Wenn das, was wir nicht sehen, darüber entscheidet, was wir sehen, dann lohnt es sich, für einen Moment inne zu halten, und sich darüber klar zu werden, was wir tun, wenn wir versuchen, die Welt zu verstehen.
INHALT
1 Der Brexit als Lehrstück … 1 2 Das Unsichtbare in Allem 3 3 Computer-Interface als ein Stück Alltag 4 4 Wir als Teil von BIOM I und II 6 5 Homo Sapiens im Blindflug? 9 6 Epilog 11
Der Text des Dokuments ist das Ergebnis von all den vorausgegangenen Blogeinträgen bis jetzt! Es ist die erste Zusammenschließung von verschiedenen großen Themen, die bislang im Blog getrennt diskutiert wurden. Es ist die große ‚Vereinheitlichung‘ von nahezu allem, was der Autor bislang kennt. Vielleicht gelingt es, dieser Grundintention folgend, diesen Ansatz weiter auszuarbeiten.
KURZKOMMENTAR II
Der Text ist aus philosophischer Perspektive geschrieben, scheut nicht die Politik, nimmt den Alltag ernst, nimmt sich die Digitalisierung vor, bringt die Evolutionbiologie zentral ins Spiel, und diagnostiziert, dass die aktuellen smarten Technologien, insbesondere die neuen Smart City Ansätze, schlicht zu wenig sind. Die ganzen nicht-rationalen Faktoren am Menchen werden nicht als lästiges Beiwerk abgeschüttelt, sondern sie werden als ein zentraler Faktor anerkannt, den wir bislang zu wenig im Griff haben.
ERGÄNZUNG 3.Nov.2019
In dem PDF-Dokument wird erwähnt, dass die Brexit-Entscheidung in England im Vorfeld massiv aus dubiosen Quellen beeinflusst worden ist. Im PDF-Dokument selbst habe ich keine weiteren Quellenangaben gemacht. Dies möcte ich hier nachholen, da es sich um einen explosiven Sachverhalt handelt, der alle noch bestehenden demokratischen Gesellschaft bedroht. Da ds ZDF und Phoenix die Angaben zu immer wieder neuen Terminen machen, sind die zugehörigen Links möglicherweise immer nur zeitlich begrenzt verfügbar.
Der Film „Angriff auf die Demokratie. Wurde der Brexit gekauft?“ von Dirk Laabs wird einmal in einem Text kurz beschrieben, und es wird ein Link auf youtube angegeben, wo man den Film als Video abrufen kann.
Hier aus dem Worlaut der Ankündigung:
„Die britische Wahlkommission ist überzeugt: Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass große Teile der Gelder für eine Kampagne vor dem Brexit-Referendum aus dubiosen Quellen stammen.„
„Im Fokus steht der britische Geschäftsmann Arron Banks, Strippenzieher und enger Freund des ehemaligen Ukip-Anführers Nigel Farage. Über seine Offshore-Konten sollen fast neun Millionen Pfund Spenden geflossen sein.“
Die Recherchen des ZDF legen nahe, „dass Wähler verdeckt und so effektiv wie möglich beeinflusst werden sollten.“ Es werden nicht nur die Geldströme vefolgt, sondern der ZDFzoom-Autor Dirk Laabs „redet mit Insidern aus der Kampagne und konfrontiert ihren Kopf, den ehemaligen Chef der Ukip, Nigel Farage. Farage redet im Interview mit dem ZDF auch darüber, welchen Einfluss US-amerikanische Berater für die Kampagne hatten. Steve Bannon, früherer Berater von US-Präsident Trump, war einer der wichtigen Berater in diesem Spiel.“
„Konkret geht es um millionenschwere Kredite, die die Pro-Brexit-Kampagne von Banks erhalten haben soll. Demnach stammte das Geld möglicherweise nicht von ihm selbst, sondern von Firmen mit Sitz auf der Isle of Man und in Gibraltar, die sich damit in den Wahlkampf eingemischt hätten. Mittlerweile ermittelt die National Crime Agency. Sie soll die bislang verschleierte Kampagnen-Finanzierung offenlegen.“
„Nigel Farage spricht im Interview mit dem „ZDFzoom“-Autor Dirk Laabs ganz offen darüber, wie eng die Lager zusammengearbeitet haben und wie wichtig auch der ehemalige Trump-Berater Steve Bannon für die Kampagne in Großbritannien war“ … Ein Whistleblower, der für die Leave-Kampagne gearbeitet hat, ist überzeugt: „Die verschiedenen Brexit-Kampagnen brachen die Gesetze, griffen dabei auf ein ganzes Netzwerk von Firmen zurück, um mehr Geld ausgeben zu können. Ohne diese Betrügereien wäre das EU-Referendum anders ausgegangen.“
„ZDFzoom“-Autor Dirk Laabs geht in der Dokumentation den Fragen nach: „Mit welchen fragwürdigen Methoden wurde die Mehrheit der Briten vom Brexit überzeugt? Welche Interessen und Profiteure stecken dahinter? Und Laabs fragt bei Akteuren in Brüssel nach, welche Maßnahmen mit Blick auf die Europawahl ergriffen werden sollten und überhaupt könnten, um den Digital-Wahlkampf der Zukunft zu regulieren oder kontrollierbarer zu machen.“
Einen Überblick über alle Blogeinträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.
Im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung des Fachbereichs 2 ‚Informatik & Ingenieurwissenschaften‘ der Frankfurt University of Applied Sciences am 28.November 2018 mit dem Rahmenthema „Künstliche Intelligenz – Arbeit für Alle?“ hielt Gerd Doeben-Henisch einen kurzen Vortrag zum Thema „Verändert KI die Welt?“ Voraus ging ein Vortrag von Herrn Helmut Geyer „Arbeitsmarkt der Zukunft. (Flyer zur Veranstaltung: FRA-UAS_Fb2_Karte_KI-Arbeit fuer alle_Webversion )
EINSTIEG INS KI-THEMA
Im Kontext der Überlegungen zur Arbeitswelt angesichts des technologischen Wandels gerät die Frage nach der Rolle der Technologie, speziell der digitalen Technologie — und hier noch spezieller der digitalen Technologie mit KI-Anteilen – sehr schnell zwischen die beiden Pole ‚Vernichter von Arbeit‘, ‚Gefährdung der Zukunft‘ einerseits und ‚Neue Potentiale‘, ‚Neue Arbeit‘, ‚Bessere Zukunft‘, wobei es dann auch einen dritten Pol gibt, den von den ‚übermächtigen Maschinen‘, die die Menschen sehr bald überrunden und beherrschen werden.
Solche Positionen, eine Mischungen aus quasi-Fakten, viel Emotionen und vielen unabgeklärten Klischees, im Gespräch sachlich zu begegnen ist schwer bis unmöglich, erst Recht, wenn wenig Zeit zur Verfügung steht.
Doeben-Henisch entschloss sich daher, das Augenmerk zentral auf den Begriff ‚Künstliche Intelligenz‘ zu lenken und die bislang uneinheitliche und technikintrovertierte Begrifflichkeit in einen größeren Kontext zu stellen, der das begrifflich ungeklärte Nebeneinander von Menschen und Maschinen schon im Ansatz zu überwinden sucht.
ANDERE DISZIPLINEN
Viele Probleme im Kontext der Terminologie der KI im technischen Bereich erscheinen hausgemacht, wenn man den Blick auf andere Disziplinen ausweitet. Solche andere Disziplinen sind die Biologe, die Mikrobiologie sowie die Psychologie. In diesen Disziplinen beschäftigt man sich seit z.T. deutlich mehr als 100 Jahren mit komplexen Systemen und deren Verhalten, und natürlich ist die Frage nach der ‚Leistungsfähigkeit‘ solcher Systeme im Bereich Lernen und Intelligenz dort seit langem auf der Tagesordnung.
Die zunehmenden Einsichten in die unfassbare Komplexität biologischer Systeme (siehe dazu Beiträge in diesem Blog, dort auch weitere Links), lassen umso eindrücklicher die Frage laut werden, wie sich solche unfassbar komplexen Systeme überhaupt entwickeln konnten. Für die Beantwortung dieser Frage wies Doeben-Henisch auf zwei spannende Szenarien hin.
KOMMUNIKATIONSFREIE EVOLUTION
In der Zeit von der ersten Zelle (ca. -3.8 Mrd Jahren) bis zur Verfügbarkeit hinreichend leistungsfähiger Nervensysteme mit Gehirnen (ab ca. -300.000, vielleicht noch etwas früher) wurde die Entwicklung der Lebensformen auf der Erde durch zwei Faktoren gesteuert: (a) die Erde als ‚Filter‘, was letztlich zu einer bestimmten Zeit geht; (b) die Biomasse mit ihrer Reproduktionsfähigkeit, die neben der angenäherten Reproduktion der bislang erfolgreichen Baupläne (DNA-Informationen) in großem Umfang mehr oder weniger starke ‚Varianten‘ erzeugte, die ‚zufallsbedingt‘ waren. Bezogen auf die Erfolge der Vergangenheit konnten die zufälligen Varianten als ’sinnlos‘ erscheinen, als ’nicht zielführend‘, tatsächlich aber waren es sehr oft diese zunächst ’sinnlos erscheinenden‘ Varianten, die bei einsetzenden Änderungen der Lebensverhältnisse ein Überleben ermöglichten. Vereinfachend könnte man also für die Phase die Formel prägen ‚(Auf der dynamischen Erde:) Frühere Erfolge + Zufällige Veränderungen = Leben‘. Da zum Zeitpunkt der Entscheidung die Zukunft niemals hinreichend bekannt ist, ist die Variantenbildung die einzig mögliche Strategie. Die Geschwindigkeit der ‚Veränderung von Lebensformen‘ war in dieser Zeit auf die Generationsfolgen beschränkt.
MIT KOMMUNIKATION ANGEREICHERTE EVOLUTION
Nach einer gewissen ‚Übergangszeit‘ von einer Kommunikationsfreien zu einer mit Kommunikation angereicherte Evolution gab es in der nachfolgenden Zeit die Verfügbarkeit von hinreichend leistungsfähigen Gehirnen (spätestens mit dem Aufkommen des homo sapiens ab ca. -300.000)[1], mittels deren die Lebensformen die Umgebung und sich selbst ‚modellieren‘ und ‚abändern‘ konnten. Es war möglich, gedanklich Alternativen auszuprobieren, sich durch symbolische Kommunikation zu ‚koordinieren‘ und im Laufe der letzten ca. 10.000 Jahren konnten auf diese Weise komplexe kulturelle und technologische Strukturen hervorgebracht werden, die zuvor undenkbar waren. Zu diesen Technologien gehörten dann auch ab ca. 1940 programmierbare Maschinen, bekannt als Computer. Der Vorteil der Beschleunigung in der Veränderung der Umwelt – und zunehmend auch der Veränderung des eigenen Körpers — lies ein neues Problem sichtbar werden, das Problem der Präferenzen (Ziele, Bewertungskriterien…). Während bislang einzig die aktuelle Erde über ‚Lebensfähig‘ ‚oder nicht Lebensfähig‘ entschied, und dies das einzige Kriterium war, konnten die Lebewesen mit den neuen Gehirnen jetzt eine Vielzahl von Aspekten ausbilden, ‚partielle Ziele‘, nach denen sie sich verhielten, von denen oft erst in vielen Jahren oder gar Jahrzehnten oder gar noch länger sichtbar wurde, welche nachhaltigen Effekte sie haben.
Anmerkung 1: Nach Edelman (1992) gab es einfache Formen von Bewusstsein mit den zugehörigen neuronalen Strukturen ab ca. -300 Mio Jahren.(S.123) Danach hätte es also ca. 300 Mio Jahre gedauert, bis Gehirne, ausgehend von einem ersten einfachen Bewusstsein, zu komplexen Denkleistungen und sprachlicher Kommunikation in der Lage waren.
LERNEN und PRÄFERENZEN
Am Beispiel von biologischen Systemen kann man fundamentale Eigenschaften wie z.B. das ‚Lernen‘ und die ‚Intelligenz‘ sehr allgemein definieren.
In biologischer Sicht haben wir generell Input-Output-Systeme in einer unfassbar großen Zahl an Varianten bezüglich des Körperbaus und der internen Strukturen und Abläufe. Wie solch ein Input-Output-System intern im Details funktioniert spielt für das konkrete Leben nur insoweit eine Rolle, als die inneren Zustände ein äußerlich beobachtbares Verhalten ermöglichen, das wiederum das Überleben in der verfügbaren Umgebung ermöglicht und bezüglich spezieller ‚Ziele‘ ‚erfolgreich‘ ist. Für das Überleben reicht es also zunächst, einfach dieses beobachtbare Verhalten zu beschreiben.
In idealisierter Form kann man das Verhalten betrachten als Reiz-Reaktions-Paare (S = Stimulus, R = Response, (S,R)) und die Gesamtheit des beobachtbaren Verhaltens damit als eine Sequenz von solchen (S,R)-Paaren, die mathematisch eine endliche Menge bilden.
Ein so beschriebenes Verhalten kann man dann als ‚deterministisch‘ bezeichnen, wenn die beobachtbaren (S,R)-Paare ’stabil‘ bleiben, also auf einen bestimmten Reiz S immer die gleiche Antwort R erfolgt.
Ein dazu komplementäres Verhalten, also ein ’nicht-deterministisches‘ Verhalten, wäre dadurch charakterisiert, dass entweder (i) der Umfang der Menge gleich bleibt, aber manche (S,R)-Paare sich verändern oder (ii) der Umfang der Menge kann sich ändern. Dann gibt es die beiden interessanten Unterfälle (ii.1) es kommen nach und nach neue (S,R)-Paare dazu, die ‚hinreichend lang‘ ’stabil‘ bleiben, aber ab einem bestimmten Zeitpunkt ‚t‘ sich nicht mehr vermehren (die Menge der stabilen Elemente wird ‚eingefroren‘, ‚fixiert‘, ‚gezähmt‘, …), oder (ii.2) die Menge der stabilen (S,R)-Paare expandiert ohne Endpunkt.
Bezeichnet man diese Expansion (zeitlich ‚befristet‘ oder ‚unbefristet‘) als ‚Lernen‘, dann wird sichtbar, dass die ‚Inhalte des Lernens‘ (die korrespondierenden Repräsentationen der (S,R)-Paare in den internen Zuständen des Systems) einmal davon abhängen, was die Umgebung der Systeme ‚erlaubt‘, zum anderen, was die ‚inneren Zustände‘ des Systems an ‚Verarbeitung ermöglichen‘, sowie – sehr indirekt – über welche welche ‚internen Selektionskriterien‘ ein System verfügt.
Die ‚internen Selektionskriterien‘ werden hier kurz ‚Präferenzen‘ genannt, also Strategien, ob eher ein A oder ein B ’selektiert‘ werden soll. Wonach sich solche Kriterien richten, bleibt dabei zunächst offen. Generell kann man sagen, dass solche Kriterien primär ‚endogen‘ begründet sein müssen, dass sie aber nachgeordnet auch von außen (‚exogen‘) übernommen werden können, wenn die inneren Kriterien eine solche Favorisierung des exogenen Inputs ‚befürworten‘ (Beispiel sind die vielen Imitationen im Lernen bzw. die Vielzahl der offiziellen Bildungsprozesse, durch die Menschen auf bestimmte Verhaltens- und Wissensmuster trainiert (programmiert) werden). Offen ist auch, ob die endogenen Präferenzen stabil sind oder sich im Laufe der Zeit ändern können; desgleichen bei den exogenen Präferenzen.
Am Beispiel der menschlichen Kulturen kann man den Eindruck gewinnen, dass das Finden und gemeinsame Befolgen von Präferenzen ein bislang offenes Problem ist. Und auch die neuere Forschung zu Robotern, die ohne Terminierung lernen sollen (‚developmental robotics‘), hat zur Zeit das Problem, dass nicht ersichtlich ist, mit welchen Werten man ein nicht-terminiertes Lernen realisieren soll. (Siehe: Merrick, 2017)) Das Problem mit der Präferenz-Findung ist bislang wenig bekannt, da die sogenannten intelligenten Programme in der Industrie immer nur für klar definierte Verhaltensprofile trainiert werden, die sie dann später beim realen Einsatz unbedingt einhalten müssen. Im technischen Bereich spricht man hier oft von einer ’schwachen KI‘. (Siehe: VDI, 2018) Mit der hier eingeführten Terminologie wären dies nicht-deterministische Systeme, die in ihrem Lernen ‚terminieren‘.
INTELLIGENZ
Bei der Analyse des Begriffs ‚Lernen‘ wird sichtbar, dass das, was gelernt wird, bei der Beobachtung des Verhaltens nicht direkt ’sichtbar‘ ist. Vielmehr gibt es eine allgemeine ‚Hypothese‘, dass dem äußerlich beobachtbaren Verhalten ‚interne Zustände‘ korrespondieren, die dafür verantwortlich sind, ob ein ’nicht-lernendes‘ oder ein ‚lernendes‘ Verhalten zu beobachten ist. Im Fall eines ‚lernenden‘ Verhaltens mit dem Auftreten von inkrementell sich mehrenden stabilen (S,R)-Paaren wird angenommen, das den (S,R)-Verhaltensformen ‚intern‘ entsprechende ‚interne Repräsentationen‘ existieren, anhand deren das System ‚entscheiden‘ kann, wann es wie antworten soll. Ob man diese abstrakten Repräsentationen ‚Wissen‘ nennt oder ‚Fähigkeiten‘ oder ‚Erfahrung‘ oder ‚Intelligenz‘ ist für die theoretische Betrachtung unwesentlich.
Die Psychologie hat um die Wende zum 20.Jahrhundert mit der Erfindung des Intelligenztests durch Binet und Simon (1905) sowie in Weiterführung durch W.Stern (1912) einen Ansatz gefunden, die direkt nicht messbaren internen Repräsentanten eines beobachtbaren Lernprozesses indirekt dadurch zu messen, dass sie das beobachtbare Verhalten mit einem zuvor vereinbarten Standard verglichen haben. Der vereinbarte Standard waren solche Verhaltensleistungen, die man Kindern in bestimmten Altersstufen als typisch zuordnete. Ein Standard war als ein Test formuliert, den ein Kind nach möglichst objektiven Kriterien zu durchlaufen hatte. In der Regel gab es eine ganze Liste (Katalog, Batterie) von solchen Tests. Dieses Vorgehensweisen waren sehr flexibel, universell anwendbar, zeigten allerdings schon im Ansatz, dass die Testlisten kulturabhängig stark variieren konnten. Immerhin konnte man ein beobachtbares Verhalten von einem System auf diese Weise relativ zu vorgegebenen Testlisten vergleichen und damit messen. Auf diese Weise konnte man die nicht messbaren hypothetisch unterstellten internen Repräsentationen indirekt qualitativ (Art des Tests) und quantitativ (Anteil an einer Erfüllung des Tests) indizieren.
Im vorliegenden Kontext wird ‚Intelligenz‘ daher als ein Sammelbegriff für die hypothetisch unterstellte Menge der korrespondierenden internen Repräsentanten zu den beobachtbaren (S,R)-Paaren angesehen, und mittels Tests kann man diese unterstellte Intelligenz qualitativ und quantitativ indirekt charakterisieren. Wie unterschiedlich solche Charakterisierung innerhalb der Psychologie modelliert werden können, kann man in der Übersicht von Rost (2013) nachlesen.
Wichtig ist hier zudem, dass in diesem Text die Intelligenz eine Funktion des Lernens ist, das wiederum von der Systemstruktur abhängig ist, von der Beschaffenheit der Umwelt sowie der Verfügbarkeit von Präferenzen.
Aus Sicht einer solchen allgemeinen Lerntheorie kann man statt biologischen Systemen auch programmierbare Maschinen betrachten. Verglichen mit biologischen Systemen kann man den programmierbaren Maschinen ein Äquivalent zum Körper und zur Umwelt spendieren. Grundlagentheoretisch wissen wir ferner schon seit Turing (1936/7), dass programmierbare Maschinen ihr eigenes Programm abändern können und sie prinzipiell lernfähig sind. Was allerdings (siehe zuvor das Thema Präferenz) bislang unklar ist, wo sie jeweils die Präferenzen herbekommen sollen, die sie für eine ’nachhaltige Entwicklung‘ benötigen.
ZUKUNFT VON MENSCH UND MASCHINE
Im Licht der Evolution erscheint die sich beschleunigende Zunahme von Komplexität im Bereich der biologischen Systeme und deren Populationen darauf hinzudeuten, dass mit der Verfügbarkeit von programmierbaren Maschinen diese sicher nicht als ‚Gegensatz‘ zum Projekt des biologischen Lebens zu sehen sind, sondern als eine willkommene Unterstützung in einer Phase, wo die Verfügbarkeit der Gehirne eine rapide Beschleunigung bewirkt hat. Noch bauen die biologischen Systeme ihre eigenen Baupläne nicht selbst um, aber der Umbau in Richtung von Cyborgs hat begonnen und schon heute ist der Einsatz von programmierbaren Maschinen existentiell: die real existierenden biologischen Kapazitätsgrenzen erzwingen den Einsatz von Computern zum Erhalt und für die weitere Entwicklung. Offen ist die Frage, ob die Computer den Menschen ersetzen sollen. Der Autor dieser Zeilen sieht die schwer deutbare Zukunft eher so, dass der Mensch den Weg der Symbiose intensivieren wird und versuchen sollte, den Computer dort zu nutzen, wo er Stärken hat und zugleich sich bewusst sein, dass das Präferenzproblem nicht von der Maschine, sondern von ihm selbst gelöst werden muss. Alles ‚Böse‘ kam in der Vergangenheit und kommt in der Gegenwart vom Menschen selbst, nicht von der Technik. Letztlich ist es der Mensch, der darüber entscheidet, wie er die Technik nutzt. Ingenieure machen sie möglich, die Gesellschaft muss entscheiden, was sie damit machen will.
Detlef H.Rost, Handbuch der Intelligenz, 2013: Weinheim – Basel, Beltz Verlag
Joachim Funke (2006), Kap.2: Alfred Binet (1857 – 1911) und der erste Intelligenztest der Welt, in: Georg Lamberti (Hg.), Intelligenz auf dem Prüfstand. 100 Jahre Psychometrie, Vandenhoek & Ruprecht
William Stern, Die psychologischen Methoden der Intelligenzprüfung und deren Anwendung an Schulkinder, 19121: Leipzig, J.A.Barth
Alan M. Turing, On computable numbers, with an application to the Entscheidungsproblem. Proceedings of the London Mathematical Society, 42(2):230–265, 1936-7
Gerald M.Edelman, Bright Air, Brilliant Fire. On the Matter of the Mind, New York: 1992, Basic Books
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1. Das Thema der Digitalisierung der Gesellschaft zieht sich ja wie ein roter Faden durch viele Beiträge in diesem Blog. Was auch nicht wirklich verwundert, da in diesem Blog die Digitalisierung der Gesellschaft nicht als Zufall angesehen wird, nicht als bloß kreative Laune einiger weniger, sondern – bei näherer Betrachtung – als Teil eines biologischen Evolutionsprozesses, der eine eigene Logik besitzt, innerhalb deren die Digitalisierung der biologischen Population (und der gesamten Welt) eine starke Präferenz besitzt.
KEIN ERKENNTNISAUTOMATISMUS
2. Aus dieser quasi naturgegebenen Präferenz folgt allerdings nicht, dass die Beteiligten in diesem Prozess deswegen automatisch voll im Bilde sind. Die Geschichte des homo sapiens (sapiens) lässt eher den Eindruck entstehen, dass diese biologische Art zwar die grundsätzliche Möglichkeit zu symbolischen Wissenserwerb und symbolischer Kommunikation besitzt, diese Möglichkeit aber nur sehr mühsam, langwierig, unter vielen Opfern und Fehlern erlernen musste und noch immer den Lernmodus nicht verlassen hat.
3. Es gibt auch keine Garantien, dass ein gewisser Leistungs- und Wissensstand sich quasi von selbst stabilisiert. Dies liegt u.a. daran, dass das Wissen immer wieder neu in jedem Individuum aktualisiert werden muss. Dies wiederum impliziert viele Nebenbedingungen. So kann mit dem Anwachsen des Wissens (und der komplexen Artefakte) ein einzelner gar nicht mehr alles wissen. Es braucht also viele verschiedene Einzelne, Experten für bestimmte Wissensausschnitte, die dann wiederum miteinander kommunizieren müssen. Bei den aktuellen biologischen Kapazitätsgrenzen ist schnell der Punkt erreicht, wo die Menge des Wissens letztlich nicht mehr sinnvoll verarbeitet werden kann (von mir vor Jahren negative Komplexität genannt).
IMMER WIEDER VON VORNE?
4. Computer, Datenbanken, Netzwerke können dazu beitragen, dass Teile des Wissens überindividuell gesammelt und gespeichert werden, sie lösen aber nicht das Problem, dass die individuellen Gehirne dennoch begrenzt sind. Was nützen Terabytes von gespeicherten Daten, wenn ein einzelnes Gehirn vielleicht nur ein paar hundert Megabyte symbolische Informationen pro Jahr verarbeiten kann? Und die Gehirne von neuen Generationen müssen immer wieder neu beim Punkt Null anfangen.
REGRESSION ALS AUSWEG?
5. Zur Zeit kann man wieder – wie so oft in der Geschichte – beobachten, wie die Menschen vermehrt Parolen der Abgrenzung äußern, Abschottung, das Andere automatisch als das Fremde deklarieren, versuchen, das Bisschen was sie haben, gegen vermeintliche Gefahren zu schützen. Solche Rückzüge auf das vermeintliche Einfachere, Sichere nennen die Entwicklungspsychologen Regression, ein Fall von Rückentwicklung.
6. Dies kann immer passieren, wenn die Verarbeitung der Wirklichkeit in Form angemessener Wissensmodelle nicht gut genug funktioniert, wenn die Modelle von der Welt im Kopf mit der realen Welt nicht mehr Schritt halten: Mangel an Wissen, Mangel an Lernen.
UNSERE ACHILLESVERSE
7. Dies deutet auf eine Achillesverse des bisherigen Wissensprozesse des homo sapiens (sapiens) hin. Er hat zwar immer mehr Techniken entwickelt, zu denken, zu modellieren, Modellgetrieben zu handeln, Wissen symbolisch zu repräsentieren, zu speichern, er hat aber noch kein gutes Verfahren gefunden, wie die individuellen Lernprozesse mit der gewaltigen Wissensexplosion Schritt halten sollen.
8. Die Versuche, digitale Technologien im Lernprozess zu nutzen (wenn es denn geschieht) sind zwar nett, lösen aber das Problem nicht wirklich. Der Zugang zu mehr Daten, die Visualisierung mit 3D und spielerischen Kontexten ist im ersten Moment vielleicht aufregend, verglichen mit den Körpererfahrungen realer Menschen in realen Welten ist es aber nichts qualitativ Neues. Vor allem macht sie aus einem endlichen Gehirn kein unendliches. Sie kann sogar kontraproduktiv sein wenn die digitale Welt (die ein mehrfach vereinfachtes Bild der realen Welt ist) sich direkt mit der virtuellen Welt eines biologischen Gehirns verknüpft und diese virtuelle Welt des Gehirns dann noch weniger Kontakt mit der realen Welt hat. Der Mangel an Realität im virtuellen Gehirn würde dadurch eher noch verstärkt.
WANN FANGEN WIR AN?
9. Irgendwann muss der homo sapiens (sapiens) lernen, dass er selbst zwar einerseits der Schöpfer, der Erfinder, der Macher der neuen digitalen Welt ist, dass er aber auf Dauer nicht umhin kommt, sich selbst emotional und kognitiv massiv weiter zu entwickeln. Solange der aktuelle homo sapiens (sapiens) schon bei kleinen Belastungen zu einem rassistischen Tier mutieren kann, dass blindlings alles schwarz-weiß malt, alles Andersartige, Fremde, Neue zum Feind erklärt, bereit ist, mit Gewalt alles andere wegzusperren, zu vernichten, solange ist der homo sapiens (sapiens) nicht in der Lage, die Errungenschaft einer digitalisierten Welt nachhaltig konstruktiv zu nutzen.
NEUE MASCHINEN-WELTRELIGION
10. In den Medien, in den Filmen, TV-Serien, Büchern findet sich eine starke Tendenz, in dieser Situation die neuen intelligenten Maschinen weit zu überhöhen, ihnen geradezu transzendente, religiöse Bedeutung zuzugestehen und den Menschen als üblen, nichtsnutzigen Burschen, der ausgedient hat, in den Abgrund der Geschichte zu werfen. Einzelne Versuche, die Großartigkeit des Menschen dagegen zu halten, wirken da eher schwach, hilflos, oder wie ein letzter Reflex von Menschen, denen nichts Besseres mehr einfällt.
11. Abgesehen davon, dass kaum einer von denen, die diese neuen religiösen Bilder der intelligenten Maschinen propagieren, wirklich verstanden hat, was denn letztlich intelligente Maschinen sind, sein können, wird übersehen, dass diese neue schöne Welt der Maschinen ja jenseits der digitalen Wunder noch immer auch reale Maschinen sind, die real Ressourcen benötigen, nicht zuletzt Energie, und dass diese Ressourcen und diese Energie immer begrenzt sein wird. Darüber hinaus sind die Ressourcen – wie der homo sapiens (sapiens) in seiner Geschichte leidvoll erfahren konnte – eingebettet in einen Naturprozess, der seine eigene Dynamik hat, der sich keinesfalls um irgendwelche digitalen Pläne kümmert, sondern aus sich heraus stattfindet. Die reale Existenz von Supermaschinen ist in diesem Sinne genauso beständig gefährdet wie die von realen Menschen (und überhaupt Lebewesen). Sofern also Maschinen irgendwann einmal tatsächlich soviel Intelligenz besitzen würden, dass sie sich um ihre maschinelle Existenz sorgen könnten, dann würden sie nicht umhin können, ihre Existenzbedingungen kritisch zu durchleuchten und würden dann genauso vor die Frage gestellt werden, ob sie sich gegenseitig ausrotten, um sich selbst zu retten, oder ob es überindividuelle Konzepte geben könnte, die für alle eine nachhaltige Lösung versprechen.
12. Wenn die neue Religion der intelligenten Maschinen (propagiert von Menschen!) also meint, die eigenen Probleme an diese neuen Maschinensuperwesen abgeben zu können, dann wird das Problem damit nur vertagt. Das Problem wer wann wie wofür in diesem Universum leben will, wird sich auch für intelligente Maschinen stellen, sofern sie überhaupt einmal eine entsprechende Intelligenz erreichen würden.
UNSER BEGRENZTES WISSEN
13. Dass es überhaupt zu solchen Merkwürdigkeiten wie Regression von Menschen einerseits oder neuen Maschinenreligionen andererseits kommen kann, liegt daran, dass die virtuellen Bilder in den Köpfen realer Gehirne verglichen mit der realen Welt weitgehend unterentwickelt sind. Selbst die intelligentesten Köpfe heute weisen eine erschreckende Einseitigkeit auf und die Politik weltweit demonstriert täglich eine große Unfähigkeit, ein Miteinander zu finden, in dem Probleme gelöst werden anstatt sie zu perpetuieren oder gar neu zu schaffen. Obwohl es klar ist, dass die virtuellen Bilder in den realen Gehirnen nicht automatisch entstehen und nicht automatisch wahr sind, kümmert sich eine Gesellschaft wenig darum, welcher Schrott täglich über alle Kanäle in die Gehirne gepumpt wird, diese damit überflutet, falsch programmiert – quasi eine gesellschaftlich unterstütze Gehirnwäsche –, um zugleich viele Milliarden für Bildungssysteme auszugeben, die dennoch täglich ächzen und stöhnen, seltsam unvermittelt neben der realen Gesellschaft stehen, und mit dem medialen Ansturm auf die Gehirne der jungen Menschen kaum Schritt halten können.
WENDEPUNKT?
14. Möglicherweise haben wir den Punkt erreicht, an dem ein Mehr an Technik alleine nicht mehr hilft, sondern wo sich der homo sapiens (sapiens) mal tatsächlich mit sich selbst beschäftigen muss, wer er wirklich ist, wo er herkommt, was mögliche Aufgaben sind, wie ein Miteinander möglich ist in all der Vielheit. Die alten bekannten Religionen sind hier weitgehend Hindernisse, weil sie virtuelle Bilder transportieren, die schlicht falsch sind und eine tiefer greifende wahre Erkenntnis verhindern.
15. Dieser Gedanken ist kein Technikverbot sondern eine Ermunterung, neben der Technik auch die biologische Dimension des Lebens auf der Erde, im Universum, intensiver zur Kenntnis zu nehmen und sich neu, radikal Gedanken zu machen, was das überhaupt bedeutet. Die bisherigen Ethikkommissionen, Grundrechte, religiösen Bekenntnisse sind kein Ersatz für wahre Erkenntnis. Sie zementieren Unwahrheiten in den Köpfen, die ein wahres Leben behindern. Man kann dies auch so sehen, dass wir heute unsere heutige, neue Religion brauchen, eine neue fundamentale Spiritualität, die ja da ist, in jedem Lebewesen, und mehr…
Einen Überblick über alle Blogbeiträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.
1. Heute hier nur ein Blitzmemo zur Sitzung gestern. Nächstes Mal wieder länger.
2. Das gewählte Thema lautete ‚Was macht das alles mit uns?‘ und bezog sich auf das breite Problemspektrum, das die Digitalisierung in den modernen Gesellschaften mit sich bringt.
3. In der Einführung wurde mit Bezug auf die Blogbeiträge VERSCHRÄNKUNG VON REALITÄT UND VIRTUALITÄT – ZUKUNFT ODER ENDE DES MENSCHEN? – Randbemerkungen zu einer Veranstaltung des DAM Frankfurt 2.März 2016 , DIGITALISIERUNG UND DIE RELIGIONEN, sowie DENKEN UND WERTE – DER TREIBSATZ FÜR ZUKÜNFTIGE WELTEN (Teil 1) eine Reihe von Auswirkungen der Digitalisierung auf uns vorgestellt. Dies führte dann unmittelbar zur Fortsetzung des gemeinsamen Diskurses.
4. Wie die Gedankenskizze erkennen lässt, gab es einige größere Themenkomplexe.
5. Es wurden verschiedene Beispiele geschildert, wie Teilnehmer die Digitalisierung negativ erleben, speziell auch im Arbeitsbereich. Ein großes Thema hier die zunehmende Überwachung und Kontrolle, sogar initiiert von Mitarbeitervertretungen. Zum anderen die weitere Automatisierung des Gesundheitswesens. Prominentes Beispiel die Ersetzung von Ärzten in der Diagnose durch ein Computerprogramm.
6. Auf der anderen Seite mögliche Gegenreaktionen über mehr Aufklärung, Boykott von Dienstleistungen, Veränderung der öffentlichen Debatte über Werte und gesellschaftliche Rahmenbedingungen.
7. Generell empfinden alle die Digitalisierung als etwas Reales, eher Bedrohliches, Angst auslösend.
8. Ein anderer Tenor ging in die Richtung, dass diese Entwicklung möglicherweise evolutionär ‚erzwungen‘ ist mit der offenen Frage, wie man diese Entwicklung gestalten kann. Letztlich sind wir Menschen die Handelnden und es liegt an uns, wie wir damit umgehen. Sollen die Menschen letztlich abgeschafft werden oder kann es nicht – analog der alten Visionen von Asimov (und anderen) – neue Gesellschaftsmodelle geben, in denen Menschen ein lebenswertes Leben auch ohne Arbeit führen können? Automatisierung als gesellschaftliches Projekt, das die Kreativität des Menschen ganz neu freisetzen könnte?
9. Die neuen Erkenntnisse aus dem Bereich der Mikrobiologie deuten in die Richtung, dass das entscheidende Erfolgsrezept der Evolution bei der Entwicklung immer komplexerer biologischer Strukturen das Prinzip der Kooperation ist. Der Körper des homo sapiens ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür: wir erleben einen einzigen Körper, dieser besteht aber aus vielen Billionen einzelnen Zellen, jede individuell, autonom, und doch wirken sie zusammen. Da können wir sicher noch eine Menge lernen.
10. Beim Ausblick auf das nächste Mal wollte die Gruppe sich ein einzelnes Thema genauer herausgreifen und dieses philosophisch reflektieren. Ausgewählt wurde – aufgrund aktueller Pressemeldungen – der angekündigte Einsatz eines Computerprogramms in der Marburger Klinik, das die Ärzte im Bereich Diagnostik ersetzen soll. Was heißt dies? Was kann solch ein Programm? Was heißt dies für uns Menschen sowohl als Patient als auch als Arzt, der ersetzt wird? Was bedeutet dies für das Krankenhaus der Zukunft? usw. Die Frage soll am Beispiel des IBM-Programms Dr.Watson diskutiert werden.
Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge zur Philosophiewerkstatt bzw. dem Philosophiesommer 2016 fndet sich HIER.
Die nachfolgenden Gedanken wurden angeregt von einem Kamingespräch in Karlsruhe, am 8.März 2016, in denen sich Vertreter der evangelischen Kirche zusammen mit unterschiedlichen Experten der Frage stellten, was die Digitalisierung der Gesellschaft aus Sicht der Religionen bedeutet. Die hier niedergeschriebenen Gedanken geben nicht das Gespräch selbst wieder sondern sind Gedanken, die sich für cagent – angeregt durch das Gespräch – im Nachhinein ergeben haben.
VIELFALT DER PHÄNOMENE
Ins Auge springend ist die Vielfalt der Phänomene, die sich mit der Digitalisierung verknüpfen. In nahezu allen Lebensbereichen trifft man auf Phänomene der Digitalisierung. Eine neue Technologie macht es möglich, dass man Objekte und Vorgänge der bekannten realen Objekt- und Körperwelt in digitale Strukturen transformiert. Statt direkt redet man über Medien miteinander; statt ein richtiges Buch liest man elektronische Artikel, Bücher, schaut Videos. Anstatt Live-Musik hört man gestreamte Musik, anstatt reale Akten werden nur noch digitale Akten benutzt. Aktivitäten im realen Raum werden im digitalen Raum repräsentiert und werden damit rund um die Uhr global zugänglich.
REAL – DIGITAL
Während im realen Raum reale Geschäfte mit realen Objekten hantieren, können im digitalen Raum Firmen auf die digitalisierten Objekte von überall zugreifen, unauffällig, unsichtbar. Während es im realen Raum verboten ist, die Privatsphäre eines Menschen zu verletzten oder seinen Körper gegen seinen Willen zu benutzen, ist dies im digitalen Raum gang und gäbe: alle Regungen eines Menschen werden über Smartphones und Internetzugang protokolliert, aufgezeichnet, vermessen und ohne Wissen des Verursachers weltweit verkauft.
Während die Menschen im realen Raum gelernt haben, unterschiedliche juristische Regeln einzuführen, Menschenrechte, politische Regularien, soziale Verhaltensweisen, Solidarität, Verantwortung, scheinen diese Regeln im digitalen Datenraum außer Kraft gesetzt zu sein. Die globalen IT-Firmen geben sich die Regeln selbst, beuten aus, monopolisieren, manipulieren mit neuen Techniken die Menschen. Autokratische-diktatorische und unsolidarische Verhaltensweisen werden zum neuen Standard.
AUFKÜNDIGUNG ALTER STANDARDS
Diese Aufkündigung vieler bisherigen Werte ist eigentlich nicht durch irgend etwas gerechtfertigt. Und doch gibt es bislang wenig Widerstand, wenig Widerspruch. Der normale Benutzer genießt seine neuen Handlungsfähigkeiten, die Politik hofiert die neuen Diktatoren und lässt den Cyberkriminellen ihren Lauf.
MENSCH ALS AUSLAUFMODELL
Die Nutzung der neuen digitalen Technologien geht einher mit einer naiven Technikverherrlichung gepaart mit einer neuen Nichtbeachtung und Verachtung des Menschlichen. Für Transhumanisten ist der Mensch eine aussterbende Spezies und ’nicht der Rede wert‘. Er wird einfach totgeschwiegen. Wirkliche harte Argumente gibt es weder für diese Geringschätzung noch für den nativen Glauben, dass die intelligenten Maschinen in der Zukunft all das besser werden machen können, was die Menschen nicht geschafft haben. Hier entsteht so etwas wie eine neue Weltreligion der naiven Maschinenverherrlichung (Anmerkung 4.Juli 2018: Diese Wertung des ‚Transhumanismus‘ ist möglicherweise zu eng, zu einseitig. In späteren Beiträgen dieses Blogs wird deutlich, dass die Logik der Evolution möglicherweise gerade in Richtung ‚Cyborgisierung‘, ‚Transhumanismus‘ läuft…Einen guten Einstieg in die vielfältigen Richtungen von Transhumanismus samt Publikationen findet sich auf der Englischsprachigen Wikipedia-Seite zum Stichwort ‚Transhumanism‚.)
SOFTWARE ALS UNERBITTLICHER PARTNER
Wenn im Alltag Arbeitsprozesse von Software unterstützt oder gar ersetzt werden, dann entsteht häufig die bizarre Situation, dass Menschen ihr Verhalten durch die Software vorgeschrieben wird. Als Mensch ist man flexibel, kann dazu lernen, kann sich unterschiedlichen Situationen anpassen, aber die heutigen Programme sind dumm, starr, unbelehrbar, unkorrigierbar, lassen nicht mit sich diskutieren. Es ist eigentlich eine Zumutung, dass Menschen, die komplexesten Wesen des bekannten Universums, sich solchen dummen Abläufen unterwerfen müssen; Menschen haben diese Programme geschrieben, haben Abläufe dekretiert, damit andere Menschen sich danach sklavisch verhalten.
… AUCH DER MENSCH KANN STUR SEIN
Andererseits, bevor es Software gab, gab es natürlich auch Menschen, die stur ihre Pflicht getan haben, die die Paragraphen in ihrem Sinne manipuliert haben, die nicht mit sich reden ließen, … allerdings war dies dann eine konkrete Person, sie war ansprechbar, sie hatte die Verantwortung, man konnte sich über sie aufregen, mit ihr reden, sich beschweren. Programme werden als ewige Gesetze behandelt: das ist der Computer; da können wir nichts machen.
NEUE MEDIEN NICHT FEINDLICH?
Von kirchlicher Seite wird oft betont, dass neue Medien nicht grundsätzlich feindlich zu betrachten sind, da ja die christliche Religion selbst erst durch Medien (Sprache, Texte, Liturgien, Musik, Bilder, …) kommuniziert werden konnten. Allerdings übersieht dieses Argument, dass die neuen computergestützten Medien nicht einfach nur alte Inhalte in einem neuen Gewand transportieren. Computergestützte Medien verbinden alte Inhalte mit neuen Kontexten, sind jederzeit änderbar, machen ihre Benutzer (für den Benutzer kaum merkbar) in neuer Weise global sichtbar, machen ihn (für den Benutzer kaum merkbar) digital verwertbar, und manipulierbar. Wer Millionen, ja sogar Milliarden Benutzer nahezu in Echtzeit überwachen kann, kann ihn auch gezielt anhand der messbaren Bedürfnissen und Vorlieben ködern, animieren, verführen und zu Handlungen ermutigen, die das Leben von Menschen massiv verändern können.
Neu ist nicht, dass Menschen manipuliert und verführt werden können. Dies haben Menschen mit Menschen schon immer gemacht und wird im positiven Fall vielleicht Erziehung genannt, Ausbildung. Neu ist hier die Intransparenz, dass hier nicht ein Mensch eine Schulklasse oder einen Hörsaal manipulieren darf, sondern dass Unbekannte auf intransparente Weise Millionen von Menschen gleichzeitig manipulieren können, ohne das dies sichtbar ist.
STILLE HOFFNUNGEN … DIGITALES ICH
Hinter dieser zunehmenden Ersetzung der natürlichen Objektwelt durch digitale Strukturen und Abläufe steckt auf der einen Seite die positive Hoffnung, die Situation für die Menschen zu verbessern (Automatisierung der Arbeit, Verminderung von Gefahrensituationen, Überwindung von Komplexitätsschranken, Überwindung von Einsamkeit, Verbesserung der Pflege, schneller mehr Geld verdienen, von der Willkür anderer Menschen unabhängig zu werden, bequemer einkaufen, größere Auswahl beim Einkaufen, unabhängig werden vom lokalen Anbieter, Zugang zu mehr Kunden, Senkung von Vertriebskosten, bessere Erreichbarkeit von Adressaten, …), andererseits verschieben sich die Bedingungen des Menschseins von der unmittelbaren Körperlichkeit zu einer erweiterten Körperlichkeit mit digitalen und technischen ‚Körperteilen‘, die neu auf andere einwirken und die neu von anderen benutzt werden können. Das digitale Ich bezieht seine Identität nicht mehr nur über seine körperliche Erscheinungen sondern auch über seine digitalen Spuren, digitalen Präsenzen und den digitalen Feedbacks. Die ‚Likes‘ von facebook müssen nichts weiter bedeuten, können aber ein Selbstwertgefühl steigern. Das Anwachsen von digitalen Benutzerzahlen erfüllt mit Stolz obwohl es Spamprogramme sein können, Softwarebots, die menschliche Benutzer nur imitieren. In Wirklichkeit habe ich vielleicht nicht 1000 Benutzer sondern nur 50, alle anderen sind gefaked, wie man sagen würde.
DIGITALE REVOLUTION EVOLUTIONÄR KONSEQUENT?
Nimmt man die Beliebtheit der Nutzung neuer digitaler Dienste als Indiz, dass die neuen digitalen Technologien neue positive Verhaltensmöglichkeiten schaffen, dass neue Geschäftsmodelle möglich werden, die die Weltwirtschaft nachhaltig neu gestalten, dann wird man geneigt sein zu sagen, dass die Digitalisierung positiv das Menschsein beeinflusst. Auf dieser Linie liegen auch die Erkenntnisse der biologischen Evolution, nach der mit dem Aufkommen des Gehirns des homo sapiens in Verbindung mit Computer, Datenspeicher und Netzwerken sich die Geschwindigkeit der Evolution exponentiell beschleunigt hat.
KEINE BESCHLEUNIGUNG VON PSYCHE UND ETHIK
Was sich nicht in gleicher Weise beschleunigt hat, das sind die psychischen Strukturen der Menschen, ihre individuellen Verarbeitungskapazitäten, die Normen und Ethiken, nach denen Menschen zu handeln gelernt haben. Ferner erleben wir mit dem Umbruch des Digitalen – wie schon so oft in der Geschichte – einen neuen Raubtierkapitalismus, der die Neuheit der Situation ausnutzt und versucht, ganz egoistisch, individualistisch, klassisch gierig und klassisch autoritär, die Situation für sich auszunutzen. Die feudalistischen Systeme der Vergangenheit erleben im Digitalen eine gewisse Renaissance.
AUFKLÄRUNG 2.0?
Wichtig ist allerdings, dass dies nicht zwangsweise so sein muss. Die Menschen haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie über Prozesse der Aufklärung, über politische Prozesse die Gestalt einer Gesellschaft in Richtung mehr Solidarität prägen konnten. Brauchen wir eine Aufklärung 2.0? Brauchen wir eine Radikalisierung des Wissens über den Menschen bei zugleich mehr kritischem Bewusstsein über intelligente Maschinen? Was können intelligente Maschinen wirklich? Worauf gründet der Glaube, dass sie besser sein können als die Menschen? Was ist mit den ungeklärten Ziel- und Wertefragen der Menschen: können intelligente Maschinen besser mit Werten umgehen als Menschen?
QUASI-INTELLIGENZ
Diese Fragen werden bislang nicht diskutiert. Sie werden nicht einmal gestellt. Allerdings kann jeder wissen, wenn er will, dass intelligente Maschinen sehr wohl von Wertefragen abhängen. Die heutigen sogenannten intelligenten Algorithmen sind noch nicht wirklich intelligent, nur quasi-intelligent; sie können Ereignisse, die auftreten, statistisch aufbereiten und Tendenzen ermitteln. Sie können aber nicht Ereignismodelle mit Blick auf mögliche Kontexte im Stil von Menschen bewerten.
Die google-amazon-facebook und ähnliche Algorithmen sind per se nicht in der Lage, die Fakten, die ihnen eingespeichert werden, mit Blick auf den Entstehungszusammenhang Mensch-Erde zu bewerten. Sie nehmen alles für bare Münze, natürlich auch Fehler und Schrotteingaben. Sie können nicht zwischen sinnvoll und nicht sinnvoll unterscheiden. Schon jetzt sind diese Algorithmen angefüllt mit viel Datenschrott, den sie für wahr halten. Sie selbst können sich nicht korrigieren und Menschen können dies schon lange nicht mehr, da kein einzelner Mensch diese Algorithmen und Datenmengen noch sinnvoll bewerten kann. Die Manager dieser Firmen vertrauen auf ein algorithmisches Datenungeheuer, für das es nur eine Frage der Zeit ist, bis es sich selbst zerstört, und damit leider uns alle mit.
RENAISSANCE DES MENSCHEN?
Der Mensch wird heute von den Propheten der intelligenten Digitalisierung tendenziell eher klein geredet, entwertet, zum Auslaufmodell erklärt. Dies in einem Abschnitt der Wissenschaftsgeschichte, in der gerade sichtbar wird, wie ungeheuerlich der Mensch ist, wie fantastisch, wie unfassbar, von einer Komplexität, die unser menschliches Denken bei weitem übersteigt. D.h. wir selbst verstehen von uns, dem homo sapiens, und unserer Stellung im Gesamt des Lebens und des Universums bislang nur ein Zipfelchen, und doch erdreisten sich die Vertreter der naiven Maschinenreligion den Menschen zum Auslaufmodell zu deklarieren (was sie selbst dann auch sind).
RENAISANCE DER RELIGION?
Man kann die verschiedenen großen Religionen (Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam) in vielen Dingen kritisieren, was sie aber als fundamentale Botschaft in das Bewusstsein der Menschheit überbracht haben, das ist die mögliche Verbundenheit des einzelnen Menschen mit dem Ganzen, mit dem, was Schöpfer/ Gott genannt wird, als eine Wirklichkeit, die jeder persönlich real erfahren kann ohne Vermittlung durch irgend jemanden anderen, ohne Notwendigkeit zusätzlicher Mittel, nur er selbst als Lebewesen. Diese Erfahrung gehört genauso zur Welterfahrung wie Zahnschmerzen, dass es regnet, dass die Sonne glühend heiß sein kann, dass der Körper Schmerzen erfahren kann.
Für die Frage der Zielfindung, der Präferenzenbildung ist diese Erfahrungsmöglichkeit fundamental, und übersteigt die Fitnessregeln der biologischen Evolution vor dem Erscheinen des homo sapiens. Der homo sapiens hat mit seinem Gehirn nicht nur eine neue kognitive Revolution eingeleitet, sondern auch eine neue emotionale-psychische transzendente Revolution. Diese Dimension, in der Vergangenheit (mindestens die letzten 5000 Jahre) in Formen unterschiedlicher Religionen manifest geworden, war aber überlagert mit vielen historisch-kulturellen Besonderheiten, durchtränkt von den üblichen Geld und Machtpraktiken der Menschen, eingesperrt in alte Begrifflichkeiten, so dass die Wucht dieser neuen Befindlichkeit des Lebens auf der Erde und im Universum kaum zum Strahlen kam (wenn man überprüfen würde/könnte, wie viele der offiziellen religiösen Funktionäre tatsächlich, real ihre Gottesbeziehung haben, würde man möglicherweise eine (negative) Überraschung erleben…).
Angesichts des in Mode gekommenen schlechten Redens über den Menschen bar jeglicher Kenntnisse über das im Menschen anwesende Wunder wären eigentlich die Religionen berufen, die Tiefendimension des Menschen im Einklang mit den Wissenschaften sichtbar zu machen. Doch bisher scheinen die Religionen so sehr mit sich selbst und ihren Skurrilitäten beschäftigt zu sein, dass sie in dieser wichtigen Rolle bislang ausfallen.
Die Geschichte ist mit der digitalen Revolution keinesfalls zu Ende, auch wird sie mit Sicherheit nicht in der Alleinherrschaft der Maschinen enden. Eine Garantie für einen Erfolg – was immer dies in der Zukunft heißen mag – gibt es aber dennoch nicht. Denn nicht nur hat der Mensch mit seiner Freiheit bislang zur Genüge bewiesen, dass er sogar sich selbst auszurotten vermag, auch die Software produziert Unsinn und Fehler in Massen, nicht nur, weil schlechte Programmierer schlechte Programme schreiben.
U.Ackermann (2014), DIE DIGITALE REVOLUTION – Eine Herausforderung für die Freiheit, in: U.Ackermann (Hg.), Freiheitsindex Deutschland 2014 des John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung, Frankfurt am Main: Humanities online
KONTEXT
1. In diesem Blog wurde schon mehrfach das Thema Neue Technologien und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft angesprochen. Das kleine Büchlein vom John Start Mill Institut unter der Leitung von Ulrike Ackermann passt sehr gut in diese Thematik.
ACKERMANN – FREIHEIT
2. Insbesondere der Beitrag der Herausgeberin Ulricke Ackermann fällt – im Vergleich zu vielen anderen Publikationen zu diesem Thema – sehr positiv auf. Das Freiheitsthema wird sehr differenziert heruntergebrochen auf die großen Dimensionen Individuum, Alltag und Politik, und das Ineinanderspiel von realer und virtueller (digitaler) Welt wird sachkundig an vielen Beispielen vorgestellt und kritisch gewürdigt.
3. Fernab einer einfachen Schwarz-Weiß-Malerei findet sie sowohl Worte für die unbestreitbaren neuen Möglichkeiten und Vorzüge, die die neue digitale Welt auf allen Ebenen eröffnet, deutet aber zugleich auch hin auf die unübersehbaren Risiken und schleichenden Tendenzen zu einer immer größeren Vereinnahmung des einzelnen auf allen Ebenen.
4. In der europäischen Aufklärungstradition und im Kontext von Menschenrechten und Demokratien wurde die konstitutive Bedeutung einer realen Privatheit für das Leben einer Demokratie, zwar nur sehr langsam, aber dann doch mit großer Entschiedenheit erkannt und in der Gesetzgebung verankert. Durch den immer leichteren Zugang auf private Daten durch die modernen Technologien und durch neue globale digitale Geschäftskonzepte, in denen die kostenlose Nutzung gegen höchst intime Datenausbeutung getauscht werden, gekoppelt mit der als ‚Fürsorge‘ getarnte Datensammlung von Behörden, geraten wir aber in eine Situation, in der die hochgeschätzte Privatheit mit ihren speziellen Freiheitsrechten sich mehr und mehr buchstäblich in Luft auflöst. Während die europäischen Institutionen den Eindruck erwecken, die Idee der Privat hochhalten zu wollen, verursachen die deutschen Regierungsvertreter einen Eindruck, als ob sie – entgegen offiziellen politischen Verlautbarungen – real eher eine starke Liberalisierungsformel (sprich: eine Auflösung der Privatheit) vertreten.
5. Die Fülle der Details im Artikel zeugen von großer Sachkenntnis und können hier nur erwähnt werden.
DISKUSSION
6. Eigentlich kann man dem Artikel nur Positives abgewinnen. Dennoch bleiben wichtige Fragen offen, denen im Rahmen dieses Blogs versucht wird, nach zu gehen.
7. Die Diskussion im Beitrag von Ulrike Ackermann folgt den großen Linien der europäischen Aufklärung und den aktuellen Werten der Menschenrechte und den grundlegenden Verfassungstexten in Deutschland und Europa. In diesem Rahmen ist die Argumentation schlüssig.
8. Einem aufmerksamen Betrachter der Menschenrechts- und Grundgesetzdiskussion (vgl. die 11-teilig Diskussion zum Begriff ‚Menschenwürde‘ im Kontext des gleichnamigen Buches von Paul Tiedemann in diesem Blog) wird aber nicht entgangen sein, dass sich die aktuellen Interpretationen dieser Werte im Bereich der Rechtsexperten eher in die Richtung bewegt, dass eine klare Begründung mindestens schwierig, wenn nicht gar unmöglich wird. Selbst ein Paul Tiedemann, dem die Bewahrung der Menschenwürde ein großes Anliegen ist, muss für die Begründung seines Standpunktes zu Argumentationen greifen, die alles andere als selbsterklärend sind.
9. Erweitert man den Blick auf die Entwicklung des Menschenbildes in den Naturwissenschaften und den technologienahen Bereichen, dann muss man konstatieren, dass die Naturwissenschaften, sofern sie überhaupt einen Bezug zum Menschenbild nehmen, den Menschen in keinster Weise so sehen, wie Grundgesetz und Menschenrechte dies voraussetzen. In den Naturwissenschaften ist der Mensch der Aufklärung praktisch verschwunden: eine Ansammlung von Molekülen, Atomen, Teilchen ohne jegliche spezifische Bedeutung und damit ohne jegliche Werte.
10. Bedenkt man, dass diese Verschiebungen im Weltbild zusätzlich einhergehen mit einem dramatischen Abbau von geistes- und sozialwissenschaftlichen Lehrstühlen und Standards, dann werden hier auch mögliche Quellen alternativer kritischer Betrachtungsweisen schlichtweg ausgelöscht.
11. Ein weiteres Moment ist die ‚Form‘ der Technologie. Mit dem Aufkommen von ‚intelligenten‘ Maschinen erleben wir nicht nur eine weitere industrielle Revolution, die bisherige Industrien und Arbeitswelten bedrohen, sondern wir erleben einen Frontalangriff auf alsbald scheinbar alle Fähigkeiten, die bislang als ‚typisch Menschlich‘ galten. Was dies für die bisherigen Gesellschaften bedeuten, ist schwer voraussagbar. Auf keinen Fall kann es ein einfaches ‚weiter so‘ wie bisher geben.
12. Sieht man diese neuen technologisches Möglichkeiten mit der simultanen Erosion des aufklärerischen Menschenbildes (repräsentiert in den Menschenrechten) und der Tendenz selbst demokratischer Regierungen, die Besonderheit des Menschen ‚zu opfern‘, dann kann man erahnen, dass die bisherige (‚klassische‘) Freiheitsdiskussion erheblich ausgeweitet und radikalisiert werden muss. Der Mensch selbst steht zur Debatte in einer Weise, wie wir es noch nie erlebt haben.
13. Genuine ‚Anwälte‘ des Menschen sind aktuell schwer identifizierbar. Die klassischen Offenbarungsreligionen taugen hier – wie schon in der Vergangenheit – nur sehr begrenzt. Ihre Menschenbilder sind bis heute zu stark mit vorwissenschaftlichen Bildern durchsetzt.
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