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Offenbarung – Der blinde Fleck der Menschheit

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Als Nachhall zur Diskussion des Artikels von Fink hier ein paar Überlegungen, dass der durch die Religionen vereinnahmte Begriff der ‚Offenbarung‘ ein Grundbegriff ist, der wesentlich zum Menschen generell gehört, bevor irgendeine Religion darauf einen Anspruch anmelden kann.

I. KONTEXT

Diesen Beitrag könnte man unter ‚Nachwehen‘ einordnen, Nachwehen zu dem letzten Beitrag. In diesem Beitrag hatte ich versucht, deutlich zu machen, dass die üblichen Vorgehensweisen, in die neuen Erkenntnisse zur Entstehung, Struktur und Dynamik des physikalischen Universums, den Glauben an ein sehr bestimmtes, klassisches Gottesbild zu ‚interpolieren‘, heute nicht mehr überzeugen können, ja, abgelehnt werden müssen als eher wegführend vom wahren Sachverhalt.

Zu dieser kritisch-ablehnenden Sicht tragen viele Argumente bei (siehe einige in dem genannten Artikel). Besonders erwähnen möchte ich hier nochmals das Buch ‚Mysticism and Philosophy‘ von Stace (1960) [ siehe Teil 3 einer Besprechung dieses Buches ]. Stace konzentriert sich bei seinen Analysen an der Struktur der menschlichen Erfahrung, wie sie über Jahrtausende in vielen Kulturen dieser Welt berichtet wird. Während diese Analysen darauf hindeuten, dass der Kern der menschlichen Erfahrungen eher gleich erscheint, erklärt sich die Vielfalt aus der Tatsache, dass — nach Stace — jede Erfahrung unausweichlich Elemente einer ‚Interpretation‘ umfasst, die aus den bisherigen Erfahrungen stammen. Selbst wenn Menschen das Gleiche erleben würden, je nach Zeit, Kultur, Sprache können sie das Gleiche unterschiedlich einordnen und benennen, so dass es über den Prozess des Erkennens etwas ‚anderes‘ wird; es erscheint nicht mehr gleich!

In einem sehr kenntnisreichen Artikel The Myth of the Framework von Karl Popper, veröffentlicht im Jahr 1994 als Kapitel 2 des Buches The Myth of the Framework: In Defence of Science and Rationality [Anmerkung: Der Herausgeber M.A.Notturno weist im Epilog zum Buch darauf hin, dass die Beiträge zum Buch schon in den 1970iger Jahren vorlagen!] hatte sich Popper mit diesem Phänomen auch auseinandergesetzt, allerdings nicht von der ‚Entstehung‘ her (wie kommt es zu diesen Weltbildern), sondern vom ‚Ergebnis‘ her, sie sind jetzt da, sie sind verschieden, was machen wir damit? [Siehe eine Diskussion des Artikels von Popper als Teil des Beitrags].

Angeregt von diesen Fragen und vielen weiteren Ideen aus den vorausgehenden Einträgen in diesem Blog ergeben sich die folgenden Notizen.

II. DER ‚BIG BANG‘ HÖRT NIE AUF …

Die Geschichte beginnt im Alltag. Wenn man in die Gegenwart seines Alltags eingetaucht ist, eingelullt wird von einem Strom von scheinbar selbstverständlichen Ereignissen, dann kann man leicht vergessen, dass die Physik uns darüber belehren kann, dass dieser unser Alltag eine Vorgeschichte hat, die viele Milliarden Jahre zurück reicht zur Entstehung unserer Erde und noch viel mehr Milliarden Jahre bis zum physikalischen Beginn unseres heute bekannten Universums. Obgleich dieses gewaltige Ereignis mitsamt seinen gigantischen Nachwirkungen mehr als 13 Milliarden Jahre zurück liegt und damit — auf einer Zeitachse — längst vorbei ist, passé, gone, … haben wir Menschen erst seit ca.50 – 60 Jahren begonnen, zu begreifen, dass das Universum in einer Art ‚Urknall‘ ins physikalische Dasein getreten ist. Was immer also vor mehr als 13 Milliarden Jahren geschehen ist, wir selbst, wir Menschen als Exemplare der Lebensform homo sapiens, haben erst vor wenigen Jahrzehnten ‚gelernt‘, dass unsere aktuelle Gegenwart bis zu solch einem Ereignis zurück reicht. Das reale physikalische Ereignis ‚Big Bang‘ fand also erst viele Milliarden Jahre später in den Gehirnen und damit im Bewusstsein von uns Menschen (zunächst nur wenige Menschen von vielen Milliarden) statt. Erst im schrittweisen Erkennen durch die vielen tausend Jahre menschlicher Kultur entstand im Bewusstsein von uns Menschen ein virtuelles Wissen von etwas vermutet Realem. Das reale Ereignis war vorbei, das virtuelle Erkennen lies es viel später in einem realen Erkenntnisprozess virtuell wieder entstehen. Vorher gab es dieses Ereignis für uns Menschen nicht. So gesehen war das Ereignis indirekt ‚gespeichert‘ im physikalischen Universum, bis diese Erkenntnisprozesse einsetzten. Welch gigantische Verzögerung!

III. OFFENBARUNG

Der Begriff ‚Offenbarung‘ ist durch seine Verwendung in der zurückliegenden Geschichte sehr belastet. Vor allem die großen Religionen wie Judentum, Christentum und Islam haben durch ihre Verwendung des Begriffs ‚Offenbarung‘ den Eindruck erweckt, dass Offenbarung etwas sehr Besonderes sei, die Eröffnung von einem Wissen, das wir Menschen nicht aus uns selbst gewinnen können, sondern nur direkt von einem etwas, das mit der Wortmarke ‚Gott‘ [die in jeder Sprache anders lautet] gemeint sei. Nur weil sich dieses etwas ‚Gott‘ bestimmten, konkreten Menschen direkt zugewandt habe, konnten diese ein spezielles Wissen erlangen, das diese dann wiederum ‚wortwörtlich‘ in Texten festgehalten haben, die seitdem als ‚heilige‘ Texte gelten.

Im Fall der sogenannten heiligen Schriften des Judentums und des Christentums hat intensive wissenschaftliche Forschung seit mehr als 100 Jahren gezeigt, dass dies natürlich nicht so einfach ist. Die Schriften sind alle zu unterschiedlichen Zeiten entstanden, bisweilen Jahrhunderte auseinander, wurden mehrfach überarbeitet, und was auch immer ein bestimmter Mensch irgendwann einmal tatsächlich gesagt hat, das wurde eingewoben in vielfältige Interpretationen und Überarbeitungen. Im Nachhinein — von heute aus gesehen also nach 2000 und mehr Jahren — zu entscheiden, was ein bestimmter Satz in hebräischer oder griechischer Sprache geschrieben, tatsächlich meint, ist nur noch annäherungsweise möglich. Dazu kommt, dass die christliche Kirche über tausend Jahre lang nicht mit den Originaltexten gearbeitet hat, sondern mit lateinischen Übersetzungen der hebräischen und griechischen Texte. Jeder, der mal Übersetzungen vorgenommen hat, weiß, was dies bedeutet. Es wundert daher auch nicht, dass die letzten 2000 Jahre sehr unterschiedliche Interpretationen des christlichen Glaubens hervorgebracht haben.

Im Fall der islamischen Texte ist die Lage bis heute schwierig, da die bisher gefundenen alten Manuskripte offiziell nicht wissenschaftlich untersucht werden dürfen [Anmerkung: Siehe dazu das Buch von Pohlmann (2015) zur Entstehung des Korans; eine Besprechung dazu findet sich  hier: ]. Die bisherigen Forschungen deuten genau in die gleiche Richtung wie die Ergebnisse der Forschung im Fall der jüdisch-christlichen Tradition.

Die Befunde zu den Überlieferungen der sogenannten ‚heiligen‘ Schriften bilden natürlich nicht wirklich eine Überraschung. Dies liegt eben an uns selbst, an uns Menschen, an der Art und Weise, wie wir als Menschen erkennen, wie wir erkennen können. Das Beispiel der empirischen Wissenschaften, und hier die oben erwähnte Physik des Universums, zeigt, dass alles Wissen, über das wir verfügen, im Durchgang durch unseren Körper (Sinnesorgane, Körperzustände, Wechselwirkung des Körpers mit der umgebenden Welt, dann Verarbeitung Gehirn, dann Teile davon im Bewusstsein) zu virtuellen Strukturen in unserem Gehirn werden, die partiell bewusst sind, und die uns Teile der unterstellten realen Welt genau so zeigen, wie sie im bewussten Gehirn gedacht werden, und zwar nur so. Die Tatsache, dass es drei große Offenbarungsreligionen gibt, die sich alle auf das gleiche Etwas ‚Gott‘ berufen, diesem Gott dann aber ganz unterschiedliche Aussagen in den Mund legen [Anmerkung: seit wann schreiben Menschen vor, was Gott sagen soll?], widerspricht entweder dem Glauben an den einen Gott, der direkt spricht, oder diese Vielfalt hat schlicht damit zu tun, dass man übersieht, dass jeder Mensch ‚Gefangener seines Erkenntnisprozesses‘ ist, der nun einmal ist, wie er ist, und der nur ein Erkennen von X möglich macht im Lichte der bislang bekannten Erfahrungen/ Erkenntnisse Y. Wenn jüdische Menschen im Jahr -800 ein X erfahren mit Wissen Y1, christliche Menschen in der Zeit +100 mit Wissen Y2 und muslimische Menschen um +700 mit Wissen Y3, dann ist das Ausgangswissen jeweils völlig verschieden; was immer sie an X erfahren, es ist ein Y1(X), ein Y2(X) und ein Y3(X). Dazu die ganz anderen Sprachen. Akzeptiert man die historische Vielfalt, dann könnte man — bei gutem Willen aller Beteiligten — möglicherweise entdecken, dass man irgendwie das ‚Gleiche X‘ meint; vielleicht. Solange man die Vielfalt aber jeweils isoliert und verabsolutiert, so lange entstehen Bilder, die mit Blick auf den realen Menschen und seine Geschichte im realen Universum kaum bis gar nicht zu verstehen sind.

Schaut man sich den Menschen und sein Erkennen an, dann geschieht im menschlichen Erkennen, bei jedem Menschen, in jedem Augenblick fundamental ‚Offenbarung‘.

Das menschliche Erkennen hat die Besonderheit, dass es sich bis zu einem gewissen Grad aus der Gefangenschaft der Gegenwart befreien kann. Dies gründet in der Fähigkeit, die aktuelle Gegenwart in begrenzter Weise erinnern zu können, das Jetzt und das Vorher zu vergleichen, von Konkretem zu abstrahieren, Beziehungen in das Erkannte ‚hinein zu denken‘ (!), die als solche nicht direkt als Objekte vorkommen, und vieles mehr. Nur durch dieses Denken werden Beziehungen, Strukturen, Dynamiken sichtbar (im virtuellen Denken!), die sich so in der konkreten Gegenwart nicht zeigen; in der Gegenwart ist dies alles unsichtbar.

In dieser grundlegenden Fähigkeit zu erkennen erlebt der Mensch kontinuierlich etwas Anderes, das er weder selbst geschaffen hat noch zu Beginn versteht. Er selbst mit seinem Körper, seinem Erkennen, gehört genauso dazu: wir wurden geboren, ohne dass wir es wollten; wir erleben uns in Körpern, die wir so nicht gemacht haben. Alles, was wir auf diese Weise erleben ist ’neu‘, kommt von ‚außen auf uns zu‘, können wir ‚aus uns selbst heraus‘ nicht ansatzweise denken. Wenn irgendetwas den Namen ‚Offenbarung‘ verdient, dann dieser fundamentale Prozess des Sichtbarwerdens von Etwas (zu dem wir selbst gehören), das wir vollständig nicht gemacht haben, das uns zu Beginn vollständig unbekannt ist.

Die Geschichte des menschlichen Erkennens zeigt, dass die Menschen erst nur sehr langsam, aber dann immer schneller immer mehr von der umgebenden Welt und dann auch seit kurzem über sich selbst erkennen. Nach mehr als 13 Milliarden Jahren erkennen zu können, dass tatsächlich vor mehr als 13 Milliarden Jahren etwas stattgefunden hat, das ist keine Trivialität, das ist beeindruckend. Genauso ist es beeindruckend, dass unsere Gehirne mit dem Bewusstsein überhaupt in der Lage sind, virtuelle Modelle im Kopf zu generieren, die Ereignisse in der umgebenden Welt beschreiben und erklären können. Bis heute hat weder die Philosophie noch haben die empirischen Wissenschaften dieses Phänomen vollständig erklären können (obgleich wir heute viel mehr über unser Erkennen wissen als noch vor 100 Jahren).

Zu den wichtigen Erkenntnissen aus der Geschichte des Erkennens gehört auch, dass das Wissen ‚kumulierend‘ ist, d.h. es gibt tiefere Einsichten, die nur möglich sind, wenn man zuvor andere, einfachere Einsichten gemacht hat. Bei der Erkenntnis des großen Ganzen gibt es keine ‚Abkürzungen‘. In der Geschichte war es immer eine Versuchung, fehlendes Wissen durch vereinfachende Geschichten (Mythen) zu ersetzen. Dies macht zwar oft ein ‚gutes Gefühl‘, aber es geht an der Realität vorbei. Sowohl das kumulierende Wissen selbst wie auch die davon abhängigen alltäglichen Abläufe, die Technologien, die komplexen institutionellen Regelungen, die Bildungsprozesse usw. sie alle sind kumulierend.

Aus diesem kumulierenden Charakter von Wissen entsteht immer auch ein Problem der individuellen Verarbeitung: während dokumentiertes und technisch realisiertes Wissen als Objekt durch die Zeiten existieren kann, sind Menschen biologische Systeme, die bei Geburt nur mit einer — wenngleich sehr komplexen — Grundausstattung ihren Lebensweg beginnen. Was immer die Generationen vorher gedacht und erarbeitet haben, der jeweils neue individuelle Mensch muss schrittweise lernen, was bislang gedacht wurde, um irgendwann in der Lage zu sein, das bisher Erreichte überhaupt verstehen zu können. Menschen, die an solchen Bildungsprozessen nicht teilhaben können, sind ‚Fremde‘ in der Gegenwart; im Kopf leben sie in einer Welt, die anders ist als die umgebende reale Welt. Es sind wissensmäßig Zombies, ‚Unwissende‘ in einem Meer von geronnenem Wissen.

Sollte also das mit der Wortmarke ‚Gott‘ Gemeinte eine Realität besitzen, dann ist der Prozess der natürlichen Offenbarung, die jeden Tag, in jedem Augenblick ein wenig mehr die Erkenntnis Y über das uns vorgegebene Andere ermöglicht, die beste Voraussetzung, sich diesem Etwas ‚X = Gott‘ zu nähern. Jede Zeit hat ihr Y, mit dem sie das Ganze betrachtet. Und so sollte es uns nicht wundern, dass die Geschichte uns viele Y(X) als Deutungen des Etwas ‚X = Gott‘ anbietet.

Empirisches Wissen, Philosophisches Wissen, religiöses Wissen kreisen letztlich um ein und dieselbe Wirklichkeit; sie alle benutzen die gleichen Voraussetzungen, nämlich unsere menschlicher Existenzweise mit den vorgegebenen Erkenntnisstrukturen. Niemand hat hier einen wesentlichen Vorteil. Unterschiede ergeben sich nur dadurch, dass verschiedenen Kulturen unterschiedlich geschickt darin sind, wie sie Wissen kumulieren und wie sie dafür Sorge tragen, dass alle Menschen geeignete Bildungsprozesse durchlaufen.

IV. VEREINIGTE MENSCHHEIT

Schaut man sich an, wie die Menschen sich auch nach den beiden furchtbaren Weltkriegen und der kurzen Blüte der Idee einer Völkergemeinschaft, die Ungerechtigkeit verhindern sollte, immer wieder — und man hat den Eindruck, wieder mehr — in gegenseitige Abgrenzungen und Verteufelungen verfallen, vor grausamen lokalen Kriegen nicht zurück schrecken, die Kultur eines wirklichkeitsbewussten Wissens mutwillig schwächen oder gar zerstören, dann kann man schon mutlos werden oder gar verzweifeln.

Andererseits, schaut man die bisherige Geschichte des Universums an, die Geschichte des Lebens auf der Erde, die Geschichte des homo sapiens, die letzten 10.000 Jahre, dann kommt man nicht umhin, festzustellen, dass es eine dynamische Bewegung hin zu mehr Erkenntnis und mehr Komplexität gegeben hat und noch immer gibt. Und wenn man sieht, wie wir alle gleich gestrickt und auf intensive Kooperation angewiesen sind — und vermutlich immer mehr –, dann erscheinen die Menschen eher wie eine Schicksalsgemeinschaft, wie ‚earth children‘, wie eine ‚Gemeinschaft von Heiligen kraft Geburt‘!

Das Wort ‚Heilige‘ mag alle irritieren, die mit Religion nichts verbinden, aber die ‚Heiligen‘ sind in den Religionen alle jene Menschen, die sich der Wahrheit des Ganzen stellen und die versuchen, aus dieser Wahrheit heraus — ohne Kompromisse — zu leben. Die Wahrheit des Ganzen ist für uns Menschen primär diese Grundsituation, dass wir alle mit unseren Körpern, mit unserem Erkennen, Teil eines Offenbarungsprozesses sind, der für alle gleich ist, der alle betrifft, und aus dem wir nicht aussteigen können. Wir sind aufeinander angewiesen. Anstatt uns gegenseitig zu bekriegen und abzuschlachten, also die ‚Bösen‘ zu spielen, wäre es näherliegender und konstruktiver, uns als ‚Heilige‘ zu verhalten, die bereit sind zum Erkennen, die bereit sind aus der Erkenntnis heraus zu handeln. Das alles ist — wie wir wissen können — nicht ganz einfach, aber es hat ja auch niemand gesagt, dass es einfach sei. Das Leben auf der Erde gleicht eher einem Expeditionschor, das im Universum an einer bestimmten Stelle gelandet ist, und jetzt den Weg zum Ziel finden muss. Wir brauchen keine TV-Reality-Shows, wir selbst sind die radikalste Reality-Show, die man sich denken kann. Und sie tritt gerade in eine sehr heiße Phase ein [Anmerkung: … nicht nur wegen des Klimas 🙂 ].

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KOSMOLOGIE UND DER GLAUBE AN GOTT. Anmerkungen zu einem Artikel von A.Fink

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Zusammenfassung

Ausgehend von einem Artikel von A.Fink werden hier einige Gedanken geäußert, die sich auf die Art und Weise beziehen, wie der Begriff Gott in diesem Artikel benutzt wird. Dies reicht bis hin zu den Grundannahmen unseres menschlichen Erkennens.

I. Kontext

Durch einen Hinweis wurde ich aufmerksam auf den Artikel von Alexander Fink (2017) [Fink:2017] zur Themenstellung Kosmologie und der Glaube an Gott. Diese Themenstellung, geschrieben aus einer christlichen Perspektive, erscheint mir interessant, da im Kontext dieses Blogs das Verhältnis von Philosophie und Wissenschaft zur Debatte steht, hierin speziell fokussiert auf die Frage der möglichen Symbiose von Menschen und intelligenten Maschinen in der Zukunft. Während das Konzept intelligente Maschine vergleichsweise einfach erscheint, bietet das Konzept Mensch unfassbar viele komplexe Fragestellungen. Unter anderem auch deswegen, da wir heute immer mehr zu erkennen meinen, dass der heutige Mensch das Ergebnis einer komplexen Entstehungsgeschichte ist, sowohl des Universums als ganzem wie auch der komplexen Evolution des Lebens innerhalb der Entwicklung des Universums. Seit dem Auftreten des Menschen als homo sapiens hat der Mensch immer komplexere Umgebungen geschaffen, zu denen neben Weltbildern zur Weltdeutung neuerdings auch intelligente Maschinen gehören, die seine selbst geschaffene Umwelt weiter anreichern.

Im Bereich der Weltbilder wird heute im Bereich der Wissenschaften gewöhnlich unterschieden zwischen sogenannten wissenschaftlichen Bildern der Welt — wissenschaftliche Theorie genannt — und solchen Überzeugungen, die Menschen in ihrem Alltag zwar auch benutzen, die aber nach den methodischen Prinzipien der empirischen Wissenschaften nicht als überprüfbar gelten. Daraus muss allerdings nicht denknotwendig folgen, dass diese Überzeugungen im nicht-wissenschaftlichen Format von vornherein falsch sind.

Ein prominenter Bereich solcher im Alltag verhafteter Überzeugungen ohne eine direkte wissenschaftliche Unterstützung ist der Bereich der religiösen Überzeugungen und der religiösen Erfahrungen, hier speziell die Auffassung, dass die bekannte Wirklichkeit auf ein — letztlich nicht genau beschreibbares — höheres Wesen zurückgeht, das mit unterschiedlichsten Namen Gott genannt wird. [Anmerkung: An dieser Stelle die Wortmarke ‚Gott‘ zu benutzen ist ein eher hilfloses Unterfangen, da in den verschiedensten Religionen und Kulturen ganz verschiedene Wortmarken benutzt werden, von denen nicht ohne weiteres klar ist, was sie meinen und ob sie von daher miteinander überhaupt vergleichbar sind. Die großen religionswissenschaftlichen Untersuchungen legen allerdings die Hypothese nahe, dass zumindest die großen Religionen wie Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum und Islam (mit jeweils vielen Spielarten) letztlich einen gemeinsamen Gottesbegriff haben, sofern es darum geht, wie in diesen Religionen Gott von den einzelnen Menschen erfahren wird. Im Glauben versuchen jene Menschen, die sich ‚Gläubige‘ nennen, diesem höchsten Wesen ‚Gott‘ Rechnung zu tragen, im Alltag und speziell im Lichte wissenschaftlicher Überzeugungen ist dann oft wenig oder gar nicht klar, wie sich denn die bekannte Wirklichkeit (einschließlich des Menschen selbst) zu dem höchsten Wesen des Glaubens verhält.]

An dieser Stelle versucht der Artikel von Fink einen Antwort zu geben für den speziellen Bereich physikalische Sicht des Universums auf der einen Seite und christlicher Glaube an einen Schöpfergott andererseits.

II. Fink – Denkrahmen

Der Artikel ist gut lesbar geschrieben und stellt ziemlich umfassend die Fakten zusammen, die die heutige Physik zur Beschaffenheit, Entstehung und Dynamik des physikalischen Universum zusammengetragen hat, ohne dabei in technische Details abzugleiten. Von daher ist es sicher ein Gewinn, wenn jemand diesen Artikel liest.

Im Artikel zeigen sich dabei grob zwei Argumentationslinien: (i) Die physikalischen Fakten, die das heutige Bild des physikalischen Universums konstituieren, und (ii) die Ansatzpunkte für eine Deutung der physikalischen Fakten im Lichte eines vorausgesetzten christlichen Glaubens an ein bestimmtes Bild eines Schöpfergottes.

A. Physikalische Fakten

Als physikalische Fakten werden z.B. genannt die räumliche Ausdehnung des Universums; eine Größe, die die alltägliche Vorstellung von räumlichen Verhältnissen jenseits alles Vorstellbaren sprengen. Dazu die zeitliche Dauer der ganzen Prozesse, die auch sowohl im ganz Großen von Milliarden Jahren sich der Vorstellung entzieht wie auch im ganz Kleinen, zu Beginn der Entstehung des bekannten Universums; hier gerät man in Größenordnungen von 10^-44 Sekunden. Die Präzision der Feinabstimmung der bekannten physikalischen Parameter, damit das Universum genau die heute bekannte Struktur und Eigenschaften angenommen hat, und nicht nirgend eine der unendlich vielen anderen Möglichkeiten.[Anmerkung: So nennt Fink z.B. für die Abstimmung der dunklen Energiedichte zur gravitativen Energiedichte eine Größenordnung von 1:10^60, für das Verhältnis von Gravitation zur elektromagnetischen Kraft eine Genauigkeit von 1:10^40]. Dazu kommen Erkenntnisse zu den Besonderheiten der Erdchemie, wie z.B. die außergewöhnlichen Fähigkeiten von Kohlenstoff im Vergleich zu anderen chemischen Verbindungen (wie z.B. Silizium), sowie die vielseitigen Eigenschaften des Wassermoleküls. Er verweist ferner auf die das Leben begünstigende Konstellation des Erd-Sonnensystems, auf die geschützte Position des Erd-Sonnensystems innerhalb der Milchstraße, sowie auf die Funktion des Magnetfeldes, und einiges mehr.

Obgleich Fink das Phänomen des biologischen Lebens mit seiner komplexen Evolutionsgeschichte weitgehend ausblendet, bieten schon die genannten physikalischen Fakten im engeren Sinne viele Ansatzpunkte, um Deutungen vornehmen zu können.

B. Physik und Gott

Während Fink im Falle der Physik ansatzweise die historische Entstehung der physikalischen Bilder anspricht, vermisst man diese im Fall der Auffassung von Gott als Schöpfer. Ohne historische Herleitung aus der Geschichte des christlichen Glaubens stellt Fink einfach fest, dass das mit der Wortmarke ‚Gott‘ Gemeinte einen freien Willen habe, rational denke und sich zuverlässig verhalte. Dies sei die tiefere Ursache dafür, dass das Universum für die menschlichen Forscher gesetzmäßig erscheine, d.h. man kann es mit rationalen Mitteln erforschen. Die hier zur Verwendung kommenden Begriffe (freier Wille, rational, zuverlässig) sind Begriffe, die im Kontext der menschlichen Welterfahrung eine gewisse — wenngleich vage — Bedeutung haben. Wendet man sie aber ohne weitere Erläuterungen direkt auf ein unbekanntes Etwas an, das irgendwie hinter und in dem ganzen Universum stehen soll, ist es nicht direkt nachvollziehbar, was diese Begriffe in diesem umfassenden Kontext bedeuten können.

Zusätzlich zu der allgemeinen Verstehbarkeit des physikalischen Universums verweist Fink auch auf jene Momente hoher Unwahrscheinlichkeit, die bei der Wahl der Parameter am Werk zu sein scheinen und die er als Argument für eine mögliche Zielgerichtetheit der ganzen Entwicklung des Universums sieht, die er wiederum als Argument für den als rationalen zuverlässigen Schöpfer mit freiem Willen angenommen hatte. Dieser Schöpfergott hat also zusätzlich noch einen Plan.

III. Kritische Anmerkungen

A. Gottesbilder

In diesem Blog gibt es mehrere Beiträge, die sich mit dem Problem beschäftigt haben, die Bedeutung der Wortmarke ‚Gott‘ in ihrer historischen Vielfalt klären zu können.

Schränkt man die Frage ein auf die christliche Tradition, so hat man es immerhin mit mittlerweile fast 2000 Jahren Interpretationsgeschichte zu tun, dazu die jüdische Vorgeschichte und die vielfältigen Wechselwirkungen mit den umgebenden Gesellschaften und Kulturen im Laufe der Jahrhunderte. Dazu kommen die diversen Aufspaltungen der christlichen Tradition in Traditionen mit unterschiedlichen Schwerpunkten (West zu Ost, Katholisch und Protestantisch, dazu viele Unterarten). In dieser gewaltigen und vielschichtigen Tradition zu sagen, was die christliche Meinung zum Schema Schöpfergott sei, erscheint fast unmöglich. Natürlich kann man sich auf einzelne Autoren beschränken oder auf speziell ausgezeichnete Lehrmeinungen, aber inwieweit diese dann als die christliche Auffassung gelten können, erscheint doch eher fraglich.

Geht man auf die historisch frühen Quellen zurück, zu den sogenannten heiligen Schriften des Neuen Testamentes, das vielfältig Bezug nimmt auf das Alte Testament, so wird die Lage nicht unbedingt einfacher. Zeigen doch gerade die 2000 Jahre andauernden Interpretationsversuche, dass es offensichtlich keine zwingend eindeutige Interpretation zu geben scheint, wie sonst hätte es sonst zu den vielen unterschiedlichen Interpretationen kommen können.[Anmerkung: Untersucht man nur die vielfältigen Übersetzungen vom Hebräischen ins Griechische und Lateinische, vom Lateinischen in die vielen Alltagssprachen, vom Griechischen in die vielen Alltagssprachen, dann sieht man schon auf dieser ersten Kodierungsstufe von möglichen Bedeutungen, dass es schon an der Wurzel keine eindeutige Bedeutung gibt.]

Aufgrund der Erkenntnisse zu der Art und Weise wie Sprache funktioniert, wie Menschen Wahrnehmen, Erinnern, Denken und kommunizieren, kann man seit mehr als 100 Jahren immer besser verstehen, warum Texte als solche keine zwingenden Botschaften enthalten können! Es gibt zwar zu allen Zeiten viele Menschen, die das behaupten und glauben, aber die reale Funktion von Sprache und menschlichem Erkennen können solche — oft fundamentalistisch genannten — Auffassungen als grob falsch erweisen.

Für Menschen, die ernsthaft Sicherheit und Wahrheit suchen, sind diese neuen Erkenntnisse beunruhigend; nicht wenige lehnen sie daher ab. Dies hilft aber nicht weiter. Wir müssen uns den Tatsachen stellen, dass unsere Suche nach Wahrheit und Sicherheit nicht so einfach durch Bezug auf irgendeinen Text eingelöst werden kann, und mag er von manchen Menschen als noch so heilig bezeichnet werden.

Menschen, die sich gegen diese neuen Erkenntnisse zur Natur von sprachlichem Verstehen und Verstehen wehren, machen oft nach einen weiteren Fehler: aus der Tatsache der Unmöglichkeit einer direkten absoluten Erkenntnis aus einem Text heraus folgern sie oft, dass es dann ja überhaupt keine Wahrheit geben würde. Dieser weitreichende Schluss folgt aus der Relativierung von Texten und sprachlicher Bedeutung nicht zwingend.

Wenn jemand im Lichte des modernen Wissens die allzu einfache Deutungen sogenannter heiliger Texte in Frage stellt, sie kritisiert, dann bedeutet dies zunächst nur, dass man sich ein paar mehr Gedanken machen muss als bisher, wie man die Wirklichkeit insgesamt deuten kann. Die Kritik an einer nativen und unkritischen Verwendung eines Gottesbegriffes, eines bestimmten, sehr menschlichen Bildes von einem Schöpfergott, muss daher nicht notwendigerweise heißen, dass man damit das damit Gemeinte (eine irgendwie geartetes Etwas, was hinter und in allem steckt/ wirkt/ …) als solches in Frage stellt oder zerstört. Wenn es tatsächlich so etwas wie ‚Gott‘ geben sollte (mag man es nun glauben oder nicht), dann würde die Existenz und die Art und Weise dieses Gotes mit Sicherheit nicht davon abhängen, ob ein paar Exemplare des homo sapiens darüber sprechen, und wie sie darüber sprechen. Allerdings kann es für uns, die wir uns als Exemplare des homo sapiens ansehen, möglicherweise einen Unterschied machen, ob und wie wir über dieses Thema reden.

B. Bilder der Welt

Aktueller Denkrahmen unter Berücksichtigung von empirischen Wissenschaften und Philosophie
Aktueller Denkrahmen unter Berücksichtigung von empirischen Wissenschaften und Philosophie

Bei der kritischen Diskussion des Artikels von Fink spielen eine Reihe von Faktoren eine Rolle. Einige im Zusammenhang mit der Verwendung der Wortmarke ‚Gott‘ wurden im vorausgehenden Abschnitt angesprochen. Weitere sollen jetzt hier angesprochen werden. Das Schaubild oben kann dazu vielleicht hilfreich sein.

1) Evolution

Aus den letzten ca. 100 Jahren konnten wir lernen, dass wir Menschen Teil eines Entwicklungsprozesses sind, die die Biologen als Evolution des biologischen Lebens bezeichnen. Ferner konnte die Struktur und die Entwicklung des bekannten physikalischen Weltalls soweit aufgehellt werden, dass auch das Zusammenspiel von Sternentwicklung und Entstehung von biologischem Leben auf der Erde viele neue, tiefe Einsichten ermöglicht hat.

2) Empirisches Wissen

Dies alles wurde möglich, weil die Menschen gelernt haben, wie man Bilder von der Welt in einer methodisch kontrollierten Weise so konstruiert, dass sie auf transparenten, reproduzierbaren Messoperationen aufbauen. Für die Interpretation dieser Messwerte wird eine mathematische Sprache benutzt, die zusammen mit einer formalen Logik die Möglichkeit bietet, Regelmäßigkeiten und Strukturen zu formulieren, sofern sie in der Gesamtheit der Messwerte vorliegen. Die Geltung der formalen Strukturen ist hier entscheidbar zurückgebunden an die Messwerte.[Anmerkung: Diese Rückbindung ist zentral, da die mathematische Sprache es erlaubt, beliebig viele Regelmäßigkeiten und Strukturen zu formulieren. Ob eine von diesen möglichen Strukturen tatsächlich etwas beschreibt, was mit der umgebenden Wirklichkeit korrespondiert, können nur vorzeigbare Messwerte entscheiden. Diese Form von Wissens nennt man gewöhnlich empirisches Wissen oder eine empirische Theorie.]

3) Wirklichkeit und Mathematik

Die Entwicklung und Nutzung von empirischem Wissen stellt viele neue Fragen zur Natur des menschlichen Erkennens, die weitgehend noch ungeklärt sind. So ist es eine bemerkenswerte Tatsache, dass die umgebende Wirklichkeit sich mit den Mitteln einer extrem einfachen mathematischen Sprache und formalen Logik beschreiben lässt.[Anmerkung: Man kann zwar mit der mathematischen Sprache sehr komplexe Ausdrücke aufbauen, doch die Sprache selbst, mit der dies geschieht, ist in ihren Grundelementen extrem einfach. Es ist keine andere Sprache bekannt, die genauso einfach oder gar noch einfacher ist.] Bislang ist nicht zu sehen, dass es irgendein Phänomen in der erfahrbaren Welt geben könnte, was sich mit dieser mathematischen Sprache nicht beschreiben lässt, es sei denn, das Phänomen selbst, das beschrieben werden soll, ist ‚in sich‘ nicht klar.

4) Virtualität und Wahrheit

Ferner wissen wir heute, dass unser bewusstes Wissen, ein funktionierendes Gehirn voraussetzt, das selbst keinen Kontakt mit der realen Welt hat. Dennoch produziert es aufgrund von Sinnesdaten von außerhalb und von innerhalb des Körpers — und im Zusammenspiel mit einem Gedächtnis — beständig virtuelle Bilder einer Welt da draußen so, dass wir in unserem Bewusstsein die virtuellen Bilder als real erleben und als real deuten. Unsere menschliche Erkenntnis ist also ein als real erlebtes virtuelles Bild einer Welt ‚da draußen‘, die wir tatsächlich niemals direkt erleben werden. Wie können wir dann jemals erkennen was wahr ist, wenn Wahrheit verstanden würde als die Übereinstimmung von etwas Gedachtem mit etwas Realem?

Diese Frage springt sofort über zu dem zuvor eingeführten Konzept des empirischen Wissens. Ist es doch gerade ein Dogma des empirischen Wissens, dass dieses sich direkt mit der realen, objektiven Welt beschäftige im Gegensatz zu anderen Wissensformen. Wenn der Mensch nun grundsätzlich gar keinen direkten Kontakt zur sogenannten realen Wel haben kann, wie kann es dann empirische Wissenschaft geben?

Die Antwort ist relativ einfach. Unser bewusstes Wissen ist zwar quasi Wissen aus zweiter Hand, d.h. von einem Gehirn generiert, das im Körper fest sitzt, aber von all den Phänomenen des Bewusstseins (PH), die dieses Gehirn erzeugt, gibt es eine echte Teilmenge von solchen Phänomenen PH_EMP, die aus jenen sensorischen Erregungsmustern gewonnen werden, die von den externen Sensoren (Augen, Ohren, Tastorgane, …) gewonnen werden. Für uns sind sie zwar abgeleitete, virtuelle Ereignisse, aber sie korrespondieren mit Ereignissen in der unterstellten Außenwelt. Sofern Wissenschaftler empirische Messprozesse vereinbaren, gibt es Messprozesse, die unabhängig vom Denken eines einzelnen Menschen gestartet und gestoppt werden können. Diese Messprozesse liefern Ereignisse, die mit externen Sinnesorganen registriert werden können, und zwar von allen, die diese Messprozesse wiederholen. Im Bewusstsein der beteiligten empirischen Wissenschaftler haben dieses Messergebnisse zwar weiterhin nur den Status von virtuellen Ereignissen, generiert vom Gehirn, aber diese Ereignisse lassen sich mit Messprozessen wiederholen, die alle Beteiligten in hinreichend gleicher Weise erleben können. Durch diese spezielle Maßnahme können Menschen ihr virtuelles Gefängnis methodisch partiell öffnen; nicht wirklich, aber für eine  empirische Form des Erkennens praktikabel. Wir haben also die echte Teilmenge der empirischen Phänomene PH_EMP c PH, die sich partiell mit Ereignissen in der angenommenen Außenwelt (W) zusammen mit anderen parallelisieren lässt.[Anmerkung: Es ist erstaunlich, wie lange die Menschen als homo sapiens gebraucht haben, bis sie diesen ‚Trick‘ entdeckt haben. Allerdings, selbst heute (2017) scheint es noch genügend viele Menschen zu geben, die diesen Zusammenhang immer noch nicht verstehen (selbst solche, die sich empirische Wissenschaftler nennen).]

Das Potential des empirischen Wissens für das Erkennen und Verstehen der umgebenden Welt ist enorm, und seine Auswirkungen neben dem reinen Verstehen im Bereich der technologischen Anwendungen erscheint schon jetzt schier unendlich.

5) Schwache Akzeptanz von Empirischem Wissen

Nicht wirklich geklärt erscheint das Verhältnis des empirischen Wissens zu den anderen Wissensformen, speziell auch zu den alten religiösen Überzeugungen, die für die meisten auch ein Stück Welterklärung waren bzw. noch sind.

In dieser Differenz von realen Erklärungsleistungen auf der einen Seite (bei aller Begrenztheit) und den vielen unwissenschaftlichen Bildern der Welt, liegt eines der vielen Probleme der Gegenwart. Der Anteil der Menschen, die empirisches Wissen nicht verstehen oder gar offen ablehnen, liegt in Ländern mit hoher Technologie aufgrund von offiziellen Untersuchungen bei ca. 20 – 30\%; betrachtet man aber seine eigene Umgebung, einschließlich der Menschen mit mindestens einem akademischen Abschluss, dann kann man den Eindruck gewinnen, dass es vielleicht umgekehrt nur 10-20\% der Menschen sind, die überhaupt verstehen, was empirisches Wissen ist. Dies ist eine sehr beunruhigende Zahl. Damit ist nicht nur der bisherige Wissensstand langfristig bedroht, sondern die Ansatzpunkte für eine Versöhnung von empirischem und nicht-empirischen Wissen werden noch schwerer.

6) Philosophie des Empirischen Wissens fehlt

Um die Problemstellung noch zu verschärfen, muss man auch auf den Sachverhalt hinweisen, dass es selbst innerhalb des empirischen Wissens große, ungelöste Probleme gibt. Dies resultiert aus der historischen Entwicklung, dass zwar mit Begeisterung immer mehr Phänomene der umgebenden Welt untersucht worden sind, das daraus resultierende empirische Wissen wurde aber nicht in allen Fällen systematisch zu einer vollen empirischen Theorie ausgebaut. Vielleicht muss man sogar sagen, dass die Physik aktuell die einzige empirische Disziplin zu sein scheint, die nicht nur vollständige empirische Theorien entwickelt hat, sondern die ihre eigene Entwicklung der Tatsache verdankt, dass ganze Theorien kritisiert und dadurch weiter entwickelt werden konnten.

Betrachtet man Gebiete wie z.B. die Gehirnwissenschaft, die Psychologie, die Soziologie, die Wirtschaftswissenschaften, die Biologie, dann muss man allerdings berücksichtigen, dass der wissenschaftliche Gegenstand dieser Disziplinen (sofern sie sich als empirische Disziplinen verstehen wollen), ungleich komplexer ist als die Physik. Der wissenschaftliche Gegenstand der Physik erscheint komplex, da wir hier bislang die meisten vollen Theorien haben, aber tatsächlich ist das Gegenstandsgebiet der anderen genannten Disziplinen unendlich viel komplexer. Dies resultiert aus der unfassbaren Komplexität des Phänomens biologisches Leben, das sowohl in den Grundformen der einzelnen biologischen Zellen, wie dann erst recht in der Interaktion von Billionen (10^12) von Zellen in einem einzelnen Organismus wie einem homo sapiens vorliegt; dazu kommen die Wechselwirkungen zwischen allen biologischen Lebensformen, nicht nur beim homo sapiens, der die Erde zur Zeit auf vielfache Weise mit sekundären komplexen Artefakten überzieht, die dynamisch sind.

7) Empirisches Wissen und Gott

Wenn man all dies weiß, wenn man sowohl um die Begrenztheit des empirischen Wissens weiß und um die Problematik der rechten Verwendung der Wortmarke ‚Gott‘, dann stellt sich die Frage, wie kann ein Mensch in der heutigen Welt noch an ein — wie auch immer geartetes — ‚höheres Wesen in und hinter allem‘ glauben? Kann man es überhaupt noch? Und falls ja, wie?

Hält man sich die Vielfalt der religiösen Anschauungen und Praktiken vor Augen, die es im Laufe der letzten Jahrtausende gegeben hat und ganz offensichtlich immer noch gibt, dann könnte man im ersten Moment völlig entmutigt werden angesichts dieser Fülle: was davon soll jetzt sinnvoll und richtig sein?

Die modernen Religionswissenschaften und vergleichenden Kulturwissenschaften haben einiges getan, um Ähnlichkeiten und Unterschiede in diesem Meer der Phänomene heraus zu arbeiten. Sehr beeindruckend fand ich das Buch von Stace (1960), der auf der Basis von vielen vergleichenden Untersuchungen eine sehr detaillierte philosophische Analyse durchgeführt hat, die sich auf den Kern religiöser Überzeugungen fokussiert hat, auf die religiösen Erfahrungen.[Anmerkung: Siehe dazu die Diskussion dieses Buches, Teil 3]

Seine Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass es bei aller Verschiedenheit der religiösen Ausdrucksformen und Formulierungen durch alle Zeiten hindurch und quer zu allen religiösen Formen so etwas wie einen gemeinsamen Erfahrungskern zu geben scheint, der für den Menschen als Menschen charakteristisch scheint, und der nicht an irgendwelche Texte oder lokale Traditionen gebunden ist. Dass es dennoch zu unterschiedlichen Formulierungen und unterschiedlichen Interpretationen kommen konnte liegt in der Analyse von Stace (und auch im Lichte dieses Textes; siehe die vorausgehenden Abschnitte), einzig daran, dass der Mensch nicht nur konkrete Sinneserfahrungen hat, sondern zugleich immer auch von seinem angelernten Wissen aus diese Sinneserfahrungen interpretiert. Unser Gehirn arbeitet so, dass es uns (was eigentlich sehr gut ist) alle unsere sinnlichen Erfahrungen sofort im Lichte der gespeicherten Erfahrungen interpretiert. Da die Menschen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Dinge gelernt haben, dazu verpackt in eine der vielen zehntausenden (oder mehr) Sprachen, erscheinen die gleichen Grunderfahrungen als tausende unterschiedliche Erfahrungen, obgleich sie — so scheint es — letztlich eine gleiche Grundstruktur haben.

Sollten diese Untersuchungen und Überlegungen stimmen, dann wären sogenannte religiöse Erfahrungen keine erfundene Spezialitäten von irgendwelchen abnormen Menschen, sondern gehören zur Grundstruktur, wie ein homo sapiens sich selbst und die ganze Welt erfährt. Einen grundsätzlichen Widerspruch zu empirischen Wissenschaften kann es dann nicht geben, da ja die empirischen Wissenschaften nicht grundsätzlich die Erfahrungen von Menschen verneinen, sondern sich nur für bestimmte — nämlich die empirischen — Untersuchungen auf einen Teilbereich der verfügbaren virtuellen Phänomene des Bewusstseins beschränken.

Interessant ist, dass die empirischen Wissenschaften, obwohl sie sich methodisch beschränken, indirekt einen fundamentalen Beitrag zur Möglichkeit von trans-empirischen Erfahrungen geleistet haben. Die fortschreitenden Erkenntnisse im Bereich der Struktur der Materie (Atomphysik, Kernphysik, Quantenphysik, …) führen uns vor Augen, dass der alltägliche Eindruck der Abgeschlossenheit und Endlichkeit der menschlichen Körper ein — womöglich schwerwiegender — Trugschluss ist. Die scheinbar so abgeschlossenen endlichen menschlichen Körper bestehen ja nicht nur aus Billionen von eigenständigen Zellen, die eigenständig miteinander kommunizieren, sondern diese Zellen bestehen ja aus chemischen Molekülen, diese aus Atomen, und diese — wie die Physik uns lehrt — aus komplexen subatomaren Teilchen und Interaktionsverhältnissen, die permanent in Wechselwirkung stehen zu allem, was sich in einem Umfeld befindet, das viele Lichtjahre betragen kann. Hier stellen sich viele — weitgehend ungeklärte — Fragen.

Eine dieser ungeklärten Fragen betrifft das Verhältnis von Bewusstsein und diesen subatomar vorhandenen Ereignissen. Wieweit können sich diese Ereignisse direkt im Bewusstsein niederschlagen?

Eine andere Frage betrifft die Erfahrbarkeit von etwas, das wir ‚Gott‘ nennen. Durch alle Zeiten und Kulturen berichten Menschen von spezifischen Erfahrungen, die für diese Menschen über die Erfahrungen des Alltags hinaus weisen, ohne dass sie dafür plausible Erklärungen liefern können. Fakt ist nur, dass im Prinzip jeder Mensch diese Erfahrungen anscheinend machen kann (auch Tiere?). Ein Widerspruch zu empirischen Wissen muss hier nicht bestehen, im Gegenteil, die empirischen Wissenschaften liefern bislang die stärksten Argumente, dass dies im Prinzip nicht auszuschließen ist. Es fehlen allerdings bislang jegliche neue Deutungsmodelle. Die alten Deutungsmodelle sollte man eventuell vorläufig mit einem Fragezeichen versehen; möglicherweise versperren sie den Weg zu dem mit der Wortmarke ‚Gott‘ Gemeintem.

ZITIERTE QUELLEN


[Fin17] Alexander Fink. Kosmologie und der Glaube an Gott. Brennpunkt Gemeinde, 19(1):1–15, 2017.
[Sta60] W.T. Stace. Mysticism and Philosophy. Jeremy P.Tarcher, Inc., Los Angeles, 1st. edition, 1960.

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DIE ZUKUNFT WARTET NICHT – 2117 – PHILOSOPHISCHE WELTFORMEL – FAKE-NEWS ALS TODESENGEL

NACHTRAG: Mo, 13.März 2017

Wichtiger Nachtrag zum Komplexitätsbegriff, seinen Grenzen, und erweiterte  Diskussion zur ersten Periodisierung genannt ‚Emergent Life‘ (hauptsächlich ab Nr.25)

KONTEXT

  1. Der aktuelle Blogeintrag ist keine direkte Fortsetzung des letzten Eintrags, sondern schließt gedanklich eher an den vorletzten Beitrag an und ist von daher eher als eine Einleitung zu dem Blogeintrag über das Bewusstsein zu verstehen.
  2. Welche Themen jeweils in die Feder fließen hängt von vielerlei Faktoren ab. Generell natürlich schon von den übergreifenden Perspektiven des Blogs, dann aber auch von alltäglichen Ereignissen und Diskussionen. Dass es heute nun zu diesem sehr grundsätzlichen Beitrag gekommen ist, ist u.a. den intensiven Diskussionen mit Manfred Fassler geschuldet, der aufgrund seines Hintergrundes in Soziologie und Anthropologie die gesellschaftliche Dimension stark in die Überlegungen einbringt, während ich mich meist auf systemische Perspektiven fokussieren. Als ich versucht habe (während ich durch meine Grippe weitgehend ausgeschaltet war (und immer noch bin)), seine Aspekte mit meinen Überlegungen zusammen zu bringen, entstand schrittweise eine Struktur, ein Modell, das sich darstellt wie der Beginn einer philosophischen Weltformel, mit deren Hilfe man mit einem Male viele komplexe Einzelphänomene in die Logik eines übergeordneten Zusammenhangs einordnen kann (siehe Schaubild).

    Periodisierung der Evolution des Lebens mit dem Versuch eines systematischen Kriteriums
    Periodisierung der Evolution des Lebens mit dem Versuch eines systematischen Kriteriums

WELTFORMEL

  1. Den Begriff Weltformel kennen wir ja meist nur im Kontext der modernen Physik, die mit ihren Erklärungsmodellen zu immer umfassenderen Aussagen über das Universum kommen konnte, so umfassend, dass man tatsächlich geneigt ist, von einer Weltformel zu sprechen. Nun wissen wir aber, dass diese sogenannten Weltformeln der Physik bislang noch nicht wirklich alles erklären, geschweige denn nicht all jene Phänomene, die wir dem Bereich des biologischen Lebens zuordnen und den damit verbundenen immer komplexeren Phänomenen von Verhalten und menschlichen Gesellschaften. Es besteht auch wenig Aussicht, dass die physikalischen Weltformeln jemals zu einer völlig erschöpfenden Weltformeln werden könnte, weil schon rein mathematisch eine Theorie der Welt ohne jene, die die Theorie hervorbringen, seit Gödel 1931 entweder als grundsätzlich unvollständig oder unentscheidbar gilt.
  2. Ein anderes Hindernis besteht darin, dass die Physik als empirische Wissenschaft – wie alle anderen empirischen Disziplinen auch – schon vom Start weg nur einen kleinen Teil der möglichen Phänomene dieser Welt als Ausgangspunkt zulässt. Diese vorwissenschaftlich getroffene methodische Beschränkung auf die sogenannten intersubjektiven Phänomene, die sich mittels vereinbarter Messverfahren messen lassen, und zwar invariant mit Bezug auf den, der misst, hat sich zwar im großen und ganzen als sehr leistungsfähig erwiesen, aber anzunehmen, dass sich mit dieser methodisch eingeschränkten Phänomenmenge auf lange Sicht alles erklären lassen wird, auch das, was sich hinter den ausgeschlossenen Phänomenen verbirgt, dies ist eine vor-wissenschaftliche Annahme, für die es keinerlei Belege gibt. Die Zukunft wird zeigen, wie es sich mit diesem Ausschluss verhält.
  3. Ob es also die Physik sein wird, die uns die endgültige Weltformel liefern wird, oder doch eher die Philosophie, wird uns die Zukunft zeigen. Die Philosophie hat gegenüber der Physik (und auch gegenüber allen anderen empirischen Disziplinen), den methodisch großen Vorteil, dass die Philosophie alle anderen Disziplinen voraussetzen und einbeziehen kann. So kann ein Philosoph alle Fragmente und Entwürfe von Weltformeln der Physik nehmen und dann dazu ergänzend, erweiternd, begründend seine Weltformel formulieren. Alles, was in der Physik gilt, wird dann hier auch gelten, aber eventuell noch mehr.
  4. Die Überlegungen des Autors zu den Umrissen einer philosophischen Weltformel begannen nun aber gerade nicht so, dass er sich vor den Computer gesetzt hat und sich sagte, so, jetzt wird eine philosophische Weltformel geschrieben. Nein, so würde es auch nie funktionieren. Formeln, selbst die einfachsten, sind immer Ergebnisse von Denkprozessen, mehr oder weniger bewusst, mehr oder weniger schnell. Und eine Weltformel ist, wie man vermuten kann, wenn überhaupt, das Ergebnis von vielen Jahren Arbeit mit ganz vielen Inhalten. Und wie wir wissen, Zeit und Aufwand alleine garantieren auch keine Ergebnisse; sie können die Wahrscheinlichkeit erhöhen, etwas Interessantes zu finden, aber garantieren kann man es nicht.
  5. Das Ganze fing eher unscheinbar an. Unter dem Eindruck eines Telefonats mit Manfred Fassler begann der Autor zunächst für sich, eine Skizze jener Themen zu malen, die in diesem Blog seit 2007 aufgeschlagen sind (380 Beiträge von cagent und 52 Beiträge von cagent im Kontext der Werkstattgespräche). Er überlegte sich, ob man die Themen nach bestimmten inhaltlichen Kriterien und zeitlich ‚clustern‘ könnte. Was dabei herauskam das waren diese merkwürdigen Zylinderfiguren auf der linken Seite des Bildes.

ZEITLICHE EINTEILUNGEN

 

  1. Von oben – beginnend mit dem Big Bang – bis nach unten, zur Gegenwart, haben wir eine zeitliche Erstreckung von ca. 13.8 Mrd Jahren. Eine Einteilung hängt von vorausgehenden Kriterien ab, von einem Muster, Modell, von dem man annimmt, dass es die Menge der Ereignisse sinnvoll strukturiert.
  2. Wie man aus der Skizze ersehen kann, wurde solch eine Unterteilung vorgenommen.
  3. Im ersten Anlauf wurde versucht, mit einem Begriff der Komplexität zu arbeiten. Dahinter steht die Intuition, dass es sich bei den zu beschreibenden Ereignissen um Strukturen handelt, sich sich im Laufe der Zeit bildeten und die immer dichter wurden. Die aktuelle Unterteilung markiert solche Phasen, in denen hervorstechende Komplexitätssprünge zu verzeichnen sind.
  4. Bevor auf die Details dieser Betrachtung eingegangen wird, soll aber zunächst der benutzte Komplexitätsbegriff näher erläutert werden. Dabei sei schon hier angemerkt, dass sich im weiteren Verlauf herausgestellt hat, dass der gewählte Komplexitätsbegriff viel zu schwach ist, um jene Eigenschaften zu repräsentieren, von denen die heutige Biologie, Ethologie und Anthropologie (und möglicherweise viele weitere Disziplinen) sagen würden, dass sie als ‚wichtig‘ für das Phänomen angesehen werden.

KOMPLEXITÄT

 

  1. Vorab, es gibt in der Literatur keinen einheitlichen Komplexitätsbegriff. Im Laufe der Jahre habe ich einen eigenen Begriff von Komplexität entwickelt, den ich hier kurz vorstelle. Man kann ihn dann kritisieren oder übernehmen. Im Falle von Kritik wäre ich an Argumenten interessiert, um weiter lernen zu können, ihn vielleicht weiter zu entwickeln oder letztlich doch wieder zu verwerfen.
  2. Die Frage ist immer, mit welcher mentalen Brille man die Wirklichkeit sieht. Der berühmte Pessimist sieht überall die halbleeren Gläser, der Optimist die halbvollen. Der Tierschützer sieht überall, wie die Tiere leiden, der Chemiker sieht überall chemische Verbindungen am Werke, der Immobilienmakler potentielle Kaufobjekte, und so fort.
  3. Für die Frage der Komplexität besteht eine Möglichkeit darin, sich die mentale Brille der Systeme aufzusetzen. Mit der System-Brille besteht die Welt nur noch aus Systemen. Ein System ist Etwas, das sich von seiner Umgebung unterscheiden lässt. Diese Annahme impliziert, dass es rein abstrakt zwischen diesem unterscheidbaren Etwas und seiner Umgebung Wechselwirkungen geben kann. Sofern es um Einwirkungen auf das System geht sprechen wir einfach vom Input (I) des Systems und im umgekehrten Fall, wenn das System auf die Umgebung einwirkt, vom Output (O) des Systems. Rein abstrakt, auf der begrifflichen Ebene, hat ein System demgemäß immer einen Input und Output in Wechselwirkung mit seiner Umgebung; im konkreten, empirischen Fall, kann diese Wechselwirkung so schwach sein, dass sie sich nicht messen lässt. Dann ist die Wechselwirkung leer, oder 0 = I = O.
  4. Nimmt man ein bestimmtes System S als Bezugspunkt, dann kann man sagen, dass sich das System S auf Ebene/ Level 0 befindet. Alle Systeme, die sich mit Bezug auf das System S in seiner Umgebung befinden, wären dann auf der Ebene/ dem Level +1. Alle Systeme, die sich im System S befinden, finden sich auf Ebene/ Level -1. Sollte ein System S‘ sich auf Level -1 von System S befinden, also LEVEL(S‘,S,-1), und sollte das System S‘ selbst weiter Systeme S“ enthalten, dann lägen diese auf Level -2 von System S (und auf Level -1 zu System S‘).
  5. Beispiel: Vom menschlichen Körper wissen wir, dass er sich so betrachten lässt, dass er aus einer endlichen Anzahl von Körperorganen besteht (Level -1), die wiederum aus vielen Zellen bestehen (Level -2). Hier kann man entweder weitere Subeinheiten annehmen oder betrachtet diese Zellen als nächsten Bezugspunkt, von denen wir wissen, dass jeder Körperzelle wiederum aus einer Vielzahl von Systemen besteht (Level -3). Diese Betrachtung könnte man weiter fortsetzen bis zu den Molekülen, dann Atomen, dann subatomaren Teilchen, usw. Nimmt man die Umgebung menschlicher Körper, dann haben wir auf Level +1 andere menschliche Körper, Tiere, Pflanzen, Gebäude, Autos, Computer usw. Jedes dieser Systeme in der Umgebung ist selbst ein System mit inneren Systemen.
  6. Was bislang noch nicht gesagt wurde, ist, dass man anhand der Inputs und Outputs eines Systems sein Verhalten definiert. Die Abfolge von Inputs und Outputs konstituiert eine Folge von (I,O)-Paaren, die in ihrer Gesamtheit eine empirische Verhaltensfunktion f_io definieren, also f_io ={(i,o), …, (i,o)}, wobei man mit Hilfe einer Uhr (eine Maschine zur Erzeugung von gleichmäßigen Intervallen mit einem Zähler) jedem Input- und Outputereignis eine Zeitmarke zuordnen könnte.
  7. Während empirisch immer nur endlich viele konkrete Ereignisse beobachtet werden können, kann man abstrakt unendlich viele Ereignisse denken. Man kann also abstrakt eine theoretische Verhaltensfunktion f_th über alle möglichen denkbaren Input- und Outputereignisse definieren als f_th = I —> O. Eine empirische Verhaltensfunktion wäre dann nur eine Teilmenge der theoretischen Verhaltensfunktion: f_io c f_th. Dies hat Vorteile und Nachteile. Die Nachteile sind ganz klar: theoretisch spricht die Verhaltensfunktion über mehr Ereignisse, als man jemals beobachten kann, also auch über solche, die vielleicht nie stattfinden werden. Dies kann zu einer falschen Beschreibung der empirischen Welt führen. Demgegenüber hat man aber den Vorteil, dass man theoretisch über Ereignisse sprechen kann, die bislang noch nicht beobachtet wurden und die daher für Prognosezwecke genutzt werden können. Wenn die Theorie also sagen würde, dass es ein bestimmtes subatomares Teilchen mit der Beschaffenheit X geben müsste, was aber bislang noch nicht beobachtet werden konnte, dann könnte man aufgrund dieser Prognose gezielt suchen (was in der Vergangenheit auch schon zu vielen Entdeckungen geführt hat).
  8. Rein abstrakt kann man ein System SYS damit als eine mathematische Struktur betrachten, die über mindestens zwei Mengen Input (I) und Output (O) definiert ist zusammen mit einer Verhaltensfunktion f, geschrieben: SYS(x) genau dann wenn x = <I,O,f> mit f: I → O.
  9. Rein abstrakt gilt also, dass jedes System SYS auch weitere Systeme als interne Elemente besitzen kann, d.h. Jedes System kann Umgebung für weitere Systeme sein. Nennen wir die Gesamtheit solcher möglicher interner Systeme IS, dann müsste man die Strukturformel eines Systems erweitern zu SYS(x) gdw x = <I,O,IS,f> mit f: I x IS —> IS x O. Dies besagt, dass ein System mit weiteren internen Systemen IS in seinem Verhalten nicht nur abhängig ist vom jeweiligen Input I, sondern auch vom Output der jeweiligen internen Systeme. Aus beiden Inputs wir dann nicht nur der Systemoutput O ermittelt, sondern zugleich bekommen auch die internen Systeme einen Input (der diese internen Systeme u.U. So verändern kann, dass sie beim nächsten Mal ganz anders reagieren als vorher).
  10. In welchem Sinn könnte man nun sagen, dass ein System S komplexer ist als ein System S‘ (geschrieben S >~> S‘)?
  11. Es gibt jetzt verschiedene Möglichkeiten. Einmal (i) könnte die Anzahl der inneren Ebenen (-N) ein Ansatzpunkt sein. Ferner (ii) bietet sich die Anzahl der Systeme pro Ebene (|-n| mit n in N), ihre ‚Dichte‘, an. Schließlich (iii) macht es auch einen Unterschied, wie groß die Anzahl der möglichen verschiedenen Inputs-Outputs ist, die in ihrer Gesamtheit einen Raum möglicher Verhaltenszustände bilden (|I| x |O| = |f_io|). Rein mathematisch könnte man auch noch (iv) den Aspekt der Mächtigkeit der Menge aller Systeme einer Art SYS, also |SYS|, definieren und diese Menge – die in der Biologie Population genannt wird – als eine Art ‚Hüllensystem‘ S_pop definieren. Ein Hüllensystem wäre dann ein System, das ausschließlich Elemente einer bestimmten Art enthält. Ein Hüllensystem S_pop_a könnte zahlreicher sein als ein Hüllensystem S_pop_b, |S_pop_a| > |S_pop_b|, es könnte aber auch sein, dass sich die Mächtigkeit einer Population im Laufe der Zeit ändert. Eine Population mit einer Mächtigkeit |S_pop_x| = 0 wäre ausgestorben. Die Veränderungen selbst können Wachstumsraten und Sterberaten anzeigen.
  12. Im Folgenden nehmen wir hier an, dass ein System S komplexer ist als ein System S‘ (S >~> S‘), wenn S ein System im Sinne der Definition ist und entweder (i) mehr innere Ebenen enthält oder (ii) pro innere Ebene eine höhere Dichte aufweist oder aber (iii) der Raum möglicher Verhaltenszustände der beteiligten Systeme größer ist. Bei Gleichheit der Größen (i) – (iii) könnte man zusätzlich die Größe (iv) berücksichtigen.
  13. Beispiel: Die Milchstraße, unsere Heimatgalaxie, umfasst zwischen 150 und 400 Mrd. Sterne (Sonnen) und hat einen Durchmesser von ca. 100.000 bis 180.000 Lichtjahre. In einem einführenden Buch über die Mikrobiologie präsentiert Kegel als neueste Schätzungen, dass der menschliche Körper etwa 37 Billionen (10^12) Körperzellen umfasst, dazu 100 Billionen (10^12) Bakterien im Körper und 224 Mrd. (10^9) Bakterien auf der Haut. Dies bedeutet, dass ein einziger menschlicher Körper mit seinen Körperzellen rein quantitativ etwa 150 Galaxien im Format der Milchstraße entspricht (1 Zelle = 1 Stern) und die Bakterien darin nochmals etwa 400 Galaxien. Dies alles zudem nicht verteilt in einem Raum von ca. 550 x 100.000 – 180.000 Lichtjahren, sondern eben in diesem unserem unfassbar winzigen Körper. Dazu kommt, dass die Körperzellen (und auch die Bakterien) in intensiven Austauschprozessen stehen, so dass eine einzelne Zelle mit vielen Tausend, wenn nicht gar zigtausenden anderen Körperzellen kommuniziert (Hormone im Blut können können viele Milliarden Zellen adressieren). Diese wenigen Zahlen können ahnen lassen, mit welchen Komplexitäten wir im Bereich des Biologischen zu tun haben. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass ja die Zellen im Körper meist noch in funktionellen Einheiten organisiert sind mit weiteren Untereinheiten, so dass sich hier viele Ebenen finden lassen.

KOMPLEXITÄTSEREIGNISSE

 

  1. Unter Voraussetzung des bisherigen Komplexitätsbegriffs kann man nun die Ereignisse der biologischen Evolution mit diesem Begriff beschreiben und schauen, ob es irgendwann einen hervorstechenden Komplexitätssprung gibt, der möglicherweise den Beginn einer neuen Phase markiert.
  2. An dieser Stelle wird schon deutlich, dass die Wahl eines Komplexitätsbegriffs basierend auf Systemen möglicherweise noch zu schwach ist, um den zu beschreibenden Phänomenen gerecht zu werden. Den Begriff ‚Komplexitätssprung‘ kann man zwar formal definieren (es gibt immer viele Möglichkeiten), ob nun solch ein Konzept dann in der empirischen Realität aber genau das beschreibt, was wirklich dem Phänomen optimal entspricht, das kann sich letztlich nur am empirischen Ereignis selbst anschaulich entscheiden (im positiven Fall). Ein einfacher Ansatz wäre, einen Komplexitätssprung über den Begriff des minimalen Abstands zwischen zwei Komplexitäten S und S‘ zu definieren, und unter Einbeziehung ‚einer empirisch sinnvollen Konstante‘. Dann würde immer dann, wenn ein solcher Abstand gemessen werden kann, ein Komplexitätssprung vorliegt. Was wäre aber ein ‚empirisch sinnvoller Abstand‘ in biologischer Sicht?

PERIODISIERUNG

  1. Betrachtet man nach diesen Vorbemerkungen das Schaubild, dann kann man als ersten Abschnitt ‚Emergent Life‘ erkennen. Dies identifiziert die Zeit ab dem ersten nachgewiesenen Auftreten von biologischen Zellen, vor ca. 3.5 Mrd Jahren (nach neuesten Funden evtl. sogar schon ab 3.77 Mrd Jahren). Der Übergang von Molekülen zu sich selbst reproduzierenden Zellen markiert einen gewaltigen Komplexitätssprung.
  2. Man kann versuchen, den formalen Komplexitätsbegriff darauf anzuwenden. Nimmt man beispielsweise eine eukaryotische Zelle als System S, dann kann man typische Umgebungen ermitteln, interne Organisationslevel, die Dichte auf den Leveln sowie den Raum möglicher Verhaltenszustände von jedem beteiligten System. Nimmt man als Vergleich die strukturell einfacheren prokaryotischen Zellen (die als evolutionär älter gelten), dann kann man zu unterschiedlichen Werten kommen, die im Falle der prokaryotischen Zellen kleiner ausfallen. Im Unterschied zu einer Ansammlung von irgendwelchen Molekülen wird man noch größere Unterschiede feststellen. Will man diese strukturellen Unterschiede für eine Klassifikation nutzen, dann muss man sie gewichten. Ohne hier auf die Details einer solchen Gewichtung eingehen zu können (das wäre ein eigener riesiger Artikel) stellen wir hier einfach mal fest, dass gilt: S_eukaryot >~> S_prokaryot >~> S_molecule, wobei der ‚Abstand‘ zwischen den beiden Zelltypen deutlich kleiner ist als zwischen dem einfachen Zelltyp und einem einfachen Molekül, also Distance(S_eukaryot, S_prokaryot) < Distance(S_prokaryot, S_molecule).
  3. Unterstellen wir mal, alle Details vorausgehender Klassifikationen wären erfüllt. Was wäre damit erreicht? Wir wüssten schematisch, dass wir es mit drei verschiedenen Typen von Systemen zu tun hätte mit unterschiedlichen Levels, Input-Output-Räumen, unterschiedlichen Dichten … hätten wir damit aber irgendetwas von dem erfasst, was die evolutionäre Biologie, Molekularbiologie, Zellbiologie usw. bislang als charakteristisch für die biologische Zelle erkannt zu haben meint?
  4. Einige der wichtigen Eigenschaften werden informell so beschrieben: (i) Zellen haben eine erkennbare Struktur mit Wechselwirkungen zur Umgebung (insofern sind sie Systeme); (ii) sie sind in der Lage, Energie aus der Umgebung aufzunehmen und damit unterschiedliche chemische Prozesse zu moderieren; (iii) sie sind in der Lage, die Strukturen und Funktionen dieser Struktur in Form eines speziellen Moleküls zu kodieren (Bauplan, ‚Gedächtnis‘); (iv) sie können sich mit Hilfe des Bauplans reproduzieren, wobei die Reproduktion Abweichungen zulässt.
  5. Mindestens in diesen vier genannten Eigenschaften unterscheiden sich biologische Zellen von Molekülen. Der zuvor eingeführte Komplexitätsbegriff kann hier zwar eine höhere Komplexität herausrechnen, aber tut sich schwer, die vier Leiteigenschaften angemessen zu repräsentieren. Woran liegt das?
  6. Das ist einmal der Begriff der Energie. Dieser wurde von der Physik in vielen Jahrhunderten schrittweise erarbeitet und ist eine Eigenschaft, die generisch die gesamte empirische Welt durchzieht. Letztlich liegt er allem zugrunde als Äquivalent zur bewegten Massen. Wenn man nur Strukturen von Systemen betrachtet, kommt Energie nicht wirklich vor. Wenn es nun aber eine zentrale neue Eigenschaft eines Systems ist, freie Energie für eigene Zwecke ‚verarbeiten‘ zu können, dann müsste dies in die Systemstruktur aufgenommen werden (spezielle Funktionen…). Allerdings verarbeiten sogar Moleküle in gewisser Weise Energie, allerdings nicht so komplex und produktiv wie Zellen.
  7. Dann sind dort die metabolischen Prozesse (Stoffwechselprozesse) der Zellen. Diese sind extrem vielfältig und komplex miteinander verwoben. Der abstrakte Komplexitätsbegriff kann dies zwar anzeigen, aber nur ‚äußerlich‘; die Besonderheiten dieser Prozesse werden damit nicht sichtbar.
  8. Schließlich das Phänomen des Zellkerns mit Molekülen, die einen Bauplan kodieren; man könnte dies auch als eine Form von Gedächtnis beschreiben. Zum kodierten Bauplan gibt es auch eine komplexe Dekodierungsmaschinerie. Eine rein formale Repräsentation im Komplexitätsbegriff macht die Besonderheit nicht sichtbar. Wenn man weiß, worauf es ankommt, könnte man eine entsprechende Systemstruktur zusammen mit den notwendigen Operationen definieren.
  9. Was sich hier andeutet, ist, dass die abstrakte Seite der formalen Repräsentation als solche zwar nahezu alles zulässt an Formalisierung, aber welche Struktur letztlich etwas Sinnvolles in der empirischen Welt kodiert, folgt aus der abstrakten Struktur alleine nicht. Dies muss man (mühsam) aus den empirischen Phänomenen selbst herauslesen durch eine Art induktive Modellbildung/ Theoriebildung, also das, was die empirischen Wissenschaften seit Jahrhunderten versuchen.
  10. Der Versuch, ‚auf die Schnelle‘ die sich hier andeutenden Komplexitäten zu systematisieren, wird also nur gelingen, wenn die Verallgemeinerungen die entscheidenden empirischen Inhalte dabei ’nicht verlieren‘.
  11. Ohne diese Problematik an dieser Stelle jetzt weiter zu vertiefen (darauf ist später nochmals zurück zu kommen), soll hier nur ein Gedanke festgehalten werden, der sich mit Blick auf die nachfolgende Phase anbietet: mit Blick aufs Ganze und den weiteren Fortgang könnte man in der ersten Phase von Emerging Life als grundlegendes Ereignis die Ausbildung der Fähigkeit sehen, eine Art strukturelles Gedächtnis bilden zu können, das sich bei der Weitergabe strukturell variieren lässt. Damit ist grundlegend der Ausgangspunkt für die Kumulation von Wissen unter Überwindung der reinen Gegenwart möglich geworden, die Kumulierung von ersten Wirkzusammenhängen. Diese Urform eines Gedächtnisses bildet einen ersten grundlegenden Meta-Level für ein erstes Ur-Wissen von der Welt jenseits des Systems. Der Emerging Mind aus der nächsten Phase wäre dann der Schritt über das strukturelle Gedächtnis hin zu einem lokal-dynamischen Gedächtnis.
  12. Dann stellt sich die Frage, welche der nachfolgenden Ereignisse in der Evolution eine weitere Steigerung der Komplexität manifestieren? Kandidaten kann man viele finden. Zellen haben gelernt, sich in immer komplexeren Verbänden zu organisieren, sie haben immer komplexere Strukturen innerhalb der Verbände ausgebildet, sie konnten in immer unterschiedlicheren Umgebungen leben, sie konnten innerhalb von Populationen immer besser kooperieren, konnten sich auch immer besser auf die Besonderheiten anderer Populationen einstellen (als potentielle Beute oder als potentielle Feinde), und konnten immer mehr Eigenschaften der Umgebungen nutzen, um nur einige der vielfältigen Aspekte zu nennen. Manche bildeten komplexe Sozialstrukturen aus, um in zahlenmäßig großen Populationen gemeinsam handeln zu können (Schwärme, ‚Staaten‘, Verbünde, ….). Nach vielen Milliarden Jahren, von heute aus erst kürzlich, vor einigen Millionen Jahren, gab es aber Populationen, deren zentrale Informationsverarbeitungssysteme (Nervensysteme, Gehirne), das individuelle System in die Lage versetzen können, Vergangenes nicht nur zu konservieren (Gedächtnis), sondern in dem Erinnerbaren Abstraktionen, Beziehungen, Unterschiede und Veränderungen erkennen zu können. Zugleich waren diese Systeme in der Lage Gegenwärtiges, Gedachtes und neue Kombinationen von all dem (Gedachtes, Geplantes) symbolisch zu benennen, auszusprechen, es untereinander auszutauschen, und sich auf diese Weise ganz neu zu orientieren und zu koordinieren. Dies führte zu einer revolutionären Befreiung aus der Gegenwart, aus dem Jetzt und aus dem ‚für sich sein‘. Damit war mit einem Mal alles möglich: das schrittweise Verstehen der gesamten Welt, die schrittweise Koordinierung allen Tuns, das Speichern von Wissen über den Moment hinaus, das Durchspielen von Zusammenhängen über das individuelle Denken hinaus.
  13. Als nächster Komplexitätssprung wird daher das Auftreten von Lebewesen mit komplexen Nervensystemen gesehen, die ein Bewusstsein ausbilden konnten, das sie in die Lage versetzt, miteinander ihre internen Zustände symbolisch austauschen zu können, so dass sie einen Siegeszug der Erkenntnis und des Aufbaus komplexer Gesellschaften beginnen konnten. Dieses Aufkommen des Geistes (‚Emerging Mind‘) definiert sich damit nicht nur über die direkt messbaren Strukturen (Nervensystem, Struktur, Umfang,..), sondern auch über den Umfang der möglichen Zustände des Verhaltens, das direkt abhängig ist sowohl von den möglichen Zuständen des Gehirns, des zugehörigen Körpers, aber auch über die Gegebenheiten der Umwelt. Anders ausgedrückt, das neue Potential dieser Lebensform erkennt man nicht direkt und alleine an ihren materiellen Strukturen, sondern an der Dynamik ihrer potentiellen inneren Zustände in Wechselwirkung mit verfügbaren Umwelten. Es ist nicht nur entscheidend, dass diese Systeme symbolisch kommunizieren konnten, sondern auch WAS, nicht entscheidend alleine dass sie Werkzeuge bilden konnten, sondern auch WIE und WOZU, usw.
  14. Es ist nicht einfach, dieses neue Potential angemessen theoretisch zu beschreiben, da eben die rein strukturellen Elemente nicht genügend aussagestark sind. Rein funktionelle Aspekte auch nicht. Es kommen hier völlig neue Aspekte ins Spiel.

Die Fortsezung gibt es HIER.

Einen Überblick über alle Blogeinträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.

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DAS UNIVERSUM MIT DEN AUGEN VON Lawrence M.Krauss. Gedanken zu seinem Buch A UNIVERSE FROM NOTHING, Teil 2

Lawrence M.Krauss, a universe from nothing. Why there is something rather than nothing. London: Simon & Schuster UK Ltd, 2012

KONTEXT

  1. Diesem Teil ging Teil 1 voraus, der einige allgemeine Bemerkungen enthält

KAP.1: ANFÄNGE

Ergänzende Informationen zu Kap.1 von Krauss (2012)
Ergänzende Informationen zu Kap.1 von Krauss (2012)
  1. Die Hauptaussage dieses Kapitels läuft auf die Feststellung hinaus, dass das Universum ein expandierendes Universum ist. Dazu werden einige Fakten angeführt, die diese Aussage illustrieren. Aufgrund der Sprünge im Text, ist es nicht leicht, den historischen Ablauf zu rekonstruieren. Auch fehlen nahezu überall Quellenangaben, so dass man auf eigene Faust recherchieren muss, will man die Aussagen präzisieren.
  2. Nach einigen Bemerkungen zu Einstein, der die Zusammenhänge zwischen Raum, Zeit und Gravitation revolutioniert haben soll, geht Krauss ein wenig auf die Entstehung der Position von Einstein ein, der zu Beginn von einem statischen Universum ausging. Diese Position erwies sich als nicht haltbar. Viele Ereignisse führten zu ihrer Überwindung.
  3. Aufbauend auf den Arbeiten von Henrietta Swan Leavitt mit ihren Forschungen zu Cepheiden Sternen konnte Edward Hubble 1925 Forschungsergebnisse veröffentlichen, nach denen es Cepheiden in Spiral-Nebel gab, die darauf schließen lassen, dass es jenseits unserer Galaxie, der Milchstraße, weitere Galaxien gibt.(S.7f)
  4. Hubble arbeitete weiter und kam unter Einbeziehung der Arbeiten von Vesto Slipher zur Rotverschiebung der Sterne aufgrund ihrer Bewegung zusammen mit Milton Humason zur Erkenntnis, dass es eine regelmäßige Beziehung zwischen der Rotverschiebung/ der Geschwindigkeit der Sterne und ihrer Entfernung gibt. Heute bekannt als Hubbles Gesetz führt dies 1929 zur Veröffentlichung der Hypothese über ein expandierendes Universum.(vgl. S.8 – 11)[Anmerkung: Heute werden die Entdeckungen zur Expansion eher anderen Autoren zugeschrieben, z.B. Friedmann und Lemaitre.(vgl. S.4f)].
  5. Anlässlich der Benutzung von Spektren zur Bestimmung der Geschwindigkeit von Sternen gibt Krauss einen Hinweis zur Geschichte der Entdeckung der Eigenschaften des Lichts durch Newton.(vgl. S.9)
  6. Aufgrund der Daten von Hubble 1929 war die Schätzung der Parameter zur Berechnung des Ausgangspunktes der Expansion des Universums noch zu ungenau. Nach diesen Schätzungen wäre das Universum nur 1.5 Mrd alt gewesen. Angesichts des damals schon bekannten Alters der Erde von mehr als 3 Mrd. Jahren war klar, dass die Berechnungen zum Alter des Universums noch nicht stimmen konnten.(vgl. S.15f)
  7. Es zeigte sich, dass die Berechnung der Entfernungen mit den Daten der Cepheiden Sterne zu ungenau war. (vgl. S.17)
  8. Eine verbesserte Lösung ergab sich durch Rekurs auf die Supersterne, auf die Supernovae, Eine Supernova ist ein Klasse 1b Stern, der explodiert, was durchschnittlich einmal alle 100 Jahre pro Galaxie vorkommt (bei ca. 100 Mrd Galaxien). (vgl.S.17) Bis heute sind dies ca.200 Mio Sternexplosionen.(vgl. S.19) Man benutzt den Punkt höchster Luminosität dieser Explosion, das Spektrum, und die Rotverschiebung darin.[Anmerkung: Zugleich braucht man aber auch einen Referenzpunkt, eine Standard Leuchte. Diese zu bestimmen kann aber sehr schwierig sein und ist mit Unsicherheiten behaftet.] Da alle Atome in unserem Körper nur aus solchen Sternexplosionen stammen können, stellt Krauss – leicht poetisch – fest, dass unsere Körper aus Sternenstaub entstanden sind. (vgl.S.17)
  9. Das Stichwort Supernova nimmt Krauss zum Anlass, das Werk von Tycho Brahe, Johannes Keppler und Isaak Newton zu erwähnen.(vgl.S.19f)
  10. Die Einbeziehung von Supernovae und verbesserte Messmethoden führte dazu, dass das Alter des Universums heute näher bei 13 Mrd. Jahren angenommen wird als bei 1.5 Mrd. Jahren. (vgl. S.21)
  11. Ein anderer interessanter Indikator für die Expansion des Universums aus einem Anfangspunkt ist die beobachtbare Verteilung der leichten Elementen im ganzen Universum, die mit den theoretischen Voraussagen des theoretischen Modells über die Entstehung des Universums erstaunlich gut übereinstimmen (nicht bei Lithium). Die leichten Elemente konnten schon in der Anfangszeit eines BigBang (ca. 10s – 20m) entstehen, ohne die späteren Kernfusionen. Alle beobachtbare Materie war zusammengepresst in einem dichten Plasma mit einer Temperatur von ca. 10 Mrd Grad Kelvin.(vgl. 17f)[Anmerkung: siehe auch Standard Modell oder FLRW Metrik)]

DISKUSSION

  1. Die Ausführungen von Krauss samt den ergänzenden Informationen aus den zugefügten Wikipedia Beiträgen samt einigen der darin zitierten Artikeln gibt Anlass zu vielfältigen Gedanken. Hier seien einige genannt.
  2. Unter dem Blickwinkel der Entstehung von Wissen ist die Entwicklung der modernen wissenschaftlichen Kosmologie ein beeindruckender Vorgang. Nimmt man Brahe als Bezugspunkt (wobei antike Forschungen hier auch benutzt werden könnten), dann blicken wir auf ca. 450 Jahre zurück, in denen Menschen (einzelne Menschen!) versucht haben, im Chaos der Phänomene Strukturen zu erkennen, die Erklärungsansätze liefern, wie der aktuelle Zeitpunkt in einen Zusammenhang eingeordnet werden kann, der so etwas wie eine Entstehung andeutet.
  3. Wesentlich für die wissenschaftliche Kosmologie ist die Einsicht, dass man sich auf die empirischen Phänomene beschränken muss, also jene Phänomene, die sich von allen anderen dadurch abheben, dass sie unabhängig von unserem subjektiven Wollen, Wünschen und Vorstellen sind. Das Empirische ist das ganz Andere zu unserer Subjektivität, was uns grundlegend vorgegeben ist, auch in Form unseres eigenen Körpers und damit unseres Gehirns und bestimmter grundlegender Strukturen unseres Wahrnehmens, Erinnerns und Denkens.
  4. Ein weiterer Aspekt ist die Rolle eines speziellen symbolischen Ausdruckssystems, heute als Mathematik bezeichnet. Die Mathematik hat ja selbst einen kontinuierlichen Wandel erlebt, nicht zuletzt durch die Anforderungen durch die empirischen Wissenschaften. Entscheidend im Wandel der Mathematik war die zunehmende Einsicht, dass der symbolische Raum – der virtuelle Denkraum im Gehirn – als solcher unabhängig von möglichen empirischen Interpretationen ist, seine eigene Grammatik und Logik besitzt, und von daher nach Bedarf auf beliebige andere Sachverhalte, auch empirische, angewandt werden kann. In Gestalt der modernen Algebra (etwa seit van der Waerdens Buch) hat die Mathematik ihre vorläufige Endfassung gefunden. Die Stärke der mathematischen Sprache ist aber zugleich eine kontinuierliche Quelle potentieller Fehler: mathematische Variablen sind grundsätzlich abstrakt, allgemein, kategorisch; empirische Messwerte sind grundsätzlich individuell, in Raum und Zeit punktuell. Noch so viele Messungen können die theoretische Bedeutung einer Variable niemals erschöpfen. Dennoch, trotz dieser fundamentalen Unterschiedlichkeit, hat sich die Verwendung der Mathematik bei der Deutung empirischer Phänomene bislang als unfassbar erfolgreich erwiesen. Die mathematische Sprache ist damit neben der normalen Sprache mittlerweile die wichtigste Sprache zum Verstehen der Welt geworden – was in gewissem Kontrast steht zur Unkenntnis und Missachtung dieser Sprache im Alltag, in der Ausbildung, im religiösen Leben der Menschen.
  5. Weiterhin ist beeindruckend, wie dieses moderne Wissen eine tiefliegende Struktur jenseits der Individualität der beteiligen Forscher enthüllt. Obgleich die Geschichte zeigt, dass manche Gedanken mehrfach erfunden wurden, weil man voneinander zu wenig wusste, ist es doch so, dass jeder von den beteiligten Forschern nicht im luftleeren Raum operiert hat. Jeder von ihnen war vielfältig verflochten sowohl mit Teilen der Vorgeschichte und mit gegenwärtigen Forschern und Forschungsaktivitäten. Jede neue Erkenntnis ist nur verstehbar aufgrund der Vorarbeiten anderer. Der Raum wissenschaftlicher Erkenntnis ist ein Raum von Fakten und logischen Strukturen, der sich nur verstehen lässt als eine Anfangsmenge von Wissen W0, an der viele Gehirne G mit entsprechenden Methoden M und empirischen Daten D weiter arbeiten, bis ein erweitertes Wissen W0+1 = W1 entsteht, dieses wird wiederum bearbeitet zu W2, usw. Insofern stellen die aktuellen Gehirne, Methoden und Fakten zum Zeitpunkt t <G,M,D>(t) eine Art Wissens-Operator dar, der immer wieder neu (rekursiv) auf das verfügbare Wissen angewendet wird, also Wx(t+1) = <G,M,D>(t)(Wx-1). In nicht-empirischen Bereichen könnte dies zwar auch der Fall sein, aber aufgrund der höheren Komplexität von nicht-empirischen Wissens (was das empirische Wissen als Teilmenge enthalten kann, aber meistens leider nicht enthält) ist dies viel schwieriger und nur schwer zu erkennen.
  6. Obwohl wir heute vieles über eine ideale Wissenskultur wissen können, muss man feststellen, dass die jeweiligen umgebenden Gesellschaften vieles tun, um diese Wissenskultur mindestens zu schwächen, wenn nicht gar massiv zu behindern. Die jeweiligen Forscher, ‚Kinder ihrer Zeit‘, sind von diesen gesellschaftlichen Tendenzen nicht unberührt. Der Anteil der Menschen in einer Gesellschaft, die die Natur (und die Inhalte) wissenschaftlichen Wissens nicht verstehen, ist extrem groß (selbst bei solchen, die sogar studiert haben), besonders – und leider – auch bei den politisch Verantwortlichen.
  7. Viele weitere Gedanken wären hier zu diskutieren, speziell natürlich auch zum aktuellen kosmologischen Weltmodell selbst. Dies soll bei nachfolgenden Blogeinträgen nachgeholt werden.

Eine Fortsetzung findet sich HIER.

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BUCHPROJEKT 2015 – Zwischenreflexion 14.August 2015 – THERMODYNAMIK, BIOLOGISCHE SYSTEME. Viele offene Fragen

Der folgende Beitrag bezieht sich auf das Buchprojekt 2015.

Letzte Aktualisierungen: 14.Aug.2015, 18:45h

1. Der Ausflug in die Thermodynamik im Zusammenhang mit einer Definition des biologischen Lebens erweist sich als äußerst fruchtbar (es gab schon frühere Blogeinträge zum Thema. Einige findet man, wenn man unter www.cognitiveagent.org auf der rechten Seite bei den Kategorien die Kategorie ‚Energie – freie‘ anklickt. Hier besonders interessant vielleicht der Eintrag zu einem Buch von Paul Davies). Als hervorragende Quelle zum Thema benutze ich das Buch „ASTROBIOLOGY. A Multidisciplinary Approach“, von Jonathan I.Lunine (San Francisco – Boston – New York et al.: Pearson-Addison Wesley, 2005), dazu viele weitere Quellen.

2. Wir Menschen (‚homo sapiens‘) als einzige überlebende Art der Gattung ‚homo‘ sind ja nur ein Teil des umfassenderen Phänomens des biologischen Lebens auf er Erde (und soweit bis heute bekannt im ganzen bekannten Universum).

3. Das biologisch Leben wiederum ist nur ein kleiner Bereich im Gesamt des universalen Geschehens.

4. Die Physiker haben für dieses Gesamtgeschehen unterschiedliche Beschreibungsmodelle entwickelt, die bis heute weder vollständig sind noch völlig integriert. Vielleicht kann man hier von ‚Teiltheorien‘ sprechen, die jeweils eine Menge Phänomene gut ‚beschreiben‘, aber eben nicht alle.

5. Eine solche Teiltheorie ist für mich die Thermodynamik, die in Form ihrer vier Hauptsätze (0 – 3) eine Kernidee besitzt, die dann aber für die unterschiedlichsten Bereiche ‚angepasst‘, ’spezialisiert‘ wurden. Zugleich wurden mögliche weitere Sätze hinzugefügt. Man kann nicht behaupten, dass die Thermodynamik in dieser Form eine geschlossene Theorie darstellt; noch weniger ist sie überzeugend mit den übrigen physikalischen Teiltheorien integriert.

6. Interessant ist auch die Korrespondenzbeziehung der Thermodynamik zum Entropiebegriff. Aufgrund der durchgängigen Korrespondenz des Redens über ‚Entropie‘ und des Redens über ‚Thermodynamik‘ liegt es nahe, eine gemeinsame Struktur zu unterstellen, die beiden Begriffsnetzen zugrunde liegt, d.h. Dass es letztlich ein Modell dazu gibt. Der Ansatzpunkt dazu liegt in der Art und Weise, wie man in der Basis-Formel ΔE = Q + Q den Term ‚Q‘ (für Wärme) und ‚W‘ (für Arbeit) interpretiert. Wärme bezieht sich hier auf eine innere energetische Eigenschaft einer Materieeinheit (gebundene Energie und kinetische Energie) und Arbeit auf Zustandsänderungen des Systems. Je nach Anwendungsgebiet muss diese innere Energie und müssen die Zustandsänderungen in konkrete Eigenschaften ‚übersetzt‘ werden.

7. In der Thermodynamik im engeren Sinne spielt Gravitation keine Rolle. Da aber im realen physikalisch bekannten Universum u.a. die Gravitation überall wirksam ist, kann es keine Systeme geben, die ‚außerhalb‘ der Gravitation vorkommen. Dies bedeutet, dass Gravitation immer wirkt und damit ein Kraft ausübt, die umso stärker sichtbar wird, umso größer die beteiligten Massen sind, die dann zugleich ‚Druck‘ ‚auf sich selbst‘ und ‚aufeinander ‚ausüben. Wie bekannt ist es die Gravitation die zu Materieansammlungen geführt hat, zu Sternenbildungen, innerhalb der Sterne zu Fusionsprozessen, die unterschiedliche schwere Elemente erzeugt haben, die große Teile von Energie gebunden haben. Diese durch die Gravitation umgeformte Energie liegt in unterschiedlichen Zustandsformen vor. Sofern Energie über Temperatur ‚messbar‘ ist, spricht man zwar von ‚Wärme‘ (Q), aber die Wärme korrespondiert mit den inneren Eigenschaften der jeweiligen Systeme, die wiederum über ihre kernphysikalischen Eigenschaften definiert sind. ‚Wärme‘ erscheint insofern nur als ein Art Hilfsbegriff, um solche impliziten kernphysikalischen Eigenschaften zu beschreiben, durch die Energie kodiert ist.

8. Mit dem Entropiebegriff (S) kann man über viele kernphysikalische Spezialitäten hinwegsehen und und ein beliebiges System als eine Menge von Elementen betrachten, deren Verhalten statistisch maximal unsicher ist und damit maximal viele Freiheitsgrade besitzt (in physikalischen Systemen bei sehr hohen Temperaturen) oder wo alle Zustände maximal wahrscheinlich sind und minimale Freiheitsgrade besitzen (physikalisch bei sehr tiefen Temperaturen). Das Maximum der Entropie ist bei maximalen Freiheitsgraden gegeben.

9. Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik tendieren geschlossene Systeme zum Zustand maximaler Entropie, da die Unterschiede in der Energieverteilung sich langfristig ‚ausgleichen‘.

10. Im bekannten Universum ist dieser Zustand noch nicht erreicht. Aufgrund der Wirkung der Gravitation gibt es viele Bereiche höherer Materiekonzentration und damit höherer Energiedichte. Diese lokalen Energiekonzentrationen folgen einer Prozesslogik, die zunächst immer mehr Energie anzieht, durch die begleitenden Drücke zu chemischen Prozessen führt, die viel Energie an die Umgebung abgeben, bis der Prozess in sich zusammenbricht. Die Energie, die in die Umgebung abgegeben wird erhöht einerseits die Entropie, stellt aber für andere Systeme ‚freie Energie‘ dar, die für/ in diesen anderen Systemen ‚Wirkungen‘ erzielen kann (z.B. in der Atmosphäre der Erde Wirbelstürme).

11. Im Falle biologischer Strukturen haben wir es mit Strukturen zu tun, die in der Lage sind, solche ‚freie Energie‘ aufzunehmen, diese für Zustandsänderungen zu nutzen, aber so, dass die thermodynamischen Verhältnisse abseits eines Gleichgewichtszustandes bleiben. Die aufgenommene Energie bewirkt Zustandsänderungen (= Arbeit), die wiederum den energetischen Zustand des Gesamtsystems beeinflusst, aber so, dass es seine Fähigkeit behält, weitere Arbeit zu verrichten. Ein biologisches System trägt zwar durch seinen ‚Abfall‘ zur Vermehrung von Entropie bei, aber durch die synchrone Neuaufnahme freier Energie und deren Nutzung wird diese Entropiezunahme zumindest für den Bereich des biologischen Systems wieder ausgeglichen (zu dieser Thematik sehr gut das Kap.7 von Lunine).

12. Das Auftreten von immer komplexeren biologischen Systemen stellt aus physikalischer Sicht extrem schwierige Fragen. Selbst schon die Anfänge biologischer Systeme im Rahmen der sogenannten chemischen Evolution sind bis heute in keiner Weise erschöpfend geklärt. Man kann dies als weiteren Hinweis darauf deuten, dass die heutigen physikalischen Theorieansätze möglicherweise entweder zu einfach sind (obwohl manche eher umständlich wirken), oder aber zu wenig Faktoren ernsthaft berücksichtigen (was gestützt wird durch die geringe Neigung, die schon heute vorhandenen Teiltheorien ernsthaft zu integrieren).

13. ANMERKUNG: Im Buch ‚THE ROAD TO REALITY‘ von Roger Penrose (2004) (veröffentlicht durch Random House, London) finden sich zu diesem Thema viele ausführliche Stellungnahmen. Unter anderem in den Kapiteln 27 und Kap.30 hebt er deutlich hervor, dass der gegenwärtige Zustand der physikalischen Theorien bzgl. Gravitation und Entropie unbefriedigend ist. Zugleich bietet er anregende Überlegungen, dass man die Thermodynamik, die Entropie, die Gravitation, die Einsteinsche Relativitätstheorie und die Quantentheorie zusammen bringen müsste. Ferner hat bei ihm die Entropie einen sehr allgemeinen Charakter. Mit Hilfe des 2.Hauptsatzes kann er sowohl das Auftreten des Big Bang motivieren, seine extreme Besonderheit, wie auch die Existenz und den Charakter der schwarzer Löcher. Überall spielt die Gravitation eine zentrale Rolle.

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Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 4-neu

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll.

Wie alles anfing

Die Überlegungen im vorausgehenden Kapitel beziehen sich auf das, was heute ist, auf die Gegenwart. Wie können z.B. Philosophen die Innensicht ihres Bewusstseins beschreiben; wie können Psychologen das beobachtbare Verhalten untersuchen. Was können die Gehirnforscher über die Struktur und die Funktionen des Gehirns feststellen. Diese Aufgabe ist groß genug, dass man damit mehr als ein Leben ausfüllen kann. Hätte man diese Beschreibungsaufgaben vollständig erfüllt — bislang fehlt da noch einiges –, würden dennoch wichtige Teile am Bild fehlen, vielleicht sogar die wichtigsten, ohne die das Ganze nicht verständlich ist: der reale Entstehungsprozess; wie es zum heutigen Zustand kommen konnte? Wie ist es möglich, dass sich solch komplexen Strukturen im Universum, als Leben auf der Erde herausbilden konnten, ohne dass man eine ‚äußere‘ Einwirkung erkennen kann? Was soll das Ganze? Wohin wird dies führen? Wohin kann dies führen? Welche Rolle spielen wir Menschen dabei? Sind wir nur eines von vielen vorübergehenden Phänomenen des Lebens, das wieder vergehen wird, bevor es bemerkt wurde?

Zeichen der Veränderung

Beginnend mit dem 19.Jahrhundert kam es in Westeuropa zu grundlegenden Änderungen im bis dahin vorwiegend christlich-biblisch geprägten Menschen- und Weltbild. Immer mehr Phänomene in der Veränderung von Lebensformen im Kontext unterschiedlicher Ablagerungsschichten im Gestein und Erdreich wurden entdeckt (Anmerkung: Aus meiner Sicht ein sehr hilfreiches Buch für diese Zeit ist u.a. Peter J.Bowler, „Evolution. The History of an Idea“, Berkeley, Los Angeles (CA): University of California Press, 1983, rev.ed. 1989).

Im Falle der Fossilien waren es berühmte Naturforscher wie z.B. Cuvier (1769 — 1832) , Étienne Geoffroy Saint-Hilaire (1772 – 1844) und Charles Robert Darwin (1809 — 1882), die neben der Vielfalt auch die Veränderungen in den unterschiedlichsten geologischen Schichten erkannten. Im Fall der geologischen Schichten waren es Männer wie William Smith (1769 — 1839), Roderick Impey Murchison (1792 — 1871), Adam Sedgwick (1785 — 1873), John Phillips (1800 – 1874) und Charles Lyell (1797 — 1875), die es schafften, erste Klassifikation von Erdschichten und deren chronologischer Abfolge mit Korrelation zu Fossilien aufzustellen. Insgesamt entstanden durch viele verschiedene, z.T. kontrovers diskutierte, Untersuchungen die ersten Umrisse eines Bildes, in dem die aktuelle Gestalt der Erde und der Lebensformen eine Folge von Veränderungen, eine Geschichte, beinhalten. Die Details dieser Geschichte (Vulkanismus, Klimaänderungen, Plattentecktonik, Baupläne,…) waren in ihren genauen Wirkungen lange Zeit zwar nicht eindeutig entscheidbar, ‚dass‘ die Erde und das Leben auf der Erde aber Veränderungen durchlaufen hatten und immer noch durchlaufen, das erschien jedoch immer mehr unabweislich.

Wie lange zurück reichte diese Geschichte? Neue thermodynamische Überlegungen von William Thomson, besser bekannt als Lord Kelvin (1824 – 1907), schränkten den zur Verfügung stehenden absoluten Zeitraum für die Entwicklung der Erde und des gesamten Universums im Laufe seines Lebens immer mehr ein, schließlich bis auf eine zweistellige Millionenzahl. Wie viele seiner Zeitgenossen ging er davon aus, dass die Erde und die Sonne sich kontinuierlich abkühlen, ohne dass neue Energie zur Verfügung steht, die dieser Abkühlung entgegen wirken könnte. Es brauchte die ersten Jahrzehnte des 20.Jh. um mit Hilfe der neuen Erkenntnisse aus der (Nuklear-)Physik bzw. aus dem Spezialgebiet der Teilchenphysik verstehen zu können, dass Sterne und Planeten eigene Energievorräte besitzen und über Prozesse verfügen, durch die diese Energie in Form von beobachtbaren Veränderungen (Sonnenstrahlen, Klima, Vulkanismus, Erdbeben, …) wirksam werden können.

Immer kleiner

1905 hatte Albert Einstein ganz allgemein u.a. die Äquivalenz von Masse und Energie mit seiner bekannten Formel $latex E=mc^{2}$ aufgezeigt, es brauchte aber noch weiterer gehöriger Anstrengungen, bis im Februar 1939 Lise Meitner (1878 – 1968) eine theoretische Beschreibung des ersten Kernspaltungs-Experiments veröffentlichen konnte, das Otto Hahn Ende Dezember 1938 zusammen mit seinem Assistent Fritz Straßman durchgeführt hatte. Im gleichen Jahr konnte Hans Albrecht Bethe (1906 – 2005) sein theoretisches Modell der Kernfusionsprozesse in der Sonne veröffentlichen (für die er 1967 den Nobelpreis bekam). Damit war die Tür zur Erkenntnis der verborgenen Energie in der Materie, in den Sternen, im Universum soweit geöffnet, dass dem Forscher ein glutheißer Atem entgegen schlug.

Es folgten stürmische Jahre der vertiefenden Erforschung der nuklearen Zusammenhänge, stark geprägt von den militärisch motivierten Forschungen zum Bau von Nuklearwaffen. Immer mehr Teilchen wurden im Umfeld des Atoms entdeckt, bis es dann ab den 70iger Jahren des 20.Jh zum sogenannten Standardmodell kam.

Obwohl sich dieses Standardmodell bislang in vielen grundlegenden Fragen sehr bewährt hat, gibt es zahlreiche fundamentale Phänomene (z.B. die Gravitation, die Expansion des Universums, dunkle Materie), für die das Modell noch keine erschöpfende Erklärung bietet.

Big Bang – Zeitpunkt Null

Ausgestattet mit den Erkenntnissen der modernen Physik lassen sich die Hypothesen aus dem 19.Jahrhundert zur Welt als Prozess ausdehnen auf das ganze Universum. Fasst man alle heutigen Erkenntnisse zusammen, wie dies in der sogenannten
Big Bang Theorie geschieht, nach 1990 gefasst als Lambda-CDM-Modell, führt dies auf ein Ereignis vor jeder physikalisch messbaren Zeit zurück. Ein solches Ereignis gilt den Physikern als eine Singularität. Da es im Universum auch andere Formen von Singularitäten gibt, nenne ich jene Singularität, mit der das bekannte Universum begann, hier die erste Singularität.

Durch die Weiterentwicklung der Relativitätstheorie von Albert Einstein konnten Stephen William Hawking (geb.1942),
George Francis Rayner Ellis (geb.1939) und Roger Penrose (geb.1931) aufzeigen, dass die Größen Raum und Zeit mit der ersten Singularität beginnen.

Von heute aus gesehen trat die erste Singularität vor 13.8 Mrd Jahren auf. Beginnend mit einer unendlich extremen Dichte und Hitze begann aus dem Ereignis heraus eine Ausdehnung (Raum und Zeit), die begleitet war von einer zunehmenden Abkühlung. Gleichzeitig kam es zur Herausbildung von subatomaren Teilchen, aus denen sich einfache Atome formten (Anmerkung: Die Entstehung der ersten Atome wird in der Zeitspanne 10 Sek – 20 Min verortet.). Gigantische Ansammlungen dieser ersten Elemente führten dann aufgrund der Gravitation zu Verdichtungen, aus denen Sterne und Galaxien hervorgingen (Anmerkung: Erste Sterne, die das dunkle Weltall erleuchteten werden nach ca. 100 Mio Jahren angenommen. Erste Galaxien etwa 1 Mrd Jahre später.). In den Sternen fanden Kernfusionsprozesse statt, die im Gefolge davon zur Bildung von immer schwereren Atomen führten. Ferner wird seit etwa 6.5 Mrd Jahren eine Beschleunigung bei der Ausdehnung des Universums beobachtet. Man vermutet, dass dies mit der ‚dunklen Energie‘ zu tun hat. Viele Fragen sind offen. Nach letzten Messungen geh man davon aus, dass das bekannte Universums zu 73% aus dunkler Energie besteht, zu 23% aus dunkler Materie, zu 4.6% aus ’normaler‘ Materie und zu weniger als 1% aus Neutrinos (Anmerkung: Jarosik, N. et al. (WMAP Collaboration) (2011). „Seven-Year Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP) Observations: Sky Maps, Systematic Errors, and Basic Results“. NASA/GSFC. p. 39, Table 8. Retrieved 4 December 2010).

Fortsetzung mit Kapitel 5

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Randbemerkung: Komplexitätsentwicklung (Singularität(en)) – Teil 2

Letzte Änderung: 24.Mai 2013, 09h15m

1) In dem vorausgehenden Beitrag Komplexitätsentwicklung – Teil 1 gab es erste Skizzen zu möglichen ‚Kurven‘, in denensich in einer ersten Annäherung eine Form von ‚Beschleunigung‘ komplexitätssteigernder Ereignisse andeutete. Irgendwie haben diese Gedanken weitergearbeitet. Nach weiterem Durchdenken und Betrachten verfügbarer Daten hat sich das Bild weiter verschärft, ohne dass ich zu weit gehen konnte; dazu fehlt einfach die Zeit.
2) Das nachfolgende Bild zeigt exemplarisch in der ersten Spalte Daten von evolutionären Ereignissen, die stattgefunden haben, und zwar wieviele Jahre ‚vor heute‘ (Before NOW = 2013)(in Mrd.Jahren, 10^9). In der zweiten Spalte ist die Differenz zwischen jeweils zwei benachbarten Jahren angegeben, d.h. wie lange hat es gedauert, bis es zum nächsten Ereignis kam. Da diese Zahlen in einer Spannweite von 10^10 bis 10^0 liegen, habe ich diese in LOG-Werte umgerechnet (z.B. log(1000)=6.9077553). Dadurch rücken die Zahlen enger zusammen.

The Event Time is given in 10^9 years before NOW=2013. The Differences are tacken from two adjacent events. The LOG-values are taken from the differences
The Event Time is given in 10^9 years before NOW=2013. The Differences are tacken from two adjacent events. The LOG-values are taken from the differences

3) Im Allgemeinen gilt, wenn eine Folge von Werten LOG-Werte darstellen (siehe folgendes Bild), die man als eine (monoton steigende) Gerade repräsentieren kann, dann repräsentieren die zugehörigen Ausgangswert eine exponentiell ansteigende Kurve (siehe nachfolgendes Bild).

Lineare Log-Werte (oberes Bild) können exponentiell wachsende Ausgangswerte (unteres Bild) repräsentieren
Lineare Log-Werte (oberes Bild) können exponentiell wachsende Ausgangswerte (unteres Bild) repräsentieren

4) Betrachtet man (im nachfolgenden Bild) die LOG-Werte der realen Abstände zwischen den realen Ereignissen, dann bilden diese zwar keine ideale Gerade, man kann aber deutlich erkennen, dass sie monoton fallend sind, was eine Gerade annähert. Dies bedeutet, dass die zugehörigen realen Differenzwert (siehe vorausgehende Tabelle zweite Spalte) sich exponentiell verhalten, und zwar immer schneller immer kleiner werden. Was dazu führt, dass die letzten komplexitätssteigernden Ereignisse so eng beieinanderliegen, dass sie im ursprünglichen Maßstab nicht mehr unterscheidbar sind. Dies stellt eine ‚Verdichtung‘ dar.

Graphical representation of the LOG-values.
Graphical representation of the LOG-values.

5) Die Liste der Ereignisse wurde wie folgt gewählt:

  1. ‚AgeUniv‘ steht für das Alter des bekannten Universums (‚age of universe‘), das vom sogenannten ‚Big Bang‘ aus gerechnet wird.
  2. ‚ChemicalEvolStart‘ steht für den Beginn der chemischen Evolution (’start of chemical evolution‘). Hier kann man zwei Standpunkte einnehmen: Entweder (i) indem man den Beginn der chemischen Evolution generell in die Phase des ersten Auftretens von Atomen überhaupt verlagert, oder (ii) in die Phase der Molekülbildung seit Beginn der Erde. Im Fall (i) würde die chemische Evolution in eine frühe Phase des Big Bangs selbst fallen, da sich schon dort erste Synthesen von Kernen vollzogen haben (siehe: Erste Kernsynthesen); dazu auch Inflationsmodell). Ich tendiere dazu, die chemische Evolution erst nach der Entstehung der Erde zu beginnen lassen, da hier die Ereignisse gezählt werden sollen, die für die biologische Evolution auf der Erde zentral waren. Doch kann man das sicher diskuteren.
  3. ‚BiolEvolStart‘ steht für den Beginn der biologischen Evolution, die mit dem Auftreten erster Zellen beginnt. Nach neuesten Untersuchungen (auch: Ergebnisse 2 wird dies schon einige Zeit vor den ersten archäologisch nachweisbaren Artefakten angeonommen.!
  4. ‚TerraBactStart‘ steht für ‚Terrabakterien‘, den ersten Lebensformen, die das Land besiedelt haben.
  5. ‚MultiCellStart‘ markiert die ersten multizellulären Organismen.
  6. ‚AnimalStart‘ markiert die ersten Tiere.
  7. ‚LandColonStart‘ markiert den Beginn der Kolonisierung des Landes.
  8. ‚UpApesStart‘ steht für den Beginn des aufrechten Gangs, der lange vor dem Auftreten des homo sapiens sapiens stattfand!
  9. ‚StoneTooles‘ markiert das erste Auftreten von Steinwerkzeugen.
  10. ‚HuntingStart‘ markiert den Beginn von Jagden in Gruppen.
  11. ‚FireStart‘ markiert die Erfindung des Feuers.
  12. ‚HomoSap2‘ repräsentiert das Autreten des homo sapiens sapiens in Afrika; nach heutigen Erkenntnissen die Vorfahren aller Menschen, die heute auf der Erde leben.
  13. ‚AgricultureStart‘ der Beginn von Ackerbau und Viehzucht. Die entscheidende Voraussetzung für die Ernährung von mehr Menschen.
  14. ‚CityStart‘: Als eine Konsequenz aus dem fortschreitenden Ackerbau ist die Entwicklung größerer Ansiedlungen bis hin zur Bildung erster Städte (‚CityStart‘).
  15. ‚ScriptStart‘: Es kam ein paar tausend Jahre Später zur Entwicklung der Schrift (‚ScriptStart‘).
  16. ‚RailStart‘: Viele tausend Jahre später kam es zur Erfindung der Eisenbahn (‚ RailStart‘),
  17. des Telefons (‚PhoneStart‘)
  18. und des Autos (‚CarStart‘), die alle zusammen die Verbindung zwischen den Menschen auf dem Land verbesserten.
  19. ‚CompStart‘ leitet das Zeitalter der ‚programmierbaren Maschinen‘ (= Computern) ein.
  20. ‚WWWStart‘ markiert dann den Beginn der Vernetzung von Computern weltweit.

6) Natürlich ist diese Tabelle ergänzungsbedürftig und sicher kann man über Details diskutieren, doch zeigt sich ein grundlegender Tabestand schon mit diesen Daten als kaum noch übersehbar: es gibt eine klare Zunahme an Komplexität, und die Geschwindigkeit dieser Zunahme ist nicht linear sondern exponentiell.
7) Natürlich müsste man hier auch nochmals die Kriterien von Komplexität genauer beschreiben und worin genau die ‚Effekte‘ dieser sich verdichtenden Komplexität bstehen. Dies wird geschehen, sobald ich Zeit haben werde, dies aufzuschreiben.

Keine direkte, aber eine thematische, Fortsetzung findet sich in der Besprechung und Diskussion des Buches An Inventive Uiverse von Denbigh. Siehe zusammenfassend den Teil 4 der Besprechung.

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SUCHE NACH DEM URSPRUNG UND DER BEDEUTUNG DES LEBENS. Reflexionen zum Buch von Paul Davies “The fifth Miracle”

Paul Davies, The FIFTH MIRACLE: The Search for the Origin and Meaning of Life, New York:1999, Simon & Schuster

 Start: 20.Aug.2012

Letzte Fortsetzung: 26.Aug.2012

  1. Mein Interesse an der Astrobiologie geht zurück auf das wundervolle Buch von Peter Ward und Donald Brownlee (2000) „Rare Earth: Why Complex Life is Uncommon in the Universe“. Obwohl ich zum Thema aus verschiedenen Gebieten schon einiges gelesen hatte war es doch dieses Buch, das all die verschiedenen Fakten für mich in einen Zusammenhang stellte, der das Phänomen ‚Leben‘ in einen größeren Zusammenhang erscheinen lies, der Zusammenhang mit der Geschichte des ganzen Universums. Dinge, die zuvor merkwürdig und ungereimt erschienen, zeigten sich in einem neuen Licht. Neben anderen Büchern war es dann das berühmte Büchlein „What Is Life?“ von Erwin Schroedinger (1944), das half, manche Fragen zu verschärfen Neben anderen Publikationen fand ich hier das Buch von von Horst Rauchfuß (2005) „Chemische Evolution und der Ursprung des Lebens“ sehr erhellend (hatte früher dazu andere Bücher gelesen wie z.B. Manfred Eigen (1993, 3.Aufl.) „Stufen zum Leben. Die frühe Evolution im Visier der Molekularbiologie“). Einen weiteren Schub erhielt die Fragestellung durch das – nicht so gut lesbare, aber faktenreiche – Buch von J. Gale (2009) „Astrobiology of Earth: The Emergence, Evolution and Future of Life on a Planet in Turmoil“. Gegenüber ‚Rare Earth‘ ergibt es keine neuen grundsätzlichen Erkenntnisse, wohl aber viele aktuelle Ergänzungen und z.T. Präzisierungen. Dass ich bei diesem Sachstand dann noch das Buch von Paul Davies gelesen habe, war eher systematische Neugierde (parallel habe ich noch angefangen Christian de Duve (1995) „Vital Dust. The origin and Evolution of Life on Earth“ sowie Jonathan I.Lunine (2005) „Astrobiology. A multidisciplinary Approach“).

  2. Der Titel des Buchs „Das fünfte Wunder“ (The 5th Miracle) wirkt auf den ersten Blick leicht ‚esoterisch‘ und für sachlich orientierte Leser daher eher ein wenig abschreckend, aber Paul Davies ist ein angesehener Physiker und hat hier ein Buch geschrieben, das auf der Basis der Physik und Chemie die grundlegende Frage zum Ursprung und der Bedeutung des Lebens systematisch und spannend aufrollt. Hier wird man nicht einfach mit Fakten überschüttet (obgleich er diese hat), sondern anhand von Beobachtungen, daraus sich ergebenden Fragen und Hypothesen beschreibt er einen gedanklichen Prozess, der über Fragen zu Antworten führt, die wiederum neue Fragen entstehen lassen. Es gibt wenige wissenschaftliche Bücher, die so geschrieben sind. Ich halte es für ein glänzendes Buch, wenngleich manche Hypothesen sich durch die weitere Forschung als nicht so ergiebig erwiesen haben. Seine grundsätzlichen Überlegungen bleiben davon unberührt.

  3. Den leicht irritierenden Titel erklärt Davies auf S.22 als Anspielung auf den biblischen Schöpfungsbericht, wo in Vers 11 vom ersten Buch Mose (= Buch Genesis) (abgekürzt Gen 1:11) beschrieben wird, dass Gott die Pflanzen geschaffen habe. Nach Davies war dies das fünfte Wunder nachdem zuvor laut Davies das Universeum (universe), das Licht (light), der Himmel (firmament) und das trockene Land (dry land) geschaffen worden seien. Einer bibelwissenschaftlichen Analyse hält diese einfache Analyse von Davies sicher nicht stand. Sie spielt auch für den gesamten restlichen Text überhaupt keine Rolle. Von daher erscheint mir dieser Titel sehr unglücklich und wenig hilfreich. Für mich beschreibt der Untertitel des Buches den wahren Inhalt am besten: „Die Suche nach dem Ursprung und der Bedeutung des Lebens“.

  4. Im Vorwort (Preface, pp.11-23) formuliert Davies seine zentralen Annahmen. Mit einfachen Worten könnte man es vielleicht wie folgt zusammen fassen: Das Phänomen des Lebens zu definieren bereitet große Schwierigkeiten. Es zu erklären übersteigt die bisher bekannten physikalischen Gesetze. Dass Leben irgendwann im Kosmos aufgetreten ist und der ungefähre Zeitraum wann, das ist Fakt. Nicht klar ist im Detail, wie es entstehen konnte. Ferner ist nicht klar, ob es ein außergewöhnlicher Zufall war oder ob es im Raum der physikalischen Möglichkeiten einen favorisierten Pfad gibt, der durch die ‚inhärenten‘ Eigenschaften von Energie (Materie) dies ‚erzwingt‘. Nur im letzteren Fall wäre es sinnvoll, anzunehmen, dass Leben überall im Universum entstehen kann und – höchstwahrscheinlich – auch entstanden ist.

  5. Dies sind dürre trockene Worte verglichen mit dem Text von Davies, der mit den zentralen Aussagen auch gleich ein bischen Forschungs- und Ideengeschichte rüberbringt (verwoben mit seiner eigenen Lerngeschichte) und der einen exzellenten Schreibstil hat (von daher kann ich jedem nur empfehlen, das Buch selbst zu lesen).

  6. Für Davies ist die Frage der Entstehung des Lebens (Biogenese, engl. Biogenesis) nicht ‚irgend ein anderes‘ Problem, sondern repräsentiert etwas ‚völlig Tieferes‘, das die Grundlagen der gesamten Wissenschaft und des gesamten Weltbildes herausfordert (vgl. S.18). Eine Lösung verlangt radikal neue Ideen, neue Ansätze gegenüber dem Bisherigen (vgl. S.17). Das Phänomen des Lebens entzieht sich eindeutig dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik (der einen Ausgleich aller Energieunterschiede impliziert) und seine Besonderheiten ergeben sich nicht einfach durch bloßen Aufweis seiner chemischen Bestandteile (vgl. S.19). Er vermutet die Besonderheit des Phänomen Lebens in der ‚Organisation von Information‘, was dann die Frage aufwirft, wo diese Information herkommt (vgl.S.19). Als informationsgetriebene Objekte entziehen sich die Phänomene des Lebens allen bekannten Gesetzen der Physik und Chemie (und der Biologie, sofern sie diesen Aspekt nicht als Leitthema hat?).

  7. Davies zieht aus diesen Annahmen den Schluß, dass kein bekanntes Naturgesetz solche hochkomplexe Strukturen von zusammenhanglosen chemischen Bestandteilen induzieren konnte. Er sieht in dem ganzen Entstehungsprozess ein ‚atemberaubendes geniales (ingeniuos)‘ lebens-freundliches Universum, das zu verstehen, wir ganz am Anfang stehen. (vgl. S.20).

  8. Dass Davies aufgrund der atemberaubenden Komplexität von lebensfreundlichen Strukturen eine Interaktion der Erde mit anderen Planeten (z.B. dem Mars) in früheren Phasen nicht ausschließt und im weiteren Verlauf auch akribisch das Für und Wider untersucht, sei hier nur angemerkt. Ein eindeutiges Ergebnis gibt es aufgrund der komplizierten Zusammenhänge – soweit ich sehe – bis heute nicht. Ob spezielle Moleküle, die Bestandteile von lebenskonstituierenden Strukturen geworden sind, teilweise von außerhalb der Erde gekommen sind oder nicht, berührt die wichtigen Grundfragen nach der Struktur und der ‚Bedeutung‘ von Leben im Universum nicht.

  9. Das erste Kapitel (SS.25-47) überschreibt er mit ‚Die Bedeutung des Lebens‘. Er beginnt nochmals mit der Feststellung, dass die Wissenschaft bislang nicht mit Sicherheit weiß, wie das Phänomen des Lebens tatsächlich begann (auf der Erde? mit Unterstützung aus dem Weltall,… ?)(vgl. S.26), um dann nochmals an die bekannten Fakten zu erinnern, wann in der zurückliegenden Zeit Lebensphänomene dokumentiert sind: das älteste gut dokumentierte Tierfossil datiert auf -560 Mio Jahren und findet sich in Australien (Flinders Ranges, nördlich von Adelaide). Etwa 15 Mio Jahre später findet man eine Artenexplosion, die vom Meer ausgehend das Land mit Pflanzen und Tieren ‚kolonisierte‘. Davor aber, ab etwa -1 Milliarde Jahre rückwärts, gab es nur einzellige Organismen. Alle Evidenzen sprechen nach Davies dafür, dass alle späteren komplexen Lebensformen sich aus diesen einfachen, einzelligen Formen entwickelt haben.(vgl.S.29)

  10. Von diesen einzelligen Lebewesen (‚Mikroorganismen‘, ‚Bakterien‘ genannt) weiß man, dass Sie seit mindestens -3.5 Milliarden Jahre existieren [Ergänzung, kein Zitat bei Davies: nach Christian de Duve gibt es auf der ganzen Erde aus allen Zeiten Ablagerungen von Mikroorganismen, die sich versteinert haben und als Stromatolithen Zeugnis geben von diesen Lebensformen, vgl. Duve S.4f] (vgl. S.45)(laut Davies kann ein Löffel Erde bester Qualität 10 Billionen (10*10^12) Mikroorganismen enthalten, die 10.000 verschiedene Arten repräsentieren!(vgl. S.45). Die Verbindungen zwischen den verschiedenen Lebensformen werden durch Vergleiche ihrer Biochemie (auch Metabolismus) und über ihr genetisches Material identifiziert.(vgl. S.46) Von den heute bekannten Mikroorganismen leben diejenigen, die den ältesten Formen von Mikroorganismen am ähnlichsten sind, in großen Meerestiefen am Fuße unterseeischer Vulkane.(vgl. S.47)

  11. Zugleich weiß man nach Davies, dass die lebenden Zelle in ihrer Größe das komplexeste System darstellen, was wir Menschen kennen. (vgl.S.29) Und genau dies bereitet ihm Kopfzerbrechen: Wie ist es möglich, dass ‚geistlose Moleküle‘, die letztlich nur ihre unmittelbaren Nachbarn ’stoßen und ziehen‘ können, zu einer ingeniösen Kooperation zusammenfinden, wie sie eine lebende Zelle verkörpert? (vgl. S.30)

  12. Welche Eigenschaften sind letztlich charakteristisch für eine lebende Zelle? Davies listet oft genannte Eigenschaften auf (Autonomie, Reproduktion, Metabolismus, Ernährung , Komplexität, Organisation, Wachstum und Entwicklung, Informationsgehalt, Hardware/ Software Einheit , Permanenz und Wechsel (vgl.SS.33-36)) und stellt dann fest, dass es offensichtlich keine einfache Eigenschaft ist, die ‚Lebendes‘ von ‚Nicht-Lebendem‘ trennt. (vgl. S.36) Auch scheint eine ‚rein mechanistische‘ Erklärung der chemischen Kausalketten nicht ausreichend zu sein. Es gibt das Moment der ‚Selbstbestimmung‘ (self-determination) bei jeder Zelle, eine Form von ‚Autonomie‘, die sich von keinen physikalischen Eigenschaften herleiten lassen. (vgl. S.33) Biologische Komplexität ist offensichtlich ‚instruierte Komplexität‘, die auf Information basiert (information-based). (vgl. S.31)

  13. Damit würde sich andeuten, dass die beiden Eigenschaften ‚Metabolismus‘ und ‚Reproduktion‘ zwei Kerneigenschaften darstellen (vgl. S.36f), die sich in dem Vorstellungsmodell ‚Hardware (= Metabolismus)‘ und ‚Software (= Reproduktion)‘ wiederfinden.

  14. An dieser Stelle lenkt Davies den Blick nochmals auf ein zentrales Faktum des ganzen Phänomen Lebens, auf das außergewöhnlichste Molekül, das wir kennen, bestehend aus vielen Milliarden sequentiell angeordneten Atomen, bezeichnet als Desoxyribonukleinsäure (deoxyribonucleic acid) (DNA), eine Ansammlung von ‚Befehlen‘, um damit Organismen (Pflanzen, Tiere inklusiv Menschen) ‚hervorbringen‘ zu können. Und dieses Molekül ist unvorstellbar alt, mindestens 3.5 Milliarden Jahre. (vgl. S.41)

  15. Wenn Davies dann weiter schreibt, dass diese DNA die Fähigkeit hat, sich zu Vervielfältigen (to replicate) (vgl. S.41f), dann ist dies allerdings nicht die ganze Wahrheit, denn das Molekül als solches kann strenggenommen garnichts. Es benötigt eine spezifische Umgebung, damit ein Vervielfältigungsprozess einsetzen kann, an den sich dann ein höchst komplexer Umsetzungsprozeß anschliesst, durch den die DNA-Befehle in irgendwelche dynamischen organismischen Strukturen überführt werden. D.h. dieses ‚Wunder‘ an Molekül benötigt zusätzlich eine geeignete ebenfalls höchst komplexe Umgebung an ‚Übersetzern‘ und ‚Machern, die aus dem ‚Bauplan‘ (blueprint) ein lebendes Etwas generieren. Das zuvor von Davies eingeführte Begriffspaar ‚Hardware’/ ‚Software‘ wäre dann so zu interpretieren, dass die DNA eine Sequenz von Ereignissen ist, die als ‚Band‘ einer Turingmaschine einen möglichen Input darstellen und die Umgebung einer DNA wäre dann der ausführende Teil, der einerseits diese DNA-Ereignisse ‚lesen‘ kann, sie mittels eines vorgegebenen ‚Programms‘ ‚dekodiert‘ und in ‚Ausgabeereignisse‘ (Output) überführt. Folgt man dieser Analogie, dann ist der eigentliche ‚berechnende‘ Teil, die ‚rechnende Maschine‘ eine spezifisch beschaffene ‚Umgebung‘ eines DNA-Moleküls (COMPUTER_ENV)! In der ‚Natur‘ ist diese rechnende Maschine realisiert durch Mengen von spezifischen Molekülen, die miteinander so interagieren können, dass ein DNA-Molekül als ‚Input‘ eine Ereigniskette auslöst, die zum ‚Aufbau‘ eines Organismus führt (minimal einer einzelnen Zelle (COMPUTER_INDIVIDUAL)), der dann selbst zu einer ‚rechnenden Maschine‘ wird, also (vereinfacht) COMPUTER_ENV: DNA x ENV —> COMPUTER_INDIVIDUAL.

  16. Die von Davies erwähnte Vervielfältigung (Replikation) wäre dann grob eine Abbildung entweder von einem individuellen System (COMPUTER_INDIVIDUAL) zu einem neuen DNA-Molekül, das dann wieder zu einem Organismus führen kann, oder – wie später dann weit verbreitet – von zwei Organismen, die ihre DNA-Informationen ‚mischen‘ zu einer neuen DNA, vereinfachend REPLICATION: COMPUTER_INDIVIDUAL [x COMPUTER_INDIVIDUAL] x ENV —> DNA.

  17. Sobald in der Entwicklung des Lebens die Brücke von ‚bloßen‘ Molekülen zu einem Tandem aus (DNA-)Molekül und Übersetzer- und Bau-Molekülen – also COMPUTER_ENV und COMPUTER_INDIVUDAL — geschlagen war, ab dann begann die ‚biologische Evolution‘ (wie Darwin und Vorläufer) sie beschrieben haben ‚zu laufen‘. Dieser revolutionäre Replikationsmechanismus mit DNA-Molekülen als Informationsformat wurde zum Generator aller Lebensformen, die wir heute kennen. (vgl.S.42)

  18. Aus der Kenntnis dieses fundamentalen Replikationsmechanismus folgt aber keinerlei Hinweis, wie es zu diesem hochkomplexen Mechanismus überhaupt kommen konnte, und das vor mehr als 3.5 Milliarden Jahren irgendwo unter der Erdoberfläche [Eigene Anmerkung: eine Frage, die auch im Jahr 2012 noch nicht voll befriedigend beantwortet ist!]. (vgl.S.44)

  19. Im Kapitel 2 ‚Against the Tide‘ (S.49-67) greift Davies nochmals den Aspekt des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik auf, nachdem in einem geschlossenen System die Energie erhalten bleibt und vorhandene Ungleichheiten in der Verteilung der Energie (geringere Entropie, geringere Unordnung = höhere Ordnung) auf Dauer ausgeglichen werden, bis eine maximale Gleichverteilung vorliegt (maximale Entropie, maximale Unordnung, minimale Ordnung). [Anmerkung: Dies setzt implizit voraus, dass Energieverdichtungen in einer bestimmten Region des geschlossenen Systems prinzipiell ‚auflösbar‘ sind. Materie als einer Zustandsform von Energie realisiert sich (vereinfacht) über Atome und Verbindungen von Atomen, die unter bestimmten Randbedingungen ‚auflösbar‘ sind. Verbindungen von Atomen speichern Energie und stellen damit eine höhere ‚Ordnung‘ dar als weniger verbundene Atome.]

  20. Wie oben schon festgestellt, stellt die Zusammenführung von Atomen zu komplexen Molekülen, und eine Zusammenfügung von Molekülen zu noch komplexeren Strukturen, wie sie das Phänomen des Lebens auszeichnet, lokal begrenzt eine ‚Gegenbewegung‘ zum Gesetz der Zunahme von Entropie dar. Das Phänomen des Lebens widersetzt sich darin dem allgemeinen Trend (‚against the tide‘). Dies ist nur möglich, weil die biologischen Strukturen (Moleküle, Molekülverbände, Zellen, Replikation…) für ihre Zwecke Energie einsetzen! Dies bedeutet, sie benötigen ‚frei verfügbare Energie‘ (free energy) aus der Umgebung. Dies sind entweder Atomverbindungen, deren Energie sich mittels eines geringen Energieaufwandes teilweise erschließen lässt (z.B. Katalyse mittels Enzymen), oder aber die Nutzung von ‚Wärme‘ (unterseeische Vulkane, Sonnenlicht,…). Letztlich ist es die im empirischen Universum noch vorhandene Ungleichverteilungen von Energie, die sich partiell mit minimalem Aufwand nutzen lässt, die biologische Strukturen ermöglicht. Aufs Ganze gesehen führt die Existenz von biologischen Strukturen auf Dauer aber doch auch zum Abbau eben dieser Ungleichheiten und damit zum Anwachsen der Entropie gemäß dem zweiten Hauptsatz. (vgl. 49-55) [Anmerkung: durch fortschreitende Optimierungen der Energienutzungen (und auch der organismischen Strukturen selbst) kann die Existenz von ‚Leben‘ im empirischen Universum natürlich ’sehr lange‘ andauern.]

  21. Davies weist an dieser Stelle ausdrücklich darauf hin, dass die scheinbare Kompatibilität des Phänomens Leben mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik nicht bedeutet, dass die bekannten Gesetze der Physik damit auch schon ‚erklären‘ würden, wie es überhaupt zur Ausbildung solcher komplexer Ordnungen im Universum kommen kann, wie sie die biologischen Strukturen darstellen. Sie tun es gerade nicht.(vgl. S.54) Er zitiert hier u.a. auch Erwin Schroedinger mit den Worten ‚Wir müssen damit rechnen, einen neuen Typ von physikalischem Gesetz zu finden, das damit klarkommt‘ (vgl. S.52)

  22. Davies macht hier auch aufmerksam auf die strukturelle Parallelität zwischen dem physikalischen Begriff der Entropie, dem biologischen Begriff der Ordnung und dem von Shannon geprägten Begriff der Information. Je mehr ‚Rauschen‘ (noise) wir in einer Telefonverbindung haben, um so weniger können wir die gesprochenen Worte des Anderen verstehen. Rauschen ist ein anderes Wort für ‚Unordnung = Entropie‘. Je geringer die Entropie heißt, d.h. umso höher die ‚Ordnung‘ ist, um so höher ist der Informationsgehalt für Sender und Empfänger. Shannon hat daher ‚Information‘ als ‚Negentropie‘, als ’negative Entropie‘ definiert. Biologische ‚Ordnung‘ im Sinne von spezifisch angeordneten Atomen und Molekülen würde im Sinne der Shannonschen Informationstheorie dann einen hohen Informationsgehalt repräsentieren, wie überhaupt jede Form von Ordnung dann als ‚Information‘ aufgefasst werden kann, da diese sich von einer ‚gleichmachenden Unordnung‘ ‚abhebt‘.(vgl. S.56)

  23. Wie kann aus einem Rauschen (Unordnung) Information (Ordnung) entstehen? Davies (im Einklang mit Schroedinger) weist darauf hin, dass die Ordnung aus der frei verfügbaren Energie aus der Umgebung stammt.(vgl. S.56f). Das DNA-Molekül repräsentiert in diesem Sinne als geordnete Struktur auch Information, die durch ‚Mutationen‘ (= Rauschen!) verändert werden kann. Es werden aber nur jene Organismen in einer bestimmten Umgebung überleben, deren in der DNA-gespeicherten Information für die jeweilige Umgebung ‚hinreichend gut‘ ist. D.h. in der Interaktion zwischen (DNA, Replikationsmechanismus, Umgebung) filtert die Umgebung jene Informationen heraus, die ‚geeignet‘ sind für eine fortdauernde Interaktion [Anmerkung: salopp könnte man auch sagen, dass die Umgebung (bei uns die Erde) sich genau jene biologischen Strukturen ‚heranzüchtet‘, die für eine Kooperation ‚geeignet‘ sind, alle anderen werden aussortiert.](vgl. S.57)

  24. Ein anderer Aspekt ist der Anteil an ‚Fehlern‘ in der DNA-Bauanleitung bzw. während des Replikationsprozesses. Ab einem bestimmten Anteil können Fehler einen funktionstüchtigen Organismus verhindern. Komplexe Organismen setzen entsprechend leistungsfähige Fehlervermeidungsmechanismen voraus. (vgl. SS.58-60)

  25. Weiterhin ist zu beachten, dass ‚Information‘ im Sinne von Shannon eine rein statistische Betrachtung von Wahrscheinlichkeiten im Auftreten von bestimmten Kombinationen von Elementen einer Grundmenge darstellt. Je ’seltener‘ eine Konfiguration statistisch auftritt, umso höher ist ihr Informationsgehalt (bzw.  ‚höhere Ordnungen‘ sind ’seltener‘). Dies Betrachtungsweise lässt die Dimension der ‚Bedeutung‘ ganz außer Acht.

  26. Eine Bedeutung liegt immer dann vor, wenn ein Sender/ Empfänger von einer Entität (z.B. von einem DNA-Molekül oder von einem Abschnitt eines DNA-Moleküls) auf eine andere Entität (z.B. anderen Molekülen) ’schließen‘ kann. Im Falle der biologischen Strukturen wäre dies z.B. der Zusammenhang zwischen einem DNA-Molekül und jenen organismischen Strukturen, die aufgrund der Information im DNA-Molekül ‚gebaut‘ werden sollen. Diese zu bauenden organismischen Strukturen würden dann die ‚Bedeutung‘ darstellen, die mit einem DNA-Molekül zu verbinden wäre.

  27. Shannonsche Information bzw. biologische Ordnung haben nichts mit dieser ‚(biologischen) Bedeutung‘ zu tun. Die biologische Bedeutung in Verbindung mit einem DNA-Molekül wäre damit in dem COMPUTER_ENV zu lokalisieren, der den ‚Input‘ DNA ‚umsetzt/ verwandelt/ übersetzt/ transformiert…‘ in geeignete biologische Strukturen.(vgl.S.60) [Anmerkung: Macht man sich hier die Begrifflichkeit der Semiotik zunutze, dann könnte man auch sagen, dass die spezifische Umgebung COMPUTER_ENV eine semiotische Maschine darstellt, die die ‚Syntax‘ der DNA übersetzt in die ‚Semantik‘ biologischer Organismen. Diese semiotische Maschine des Lebens ist ‚implementiert‘ als ein ‚chemischer Computer‘, der mittels diverser chemischer Reaktionsketten arbeitet, die auf den Eigenschaften unterschiedlicher Moleküle und Umgebungseigenschaften beruhen.]

  28. Mit den Begriffen ‚Entropie‘, ‚Ordnung‘ und ‚Information‘ erwächst unweigerlich die Frage, wie konnte Ordnung bzw. Information im Universum entstehen, wo doch der zweite Hauptsatz eigentlich nur die Entropie favorisiert? Davies lenkt den Blick hier zurück auf den Ursprung des bekannten Universums und folgt dabei den Eckwerten der Big-Bang Theorie, die bislang immer noch die überzeugendste empirische Beschreibung liefert. In seiner Interpretation fand zu Beginn eine Umwandlung von Energie sowohl in die uns bekannte ‚Materie‘ statt (positive Energie), zugleich aber auch in ‚Gravitation‘ (negative Energie). Beide Energien heben sich gegenseitig auf. (vgl. S.61f)

  29. Übernimmt man die übliche Deutung, dass die ‚kosmische Hintergrundstrahlung‘ einen Hinweis auf die Situation zu Beginn des Universums liefert, dann war das Universum zu Beginn ’nahezu strukturlos‘, d.h. nahe bei der maximalen Entropie, mit einer minimale Ordnung, nahezu keiner Information. (vgl. S.62f) Wie wir heute wissen, war es dann die Gravitation, die dazu führte, dass sich die fast maximale Entropie schrittweise abbaute durch Bildung von Gaswolken und dann von Sternen, die aufgrund der ungeheuren Verdichtung von Materie dann zur Rückverwandlung von Materie in Energie führte, die dann u.a. als ‚freie Energie‘ verfügbar wurde. [Anmerkung: der andere Teil führt zu Atomverbindungen, die energetisch ‚höher aufgeladen‘ sind. Diese stellt auch eine Form von Ordnung und Information dar, also etwa INF_mat gegenüber der INF_free.] Davies sieht in dieser frei verfügbare Energie die Quelle für Information. (vgl. S.63)

  30. Damit wird auch klar, dass der zweite Hauptsatz der Thermodynamik nur eine Seite des Universums beschreibt. Die andere Seite wird von der Gravitation bestimmt, und diese arbeitet der Entropie diametral entgegen. Weil es die Gravitation gibt, gibt es Ordnung und Information im Universum. Auf dieser Basis konnten und können sich biologische Strukturen entwickeln. (vgl. S.64)

  31.  [Anmerkung: In dieser globalen Perspektive stellt die Biogenese letztlich eine folgerichtige Fortsetzung innerhalb der ganzen Kosmogenese dar. Aktuell bildet sie die entscheidende Phase, in der die Information als freie Energie die Information als gebundene Energie zu immer komplexeren Strukturen vorantreibt, die als solche einer immer mehr ‚verdichtete‘ (= komplexere) Information verkörpern. Biologische Strukturen bilden somit eine neue ‚Zustandsform‘ von Information im Universum.]

  32. Mit den Augen der Quantenphysik und der Relativitätstheorie zeigt sich noch ein weiterer interessanter Aspekt: die einzelnen Teilchen, aus denen sich die bekannte Materie konstituiert, lassen ‚an sich‘, ‚individuell‘ keine ‚Kontexte‘ erkennen; jedes Teilchen ist wie jedes andere auch. Dennoch ist es so, dass ein Teilchen je nach Kontext etwas anderes ‚bewirken‘ kann. Diese ‚Beziehungen‘ zwischen den Teilchen, charakterisieren dann ein Verhalten, das eine Ordnung bzw. eine Information repräsentieren kann. D.h. Ordnung bzw. Information ist nicht ‚lokal‘, sondern eine ‚globale‘ Eigenschaft. Biologische Strukturen als Repräsentanten von Information einer hochkomplexen Art sind von daher wohl kaum durch physikalische Gesetze beschreibbar, die sich auf lokale Effekte beschränken. Man wird sicher eine neue Art von Gesetzen benötigen. (vgl. S.67)

  33. [Anmerkung: Eine strukturell ähnliche Situation haben wir im Falle des Gehirns: der einzelnen Nervenzelle im Verband von vielen Milliarden Zellen kann man als solche nicht ansehen, welche Funktion sie hat. Genauso wenig kann man einem einzelnen neuronalen Signal ansehen, welche ‚Bedeutung‘ es hat. Je nach ‚Kontext‘ kann es von den Ohren kommen und einen Aspekt eines Schalls repräsentieren, oder von den Augen, dann kann es einen Aspekt des Sehfeldes repräsentieren, usw. Dazu kommt, dass durch die immer komplexere Verschaltung der Neuronen ein Signal mit zahllosen anderen Signalen ‚vermischt‘ werden kann, so dass die darin ‚kodierte‘ Information ’semantisch komplex‘ sein kann, obgleich das Signal selbst ‚maximal einfach‘ ist. Will man also die ‚Bedeutung‘ eines neuronalen Signals verstehen, muss man das gesamte ‚Netzwerk‘ von Neuronen betrachten, die bei der ‚Signalverarbeitung‘ zusammen spielen. Und das würde noch nicht einmal ausreichen, da der komplexe Signalfluss als solcher seine eigentliche ‚Bedeutung‘ erst durch die ‚Wirkungen im Körper‘ ‚zeigt‘. Die Vielzahl der miteinander interagierenden Neuronen stellen quasi nur die ‚Syntax‘ eines neuronalen Musters dar, dessen ‚Bedeutung‘ (die semantische Dimension) in den vielfältigen körperlichen Prozessen zu suchen ist, die sie auslösen bzw. die sie ‚wahrnehmen‘. Tatsächlich ist es sogar noch komplexer, da für die ‚handelnden Organismen‘ zusätzlich noch die ‚Umgebung‘ (die Außenwelt zum Körper) berücksichtigen müssen.]

  34. Davies erwähnt im Zusammenhang der Gravitation als möglicher Quelle für Information auch Roger Penrose und Lee Smolin. Letzterer benutzt das Konzept der ‚Selbstorganisation‘ und sieht zwischen der Entstehung von Galaxien und biologischen Populationen strukturelle Beziehungen, die ihn zum Begriff der ‚eingebetteten Hierarchien von selbstorganisierenden Systemen führen. (vgl. S.65)

     

Fortsetzung Teil 2

Einen Überblick über alle bisherigen Themen findet sich HIER

 

DIE ANDERE DIFFERENZ (im Gespräch über das, was ein ‘glücklicher Zustand’ sein soll)

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Datum: 2.März 2012

(1) Im Nachklang zu meinem letzten Blogeintrag und in Erinnerung an ein Gespräch, das ich gestern mit einem lieben Freund hatte (und davor mit einem meiner Studenten), trat nochmals die Frage in den Mittelpunkt, was denn das Besondere am Leben sei. Als einzelne(r) erlebt man das Leben aus der individuellen Perspektive und aus dieser Perspektive eröffnen sich zahllose Paradoxien (Widersprüche): z.B. stehen die Endlichkeit des Körpers und der individuellen Lebenszeit in einem scheinbar unauflösbaren Widerspruch zum persönlichen Wunsch nach einem glücklichen, unbeschwerten Leben. Denn, der Körper ist nicht nur endlich, sondern auch geschwängert mit zahllosen Bedürfnissen, Trieben, Emotionen und Gefühlen, die auf vielfältige Weise Spannungen in das Lebensgefühl hineintragen, Unruhen, Unzufriedenheiten, Ängste und dergleichen mehr. Dazu kommt für die überwiegende Anzahl der Menschen die tägliche Notwendigkeit, Zeit und Energie aufwenden zu müssen – man nennt es ‚Arbeiten‘ –, um den ‚Lebensunterhalt‘ zu sichern. Für die allerwenigsten ist diese Arbeit das, was sie tun würden, wenn sie nicht diesem ‚Zwang‘ unterliegen würden; für die meisten erscheint die Arbeit als ‚Last‘, und für nicht wenig ist sie eher ‚Hölle‘ denn ‚Himmel‘. Die täglichen Qualen, die hier sehr viele Menschen erleiden müssen, würden, könnte man sie hörbar machen, eine ‚Musik des Grauens‘ entstehen lassen, die den wenigen, die sich – aus welchen Gründen auch immer –, dieser täglichen Hölle entziehen können, das Leben unerträglich machen, wobei es sicherlich mehr ‚Höllen‘ in diesem Sinne gibt, als der äußere Anschein auf den ersten Blick an Eindruck erweckt. Denn die Endlichkeit, in der wir uns als individuelle Menschen vorfinden ist in sich eine Struktur, der niemand entfliehen kann. Das ‚Hineingeworfensein‘ in das tägliche Leben hat eine Uerbittlichkeit, die letztlich über allem und jedem steht, sie ist Teil unseres Vorkommens in dieser Welt, Teil unseres Erlebens und Fühlens, Teil unseres Denkens, unentrinnbar, wesentlich, selbst im Versuch des ‚Nicht-Denkens‘ verbleibt eine grundlegende ‚Differenz‘ ähnlich wie der kosmischen Hintergrundstrahlung, die noch 13.2 Mrd Jahre nach dem ‚BigBang‘ Kunde gibt, von diesem Anfangsereignis.

(2) Beschreibungen von ‚Glück‘ und ‚Zufriedenheit‘ orientieren sich oft an der gewünschten ‚Abwesenheit‘ der täglichen Spannungen, Abwesenheit von ‚Müssen‘, Abwesenheit von ‚Unruhen‘ oder, konkreter, durch Erfüllung konkreter Bedürfnisse und Triebe wie ‚viel Geld‘, ‚viel Macht‘, ’sexuelle Befriedigung‘, ‚tolles Essen‘, ‚eigenes Haus mit Garten‘, usw. Alle solchen ‚konkreten‘ Erfüllungswünsche tragen den Samen zu neuer Unzufriedenheit, den Samen zu neuen Spannungen schon in sich, bevor sie überhaupt so richtig ‚das Licht dieser Welt‘ erblickt haben. Es sind Wechselpositionen, bei denen man eine Unzufriedenheit gegen eine andere (neue) eintauscht. Hier sind wir alle gern und leicht ‚Wiederholungstäter‘; wir sind unzufrieden mit dem ‚Bisherigen‘, trennen uns, weil wir die Unzufriedenheit loswerden wollen, und schon sind wir im scheinbar ‚Neuen‘ genau wieder da, wo wir eigentlich herkommen: weil wir nicht wirklich etwas Neues kennen oder suchen landen wir immer wieder bei dem, was uns vertraut ist, selbst im Muster der ‚Flucht‘.

(3) Ähnlich der klassischen bewusstseinsorientierten Philosophie, in der alle – auch noch so großen – Gedanken im engen Raum des bewussten Erlebens wie Atome an die Wände eines Behälters prallen und so auf engem Raum verharren, und den Anschein von Aporien (Widersprüchen) entstehen lassen, so unterliegt unser subjektives Erleben der permanenten Gefahr, seine eigentümliche Kraft in einer Art dauerhaften ‚psychischen Selbstverbrennung‘ zu verzehren, anstatt zu erleben, dass es weit über sich selbst hinausweisen kann, dass es sehr wohl individuelle Schranken überwinden kann, dass es nicht nur dem Anschein nach, sondern ‚wirklich‘, ‚real‘ ‚grenzenlos‘ sein kann.

(4) Dies kann man aber nur erkennen, wenn man den Blick über den Augenblick hinaus ausweitet und sich der Zusammenhänge bewusst wird, die alle wirksam sind dafür, dass man selbst in dem jeweiligen Augenblick ‚da ist‘, und zwar ’so‘ da ist, wie man sich gerade vorfindet. Denn, schon der eigene Körper, in den man sich so leicht verlieben kann, ist so da, ohne dass man selbst irgend etwas dafür getan hätte; natürlich, die Ernährung dieses Körpers, die tägliche Bewegung oder Nicht-Bewegung können diese Körper beeinflussen, können ihn ‚dick‘ oder ‚dünn‘ machen, können ihn ‚verschleißen‘ und dergleichen mehr, aber dies sind nur Modulationen eines Grundthemas, das als solches uns vorgegeben ist. Grundsätzlich finden wir uns vor mit unserem Körper, mit den Eigenschaften dieses Körpers; wir finden uns vor mit anderen Menschen, die wir uns nicht ausgesucht haben, wir finden uns vor in Gebäuden, Strassen, Infrastrukturen, die wir selbst nicht gemacht haben, wir finden uns vor mit Pflanzen und Tieren, die wir nicht gemacht haben, mit einer Atmosphäre, einer Erde, usw. Strenggenommen gibt es nahezu nichts von Bedeutung, was wir selbst dazu beigetragen haben, dass das Leben ist, wie wir es vorfinden. Merkwürdigerweise scheint es es nur wenige Menschen zu geben, denen diese Grundtatsache bewusst ist. Nicht wenige zeigen ein Selbstgefühl im Sinne eines ‚Grundanspruchs auf alles‘, ‚Hier bin ich, seht doch, ich habe ein Anspruch auf…‘. Dabei sind Alle ‚Gewordene‘, ungefragt; alle sind Teil eines größeren Prozesses, der nicht nur Orte und Regionen umfasst, sondern die ganze Erde, unser Sonnensystem, unsere Milchstraße, ja sogar das gesamte Universum: wer sich dieser Perspektive verschließt, wird vermutlich niemals verstehen, verstehen können, wer er ist, was das Ganze soll. Es kann keine ‚partielle‘ Wahrheit geben; dies ist ein Widerspruch in sich.

(5) Was ist ein ‚wirklich glücklicher Zustand‘? Wir Menschen haben unzählige Bilder entwickelt von dem, was wir als ’schön‘ und ‚gut‘ empfinden wollen, unzählige (Texte, Musik, Mode, Rezepte, Bauten, soziale Gebilde, Verhaltensweisen,….), aber, was auch immer es war oder ist, im Moment des Geschehens ist klar, dass das nicht ‚voll wirklich‘ sein kann, weil es einen nächsten Moment gibt, noch einen, und noch einen und dann verfällt entweder das mühsame zubereitete Gebilde oder das Erlebnis ist vergangen, wird zur Erinnerung, oder wir selbst haben uns verändert, verändern uns beständig weiter, und noch so viele ‚Verdrängungsmassnahmen‘ können auf Dauer unser Altern und Sterben nicht verhindern, und was ist ’schön‘ und ‚wahr‘ im Moment des Sterbens?

(6) Was also ist ein ‚wahrhaft glücklicher Zustand‘? Die Logik hat uns gelehrt, dass wir nur Dinge als ‚logisch wahr‘ beweisen können, die in den akzeptierten Voraussetzungen potentiell enthalten sind. Angewandt auf unsere Fragestellungen würde dies bedeuten, dass wir nur dann ein ‚umfassendes‘ Glück finden können, wenn unsere jeweiligen Voraussetzungen solch ein umfassendes Glück prinzipiell zulassen könnten.

(7) Erinnert man sich nun, dass das biologische Leben seinen Ausgangspunkt bei der Tatsache nimmt, dass sich in einem Universum, in dem das Gesetz der Entropie gilt (salopp: Ausgleich aller Unterschiede auf Dauer) — in einer bestimmten Region dieses Universums (ob woanders als auf der Erde auch, wissen wir noch nicht; ist aber nicht auszuschließen) durch Verbrauch von Energie lokale Unterschiede gebildet haben, die die Eigenschaft besitzen, als ‚Signale für Ereignisse‘ fungieren zu können, und – mehr noch –, die nicht nur die außergewöhnliche Eigenschaft besitzen, sich ‚kopieren‘ zu können, sondern darüber hinaus auch noch, sich zu ‚immer komplexeren Differenzmustern‘ anreichern zu können, für deren ‚Ausdehnung‘ es keine ‚Grenze‘ zu geben scheint. Diese Differenzmustern verbrauchen immer mehr Energie aus der Umgebung, sind aber in der Lage, ihre ‚Signaleigenschaften‘ dahingehend ‚organisieren‘ zu können, dass Sie unterschiedliche ‚Signalebenen‘ generieren, die sich ‚wechselseitig repräsentieren‘ können. Dadurch besteht die Möglichkeit, dass ‚Ereignisprofile der Umgebung‘ als energetische Muster in die internen Signalstrukturen ‚abgebildet‘ und dort weiter ‚verarbeitet‘ werden können. Auf diese Weise hat das Universum eine Möglichkeit geschaffen, in Form ’selbstorganisierender Differenzstrukturen‘ energetisch bedingte Eigenschaften des Universums in Form von ‚Signalmodellen‘ zu ‚reformulieren‘ und damit ‚explizit‘ zu machen. Durch das Aufspannen von ‚Signalebenen‘ ist auch das entstanden, was wir ‚Bewusstsein‘ nennen. D.h. die sich selbst organisierenden und expandierenden Differenzmuster des ‚Lebens‘ können ‚in sich‘ die Struktur des Universums (einschließlich ihrer selbst) ‚wiederholen‘ und in steigendem Umfang auf diese zurückwirken. Grundsätzlich ist nicht ausgeschlossen, dass das Prinzip der vielschichtigen Differenzmuster nicht nur die wesentlichen Wirkprinzipien des Universums entschlüsselt (und dabei zu einem ‚zweiten‘ Universum, zur ’symbolischen Form‘ des Universums wird), sondern letztlich das gesamte Universum ‚mittels seiner eigenen Prinzipien‘ ‚verändert. In dem Masse, wie dies geschieht, kann das ‚erreichbare Glück‘ für solch eine Differenzstruktur ’sehr weit‘ anwachsen.

(8) Natürlich wird hier auch klar, dass es nicht die einzelne, isolierte Differenzstruktur ist, auf die es ankommt (wenngleich es ohne jede einzelne Struktur auch kein Ganzes geben kann), sondern die Gesamtheit, die nur solange eine ‚Gesamtheit‘ ist, solange es ihr gelingt, sich untereinander durch ‚Kommunikation‘ und entsprechende ‚Verarbeitung‘ zu ‚koordinieren‘. ‚Isolierte‘ hochentwickelte Differenzstrukturen haben keine Überlebenschance auf Dauer; sie vergehen, ohne möglicherweise eine ‚Wirkung‘ entfaltet zu haben. Überleben können nur solche ‚Verbände‘ von Differenzstrukturen, die einen ‚hinreichenden‘ Zusammenhang, sprich eine hinreichende ‚Koordinierung‘ haben. Dies kann bis zu einem gewissen Grad durch ‚Zwang‘ geschehen, aber auf Dauer ist ‚Zwang‘ ‚unproduktiv‘. Ein ‚Optimum‘ liegt nur vor, wenn jede einzelne Differenzstruktur ihr ‚Maximum‘ erreichen kann und diese individuellen Maxima durch ‚Kommunikation‘ miteinander im permanenten ‚Austausch‘ bestehen. Historisch beobachten wir momentan, dass die Kommunkationstechnologie zwar das Ausmaß des Austausches dramatisch erhöhen konnte, dass aber die individuellen Verarbeitungskapazitäten der einzelnen Differenzmuster quasi konstant auf einem bestimmten Niveau verharrt (daneben gibt es  kulturell und machtpolitisch errichtete Barrieren des Austausches und des ungehinderten Denkens, die erheblich sind). Dieser ‚Bottleneck‘ ist eine ernsthafte Gefahr. Es steht den Differenzmustern allerdings frei, ihre Denkpotential zu nutzen, um den ‚eigenen Bottleneck‘ durch geeignete Maßnahmen zu beheben (Denktechnologie in Verbindung mit Gentechnik, d.h. Beschleunigung der Evolution dadurch, dass die Evolution eine ihrer größten Errungenschaften, die Denkmöglichkeiten des homo sapiens, dazu benutzt, ihren Konstruktionsprozess zu beschleunigen. Viele aktuell gehandelte sogenannte ‚Ethiken‘ (salopp: Regeln des richtigen Verhaltens) sind hoffnungslos falsch und damit für das Überleben des Lebens (nicht nur auf der Erde) gefährlich).

Natürlich ist das Thema damit nicht erschöpft. Unser Schicksal ist es, ein großes Ganzes immer nur in Splittern und Bruchstücken denken zu können; viele Splitter können ‚Umrisse‘ ergeben, Umrisse …. usw.

 

 

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