Archiv der Kategorie: Denken

PHILOSOPHIEWERKSTATT 23.Okt.2016 – JETZT ALS PHILOSOPHISCHES LABOR FÜR PHILOSOPHISCHE SELBSTVERSUCHE – Memo

AUSGANGSPUNKT

  1. Wie in der Vorschau zur Philosophiewerkstatt vom 23.Okt.2016 nachlesbar, ist das Thema Denken und Fühlen ein zwar sehr anregendes, aber zugleich auch in der bisherigen Geistesgeschichte (speziell in den Wissenschaften) eher ungelöstes Thema. Tatsächlich findet sich der einzelne heute eher ortlos vor zwischen Denken und Fühlen, nicht harmonisch, entspannt, wohlig, zufrieden, glücklich. Vielleicht sollte man hier sogar von einer Art Entfremdung des Menschen von sich selbst sprechen.
  2. Im eben zitierten Beitrag findet man den Abschnitt: Wenn man also als Philosoph die vorfindliche Wirklichkeit ernst nehmen will, dann darf man die eigene Körpererfahrung nicht von vornherein ausblenden, man muss sie akzeptieren, man muss sie zulassen, sie anschauen, und versuchen, daraus zu lernen, was es zu lernen gibt. Das Fühlen (im weitesten Sinne) ist ein Grundbestandteil philosophischer Weltwahrnehmung. Ob und was ein nachfolgendes Reflektieren mit solch einem Fühlen anfangen kann, das kann man vorab nicht abschätzen.
  3. Und weiter: Für einen Philosophen kann es nur um das GANZE Fühlen gehen, d.h. alles, was ein Denken vorfinden kann. Und da dieses Fühlen an unseren Körper gebunden ist, geht es darum, was ein Körper in unterschiedlichsten Situationen fühlen kann und wie man solch ein stattfindendes Fühlen dann beschreiben kann, nicht nur punktuell, sondern auch in seiner prozesshaften Erstreckung in dem, was wir Zeit nennen.
  4. Als Grundform des philosophischen Fühlens erscheint daher das bewusste Dasein ohne ein fokussiertes Denken. Sofern das philosophische Fühlen als das primär Vorgegebenes für jedes Erkennen angesehen wird, also auch für das explizite Denken, muss man sagen, dass das Denken im Fühlen gründet.
  5. In einem weiteren vorbereitenden Blogbeitrag  wurd aber auch herausgestellt, dass die Tatsache, dass das Denken im Fühlen gründet, … nicht [heißt], dass das Fühlen das Denken ersetzt. Keinesfalls. Das Denken ist zwar evolutionsgeschichtlich sehr viel später als das Fühlen, das eine Begleiterscheinung des Körpers ist, und das Denken kann das Fühlen nicht ersetzen, aber es eröffnet Zustandsweisen, die radikal und fundamental über das Fühlen hinaus gehen.
  6. Aufgrund all dieser Gedanken entstehen sehr viele Fragen. Fragen nach der Beschaffenheit und Funktion des philosophischen Fühlens, des Denkens, und speziell auch Fragen nach der Wechselwirkung zwischen philosophischem Fühlen und Denken. Um diesen Fragen nach zu gehen wurde zur ersten Sitzung der Philosophiewerkstatt am 223.Okt.2016 eingeladen.
Hinweis auf die Komplexität menschlicher Systeme als Teil der biologischen Evolution
Hinweis auf die Komplexität menschlicher Systeme als Teil der biologischen Evolution

WERKSTATT – EINSTIMMUNG

  1. Nach dem Ankommen an den neuen Ort (INM) wurde nochmals daran erinnert, was das Grundanliegen der Philosophiewerkstatt ist: nicht der Monolog eines Experten sondern die Verschränkung der Erfahrungen der anwesenden Teilnehmer im Austausch und in der versuchsweisen Zusammenschau.
  2. In einem kurzen Impulsreferat wurde anhand der Zeichnung zur Komplexität menschlicher Systeme angedeutet, wie das System Mensch in sich ganz unterschiedliche Systeme vereinigt, die untereinander wechselwirken. Das Bewusstsein in Interaktion mit dem Gehirn, und das Gehirn in Wechselwirkung mit dem Körper. Der gesamte Körper ist aber zugleich eine gigantische Ansammlung von individuellen hochkomplexen Zellen, die intensiv miteinander interagieren. Insofern sie aus Molekülen bestehen, diese aus Atomen, Atome aus subatomaren Partikeln, die physikalisch frei zugänglich sind über alle körperlichen Grenzen hinweg, bildet der Körper entgegen der bewussten Anschauung kein abgegrenztes, endliches Objekt, sondern ein prinzipiell offenes System, dessen Grenzen physikalisch kaum angebbar sind.
  3. Wenn wir also philosophisch vom Fühlen sprechen, dann ist damit die Gesamtheit der möglichen Wirkungen dieses komplexen offenen und dynamischen Systems in die Phänomenmenge des Bewusstseins gemeint. Das Bewusstsein ist aber als Bewusstsein nur dem individuell erlebenden System zugänglich als subjektzentrierte Phänomenmenge, deren Quelle das ganze Universum ist, dessen Ereignismenge durch den Körper und das Gehirn gefiltert wird. Der subjektive Phänomenraum erscheint somit wie ein Transformator, wie eine Übersetzungsmaschine, die die schwer fassbare universelle Ereignismenge in einen bestimmten Kode, den Körper-Gehirn-Bewusstseins-Kode übersetzt.
  4. Das philosophische Fühlen erscheint daher als die Fähigkeit des Menschen, sich selbst in großer Bandbreite ‚fühlen‘ zu können. ‚Fühlen‘ ist dabei alles, was irgendwie wahrgenommen/ erlebt/ empfunden/ … werden kann als möglicher Gegenstand des Denkens. Das Fühlen wäre damit unsere direkte Verbindung zur Realität, modulierbar durch Denken. Das Fühlen erscheint unserem Denken vorgelagert und darin unabhängig von ihm. Das Fühlen ist darin das für das Denken Andere, Widerständige, im grundlegenden Sinne Empirische. Dennoch können sich Fühlen und Denken gegenseitig beeinflussen, aber unterschiedlich. Fühlen erscheint formlos; das Denken ermöglicht Verbindung mit Strukturen. Fühlen ist gegenwärtig; Denken ermöglicht Vergangenheit und mögliche Zukunft.
  5. Eine philosophische Übung des Fühlens (was von anderen oft Meditation genannt wird, mit zahllosen Spielarten) besteht im einfachsten Fall darin, sich für eine gewisse Zeitdauer (guter Start: 20 Min) in einer Weise zu positionieren, dass man sich selbst dabei wenig behindert und man auch von der Umgebung wahrscheinlich nicht gestört wird (Dies ist allerdings individuell sehr verschieden: es gibt Menschen, die können im größten Trubel so etwas tun, andere werden schon bei kleinsten Geräuschen abgelenkt). Und dann ist man einfach nur da. In dieser Zeit kann unglaublich viel passieren – oder scheinbar nichts. Eine kleine Nachreflexion mit Notizen kann helfen, das Gefühlte zu sortieren und zu bewahren.
Historischer Kontext zu Schopenhauer - Auswahl
Historischer Kontext zu Schopenhauer – Auswahl
  1. Innerhalb des großen Themas Denken im Fühlen (Okt-2016 bis Juni-2017) soll auch der Philosoph Schopenhauer als historischer Gesprächspartner einbezogen werden. Zu Lebzeiten wenig beachtet, erweist sich sein Ansatz mit Thematisierung der Vorstellungen im Körper und des Willens als Ermöglichung einer subjektübergreifenden Wirklichkeit aus heutiger Sicht als modern. In der Sitzung am 23.Okt.2016 wurde nurmehr ein erster Hinweis auf Schopenhauer gegeben.

INDIVIDUELLES FÜHLEN

  1. Es war jedem freigestellt, ob er sich dem Selbstversuch des philosophischen Fühlens aussetzen wollte oder nicht, auch wo und wie. Wie sich herausstellte hatte niemand außer dem Autor das zuvor probiert. Alle probierten es aus. 20 Min. Einige gaben blitzlichtartig anschließend ihre Eindrücke wieder (siehe Bild).
Blitzlichter zum Selbstfühlen
Blitzlichter zum Selbstfühlen
  1. Eine Übung, nur 20 Min, ist natürlich bei einem so komplexen Thema wie das eigene Fühlen nur eine kleine Momentaufnahme aus einem permanent gewaltigen Geschehen. Dennoch zeigen schon die wenigen Berichte, wie wir, ausgespannt zwischen Fühlen und Denken, in einem Spannungsfeld leben, in dem einerseits unser Fühlen uns unterschiedliche Ereignisse liefert, andererseits unser bisherige Erfahrung und unser Denken, dadurch angeregt, alle möglichen Reaktionen zeigen. So, wie wenn man einen Stein ins Wasser wirft und er Wellen und Geräusche erzeugt, so erzeugen die unterschiedlichen Gefühlsanstöße unterschiedliche Reaktionen unseres Erinnerns und Denkens.

DISKURS ZU DENKEN IM FÜHLEN

  1. Im nachfolgenden Diskurs (siehe Bild) kamen viele Aspekte zur Sprache.
Stichworte aus dem Gespräch
Stichworte aus dem Gespräch

BEWUSSTSEIN UND FÜHLEN

  1. Grundlegend war sicher die Klärung, wie wir den Begriff Bewusstsein im Gespräch verwenden wollten: (i) quasi von außen, als Dritter, auf einen Menschen drauf schauend, seinen Körper, sein Gehirn, und damit verbunden Verhaltensweisen, die auf etwas hindeuten, das man Bewusstsein nennt, oder (ii) aus der Innenperspektive des einzelnen, seine subjektive Wahrnehmung, die sich einer Vielzahl von Eindrücken (Phänomenen, Qualia,…) ausgesetzt erfährt. Wir stellten fest, dass wir die Bedeutung (ii) benutzen, die auch der Betrachtungsweise der Phänomenologie im Sinne Husserls entspricht.
  2. Das philosophische Fühlen entspräche dann der Gesamtheit aller Phänomene, die sich im Bewusstsein zeigen können, sofern sie im Körper fundiert wären. Insofern das Bewusstsein im Gehirn fundiert ist und dieses im Körper, sind alle möglichen Phänomene im Körper fundiert, d.h. Das Bewusstsein ist der real-virtuelle Ort des Aufscheinens aller möglichen Phänomene und steckt damit auch den Bereich des potentiellen philosophischen Fühlens ab.

ZWISCHEN MENSCHEN

  1. In der Interaktion zwischen Menschen spielt der Austausch von Gefühlen auch eine Rolle. Es gibt offensichtlich vor-sprachliche Formen der Kommunikation und dann sprachliche. Mit der Sprache lassen sich sehr feine und sehr verwobene Strukturen konstruieren, die dann als sprachlich vermittelte Bilder der gemeinten Sache die vorkommende Wirklichkeit deuten.

FÜHLEN UND SPRACHE

  1. Freud ist ein beeindruckendes Beispiel, wie er Sprach- und Denkwelt der Neurowissenschaften überstieg und die Psyche – aufscheinend in den Phänomenen des Bewusstseins – mit eigenen Beschreibungsmodellen versah. Zugleich reflektierte er diese seine Modellbildungen auf mögliche Voraussetzungen und mögliche Konsequenzen hin.
  2. Dies ist möglicherweise eine Auswirkung der Formwandlungsprozesse des 18.Jahrhunderts, in denen zwischen der Logik der Psyche (Psychologie) und der Logik des Denkens unterschieden wurde. Erste Umrisse einer Abgrenzung von erlebbarer Psyche und erlebbarem Denken?
  3. Erwin Walter Maximilian Straus (1891 – 1975)  wurde als jemand genannt, der die Eigenständigkeit des Psychischen gegenüber dem Physiologischen verteidigt hat. Motto: Der Mensch denkt – nicht das Gehirn. Hier stellen sich allerdings einige Fragen vor dem Hintergrund der bisherigen systemischen Annahmen. Wurde nicht ausdiskutiert.

WER DENKT IM GEHIRN?

  1. Selbst wenn man von den neurologischen Verschaltungen ausgeht, muss man sagen, dass rein deterministische Schaltereignisse eigentlich nirgendwo vorkommen, nicht einmal auf der Ebene eines einzigen Neurons. Und die scheinbar deterministischen Reflexbahnen sind meist modifizierbar und bilden nur eine kleine Teilmenge der Schaltereignisse. In der Mehrzahl der Fälle finden sich wischen möglichen Signaleingängen und Ausgängen komplexe Verschaltungen, die mathematisch betrachtet nicht-lineare adaptive Funktionen repräsentieren, die von einer großen Zahl von Bedingungen abhängen, die selbst wiederum von nicht-linearen adaptiven Funktionen abhängen. Selbst wenn man die Betrachtung auf diese komplexen Schaltnetzwerke beschränken würde, wäre es nahezu unmöglich zu sagen, wer hier ‚denkt‘. Mathematisch gibt es hier keinen ‚Fixpunkt‘; alles ist hoch parallel, verteilt, nicht-linear und adaptiv.
  2. Bislang erscheint es auch müßig, in diesem Dschungel an vernetzter, adaptiver nichtlinearer Parallelität ein Areal zu identifizieren, das man dem subjektiven Erleben im Bewusstsein zuordnen könnte. Die Erfahrung des Bewusstseins erscheint originär im Subjektiven verankert, als dieses Phänomen nicht rückführbar.
  3. Wohl scheint es möglich zu sein, einzelnen Aspekten des Bewusstseins, einzelnen Phänomenen und ihrer Dynamik ansatzweise Aktivitätsmuster im messbaren Gehirn zuzuordnen. Von einer wirklichen eindeutigen Abbildung der Erfahrung des Bewusstseins auf neuronale Gegebenheiten sind wir aber noch weit entfernt. Dies liegt u.a. an dem Messproblem: das Bewusstsein als Korrelat eines subjektive Empfindens lässt sich nicht direkt messen.

WAS IST DENKEN?

WAS IST DIE FUNKTION DES BEWUSSTSEINS?

  1. Während es im Gespräch erste Einkreisungen dessen gab, was mit philosophischem Fühlen gemeint sein könnte, blieb der Begriff des Denkens und daraus resultierend die Interaktion zwischen Fühlen und Denken schwierig.
  2. Eine erste Arbeitshypothese ging in die Richtung, dass das Bewusstsein eine späte Errungenschaft der Evolution ist.
  3. Innerhalb eines hochkomplexen Systems (beim homo sapiens (sapiens) ca. 120 Milchstraßen-Galaxien an Zellen, die jeweils hochkomplex miteinander interagieren, zusätzlich mit einer Dynamik des Wachsens und Sterbens und Lernens) führte die Entstehung eines Bewusstseins als zusätzlicher Steuerungsebene auf einem hohen Abstraktionsniveau dazu, dass die ungeheuer komplexen Prozesse im Körper auf ‚handliche‘ Weise dem Bewusstsein übermittelt werden mussten. Dies geschieht über vielfältige Ereignisse des Fühlens (Hunger, Durst, Müdigkeit, Sexualität, Angst,…), die dem Bewusstsein signalisieren, dass bestimmte Systemzustände Anforderungen haben.
  4. Ereignisse des Fühlens, vom Körper verursacht, sind als Ereignisse zwar unterscheidbar und haben eine zeitliche Erstreckung mit unterschiedlicher Intensität, sie besitzen aber von sich aus keine Umsetzungsanweisung für ein Verhalten.
  5. Die Zuordnung von Fühlens-Ereignisse des Körpers zu möglichen Gegebenheiten der Außenwelt (z.B. Nahrungsmittel) zusammen mit möglichen Verhaltensweisen (Nahrungsmittel besorgen, zubereiten, essen, …) muss explizit gelernt werden. Dies hängt ab von Umständen und anderen Personen. So kann ein und dasselbe Fühlens-Ereignis in einem Menschen je nach Zeit, Ort, Kultur, Umständen ganz unterschiedlich benannt und ‚versorgt‘ werden.
  6. Verschiedene Theorien zur Entstehung des Denkens (wie z.B. von Wilfred Ruprecht Bion (1897 1979) können im Lichte der Arbeitshypothese in der Philosophiewerkstatt neu interpretiert werden. Alle auftretenden Strukturen im Bewusstsein gehen zurück auf Lernprozesse. Der Ankerpunkt ist das Fühlen des Körpers, das mit der Realität verbindet, und die Strukturierung der Einbettung des Fühlens in den Rest der Wirklichkeit leistet das strukturierende Denken.
  7. Hier muss weiter gedacht werden.

COMPUTER UND FÜHLEN UND …

  1. Gegen Ende wurde auch nochmals das Thema Computer mit Denken und Fühlen aufgegriffen. Können Computer Fühlen und Denken wie Menschen? Die körperlichen Ausdrucksweise von Gefühlen können Roboter heute schon ziemlich gut imitieren. Haben Sie deshalb auch Gefühle? Brauchen sie überhaupt Gefühle, um Menschen helfen zu können?

Einen Überblick über alle Einträge zur Philosophiewerkstatt bisher findet sich HIER.

Eine Übersicht über alle Themenfelder dieses Blogs findet sich HIER.

DENKEN IM FÜHLEN IM KÖRPER. BEGINN EINER REISE INS INNERE DES MENSCHEN. Einladung Philosophiewerkstatt 23.Okt.2016

EINLADUNG ZUR NÄCHSTEN

philosophieWerkstatt v3.0

am

Sonntag, 23.Okt.2016, 15:00 – 18:00h

ORT:

INM (Institut für Neue Medien), Frankfurt, Schmickstrasse 18

Parken direkt hinter dem Haus oder im Umfeld gut möglich. Essen und Trinken: es gibt keine Bewirtung; jeder bringt mit, was er braucht 🙂

Anliegen der Philosophiewerkstatt ist es, ein philosophisches Gespräch zu ermöglichen, in dem die Fragen der TeilnehmerInnen versuchsweise zu Begriffsnetzen verknüpft werden, die in Beziehung gesetzt werden zum allgemeinen Denkraum der Philosophie, der Wissenschaften, der Kunst und Religion. Im Hintergrund stehen die Reflexionen aus dem Blog cognitiveagent.org, das Ringen um das neue Menschen- und Weltbild. (Siehe auch den Text der Vorankündigung vom 9.Okt.2016 sowie der Ergänzung vom 12.Oktober 2016)

part of your road into the future

ALS PROGRAMMABLAUF FÜR DEN 23.10.16 WIRD VORGESCHLAGEN:

Bis 15:00h ANKOMMEN

(Achtung: Nach 15:00h kein Einlass mehr; bitte rechtzeitig da sein!)

15:00 – 15:10h MIT DEM ORT VERTRAUT WERDEN

15:10 – 15:25h IMPULSREFERAT: Schopenhauer zu Denken im Fühlen im Körper

15:25 – 15:45h ZEIT ZUM INDIVIDUELLEN FÜHLEN (… andere nennen es Meditation)

15:45 – 15:55h ASSOZIATIONEN INDIVIDUELL NOTIEREN (… Ein Blatt mit Schreibgerät wäre hilfreich)

15:55 – 16:15h KOMMUNIKATION EIGENER BEOBACHTUNGEN IN DER RUNDE (… sofern man etwas sagen möchte)

16:15 – 16:25h BEWEGUNG, TEE TRINKEN, REDEN (… jeder mit jedem, wer will)

16:25 – 17:10h GEMEINSAME REFLEXION, ZUGLEICH  ERSTELLUNG EINES GEDANKENBILDES

17:10 – 17:20h BEWEGUNG, TEE TRINKEN, REDEN (… jeder mit jedem, wer will)

17:20 – 17:40h NACHREFLEXION DES GEDANKENBILDES

17:20 – 18:00h AUSBLICK (Vorschläge, welche Ideen weiter verfolgt werden sollten)

Ab 18:00h VERABSCHIEDUNG VOM ORT

Stunden, Tage danach: ABSTAND NEHMEN, NACHSINNEN

Irgendwann: BERICHT(e) ZUM TREFFEN, EINZELN, IM BLOG

Irgendwann: KOMMENTARE ZU(M) BERICHT(en), EINZELN, IM BLOG

Koan: Das Denken im Fühlen verankern heisst nicht, mit dem Denken aufzuhören … Der Blick ins Innere führt direkt zum Äußeren …

 

Einen Überblick über alle Werkstattgespräche bisher findet sich HIER.

DENKEN GRÜNDET IM FÜHLEN – EIN MANIFEST

1. Dies ist eigentlich ein Nachtrag zum Eintrag von gestern. Dessen Überschrift ist missverständlich, da man annehmen muss, es gehe primär um die Einladung zur nächsten Philosophiewerkstatt. Ja, der Text von gestern ist eine Einladung zu Philosophiewerkstatt, aber darüber hinaus, vor allem, ist der Text ein

MANIFEST

2. in dem der Zusammenhang von Denken und Fühlen aus philosophischer Sicht grundlegend bestimmt wird.
3. Im alltäglichen Denken ist von jeher die Überzeugung fest verankert, dass letztlich der Bauch der bessere Entscheider sei als der Verstand; oder in den verschiedenen Religionen werden spirituelle Erfahrungen oder etwas, das Glaube genannt wird, über den Verstand gestellt. Menschen, die ähnlich denken, werden vielleicht – falls sie überhaupt solche Texte wie hier im Blog lesen – bei der These, dass der Verstand im Gefühl verankert sei, kurz nicken und zur Tagesordnung übergehen, in der Meinung, dass sie das ja immer schon wussten; also nach dem Motto „Nichts Neues unter der Sonne“.
4. Ein solcher Schluss wäre allerdings falsch. Die Tatsache, dass das Denken im Fühlen gründet, heißt nicht, dass das Fühlen das Denken ersetzt. Keinesfalls. Das Denken ist zwar evolutionsgeschichtlich sehr viel später als das Fühlen, das eine Begleiterscheinung des Körpers ist, und das Denken kann das Fühlen nicht ersetzen, aber es eröffnet Zustandsweisen, die radikal und fundamental über das Fühlen hinaus gehen.
5. Die Kombination von beiden, vom Fühlen UND Denken, ist spannend und evolutionär ein Quantenspruch. Umso trauriger, wenn nicht gar tragisch, ist es, wenn entweder Menschen es nicht schaffen, ihr Fühlen zu übersteigen und mit ihrem Denken zu versöhnen, oder umgekehrt, Menschen sich in ihrem Denken einsperren und alle Bezüge zum Fühlen zu verdrängen suchen. Beide Haltungen sind

ENTFREMDUNGEN VON SICH SELBST

6. Wer sich in seinem Fühlen einzurichten sucht wie in einem Mutterleib, der so schön kuschelig und überschaubar ist und das Denken als Unruhe- und Klärungsfaktor still legt, der versperrt sich vor dem Dauergeschehen Welt, dem übergreifenden Prozess, aus dem wir kommen, in dem wir mit reisen, auf den wir einwirken können (und sollten?). Das Denken, dass dennoch unausweichlich stattfindet, entwirft Bilder von sich selbst und der Welt, die weitgehend falsch sind. Denken wird darin missbraucht zur Abschottung, zur Begründung der Abschottung, als argumentative Hülle der Abwehr all jener Gedanken, die die kuschelige Einfachheit und Idylle stören könnten. Alles ist erlaubt sofern es nur den Status Quo wahrt.
7. Diejenigen die durch ihr Leben, durch Training, verschiedenen Schulungen, selber Denken, in die Zustände eines aktiven Denkens aufgebrochen sind, können in das andere Extrem abrutschen. Die denkerischen Weiten, die Leichtigkeiten, das Universelle, die Geschwindigkeit, die Größen, das Manipulierbare, die möglichen großen Außenwirkungen … dies und vieles mehr können auch wie ein Rausch wirken. Der konkrete Körper, seine Schwerfälligkeit, sein vielen Bedürfnisse, nicht nur schön sondern auch belastend, störend, verstörend, widerwillig, nicht vollständig manipulierbar, in seiner Vielfalt und Undurchschaubarkeit auch verwirrend, beängstigend, unheimlich, … von solch einem Körper möchte man sich eher abkoppeln. Man möchte nichts von ihm wissen. Man straft ihn quasi ab durch wenig Schlaf, unglückliche Nahrungsaufnahme, falsche Haltungen und Bewegungen. Der eigene Körper wird zum Feind.
8. Verfallen sein an den Körper und das Fühlen auf der einen Seite, Flucht vor dem Körper, Abstrafung, Kasteien auf der anderen Seite – zwei Extreme die vorkommen. Dazwischen kann es alles geben.

METHODISCHE ENTFREMDUNG

9. Dass es überhaupt zum Ausdruck MANIFEST gekommen ist bei der Beschreibung des Denkens als fundiert im Fühlen liegt darin, dass die offiziellen Denkbetätigungen im Bereich Philosophie, noch mehr aber im Bereich der modernen empirischen Wissenschaften, zu einer methodisch bedingten Verdrängung des Fühlens geführt hat bis hin zum vollständigen Ausschluss. Mag der methodisch bedingte Ausschluss unter entsprechenden Bedingungen begrenzt notwendig und von Nutzen sein, so hat diese Vorgehensweise doch faktisch zum vollständigen Ausschluss des Fühlens vom Denken geführt (zumindest offiziell; wenn man sieht wie viele Emotionen inoffiziell dennoch überall im Spiel sind, und leider sehr viele negative, aggressive, zerstörerische Emotionen, dann wird der methodische Ausschluss fast zur Farce; offiziell kein Fühlen, inoffiziell sind aber ganze Abteilungen, ganze Institutionen von Gefühlen nur so durchtränkt, dass das Fühlen den Menschen geradezu aus allen Poren heraustropft).
10. Die Menschen haben einige tausend Jahre gebraucht, bis sie zur methodischen Trennung von Denken und Fühlen fähig waren; eine große kulturelle Leistung. Sie haben es dann aber (zumindest nicht bis heute) nicht geschafft, gleichzeitig auch die Abhängigkeit des Denkens vom Fühlen, seine Fundierung im Denken soweit zu klären und im alltäglichen Handeln zu verankern, dass sie damit selbstverständlich umgehen können. Fühlen (Emotionen, Bedürfnisse, Erregungen, Stimmungen, …) gibt es, ja, aber was sie genau sind, warum, wieso, weshalb, das lässt man irgendwie im Dunkeln. Hier haben Esoteriker, Scharlatane, Geschäftemacher, auch Religionen, ein leichtes Spiel.

WAS NUN?

11. Allerdings, es ist eine Sache, die fundamentale Beziehung zwischen Denken und Fühlen zu konstatieren, zu proklamieren, die Feststellung als Manifest hoch zu stilisieren, eine ganz andere ist es, dieser Einsicht genügend Inhalte und Verhaltensweisen zu geben. Wie soll man das genau verstehen? Wie sollte man sich am besten verhalten?
12. Genau dazu sollen einmal die Veranstaltungen der Philosophiewerkstatt Version 3.0 helfen, ergänzend dieser Blog, und, vielleicht, sofern andere mitwirken, noch weitere Veranstaltungen oder Kommunikationsprozesse.

Einen Überblick über alle Beiträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER.

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PHILOSOPHIEWERKSTATT JETZT ALS PHILOSOPHISCHES LABOR FÜR PHILOSOPHISCHE SELBSTVERSUCHE – Version 3.0. Eine Vorausschau

KONTEXT

Leser dieses Blogs sind vertraut mit dem philosophischen Experiment der Philosophiewerkstatt (Version 1.0), wie sie im Herbst 2013 im Cafe-Bistro Confetti in Schöneck startete.  Dies waren erste Gehversuche. Es gab noch kein festes Format.

Ab Herbst 2014 gab es die Philosophiewerkstatt Version 2.0 in Kooperation mit der DENKBAR in Frankfurt. In dieser Zeit entwickelte sich eine kreative Form des gemeinsamen Gedankenaustausches, die sich stabilisierte.

Ab Herbst 2016 wird es die Philosophiewerkstatt in einer Neuauflage geben, in Version 3.0, Ortsveränderung inbegriffen: das Institut für Neue Medien in Frankfurt. Dies ist kein Abschied von der DENKBAR, die zwei Jahre lang eine belebende Umgebung für die sonntäglichen Treffen war, sondern es ist eine Kooperation von DENKBAR und INM in einer veränderten Umgebung, mit einem veränderten Konzept.

Worin besteht das Neue?

ORTLOS ZWISCHEN FÜHLEN UND DENKEN

Wer sich ein wenig in der Geschichte der Philosophie auskennt, der weiß, dass das Hauptanliegen der Philosophie eher die Klärung der Welt mit Hilfe des Denkens war. In der Verfertigung des Gedankens, im Reden, Schreiben, im Dialog da entsteht Wirklichkeit neu, als Gedachte, und im Denken als Geklärte, Bereinigte, Strukturierte, eingehüllt in Worte, in Symbole.

Die neuzeitliche Wissenschaft hat die Abkopplung des Fühlens vom Denken weiter beeinflusst; Wissenschaft wurde hier im Raum von Messwerten und mathematischen Formeln verortet; das Fühlen hat hier keine offizielle Rolle mehr und sogar das Subjekt der wissenschaftlichen Tätigkeit, der Forscher selbst, spielt keine Rolle mehr. Er wurde systematisch ausgeblendet.

Diese Ausklammerung von Fühlen und Subjekt aus dem offiziellen Denken führt mittlerweile zu sehr vielen Problemen, fundamentalen Problemen.

Im Bereich der Wissenschaft ist es der Verlust des Menschen. In vielen Bereichen – wie z.B. der Physik – kommt der Mensch als Mensch per se gar nicht mehr vor; in anderen – wie Biologie, Medizin, Gehirnwissenschaften, usw. – kommt der Mensch als Untersuchungsobjekt zwar vor, aber er zerfällt hier in unzählige Details, wird zu einem Ort bloßer chemischer Prozesse. Mögliche Zusammenhänge gehen weitgehend verloren. Die Frage, wer der Mensch denn überhaupt ist, hat in den Wissenschaften keine wirkliche Stelle mehr; sie ist unter die Räder gekommen.

Für einen einzelnen Menschen, der sich ernst nehmen will, bedeutet dies eine zunehmende Ortlosigkeit: eingebettet zwischen einem Fühlen, das diskreditiert ist, und einem Denken, das mit dem Menschen nichts anfangen kann. Hat der Mensch überhaupt noch eine Zukunft?

DAS DENKEN WOHNT IM FÜHLEN

Aus philosophischer Sicht ist klar, dass die begrifflichen Netze, mit denen empirische Wissenschaftler arbeiten, nur scheinbar vom Subjekt losgelöst sind. Denn die Theorie selbst wie auch die Messwerte brauchen die Rückkopplung an das Gehirn, an eine bestimmte Form von Bewusstsein. Ohne Bewusstsein und Gehirn gibt es weder Messwerte noch Begriffsnetzwerke. Es ist das Bewusstsein im Gehirn und im Körper als Teil eines komplexen biologischen Netzwerkes, in beständiger Interaktion mit der umgebenden Materie, welches der Ort von Fühlen und Denken ist. Es ist für uns Menschen der EINZIGE Ort, über den wir Kontakt zu dem haben, was wir Wirklichkeit nennen.

Wirklichkeit ist das erste Vorfindliche, ein Ur-begriff, an dem alle anderen Begriffe partizipieren. Was immer irgendeine wissenschaftliche Disziplin zu beschreiben versucht, sie setzt einen Ur-begriff von Wirklichkeit voraus, der durch die Einbettung in den Körper gegeben ist. Ohne den Körper ist jede Wissenschaft (und jedes Denken) nichts, echtes Nichts, das ganz und gar Undenkbare. Andererseits definiert sich eine wissenschaftliche Disziplin methodisch über eine Einschränkung und Abgrenzung. Die empirische Methode erzwingt eine Zerlegung des Phänomenraums in jene Teilräume, die intersubjektiv empirisch sind, und innerhalb dieser grundsätzlichen Einschränkung finden in der Regel weitere Abgrenzungen statt (Physik, Chemie, Biologie, (empirische) Soziologie, …).

Das Besondere des Menschen ist gerade diese Art seiner Welterfahrung, ermöglicht durch die Besonderheit seines Körpers: Makrostrukturen von Mikrostrukturen, die bis in den subatomaren Bereich – und damit unbegrenzt – hinein reichen und wechselwirken, beständig [Vorstellungshilfe: allein das menschliche Gehirn hat etwa 290 Mrd Zellen (etwa 30% Neuronen, 58% Astrozyten und etwa 12% Gliazellen). Das entspricht der Anzahl von Sternen in einer ganzen Galaxie. Der ganze menschliche Körper soll ca. 36 Billionen (10^12) Zellen haben (ohne die vielen Mrd zusätzliche Bakterien in und auf ihm), das wären dann in Entsprechung etwa 120 Galaxien. Bedenkt man noch die Komplexität der Wechselwirkung zwischen den Zellen des Körpers, dann übersteigt die Komplexität eines einzelnen menschlichen Körpers jene von 120 Galaxien um ein Mehrfaches, nur ein Körper!]. Diese Welterfahrung setzte einen Entwicklungsprozess von ca. 13.8 Mrd Jahre voraus. Unser Verständnis dieser Vorgänge ist noch ganz am Anfang (und es ist eine offene Frage, ob wir diese Komplexität wohl jemals ‚begreifen‘ können, wenn man bedenkt, dass das menschliche Arbeitsgedächtnis (auch bei Physikern) nicht mehr als ca. 7 +/- 2 Einheiten gleichzeitig verarbeiten kann).

Wenn man also als Philosoph die vorfindliche Wirklichkeit ernst nehmen will, dann darf man die eigene Körpererfahrung nicht von vornherein ausblenden, man muss sie akzeptieren, man muss sie zulassen, sie anschauen, und versuchen, daraus zu lernen, was es zu lernen gibt. Das Fühlen (im weitesten Sinne) ist ein Grundbestandteil philosophischer Weltwahrnehmung. Ob und was ein nachfolgendes Reflektieren mit solch einem Fühlen anfangen kann, das kann man vorab nicht abschätzen. Jedes Denken ist immer speziell, begrenzt, abgrenzend, ausgrenzend; das ist seine Art, seine Stärke wie zugleich seine Schwäche. Denken lebt vom Prozess, von der Wiederholung, vom unermüdlichen immer wieder neu ansetzen und neu sortieren. Denken hat kein absolutes Ende, nicht zuletzt auch deswegen nicht, weil es sich ja selbst zum Gegenstand machen kann; dies ist wichtig und gefährlich zugleich (die moderne Physik bietet das Schauspiel eines Denkens, das sich soweit von der Realität entfernt hat, dass im Einzelfall oft nicht mehr klar ist, ob hier eine wirklichkeitsrelevante Modellbildung vorliegt oder ein Artefakt des Modells, ein Denken des Denkens).

Es fragt sich dann, was hier ‚Fühlen‘ heißt und wie philosophisches Denken mit dem Fühlen umgehen kann?

WELCHES FÜHLEN UND WIE DAMIT UMGEHEN?

Für einen Philosophen kann es nur um das GANZE Fühlen gehen, d.h. alles, was ein Denken vorfinden kann. Und da dieses Fühlen an unseren Körper gebunden ist, geht es darum, was ein Körper in unterschiedlichsten Situationen fühlen kann und wie man solch ein stattfindendes Fühlen dann beschreiben kann, nicht nur punktuell, sondern auch in seiner prozesshaften Erstreckung in dem, was wir Zeit nennen.

In einer Philosophiewerkstatt wird man hier solche Prozesse kaum vorweg nehmen können. Man kann aber versuchen, die Grundeinstellung zu praktizieren, den Einstieg in das Fühlen üben, das dann Denken nachträglich zulässt.

Die Grundform des philosophischen Fühlens ist das bewusste Dasein ohne ein fokussiertes Denken. Es lassen sich zwar tausendfache Variationen denken, wie man dies tut (man denke nur an die Vielzahl von sogenannten Meditationsformen), aber das für eine bestimmte Zeitspanne einfach bewusste Dasein ohne irgend etwas anderes zu tun bzw. tun zu müssen, mit einem Denken in Ruhestellung, das ist die Grundübung. Und weil unser Körper mit seinen 120 Galaxien an Zellen samt seinen unendlich vielen Wechselwirkungen mit sich selbst und seiner Umgebung kein natürlicher Ruhepol ist, sondern ein permanenter Aufschrei an Bewegtheit, braucht es eine gewisse Zeit, bis sich überhaupt Ruhe einstellt und statt den marktschreierischen primären Wahrnehmungen auch solche Ereignisse bemerkbar machen können, die mit weniger Energie daher kommen. Jeder einzelne wird SEIN Fühlen haben, seine speziellen Wahrnehmungen (natürlich auch Gemeinsamkeiten mit anderen, weil unsere Körper strukturell ähnlich sind).

Es kann interessant sein, sich im Anschluss über sein Fühlen auszutauschen; auf jeden Fall kann es helfen, sich im Anschluss Notizen zu machen, sein Denken wieder mehr zulassen, Eindrücke zu sortieren.

FORMAT DER PHILOSOPHISCHEN SELBSTVERSUCHE

Für die Philosophiewerkstatt Version 3.0 ist folgendes Schema angedacht:

Bis 15:00h ANKOMMEN (Über die Einladung gibt es auch eine Fragestellung)

15:00 – 15:15h MIT DEM ORT VERTRAUT WERDEN

15:15 – 15:35h ZEIT ZUM INDIVIDUELLEN FÜHLEN

15:35 – 15:45h ASSOZIATIONEN INDIVIDUELL NOTIEREN

15:45 – 16:05h KOMMUNIKATION VON BEOBACHTUNGEN

16:05 – 16:20h BEWEGUNG, TEE TRINKEN, REDEN

16:20 – 17:05h GEMEINSAME REFLEXION MIT GEDANKENBILD

17:05 – 17:20h BEWEGUNG, TEE TRINKEN, REDEN

17:20 – 17:40h GEWICHTEN DES GEDANKENBILDES

17:20 – 18:00h AUSBLICK

Ab 18:00h VERABSCHIEDUNG VOM ORT

Stunden, Tage danach: ABSTAND NEHMEN, NACHSINNEN

Irgendwann: BERICHT(e) ZUM TREFFEN, EINZELN, IM BLOG

Irgendwann: KOMMENTARE ZU(M) BERICHT(en), EINZELN, IM BLOG

TERMINE

Um sich im Fühlen und Denken zu koordinieren, hier die geplanten Termine (vom INM bestätigt):

23.Okt 16

27.Nov 16

22.Jan 17

26.Febr.17 (Wegen Krankheit ausgefallen)

26.März 17 (Wegen Krankheit ausgefallen)

Einen Überblick über alle Einträge zur Philosophiewewrkstatt nach Titeln findet sich HIER.

Einen Überblick über alle Themenbereiche des Blogs finden sich HIER.

WENN DAS STERBEN EINE BOTSCHAFT IST – IST DAS LEBEN NICHT WEIT. Gedanken anlässlich des Todes einer Freundin.

Vorbemerkung: Für diejenigen, die nicht daran gewöhnt sind, die Dinge des Lebens neben den Gefühlen auch mit Wissen zu betrachten, ist dieser Text vielleicht nicht hilfreich. Für diejenigen aber, die nach Antworten auf ihre Fragen suchen, kann der Text vielleicht die eine oder andere Anregung geben.

IM ALLTAG

  1. Wenn ein Mensch stirbt eingeflochten in ein lebendiges Netzwerk von Familie, Verwandtschaft, Freundschaften und Bekanntschaften, dann ist dies ein Ereignis, das nicht nur singulär, individuell an einem Ort, zu einem Zeitpunkt, isoliert von allem stattfindet; nein, alle anderen erleben es mit, registrieren es; dieses Erleben breitet sich aus wie eine Erregungswelle und löst sehr unterschiedliche Wirkungen aus.

  2. In diesem Fall der Freundin ging eine lange Krankengeschichte voraus, ein Gehirntumor war entdeckt worden. Nach dem Wissensstand der heutigen Schulmedizin galt er als unheilbar, weil man bislang kein Mittel gefunden hatte, ein solches Wachstum ernsthaft zu stoppen. Trotz aller Maßnahmen wurde immer mehr klar, was dies konkret heißt: zunehmender Verfall von Gehirn und Körperfunktionen. In den letzten Monaten war der Körper zwar noch da, aber die gewohnten geistigen Funktionen waren kaum noch wahrnehmbar. Bis zu dem Moment, wo die Ärzte dann nur noch den endgültigen körperlichen Tod feststellen konnten.

  3. An dieser Stelle ist es müßig, darüber zu diskutieren, ob es nicht irgendwie, irgendwo doch noch möglich gewesen wäre, das bekannte Leben zu verlängern oder gar ganz zu retten. Im Fall der Freundin hat das bekannte Leben aufgehört, für uns, die wir noch in diesem körperbasierten Leben anwesend sind.

DAS UNABÄNDERLICHE

  1. Unwillkürlich tauchen die Bilder einer Beerdigung auf, alle werden da sein, der Behälter mit der Asche wird das letzte sein, was wir sehen werden, bevor dieser sich in die Erde absenkt und die letzte Spur ihres Körpers unseren Sinnen entschwindet.

  2. Egal was jeder einzelne in diesem Moment denken wird, dieser Moment hat für einen Moment etwas Unabänderliches: unsere Freundin ist so, wie wir sie all die Jahre erleben durften, gegangen, gegangen worden… und zum aktuellen Zeitpunkt müssen wir davon ausgehen, dass jeder von uns ihr, in nicht allzu ferner Zeit, folgen wird, jeder, vielleicht bin ich selbst sogar der nächste, der folgt. Und wenn ich es nicht bin, dann ist es ein lieber anderer Freund oder Freundin. Die Handschrift des Sterbens durchzieht unser Leben sehr tief, sehr unweigerlich, noch sehr unfassbar.

TRAUER

  1. Mit Blick auf unsere Freundin, auf die noch lebendigen Erinnerungen an ihre gewohnte Gegenwart, ist Trauer natürlich, menschlich, eine Form von Nähe, von innerer Umarmung, von Verweilen, von Gemeinsamkeit mit allen anderen, die auch trauern. Gemeinsam trauern ist wie gemeinsam in der Musik etwas erleben. Wir erleben uns als eine Gemeinschaft, als die Gemeinschaft, die die Erinnerung an die Freundin teilt.

  2. Man kann es bei der Trauer belassen, bei den bleibenden Erinnerungen an ihren lebenspendenden trockenen Humor, ihre unaufdringliche Hilfsbereitschaft bei so vielen Gelegenheiten, ihre konkrete Sorge für die Familie und alle anderen, und vieles mehr …

NICHT DIE GANZE GESCHICHTE …

  1. Doch, es wäre schade, würde das Erleben an diesem Punkt verweilen, stille stehen. Der Vorgang des körperlichen Sterbens, so wie wir ihn erleben und wie die Menschen von Anbeginn es erlebt haben, dieser Vorgang ist nur ein kleiner Teil einer unfassbaren Geschichte, von der Geschichte eines unfassbaren Wunders, das seit Milliarden Jahren in den Tiefen unseres Universums stattfindet.

IM STERBEN OPFER

  1. Als bekannt wurde, dass unsere Freundin einen Gehirntumor hat, der unheilbar sein soll (nach heutigem Kenntnisstand), und wir alle (und ihre Familie ganz besonders) dann erfuhren, wie das Gehirn und damit nach und nach alle Körperfunktionen, abstarben, da erlebte die Freundin sich als hilflos, ja, man darf es wohl auch so sehen, als Opfer von Prozessen in ihrem Körper, denen gegenüber sie sich ohnmächtig empfand. Etwas in ihr veränderte ihren Körper und sie selbst erlebte sich dadurch immer mehr eingeschränkt, begrenzter, schwächer, immer mehr anders als bisher.

DER HAUCH DES GANZ GROSSEN

  1. Von der Wissenschaft wissen wir, dass allein unser menschliches Gehirn gut 200 Milliarden Zellen umfasst, 200 Mrd Individuen, die autonom sein können, dies sind etwa so viele Gehirnzellen, wie es Sterne in unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, gibt. Die Verbindungen zwischen den Gehirnzellen sind aber um das tausendfache komplexer, als jene zwischen den Sternen. Mehr noch, unser ganzer menschlicher Körper besteht aus etwa 1000 solcher Zellgalaxien, also insgesamt ca. 35 Billionen (10^12) Zellen. 1000 Galaxien in unserem menschlichen Körper, das übersteigt zur Zeit unsere Vorstellungsfähigkeit bei weitem (das menschliche Arbeitsgedächtnis kann etwa 7+/-2 Wahrnehmungseinheiten gleichzeitig bewusst verarbeiten!). Und selbst die Wissenschaft, die bisher Großes geleistet hat, steht bislang in allen interessanten Fragen noch eher ratlos vor diesem gigantischen Geschehen. Ernsthaft verstehen können wir aktuell noch so gut wie gar nichts. Die aktuelle Schulmedizin steht noch ziemlich am Anfang.

STÖRUNG DER KOOPERATION

  1. Wenn wir also konstatieren, dass bestimmte Zellen im Gehirn irgendwann anfangen, sich der gewohnten Arbeitsteilung zu entziehen, wenn sie anfangen, eine Kommunikation zu entwickeln, die nur noch dem Fortbestand dieser speziellen Zellen dient und nicht mehr dem Gesamtkunstwerk dessen, was wir ein Gehirn nennen, dann können wir dies als Störung auffassen, die, je nach Verlauf, das gesamte System aus dem Takt bringen kann. Wir erleben es als Krankheit, die zum Versagen des ganzen Körpers führen kann, das, was wir körperlichen Tod nennen.

  2. Man kann hier viele Fragen und Überlegungen anstellen. Die zentrale Frage ist natürlich, warum Zellen plötzlich die gewohnte Kooperation verweigern? Was veranlasst Zellen dazu, ihre Kommunikation, ihr Verhalten zu ändern? Und wenn es irgendwelche Zellen tun können, kann man fragen, warum es nicht noch mehr Zellen tun? Warum verweigern nicht noch viel mehr Zellen die Kommunikation mit dem Gesamtsystem? Dies wiederum kann man in die Frage transformieren, was überhaupt autonome Zellen dazu bringt, mit anderen zu kooperieren?

DAS WUNDER DER KOOPERATION

  1. Aus der Geschichte des Lebens wissen wir, dass es von den ersten einzelnen Zellen bis zu einfachen Zellverbänden ca. 2 Mrd Jahre gebraucht hat, und dann nochmals ca. 1 Mrd Jahre bis zu komplexen Lebewesen. Dies kann man als Hinweis darauf deuten, dass die Fähigkeit der Kooperation zwischen einzelnen Zellen nichts Triviales, nichts Einfaches ist, kein Selbstgänger. Die Bildung einzelner Zellen ist bis heute nicht vollständig aufgehellt und gilt als extrem komplex. Der Weg von ersten Zellen zu kooperierenden Zellen war aber offensichtlich 6-8 mal aufwendiger (nimmt man die aufgewendete Zeit als Indikator).

  2. Die molekularen Prozesse des Wachstums von Organismen sind zwar mittlerweile weiter erforscht, aber noch nicht vollständig verstanden. Dies zeigt sich auch daran, dass wir die Erhaltungsprozesse eines Körpers (wie werden in den 1000 Galaxien des Körpers einzelnen Zellen systemkonform ersetzt, Stoffwechselprozesse abgestimmt, fremde Eindringlinge erkannt und unschädlich gemacht, usw.) noch nicht genügend verstehen, noch weniger jene Prozesse, durch die sich die Zellen untereinander verabreden, ihre Arbeit ganz einzustellen (Dies ist der Fall des normalen Todes ohne spezielle Krankheiten). Vom Grundkonzept her könnten die 1000 Galaxien des menschlichen Körpers unendlich lange leben (vorausgesetzt, es gäbe eine passende Umgebung). Da aber dieses unfassbare Wunderwerk der 1000 Galaxien auf Kommunikationsprozessen beruht, die zwischen den Galaxien und den einzelnen Zellen ablaufen, müsste diese Kommunikation dauerhaft fehlerfrei funktionieren, was im Normalfall weitgehend funktioniert, weil diese Kommunikation fehlertolerant ist. Störungen, Rauschen, Fehler können in der Regel aufgefangen und ausgeglichen werden. Ein fantastisches System. Wenn Menschen 100 Jahre und älter werden, dann haben die 1000 Galaxien eines Körpers mehr geleistet, als alle menschliche Ingenieurkunst zusammen bislang geleistet hat. Im Moment wären wir nicht in der Lage, vom verfügbaren Wissen aus, vergleichbare Systeme zu bauen.

DER MENSCH FREMDELT MIT SICH SELBST

  1. Dies führt zum eigentlichen Punkt dieser Betrachtung.

  2. Während ein Mensch lebt, sind wir zwar immer wieder mal irgendwie beeindruckt, was ein Mensch so leisten kann, aber diese Beeindruckung hat deutliche Grenzen. Bei großen künstlerischen, sportlichen oder wissenschaftlichen Leistungen gibt es vielleicht Momente des Schauderns, aber so richtig, tiefgehend, radikal lassen sich Menschen selten von sich selbst (von den anderen Lebensformen reden wir hier noch gar nicht) beeindrucken. Wie auch, bei 6 oder mehr Mrd Menschen auf der Erde, angesichts von Überbevölkerung, Migrationsströmen, Reich-Arm Schismen, beständigen grausamen Bürgerkriegen irgendwo auf der Erde, da gibt es wenig Motive sich über das Wunderwerk der menschlichen Lebensform zu wundern.

  3. Der normale Mensch weiß in der Regel zu wenig über die Grundlagen des Lebens und selbst die Wissenschaften sind aufgespalten in lauter Teildisziplinen, haben das Wunderwerk in Disziplinen fragmentiert, so dass Zusammenhänge nur schwierig sichtbar werden.

  4. Wenn dann ein Mensch stirbt, ein lieber Mensch, wie unsere Freundin, und wir zuletzt nur noch das Gefäß mit ihrer Asche sehen werden, dann trägt dieser Eindruck des Totalzerfalls auch nicht gerade dazu bei, das strahlende Licht zu erkennen, das sich im Phänomen des Lebens auf der Erde seit ca. 3.8 Mrd Jahren manifestiert.

ANGEBORENE DENKSCHWÄCHE

  1. Dazu trägt auch eine Eigenart des menschlichen Gehirns bei, deren wir uns in der Regel nicht bewusst sind, und die auch selbst in der Wissenschaft bislang – scheint mir – zu wenig beachtet wird: unser Denken (eine Eigenschaft des Gehirns) zerlegt die Welt der Erfahrung in Objekte, die zwar irgendwie zusammen hängen, sich beständig in vielfältigen Wechselwirkungen befinden, aber unser Denken nimmt nur die Objekte als eigentliche Realität wahr, nicht die vielsagenden Wechselwirkungen. Die erlebbaren Beziehungen und Wechselwirkungen lassen sich nicht aus ihren Bestandteilen, den Objekten, ableiten. Der eigenständige Charakter der Wechselwirkungen, der Dynamiken, kann von unserem Denken nicht Objekthaft, statisch gedacht werden. Obwohl auch in mathematischen Modellen und Strukturen Objekte alleine nichtssagend, bedeutungslos sind, und erst unter Hinzunahme von Beziehungen und Wechselwirkungen zum Leben erwachen, kann unser Denken im Normalbetrieb diese Dynamiken nicht als die mögliche primäre Wirklichkeit erkennen.

JENSEITS DES STERNENSTAUBS

  1. Vor diesem Hintergrund kann die Asche in der Urne mit den Atomen nicht die letzte Botschaft sein. Zwar ist diese Asche nach heutigem Wissensstand auch im wahrsten Sinne des Wortes Sternenstaub, da alle Atome aus dem Universum stammen, wobei insbesondere die schweren Atome der biologischen Moleküle aus Sternexplosionen stammen, aus den Fusionsprozessen in diesen Sternen hervor gegangen sind.

  2. Aber mehr noch als der Sternenstaub in der Urne sollte uns beeindrucken, was vorher geschehen ist: dass in einem extrem unscheinbaren Winkel des Universums inmitten eines lebensfeindlichen Kontextes sich Atome zu Molekülen geformt haben, Moleküle zu Zellen, Zellverbände zu Organismen, Organismen zu Populationen mit immer komplexeren Kommunikationen und Interaktionen, Technologien, für die es nicht nur bislang keine Naturgesetze gibt, sondern die bekannten Phänomene des Lebens scheinen auf den ersten Blick sogar den bekannten Gesetzen fundamental zu widersprechen.

NICHTS AUS NICHTS

  1. Da nach einem bekannten Grundsatz aus Nichts nichts entstehen kann, wirft das Phänomen des Lebens als Dynamik jenseits seiner Elemente die Frage nach dem auf, was in der Lage ist, die Materie und die verfügbare Energie in einer Weise zu formieren, die in Richtung einer unfassbar anwachsenden Komplexität weist, die alle bekannten physikalischen und chemischen Parameter bei weitem in den Schatten stellt. Die aktuelle Physik und Chemie ist gigantisch, aber die manifesten Phänomene des Lebens sind weit gigantischer und transzendieren die physikalisch-chemischen Kategorien. Im Gesamtphänomen des biologischen Lebens manifestiert sich etwas, was alle unsere bisherigen Denkmodelle arm aussehen lässt (obgleich es gerade diese arm erscheinenden Denkmodelle sind, die uns in der Lage versetzen, die Umrisse eines unfassbar größeren Phänomens zu erahnen).

  2. Soweit wir heute wissen, hatten die Menschen seit vielen Jahrtausenden (mehr als 25.000 Jahre?) Gefühle, Stimmungen, mystische Erfahrungen, die sich nur schwer in das Gesamtgeschehen einordnen ließen. Jede Zeit hat ihren Beitrag geliefert, diese Erfahrungen ins Gesamt des Verstehens einzuordnen (nicht zuletzt auch die bekannten großen Offenbarungsreligionen). Mit den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen kann man darüber nachdenken, dass ein solches gigantisches Phänomen wie das biologische Leben (quanten-)physikalisch eine gemeinsame Basis in allem hat, was eine Abgrenzung des einzelnen Systems von allem anderen unmöglich macht. Abgrenzbare Objekte sind Artefakte unseres aktuellen Denkens. In der physikalischen Realität gibt es keine wirklich abgetrennten Unterräume; alles kommuniziert mit allem; alles ist in beständiger Bewegung. Das – bislang noch nicht wirklich verstandene – Phänomen des Lebens kommt aus der Tiefe der Raum-Zeit als dasjenige, was immer schon da gewesen sein muss, das was über allgegenwärtig ist, das, was sich dort manifestiert, wo es entsprechende materielle Bedingungen vorfindet, bzw. arrangieren kann. Dass die letzten, tiefsten, mystischen Gefühle mit dieser Grundwirklichkeit des Lebens zusammen hängen könnten, ist eine interessante (empirische) Hypothese. Wenn sie wahr wäre, könnte jeder sie für sich ohne Zuhilfenahme von irgendetwas anderem direkt ausprobieren. Das Leben gehört niemandem. Das Leben ist absolut souverän.

  3. Wenn dem so wäre, dann wäre jeder körperliche Tod kein wirklicher Tod, kein absolutes Ende. Die Versuche, das körperliche Leben zu verlängern wären aber auch nicht sinnlos. Irgendwie scheint es einen tieferen Sinn zu machen, dem – ansonsten unsichtbaren – Leben eine körperliche Hülle zu geben, durch die es sichtbar wird, aufscheint, und immer mehr an Kraft gewinnt, das Körperliche (Materielle) weiter zu verändern. Die Entstehung von Materie aus Energie, wäre dann zu lesen als eine Geschichte, in der Materie entsteht, um sie auf lange Sicht in einen Zustand zu transformieren, den wir noch nicht kennen.

  4. Geburt und Tod sind die Meilensteine eines individuellen Lebens, die Gelegenheit geben, sich seiner Rolle im Ganzen bewusst zu werden.

Eine Übersicht über alle Blogbeiträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER.

DENKEN UND WERTE – DER TREIBSATZ FÜR ZUKÜNFTIGE WELTEN (Teil 1)

  1. In dem Beitrag Digitalisierung und die Religionen vom 9.März 2016 gibt es neben vielen anderen Motiven zwei Motive, die besonders hervortreten: einmal das Momentum (i) kombinatorischer Räume, die gefüllt werden können, und zum anderen (ii) das Momentum der Auswahl, welche Teilräume wie gefüllt werden sollen.

KOMBINATORISCHER RAUM BIOLOGISCHE ZELLE

  1. Im Rahmen der biologischen Evolution auf Zellebene z.B. eröffnet sich der kombinatorische Raum an verschiedenen Stellen. Eine ist jene, wo das Übersetzungsmolekül (das Ribosom) von den gespeicherten potentiellen Informationen (DNA mit ihren Abwandlungen) eine Transformation in andere Moleküle (Proteine) überleitet , mit denen sich neue Zellstrukturen aufbauen lassen. Die Verfügbarkeit dieser Proteine, ihre chemischen Eigenschaften und die Umgebungseigenschaften definieren einen potentiellen kombinatorischen Raum, von dem im konkreten Übersetzungsprozess dann ein bestimmter Teilraum ausgewählt wird.
  2. Aber auch schon der potentielle Informationsspeicher (realisiert mittels DNA-Molekülen) selbst, wie auch seine verschiedenen Transformationsprozesse bis zum Übersetzungsprozess in Proteine repräsentieren ebenfalls kombinatorische Räume, deren Realisierung viel Spielraum zulässt.
  3. Man könnte diese molekülbasierte Informationsspeicherung, diese Transformationen der Moleküle, als eine Urform des Denkens ansehen: Moleküle fungieren als Repräsentanten möglicher Konstruktionsprozesse, und diese Repräsentanten können verändert, rekombiniert werden zu neuen Strukturen, die dann zu neuen Konstruktionsprozessen führen. Man hat also – vereinfacht – ein Funktion der Art repr: M_inf x M_tr x MMprot —> Z, d.h. die Reproduktionsfunktion repr die mittels Molekülen, die als Informationsträger fungieren (M_inf), mittels Molekülen (M_tr), die als Übersetzer fungieren und Molekülen (MM_prot), die als Proteine fungieren können, daraus neue Zellstrukturen entstehen lassen kann.

GELIEHENE PRÄFERENZEN

  1. So wundersam diese Urform des Denkens immer neue kombinatorische Räume strukturell aufspannen und dann im Reproduktionsprozess als reales Strukturen konkretisieren kann, so hilflos und arm ist dieser Mechanismus bei der Beurteilung, Bewertung, welche der möglichen Teilräume denn bevorzugt vor anderen realisiert werden sollten. Soll das Fell weiß oder schwarz sein? Benötigt man überhaupt Zähne? Wozu so komplizierte Hand- und Fingergelenke? Warum tausende Kilometer reisen, um zu brüten? … Die Urform des Denkens ist unfähig, ihre potentielle innere Vielfalt selbständig zu bewerten. Man kann auch sagen, die Urform des Denkens kann zwar kombinieren, ist aber blind wenn es darum geht, gezielt Teilräume auszuwählen, die sich als interessante Kandidaten für das Leben anbieten.
  2. Dabei ist schon die Wortwahl ‚interessante Kandidaten für das Leben‘ problematisch, da der Begriff Leben eine Schöpfung von Lebewesen ist, die viele Milliarden Jahre später erst auftreten und die versuchen im Nachhinein, von außen, durchtränkt von neuen Bedingungen, die zunächst bedeutungsleere Wortmarke Leben mit Bedeutung zu füllen. Die Urform des Denkens verfügt über keinen externen Begriff von Leben und es gibt keine Ingenieure, die der Urform des Denkens zuflüstern können, was sie tun sollen.

MOLEKÜLE ALS INFORMATIONSSPEICHER IMPLIZITE PRÄFERENZEN

  1. Allerdings beinhaltet schon die Urform des Denkens über ein Moment, das außerordentlich ist: jene Moleküle (DNA), die als Speicher potentieller Informationen dienen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt repräsentieren diese Informations-Moleküle einen eng umgrenzten Teilraum eines kombinatorischen Raumes und wirken für den Übersetzungsprozess wie eine Art Anweisung in Form eines Bauplans. Gemessen an dem theoretisch möglichen kombinatorischen Raum stellt der Plan des Informationsmoleküls eine Auswahl dar, eine Selektion und damit zeigt sich hier eine indirekte Präferenz für die Informationen auf dem Molekül vor allen anderen möglichen Informationen. Die Urform des Denkens kann zwar im Prinzip einen riesigen potentiellen kombinatorischen Raum repräsentieren und transformieren, die konkrete Zelle aber repräsentiert in diesem riesigen Raum einen winzigen Teilbereich, mit einem aktuellen Ausgangspunkt – gegeben durch die aktuellen Informationen auf dem Informationsmolekül M_inf – und potentiellen Veränderungsrichtungen – gegeben durch die Transformationsprozesse einschließlich der verfügbaren Materialien und Pannen im Prozess. Anders formuliert, die Informationsmoleküle repräsentieren eine komplexe Koordinate (KK) im kombinatorischen Raum und die Transformationsprozesse (einschließlich Pannen und Materialien) repräsentieren eine Menge von möglichen Veränderungsrichtungen (DD), an deren Endpunkten dann jeweils neue komplexe Koordinaten KK_neu_1, …, KK_neu_n liegen.
  2. Wichtig: eine Zelle enthält über die Informationsmoleküle zwar implizite Präferenzen/ Werte, die die Urform des Denkens steuern, diese Präferenzen werden aber nicht von der Zelle selbst generiert, sondern entstehen aus einem Wechselspiel/ aus einer Interaktion mit der Umgebung! Biologische Strukturen (bis heute nur bekannt auf dem Planeten Erde in unserem Sonnensystem in einem geschützten Bereich der Galaxie Milchstraße des uns bekannten Universums) kommen nie isoliert vor, sondern als Teil einer Umgebung, die über sogenannte freie Energie verfügt.

OHNE ENERGIE GEHT NICHTS

  1. Biologische Zellen sind Gebilde, die für ihre Konstruktion und für ihr Funktionieren solche freie Energie brauchen. Der Umfang ihrer Strukturen wie auch die Dauer ihres Funktionierens hängt direkt und ausschließlich von der Verfügbarkeit solcher freien Energie ab. Bezogen auf den kombinatorischen Raum, der durch die Kombination (Informationsmoleküle, Transformationsmolekül, Bausteine) potentiell gegeben ist, ist unter Berücksichtigung der notwendigen Fähigkeit zum Finden und Verarbeiten von freier Energie nicht neutral! Definieren wir den potentiellen kombinatorischen Raum PKK für biologische Zellen als Raum für mögliche komplexe Koordination KK (also KK in PKK), dann sind im potentiellen kombinatorischen Raum nur jene Teilräume von Interesse, in denen die biologische Zelle über hinreichende Fähigkeiten verfügt, freie Energie zu finden und zu nutzen. Nennen wir die Gesamtheit dieser interessanten Teilräume PKK+, mit PKK+ subset PKK.

GEBORGTE PRÄFERENZEN

  1. Da die individuelle biologische Zelle selbst über keinerlei explizite Informationen verfügt, wo überall im potentiell kombinatorischen Raum PKK die interessanten Teilräume PKK+ liegen, stellt sie – trotz ihrer eigenen Reproduktionstätigkeit – eher ein passives Element dar, das sich mit geborgten Präferenzen im potentiellen kombinatorischen Raum PKK bewegt, ohne explizit wissen zu können, ob es auf seinem Weg durch den potentiellen kombinatorischen Raum PKK auch tatsächlich auf solche komplexen Koordinaten KK+ stößt, die ihr eine minimale Lebensfähigkeit erlauben.
  2. Da wir vom Jahr 2016 rückwärts blickend wissen, dass diese passiven Elemente es in ca. 4 Mrd Jahren geschafft haben, komplexe Strukturen unvorstellbaren Ausmaßes zu generieren (ein Exemplar des homo sapiens soll z.B. ca. 37 Billionen Körperzellen haben (davon ca. 100 Mrd als Gehirnzellen), dazu ca. 200 Billionen Bakterien in seinem Körper plus ca. 220 Milliarden auf seiner Haut (siehe dazu Kegel-Review Doeben-Henisch), muss man konstatieren, dass die permanente Interaktion zwischen biologischer Zelle und ihrer Umgebung offensichtlich in der Lage war, all diese wichtigen Informationen PKK+ im potentiellen kombinatorischen Raum PKK zu finden und zu nutzen!
  3. Für die Frage der potentiellen Präferenzen/ Werte gilt für diesen gesamten Zeitraum, dass sich die implizit gespeicherten Präferenzen nur dadurch bilden konnten, dass bestimmte generierte Strukturen (M_inf, M_tr, MM_prot) sich immer von einer positiven komplexen Koordinate zur nächsten positiven Koordinate bewegen konnten. Dadurch konnten die gespeicherten Informationen kumulieren. Aus der Evolutionsgeschichte wissen wir, dass ein Exemplar des homo sapiens im Jahr 2016 eine Erfolgsspur von fast 4 Mrd Jahren repräsentiert, während in diesem Zeitraum eine unfassbar große Zahl von zig Mrd anderen generierte Strukturen (M_inf, M_tr, MM_prot) irgendwann auf eine negative komplexe Koordinate KK- geraten sind. Das war ihr Ende.

ERHÖHUNG DER ERFOLGSWAHRSCHEINLICHKEIT

  1. Für den Zeitraum bis zum Auftreten des homo sapiens müssen wir konstatieren, dass es Präferenzen/ Werte für ein biologisches System nur implizit geben konnte, als Erinnerung an einen erreichten Erfolg im Kampf um freie Energie. Unter Voraussetzung, dass die umgebende Erde einigermaßen konstant war, war die Wahrscheinlichkeit, von einer positiven Koordinate KK+ zu einer weiteren komplexen Koordinate KK+ zu kommen um ein Vielfaches höher als wenn das biologische System nur rein zufällig hätte suchen müssen. Die gespeicherten Informationen in den Informationsmolekülen M_inf stellen somit sowohl erste Abstraktionen von potentiellen Eigenschaften wie auch von Prozessen dar. Damit war es Anfangshaft möglich, die impliziten Gesetzmäßigkeiten der umgebenden Welt zu erkennen und zu nutzen.

URSPRUNG VON WERTEN

  1. Es fragt sich, ob man damit einen ersten Ort, einen ersten Ursprung potentieller Werte identifizieren kann.
  2. Vom Ergebnis her, von den überlebensfähigen biologischen Strukturen her, repräsentieren diese einen partiellen Erfolg von Energienutzung entgegen der Entropie, ein Erfolg, der sich in der Existenz von Populationen von solchen erfolgreichen Strukturen als eine Erfolgsspur darstellt. Aber sie alleine bilden nur die halbe Geschichte. Ohne die umgebende Erde (im Sonnensystem, in der Galaxie…), wäre dieser Erfolg nicht möglich. Andererseits, die umgebende Erde ohne die biologischen Strukturen lässt aus sich heraus nicht erkennen, dass solche biologische Strukturen möglich noch wahrscheinlich sind. Bis heute ist die Physik mehr oder weniger sprachlos, wirkt sie wie paralysiert, da sie mit ihren bisherigen (trotz aller mathematischen Komplexität weitgehend naiven) Modellen nicht einmal ansatzweise in der Lage ist, die Entstehung dieser biologischen Strukturen zu erklären. Von daher müssen wir fordern, dass die umgebende Erde — letztlich aber das gesamte bekannte Universum — die andere Hälfte des Erfolgs darstellt; nur beide zusammen geben das ganze Phänomen. In diesem Fall würde ein reduktiver Ansatz nicht vereinfachen, sondern das Phänomen selbst zerstören!

ONTOLOGISCHE GELTUNG VON BEZIEHUNGEN

  1. Dies führt zu einem bis heute ungeklärten philosophischen Problem der ontologischen Geltung von Funktionen. In der Mathematik sind Funktionen die Grundbausteine von allem, und alle Naturwissenschaften wären ohne den Funktionsbegriff aufgeschmissen. Eine Funktion beschreibt eine Beziehung zwischen unterschiedlichen Elementen. In der Mathematik gehören diese Elemente in der Regel irgendwelchen Mengen an, die einfach unterstellt werden. Wendet man das mathematische Konzept Funktion auf die empirische Wirklichkeit an, dann kann man damit wunderbar Beziehungen beschreiben, hat aber ein Problem, die in der Mathematik unterstellten Mengen in der Realität direkt erkennen zu können; man muss sie hypothetisch unterstellen. Was man direkt beobachten und messen kann sind nicht die funktionalen Beziehungen selbst, sondern nur isolierte Ereignisse in der Zeit, die der Beobachter in seinem Kopf (Gehirn, Gehirnzellen…) verknüpft zu potentiellen Beziehungen, die dann, wenn sie sich hinreichend oft wiederholen, als gegebener empirischer Zusammenhang angenommen werden. Was ist jetzt empirisch real: nur die auslösenden konkreten individuellen Ereignisse oder das in der Zeit geordnete Nacheinander dieser Ereignisse? Da wir ja die einzelnen Ereignisse protokollieren können, können wir sagen, dass auch das Auftreten in der Zeit selbst empirisch ist. Nicht empirisch ist die Zuordnung dieser protokollierten Ereignisse zu einem bestimmten gedachten Muster/ Schema/ Modell, das wir zur gedanklichen Interpretation benutzen. Die gleichen Ereignisse lassen in der Regel eine Vielzahl von unterschiedlichen Mustern zu. Einigen wir uns kurzfristig mal auf ein bestimmtes Muster, auf den Zusammenhang R(X, …, Z), d.h. zwischen den Ereignissen X, …, Z gibt es eine Beziehung R.
  2. Biologische Systeme ohne Gehirn konnten solche Relationen in ihrem Informations-Moleküle zwar speichern, aber nicht gedanklich variieren. Wenn die Beziehung R stimmen würde, dann würde sie zur nächsten positiven komplexen Koordinate KK+ führen, was R im Nachhinein bestätigen würde; wenn R aber zu einer negativen komplexen Koordinate KK- führen würde, dann war dies im Nachhinein eine Widerlegung, die nicht mehr korrigierbar ist, weil das System selbst verschwunden (ausgestorben) ist.
  3. Im Gehirn des homo sapiens können wir ein Beziehungsmuster R(X, …, Z) denken und können es praktisch ausprobieren. In vielen Fällen kann solch ein Interpretationsversuch scheitern, weil das Muster sich nicht reproduzieren lässt, und in den meisten solchen Fällen stirbt der Beobachter nicht, sondern hat die Chance, andere Muster R‘ auszuprobieren. Über Versuch und Irrtum kann er so – möglicherweise irgendwann – jene Beziehung R+ finden, die sich hinreichend bestätigt.
  4. Wenn wir solch ein positiv bestätigtes Beziehungsmuster R+ haben, was ist dann? Können wir dann sagen, dass nicht nur die beteiligten empirischen Ereignisse empirisch real sind, sondern auch das Beziehungsmuster R+ selbst? Tatsächlich ist es ja so, dass es nicht die einzelnen empirischen Ereignisse als solche sind, die wir interessant finden, sondern nur und ausschließlich die Beziehungsmuster R+, innerhalb deren sie uns erscheinen.
  5. In der Wechselwirkung zwischen umgebender Erde und den Molekülen ergab sich ein Beziehungsmuster R+_zelle, das wir biologische Zelle nennen. Die einzelnen Elemente des Musters sind nicht uninteressant, aber das wirklich frappierende ist das Beziehungsmuster selbst, die Art und Weise, wie die Elemente kooperieren. Will man dieses Beziehungsmuster nicht wegreden, dann manifestiert sich in diesem Beziehungsmuster R+_zelle ein Stück möglicher und realer empirisches Wirklichkeit, das sich nicht auf seine Bestandteile reduzieren lässt. Es ist genau umgekehrt, man versteht die Bestandteile (die vielen Milliarden Moleküle) eigentlich nur dadurch, dass man sieht, in welchen Beziehungsmustern sie auftreten können.
  6. Vor diesem Hintergrund plädiere ich hier dafür, die empirisch validierten Beziehungsmuster als eigenständige empirische Objekte zu betrachten, sozusagen Objekte einer höheren Ordnung, denen damit eine ontologische Geltung zukommt und die damit etwas über die Struktur der Welt aussagen.
  7. Zurück zur Frage der Präferenzen/ Werte bedeutet dies, dass man weder an der Welt als solcher ohne die biologischen Systeme noch an den biologischen Strukturen als solche ohne die Welt irgendwelche Präferenzen erkennen kann. In der Wechselwirkung zwischen Erde und biologischen Strukturen unter Einbeziehung einer Irreversibilität (Zeit) werden aber indirekt Präferenzen sichtbar als jener Pfad im potentiellen Möglichkeitsraum der komplexen Koordinaten KK, der die Existenz biologischer Systeme bislang gesichert hat.
  8. Dieser Sachverhalt ist für einen potentiellen Beobachter unaufdringlich. Wenn der Beobachter nicht hinschauen will, wenn er wegschaut, kann er diesen Zusammenhang nicht erkennen. Wenn der Beobachter aber hinschaut und anfängt, die einzelnen Ereignisse zu sortieren und versucht, aktiv Beziehungsmuster am Beispiel der beobachteten Ereignispunkte auszuprobieren (was z.B. die Evolutionsbiologie tut), dann kann man diese Strukturen und Prozesse erkennen, und dann kann man als Beobachter Anfangshaft begreifen, dass hier ein Beziehungsmuster R+_zelle vorliegt, das etwas ganz Außerordentliches, ja Einzigartiges im ganzen bekannten Universum darstellt.

Keine direkte, aber eine indirekte, Fortsetzung könnte man in diesem Beitrag sehen.

Einen Überblick von allen Beiträgen des Autors cagent in diese Blog nach Titeln findet sich HIER.

DENKEN: FLUCH UND SEGEN – DENKSCHEMATA– SOZIALE DIKTATUREN – KASERNIERUNG DES LEBENS

DENKEN VIELSCHILLERND

  1. Wer sich auf diesen Blog einlässt (siehe z.B. die Themenüberblicke von Autor cagent oder von der Philosophiewerkstatt), der kann sehen, wie vielfältig Denken sein kann (obwohl auch dieser Blog nur ein winziger Ausschnitt aus dem Denkbaren ist), und ein solcher Sucher wird viele Einträge finden, in deren Überschrift das Wort Denken vorkommt.

RAUM DES DENKENS

  1. Im Raum des Denkens steigen Gedanken auf wie Gasbläschen in einer Flüssigkeit; irgendwie sind sie da, werden sichtbar, erstaunen, verwundern, erschrecken, machen erregt, beängstigen; vielleicht kann man abschalten, vielleicht kann man sich still stellen, abblocken, sich verweigern, das innere Auge schließen. Dann wird es ruhig, still. Eine trügerische Ruhe, eine tödliche Stille, eine Dunkelheit, die verdorren lässt. Macht man nicht zu, schaltet man nicht ab, lässt man es geschehen, entstehen Bilder, Szenarien, Ereignisketten, Strukturen, die die Dinge des Alltags möglicherweise in ein anderes Licht tauchen können; die die Gegenwart von einer Vergangenheit her beleuchten (oder umgekehrt); Bilder in denen mögliche Alternativen sichtbar werden zum Hier und Jetzt… Die Ruhe ist dann dahin. Das Gegebene ist nicht mehr einfach selbsterklärend, selbstverständlich.

PHILOSOPHIE ALS ROTER FADEN

  1. In Hegels Phänomenologie beginnt das Denken die aktuelle sinnliche Erfahrung zu befragen, zu hinterfragen, das konkrete Hier und Jetzt auf ein Allgemeineres hin zu befragen; immer mehr Strukturen zu entdecken und damit einen Raum aufzuspannen, der weiter, tiefer, lebendiger, dynamischer ist als alles, was das Auge uns so jeden Moment liefert. Alle Philosophen vor und nach Hegel haben das Gleiche erlebt und in ihrem Denken und Sprechen-Schreiben versucht fest zu halten. Dass sie sich im Detail unterscheiden und zugleich in den Strukturen gleichen enthält den Hauch von Wahrheit, die in allem anwesend ist, untötbar, unzerstörbar, allem Denken voraus, alles Denken begleitend und darin auch unsere einzige Zukunft im Denken…

DENKSCHABLONEN

  1. Was passiert, wenn ein Islamist einen anderen Menschen als Nicht-Menschen erklärt, ihm Gewalt antut, ihn tötet? Was geschieht, wenn ein jüdischer Orthodoxer einem anderen jüdischen Bürger das Recht abspricht, in Israel außerhalb der religiösen Institutionen zu heiraten? Was geschieht, wenn ein fundamentalistischer Christ den Worten der Bibel nur eine einzige Bedeutung zugesteht, eben seine eigene, aktuelle, unter Absehung all der anderen bisherigen und sonstigen möglichen Bedeutungen? Was geschieht wenn russische Propaganda über Medien Sachverhalte behaupten, die so nicht stattgefunden haben? Was geschieht, wenn eine US-Regierung die internationale Gemeinschaft mit gefälschten Beweisen in einen Krieg lockte, der bislang unendliches Leid hervor gebracht hat, ohne Sicht auf Besserung? Was geschieht, wenn ein Arzt die Symptome eines Körpers falsch deutet? Was geschieht, wenn internationale Autokonzerne Autos als umweltfreundliche deklarieren und Millionen von Autobesitzern hochgiftige Abgase in die Luft blasen, weil sie falsche Informationen haben? Was geschieht, wenn Heerscharen von Lobbyisten täglich Mitglieder von Parlamenten und Regierungen belagern, um ihnen ihre spezielle Sicht der Welt zu vermitteln? Was geschieht, wenn die Hochschullehrer und Forscher nicht das erforschen können, was sie als wichtig erkannt haben, weil es Forschungsgelder nur von Förderprogrammen gibt, in denen Interessenvertretern forschungsfremde Vorgaben machen? Was geschieht mit Menschen, wenn sie ihr ganzes Leben immer nur trainiert werden, immer und überall Feinde zu sehen … und diesen Menschen immer mehr Macht gegeben wird? ….

ORT DS DENKENS

  1. Ja, Menschen können die Welt, ihren Alltag, andere Menschen in vielerlei Weise betrachten, einschätzen, bewerten, mit ihnen umgehen. Und ja, der Ursprung dieser verschiedener Sehweisen liegt in ihrem Denken, das im Körper stattfindet, im Gehirn. Und ja, dieses Gehirn ist beeinflussbar, in jedem Moment, von jedem Ereignis: jedes Ereignis hinterlässt eine Spur von Veränderung im Gehirn. Liebevolle Situationen versammeln sich genauso wie Gewalt, Schönes wie Schreckliches; Worte verfangen sich im Gehirn mit den Situationen ihres Auftretens; das gleiche Wort ‚Hi‘ kann freundlich sein, ängstlich, aggressiv, gefährlich. Was auch immer, es tritt ein in uns, in unser Gehirn, in die Maschinerie unsres Denkens und färbt uns. Und wenn wir handeln wollen, dann handeln wir auf der Basis unseres Gehirns: sind wir angefüllt mit Freundlichkeiten, sehen wir die Welt, den anderen, freundlich, hoffnungsvoll, einladend. Wurden wir vollgepumpt mit Gewalt, Betrug, Krieg, Hass, dann überlagert dies alles andere, füllt uns aus, treibt uns an; dann können wir immer weniger Freunde sehen, dafür immer mehr Feinde.

UMGEBUNGEN KÖNNEN KONSERVIEREN – UND ZERSTÖREN

  1. Die Bilder in unserem Kopf – sie sind weitgehend zufällig angeregt von der Umgebung, in der wir leben. Wenn man in Umgebungen lebt, die gleichförmig sind, die sich gegenseitig bestärken, dann kann man dies positiv sehen als Wahrung der Tradition. Doch wir wissen, dass Traditionen wie stehende Gewässer sind: sie stehen still, bewegen sich nicht mehr, verrotten, ihre Bilder werden im Laufe der Zeit schal und falsch; in einer Tradition können falsche Bilder lange leben, können falsche Bilder viel Unheil anrichten, ohne gestört zu werden. Das Leben selbst, das biologische, ist anders, ist explosiv, ist risikofreudig, ist spielerisch kreativ, wer es ausklammert, betrügt sich selbst, verweigert Leben. Abschottungen jeglicher Art – ob ethnisch, religiös, politisch, kastenbedingt, vermögensbedingt … – sind in sich Verweigerungen und Orte anwachsender Lügen.. Sie zerstören das Leben, das ihnen anvertraut wurde.

DENKEN ALS MÖGLICHE ZUKUNFT

  1. Was immer von außen auf uns eindringt, in uns hinein, in unser Gehirn, in unser Fühlen, Erinnern und Denken, es trifft auf einen potentiell elastischen Raum. Unser Gehirn mit seinen Fähigkeiten kann die Ereignismengen auf vielfältige Weise abstrahieren, assoziieren, transformieren, bewerten, abändern, neu anordnen, … es kann die Bilder verändern. Wenn unsere Umgebung uns bestimmte Menschen als Feinde verkauft, kann unser Denken diese Interpretation grundsätzlich in Frage stellen. Wenn unsere Umgebung die Versklavung von Menschen als normal hinstellt, dann können wir dies in Frage stellen. Wenn unsere Umgebung behauptet, die Sonne drehe sich um die Erde, so können wir dies hinterfragen. Wenn die Reichen behaupten, die krasse Umverteilung der Vermögen sei schon OK, dann kann man dies hinterfragen. Wenn globale IT-Unternehmen ihre Kunden gegen ihren Willen immer mehr in digitale Abhängigkeiten zwingen, so kann man dies hinterfragen…

ANDERS DENKEN – SOZIALER WIDERSTAND

  1. Anders denken ist meistens anstrengend. Man erntet soziale Ablehnung, sozialen Widerstand: man lächelt, man regt sich auf, man wird gemobbed, oder gar verfolgt, verhört, eingesperrt, bedroht, verliert seine Arbeit …. Eine Gesellschaft kann sich auf diese Weise selbst ersticken, sich selbst fesseln, sich selbst einfrieren, sich selbst töten …. oder man hört einfach nicht zu, hält die Medien klinisch rein, druckt nur Gefälligkeiten und bezahlte Botschaften …
  2. Wenn also das menschlich-soziale Umwelt Denk-unfreundlich ist, negativ reagiert, gleichgültig, dann gibt es wenig Unterstützung für die Nutzung des potentiell elastischen Raum des Denkens, der Alternativen, der kreativen Experimente. Es braucht keinen Diktator, um ein Volk in Denkstarre zu versetzen; der Mainstream, der allgemeine Way-of-Life, die Volksmeinung, die gemachten Modetrends, die Macher von Medienkanälen, die von partikulären Interessen gesteuerten Webseiten, …. alle sind dann kleine Diktatoren, die darüber wachen, dass nur ja keiner anders ist als man selbst, als die Art und Weise, die üblich ist. Die anderen sind dann aus Gewohnheit die Bösen, die Feinde, oder die Guten, die Freunde.
  3. Wir sind gewohnt, dass es z.B. in jedem nationalen Haushalt einen Posten für Militär gibt (Im Jahr 2014 sollen die USA einen Militärhaushalt von 610 Mrd US-Dollar gehabt haben bei einem Bruttosozialprodukt von ca. 1.600 Mrd, das wären 38%, also mehr als ein Drittel). Ein Militärhaushalt macht aber nur Sinn, wenn man unterstellt, dass es potentielle Feinde gibt. Andererseits können wir wissen, dass der Mensch grundsätzlich beides sein kann: Freund oder Feind. Das, was einen Menschen zu einem Feind macht, sind sehr spezielle Bedingungen. Es könnte also auch Sinn machen, neben einem Militärhaushalt einen Freundschaftshaushalt zu haben, der dazu dient, jene Faktoren zu überwinden, die aus Menschen Feinde machen. Einen offiziellen Freundschaftshaushalt findet sich nirgends. Private Spenden von US-Amerikanern und gemeinnützigen Institutionen beliefen sich in 2013 auf ca. 2 Mrd US-Dollar, das wären ca. 1.2% vom Bruttosozialprodukt 2013. Diese Zahlen müssen nichts besagen. Man könnte sie aber versuchsweise interpretieren als Indikatoren für eine Einstellung zum Umgang mit anderen: der Glaube an den Feind im Anderen wäre dann im politischen System der USA ca. 30x stärker als der Glaube an den potentiellen Freund. Was lässt dies hoffen?
  4. Ich hatte noch mehr Punkte, aber die sind spezieller und sollten dann vielleicht besser in einem anderen Blogeintrag behandelt werden.

 

DECHER – HANDBUCH PHILOSOPHIE DES GEISTES – ARISTOTELES – DISKURS (Teil 4)

Decher, Friedhelm, Handbuch der Philosophie des Geistes, Darmstadt: WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2015 (Im Folgenden abgekürzt: HPG)

KONTEXT

  1. An dieser Stelle sei nochmas darauf aufmerksam gemacht (vgl. die Anmerkungen im ersten Teil dieser Besprechung, besonders Nr.4), dass diese Besprechung in keiner Weise die eigene Lektüre des Buches von Decher ersetzen kann. Ich lese das Buch im Lichte meiner Fragen, andere werden möglicherweise etwas anderes in dem Buch erkennen. Die Lektüre eines Buches ist niemals eine 1-zu-1 Angelegenheit (ein Umstand, warum auch die sogenannte Offenbarungsschriften im Judentum, Christentum und im Islam im Gang der Geschichte immer wieder – und zwar unvermeidbar – unterschiedlich interpretiert werden).
  2. Nach der kurzen Einführung in das Phänomen Geist beginnt Decher seine gedankliche Expedition zum Begriff Geist bei den  alten Ägyptern und den Vorsokratikern. In Teil 2 habe ich darauf hingewiesen, dass die Verwendung der zentralen Begriffe wie Noos/ Nous, Thymos, Psyché, Aisthesis, Noema, Logos und deren Interpretation grundsätzlich eine Herausforderung darstellt, die aus der Art und Weise resultiert, wie Sprache und Erkennen beim Menschen funktionieren.
  3. Im nächsten Kapitel (hier Teil 3) wendet sich Decher Platon zu, und hier speziell dem Verhältnis von Geist (Nous) und Seele (Psyché). Grundsätzlich geht Platon von einer Trennung von Körper und Seele (Psyché) aus, wobei der Geist (Nous) ein Teil der Seele ist. Die Seele gehört zum unkörperlichen immateriellen überindividuellen und unsterblichen Lebensprinzip im Gegensatz zum materiellen sterblichen Körper. Der Geist scheint zwar der Ort zu sein, wo die aus der Materialität herrührenden sinnlichen Erregungen sich zu ersten bewussten Vorstellungen formen können und wo diese Anregungen zur Erinnerung an präexistierende immaterielle unendliche Ideen führen können, die ebenfalls im Geist bewusst werden können, aber der Geist ist nur ein Moment an der Seele, die als solche als immateriell und unsterblich gilt. Im Diskurs von Teil 3 wird aufgezeigt, wie wir heute Platon neu interpretieren können, wenn wir das heute verfügbare Wissen benutzen.

ARISTOTELES (SS.44 – 50)

Seele und Geist bei Aristoteles nach Decher (2015) in Rekonstruktion durch Doeben-Henisch
Seele und Geist bei Aristoteles nach Decher (2015) in Rekonstruktion durch Doeben-Henisch
  1. Platon war Schüler des Sokrates, Aristoteles Schüler des Platon ab -367 bis zum Tode Platons -347. Nach dem Tode entwickelte Aristoteles viele neue und gegensätzliche Positionen verglichen mit Platon.
  2. Decher konzentriert sich in seiner Darstellung auf das Begriffspaar Geist (Nous) und Seele (Psyché).
  3. Hervorstechend ist, dass die Seele bei Aristoteles nicht unsterblich ist; sie ist an den sterblichen Körper gebunden und vergeht mit ihm. Allerdings ist die Seele für den Körper das, was Aristoteles seine Form (morphé) nennt: in der erscheinenden Form wird der Raum des Möglichen (Potenz) zum konkreten Seienden realisiert. Das Mögliche ist im Material, im Körper, im Stoff (hylé) angelegt und findet seine Bestimmung, sein Ziel, seine Erfüllung in der Form, in der Gestalt. So gesehen erscheint die Seele (wie Decher auch deutend anmerkt) auch wie die Funktion des Körpers und darin als ein belebendes Prinzip, das das Belebte von dem Unbelebten unterscheidet.

  4. Entsprechend zu den unterscheidbaren Stufen des Belebten ordnet Aristoteles den verschiedenen Belebtheitsstufen unterschiedliche Formen von Seele zu: den Pflanzen eine vegetative Seele, den Tieren eine sensitive/ animalische und den Menschen eine noetische. Die jeweils ‚höhere Stufe‘ enthält die Eigenschaften der unteren Stufe samt neuen Eigenschaften.

  5. So umfasst die vegetative Seele die Funktion der Ernährung, des Stoffwechsels, des Wachstums und des Vergehens. Die animalische/sinnliche Seele verfügt darüber hinaus über Wahrnehmung, Vorstellungen, Lust- und Schmerzempfindungen, Begehren und Bewegung.

  6. Die noetische Seele kann zusätzlich Denken.

  7. Während Aristoteles der Seele als Lebensprinzip Immaterialität abspricht, meint er dem Geist (Nous) eine Immaterialität zusprechen zu müssen. In der Bewegung des Geistes, im Denken, offenbart sich eine Form von Wirklichkeit, die er als immateriell betrachtet. Geist verweist auf ein Göttliches, das im Denken des Denkens in reiner Form vorliegt. Im menschlichen Geist artikuliert sich auch der Logos durch das gesprochene Wort.

DISKURS

  1. Folgt man der Darstellung von Flashar (1983), dann ist die Quellenlage bei Aristoteles äußerst schwierig und die zeitliche und redaktionelle Anordnung der Texte bietet viele Ansatzpunkte für strittige und divergierende Interpretationen. Die folgenden Überlegungen partizipieren von daher an dieser allgemeinen Situation und sind von daher mit Vorbehalt zu werten, sofern es um Aristoteles als Quelle geht. Dennoch kommt dem Text hier eine eigene Logik zu und um diese geht es dann.

  2. Auf den ersten Blick gibt es zwischen der Position von Platon und jener von Aristoteles in der Darstellung von Decher nur eine Asymmetrie: Während bei Platon sowohl die Seele wie auch der an der Seele partizipierende Geist unsterblich sind, ist bei Aristoteles die Seele sterblich und der an der Seele partizipierende Geist unsterblich. Dies wirkt auf den ersten Blick befremdlich.

DEUTUNG DURCH HIRSCHBERGER

Grundbegriffe bei Aristoteles zur Seele von Doeben-Henisch nach Hirschberger (1976) und Flashar (1983)
Grundbegriffe bei Aristoteles zur Seele von Doeben-Henisch nach Hirschberger (1976) und Flashar (1983)
  1. Hirschberger skizziert das Konzept der Seele bei Aristoteles (vgl. SS.209-225) so, dass der empirische Aufhänger für das Seelenkonzept zwar die empirisch feststellbare Bewegung des Lebendigen ist, dass diese Bewegung aber für Aristoteles nur relativ ist gemessen an den je größeren Bewegungen der Erde und des Himmels. Und diese relative Bewegung eines Lebewesens verschwindet mit dem Zerfall des Körpers, während die je größeren Bewegungen erhalten bleiben. Bezüglich dieser je größeren Bewegungen folgert Aristoteles dann, dass es eine erste Ursache geben muss, etwas, das als erster unbewegte Beweger alle anderen Bewegungen erzeugt. Dies ist dann eine absolute Bewegung und fällt mit dem Begriff Gott zusammen. Demgegenüber gilt vom Geist, dass er zwar über die Sinnesorgane auch beeinflusst wird, er leidet, aber es gibt abstraktere Begriffe und höhere Denkformen, die unabhängig von den Sinnesreizen sind, die aus dem Geist selbst erwachsen. Diese Eigenschaften deuten für Aristoteles darauf hin, dass der Geist – mehr als die körpergebundene Seele – etwas Göttliches haben muss, das über das Konkrete, über den individuellen Körper, hinausweist. In diesen Eigenschaften partizipiert er am Unsterblichen.

DEUTUNG DURCH FLASHAR

  1. Flashar (1983) stimmt mit seinen Argumentationslinien (vgl. SS.411-418) weitgehend mit Hirschberger überein, bietet aber zwei Aspekte, die besonders sind.

  2. Zum einen macht er darauf aufmerksam, dass es neben der Naturalisierung der Seele bei Aristoteles auch noch den Dialog Eudemus gibt, in dem von der Unsterblichkeit der Seele gehandelt wird. Für Aristoteles als Naturforscher ist die Seele allerdings an den sterblichen Körper gebunden und geht mit ihm auch unter. Die Seele gilt als Form, Zweck, Bewegungs– und Lebensprinzip des Körpers, das sich in vielfältigen Formen und Stufen (in Pflanzen, Tieren und Menschen) ausdrückt. Auf der Ebene der Wahrnehmung fliesen die unterschiedlichen Sinne zu einem gemeinsamen Sinn zusammen, der sich in Form einer selbstbewussten Wahrnehmung erfahrbar macht (verortet im Herzen). In der Vorstellung und im Traum löst sich die Seele von konkreten Objekten, aber benötigt immer noch vorausgehende Wahrnehmungen, die in diesen Formen nachwirken.

  3. Die Bewegungen der Seele, die sich im Wahrnehmen manifestieren, im Vorstellen, Denken und Streben, gerät mit der Geistseele (nous) in einen Bereich, wo die Trennung zwischen erleidendem Geist und selbst bewirkendem Geist fließend wird. Der selbständige Geist löst im abstrakten Denken die Objekte aus der sinnlichen Welt heraus und kommt damit in eine Zustandsform, wo Denken und Gedachtes identisch werden. Hier deutet sich eine reine Aktualität des Nous an, die ihn vom vergänglichen erleidenden Körper unterscheidet und ihn als ewig, unvergänglich erscheinen lässt.

  4. Wie ein so sich selbst Bewegendes Ewiges in einen endlichen, sterblichen Körper gelangen kann, wie genau die Wechselwirkung mit der doch sterblichen Seele zu denken ist, bleibt eher unklar.

  5. AUS HEUTIGER SICHT

    1. Ähnlich wie schon im vorausgehenden Text zu Platon kann und muss man hier auch die Frage stellen, wie sich diese Position von Aristoteles heute ausnimmt. Kann man seine Sicht so stehen lassen oder kann (und muss) man seine Sicht modifizieren.

    2. Wieder analog zur Diskussion bei Platon kann man aus heutiger Sicht darauf abheben, dass Aristoteles bei seiner begrifflichen Analyse an der Oberfläche der Erkenntnis verweilt, ohne dass es ihm damals möglich war, hinter diese Oberfläche zu schauen.

    3. Denn die Wahrnehmung der Bewegung als charakteristische Eigenschaft des Lebendigen konnte mittlerweile durch eine Analyse der Bestandteile eines Lebendigen dahingehend erweitert werden, dass wir heute jedes Lebendige als gigantische Symbiose von biologischen Zellen rekonstruieren können, die aus Molekülen (bzw. dann Atomen usw.) bestehen. Die Anordnung dieser Zellen (ihre Form, ihre Struktur und Funktion) ist so, dass sie durch Aufnahme von freier Energie in der Lage sind, eine Vielzahl von Veränderungen bzw. von Bewegungen ausführen zu können. Das, was die lokal zu beobachtenden Bewegungen ermöglicht, wird heute Energie genannt, bei Aristoteles (und Platon) hieß es Psyché.

    4. Die Frage ist, ob wir damit heute letztlich mehr verstanden haben. Sicher, wir konnten die Gestalt der Körper auf kleinere Gestalten (Zellen, Moleküle, Atome, …) zurückführen, aber jetzt zu sagen, dass es freie Energie ist, anstatt wie Platon und Aristoteles Psyché, macht auf dieser Ebene letztlich keinen wirklichen Unterschied. Was Energie letztlich ist, wissen wir nur über die Wirkungen, die Energie hervorbringt. Nicht anders verhält es sich mit dem Begriff Psyché. Aktuell macht es allerdings Sinn, zu unterscheiden zwischen dem Lebensprinzip der antiken griechischen Philosophie als Bewegung der Psyché und dem Lebensprinzip der Wissenschaft im 21.Jahrhundert verstanden als Bewegung der Energie.

    5. Fragt sich, ob man im Analogieschluss auch die anderen Überlegungen von Aristoteles übertragen könnte? Macht es Sinn, analog nach einem ersten Beweger zu fragen, sozusagen nach einer ersten Energie, die die Quelle, die erste selbstgenügsame Ursache für jegliche Energie ist? Kann man wie Aristoteles folgern, dass eine solche erste Energie letztlich ewig ist, da sie nicht nicht sein kann?

    6. Rein logisch machen alle diese Fragen wenig Sinn, da uns letztlich die Kategorien fehlen, in denen wir jenseits dieser Phänomene den absoluten Referenzrahmen solcher Begriffe denken können.

    7. Bei Aristoteles war das Lebensprinzip der Psyché aber auch mehr als nur ein Gedanke: es war angefüllt mit Trieben, Bedürfnissen, Emotionen, Gefühlen, dem Schönen, dem Wohlgefallen, dem Glück usw. M.a.w. das Leben ist nicht nur Gedanke sondern gefülltes und gefühltes Ereignis, in dem wir sind, das uns ausmacht. Die Unbegreiflichkeit und Irrationalität des Lebens liegt primär in den Fakten selbst; die Begriffe für sich sind entweder sinnlos oder – ohne Bindung an irgend etwas – beliebig. Nur durch Bezug zu einem vollziehenden Ereignis kommt Ihnen ein Inhalt, eine Bedeutung zu. Und durch diesen Bezug sind sie wahr oder falsch, gut oder schlecht, usw.

    8. Für das Projekt der Rekonstruktion des Geistes mit technischen Mitteln (vgl. www.emerging-mind.org) stellen sich daraus viele interessante Fragen, Fragen einer experimentellen Philosophie.

SONSTIGE QUELLEN

  • Flashar, Hellmut (Hg.), (1983), ÄLTERE AKADEMIE. ARISTOTELES – PERIPATOS, Basel – Stuttgart: Schwabe & Co AG – Verlag, Bd.3 von GRUNDRISS DER GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe.
  • Hirschberger, Johannes; GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE. Altertum und Mittelalter, Freiburg – Basel – Wien: Herder, 14.Aufl. 1976
  • Holenstein, Elmar; Philosophie-Atlas. Orte und Wege des Denkens, Zürich: Amman Verlag & Co, 2004

Einen Überblick über alle Blogbeiträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER.

DECHER – HANDBUCH PHILOSOPHIE DES GEISTES – PLATON – DISKURS (Teil 3)

Decher, Friedhelm, Handbuch der Philosophie des Geistes, Darmstadt: WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2015 (Im Folgenden abgekürzt: HPG)

KONTEXT

  1. Nach der kurzen Einführung in das Phänomen Geist beginnt Decher seine gedankliche Expedition zum Begriff Geist bei den  alten Ägyptern und den Vorsokratikern. In Teil 2 habe ich darauf hingewiesen, dass die Verwendung der zentralen Begriffe wie Noos/ Nous, Thymos, Psyché, Aisthesis, Noema, Logos und deren Interpretation grundsätzlich eine Herausforderung darstellt, die aus der Art und Weise resultiert, wie Sprache und Erkennen beim Menschen funktionieren.
  2. Im nächsten Kapitel wendet sich Decher Platon zu, und hier speziell dem Verhältnis von Geist (Nous) und Seele (Psyché).
  3. An dieser Stelle sei wiederum darauf aufmerksam gemacht (vgl.  die Anmerkungen im ersten Teil dieser Besprechung, besonders Nr.4), dass diese Besprechung in keiner Weise die eigene Lektüre des Buches von Decher ersetzen kann. Ich lese das Buch im Lichte meiner Fragen, andere werden möglicherweise etwas anderes in dem Buch erkennen. Die Lektüre eines Buches ist niemals eine 1-zu-1 Angelegenheit (ein Umstand, warum auch die sogenannte Offenbarungsschriften im Judentum, Christentum und im Islam im Gang der Geschichte immer wieder – und zwar unvermeidbar – unterschiedlich interpretiert werden).

PLATON: NOUS UND PSYCHE (SS.41 – 44)

Platon: Seele und Geist, Grundstruktur
Platon: Seele und Geist, Grundstruktur
  1. Decher weist darauf hin, dass es bis heute schwierig ist, in den Werken Platons – speziell in seinen früheren Werke – den Einfluss der sokratischen Denkweise von den eigenen Überlegungen Platons klar abzugrenzen. Sokrates (ca. -469 bis -399) lebte vor Platon (-428/7 bis – 348/7) und Platon kannte Sokrates nicht nur, sondern war auch sein Schüler (ca. ab -407).
  2. Decher fasst dann die Lehre von Platon in einigen Kernthesen zusammen, die im Schaubild (erweitert) illustriert werden.
  3. Grundsätzlich geht Platon von einer Trennung von Körper und Seele (Psyché) aus, wobei der Geist (Nous) ein Teil der Seele ist. Die Seele gehört zum unkörperlichen immateriellen überindividuellen und unsterblichen Lebensprinzip im Gegensatz zum materiellen sterblichen Körper. Entsprechend den verschiedenen Körperteilen (Kopf, Brust, Unterleib) zeigt sich die Seele auf unterschiedliche Weise (Nous als Geist, Verstand; Thýmos als antreibende Gefühle; Epithymiai als Begierden, Triebe, Bedürfnisse). Anlässlich von sinnlichen Erregungen wird der Geist in der Weise angeregt, stimuliert, dass er sich erinnert (Erinnerung, Anamnesis) an ein allgemeines, ideales, immaterielles Wissen, das auf die Ideen zurückgeht, die die Seele vor ihrer Wiedergeburt kannte, und die sie auf dem Weg zur Wiedergeburt in einem Körper beim Durchqueren des Flusses Lethe (Fluss des Vergessens) vergessen hatte. Die allgemein Wahrheit ist also etwas, was unabhängig von materieller Körperwelt und sinnlicher Erfahrung existiert und nur erinnert werden kann. Je nachdem, wie die verschiedenen Seelenteile miteinander im Einklang sind, ist ein Mensch eher krank oder gesund.

DISKURS

  1. Diese Bemerkungen sind sehr knapp. Entsprechen aber den allgemeinen Lehrmeinungen über Platons Position.
  2. Interessant ist hier die Wechselbeziehung zwischen Geist und Seele.
  3. Offensichtlich kommt der Seele die Priorität zu. Der Geist scheint zwar der Ort zu sein, wo die aus der Materialität herrührenden sinnlichen Erregungen sich zu ersten bewussten Vorstellungen formen können und wo diese Anregungen zur Erinnerung an präexistierende immaterielle unendliche Ideen führen können, die ebenfalls im Geist bewusst werden können, aber der Geist ist nur ein Moment an der Seele, die als solche als immateriell und unsterblich gilt.
  4. Der Hauptgrund für die Unsterblichkeit der Seele scheint aus der Annahme zu resultieren (vgl. dazu Hirschberger, SS.118-128), dass die Seele als Lebensprinzip alles Lebendigen gesehen wird (auch der Tiere und Pflanzen), und dieses Lebensprinzip erkennt man an der Bewegung, und zwar an der spontanen Selbstbewegung. Die Selbstbewegung liegt jeglicher Bewegung zugrunde, auch den Himmelsbewegungen; sie ist das Erste von Allem, und darin ewig.
  5. Dies bedeutet, dass ein ewiges, immaterielles Prinzip erkannt wurde auf der Basis eines Naturphänomens, das zu Zeiten Platons von vielen nicht anders verstanden werden konnte, als etwas ganz Anderes, für das man keine Erklärung in der bekannten Welt finden konnte.
  6. Unterstützung fand diese Hypothese von der ganz anderen Bewegung noch durch die Phänomene des Erkennens, dass man in der empirischen Erfahrungswelt immer nur endliche und unvollkommene Objekte, Verhältnisse und Strukturen findet, sich im Denken aber Verhältnisse zeigen und denken lassen, die unendlich erscheinen und ideal. Lässt diese scheinbare Unerklärlichkeit der (spontanen) Bewegung kombiniert mit der Unerklärlichkeit der idealen Erkenntnisse von daher berechtigt einen Schluss auf etwas Immaterielles, Unendliches, Präexistierendes, Überindividuelles zu, das man Seele (Psyché) nennt und das vorab und begleitend zur erfahrbaren empirischen Welt existiert und wirkt?
  7. Auf den ersten Blick tut sich hier ein Dualismus von endlichem unvollkommenem Materiellen und endlichem vollkommenem Immateriellen auf. Dies aber nur solange, als man die Wechselwirkung zwischen beiden nicht ernst nimmt. Wenn das endliche Materielle mit dem unendlichen Immateriellen in Erkenntnisweisen zusammenwirken können, dann kann und muss man fragen, wie dies möglich ist.
  8. Sowohl die sinnlich angeregten Vorstellungen sind bewusst und im Geist (Nous) wie auch die von den ewigen Ideen gespeisten Erinnerungen an ideale Verhältnisse sind bewusst, da ansonsten unbekannt. Im platonischen Denkmodell gibt es für dieses Zusammentreffen von unvereinbaren Gegensätzen keine wirkliche Erklärung. Im Lichte der neuzeitlichen Erkenntnisse der letzten 50 (!) Jahre gibt es aber Ansatzpunkte, die möglicherweise neue Denkmodelle ermöglichen könnten, die aber – so scheint mir – bislang noch nicht konsequent öffentlich zu Ende gedacht wurden.

SELBSTBEWEGUNG

  1. Nach heutigem Kenntnisstand wissen wir, dass es ein Charakteristikum biologischen Lebens ist, dass es über eine Konfiguration von Molekülen verfügt, die es in die Lage versetzen, Energie aus der Umgebung zu entziehen, um damit eine Eigenbewegung (Selbstbewegung) zu organisieren. Die Selbstbewegung resultiert also aus dem Zusammenwirken einer (nach heutigem Kenntnisstand) vorauszusetzenden Energie, die allem Empirischen zugrunde liegt, und einer bestimmten molekularen Struktur, die in der Lage ist, diese Energie in Bewegung zu transformieren. Dies ist ein Eigenschaft jeder biologischen Zelle, die sich im Falle des homo sapiens in ca. 37 Billionen (10^12) Zellen in Form eines Gesamtorganismus (Körper) so präsentiert, dass eine Vielzahl von Bewegungen in Erscheinung treten können. Die ca. 100 Mrd (10^9) Gehirnzellen nutzen ihre Energie weniger zu mechanischen Bewegungen sondern zum elektrischen Signalaustausch. Dieser Signalaustausch ermöglicht Wahrnehmung, Erinnern, Denken, Fühlen usw.
  2. Mit diesen Erkenntnissen können wir zwar auch sagen, dass die primären Prinzipien von biologischer Belebtheit auf überindividuelle Gesetze und Eigenschaften zurückverweisen (Energie), dass aber das Zusammenwirken von materiellen (atomaren, molekularen) Strukturen und freier Energie eine Eigenschaft ist, die schon jeder einzelnen Zelle zukommt, und damit jeglicher Lebensform auf der Erde.

IDEALE ERKENNTNIS

  1. Bleibt das Phänomen der idealen Erkenntnis. In der Tat sind alle sinnlich wahrnehmbaren Sachverhalte endlich, unvollkommen, singulär verglichen mit allgemeinen, strukturellen Dachverhalten, wie sie sich im Denken erschließen können.
  2. Hält man sich aber vor Augen, dass unser sinnliches Wahrnehmen und unser ideales Denken von einem Netzwerk von ca. 100 Mrd (10^9) Zellen ermöglicht wird, die völlig uniform arbeiten, dann kann man zumindest die Frage stellen, ob es möglicherweise ein (sehr hilfreicher) Artefakt dieses neuronalen Netzwerkes ist, dass wir mit endlichen Strukturen unendliche Strukturen denken können?
  3. Gerade dieser Punkt ist in der modernen Grundlagenforschung merkwürdigerweise noch nicht hinreichend abgeklärt. Hier nur ein paar Stichworte, um anzudeuten, in welcher Richtung die Antwort liegen kann.
  4. Wichtigster Kronzeuge für ideale unendliche Objekte des Denkens ist die Mathematik. Ein Beispiel ist hier die Menge der abzählbar-unendlichen natürlichen Zahlen. Die Menge der natürlichen Zahlen gilt als unendlich groß. Man definiert diese Unendlichkeit durch einen endlichen Zählprozess, der als Prozess aber keinen Endpunkt besitzt. Analog verhält es sich mit den komplexeren Zahlmengen wie z.B. den rationalen Zahlen, den reellen Zahlen usw. Diese Mengen gelten auf unterschiedliche Weise als unendlich, besitzen einen Namen, mit denen man sie benennen kann, und indem Mathematiker ständig die Namen von Objekten im Munde führen können, die als unendlich gelten, kann der Eindruck entstehen, dass es solche unendlichen Objekte tatsächlich gibt. Was es aber nur gibt, das sind endliche Prozeduren, durch die unterschiedliche Begriffe von Unendlichkeit definiert werden. Alle Arten von endlichen Prozeduren können – nach heutigem Wissensstand – von neuronalen Netzen simuliert – sprich: gedacht — werden.
  5. Ein anderes Beispiel ist die Welt der Begriffe, wie sie sich im Sprachgebrauch und in der Alltagslogik finden. Wir sind gewohnt (meist unbewusst), beständig Allgemeinbegriffe benutzen. Z.B. wir sehen ein Objekt vor uns auf dem Tisch, das genügend Eigenschaften aufweist, dass wir es als eine Tasse klassifizieren können. Und bekanntlich können wir beliebig viele einzelne Objekte als Tasse bezeichnen, sofern die charakterisierenden Eigenschaften gegeben sind. Dies bedeutet, mit einigen wenigen (endlich vielen) Eigenschaften können wir einen einzigen, individuellen Namen mit potentiell (= abzählbar) unendlich vielen Objekten verknüpfen. Dies ist mit einem neuronalen Netzwerk leicht zu bewerkstelligen.
  6. Dies bedeutet, am Beispiel von zwei sehr wichtigen Typen von denkbarer Unendlichkeit kann man sehen, dass sich diese mit endlichen Mitteln realisieren lassen.
  7. Allerdings ist klar, dass diese quasi-unendlichen endlichen Prozesse nur möglich sind, insoweit von außerhalb des Systems beständig genügend Energie zugeführt werden kann, durch die diese Prozesse aufrecht erhalten werden können.
  8. Wollte man die platonische Dualität von Materiell-Immateriell, von Seele – Körper, beibehalten, dann wäre nach heutigem Wissensstand der Körper die Anordnung der Atome/ Moleküle und das Seelische die verfügbare freie Energie, durch die Veränderungen/ Transformationen/ Signale/ Bewegungen dieser Moleküle möglich sind. Aufgrund der endlichen Konstellation der Moleküle kann zugeführte (unendliche?) Energie ein Denken von quasi unendlichen Mengen mit Hilfe endlicher Strukturen realisiert werden.

SEIN – WAHRHEIT

  1. Die Rückführung von quasi unendlichen Objekten auf endliche (Denk-)Prozesse lässt aber die Frage unbeantwortet, ob diese mit endlichen Mitteln sichtbar werdenden quasi-unendlichen Objekte (Strukturen) über das Denken hinaus eine ontologische Bedeutung haben können, oder, anders formuliert, ob diese quasi-unendlichen Objekte (Strukturen) über das Denken hinaus tatsächlich existieren, obgleich sie sich für unsere begrenzte Wahrnehmung immer nur als punktuelle, individuelle Messereignisse in Raum und Zeit manifestieren?
  2. Dies wäre die Frage nach der Wahrheit unserer Erkenntnisse.

Fortsetzung mit Aristotles HIER

SONSTIGE QUELLEN

  • Hirschberger, Johannes; GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE. Altertum und Mittelalter, Freiburg – Basel – Wien: Herder, 14.Aufl. 1976
  • Holenstein, Elmar; Philosophie-Atlas. Orte und Wege des Denkens, Zürich: Amman Verlag & Co, 2004

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AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT

(Letzte Änderung 14.Okt.2014, 06:11h )

Da die rekonstruierende Lektüre zu Avicennas Abhandlung zur Logik ein immer größeres Ausmaß annimmt, erweist sich die Methode, jeden einzelnen Beitrag mit einem Überblick über die vorausgehenden Beiträge einzuleiten, als immer weniger praktikabel. Deswegen wird jetzt ein eigener Blogeintrag als Referenzpunkt für diesen Überblick gewählt. Dies bedeutet, dass künftig alle nachfolgenden Beiträge einleitend (für die ‚Vorgeschichte‘), auf diesen Blogeintrag verweisen werden. Es ist zu beachten, dass diese Übersicht nur eine Übersicht über die wichtigsten Begriffe und Themen ist ohne alle Details und normalerweise auch ohne die ausführliche Diskussion von Avicennas Gedanken. Diese finden sich nur in den Blogeinträgen selbst, auf die verwiesen wird.

1. In einem ersten Beitrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 1 hatte ich geschildert, wie ich zur Lektüre des Textes von Avicenna gekommen bin und wie der Text grob einzuordnen ist.

2. In einem zweiten Beitrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 2 ging es um die Frage, warum überhaupt Logik? Avicenna führt erste Unterscheidungen zu verschiedenen Wissensformen ein, lässt aber alle Detailfragen noch weitgehend im Dunkeln.

3. Im Teil AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 3 ging es um einfache und zusammengesetzte Begriffe, und bei den einfachen Begriffen um ‚individuelle‘ und ‚universelle‘. Schon hier zeigt sich der fundamentale Unterschied zwischen der antiken und der modernen-formalen Logik. In der antiken Logik wird die Ausdrucksebene E – und einer sich daran manifestierenden Folgerungslogik – immer in Verbindung mit einer zugehörigen Bedeutungsstruktur gesehen, die sich an einer Objektstruktur O festmacht. Die moderne formale Logik kennt zwar auch ‚Semantiken‘ und ‚Ontologien‘, diese sind aber ’sekundär‘, d.h. es werden nur solche ‚formalen Semantiken‘ betrachtet, die zum vorausgesetzten syntaktischen Folgerungsbegriff ‚passen‘. Dies sollte dann später an konkreten Beispielen diskutiert werden. Hier liegt der Fokus auf der antiken Logik im Sinne Avicennas.

4. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 4 knüpft Avicenna an den zuvor eingeführten Begriff des ‚universellen‘ Begriffs an und betrachtet jetzt solche als ‚universell‘ bezeichneten Ausdrücke in einem Ausdruckskontext von aufeinanderfolgenden Ausdrücken. Alle diese Ausdrücke könnte man im Sinne der antiken Logik auch als ‚Urteile‘ bezeichnen, durch die einem bestimmten Ausdruck durch andere Ausdrücke bestimmte Bedeutungen (Eigenschaften) zu- oder abgesprochen werden. Hier unterscheidet er die Fälle eines ‚wesentlichen‘ Zusammenhanges zwischen zwei Begriffen und eines ’nicht wesentlichen‘ – sprich ‚akzidentellen‘ – Zusammenhangs.

5. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 5 führt Avicenna eine Reihe von neuen technischen Begriffen ein, die sich nicht alle in ihrer Bedeutung widerspruchsfrei auflösen lassen. Es handelt sich um die Begriffe ‚Genus‘, ‚Spezies‘, Differenz, allgemeine und spezielle Akzidens, den Begriff ‚Kategorie(n)‘ mit den Kategorien ‚Substanz‘, ‚Qualität‘ und ‚Quantität‘. Die Rekonstruktion führt dennoch zu spannenden Themen, z.B. zu einem möglichen Einstieg in das weltverändernde Phänomen der kognitiven Evolution.

6. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 6 geht es um die Begriffe ‚Definition‘ und ‚Beschreibung‘. Im Verhältnis zwischen beiden Begriffen geht die Beschreibung der Definition voraus. In der ‚Definition‘, die Avicenna vorstellt, wird ein neuer Ausdruck e mittels anderer Ausdrücke <e1, …, ek>, die sich auf schon bekannte Sachverhalte beziehen, ‚erklärt‘. Die von Avicenna dann vorgenommene Erklärung, was eine ‚Definition‘ sei, hängt u.a. stark ab von dem Begriff der ‚Bekanntheit‘ und dem Begriff des ‚wahren Wesens‘. Für die Tatsache, dass ein Mensch A bestimmte Ausdrücke <e1, …, ek> einer Sprache L ‚kennt‘ oder ’nicht kennt‘, dafür gibt es keine allgemeinen Regeln oder Kriterien. Von daher macht die Verwendung der Ausdrücke ‚bekannt’/ ’nicht bekannt‘ eigentlich nur Sinn in solch einem lokalen Kontexten W* (z.B. einem Artikel, ein Buch, ein Vortrag, …), in dem entscheidbar ist, ob ein bestimmter Ausdruck e einer Sprache L schon mal vorkam oder nicht. Schwierig wird es mit dem Begriff des ‚wahren Wesens‘. In meiner Interpretation mit der dynamischen Objekthierarchie gibt es ‚das wahre Wesen‘ in Form von Objekten auf einer Stufe j, die Instanzen auf Stufen kleiner als j haben. Dazu gab es weitere Überlegungen.

7. Im folgenden Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 7 beschreibt Avicenna syntaktisch zusammengesetzte, aber semantisch einfache Ausdrücke. Innerhalb der Ausdrücke unterscheidet er die Teileausdrücke ‚Name‘, ‚Verb‘ und ‚Präposition‘. Die unterschiedliche Charakterisierung erfolgt nicht aufgrund der syntaktischen Form, sondern aufgrund der semantischen Eigenschaften, die mit diesen Ausdrücken verbunden werden. Neben dem Objektbezug, der die eigentliche Bedeutung fundiert, gibt es im Bedeutungsraum auch noch den zeitlichen und den räumlichen Aspekt. Das Zusammenspiel von Bedeutung und Ausdruck wird angerissen.

8. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 8 geht es um solche Ausdrücke E, die ‚Aussagen‘ P sind, von denen man sagt, dass sie ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ seien. Aussagen sind eine echte Teilmenge aller Ausdrücke, $latex P \subset E$. Avicenna unterscheidet drei Arten von Aussagen: ‚kategorische‘ Aussagen, ‚Disjunktiv-konditionelle‘ und ‚Konjunktiv-konditionelle‘. Es wird ausführlich eine mögliche Wahrheitstheorie für die Zuschreibung ‚wahr’/ ‚falsch‘ diskutiert. Dann werden nochmals die Aussagetypen näher untersucht. Ein Zusammenhang mit der modernen Aussagenlogik wird hergestellt. Disjunktion, Konjunktion (und ergänzend) Implikation) sind Aussagetypen, die aus zwei Teilausdrücken A und B bestehen, die selbst wieder Aussagen sind, die wahr oder falsch sein können. Die beiden Teilausdrücke A und B werden dann durch die Teilausdrücke (oder), (und) sowie (wenn)-(dann)- verknüpft. Sie unterscheiden sich dadurch, wie der Wahrheitswert des Gesamtausdrucks von der Verteilung der Wahrheitswerte auf die Teilausdrücke festgelegt ist. Die Teilausdrücke (oder), (und) sowie (wenn)-(dann)- nennt man später dann auch ‚aussagenlogische Operatoren‘. Der Aussagetyp ‚kategorisierend‘ passt nicht in dieses Schema. Der Aussagetyp ‚kategorisierend‘ ist eine Aussage A, die wahr oder falsch sein kann unabhängig von irgendeinem aussagenlogischen Operator. Auch wird die Verneinung/ Negation diskutiert. Ausdrücke wie (Etwas)(ist nicht)(dies)(oder)(jenes) wurden rekonstruiert als $latex \neg(A)(oder)(B)$ mit dem Zeichen $latex \neg$ für ’nicht‘ oder ‚es ist nicht der Fall, dass‘.

9. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 9 kommt Avicenna auf mehrere Begriffspaare zu sprechen, die sich z.T. mit Themen berühren, die er schon vorher besprochen hat, z.T. neue Aspekte thematisieren, die nicht so ohne weiteres mit dem bisher Gesagten harmonieren. Es handelt sich z.B. um die Begriffe ‚Kategorisch‘, ‚Negation‘, ‚Universal‘, ‚Partikulär‘, die aber jetzt mit neuen Randbedingungen nochmals diskutiert werden. So stellt er die Frage, wann ‚kategorischen‘ (‚kategorisierenden‘) Aussagen ‚affirmativ‘ und wann sie ’negativ‘ sind. Ferner führt er neben den bisherigen die semantisch motivierten Begriffe ‚Name‘, ‚Verb‘ (auch ‚Term‘ genannt), sowie ‚Präposition‘ nun auch das Begriffspaar ‚Subjekt‘ und ‚Prädikat‘. Auch diese sind ’semantisch‘ motiviert, d.h. nur durch Rückgriff auf die Bedeutung kann man zur Klassifikation ‚Subjekt‘ bzw. ‚Prädikat‘ kommen. In den soeben erwähnten Kontexten wie auch in nachfolgenden Beispielen diskutiert Avicenna auch die Begriffe ‚affirmativ‘ und ’negativ‘. Zwischendrin bemerkt er auch mal, dass das Treffen einer Feststellung, eigentlich nur Sinne mache, wenn dasjenige, von dem etwas ausgesagt wird, auch existiere. Doch wird dieser Punkt nicht weiter diskutiert. Vom Subjekt einer Aussage sagt Avicenna, dass es partikulär‘ oder ‚universell‘ sein kann. Falls universell, dann kann man unterscheiden, ob sie ‚unbestimmt‘ (engl.: ‚indeterminate‘) ist – wie viele genau involviert sind — oder eben ‚bestimmt‘ (engl.: ‚determinate‘). Ferner illustriert er am Beispiel der kategorisierenden Aussagen auch die Begriffe ’notwendig‘ und ‚kontingent‘. Diese Verwendung der Begriffe stimmt überein mit den zuvor eingeführten Begriffe ‚wesentlich‘ und ‚akzidentell‘. Auch erwähnt Avicenna den Begriff ‚möglich‘. Er sieht mindestens zwei Verwendungsweisen von ‚möglich‘: In der Diskussion dieses Abschnitts werden einerseits einige Widersprüchlichkeiten in den Ausführungen Avicennas sichtbar gemacht, andererseits wird die Rekonstruktion einer möglichen systematischen Theorie zur Logik Avicennas fortgesetzt. Die wichtigsten Kritikpunkte kreisen um das Begriffspaar ‚affirmativ – negativ‘ mit der Kritik, dass beide Begriffe auf unterschiedlichen semantischen Ebenen liegen. Ferner widerspricht die Handhabung der Quantoren durch Avicenna der allgemeinen Verwendung.

10. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 10 diskutiert Avicenna seine Begriffe ‚Konjunktives‘ und ‚Disjunktives Konditional‘ unter verschiedensten Aspekten. Einige davon sind die Quantoren (wobei er auch Quantoren über die Zeit benutzt!), das Begriffspaar ‚Antezedenz – Konsequenz‘, der Begriff der ‚Harmonie‘, und wiederholt die Aspekte ‚Existenz‘, ‚Affirmation‘ sowie ‚Bestimmt/ Unbestimmt‘. Alle diese Aspekte werden in diesem Blogeintrag schon ein wenig ‚vorsortiert‘, um dann im nachfolgenden Blogeintrag weiter rekonstruierend diskutiert zu werden.

11. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 11 erfolgt eine ‚rekonstruierende Diskussion‘ von Avicennas Überlegungen aus Blogeintrag 10. Seine Überlegungen werden aufgegriffen und in einen theoretischen Rahmen eingeordnet, der es erlaubt, die Begriffe schärfer zu fassen und sie dadurch besser voneinander abzugrenzen. Nach einer Übersicht über die Struktur der Aussagen erfolgt dann eine Rekonstruktion von Bedeutungszuordnungen und eine Erklärung von Begriffen wie ‚wahr’/ ‚falsch‘, ‚Existenz‘, und ‚möglich‘.

12. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 12 diskutiert Avicenna den Fall widersprüchlicher Aussagen. Gemessen an dem bisher Gesagten bringt er in diesem Abschnitt keine neuen Aspekte ins Spiel. Wohl aber bietet dieser Abschnitt weitere Beispiele für sein Auffassung des Sachverhalts. Sie belegen, wie schwer er sich durchgängig damit tut, in dem unscharfen Wechselspiel von Ausdrucksseite und Bedeutungsseite eine konstante Verwendungsweise seiner Begriffe durchzuhalten. In diesem Blogeintrag erfolgt die Diskussion seines Textes immer unmittelbar hinter jedem Punkt in Form einer Anmerkung.

13. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 13 diskutiert Avicenna die Möglichkeit der Konvertierung von Aussagen mit Quantoren in solche, deren Bedeutung trotz Veränderung von Ausdruckselementen ‚erhalten‘ bleibt. In einigen Beispielen widerspricht er sich selbst; manche Stellen sind unklar. Es zeigt sich allgemein: (i) die Formulierung von Konvertierungsregeln greift beständig auf bestimmte unterstellte Bedeutungen zurück und (ii) genau diese unterstellten Bedeutungen werden nicht hinreichend klar definiert. Daraus entsteht die Forderung, diese unterstellte Bedeutung klar zu definieren und auf dieser Basis alle logischen Ausdruckselemente eindeutig zu definieren (was im nachfolgenden Abschnitt dann unternommen wird).

14/14b. In den Blogeinträgen AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 14 sowie AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 14b geht es darum, erstmalig einen theoretischen Rahmen für eine Semantik zu formulieren, mit der man die Logik Avicennas konsistent entwickeln kann. Abschnitt 14b stellt eine Überarbeitung des Eingangsteils von Abschnitt 14 dar. Es hat sich gezeigt, dass die in 14b gewählte Begrifflichkeit für das weitere Vorgehen ‚günstiger‘ wirkt. Aber wir befinden uns noch in der Phase der ‚Annäherung‘ an das ‚Neue‘.

15. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 15 geht es um die Feinstruktur von Aussagen. Avicenna unterteilt ja Ausdrücke anhand inhaltlicher Kriterien nach Subjekt S, Prädikat P und ergänzend nach Quantoren Q. Es fragt sich, wie man diesen Ausdrucksteilen eine ‚Bedeutung‘ im Objektraum O zuordnen kann. Wichtig ist hier die schon früher getroffene Unterscheidung zwischen ‚echten‘ und ‚unechten‘ Objekten. ‚Unechte‘ Objekte wurden als ‚Eigenschaften‘ bezeichnet. Mit dieser Terminologie kann man sagen, dass die Objekthierarchie O primär von echten Objekten gebildet wird; unechte Objekte als Eigenschaften treten nur im Kontext eines echten Objekts auf. Damit kann man die begriffe ‚Gattung‘ und ‚Art‘ einführen. Gattungen, die keine Gattungen mehr ‚über sich‘ haben können, sollen hier ‚Kategorien‘ genannt werden. Setz man Definitionen von Worten voraus, dann kann man ach erklären, warum eine Aussage wie ‚a ist eine Tasse‘ ‚rein definitorisch‘ (bzw. ‚rein analytisch‘) ‚wahr ist, unabhängig davon, ob diesem gedanklichen Sachverhalt etwas Sinnliches entspricht. Im Gegensatz zu solch einer rein definitorischen (analytischen) Wahrheit eines Objekts a soll hier die ursprünglich vereinbarte ‚Wahrheit‘ durch Bezug auf eine ’sinnliche Gegebenheit‘ $latex s \subseteq Os$ ‚ontologische‘ Wahrheit genannt werden. Solange wir uns in unseren Aussagen auf das Enthaltensein eines Objektes a in einem Gattungsobjekts X beschränken ‚a ist ein X‘ oder das Feststellen von Eigenschaften der Art ‚a hat b‘ kann man sagen, dass eine Aussagestruktur wie (S P) wie folgt interpretiert werden kann: Es gibt einen Ausdruck A=(AsAp), bei dem ein Ausdrucksteil As sich auf ein echtes Objekt M(As) = $latex a \in Oa$ bezieht und der andere Ausdrucksteil Ap bezieht sich auf die Beziehung zwischen dem Objekt a und entweder einem Gattungsobjekt X (Ap = ‚ist ein X‘) oder auf eine Eigenschaft Y (Ap = ‚hat Y‘). Hierbei ist eine gewisse ‚Asymmetrie‘ zu beachten. Die Bedeutung vom Ausdrucksteil As – M(As) – bezieht sich auf eine ‚konkrete‘ Eigenschaftsstruktur innerhalb der Objekthierarchie. Die Bedeutung vom Ausdrucksteil Ap – M(Ap) – bezieht sich auf eine ‚Beziehung‘ / ‚Relation’/ ein ‚Verhältnis‘ [R] zwischen dem bezeichneten Bedeutungsobjekt M(As) = a und einem anderen bezeichneten Bedeutungsobjekt M(Ap), also R(M(As), M(Ap)). Die Beziehung R ist selbst kein ‚Objekt‘ so wie das Objekt a oder das implizit angenommene ‚Bezugsobjekt‘ X bzw. Y von a. Eine solche Beziehung R setzt – um prozessural ‚hantierbar‘ zu sein – eine zusätzliche ‚Objektebene‘ voraus, auf der es ein R-Objekt gibt, das die Beziehung zwischen dem a-Objekt und dem X-Y-Objekt ‚repräsentiert.

16. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 16 wird die Analyse der vorausgesetzten Objekthierarchie O und der damit interagierenden Ausdrucksstruktur E weiter analysiert. Nach der Analyse der Feinstruktur von (S P) werden die Aspekte Anzahl, Raum und Zeit betrachtet. Es wird gezeigt, wie man für diese Aspekte sowohl ‚globale Quantoren‘ wie auch ‚lokale Relationen‘ einführen kann; zudem ist die Wechselwirkung zwischen diesen Aspekten konfliktfrei, da sie voneinander unabhängig sind.

17. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 17 geht es um die Frage, wie man Aussagen über Veränderungen in der hypothetisch angenmmenen Bedeutungsstruktur nachzeichnen kann. Es lässt sich erkennen, dass die Kodierung von Veränderungen mittels Ausdruckselementen innerhalb eines Prädikates P mittels ‚Veränderungsausdrücken‘ V (‚Verben‘) oft nicht nur die beteiligten Objekte Y benennt, sondern zusätzlich zahlreiche weitere Ausdruckselemente aktiviert, die räumliche Gegebenheiten R_r bezeichnen, zeitliche Relationen R_t, zusätzliche Eigenschaften At an den Veränderungen; dazu ferner spezielle kulturelle Relationen R_x einbeziehen können sowie mit zusätzlichen Subjektrepräsentationen operieren. Auch kann man beobachten, wie die Aneinanderreihung von unterschiedlichen Sachverhalten (S P) mit logischen Operatoren (S P) UND (S2 P2) auch zu speziellen Verkürzungen führen kann wie (S P1 UND P2). Dies lässt erahnen, dass eine vollständige Analyse auch nur einer einzigen Alltagssprache von ihrer logisch relevanten Semantik her eine schier unendliche Aufgabe ist. Diese wird weder ein einzelner Mensch alleine noch viele Menschen über viele Genrationen hinweg jemals vollständig erfüllen können. Was aber möglich erscheint, das ist die Analyse des grundlegenden Mechanismus, der sich mit Hilfe von evolvierenden Computermodellen experimentell untersuchen und mit realen semiotischen Systemen überprüfen lässt.

18. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 18 weitet sich nun der Blick Avicennas auf das Wissen allgemein, und konzentriert sich im Wissen auf das schlussfolgernde Denken in Form von ‚beweisenden Syllogismen‘. Nach einer Definition von ‚Syllogismus‘ unterscheidet er dann zwei Arten von Syllogismen ‚Konjunktiver‘ Syllogismen und ‚Disjunktiver‘ Syllogismus. Am Beispiel des ‚Konjunktiven Syllogismus‘ führt Avicenna dann eine Reihe von technischen Begriffen ein. Dann stellt Avicenna zusätzliche Beschränkungen vor, um die 256 möglichen Figuren/ Muster auf nur 27 mögliche Muster einzuschränken. Alle seine Festlegungen geschehen ohne eigentliche Begründung.

19. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 19 beginnt die Diskussion um die Interpretation der syllogistischen Schlussfiguren am Beispiel der ersten Figur (A F B), (A B H) und (A F H) mit der Quantorenbelegung ‚AAA‘. In einzelnen Schritten wird dann eine erste Skizze zu einer Logik auf der Basis einer dynamischen Objektstruktur erarbeitet. Zentrale Begriffe sind hier OBJEKTIFIZIERUNG, ENTHALTENSEIN, ZUSCHREIBUNG und VERERBUNG. In dieser Skizze werden auch ‚Aktivitäten‘ berücksichtigt, die in dem Muster zur ersten Figur nicht vorkommen, zusätzlich werden neben den Anzahlquantoren auch Raum- und Zeitquantoren berücksichtigt.

20. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 20 geht es um die Interpretation des zweiten Musters der ersten syllogistischen Schlussfigur ‚A F ist B‘, ‚A B ist nicht H‘ (als ‚Kein A ist B‘), ‚A F ist nicht H‘ (als ‚Kein F ist H‘), dazu die Beispiele ‚Jeder ausgedehnte Körper ist farbig‘, ‚Kein farbiger Körper ist unerschaffen‘, ‚Kein ausgedehnter Körper ist unerschaffen‘. Wir treffen in diesem Muster wieder auf den Prozess der Objektifizierung, tatsächlich sogar in impliziten Formen mit der expliziten Angabe von Eigenschaften und der stillschweigenden Annahme einer daraus sich ergebenden Mengenbildung. Zusätzlich finden sich wieder Enthaltensbeziehungen einerseits anhand von Eigenschaftszuschreibungen, andererseits durch Benutzung von Anzahlquantoren. Die Zuschreibung von Eigenschaften wird explizit vorgenommen. Eine Vererbung von Eigenschaften von einer Menge zur anderen tritt nur implizit über eine Enthaltensbeziehung auf. Es tritt nur eine Sorte von Quantoren auf. Auch sei angemerkt, dass außer der Negation kein weiterer aussagenlogischer Operator auftritt.

21. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 21 geht es um die Interpretation der Muster 3-4 der Schlussfigur 1. Dabei entsteht die Vermutung, dass viele der Unterscheidungen von Avicenna (die weitgehend auf Aristoteles zurückgehen!) möglicherweise ‚redundant‘ sind, d.h. mit anderen Formulierungen letztlich doch ‚das Gleiche‘ sagen. Der Ansatzpunkt für diese Vermutung liegt darin begründet, dass die Unterscheidung von einem Term als ‚Subjekt‘ (S) und als ‚Prädikat‘ (P) auf Seiten der abstrakten Bedeutungsstruktur als Bedeutungsrepräsentation jeweils ein ‚echtes‘ oder ein ‚unechtes‘ Objekt haben können, und zwar so, dass diese Strukturen ‚fließend‘ sind: jedes ‚echte‘ Objekt kann als ‚unechtes‘ interpretiert werden und umgekehrt. Weitere Vereinfachungen deuten sich an. Diese sollen im Folgenden überprüft werden.

Fortsetzung folgt …

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Immanuel Kant, Critik der reinen Vernunft‘, Riga, 1781
  • Konrad Lorenz, 1973, ‚Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens‘, München, Zürich: Piper
  • Günther Patzig, ‚Die Aristotelische Syllogistik‘, 3,verb.Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht, 1969
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Hans-Jörg Sandkühler (Hg.) unter Mitwirkung von Dagmar Borchers, Arnim Regenbogen, Volker Schürmann und Pirmin Stekeler-Weithofer, ‚Enzyklopädie Philosophie‘, 3 Bd., Hamburg: FELIX MEINER VERLAG, 2010 (mit CD-ROM)
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

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