anregt, man durch die Andersartigkeit ‚Neues‘ lernen kann, man sich weiter entwickelt. Im negativen Fall kann es zu Missverständnissen kommen, zu Verletzungen, zu Aggressionen, gar zur wechselseitigen Zerstörung. Zwingend ist keines von beidem.

Fortsetzung mit Kapitel 4 (neu).

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Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 5

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll

Das Wunder des Zeichens

Wenn wir zu verstehen beginnen, dass die wunderbare Welt unseres Erkennens im Gehirn stattfindet, das in unserem Körper eingeschlossen getrennt von der Welt existiert, kann sich die Frage stellen, wie denn das Gehirn von Dir und mein Gehirn miteinander kommunizieren können. Wie erfahre ich, was Du willst, und Du, was ich will? Woher kann ich wissen, warum Du diese Handlung gut findest, und wie erfährst Du, warum ich die andere Handlung gut finde?

Diese Fragen zielen auf das Wunder der Koordination zwischen Menschen, aber letztlich auch zwischen Tieren, auch zwischen Pflanzen, ja generell: wieso können biologische Zellen ihr Verhalten koordinieren?

Hier gibt es noch viele Fragen, auf die die Wissenschaften bis heute keine voll befriedigenden Antworten gefunden hat. Auf einige dieser Fragen werde ich weiter unten noch eingehen. Jetzt, hier, in diesem Kapitel, soll es um die Frage gehen, wie wir Menschen die Frage der Kommunikation mittels Sprache — zumindest ansatzweise — gelöst haben.

Auf etwas zeigen

Wenn Menschen mit anderen zusammen am Tisch sitzen und Essen ist es oft so, dass man einen Gegenstand vom Tisch benötigt, der weiter weg steht und man denjenigen bittet, der am nächsten dran sitzt, einem den Gegenstand zu reichen.

Man kann dies tun, indem man mit der Hand, den Fingern, mit dem Gesicht in die Richtung des Gegenstandes deutet und die andere Person ‚erkennt‘ aus der Richtung und dem, was sich auf dem Tisch befindet, was ‚gemeint‘ ist; die andere Person deutet dann vielleicht selbst auf diesen Gegenstand, mit einem fragenden Blick, und wenn es der Gegenstand ist, den man meint, dann nickt man vielleicht, freundlich, mit einem Lächeln, und die andere Person reicht einem den Gegenstand.

In diesem Fall waren es Bewegungen des Körpers und bestimmte Körperhaltungen die in einer konkreten Situation mit Teilen der Situation in Interaktion treten und die, eine andere ‚kooperierenden Person‘ vorausgesetzt, von dieser anderen kooperierenden Person mit bestimmten Teilen der Situation ‚in Beziehung gesetzt‘ werden. Eine Handbewegung ist in diesem Fall nicht einfach eine Handbewegung ‚für sich‘, sondern eine Handbewegung als Teil einer größeren Situation, wo der ‚Andere‘ die Handbewegung mit einem bestimmten Teil der Situation, einem Gegenstand G, in eine ‚Beziehung‘ bringt. Diese Beziehung ist selbst kein realer Gegenstand sondern ist eine der vielen ‚möglichen gedachten Beziehungen‘ im Kopf des Anderen zwischen der beobachteten Handbewegung und den verschiedenen Gegenständen auf dem Tisch. Durch den fragenden Blick will der Andere wissen, ob seine ‚gedachte Beziehung‘ jene Beziehung ist, die der Bittende ‚intendiert‘ (sich vorgestellt, gedacht, …) hatte. Wenn der Bittende bestätigend nickt, dann fühlt der Andere sich ‚bestätigt‘ und nimmt die hypothetische gedachte Beziehung als jene Beziehung, die jetzt in dieser Situation vom Bittenden ‚gemeint‘ ist. Punktuell, kurzfristig wurde also im Raum der vielen Möglichkeiten eine bestimmte mögliche Beziehung als hier und jetzt gewollte gedacht und durch Bewegungen ‚manifestiert‘ (ausgedrückt, mitgeteilt, …).

Wenn wir dieses alltägliche Beispiel verallgemeinern, dann haben wir folgende (theoretische) Zutaten:

  1. Wir haben mindestens zwei Teilnehmer A und B, die ein Kommunikationsspiel spielen.
  2. Wir unterstellen bei jedem Teilnehmer ein Bewusstsein, das einem Teilnehmer ermöglicht, Eigenschaften der Außenwelt W in seinem Bewusstsein ‚hinreichend gut‘ zu ‚repräsentieren‘.
  3. Jeder Teilnehmer hat einen Körper, der von dem anderen wahrgenommen werden kann und der Eigenschaften besitzt, die eine Unterscheidung von Körperhaltungen und Körperbewegungen erlauben.
  4. In der gemeinsam geteilten Situation (als Teil der Außenwelt) gibt es Objekte, die Eigenschaften besitzen, wodurch sie sich voneinander unterscheiden und aufgrund deren sie von den Teilnehmern ‚wahrgenommen‘ werden können.
  5. Wir unterscheiden zwischen der ‚Stimulation‘ der Sinnesorgane in Gestalt von sensorischem Input I durch die Objekte OBJ der Außenwelt (als $latex stim: SIT \times OBJ \longmapsto I$) und der eigentlichen Wahrnehmung als Ergebnis der internen Verarbeitung der Stimulation I in bewusste Perzepte P (als $latex perc: I \times IS \longmapsto IS \times P$) (‚IS‘ steht für irgendwelche internen Zustände, die bei diesem Prozess auch noch eine Rolle spielen.). Dies berücksichtigt, dass die gleichen Außenweltreize von verschiedenen Anderen unterschiedlich verarbeitet werden können.
  6. Objekte in der Außenwelt werden — auf unterschiedliche Weise — so wahrgenommen, als ob sie sich in einem dreidimensionalen Raum befinden. Dies bedeutet, eine Situation hat eine ‚Raumstruktur‘, in der die Objekte in bestimmten Positionen und Lagen vorkommen. Dadurch ergeben sich zwischen den Objekten charakteristische räumliche Beziehungen. Während die Stimulation der Sinnesorgane diese räumlichen Strukturen partiell ‚vereinfacht‘, kann die Wahrnehmung mit Unterstützung des Gehirns daraus partiell räumliche Strukturen ‚zurückrechnen‘.
  7. Wenn zwei Gegenstände sich im Raum der Außenwelt so befinden, dass wir sie wahrnehmen können (z.B. eine Schüssel auf dem Tisch und eine Hand, die in diese ‚Richtung‘ deutet), können wir außer der räumlichen Beziehung auch andere mögliche Beziehungen (z.B. eine ‚Zeigebeziehung‘) wahrnehmen. Diese Beziehungen existieren als mögliche ‚gedachte Beziehungen‘ im Bewusstsein eines Teilnehmers. Ein Teilnehmer kann sich unendlich viele Beziehungen denken.
  8. Dass ein Anderer A zwei Objekte der Außenwelt mit einer ‚gedachten Beziehung‘ verbinden kann, die der Bittende B in seinem Bewusstsein ’sich vorstellt’/ ‚denkt‘, setzt ferner voraus, dass es zwischen der Wahrnehmung und dem ‚Vorstellen’/ ‚Denken‘ zwischen A und B hinreichend viel ‚Ähnlichkeit‘ gibt. Könnte ein A grundsätzlich sich nicht jene ‚Beziehungen‘ ‚vorstellen‘, die sich B vorstellt, wenn er mit seiner Hand in Richtung eines bestimmten Gegenstands (z.B. der einen roten Schüssel …) deutet, dann könnte B so viel deuten wie er will, der Andere A würde sich einfach nicht vorstellen

Nach dieser — noch immer vereinfachenden — Darstellung des Sachverhalts, können wir uns dem Begriff des Zeichens zuwenden.

Der Begriff des Zeichens

Mit dieser Frage gerät man in den Bereich der allgemeinen Wissenschaft von den Zeichen, der Semiotik (Anmerkung: Die Geschichte der Semiotik ist lang und vielschichtig. Einen guten Überblick bietet Winfried Noeth in seinem ‚Handbuch der Semiotik‘ von 2000, publiziert von J.B. Metzler (Stuttgart/Weimar)). Obwohl es je nach Zeit und Denkmode sehr unterschiedliche Formulierungen gibt, kann man eine Kernstruktur erkennen, die sich in allen unterschiedlichen Positionen durchhält.

Allerdings sollte man sich vorab klar machen, ob man — wie es historisch zunächst der Fall war — den Begriff des Zeichens primär durch Bezugnahme auf den Raum des Bewusstseins charakterisieren will, oder durch Bezugnahme auf das beobachtbare Verhalten (wie es die empirischen Wissenschaften favorisieren).

Der berühmteste Vertreter einer bewusstseinszentrierten Vorgehensweise ist Charles Sanders Peirce (1839 – 1914). Für den verhaltensorientierten Ansatz einflussreich war Charles William Morris (1901 – 1979). Eine Kombination aus bewusstseinsbasierten und verhaltensorientierten Aspekten bietet Ferdinand de Saussure (1857 – 1913).

Der Gebrauch eines Zeichens setzt — wie zuvor — eine Kommunikationssituation voraus mit mindestens zwei Teilnehmern, die mit ihren Körpern in der Situation anwesend sind und über hinreichend gleiche Körperstrukturen für Wahrnehmung und Denken verfügen.

Am Beispiel der Situation des Essens möchte ich die rote Schüssel mit dem Nachtisch gereicht bekommen; diese steht nicht in meiner Griffweite. Ich sehe meine Schwester Martina so sitzen, dass Sie mir die Schüssel reichen könnte. Ohne Sprache könnte ich nur mit Handbewegungen und Gesichtsausdrücken versuchen, ihr klar zu machen, was ich möchte. Mit Sprache könnte ich Laute erzeugen, die als Schallwellen ihr Ohr erreichen und sagen würden ‚Hallo M, kannst Du mir bitte mal die rote Schüssel reichen?‘. Sofern meine Schwester Deutsch kann (was der Fall ist), wird sie diese Schallwellen in ihrem Kopf so ‚übersetzen‘, dass sie einen Bezug herstellt zu ihrer Wahrnehmung der roten Schüssel, zur Wahrnehmung von mir, und wird eine Aktion einleiten, mir die Schüssel zu reichen.

Der gesprochene Satz ‚Hallo M, kannst Du mir bitte mal die rote Schüssel reichen?‘ als ganzer stellt ein Ausdrucksmittel dar, bildet ein Material, mittels dessen ein Sprecher (in dem Fall ich), einen Hörer (in dem Fall meine Schwester) in die Lage versetzt, nur aufgrund des Schalls einen Bezug zu einem realen Objekt herzustellen und dieses Objekt in eine Handlung (mir das Objekt rüber reichen) einzubetten. Meine Schwester als Hörerin ist damit interpretierend tätig; sie stellt aktiv eine Verbindung her zwischen dem gehörten Schall und Elementen ihrer Wahrnehmung der Situation. Diese Interpretation befähigt sie, eine Handlung zu planen und auszuführen.

Rein verhaltensorientiert kann man sagen, dass die gesamte sprachliche Äußerung ein Zeichenmaterial darstellt, das vom Hörer intern ‚verarbeitet‘ wird, was zu einer bestimmten Handlung führt (die rote Schüssel reichen). Der Hörer nimmt hier eine Interpretation (Int) vor, durch die der Schall, das Zeichenmaterial (ZM) in Beziehung gesetzt wird zu etwas Wahrgenommenem; dies führt wiederum zu einer beobachtbaren Handlung, die damit zur Bedeutung (M) des Zeichenmaterials wird: $latex Int: ZM \longmapsto M$. Anders ausgedrückt, das Gesagte, der Sprachschall, bekommt durch diesen Zusammenhang eine neue Funktion; der Schall steht nicht mehr nur ‚für sich alleine‘, sondern es spielt eine Rolle in einer Beziehung. Damit wird das an sich neutrale Schallereignis zu einem ‚Zeichen‘. Ein Hörer verwandelt mit seiner Interpretation ein an sich neutrales Ereignis in ein Zeichen für etwas anderes, was man die Bedeutung des Zeichens nennt.

Als Wissenschaftler kann man hier weiter verallgemeinern und den Hörer als ein Input-Output-System betrachten mit dem Sprachschall und den visuellen Wahrnehmungen als Input I und dem beobachtbaren Verhalten als Output O und der Interpretation Int als Verhaltensfunktion $latex \phi$, geschrieben $latex \phi: I \times IS \longmapsto IS \times O$

Interpretieren

Wer die Thematik ‚Zeichen‘, ‚Semiotik‘, ‚Sprache‘, Sprachverstehen‘ usw. ein wenig kennt, der weiß, dass wir uns damit einer Materie genähert haben, die sehr umfangreich und beliebig kompliziert ist, so kompliziert, dass fast alle wirklich interessanten Fragen noch kaum als gelöst bezeichnet werden können. Ich beschränke mich daher hier nur auf einige Kernpunkte. Nach Bedarf müssten wir das vertiefen.

Wie man an dieser Stelle ahnen kann, ist der Vorgang des Interpretierens das eigentliche Herzstück des Zeichenbegriffs. Hier geschieht die Zuordnung zwischen gehörtem Schall (oder gelesenem Text, oder gesehenen Gesten, oder …) zu anderen bekannten Wissensinhalten, vorzugsweise zu Wahrnehmungselementen der aktuellen Situation. Will man die Details dieses Interpretationsprozesses beschreiben, hat man mit einem verhaltensbasierten Ansatz ein Problem: alles, was sich im ‚Innern‘ eines biologischen Systems abspielt, ist zunächst nicht beobachtbar. Da hilft es auch nicht, wenn man heute einen Körper ‚aufmachen‘ kann und Körperorgane, Zellen, Prozesse in den Zellen untersuchen kann. Schaltzustände von Zellen, speziell Gehirnzellen, sagen als solche nichts über das Verhalten. Es sei denn, man ist in der Lage, explizit einen Zusammenhang zwischen den Zuständen von Gehirnzellen und beobachtbarem Verhalten herzustellen, was in der Neuropsychologie zur Methode gehört. Ähnlich könnte man bei der expliziten Parallelisierung von beobachtbarem Verhalten und rein subjektiven Phänomenen vorgehen oder eine explizite Parallelisierung zwischen Aktivitäten von Gehirnzellen (oder auch anderer Zellen) mit rein subjektiven Phänomenen.

Die verhaltensbasierte empirische Psychologie hat in zahllosen Modellbildungen gezeigt, wie man auf der Basis von Verhaltensdaten empirisch kontrollierte Hypothesen über mögliche Verarbeitungsmechanismen im System formulieren kann. Wieweit diese Modelle sich im Rahmen von neuropsychologischen Studien in der Zukunft bestätigen lassen oder diese modifiziert werden müssen, das wird die Zukunft zeigen.

Abstraktionen – Allgemeinbegriffe

Wenn wir mittels sprachlicher Ausdrücke Gegenstände unserer Alltagswelt ansprechen, benutzen wir fast ausnahmslos sogenannte Allgemeinbegriffe. Ich frage nach der ‚Schüssel‘ wohl wissend, dass es hunderte von Gegenständen geben kann, die konkret verschieden sind, die wir aber alle als ‚Schüssel‘ bezeichnen würden; desgleichen mit Ausdrücken wie ‚Tasse‘, ‚Flasche‘, ‚Tisch‘, Stuhl‘, usw.

Indem wir sprachliche Ausdrücke benutzen machen wir stillschweigend Gebrauch von der Fähigkeit unseres Gedächtnisses, dass alles, was wir gegenständlich wahrnehmen, ‚verallgemeinert‘ wird, d.h. von Details abgesehen wird und Kerneigenschaften abstrahiert werden (die Philosophen sprechen auch von Kategorisierung, der Bildung von Kategorien; eine andere Bezeichnung ist das Wort ‚Klasse‘). Dies geschieht offensichtlich unbewusst, ‚automatisch‘; unser Gedächtnis arbeitet einfach so, stillschweigend, lautlos. Was immer wir wahrnehmen, es wird in ein abstraktes Konzept ‚übersetzt‘, und alles, was zukünftig diesem Konzept ‚ähnlicher‘ ist als anderen Konzepten, das wird dann diesem Konzept zugerechnet. Ein gedankliches Gegenstandskonzept kann auf diese Weise für viele hundert unterschiedliche konkrete Gegenstände stehen. Und die Sprache braucht immer nur ein einziges Wort für ein solches abstraktes Gegenstands-Konzept.

Im konkreten Fall (wie z.B. dem Essen) ist die Verständigung meist einfach, da vielleicht nur eine einzige Schüssel auf dem Tisch steht. Wenn nicht, dann haben diese Schüsseln eventuell eine unterscheidende Eigenschaft (anhand ihrer räumlichen Position, Farbe, Größe, Inhalt, …). Die Schüssel ’neben‘ …, die ‚rote‘ Schüssel…, die ‚kleine weiße Schüssel‘ …, die Schüssel mit dem Reis ….

Wenn wir den Interpretationsprozess genauer beschreiben wollen, dann müssten wir diese Abstraktionsprozesse und ihre Anwendung in die Theoriebildung mit einbeziehen.

Diese Abstraktionsprozesse finden wir nicht nur bei ‚Gegenständen‘, sondern auch bei der Lautwahrnehmung. Wen wir ein gesprochenes Wort wie ‚Tasse‘ hören, dann hören wir dieses gesprochene Wort auch dann, wenn es schneller, langsamer, höher, tiefer, lauter oder leiser usw. gesprochen wird. Alle diese verschiedenen Äußerungsereignisse sind physikalisch sehr unterschiedlich und die moderne Sprachtechnologie hat viele Jahrzehnte gebraucht, um ‚in den meisten Fällen‘ das ‚richtige‘ Wort zu erkennen. Wir Menschen gehen mit diesen vielen unterschiedlichen Realisierungen vergleichsweise mühelos um. Auch hier verfügt unser Wahrnehmungs- und Gedächtnissystem über sehr leistungsfähige Abstraktionsprozesse, die zur Ausbildung von Lautkategorien und dann Wortklassen führen.

Wechselwirkungen zwischen Kategorien und Sprache

Damit finden wir auf der untersten Ebene des sprachlichen Zeichengebrauchs zwei selbständige Abstraktions- und Kategoriensysteme (Laute, Gegenstände), die im Zeichengebrauch zusammen geführt werden. Bevor Kinder diese beiden Systeme nicht meistern, können sie nicht wirklich Sprache lernen. Wenn sie es aber geschafft haben, diese Laut- und Gegenstandskategorien in sich zu realisieren, dann explodiert ihr Sprachlernen. (Anmerkung: Für einen Überblick siehe: Language development. Besonders aufschlussreich sind die empirischen Daten zur Entwicklung der Lautbildung, des Bedeutungserwerbs und der Grammatik. Umfassendere Theoriebildungen sind meist sehr spekulativ.)

Eine oft diskutierte Frage ist, in wieweit die Kategorienbildung bei den Gegenständen unabhängig ist von der Korrelation mit den Laut- und Wortkategorien (Anmerkung: Siehe einen Überblick zum Streit über die Sapir-Whorf-Hypothese.). Sofern diese Abstraktionsprozesse in genetisch bedingten Verarbeitungsprozessen gründen (wie z.B. der Farbwahrnehmung) darf man davon ausgehen, dass die sprachlichen Besonderheiten diese grundsätzlichen Kategorienbildung im Gegenstandsbereich nicht verändern, höchstens unterschiedlich nutzen. Für das gemeinsame Erlernen von Sprache bildet die Unabhängigkeit der vorsprachlichen Kategorienbildung eine Voraussetzung, dass eine Sprache gelernt werden kann. Gibt es hier Abweichungen (Anmerkung: wie z.B. bei Farbblindheit, generell Sehstörungen oder gar Blindheit, bei Taubheit, bei Störungen der Sinneswahrnehmungen, usw.), dann wird das gemeinsame Erlernen von Sprache in unterschiedlichen Graden erschwert bzw. eingeschränkt.

Bedeutung als Werden

Man kann erkennen, dass schon auf dieser untersten Ebene des Sprachgebrauchs Menschen, obgleich sie das gleiche Wort benutzen (wie ‚Flasche‘, ‚Tasse‘, …), damit ganz unterschiedliche Dinge verbinden können, je nachdem welche konkreten Gegenstände sie im Laufe ihrer Lerngeschichte sie wahrnehmen konnten. Je weiter sich diese Gegenstände von einfachen Alltagsgegenständen entfernen und komplexere Gegenstände benennen wie Tätigkeiten (‚Autofahren‘, ‚Einkaufen‘, ‚Reparieren‘, ..), komplexe Situationen (‚Parkhaus‘, ‚Jahrmarkt‘, ‚Sportveranstaltung‘, …) oder komplexe Organisationen (‚Gemeindeverwaltung‘, ‚politische Partei‘, ‚Demokratie‘, …), umso vielfältiger und umso unschärfer (‚fuzzy‘) werden die damit eingeschlossenen konkreten Eigenschaften. So wunderbar die Verfügbarkeit von abstrakten Begriffen/ Klassen/ Kategorien/ Allgemeinbegriffen den Gebrauch von Sprache vereinfacht, so trügerisch können diese Begriffe sein. 10 Menschen benutzen das Wort ‚Gott‘ und jeder versteht damit möglicherweise etwas ganz anderes.

Der Aufbau einer gemeinsam geteilten Bedeutungswelt ist in keiner Weise ein ‚Selbstgänger‘; langer Atem, gemeinsame Anstrengungen, Abstimmungen, Abgleiche, viel Kommunikation ist notwendig, um Verstehen zu ermöglichen, Missverständnisse zu verringern und bewusster Manipulation entgegen zu treten.

Einen Überblick über alle Blogbeiträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER.

Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 4

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll

Rahmenbedingungen des Wissens

Wenn wir aufwachen in unserer schönen neuen Welt, können wir nachlesen, welch Böses Menschen anderen Menschen bisher zugefügt haben. Wir können Verhalten beobachten, das solch Böses hervorbringt: konkreten Handlungen, Aktionen, Objekte und Werkzeuge, die dazu benutzt werden. Was wir nicht können, nicht so ohne weiteres, das ist, in das Innere des Menschen zu schauen, warum Menschen anderen Menschen Böses zufügen.

Was geht in Menschen vor, wenn sie sich so verhalten? Wissen sie selbst so genau, was sie da tun, wenn sie etwas tun?

Was geht in Menschen vor, die andere Menschen foltern, um mit Gewalt heraus zu finden, was andere Menschen Denken oder Wissen (Siehe hier einen kurzen Überblick zur Folter)? Da auch Unschuldige unter Folter Handlungen gestehen können, die sie nie begangen haben, geht der Anwendung von Folter eine Vorverurteilung voraus: man ist schon überzeugt, dass man einen Täter vor sich hat. Zugleich verachtet man diesen Menschen, da man bereit ist, ihn zu zerstören, obgleich er möglicherweise unschuldig ist.

Und es gibt auch dies: Menschen helfen Menschen, Menschen ermöglichen Leben. Warum tun sie das?

Dort hinter den Augen

Die Antwort auf die Frage, warum Menschen dies und jenes tun, liegt offensichtlich im ‚Inneren‘ des Menschen. Dort, hinter seinen Augen, hinter seinem Gesicht, das mal lächelt, mal weint, mal zürnt, dort gibt es ‚geheimnisvolle Kräfte‘, die ihn, uns, Dich und mich, dazu bringen das eine zu tun, und das andere zu lassen.

Und, wie die moderne Biologie uns in Gestalt der Gehirnforschung lehrt, ist es vor allem das Gehirn, in dem ca. 100 Milliarden Gehirnzellen miteinander ein Dauergespräch führen, dessen Nebenwirkungen die eine oder andere Handlung ist, die wir vornehmen.

Wenn wir uns auf die moderne Biologie einlassen, auf die Gehirnwissenschaft, dann erkennen wir sehr schnell, dass das Gehirn, das unser Verhalten bestimmt, selbst keinen Kontakt mit der Welt hat. Es ist im Körper eingeschlossen, quasi abgeschottet, oder auch isoliert von der Welt jenseits des Körpers.

Das Gehirn bezieht sein Wissen über die Welt jenseits der Gehirnzellen quasi von ‚Mittelsmännern‘, von speziellen Kontaktpersonen, von Übersetzern; dies sind unsere Sinnesorgane (Augen, Ohren, Haut, Geschmackszellen, Gleichgewichtsorgan, …)(Anmerkung: Siehe: Sinnesorgan, Sensory receptor, Sensory system), die bestimmte Ereignisse aus der Welt jenseits der Gehirnzellen in die ‚Sprache des Gehirns‘ übersetzen.

Wenn wir sagen, dass wir Musik hören, wunderschöne Klänge, harmonisch oder dissonant, laut oder leise, hoch oder tief, mit unterschiedlichen Klangfarben, dann sind dies für das Gehirn ’neuronale Signale‘, elektrische Potentialänderungen, die man als ‚Signal‘ oder ‚Nicht-Signal‘ interpretieren kann, als ‚An‘ oder ‚Aus‘, oder einfach als ‚1‘ oder ‚0‘, allerdings zusätzlich eingebettet in eine ‚Zeitstruktur‘; innerhalb eines Zeitintervalls können ‚viele‘ Signale auftreten oder ‚wenige‘. Ferner gibt es eine ‚topologische‘ Struktur: das gleiche Signal kann an einem Ort im Gehirn ein ‚Klang‘ bedeuten, an einem anderen Ort eine ‚Bild‘, wieder an einem anderen Ort ein ‚Geschmack‘ oder ….

Was hier am Beispiel des Hörens gesagt wurde, gilt für alle anderen Sinnesorgane gleichermaßen: bestimmte physikalische Umwelteigenschaften werden von einem Sinnesorgan so weit ‚verarbeitet‘, dass am Ende immer alles in die Sprache des Gehirns, in die neuronalen ‚1en‘ und ‚0en‘ so übersetzt wird, dass diese Signale zeitlich und topologisch geordnet zwischen den 100 Milliarden Gehirnzellen hin und her wandern können, um im Gehirn Pflanzen, Tiere, Räume, Objekte und Handlungen jenseits der Gehirnzellen neuronal-binär repräsentieren zu können.

Alles, was in der Welt jenseits des Gehirns existiert (auch die anderen Körperorgane mit ihren Aktivitäten), es wird einheitlich in die neuronal-binäre Sprache des Gehirns übersetzt. Dies ist eine geniale Leistung der Natur(Anmerkung: Dass wir in unserem subjektiven Erleben keine ‚1en‘ und ‚0en‘ wahrnehmen, sondern Töne, Farben, Formen, Geschmäcker usw., das ist das andere ‚Wunder der Natur‘; siehe weiter unten.}.

Die Welt wird zerschnitten

Diese Transformation der Welt in ‚1en‘ und ‚0en‘ ist aber nicht die einzige Übersetzungsbesonderheit. Wir wissen heute, dass die Sinnesinformationen für eine kurze Zeitspanne (in der Regel deutlich weniger als eine Sekunde) nach Sinnesarten getrennt in einer Art ‚Puffer‘ zwischen gespeichert werden (Anmerkung: Siehe Sensory memory). Von dort können sie für weitere Verarbeitungen übernommen werden. Ist die eingestellte Zeitdauer(Anmerkung: Zeitfenster zwischen den aufeinanderfolgenden Zeitpunkten t1 und t2 (t1,t2)} verstrichen, wird der aktuelle Inhalt von neuen Daten überschrieben. Das voreingestellte Zeitfenster (t1,t2) definiert damit, was ‚gleichzeitig‘ ist.

Faktisch wird die sinnlich wahrnehmbare Welt damit in Zeitscheiben ‚zerlegt‘ bzw. ‚zerschnitten‘. Was immer passiert, für das Gehirn existiert die Welt jenseits seiner Neuronen nur in Form von säuberlich getrennten Zeitscheiben(Anmerkung: In Diskussionen, ob und wieweit ein Computer das menschliche Gehirn ’nachahmen‘ könnte, wird oft betont, der Computer sei ja ‚diskret‘, ‚binär‘, zerlege alles in 1en und 0en im Gegensatz zum ‚analogen‘ Gehirn. Die empirischen Fakten legen hingegen nahe, auch das Gehirn als eine ‚diskrete Maschine‘ zu betrachten.).

Unterscheiden sich die ‚Inhalte‘ von Zeitscheiben, kann dies als Hinweis auf mögliche ‚Veränderungen‘ gedeutet werden.

Beachte: jede Sinnesart hat ihre eigene Zeitscheibe, die dann vom Gehirn zu ’sinnvollen Kombinationen‘ ‚verrechnet‘ werden müssen.

Die Welt wird vereinfacht

Für die Beurteilung, wie das Gehirn die vielen unterschiedlichen Informationen so zusammenfügt, auswertet und neu formt, dass daraus ein ’sinnvolles Verhalten‘ entsteht, reicht es nicht aus, nur die Gehirnzellen selbst zu betrachten, was zum Gegenstandsbereich der Gehirnwissenschaft (Neurowissenschaft) gehört. Vielmehr muss das Wechselverhältnis von Gehirnaktivitäten und Verhaltenseigenschaften simultan betrachtet werden. Dies verlangt nach einer systematischen Kooperation von wissenschaftlicher Verhaltenswissenschaft (Psychologie) und Gehirnwissenschaft unter der Bezeichnung Neuropsychologie (Anmerkung: Siehe Neuropsychology).

Ein wichtiges theoretisches Konzept, das wir der Neuropsychologie verdanken, ist das Konzept des Gedächtnisses(Anmerkung: Memory). Mit Gedächtnis wird die generelle Fähigkeit des Gehirns umschrieben, Ereignisse zu verallgemeinern, zu speichern, zu erinnern, und miteinander zu assoziieren.

Ausgehend von den oben erwähnten zeitlich begrenzten sensorischen Speichern unterteilt man das Gedächtnis z.B. nach der Zeitdauer (kurz, mittel, unbegrenzt), in der Ereignisse im Gedächtnis verfügbar sind, und nach der Art ihrer Nutzung. Im Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis kann eine kleine Zahl von Ereignissen im begrenzten Umfang verarbeitet und mit dem Langzeitgedächtnis in begrenztem Umfang ausgetauscht werden (speichern, erinnern). Die Kapazität von sinnespezifischen Kurzzeit- und multimodalem Arbeitsgedächtnisses liegt zwischen ca. 4 (im Kurzzeitgedächtnis) bis 9 (im Arbeitsgedächtnis) Gedächtniseinheiten. Dabei ist zu beachten, dass schon im Übergang vom oben erwähnten sensorischen Speichern zum Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis eine starke Informationsreduktion stattfindet; grob von 100% auf etwa 25%.

Nicht alles, was im Kurz- und Arbeitsgedächtnis vorkommt, gelangt automatisch ins Langzeitgedächtnis. Ein wichtiger Faktor, der zum Speichern führt, ist die ‚Verweildauer‘ im Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis, und die ‚Häufigkeit‘ des Auftretens. Ob wir nach einer Speicherung etwas ‚wiederfinden‘ können, hängt ferner davon ab, wie ein Ereignis abgespeichert wurde. Je mehr ein Ereignis sich zu anderen Ereignissen in Beziehung setzen lässt, umso eher wird es erinnert. Völlig neuartige Ereignisse (z.B. die chinesischen Schriftzeichen in der Ordnung eines chinesischen Wörterbuches, wenn man Chinesisch neu lernt) können Wochen oder gar Monate dauern, bis sie so ‚verankert‘ sind, dass sie bei Bedarf ‚mühelos‘ erinnern lassen.

Ein anderer Punkt ist die Abstraktion. Wenn wir über alltägliche Situationen sprechen, dann benutzen wir beständig Allgemeinbegriffe wie ‚Tasse‘, ‚Stuhl‘, ‚Tisch‘, ‚Mensch‘ usw. um über ‚konkrete individuelle Objekte‘ zu sprechen. So nennen wir ein konkretes rotes Etwas auf dem Tisch eine Tasse, ein anderen blaues konkretes Etwas aber auch, obgleich sie Unterschiede aufweisen. Desgleichen nennen wir ein ‚vertikales durchsichtiges Etwas‘ eine Flasche, ein vertikales grünliches Etwas auch; usw.

Unser Gedächtnis besitzt die wunderbare Eigenschaft, alles, was sinnlich wahrgenommen wird, durch einen unbewussten automatischen Abstraktionsprozess in eine abstrakte Struktur, in einen Allgemeinbegriff, in eine ‚Kategorie‘ zu übersetzen. Dies ist extrem effizient. Auf diese Weise kann das Gedächtnis mit einem einzigen Konzept hunderte, tausende, ja letztlich unendlich viele konkrete Objekte klassifizieren, identifizieren und damit weiter arbeiten.

Welt im Tresor

Ohne die Inhalte unseres Gedächtnisses würden wir nur in Augenblicken existieren, ohne vorher und nachher. Alles wäre genau das, wie es gerade erscheint. Nichts hätte eine Bedeutung.

Durch die Möglichkeit des ‚Speicherns‘ von Ereignisse (auch in den abstrakten Formen von Kategorien), und des ‚Erinnerns‘ können wir ‚vergleichen‘, können somit Veränderungen feststellen, können Abfolgen und mögliche Verursachungen erfassen, Regelmäßigkeiten bis hin zu Gesetzmäßigkeiten; ferner können wir Strukturen erfassen.

Eine Besonderheit sticht aber ins Auge: nur ein winziger Teil unseres potentiellen Wissens ist ‚aktuell verfügbar/ bewusst‘; meist weniger als 9 Einheiten! Alles andere ist nicht aktuell verfügbar, ist ’nicht bewusst‘!

Man kann dies so sehen, dass die schier unendliche Menge der bisher von uns wahrgenommenen Ereignisse im Langzeitgedächtnis weggesperrt ist wie in einem großen Tresor. Und tatsächlich, wie bei einem richtigen Tresor brauchen auch wir selbst ein Codewort, um an den Inhalt zu gelangen, und nicht nur ein Codewort, nein, wir benötigen für jeden Inhalt ein eigenes Codewort. Das Codewort für das abstrakte Konzept ‚Flasche‘ ist ein konkretes ‚Flaschenereignis‘ das — hoffentlich — genügend Merkmale aufweist, die als Code für das abstrakte Konzept ‚Flasche‘ dienen können.

Wenn über solch einen auslösenden Merkmalscode ein abstraktes Konzept ‚Flasche‘ aktiviert wird, werden in der Regel aber auch alle jene Konzepte ‚aktiviert‘, die zusammen mit dem Konzept ‚Flasche‘ bislang aufgetreten sind. Wir erinnern dann nicht nur das Konzept ‚Flasche‘, sondern eben auch all diese anderen Ereignisse.

Finden wir keinen passenden Code, oder wir haben zwar einen Code, aber aus irgendwelchen Emotionen heraus haben wir Angst, uns zu erinnern, passiert nichts. Eine Erinnerung findet nicht statt; Blockade, Ladehemmung, ‚blackout‘.

Bewusstsein im Nichtbewusstsein

Im Alltag denken wir über unser Gehirn nicht so. Im Alltag haben wir subjektiv Eindrücke, Erlebnisse, Empfindungen, Gedanken, Vorstellungen, Fantasien. Wir sind ‚in‘ unserem Erleben, wir selbst ‚haben‘ diese Eindrücke. Wir empfinden alles so, als ob ‚wir‘ selbst (bei jedem einzelnen das ‚Ich‘: ‚ich habe das Erlebnis‘) diese Erlebnisse haben; es sind ‚unsere‘ Erlebnisse‘.

Die Philosophen haben diese Erlebnis- und Erkenntnisweise den Raum unseres ‚Bewusstseins‘ genannt. Sie sprechen davon, dass wir ‚Bewusstsein haben‘, dass uns die Ding ‚bewusst sind‘; sie nennen die Inhalte unseres Bewusstseins ‚Qualia‘ oder ‚Phänomene‘, und sie bezeichnen diese Erkenntnisperspektive den Standpunkt der ‚ersten Person‘ (‚first person view‘) im Vergleich zur Betrachtung von Gegenständen in der Außenwelt, die mehrere Personen gleichzeitig haben können; das nennen sie den Standpunkt der ‚dritten Person‘ (‚third person view‘)(Anmerkung: Ein Philosoph, der dies beschrieben hat, ist Thomas Nagel. Siehe zur Person: Thomas Nagel. Ein Buch von ihm, das hier einschlägig ist, ist ‚The view from nowhere‘ von 1986, New York, Oxford University Press).

Nach den heutigen Erkenntnissen der Neuropsychologie gibt es zwischen dem, was die Philosophen ‚Bewusstsein‘ nennen und dem, was die Neuropsychologen ‚Arbeitsgedächtnis‘ nennen, eine funktionale Korrespondenz. Wenn man daraus schließen kann, dass unser Bewusstsein sozusagen die erlebte ‚Innenperspektive‘ des ‚Arbeitsgedächtnisses‘ ist, dann können wir erahnen, dass das, was uns gerade ‚bewusst‘ ist, nur ein winziger Bruchteil dessen ist, was uns ’nicht bewusst‘ ist. Nicht nur ist der potentiell erinnerbare Inhalt unseres Langzeitgedächtnisses viel größer als das aktuell gewusste, auch die Milliarden von Prozessen in unserem Körper sind nicht bewusst. Ganz zu schweigen von der Welt jenseits unseres Körpers. Unser Bewusstsein gleicht damit einem winzig kleinen Lichtpunkt in einem unfassbar großen Raum von Nicht-Bewusstsein. Die Welt, in der wir bewusst leben, ist fast ein Nichts gegenüber der Welt, die jenseits unseres Bewusstseins existiert; so scheint es.

Außenwelt in der Innenwelt

Der Begriff ‚Außenwelt‘, den wir eben benutzt haben, ist trügerisch. Er gaukelt vor, als ob es da die Außenwelt als ein reales Etwas gibt, über das wir einfach so reden können neben dem Bewusstsein, in dem wir uns befinden können.

Wenn wir die Erkenntnisse der Neuropsychologie ernst nehmen, dann findet die Erkenntnis der ‚Außenwelt‘ ‚in‘ unserem Gehirn statt, von dem wir wissen, dass es ‚in‘ unserem Körper ist und direkt nichts von der Außenwelt weiß.

Für die Philosophen aller Zeiten war dies ein permanentes Problem. Wie kann ich etwas über die ‚Außenwelt‘ wissen, wenn ich mich im Alltag zunächst im Modus des Bewusstseins vorfinde?

Seit dem Erstarken des empirischen Denkens — spätestens seit der Zeit Galileis(Anmerkung: Galilei) — tut sich die Philosophie noch schwerer. Wie vereinbare ich die ‚empirische Welt‘ der experimentellen Wissenschaften mit der ’subjektiven Welt‘ der Philosophen, die auch die Welt jedes Menschen in seinem Alltag ist? Umgekehrt ist es auch ein Problem der empirischen Wissenschaften; für den ’normalen‘ empirischen Wissenschaftler ist seit dem Erstarken der empirischen Wissenschaften die Philosophie obsolet geworden, eine ’no go area‘, etwas, von dem sich der empirische Wissenschaftler fernhält. Dieser Konflikt — Philosophen kritisieren die empirischen Wissenschaften und die empirischen Wissenschaften lehnen die Philosophie ab — ist in dieser Form ein Artefakt der Neuzeit und eine Denkblokade mit verheerenden Folgen.

Die empirischen Wissenschaften gründen auf der Annahme, dass es eine Außenwelt gibt, die man untersuchen kann. Alle Aussagen über die empirische Welt müssen auf solchen Ereignissen beruhen, sich im Rahmen eines beschriebenen ‚Messvorgangs‘ reproduzieren lassen. Ein Messvorgang ist immer ein ‚Vergleich‘ zwischen einem zuvor vereinbarten ‚Standard‘ und einem ‚zu messenden Phänomen‘. Klassische Standards sind ‚das Meter‘, ‚das Kilogramm‘, ‚die Sekunde'(Anmerkung: Siehe dazu: Internationales Einheitensystem (SI)), usw. Wenn ein zu messendes Phänomen ein Objekt ist, das z.B. im Vergleich mit dem Standard ‚Meter [m]‘ die Länge 3m aufweist, und jeder, der diese Messung wiederholt, kommt zum gleichen Ergebnis, dann wäre dies eine empirische Aussage über dieses Objekt.

Die Einschränkung auf solche Phänomene, die sich mit einem empirischen Messstandard vergleichen lassen und die von allen Menschen, die einen solchen Messvorgang wiederholen, zum gleichen Messergebnis führen, ist eine frei gewählte Entscheidung, die methodisch motiviert ist. Sie stellt sicher, dass man zu einer Phänomenmenge kommt, die allen Menschen(Anmerkung: die über gleiche Fähigkeiten der Wahrnehmung und des Denkens verfügen. Blinde Menschen, taube Menschen usw. könnten hier Probleme bekommen!) in gleicher Weise zugänglich und für diese nachvollziehbar ist. Erkenntnisse, die allen Menschen in gleicher Weise zugänglich und nachprüfbar sind haben einen unbestreitbaren Vorteil. Sie können eine gemeinsame Basis in einer ansonsten komplexen verwirrenden Wirklichkeit bieten.

Die ‚Unabhängigkeit‘ dieser empirischen Messvorgänge hat im Laufe der Geschichte bei vielen den Eindruck vertieft, als ob es die ‚vermessene Welt‘ außerhalb und unabhängig von unserem Bewusstsein als eigenständiges Objekt gibt, und dass die vielen ‚rein subjektiven‘ Empfindungen, Stimmungen, Vorstellungen im Bewusstsein, die sich nicht direkt in der vermessbaren Welt finden, von geringerer Bedeutung sind, unbedeutender ’subjektiver Kram‘, der eine ‚Verunreinigung der Wissenschaft‘ darstellt.

Dies ist ein Trugschluss mit verheerenden Folgen bis in die letzten Winkel unseres Alltags hinein.

Der Trugschluss beginnt dort, wo man übersieht, dass die zu messenden Phänomene auch für den empirischen Wissenschaftler nicht ein Sonderdasein führen, sondern weiterhin nur Phänomene seines Bewusstseins sind, die ihm sein Gehirn aus der Sinneswahrnehmung ‚herausgerechnet‘ hat. Vereinfachend könne man sagen, die Menge aller Phänomene unseres Bewusstseins — nennen wir sie PH — lässt sich aufteilen in die Teilmenge jener Phänomene, auf die sich Messoperationen anwenden lassen, das sind dann die empirischen Phänomene PH_EMP, und jene Phänomene, bei denen dies nicht möglich ist; dies sind dann die nicht-empirischen Phänomene oder ‚rein subjektiven‘ Phänomene PH_NEMP. Die ‚Existenz einer Außenwelt‘ ist dann eine Arbeitshypothese, die zwar schon kleine Kindern lernen, die aber letztlich darauf basiert, dass es Phänomene im Bewusstsein gibt, die andere Eigenschaften haben als die anderen Phänomene.

In diesen Zusammenhang gehört auch das Konzept unseres ‚Körpers‘, der sich mit den empirischen Phänomenen verknüpft.

Der Andere als Reflektor des Selbst

Bislang haben wir im Bereich der Phänomene (zur Erinnerung: dies sind die Inhalte unseres Bewusstseins) unterschieden zwischen den empirischen und den nicht-empirischen Phänomenen. Bei genauerem Hinsehen kann man hier viele weitere Unterscheidungen vornehmen. Uns interessiert hier nur der Unterschied zwischen jenen empirischen Phänomenen, die zu unserem Körper gehören und jenen empirischen Phänomenen, die unserem Körper ähneln, jedoch nicht zu uns, sondern zu jemand ‚anderem‘ gehören.

Die Ähnlichkeit der Körperlichkeit des ‚anderen‘ zu unserer Körperlichkeit bietet einen Ansatzpunkt, eine ‚Vermutung‘ ausbilden zu können, dass ‚in dem Körper des anderen‘ ähnliche innere Ereignisse vorkommen, wie im eigenen Bewusstsein. Wenn wir gegen einen harten Gegenstand stoßen, dabei Schmerz empfinden und eventuell leise aufschreien, dann unterstellen wir, dass ein anderer, wenn er mit seinem Körper gegen einen Gegenstand stößt, ebenfalls Schmerz empfindet. Und so in vielen anderen Ereignissen, in denen der Körper eine Rolle spielt (Anmerkung: Wie wir mittlerweile gelernt haben, gibt es Menschen, die genetisch bedingt keine Schmerzen empfinden, oder die angeboren blind oder taub sind, oder die zu keiner Empathie fähig sind, usw.).

Generalisiert heißt dies, dass wir dazu neigen, beim Auftreten eines Anderen Körpers unser eigenes ‚Innenleben‘ in den Anderen hinein zu deuten, zu projizieren, und auf diese Weise im anderen Körper ‚mehr‘ sehen als nur einen Körper. Würden wir diese Projektionsleistung nicht erbringen, wäre ein menschliches Miteinander nicht möglich. Nur im ‚Übersteigen‘ (‚meta‘) des endlichen Körpers durch eine ‚übergreifende‘ (‚transzendierende‘) Interpretation sind wir in der Lage, den anderen Körper als eine ‚Person‘ zu begreifen, die aus Körper und Seele, aus Physis und Psyche besteht.

Eine solche Interpretation ist nicht logisch zwingend. Würden wir uns solch einer Interpretation verweigern, würden wir im Anderen nur einen leblosen Körper sehen, eine Ansammlung von unstrukturierten Zellen, und was immer der Andere tun wird, nichts von alledem könnte uns zwingen, unsere Interpretation zu verändern. Die ‚personale Wirklichkeit des Anderen‘ lebt wesentlich von unserer Unterstellung, dass er tatsächlich mehr ist als der Körper, den wir sinnlich wahrnehmen können.

Dieses Dilemma zeigt sich sehr schön in dem berühmten ‚Turing Test‘ (Anmerkung: Turingtest), den Alan Matthew Turing 1950 vorgeschlagen hatte, um zu testen, wie gut ein Computer einen Menschen imitieren kann (Anmerkung: Es war in dem Artikel: Alan Turing: Computing Machinery and Intelligence, Mind 59, Nr. 236, Oktober 1950, S. 433–460). Da man ja ‚den Geist‘ selbst nicht sehen kann, sondern nur die Auswirkungen des Geistes im Verhalten, kann man in dem Test auch nur das Verhalten eines Menschen neben einem Computer beobachten, eingeschränkt auf schriftliche Fragen und Antworten(Anmerkung: heute könnte man dies sicher ausdehnen auf gesprochene Fragen und Antworten, eventuell kombiniert mit einem Gesicht oder gar mehr}. Die vielen Versuche mit diesem Test haben deutlich gemacht — was man im Alltag auch ohne diesen Test sehen kann –, dass das beobachtbare Verhalten eines Akteurs niemals ausreicht, um logisch zwingend auf einen ‚echten Geist‘, sprich auf eine ‚echte Person‘ schließen zu können. Daraus folgt nebenbei, dass man — sollte es jemals hinreichend intelligente Maschinen geben — niemals zwingend einen Menschen, nur aufgrund seines Verhaltens, von einer intelligenten Maschine unterscheiden könnte.

Rein praktisch folgt aus alledem, dass wir im Alltag nur dann und solange als Menschen miteinander umgehen können, solange wir uns wechselseitig ‚Menschlichkeit‘ unterstellen, an den ‚Menschen‘ im anderen glauben, und mein Denken und meine Gefühle hinreichend vom Anderen ‚erwidert‘ werden. Passiert dies nicht, dann muss dies noch nicht eine völlige Katastrophe bedeuten, aber auf Dauer benötigen Menschen eine minimale Basis von Gemeinsamkeiten, auf denen sie ihr Verhalten aufbauen können.

Im positiven Fall können Unterschiede zwischen Menschen dazu führen, dass man sich wechselseitig anregt, man durch die Andersartigkeit ‚Neues‘ lernen kann, man sich weiter entwickelt. Im negativen Fall kann es zu Missverständnissen kommen, zu Verletzungen, zu Aggressionen, gar zur wechselseitigen Zerstörung. Zwingend ist keines von beidem.

Zur Fortsetzung mit Kapitel 5.

Einen Überblick über alle Blogbeiträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER.

Philosophiewerkstatt Serie 2.0 – Ab 12.Okt.2014 – DENKBAR Frankfurt

(Letzte Änderung: 26.Sept.2014, 09:02h)

philosophieWerkstatt v2.0
philosophieWerkstatt v2.0

Ja, es geht weiter. Die

philosophieWerkstatt

geht mit Version v2.0 in eine neue Runde, ab So 12.Oktober 2014,

jeden 2.Sonntag im Monat,
16:00 – 19:00h
in der
DENKBAR Frankfurt
Spohrstrasse 46a

Unkostenbeitrag: 5€

Essen und Trinken wird angeboten von Michas Essen & Trinken. Parken ist im Umfeld schwierig; evtl. in der Rat-Beil-Strasse (entlang der Friedhofsmauer). (Achtung: die Webseite der DENKBAR ist momentan nicht ganz aktuell; eine Aktualisierung soll demnächst folgen).

Anliegen der Philosophiewerkstatt ist es, ein philosophisches Gespräch zu ermöglichen, in dem die Fragen der TeilnehmerInnen versuchsweise zu Begriffsnetzen verknüpft werden, die in Beziehung gesetzt werden zum allgemeinen Denkraum der Philosophie, der Wissenschaften, der Kunst und Religion. Im Hintergrund stehen die Reflexionen aus dem Blog cognitiveagent.org, das Ringen um das neue Menschen- und Weltbild.

12.Okt.14

Bei einer offenen Veranstaltung mit einem neuen Publikum weiß man natürlich nie genau, wie der Verlauf ist, wenn man sich wechselseitig im Gespräch ernst nimmt, ich kann aber sagen, was meine Intention an diesem ersten Nachmittag sein wird:

  • Es wird eine kleine ‚Aufwärmphase‘ geben durch Vorstellungen und Austausch von Erwartungen; dies wird beiläufig für alle sichtbar ‚mitprotokolliert‘.
  • Es folgt dann das ‚Gespräch über das Gespräch‘: Was tun wir, wenn wir reden? Was heisst ‚Verstehen‘? Wie kommen die Wörter zu ihrer ‚Bedeutung‘? Wie entsteht in uns ‚Bedeutung‘? … etwa in diese Richtung.
  • Wir lesen also keine schlauen Bücher über philosophische Themen (das kann jeder zu Hause in seinem stillen Kämmerlein tun…), sondern wir ‚lesen in uns selbst‘, versuchsweise, experimentell. Philosophie am lebenden Objekt.
  • Klassisch könnte man sagen, beschäftigen wir uns anfangshaft mit Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie.
  • Alles, was wir diskutieren, wird live in ‚Denkbildern‘ (nein, keine ‚mindmaps‘) festgehalten, indem wir unser Denken ‚aufmalen’… (wir folgen dabei keiner DIN Norm…).
  • Ich habe auch tonnenweise experimentelle Musik dabei; damit kann man gelegentlich ein paar ‚Störgeräusche‘ vor dem Hintergrund langjähriger verfestigter Klanggewohnheiten erzeugen (ein Presslufthammer kann nerven, aber er kann auch verfestigte Strukturen aufbrechen … :-)).
  • Essen und Trinken werden als angenehme Begleitumstände betrachtet, solange dadurch das Denken angeregt wird.
  • Wenn uns das philosophische Denken vom akademischen Betrieb ‚genommen‘ wurde, müssen wir es uns selbst zurückholen, indem wir es einfach tun: philosophisch denken, zusammen, live, ‚unplugged‘ ….

Einen kurzen Bericht zu dieser philosophieWerkstatt v.20 findet sich HIER

AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 15

VORGESCHICHTE

Für einen Überblick zu allen vorausgehenden Beiträgen dieser rekonstruierenden Lektüre von Avicennas Beitrag zur Logik siehe AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT.

Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M
Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M

WAHR UND FALSCHE AUSSAGEN

1. Nach dem Blogeintrag Avicenna 14b gibt es jetzt Ausdrücke A, B, …, die ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ sein können und die wir deshalb ‚Aussagen‘ (auch ‚Propositionen‘) nennen. Aussagen können mittels aussagenlogischer Operatoren wie ‚NEGATION‘, ‚UND‘, ‚IMPLIKATION‘ usw. zu komplexeren Ausdrücken so verknüpft werden, dass jederzeit ermittelt werden kann, wie der Wahrheitswert des komplexen Ausdrucks lautet, wenn die Wahrheitswerte der Teilausdrücke bekannt sind. Ob im Einzelfall eine Aussage A ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ ist, muss durch Rückgriff auf ihre Bedeutungsbeziehung M(A) geklärt werden. Bislang ist nur klar, dass die Bedeutungsbeziehung M nur allgemein eine Beziehung zu den (kognitiven) Objekten O herstellt (siehe Grafik oben).

2. Avicenna spricht aber nicht nur von Aussagen A allgemein, sondern unterscheidet die Teilausdrücke ‚Subjekt‘ S und ‚Prädikat‘ P, zusätzlich oft noch ‚Quantoren‘ Q.

FEINSTRUKTUR DER BEDEUTUNG VON AUSDRÜCKEN

3. Man kann und muss dann die Frage stellen, ob und wie sich auf der Bedeutungsseite die Unterscheidung in S und P auf der Ausdrucksseite widerspiegelt?

ECHTE UND UNECHTE OBJEKTE

4. In vorausgehenden Blogeinträgen zu Avicenna (Avicenna 4, 5, 7 und 11) wurde schon unterschieden zwischen ‚echten‘ und ‚unechten‘ Objekten. ‚Unechte Objekte‘ sind solche Wissenstatbestände, die man zwar identifizieren und unterscheiden kann, die aber immer nur im Kontext von ‚echten Objekten‘ auftreten. ‚Unechte‘ Objekte werden meistens als ‚Eigenschaften‘ bezeichnet. Beispiel: die Farbe ‚Rot‘ können wir wahrnehmen und z.B. von der Farbe ‚Blau‘ unterscheiden, die Farbe ‚Rot‘ tritt aber nie alleine auf so wie z.B. Gegenstände (Tassen, Stühle, Früchte, Blumen, …) alleine auftreten.

5. Hier wird davon ausgegangen, dass die Objekthierarchie O primär von echten Objekten gebildet wird; unechte Objekte als Eigenschaften treten nur im Kontext eines echten Objekts auf.

GATTUNG UND ART; KATEGORIEN

6. Ein Objekt kann viele Eigenschaften umfassen. Wenn es mehr als ein Objekt gibt – also O1, O2, … — die sowohl Eigenschaften Ex gemeinsam haben wie auch Eigenschaften Ey, die unterschiedlich sind, dann kann man sagen, dass alle Objekte, die die Eigenschaften Ex gemeinsam haben, eine ‚Gattung‘ (‚genus‘) bilden, und dass man anhand der ‚unterscheidenden Eigenschaften Ey‘ unterschiedliche ‚Arten‘ (’species‘) innerhalb der Gattung unterscheiden kann.

7. Gattungen, die keine Gattungen mehr ‚über sich‘ haben können, sollen hier ‚Kategorien‘ genannt werden.

ONTOLOGISCHE UND DEFINITORISCHE (ANALYTISCHE) WAHRHEIT

8. Bislang ist der Wahrheitsbegriff $latex \top, \bot$ in dieser Diskussion an der hinreichenden Ähnlichkeit eines vorgestellten/ gedachten kognitiven) Objekts $latex a \in Oa$ mit sinnlichen wahrnehmbaren Eigenschaften $latex s \subseteq Os$ festgemacht worden. Ein ‚rein gedachtes Objekt $latex a \in Oa$ ist in diesem Sinne weder ‚wahr‘ $latex \top$ noch ‚falsch‘ $latex \bot$.

9. Setzt man allerdings eine Objekthierarchie O voraus, in der man von einem beliebigen individuellem Objekt a immer sagen kann, zu welchem Objekt Y es als seiner Gattung gehört, dann kann man eine Aussagen der Art bilden ‚a ist eine Tasse‘.

10. Wenn man zuvor in einer Definition vereinbart haben sollte, dass zum Begriff der ‚Tasse‘ wesentlich die Eigenschaften Ex gehören, und das Objekt a hätte die Eigenschaften $latex Ex \cup Ey$, dann würde man sagen, dass die Aussage ‚a ist eine Tasse‘ ‚wahr‘ ist, unabhängig davon, ob es zum kognitiven Objekt a ein ’sinnliches‘ ‚Pendant‘ geben würde oder nicht. Die Aussage ‚a ist eine Tasse‘ wäre dann ‚rein definitorisch‘ (bzw. ‚rein analytisch‘) ‚wahr.

11. Im Gegensatz zu solch einer rein definitorischen (analytischen) Wahrheit eines Objekts a, die als solche nichts darüber sagt, ob es das Objekt a ‚tatsächlich‘ gibt, soll hier die ursprünglich vereinbarte ‚Wahrheit‘ durch Bezug auf eine ’sinnliche Gegebenheit‘ $latex s \subseteq Os$ ‚ontologische‘ Wahrheit genannt werden, also einer Wahrheit, die sich auf das ‚real Seiende‘ in der umgebenden Welt W bezieht.

12. [Anmerkung: Dieses – auch im Alltagsdenken – unterstellte ‚Sein‘, die unterstellte übergreifende ‚Realität‘ ist nicht nur eine ‚Extrapolation‘ aufgrund sinnlicher Gegebenheiten ‚im‘ wissenden System, sondern ist in seiner unterstellten ‚Realität‘ auch nur eine sehr spezifische Form von Realität. Wie wir heute aufgrund immer komplexerer Messprozeduren wissen, gibt es ‚Realitäten‘, die weit jenseits aller sinnlichen Qualitäten liegen. Es fällt uns nur nicht so auf, weil diese gemessenen Eigenschaften X durch allerlei Prozeduren für unsere Sinnesorgane ‚umgerechnet‘, ‚transformiert‘ werden, so dass wir etwas ‚Sehen‘ oder ‚Hören‘, obgleich das gemessene X nicht zu sehen oder zu hören ist.]

13. Solange wir uns in unseren Aussagen auf das Enthaltensein eines Objektes a in einem Gattungsobjekts X beschränken ‚a ist ein X‘ oder das Feststellen von Eigenschaften der Art ‚a hat b‘ kann man sagen, dass eine Aussagestruktur wie (S P) wie folgt interpretiert werden kann: Es gibt einen Ausdruck A=(AsAp), bei dem ein Ausdrucksteil As sich auf ein echtes Objekt M(As) = $latex a \in Oa$ bezieht und der andere Ausdrucksteil Ap bezieht sich auf die Beziehung zwischen dem Objekt a und entweder einem Gattungsobjekt X (Ap = ‚ist ein X‘) oder auf eine Eigenschaft Y (Ap = ‚hat Y‘).

14. Derjenige Ausdrucksteil As, der sich auf das echte Objekt a bezieht, ‚von dem‘ etwas ausgesagt werden soll (‚ist ein…‘, ‚hat …‘), dieser Ausdrucksteil wird als ‚Subjekt‘ S bezeichnet, und der Ausdrucksteil Ap, mittels dem etwas über das Subjekt ausgesagt wird, wird ‚Prädikat‘ P genannt.

15. Hierbei ist eine gewisse ‚Asymmetrie‘ zu beachten. Die Bedeutung vom Ausdrucksteil As – M(As) – bezieht sich auf eine ‚konkrete‘ Eigenschaftsstruktur innerhalb der Objekthierarchie. Die Bedeutung vom Ausdrucksteil Ap – M(Ap) – bezieht sich auf eine ‚Beziehung‘ / ‚Relation’/ ein ‚Verhältnis‘ [R] zwischen dem bezeichneten Bedeutungsobjekt M(As) = a und einem anderen bezeichneten Bedeutungsobjekt M(Ap), also R(M(As), M(Ap)). Die Beziehung R ist selbst kein ‚Objekt‘ so wie das Objekt a oder das implizit angenommene ‚Bezugsobjekt‘ X bzw. Y von a. Eine solche Beziehung R setzt – um prozessural ‚hantierbar‘ zu sein – eine zusätzliche ‚Objektebene‘ voraus, auf der es ein R-Objekt gibt, das die Beziehung zwischen dem a-Objekt und dem X-Y-Objekt ‚repräsentiert.

16. [Anmerkung: Bei ’neuronalen Netzen‘ wäre das R-Objekt jenes Neuron, das die Verbindung zwischen zwei anderen Neuronen ‚realisiert‘.]

17. Fassen wir zusammen: Bei einem Ausdruck A der Art A=’Hans ist ein Mensch‘ gibt es den Ausdrucksteil As=’Hans‘ und den Ausdrucksteil Ap=’ist ein Mensch‘. Die Bedeutung des Ausdrucksteils As M(As) als M(‚Hans‘) ist ein Objekt h in der unterstellten Bedeutungshierarchie O des Sprechers, das gewisse Eigenschaften E(h) besitzt. Die Bedeutung des Ausdrucksteils Ap als M(Ap) bzw. M(‚ist ein Mensch‘) ist sowohl ein Objekt M mit Eigenschaften E(M) als auch eine Beziehung R_ist zwischen dem Objekt h und dem Objekt M, also R_ist(h,M). Die Beziehung ist definitorisch/ analytisch ‚wahr‘ wenn es gilt, dass die definierenden Eigenschaften E(M) des Objekts Mensch M auch bei den Eigenschaften E(h) von Hans zu finden sind, also $latex E(M) \subset E(h)$ .

BEZIEHUNGSRAUM – TRANSZENDENTALE BEDINGUNGEN

18.

Fortsetzung folgt

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Hans-Jörg Sandkühler (Hg.) unter Mitwirkung von Dagmar Borchers, Arnim Regenbogen, Volker Schürmann und Pirmin Stekeler-Weithofer, ‚Enzyklopädie Philosophie‘, 3 Bd., Hamburg: FELIX MEINER VERLAG, 2010 (mit CD-ROM)
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

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