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AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT

(Letzte Änderung 14.Okt.2014, 06:11h )

Da die rekonstruierende Lektüre zu Avicennas Abhandlung zur Logik ein immer größeres Ausmaß annimmt, erweist sich die Methode, jeden einzelnen Beitrag mit einem Überblick über die vorausgehenden Beiträge einzuleiten, als immer weniger praktikabel. Deswegen wird jetzt ein eigener Blogeintrag als Referenzpunkt für diesen Überblick gewählt. Dies bedeutet, dass künftig alle nachfolgenden Beiträge einleitend (für die ‚Vorgeschichte‘), auf diesen Blogeintrag verweisen werden. Es ist zu beachten, dass diese Übersicht nur eine Übersicht über die wichtigsten Begriffe und Themen ist ohne alle Details und normalerweise auch ohne die ausführliche Diskussion von Avicennas Gedanken. Diese finden sich nur in den Blogeinträgen selbst, auf die verwiesen wird.

1. In einem ersten Beitrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 1 hatte ich geschildert, wie ich zur Lektüre des Textes von Avicenna gekommen bin und wie der Text grob einzuordnen ist.

2. In einem zweiten Beitrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 2 ging es um die Frage, warum überhaupt Logik? Avicenna führt erste Unterscheidungen zu verschiedenen Wissensformen ein, lässt aber alle Detailfragen noch weitgehend im Dunkeln.

3. Im Teil AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 3 ging es um einfache und zusammengesetzte Begriffe, und bei den einfachen Begriffen um ‚individuelle‘ und ‚universelle‘. Schon hier zeigt sich der fundamentale Unterschied zwischen der antiken und der modernen-formalen Logik. In der antiken Logik wird die Ausdrucksebene E – und einer sich daran manifestierenden Folgerungslogik – immer in Verbindung mit einer zugehörigen Bedeutungsstruktur gesehen, die sich an einer Objektstruktur O festmacht. Die moderne formale Logik kennt zwar auch ‚Semantiken‘ und ‚Ontologien‘, diese sind aber ’sekundär‘, d.h. es werden nur solche ‚formalen Semantiken‘ betrachtet, die zum vorausgesetzten syntaktischen Folgerungsbegriff ‚passen‘. Dies sollte dann später an konkreten Beispielen diskutiert werden. Hier liegt der Fokus auf der antiken Logik im Sinne Avicennas.

4. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 4 knüpft Avicenna an den zuvor eingeführten Begriff des ‚universellen‘ Begriffs an und betrachtet jetzt solche als ‚universell‘ bezeichneten Ausdrücke in einem Ausdruckskontext von aufeinanderfolgenden Ausdrücken. Alle diese Ausdrücke könnte man im Sinne der antiken Logik auch als ‚Urteile‘ bezeichnen, durch die einem bestimmten Ausdruck durch andere Ausdrücke bestimmte Bedeutungen (Eigenschaften) zu- oder abgesprochen werden. Hier unterscheidet er die Fälle eines ‚wesentlichen‘ Zusammenhanges zwischen zwei Begriffen und eines ’nicht wesentlichen‘ – sprich ‚akzidentellen‘ – Zusammenhangs.

5. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 5 führt Avicenna eine Reihe von neuen technischen Begriffen ein, die sich nicht alle in ihrer Bedeutung widerspruchsfrei auflösen lassen. Es handelt sich um die Begriffe ‚Genus‘, ‚Spezies‘, Differenz, allgemeine und spezielle Akzidens, den Begriff ‚Kategorie(n)‘ mit den Kategorien ‚Substanz‘, ‚Qualität‘ und ‚Quantität‘. Die Rekonstruktion führt dennoch zu spannenden Themen, z.B. zu einem möglichen Einstieg in das weltverändernde Phänomen der kognitiven Evolution.

6. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 6 geht es um die Begriffe ‚Definition‘ und ‚Beschreibung‘. Im Verhältnis zwischen beiden Begriffen geht die Beschreibung der Definition voraus. In der ‚Definition‘, die Avicenna vorstellt, wird ein neuer Ausdruck e mittels anderer Ausdrücke <e1, …, ek>, die sich auf schon bekannte Sachverhalte beziehen, ‚erklärt‘. Die von Avicenna dann vorgenommene Erklärung, was eine ‚Definition‘ sei, hängt u.a. stark ab von dem Begriff der ‚Bekanntheit‘ und dem Begriff des ‚wahren Wesens‘. Für die Tatsache, dass ein Mensch A bestimmte Ausdrücke <e1, …, ek> einer Sprache L ‚kennt‘ oder ’nicht kennt‘, dafür gibt es keine allgemeinen Regeln oder Kriterien. Von daher macht die Verwendung der Ausdrücke ‚bekannt’/ ’nicht bekannt‘ eigentlich nur Sinn in solch einem lokalen Kontexten W* (z.B. einem Artikel, ein Buch, ein Vortrag, …), in dem entscheidbar ist, ob ein bestimmter Ausdruck e einer Sprache L schon mal vorkam oder nicht. Schwierig wird es mit dem Begriff des ‚wahren Wesens‘. In meiner Interpretation mit der dynamischen Objekthierarchie gibt es ‚das wahre Wesen‘ in Form von Objekten auf einer Stufe j, die Instanzen auf Stufen kleiner als j haben. Dazu gab es weitere Überlegungen.

7. Im folgenden Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 7 beschreibt Avicenna syntaktisch zusammengesetzte, aber semantisch einfache Ausdrücke. Innerhalb der Ausdrücke unterscheidet er die Teileausdrücke ‚Name‘, ‚Verb‘ und ‚Präposition‘. Die unterschiedliche Charakterisierung erfolgt nicht aufgrund der syntaktischen Form, sondern aufgrund der semantischen Eigenschaften, die mit diesen Ausdrücken verbunden werden. Neben dem Objektbezug, der die eigentliche Bedeutung fundiert, gibt es im Bedeutungsraum auch noch den zeitlichen und den räumlichen Aspekt. Das Zusammenspiel von Bedeutung und Ausdruck wird angerissen.

8. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 8 geht es um solche Ausdrücke E, die ‚Aussagen‘ P sind, von denen man sagt, dass sie ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ seien. Aussagen sind eine echte Teilmenge aller Ausdrücke, $latex P \subset E$. Avicenna unterscheidet drei Arten von Aussagen: ‚kategorische‘ Aussagen, ‚Disjunktiv-konditionelle‘ und ‚Konjunktiv-konditionelle‘. Es wird ausführlich eine mögliche Wahrheitstheorie für die Zuschreibung ‚wahr’/ ‚falsch‘ diskutiert. Dann werden nochmals die Aussagetypen näher untersucht. Ein Zusammenhang mit der modernen Aussagenlogik wird hergestellt. Disjunktion, Konjunktion (und ergänzend) Implikation) sind Aussagetypen, die aus zwei Teilausdrücken A und B bestehen, die selbst wieder Aussagen sind, die wahr oder falsch sein können. Die beiden Teilausdrücke A und B werden dann durch die Teilausdrücke (oder), (und) sowie (wenn)-(dann)- verknüpft. Sie unterscheiden sich dadurch, wie der Wahrheitswert des Gesamtausdrucks von der Verteilung der Wahrheitswerte auf die Teilausdrücke festgelegt ist. Die Teilausdrücke (oder), (und) sowie (wenn)-(dann)- nennt man später dann auch ‚aussagenlogische Operatoren‘. Der Aussagetyp ‚kategorisierend‘ passt nicht in dieses Schema. Der Aussagetyp ‚kategorisierend‘ ist eine Aussage A, die wahr oder falsch sein kann unabhängig von irgendeinem aussagenlogischen Operator. Auch wird die Verneinung/ Negation diskutiert. Ausdrücke wie (Etwas)(ist nicht)(dies)(oder)(jenes) wurden rekonstruiert als $latex \neg(A)(oder)(B)$ mit dem Zeichen $latex \neg$ für ’nicht‘ oder ‚es ist nicht der Fall, dass‘.

9. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 9 kommt Avicenna auf mehrere Begriffspaare zu sprechen, die sich z.T. mit Themen berühren, die er schon vorher besprochen hat, z.T. neue Aspekte thematisieren, die nicht so ohne weiteres mit dem bisher Gesagten harmonieren. Es handelt sich z.B. um die Begriffe ‚Kategorisch‘, ‚Negation‘, ‚Universal‘, ‚Partikulär‘, die aber jetzt mit neuen Randbedingungen nochmals diskutiert werden. So stellt er die Frage, wann ‚kategorischen‘ (‚kategorisierenden‘) Aussagen ‚affirmativ‘ und wann sie ’negativ‘ sind. Ferner führt er neben den bisherigen die semantisch motivierten Begriffe ‚Name‘, ‚Verb‘ (auch ‚Term‘ genannt), sowie ‚Präposition‘ nun auch das Begriffspaar ‚Subjekt‘ und ‚Prädikat‘. Auch diese sind ’semantisch‘ motiviert, d.h. nur durch Rückgriff auf die Bedeutung kann man zur Klassifikation ‚Subjekt‘ bzw. ‚Prädikat‘ kommen. In den soeben erwähnten Kontexten wie auch in nachfolgenden Beispielen diskutiert Avicenna auch die Begriffe ‚affirmativ‘ und ’negativ‘. Zwischendrin bemerkt er auch mal, dass das Treffen einer Feststellung, eigentlich nur Sinne mache, wenn dasjenige, von dem etwas ausgesagt wird, auch existiere. Doch wird dieser Punkt nicht weiter diskutiert. Vom Subjekt einer Aussage sagt Avicenna, dass es partikulär‘ oder ‚universell‘ sein kann. Falls universell, dann kann man unterscheiden, ob sie ‚unbestimmt‘ (engl.: ‚indeterminate‘) ist – wie viele genau involviert sind — oder eben ‚bestimmt‘ (engl.: ‚determinate‘). Ferner illustriert er am Beispiel der kategorisierenden Aussagen auch die Begriffe ’notwendig‘ und ‚kontingent‘. Diese Verwendung der Begriffe stimmt überein mit den zuvor eingeführten Begriffe ‚wesentlich‘ und ‚akzidentell‘. Auch erwähnt Avicenna den Begriff ‚möglich‘. Er sieht mindestens zwei Verwendungsweisen von ‚möglich‘: In der Diskussion dieses Abschnitts werden einerseits einige Widersprüchlichkeiten in den Ausführungen Avicennas sichtbar gemacht, andererseits wird die Rekonstruktion einer möglichen systematischen Theorie zur Logik Avicennas fortgesetzt. Die wichtigsten Kritikpunkte kreisen um das Begriffspaar ‚affirmativ – negativ‘ mit der Kritik, dass beide Begriffe auf unterschiedlichen semantischen Ebenen liegen. Ferner widerspricht die Handhabung der Quantoren durch Avicenna der allgemeinen Verwendung.

10. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 10 diskutiert Avicenna seine Begriffe ‚Konjunktives‘ und ‚Disjunktives Konditional‘ unter verschiedensten Aspekten. Einige davon sind die Quantoren (wobei er auch Quantoren über die Zeit benutzt!), das Begriffspaar ‚Antezedenz – Konsequenz‘, der Begriff der ‚Harmonie‘, und wiederholt die Aspekte ‚Existenz‘, ‚Affirmation‘ sowie ‚Bestimmt/ Unbestimmt‘. Alle diese Aspekte werden in diesem Blogeintrag schon ein wenig ‚vorsortiert‘, um dann im nachfolgenden Blogeintrag weiter rekonstruierend diskutiert zu werden.

11. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 11 erfolgt eine ‚rekonstruierende Diskussion‘ von Avicennas Überlegungen aus Blogeintrag 10. Seine Überlegungen werden aufgegriffen und in einen theoretischen Rahmen eingeordnet, der es erlaubt, die Begriffe schärfer zu fassen und sie dadurch besser voneinander abzugrenzen. Nach einer Übersicht über die Struktur der Aussagen erfolgt dann eine Rekonstruktion von Bedeutungszuordnungen und eine Erklärung von Begriffen wie ‚wahr’/ ‚falsch‘, ‚Existenz‘, und ‚möglich‘.

12. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 12 diskutiert Avicenna den Fall widersprüchlicher Aussagen. Gemessen an dem bisher Gesagten bringt er in diesem Abschnitt keine neuen Aspekte ins Spiel. Wohl aber bietet dieser Abschnitt weitere Beispiele für sein Auffassung des Sachverhalts. Sie belegen, wie schwer er sich durchgängig damit tut, in dem unscharfen Wechselspiel von Ausdrucksseite und Bedeutungsseite eine konstante Verwendungsweise seiner Begriffe durchzuhalten. In diesem Blogeintrag erfolgt die Diskussion seines Textes immer unmittelbar hinter jedem Punkt in Form einer Anmerkung.

13. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 13 diskutiert Avicenna die Möglichkeit der Konvertierung von Aussagen mit Quantoren in solche, deren Bedeutung trotz Veränderung von Ausdruckselementen ‚erhalten‘ bleibt. In einigen Beispielen widerspricht er sich selbst; manche Stellen sind unklar. Es zeigt sich allgemein: (i) die Formulierung von Konvertierungsregeln greift beständig auf bestimmte unterstellte Bedeutungen zurück und (ii) genau diese unterstellten Bedeutungen werden nicht hinreichend klar definiert. Daraus entsteht die Forderung, diese unterstellte Bedeutung klar zu definieren und auf dieser Basis alle logischen Ausdruckselemente eindeutig zu definieren (was im nachfolgenden Abschnitt dann unternommen wird).

14/14b. In den Blogeinträgen AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 14 sowie AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 14b geht es darum, erstmalig einen theoretischen Rahmen für eine Semantik zu formulieren, mit der man die Logik Avicennas konsistent entwickeln kann. Abschnitt 14b stellt eine Überarbeitung des Eingangsteils von Abschnitt 14 dar. Es hat sich gezeigt, dass die in 14b gewählte Begrifflichkeit für das weitere Vorgehen ‚günstiger‘ wirkt. Aber wir befinden uns noch in der Phase der ‚Annäherung‘ an das ‚Neue‘.

15. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 15 geht es um die Feinstruktur von Aussagen. Avicenna unterteilt ja Ausdrücke anhand inhaltlicher Kriterien nach Subjekt S, Prädikat P und ergänzend nach Quantoren Q. Es fragt sich, wie man diesen Ausdrucksteilen eine ‚Bedeutung‘ im Objektraum O zuordnen kann. Wichtig ist hier die schon früher getroffene Unterscheidung zwischen ‚echten‘ und ‚unechten‘ Objekten. ‚Unechte‘ Objekte wurden als ‚Eigenschaften‘ bezeichnet. Mit dieser Terminologie kann man sagen, dass die Objekthierarchie O primär von echten Objekten gebildet wird; unechte Objekte als Eigenschaften treten nur im Kontext eines echten Objekts auf. Damit kann man die begriffe ‚Gattung‘ und ‚Art‘ einführen. Gattungen, die keine Gattungen mehr ‚über sich‘ haben können, sollen hier ‚Kategorien‘ genannt werden. Setz man Definitionen von Worten voraus, dann kann man ach erklären, warum eine Aussage wie ‚a ist eine Tasse‘ ‚rein definitorisch‘ (bzw. ‚rein analytisch‘) ‚wahr ist, unabhängig davon, ob diesem gedanklichen Sachverhalt etwas Sinnliches entspricht. Im Gegensatz zu solch einer rein definitorischen (analytischen) Wahrheit eines Objekts a soll hier die ursprünglich vereinbarte ‚Wahrheit‘ durch Bezug auf eine ’sinnliche Gegebenheit‘ $latex s \subseteq Os$ ‚ontologische‘ Wahrheit genannt werden. Solange wir uns in unseren Aussagen auf das Enthaltensein eines Objektes a in einem Gattungsobjekts X beschränken ‚a ist ein X‘ oder das Feststellen von Eigenschaften der Art ‚a hat b‘ kann man sagen, dass eine Aussagestruktur wie (S P) wie folgt interpretiert werden kann: Es gibt einen Ausdruck A=(AsAp), bei dem ein Ausdrucksteil As sich auf ein echtes Objekt M(As) = $latex a \in Oa$ bezieht und der andere Ausdrucksteil Ap bezieht sich auf die Beziehung zwischen dem Objekt a und entweder einem Gattungsobjekt X (Ap = ‚ist ein X‘) oder auf eine Eigenschaft Y (Ap = ‚hat Y‘). Hierbei ist eine gewisse ‚Asymmetrie‘ zu beachten. Die Bedeutung vom Ausdrucksteil As – M(As) – bezieht sich auf eine ‚konkrete‘ Eigenschaftsstruktur innerhalb der Objekthierarchie. Die Bedeutung vom Ausdrucksteil Ap – M(Ap) – bezieht sich auf eine ‚Beziehung‘ / ‚Relation’/ ein ‚Verhältnis‘ [R] zwischen dem bezeichneten Bedeutungsobjekt M(As) = a und einem anderen bezeichneten Bedeutungsobjekt M(Ap), also R(M(As), M(Ap)). Die Beziehung R ist selbst kein ‚Objekt‘ so wie das Objekt a oder das implizit angenommene ‚Bezugsobjekt‘ X bzw. Y von a. Eine solche Beziehung R setzt – um prozessural ‚hantierbar‘ zu sein – eine zusätzliche ‚Objektebene‘ voraus, auf der es ein R-Objekt gibt, das die Beziehung zwischen dem a-Objekt und dem X-Y-Objekt ‚repräsentiert.

16. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 16 wird die Analyse der vorausgesetzten Objekthierarchie O und der damit interagierenden Ausdrucksstruktur E weiter analysiert. Nach der Analyse der Feinstruktur von (S P) werden die Aspekte Anzahl, Raum und Zeit betrachtet. Es wird gezeigt, wie man für diese Aspekte sowohl ‚globale Quantoren‘ wie auch ‚lokale Relationen‘ einführen kann; zudem ist die Wechselwirkung zwischen diesen Aspekten konfliktfrei, da sie voneinander unabhängig sind.

17. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 17 geht es um die Frage, wie man Aussagen über Veränderungen in der hypothetisch angenmmenen Bedeutungsstruktur nachzeichnen kann. Es lässt sich erkennen, dass die Kodierung von Veränderungen mittels Ausdruckselementen innerhalb eines Prädikates P mittels ‚Veränderungsausdrücken‘ V (‚Verben‘) oft nicht nur die beteiligten Objekte Y benennt, sondern zusätzlich zahlreiche weitere Ausdruckselemente aktiviert, die räumliche Gegebenheiten R_r bezeichnen, zeitliche Relationen R_t, zusätzliche Eigenschaften At an den Veränderungen; dazu ferner spezielle kulturelle Relationen R_x einbeziehen können sowie mit zusätzlichen Subjektrepräsentationen operieren. Auch kann man beobachten, wie die Aneinanderreihung von unterschiedlichen Sachverhalten (S P) mit logischen Operatoren (S P) UND (S2 P2) auch zu speziellen Verkürzungen führen kann wie (S P1 UND P2). Dies lässt erahnen, dass eine vollständige Analyse auch nur einer einzigen Alltagssprache von ihrer logisch relevanten Semantik her eine schier unendliche Aufgabe ist. Diese wird weder ein einzelner Mensch alleine noch viele Menschen über viele Genrationen hinweg jemals vollständig erfüllen können. Was aber möglich erscheint, das ist die Analyse des grundlegenden Mechanismus, der sich mit Hilfe von evolvierenden Computermodellen experimentell untersuchen und mit realen semiotischen Systemen überprüfen lässt.

18. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 18 weitet sich nun der Blick Avicennas auf das Wissen allgemein, und konzentriert sich im Wissen auf das schlussfolgernde Denken in Form von ‚beweisenden Syllogismen‘. Nach einer Definition von ‚Syllogismus‘ unterscheidet er dann zwei Arten von Syllogismen ‚Konjunktiver‘ Syllogismen und ‚Disjunktiver‘ Syllogismus. Am Beispiel des ‚Konjunktiven Syllogismus‘ führt Avicenna dann eine Reihe von technischen Begriffen ein. Dann stellt Avicenna zusätzliche Beschränkungen vor, um die 256 möglichen Figuren/ Muster auf nur 27 mögliche Muster einzuschränken. Alle seine Festlegungen geschehen ohne eigentliche Begründung.

19. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 19 beginnt die Diskussion um die Interpretation der syllogistischen Schlussfiguren am Beispiel der ersten Figur (A F B), (A B H) und (A F H) mit der Quantorenbelegung ‚AAA‘. In einzelnen Schritten wird dann eine erste Skizze zu einer Logik auf der Basis einer dynamischen Objektstruktur erarbeitet. Zentrale Begriffe sind hier OBJEKTIFIZIERUNG, ENTHALTENSEIN, ZUSCHREIBUNG und VERERBUNG. In dieser Skizze werden auch ‚Aktivitäten‘ berücksichtigt, die in dem Muster zur ersten Figur nicht vorkommen, zusätzlich werden neben den Anzahlquantoren auch Raum- und Zeitquantoren berücksichtigt.

20. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 20 geht es um die Interpretation des zweiten Musters der ersten syllogistischen Schlussfigur ‚A F ist B‘, ‚A B ist nicht H‘ (als ‚Kein A ist B‘), ‚A F ist nicht H‘ (als ‚Kein F ist H‘), dazu die Beispiele ‚Jeder ausgedehnte Körper ist farbig‘, ‚Kein farbiger Körper ist unerschaffen‘, ‚Kein ausgedehnter Körper ist unerschaffen‘. Wir treffen in diesem Muster wieder auf den Prozess der Objektifizierung, tatsächlich sogar in impliziten Formen mit der expliziten Angabe von Eigenschaften und der stillschweigenden Annahme einer daraus sich ergebenden Mengenbildung. Zusätzlich finden sich wieder Enthaltensbeziehungen einerseits anhand von Eigenschaftszuschreibungen, andererseits durch Benutzung von Anzahlquantoren. Die Zuschreibung von Eigenschaften wird explizit vorgenommen. Eine Vererbung von Eigenschaften von einer Menge zur anderen tritt nur implizit über eine Enthaltensbeziehung auf. Es tritt nur eine Sorte von Quantoren auf. Auch sei angemerkt, dass außer der Negation kein weiterer aussagenlogischer Operator auftritt.

21. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 21 geht es um die Interpretation der Muster 3-4 der Schlussfigur 1. Dabei entsteht die Vermutung, dass viele der Unterscheidungen von Avicenna (die weitgehend auf Aristoteles zurückgehen!) möglicherweise ‚redundant‘ sind, d.h. mit anderen Formulierungen letztlich doch ‚das Gleiche‘ sagen. Der Ansatzpunkt für diese Vermutung liegt darin begründet, dass die Unterscheidung von einem Term als ‚Subjekt‘ (S) und als ‚Prädikat‘ (P) auf Seiten der abstrakten Bedeutungsstruktur als Bedeutungsrepräsentation jeweils ein ‚echtes‘ oder ein ‚unechtes‘ Objekt haben können, und zwar so, dass diese Strukturen ‚fließend‘ sind: jedes ‚echte‘ Objekt kann als ‚unechtes‘ interpretiert werden und umgekehrt. Weitere Vereinfachungen deuten sich an. Diese sollen im Folgenden überprüft werden.

Fortsetzung folgt …

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Immanuel Kant, Critik der reinen Vernunft‘, Riga, 1781
  • Konrad Lorenz, 1973, ‚Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens‘, München, Zürich: Piper
  • Günther Patzig, ‚Die Aristotelische Syllogistik‘, 3,verb.Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht, 1969
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Hans-Jörg Sandkühler (Hg.) unter Mitwirkung von Dagmar Borchers, Arnim Regenbogen, Volker Schürmann und Pirmin Stekeler-Weithofer, ‚Enzyklopädie Philosophie‘, 3 Bd., Hamburg: FELIX MEINER VERLAG, 2010 (mit CD-ROM)
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 6

VORGESCHICHTE

1. In einem ersten Beitrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 1 hatte ich geschildert, wie ich zur Lektüre des Textes von Avicenna gekommen bin und wie der Text grob einzuordnen ist. In einem zweiten Beitrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 2 ging es um die Frage, warum überhaupt Logik? Avicenna führt erste Unterscheidungen zu verschiedenen Wissensformen ein, lässt aber alle Detailfragen noch weitgehend im Dunkeln. Im Teil AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 3 ging es um einfache und zusammengesetzte Begriffe, und bei den einfachen Begriffen um ‚individuelle‘ und ‚universelle‘. Schon hier zeigt sich der fundamentale Unterschied zwischen der antiken und der modernen-formalen Logik. In der antiken Logik wird die Ausdrucksebene E – und einer sich daran manifestierenden Folgerungslogik – immer in Verbindung mit einer zugehörigen Bedeutungsstruktur gesehen, die sich an einer Objektstruktur O festmacht. Die moderne formale Logik kennt zwar auch ‚Semantiken‘ und ‚Ontologien‘, diese sind aber ’sekundär‘, d.h. es werden nur solche ‚formalen Semantiken‘ betrachtet, die zum vorausgesetzten syntaktischen Folgerungsbegriff ‚passen‘. Dies sollte dann später an konkreten Beispielen diskutiert werden. Hier liegt der Fokus auf der antiken Logik im Sinne Avicennas. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 4 knüpft Avicenna an den zuvor eingeführten Begriff des ‚universellen‘ Begriffs an und betrachtet jetzt solche als ‚universell‘ bezeichneten Ausdrücke in einem Ausdruckskontext von aufeinanderfolgenden Ausdrücken. Alle diese Ausdrücke könnte man im Sinne der antiken Logik auch als ‚Urteile‘ bezeichnen, durch die einem bestimmten Ausdruck durch andere Ausdrücke bestimmte Bedeutungen (Eigenschaften) zu- oder abgesprochen werden. Hier unterscheidet er die Fälle eines ‚wesentlichen‘ Zusammenhanges zwischen zwei Begriffen und eines ’nicht wesentlichen‘ – sprich ‚akzidentellen‘ – Zusammenhangs. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 5 führt Avicenna eine Reihe von neuen technischen Begriffen ein, die sich nicht alle in ihrer Bedeutung widerspruchsfrei auflösen lassen. Es handelt sich um die Begriffe ‚Genus‘, ‚Spezies‘, Differenz, allgemeine und spezielle Akzidens, den Begriff ‚Kategorie(n)‘ mit den Kategorien ‚Substanz‘, ‚Qualität‘ und ‚Quantität‘. Die Rekonstruktion führt dennoch zu spannenden Themen, z.B. zu einem möglichen Einstieg in das weltverändernde Phänomen der kognitiven Evolution.

DEFINITION UND BESCHREIBUNG

2. Der nächste Abschnitt handelt von ‚Definition‘ und ‚Beschreibung‘. Im Verhältnis zwischen beiden Begriffen geht die Beschreibung der Definition voraus.

3. In der ‚Beschreibung‘ mittels eines Ausdrucks e beziehe ich mich auf ‚etwas‘, ohne dass ich das ‚wahre Wesen‘ der Sache kennen muss, d.h. ich kann auch durch Bezug auf Teilaspekte beschreiben.

4. In der ‚Definition‘ mittels eines Ausdrucks e benutze ich andere Ausdrücke <e1, …, ek>, die sich auf schon bekannte Sachverhalte beziehen, und (idealerweise?) ist mir das wahre Wesen der zu beschreibenden Sache bekannt. In der Definition ‚beziehe‘ (engl.: ‚denote‘) ich mich auf etwas und zugleich grenze ich es ab von anderem.

5. Implizit kann man dem Text entnehmen, das der zu definierende Ausdruck e von dem definierenden Ausdruck <e1, …, ek> zu trennen ist; letzterer wird von Avicenna ‚definiens‘ genannt; dass der erste Ausdruck ‚definiendum‘ heißt, wird implizit unterstellt.

6. Avicenna weist auf vier hauptsächliche Fehler hin, die man beim Definieren begehen kann; ich fasse sie hier in zwei Fällen zusammen: (i) ‚Zirkularität‘: Wenn der zu definierende Ausdruck e selbst auch bei den definierenden Ausdrücken <e1, …, e, …, ek> vorkommt; (ii) ‚Unklarheit‘: Wenn mindestens einer der definierenden Ausdrücke <e1, …, ek> nicht bekannt genug ist. Im Fall (i) setze ich das, was ich definieren will, schon als bekannt voraus und im Fall (ii) ist das, wodurch ich etwas erklären möchte, selbst auch erklärungsbedürftig.

DISKUSSION

7. Die von Avicenna vorgenommene Erklärung, was eine ‚Definition‘ sei hängt u.a. stark ab von dem Begriff der ‚Bekanntheit‘ und dem Begriff des ‚wahren Wesens‘.

8. Zu sagen, dass die die Bedeutung eines neuen Ausdrucks e (der zu definierende Ausdruck, das Definiendum) zurückgeführt werden soll auf ’schon bekannte‘ Ausdrücke (die definierenden Ausdrücke, das Definiens) klingt im ersten Moment sehr plausibel, erweist sich bei näherer Betrachtung aber als ein schwieriges Kriterium.

9. Für die Tatsache, dass ein Mensch A bestimmte Ausdrücke <e1, …, ek> einer Sprache L ‚kennt‘ oder ’nicht kennt‘, dafür gibt es keine allgemeinen Regeln oder Kriterien; der eine mag zu einem bestimmten Zeitpunkt wissen, was mit DNA gemeint ist, die andere nicht.

10. Von daher macht die Verwendung der Ausdrücke ‚bekannt’/ ’nicht bekannt‘ eigentlich nur Sinn in solch einem lokalen Kontexten W* (z.B. einem Artikel, ein Buch, ein Vortrag, …), in dem entscheidbar ist, ob ein bestimmter Ausdruck e einer Sprache L schon mal vorkam oder nicht. Darüber hinaus kann man dann nur sagen, dass derjenige, der sich in den lokalen Kontext W* begibt, die ‚Voraussetzungen für W*‘ kennen sollte (in einer Schule/ Universität setzt z.B. der Lehrstoff von Stufe j normalerweise Wissen aus einer Stufe j-1 voraus).

11. Noch schwieriger wird es mit dem Begriff des ‚wahren Wesens‘. Das ‚Wesen‘ war uns schon begegnet im Kontext der Rede über ‚universelle Begriffe‘, deren Instanzen ‚wesentlich‘ bezogen sind auf den Oberbegriff. Dabei wurde hier als Interpretationsrahmen die dynamische Objekthierarchie O angenommen, die aus sinnlichen Wahrnehmungs- und Abstraktionsprozessen hervorgeht.

12. In dieser unterstellten dynamische Objekthierarchie O gibt es ‚das wahre Wesen‘ in Form von Objekten auf einer Stufe j, die Instanzen auf Stufen kleiner als j haben. Unter Voraussetzung einer solchen Hierarchie kann man z.B. sagen – was auch Avicenna tut –, dass (der Mensch)(ist)(ein Lebewesen). Zusätzlich kann man abgrenzend sagen, dass der Mensch ‚Lachen‘ kann und ‚Sprechen‘; Eigenschaften, die man lange Zeit nur dem Menschen zugeschrieben hatte und keinem anderen Lebewesen.

13. Grundsätzlich ist solch ein Erklärungsansatz nachvollziehbar, er hat aber die Schwäche, dass jeder Mensch möglicherweise unterschiedliche Informationen zu ‚Lebewesen‘ angesammelt hat, und wie die Geschichte der Biologie zeigt (man denke beispielsweise nur an die großen Naturforscher Linné (1707 – 1778), Alexander v. Humboldt (1769 – 1859), und Darwin (1809 – 1882)), hat sich das gemeinschaftliche Wissen über die Natur in den letzten150 Jahren dramatisch weiter entwickelt. Dies bedeutet, dass das grundsätzliche Modell Sinn macht, was aber zu einem bestimmten Zeitpunkt das ‚wahre Wesen‘ einer Sache ist, das ist jeweils neu zu überprüfen. Dazu kommt, dass im Jahr 2014 die Wissensmenge in jedem Gebiet dermaßen angewachsen ist, dass es immer schwieriger wird– selbst für Experten –, abschließend festzustellen, was denn jetzt alles tatsächlich bekannt ist.

14. Im übrigen sei angemerkt, dass es in der modernen Logik und Mathematik zusätzliche Definitionsformen gibt. Eine, die sehr wichtig ist, sei hier erwähnt, das ist die Definition, die einem rekursiven Schema folgt. Bei dieser Definition wird zwar auch das Neue durch das schon Bekannte erklärt, aber bei dem, was erklärt wird, handelt es sich nicht um ein statisches Objekt, sondern um einen Erzeugungsprozess, bei dem man mit einem bekannten Objekt o anfängt und dann auf dieses Projekt wiederholt eine bestimmte bekannte Operation f anwendet, die so geartet ist, dass man die Operation auch wieder auf das Ergebnis der Operation anwenden kann. Klassisches Beispiel ist die Erzeugung der natürlichen Zahlen. Die Operation heißt ‚Nachfolger‘ [Nf]. Angewendet auf ein Startobjekt o mit Nf(o) bekommt man ein Nachfolgeobjekt o‘, das genau definiert ist. Auf dieses kann man wieder die Nachfolgeoperation anwenden Nf(Nf(o)) = o“, usw. Auf diese Weise kann man über einen Erzeugungsprozess abzählbar unendlich viele neue Objekte allein dadurch definieren, dass man die Vorschrift für den Prozess hinschreibt: wenn o eine natürliche Zahl $latex \mathcal{N}$ ist, dann ist auch Nf(o) eine natürliche Zahl $latex \mathcal{N}$. Was definiert wird, das ist die abzählbar unendlich Menge aller natürlichen Zahlen. Was bekannt ist, das ist ein Anfangselement und eine einfache Operation.

Eine fortsetzung findet sich HIER.

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

BEWUSSTSEIN – NICHT-BEWUSSTSEIN, GEFÜHLE; EINE ÜBERRASCHENDE WENDE

1. Seit Beginn dieses Blogs wurden sehr viele verschiedene Themen abgehandelt: zunächst ging es um grundlegende Fragen des Erkennens in einer Art erkenntnistheoretischen Perspektive. Dies vermischte sich mit der Frage nach dem Wechselverhältnis zwischen Philosophie und Wissenschaft. Auch die Beziehung zu Glaube, Religion kam zur Sprache; schließlich auch die Frage der Rolle der Kunst in diesem Kontext. Ganz neu war die Einbeziehung der Dimension der Gesellschaft mit Blick auf das Format der Demokratie als Rahmenbedingung für Philosophie, Wissenschaft, Kunst und Religion. Das massive Auftreten von ‚Verschleißphänomenen‘ in den wichtigsten Demokratien der aktuellen Welt rief mehrere Beiträge zum Thema hervor.
2. Mit der letzten Philosophiewerkstatt traten nun überraschend zwei Phänomene verschärft ins Zentrum der Aufmerksamkeit, die als solche nicht wirklich neu sind, die aber in dem Gespräch eine gewisse ‚Abgründigkeit‘ aufblitzen ließen, die mir so irgendwie lange nicht bewusst war; möglicherweise hatte ich diese Phänomene tatsächlich auch ‚verdrängt‘, da ich möglicherweise ‚intuitiv‘ spürte, dass wir bei diesen Themen mehr als mit allen anderen an die Grundlagen unseres Lebensgefühls und unseres Selbstverständnisses als Menschen rühren.
3. Einmal ist es der – bislang eher technische – Begriff des ‚Nicht-Bewusstseins‘, und dann ist es der ganze Komplex möglicher Bedeutungen um Begriffe wie ‚Gefühl‘, ‚Emotion‘, ‚Motivation‘, ‚Bedürfnisse‘, ‚Stimmungen‘, ‚Gemütszustände‘, um einige zu nennen. Im Folgenden benutze ich abkürzend den Begriff ‚Gefühle‘ für dieses ganze Netzwerk von Begriffen, um nicht immer alle aufzählen zu müssen. Die entsprechenden verfeinernden Unterscheidungen müssen nachgeliefert werden.

BEWUSSTSEIN

4. Der Begriff ‚Nicht-Bewusstsein‘ leitet sich her als Komplementärbegriff zum Begriff ‚Bewusstsein‘.
5. Berücksichtigt man die bisherige Fundamentalunterscheidung zwischen (i) Beobachten einer anderen Person ‚von außen‘ (Dritte Person, 3rd person view), sprich ‚verhaltensorientiert‘, verhaltensbasiert‘; (ii) Beobachten einer anderen Person mit Blick auf den Körper, die Physiologie einschließlich des Gehirns (auch dritte Person, aber fokussiert auf die ‚Maschinerie‘ ohne das Verhalten); sowie (iii) das ‚Selbstbewusstsein des Beobachters während der Beobachtung‘, seine ‚Innensicht‘, seine ‚Introspektion‘, den Raum der ‚eigenen Erlebnisse‘ in Form von ‚Phänomenen‘ (einige sprechen hier von ‚Qualia’…); dann begründet sich der Begriff des ‚Bewusstseins‘ aus dieser ‚Innensicht des Beobachters‘: was immer wir in der Welt (empirisch) erforschen, es setzt einen Beobachter mit Selbstbewusstsein voraus. Dies näher zu begründen, es ‚genauer zu definieren‘, ist nicht nur schwierig, sondern letztlich unmöglich.
6. In einer klassischen Definition wird ‚das Neue‘, ein neuer Terminus (alltagssprachlich auch ‚Begriff‘) (das zu Definierende, das ‚definiendum‘), mit etwas ’schon Bekanntem‘, mit schon bekannten Termini (alltagssprachlich auch ‚Begriffe‘) (mit dem ‚definiens‘) ‚erklärt‘ und in diesem Zusammenhang damit ‚definiert‘. Sofern der neue Begriff der Begriff ‚Bewusstsein‘ ist, stellt sich die Frage, auf welches ‚Bekannte‘ man sich bei der Einführung dieses Begriffs beziehen kann. Da es sich um etwas handelt, was im ‚Innern eines Beobachters‘ liegt, kann man nicht darauf zeigen wie bei einem Gegenstand der Körperwelt, der ‚intersubjektiv‘ vorkommt. Sofern jeder Beobachter in seinem ‚Innern‘ über ein B* verfügt, was bei allen Beobachtern ‚hinreichend ähnlich‘ ist, kann es die Möglichkeit geben, dass alle Beobachter über ‚indirekte Hinweise‘ eine Art ‚Arbeitshypothese‘ aufstellen können, die in ihnen die ‚Vermutung‘ erlaubt, dass dieses – jeweils individuelle und doch hinreichend gemeinsame – B* dasjenige ist, was gemeint ist, wenn von ‚Bewusstsein‘ gesprochen werden soll. Unter der Voraussetzung, dass es dieses B* tatsächlich gibt, kann man es zwar nicht ‚klar definieren‘, man kann aber dennoch sinnvollerweise ‚annähernd‘ darüber sprechen. Jeder weiß ‚irgendwie‘ was ‚gemeint‘ ist, aber keiner kann es ‚klar‘ bzw. ‚genau‘ sagen.

Gehirn im Körper von Beobachter A gesehen aus der Perspektive von Beobachter B
Gehirn im Körper von Beobachter A gesehen aus der Perspektive von Beobachter B

7. Nimmt man ferner an, dass – was immer genau die Inhalte des Bewusstseins B* sein mögen –, die Inhalte des Bewusstseins eine ‚Leistung des Gehirns‘ sind, also gehirn: I x IS —> IS x O mit B* subset IS, dann folgt daraus, dass ein Verständnis der Welt auf der Basis des Bewusstseins B* nur bedingt möglich ist. Für alle Beobachter bildet das Bewusstsein B* zwar den unumgehbaren Ausgangspunkt (auch für die Subspezies der Gehirnforscher), aber dieser Ausgangspunkt ist ‚in sich‘ geprägt/ geformt von einer Verarbeitungslogik, die die körperspezifisch ist und die nicht notwendigerweise die Struktur der umgebenden Welt adäquat repräsentiert.
8. Andererseits wird von dieser Körpergebundenheit des Bewusstseins B* her verständlich, warum zumindest die Struktur des Bewusstseins B* bei allen Beobachtern ‚hinreichend ähnlich‘ sein kann, da – wie wie von der Biologie wissen – alle Körper der Population ‚Mensch‘ (homo sapiens sapiens) auf den gleichen Genen und den gleichen Wachstumsprozessen basieren (‚gleich‘ schließt hier gewisse statistische ‚Variationen‘ mit ein, die sehr wohl auch zu Unterschieden führen können).
9. Der Begriff ‚Bewusstsein‘ (definiert über das unterstellte B* in jedem Beobachter) lässt sich also assoziieren mit all jenen ‚Inhalten (= Phänomenen) des Bewusstseins‘, die ein Bewusstsein ‚ausmachen‘. Aus der ‚Innensicht‘ eines Beobachters A sind diese Phänomene ‚real_A‘ bezogen auf den Bewusstseinsraum B*_A. Insofern B*_A Teil eines Gehirns G_A in einem Körper K_A (von dem Beobachter A) sind, sind diese Phänomene auch für einen Beobachter B ‚real_B‘, insoweit dieser das Gehirn von A betrachten würde. Allerdings könnte der Beobachter B nur das Gehirn und dessen physiologische Zustände aus der Perspektive der dritten Person beobachten. Das ‚Bewusstsein B*‘ von Beobachter A könnte Beobachter B nicht ‚direkt‘ beobachten, da es spezifisch an die ‚Innenperspektive‘ des Gehirns von Beobachter A gebunden ist. Nur über den Umweg von ‚Selbstaussagen von Beobachter A zu seinen Bewusstseinsinhalten‘ könnte Beobachter B versuchen, die ‚Inhalte‘ dieser Selbstaussagen mit seinen Beobachtungen der Gehirnzustände von Beobachter A zu ‚korrelieren‘. Ein solches ‚korrelierendes‘ Vorgehen ist äußerst mühsam und kann – selbst bei ‚bester Absicht‘ – prinzipiell immer nur eine Annäherung an die Sache bleiben, da die ‚Inhalt von Selbstaussagen‘ bezüglich von Bewusstseinsinhalten aufgrund der Besonderheit von Zeichensystemen niemals ‚klar‘ bzw. ‚präzise‘ wie im Falle operationaler empirischer Begriffe sein können (in Umstand, den die meisten Gehirnforscher großzügig übergehen).

NICHT-BEWUSSTSEIN

10. Die Perspektive des Beobachters B relativ zum Beobachter A bietet die Möglichkeit, ausgehend von der Annahme eines Bewusstseins B* die Arbeitshypothese zu bilden, dass es ‚außerhalb‘ eines Bewusstseinsraumes sehr wohl noch ‚anderes‘ gibt, mindestens die ‚anderen‘ Zustände des ermöglichenden Gehirns bzw. Körpers, dann aber auch – bei entsprechender Theoriebildung – weitere ‚Zustände‘ der ‚Welt außerhalb eines Körpers‘. Alle diese ‚Zustände außerhalb eines bestimmten Bewusstseins B*‘ gehören laut Definition nicht (!) zum Bewusstseins und bilden damit den potentiellen Raum für das ‚Nicht-Bewusstsein‘. Das ‚Nichtbewusstsein‘ (auch compl(B*)) erscheint von daher ein unendlich größerer Bereich als der Bereich des definierten Bewusstseins B*. Andererseits hat jeder menschliche Beobachter nur über sein Bewusstsein B* Zugang zum ‚Nicht-Bewusstsein‘ compl(B*)!
11. Während die klassische Philosophie sich vorwiegend mit den Inhalten des Bewusstseins B* und seiner möglichen Voraussetzungen aus der Innen-Sicht des Bewusstseins B* beschäftigt hat und die moderne empirischen Wissenschaften vorwiegend mit den strukturellen Rahmenbedingungen eines unterstellten Bewusstseins B*, eben mit dem Nicht-Bewusstsein compl(B*), stellt sich für die ’neue Philosophie‘ die Aufgabe dahingehend, sowohl (i) die Inhalte des Bewusstseins unter Berücksichtigung des Nicht-Bewusstseins, als der ermöglichenden Strukturen (Gehirn im Körper, Körper, Wachstum, ermöglichenden Evolution) zu untersuchen wie auch (ii) die empirischen Wissensstrukturen unter Berücksichtigung des ermöglichenden Bewusstseinsraumes B* zu analysieren. Mit anderen Worten: wir haben eine Wechselwirkung von compl(B*) zu B* und umgekehrt ’sehen‘ wir compl(B*) unter den Bedingungen von B*.

Hinweis: in meinem Wissenschaftsblog diskutiere ich auch die Möglichkeit, wieweit ich die Begriffe ‚Bewusstsein/ Nichtbewusstsein‘ im Rahmen einer verhaltensbasierten Theoriebildung benutzen kann, u.a. HIER.

Fortsetzung folgt

Einen Überblick über alle Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

DIE ANDERE DIFFERENZ – Teil3 – Definition des Lebens

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Datum: 6.März 2012

(1) Nachdem in vorausgehenden Blogeinträgen das biologische Leben mit dem Konzept der ‚anderen Differenz‘ beschrieben wurde ergänzt um   ein paar theoretische Überlegungen zu möglichen formalen Modellen, hier nochmals kurze Überlegungen zur ‚Definition‘ von ‚Leben‘.

 

(2) Definitionen im Sinne der formalen Logik sind solche Begriffe (‚Terme‘), die als ‚Abkürzungen‘ für eine Menge ’schon bekannter Eigenschaften‘ eingeführt werden. Also Definiendum := Definiens; das ‚Definiendum‘ ist das zu Erklärende und das ‚Definiens‘ ist das schon Bekannte, mit dem erklärt wird.

 

 

(3) Solch eine Definition sieht unscheinbar aus, stellt aber einen ‚Auswahlprozess‘ dar: aus der großen Menge E der verfügbaren bekannten Eigenschaften wird eine kleine Teilmenge E‘ ausgewählt, die künftig unter einem neuen ‚Namen‘ (Label) auftreten soll, da der Autor einer solchen  Einführung Gründe hat (das wird jetzt mal unterstellt), genau diese Eigenschaften E‘ als in mindestens einer ‚Hinsicht‘ als ‚relevant‘ anzusehen.

 

(4) Sofern es sich bei solchen Eigenschaften E‘ um ‚empirische Eigenschaften‘ handelt, also Eigenschaften von Dingen, die sich im intersubjektiven Raum ‚beobachten‘ – oder gar ‚messen‘ – lassen, kann eine solche Auswahl möglicherweise eine Menge von Eigenschaften beschreiben, die ein ‚zusammenhängendes Phänomen‘ beschreiben. Beispiele wären technische Geräte (Kafffeemaschine, Mobiltelefon, Waschmaschine,….) oder Gebäude (Einfamilienhaus, Bürogebäude, Brücke, …), aber auch Pflanzen und Tiere, oder Kombinationen davon wie eine ‚Viehweide‘, ein ‚Reservat‘, ein ‚Sumpfgebiet‘, ein ‚Dschungel‘, usw. Ein ‚zusammenhängendes Phänomen‘ wäre in diesem Sinne also so etwas wie ein ‚Gegenstand‘, ein ‚Objekt‘, eventuell mit ‚unscharfen Rändern‘, wo man unsicher ist, ob dies auch noch ein ‚Haus‘, ein ‚Telefon‘ oder eine bestimmte ‚Pflanze‘ ist.

 

(5) Die Bildung einer Auswahl von Eigenschaften E‘ mit einem neuen ‚Namen‘, mit einer neuen ‚Abkürzung‘, stellt im ’normalen Leben‘ meist ein Vorgang dar, bei dem Menschen versuchen solche Eigenschaftsbündel E‘ hervor zu heben, die für den praktischen Ablauf des Lebens irgendwie eine Bedeutung haben und die in dieser spezifischen Konstellation ‚vorkommen‘. Während bei technischen Geräten der Hersteller in der Regel sagen kann, welche Eigenschaften sein Gerät ‚laut Plan‘ haben soll (und wir aufgrund von solchen Angaben auch die Korrektheit und Vollständigkeit eines Gerätes samt seiner Funktion normalerweise überprüfen können), ist es bei  ’natürlichen Gegenständen‘ zunächst mal so, dass wir nicht wissen, was ‚laut Plan‘ dazugehören soll. Geologische und klimatische Prozesse z.B. sind so komplex, dass wir bis heute nicht nur viele konkrete Experimente anstellen müssen, um Hinweise DAT_emp auf ‚beteiligte Eigenschaften‘ ‚finden‘ zu müssen, wir können aufgrund solcher empirischer Messwerte DAT_emp mit den bisher bekannten Modellen TH_emp immer nur sehr begrenze Aussagen machen, Annäherungen an den Gesamtzusammenhang. Im Falle biologischer Gegenstände haben wir gelernt, dass wir mit RNA- bzw. DNA-Molekülen die ‚Pläne‘ für die daraus sich entwickelnden Pflanzen und Tieren vorliegen haben, eine genaue Zuordnung zwischen einem solchen RNA-/ DNA-Plan und den daraus sich ergebenden individuellen Wachstumsprozessen (Ontogenese) lässt sich aber bislang nur sehr begrenzt treffen. Immerhin hat man mit diesen Plänen eine Art ‚Signatur‘ des jeweiligen zugehörigen Organismus in der Hand, und diese Signaturen kann man miteinander vergleichen. ‚Ähnlichkeiten‘ zwischen solchen Signaturen werden dann als ‚genetische Verwandtschaft‘ gedeutet; je ähnlicher umso mehr miteinander verwandt.

 

(6) Wenn es nun darum geht, zu definieren, was man unter dem neuen Begriff  ‚(biologisches) Leben‘ verstehen, dann steht man vor der Herausforderung, zu entscheiden, welche der bekannten empirischen Eigenschaften E‘ man als ‚relevant‘ ansieht für diesen Begriff. Welche Eigenschaft E’_i muss man unbedingt ‚dazutun‘ und zwar so, dass ein Verzicht auf diese Eigenschaft E’_i den Begriff wesentlich ‚unvollständig‘ machen würde, also E‘ = {E’_1, E’_2, …}.

 

(7) Wichtig hierbei ist schon der Hinweis ‚bekannt‘: wer immer sich an solch einer Begriffsbildung versucht, er wird das Problem haben, dass er/ sie immer nur aus jenen Eigenschaften E auswählen kann, die zu diesem Zeitpunkt ‚bekannt‘ sind. Das ‚verfügbare Wissen E‘ ist zu jeder Zeit t unterschiedlich gewesen, und auch innerhalb einer Zeitspanne (t, t‘) kann das verfügbare Wissen bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich sein (ein Spezialist für Pflanzenkunde wird in der Regel über ein ganz anderes Wissen E_x von E verfügen wie ein Jurist E_x‘ oder ein Schreiner E_x“, also E_x ≠ E_x‘ ≠ E_x“. Wenn man also über die ‚bekannten‘ Eigenschaften E spricht, dann sollte man also mindestens einen Zeitpunkt t mit angeben, oder ein Zeitintervall (t,t‘), und zusätzlich den jeweiligen ‚Autor‘. Angenommen t‘ sei deutlich später wie t, dann würde man vielleicht vermuten, dass die bekannten Eigenschaften E zum Zeitpunkt t‘ E(t‘) alle bekannten Eigenschaften E zu einem vorausgehenden Zeitpunkt t E(t) mit beinhalten E(t) subset E(t‘). Dies muss aber keinesfalls so sein, denn entweder ist dieses Wissen zwischendurch wieder verloren gegangen (durch die Zerstörung von Bibliotheken mit dem griechischen Wissen gab es viele Jahrhunderte, in denen das Wissen ‚geringer‘ war als zu den Zeiten der Griechen; erst durch die vor der Zerstörung angefertigten Übersetzungen ins Arabische, die mit dem Islam dann über Spanien wieder nach Europa kamen, gelang das Wissen dann wieder ‚zurück‘ in die Köpfe und entfaltete im Mittelalter eine neue, ungeheure Kraft), oder aber, man gewann neue tiefgreifende Einsichten, so dass man nun ‚andere‘ Eigenschaften E* subset E(t‘) kennt, die zuvor keine Rolle gespielt haben, also E(t) cut E(t‘) = E*, die dann nun in die Definition eingehen können. Die Entwicklung des Wissens um Eigenschaften im Laufe der Zeiten E(t) –> E(t+1) –> E(t+2) –> … muss also keinesfalls ‚geradlinig‘ verlaufen; eine Population kann Eigenschaften ‚vergessen‘, die schon mal wichtig waren oder ’neue‘ finden, die zuvor nicht bekannt waren.

 

(8) Bei meinen Überlegungen, die zum Konzept der Differenz führten, habe ich mich von vielen Autoren inspirieren lassen (siehe Blogeinträge vorher oder einige meiner Buchbesprechungen bei Amazon (Deutsch und Englisch!)). Direkt nenne würde ich hier jetzt nur Gale (2009) und – insbesondere — Ward und Brownlee (2000). Storch et al (2007) ist ein Beispiel – wie man es heute leider oft findet –wo hochkarätige Experten sehr viel Detailwissen zusammengetragen haben, wo aber der eigentliche ‚Leitbegriff‘ selbst — nämlich der des Lebens – nicht thematisiert wird! In einem Buch über ‚Evolutionsbiologie‘ gibt es keinen einzigen Gedanken dazu, was eigentlich der Leitbegriff all der vielen beeindruckenden Einzeluntersuchungen ist, keinerlei theoretisches Konzept zum Leben; hier wird mit großer Detailkenntnis eine molekulare ‚Maschinerie‘ im historischen Kontext geschildert, es bleibt aber – aus philosophie-wissenschaftlicher Sicht — völlig unklar, ob dies etwas mit ‚Leben‘ zu tun haben soll, weil nirgends definiert ist, was diese Autoren unter ‚Leben‘ verstehen (wobei aus übergreifendem Wissen klar ist, dass diese vielen Details natürlich ‚irgendwie‘ etwas mit ‚Leben‘ zu tun haben, nur vergeben sich diese Autoren eine Chance, dies klar zu machen).

 

(9) Die Variabilität der bekannten Eigenschaften E(t) hängt dabei nicht nur von der generellen ‚Bekanntheit‘ ab, sondern auch, wie die unten angeführten Publikationen demonstrieren, vom ‚Standpunkt des Betrachters‘. Wenn ich mich primär nur für die chemischen Eigenschaften bestimmter Moleküle interessiere, achte ich auf andere Aspekte, als wenn ich die Frage stelle, was denn die grob als ‚biologisch‘ klassifizierten Eigenschaften E_biol subset E_emp generell charakterisiert, auch mit Blick auf andere Kontexte als die Erde. Eine solche ‚erweiterte Perspektive‘ kennzeichnet die Astrobiologie. Sie fragt explizit nach den Bedingungen, unter denen ‚Leben‘ auf der Erde möglich wurde, ist und sein wird sowie, ob und in welchem Umfang ‚Leben‘ auch woanders im Universum möglich ist. Um solch eine Frage so generell stellen zu können, muss man sich Gedanken machen, wie man den möglichst prägnant den Begriff ‚Leben‘ so fasst, dass alle Eigenschaften E_life subset E_emp, die unbedingt notwendig sind, explizit kenntlich gemacht werden, so dass man das Phänomen ‚Leben‘ im gesamten Universum ‚identifizieren‘ kann. Dazu reicht es in keinem Fall, einfach zu unterstellen, jeder wisse ja, was ‚Leben‘ sei, daher genüge es, einfach mal unterschiedliche dinge aufzuzählen, die irgendwie in diesem Zusammenhang bekannt sind. Solche Aufzählungen haben zwar den grossen Vorteil, dass sie strenggenommen niemals ‚falsch‘ oder ‚wahr‘ werden können ( da ja nicht klar ist, im Hinblick auf welche Eigenschaftsmenge sie letztlich ‚bewertet‘ werden sollen), verlieren damit aber wissenschaftlich entschieden an Wert.

 

(10) Als einzelner Mensch beurteilt man das, was man möglicherweise unter ‚Leben‘ versteht, vom Standpunkt seines ’subjektiven Erlebens‘. Dies ist eine Mischung aus ‚Aussenweltwahrnehmungen‘ mit ‚Innenwahrnehmungen‘, also im letzteren Fall von allerlei diffusen Stimmungen, Gefühlen, Bedürfnissen usw. Wir können ‚Leben‘ gar nicht ohne unseren eigenen Standpunkt, nicht ohne die Besonderheiten unseres eigenen Körpers, wahrnehmen. Von daher haben persönliche Schilderungen von ‚Leben‘ stark psychologische und autobiographische Färbungen. Durch die moderne Wissenschaft haben wir aber gelernt, wie wie zwischen den ’subjektiven Anteilen‘ unserer Welterfahrung und den empirisch beschreibbaren Eigenschaften unterscheiden können. Da unser subjektives Erleben an unser Gehirn gebunden ist, dieses in einem Körper eingebettet ist, der sowohl eine individuelle Geschichte hat (Wachstum, Lernen, Ontogenese) wie auch als Teil einer Population eine phylogenetische Geschichte besitzt (die Teil der übergreifenden biologischen Evolution ist, die wiederum eingebettet ist ein eine chemische Evolution, die wiederum nicht isoliert ist, …), wird man das subjektive Erleben auch besser einordnen können, wenn man es von diesen übergreifenden Zusammenhängen aus betrachtet (ohne dass man das subjektive Erleben darauf ‚reduzieren‘ würde; damit würde man wichtige Erkenntnisse ‚verschenken‘, die nur so verfügbar sind).

 

(11) Biologen tendieren dazu, Phänomene des Lebens von ihren ‚Mechanismen‘ her zu betrachten, was naheliegt, da ja der Biologe sich dem Phänomen des ‚Lebens‘ von seinen konkreten Erscheinungsformen her nähert. Durch Inspizierung vieler tausender, zehntausender – oder mehr — spezieller Erscheinungsformen von ‚Leben‘ wird er in die Lage versetzt zu vergleichen, zu klassifizieren, Beziehungen aufzuspüren, Abhängigkeiten zu identifizieren, um dann – möglicherweise – mittels erster ‚Modelle‘ oder ‚Theorien‘ diese vielen Phänomene zu ’systematisieren‘. Insofern geht es dann nicht nur um ‚reine Eigenschaften‘ E_biol oder E_life, sondern es geht dann auch schon um Eigenschaften E_biol, die in sich Klassifikationen darstellen, um Beziehungen (Relationen) R_biol und Dynamiken f_biol, Ax_biol, deren typisches ‚Wechselspiel‘ erst das Phänomen ‚Leben‘ so beschreibt, wie es der Experte zu erkennen meint. Also irgendwie wird man eine Struktur haben wie z.B. TH_biol = <E_biol, R_biol, f_biol, Ax_biol>. Und im Normalfall wird es so sein, dass man mit einer ersten  Theorie TH_biol_0 anfängt, und dann im Laufe der Zeit diese dann immer immer verändert TH_biol_i, bis man dann den Zustand der gerade aktuellen Theorie TH_biol_now erreicht hat.

 

(12) Während man in dem erwähnten Buch von Storch et al. keinerlei Definition zum Begriff Leben findet – erst Recht natürlich keine Theorie – findet sich im Buch von Gale (2009) zumindest eine ‚Liste von Eigenschaften‘ (Gale, 2009:17), allerdings ohne einen klaren funktionalen Zusammenhang (und damit auch keine Theorie). Sowohl Gale (S.17) wie auch Ward and Brownlee (S.56) verweisen aber auf charakteristische dynamische Eigenschaften wie ‚Wachstum‘, ‚Interaktion mit der Umwelt‘, sowie ‚Vererbung mit Variationen‘. Dies alles unter Voraussetzung von minimalen zellulären Strukturen, der Fähigkeit zur Informationskodierung, sowie der Fähigkeit, Energie aus der Umgebung aufzunehmen um diese komplexen Leistungen verfügbar machen.

 

(13) Die Physik, die sich nicht primär für das Konzept ‚Leben‘ ineressiert, sondern an mehr allgemeinen Begriffen wie ‚Energie‘ und ‚Materie‘ (und deren Zuammenspiel) interessiert ist, hat unter anderem die Gesetzmäßigkeit aufgedeckt, dass die Entropie (salopp die ‚Unordnung‘) in einem geschlossenen System einen Maximalwert annimmt. Das aktuelle Universum ist von diesem Zustand noch weit entfernt. Die ‚Differenzen‘ zur maximalen Entropie manifestieren sich als lokale ‚Ordnungen‘ in Form von ‚frei verfügbarer Energie‘. Sofern ‚Leben‘ angenähert das ist, was Gale (2009) sowie Ward and Brownlee (2000) mit ihren wenigen Begriffen nahelegen, dann hat sich das Phänomen des Lebens genau an diesen Differenzen zur maximalen Entropie gebildet, im Umfeld freier Energien, und nicht nur das, sondern das Phänomen des ‚Lebens‘ demonstriert quasi ein Antiprinzip zur Entropie: statt Strukturen ‚auszugleichen‘ werden hier Strukturen in Form frei verfügbarer Energien in andere Strukturen umgeformt, und zwar expansiv und mit einer immer größeren Komplexität. Das Phänomen des Lebens als Ganzes ist vergleichbar mit einem großen Staubsauger, der alle frei verfügbare Energie im kosmologischen Gesamtzustand unter der maximalen Entropie ‚aufsaugt‘ und damit neue, vorher nicht dagewesene Strukturen generiert, die neue Eigenschaften aufweisen, die weit über die bekannten physikalischen Phänomene hinausgehen. Angenommen, das Phänomen des Lebens als Ganzes könnte die frei verfügbaren Energien idealerweise vollständig nutzen, dann würde sich die maximale Existenzzeit des Lebens im Universum aus der Zeit ergeben, in der im Universum noch Energie frei verfügbar ist. Sicher aber sind weitere Varianten möglich, die wie heute einfach noch nicht sehen, weil unsere Wissensfähigkeit dramatisch eingeschränkt ist.

 

(14) Andererseits, während die Biologen stark an den konkreten Eigenschaften von Manifestationen des Lebens ‚hängen‘, kann man versuchen, diese Eigenschaften von einem ‚abstrakteren‘ Standpunkt aus zu betrachten, was ich in den vorausgehenden Blogeinträgen versucht hatte. Nach dem bekannten Spruch, dass man ‚den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht‘, kann die Vielzahl der Eigenschaften biologischer Systeme das Denken daran hindern, die im Leben implizit vorhandenen Strukturen zu erkennen. In meinen Überlegungen hatte ich versuchsweise angenommen, dass die gesamte Maschinerie biologischer Systeme (z.B. der ganze ‚Körper‘), dessen Komplexität uns erschlägt, möglicherweise nur ein ‚Mittel zum Zweck‘ ist, nämlich die Rahmenbedingungen für ein neuronales System zu schaffen, dessen Zweck wiederum die Fähigkeit ist, ‚Eigenschaften der Welt‘ in ‚kognitive Strukturen‘ umzuwandeln, durch die das gesamte Universum schrittweise ‚transparent‘ wird und damit ’sich selbst‘ nahezu beliebig ‚umbauen‘ könnte. Wie wir heute wissen, lässt sich jede Form von uns heute bekanntem Wissen und Denken über minimale Potentialsysteme realisieren, die beliebig vernetzbar sind. Von diesem Leitgedanken aus liegt es nahe, die Vielfalt der Eigenschaften biologischer Systeme unter dieser Rücksicht zu analysieren. Dies führte zur Idee des minimalen Differenzsystems, vernetzbar, energetisch betrieben, kopierbar mit Veränderungen. Alles keine wirklich neue Gedanken.

 

(15) ‚Leben‘ wäre dann also jenes Phänomen im Universum, das in der Lage ist, ausgehend von den freien Energien einer nicht-maximalen Entropie beliebig skalierbare Differenzsysteme erzeugen zu können, die sich variierend kopieren lassen, und die mit ihren jeweiligen Umgebungen (und damit mit sich selbst) interagieren – und das heißt auch: kommunizieren – können. Mit welchem konkreten Material und unter welchen konkreten Randbedingungen dies auftritt, ist unwesentlich. Das ‚Geistige‘, das sich in Gestalt von ‚Lebensformen‘ zeigt, ist letztlich eine implizite Eigenschaft der gesamten umgebenden Materie-Energie, weswegen es nicht klar ist, was das Verschwinden eines konkreten Körpers (‚Tod‘) für das Phänimen des ‚Geistes‘ letztlich bedeutet. Seiner ‚Natur‘ nach kann ‚Geist‘ nicht ’sterben‘, nur eine bestimmte Realisierungsform kann sich ändern.

 

 

 Unsere Verwandten die Tiere 1

 

 

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LITERATURHINWEISE

 

Gale, J.; Astrobiology of Earth. The Emergence, Evolution, and Future of Life on a Planet in Turmoil. New York: Oxford University Press, 2009

 

Storch, V.; Welsch, U.; Wink, M.; Evolutionsbiologie. 2.Aufl. rev. and ext., Berlin – Heidelberg: Springer Verlag, 2007

 

Ward, P.D.; Brownlee, D.; Rare earth. Why Complex Life is Uncommon in the Universe. New York: Springer-Verlag New York, Inc., 2000