Worum geht’s — Meine Antwort auf die von vielen gestellte
Frage, wie denn die verschiedenen Seiten untereinander zusammen hängen, war zu schnell (siehe den Blogeintrag vom 14.November ). Hier eine Korrektur.
I. EIN PHILOTOP
Wie man unschwer erkennen kann, ist das Wort
’Philotop’ eine Übertragung von dem Wort ’Biotop’.
Für Biologen ist klar, dass man einzelne Lebensformen
eigentlich nur angemessen verstehen kann, wenn
man ihren gesamten Lebensraum mit betrachtet:
Nahrungsquellen, Feinde, ’Kollaborateure’, Klima, und
vieles mehr.
Ganz ähnlich ist es eigentlich auch mit dem Blog
’Philosophie Jetzt: Auf der Suche …’. Auch diese Ideen
haben sehr viele Kontexte, Herkünfte, wechselseitige
Interaktionen mit vielen anderen Bereichen. Ohne diese
Kontexte könnte der Blog vielleicht gar nicht ’atmen’.
Im Blogeintrag vom 14.November 2017 wurde
verwiesen auf die monatliche Philosophiewerkstatt, in
der in einer offenen Gesprächsrunde Fragestellungen
gemeinsam gedacht werden. Seltener gibt es
die Veranstaltung Philosophy-in-Concert, in der philosophische Ideen, eingebettet in experimentelle Musik, Bildern und Texten ihren Empfänger suchen und
sich auch auf ein Gespräch einlassen.
Die Wechselwirkung mit den nächsten beiden
Blogs liegt für manche vielleicht nicht so auf der
Hand. Aber bedingt durch die langjährige Lehr-
und Forschungstätigkeit von cagent im Bereich des
Engineerings stellte sich heraus, dass gerade das
Engineering der Welt riesige Potentiale für eine
moderne Philosophie bietet, und dies nicht nur einfach
als begriffs-ästhetische Spielerei, sondern mit einem
sehr konkreten Impakt auf die Weise, wie Ingenieure die
Welt sehen und gestalten. Daraus entstand ein Projekt,
das bislang keinen wirklich eigenen Namen hat.
Umschrieben wird es mit ’Integrated Engineering of
the Future’, also ein typisches Engineering, aber eben
’integriert’, was in diesem Kontext besagt, dass die
vielen methodisch offenen Enden des Engineerings hier
aus wissenschaftsphilosophischer Sicht aufgegriffen und
in Beziehung gesetzt werden zu umfassenderen Sichten
und Methoden. Auf diese Weise verliert das Engineering
seinen erratischen, geistig undurchdringlichen Status
und beginnt zu ’atmen’: Engineering ist kein geist-
und seelenloses Unterfangen (wie es von den Nicht-
Ingenieuren oft plakatiert wird), sondern es ist eine
intensive Inkarnation menschlicher Kreativität, von
Wagemut und zugleich von einer rationalen Produktivität,
ohne die es die heutige Menschheit nicht geben würde.
Das Engineering als ein Prozess des Kommunizierens
und darin und dadurch des Erschaffens von neuen
komplexen Strukturen ist himmelhoch hinaus über
nahezu allem, was bildende Kunst im Kunstgeschäft
so darbietet. Es verwandelt die Gegenart täglich und
nachhaltig, es nimmt Zukünfte vorweg, und doch fristet
es ein Schattendasein. In den Kulturarenen dieser Welt,
wird es belächelt, und normalerweise nicht verstanden.
Dies steht im krassen Missverhältnis zu seiner Bedeutung.
Ein Leonardo da Vinci ist ein Beispiel dafür, was es
heißt, ein philosophierender Ingenieur gewesen zu sein,
der auch noch künstlerisch aktiv war.
Innerhalb des Engineerings spielt der Mensch in
vielen Rollen: als Manager des gesamten Prozesses, als mitwirkender Experte, aber auch in vielen Anwendungssituationen als der intendierte Anwender.
Ein Wissen darum, wie ein Mensch wahrnimmt, denkt,
fühlt, lernt usw. ist daher von grundlegender Bedeutung. Dies wird in der Teildisziplin Actor-Actor-Interaction (AAI) (früher, Deutsch, Mensch-Maschine Interaktion oder,
Englisch, Human-Machine Interaction), untersucht und methodisch umgesetzt.
Die heute so bekannt gewordene Künstliche Intelligenz (KI) (Englisch: Artificial Intelligence (AI)) ist ebenfalls ein
Bereich des Engineerings und lässt sich methodisch
wunderbar im Rahmen des Actor-Actor Interaction
Paradigmas integriert behandeln. Im Blog wird es unter
dem Label Intelligente Maschinen abgehandelt.
Sehr viele, fast alle?, alle? Themen aus der
Philosophie lassen sich im Rahmen des Engineerings,
speziell im Bereich der intelligenten Maschinen als Teil
des Actor-Actor-Interaction Paradigmas neu behandeln.
Engineering ist aber nie nur Begriffsspielerei.
Engineering ist immer auch und zuvorderst Realisierung
von Ideen, das Schaffen von neuen konkreten Systemen,
die real in der realen Welt arbeiten können. Von daher
gehört zu einer philosophisch orientierten künstlichen
Intelligenzforschung auch der Algorithmus, das lauffähige
Programm, der mittels Computer in die Welt eingreifen
und mit ihr interagieren kann. Nahezu alle Themen der
klassischen Philosophie bekommen im Gewandte von
intelligenten Maschinen eine neue Strahlkraft. Diesem
Aspekt des Philosophierens wird in dem Emerging-Mind
Lab Projekt Rechnung getragen.
Mit dem Emerging-Mind Lab und dessen Software
schließt sich wieder der Kreis zum menschlichen
Alltag: im Kommunizieren und Lernen ereignet sich
philosophisch reale und mögliche Welt. Insoweit intelligenten Maschinen aktiv daran teilhaben können, kann dies die Möglichkeiten des Menschen spürbar erweitern. Ob zum Guten oder Schlechten, das entscheidet
der Mensch selbst. Die beeindruckende Fähigkeit von
Menschen, Gutes in Böses zu verwandeln, sind eindringlich belegt. Bevor wir Maschinen verteufeln, die wir
selbst geschaffen haben, sollten wir vielleicht erst einmal
anfangen, uns selbst zu reformieren, und dies beginnt
im Innern des Menschen. Für eine solche Reform des
biologischen Lebens von innen gibt es bislang wenig bis
gar keine erprobten Vorbilder.
KONTEXT BLOG
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Das ‚Emerging-Mind Projekt‚ versteht sich als ein öffentliches Wissenschaftsprojekt, das Hochschulen, Schulen, Firmen und interessierten Bürgern die Möglichkeit bieten soll, sich über einige zentrale Fragen der heutigen gesellschaftlichen Entwicklung aus eigener Anschauung eine qualifizierte Meinung zu bilden.
Datenräume und eigenständige Algorithmen
Wir leben in einer Zeit, in der die Evolution, vermittelt durch die Menschen, neuartige Technologien hervorgebracht hat, die sich wie ein zweiter Körper um den ersten Körper schmiegen, versehen mit einer Aura von Datenräumen und eigenständigen Algorithmen, die ein globales Eigenleben führen, die sich unserer direkten Wahrnehmung und Kontrolle entziehen. Wir sind einzelne, erleben uns als einzelne, aber als Teil der globalen algorithmisierten Datenräume sind wir nur noch Aktivitätspunkte in einem großen Netzwerk, einem neuen Datensuperorganismus, der den individuellen Willen nur noch als statistisches Momentum betrachtet. Tatsächlich herrschen die Algorithmen nach eigenen Regeln.
Manager als neue Sklaven iher Algorithmen?
Offiziell gibt es Firmen und Manager dieser Firmen, die diese globalen algorithmisierten Datenräume eingerichtet haben, betreiben und kontrollieren. Offiziell, aber inoffiziell entziehen sich diese global arbeitenden Algorithmen schon heute jeder ernsthaften Kontrolle. Kein einzelner Mensch kann mehr verstehen, was die Algorithmen wirklich tun, warum sie etwas tun, ob das gut oder schlecht ist, was sie tun. Die Manager als Herrscher über die Datenräume sind schon jetzt immer mehr die Getriebenen: ihre Firmen hängen von den globalen algorithmisierten Datenräumen ab. Sie können sie nicht mehr abschalten; dann bricht ihre Firma zusammen. Wenn sie sie nicht abschalten, verselbständigt sich das systembedingte Chaos. Da diese Algorithmen als solche nichts über die Welt oder über wahre Sachverhalte wissen, verrechnen sie Daten gegen Daten. Wenn aber die Referenzdaten falsch sind, werden diese Berechnungen falsch. Nahezu jeder hat schon mehrfach erlebt, wie er aus Versehen falsche Eingaben produziert hat, diese aber nicht korrigieren kann; das System lässt Korrekturen nicht zu. Schon jetzt existieren im System viele falsche Daten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die falschen Daten die richtigen überwiegen. Schöne neue Welt der Superalgorithmen.
Einen wirklichen Wahrheitsfindungsalgorithmus gibt es noch nicht.
Einen wirklichen Wahrheitsfindungsalgorithmus gibt es noch nicht. Woher auch? Die Entwickler dieser Algorithmen, die Menschen, haben diese Hausaufgabe bislang nicht gelöst. Die bisherige Philosophie, die aktuell Wissenschaften, sie alle bilden aktuell das Bild eines riesigen Daten- und Meinungschaos ohne erkennbares Prinzip der Konsolidierung.
Eine neue Weltreligion?
Der Glaube an die Maschine, die alles irgendwie richten wird, obwohl die Erzeuger selbst es bislang nicht schaffen, ist offensichtlich sehr groß, geradezu mystisch. Ist das die neue Weltreligion, die alle besoffen macht und das Denken verabschiedet? Der nächste Super-Börsencrash scheint damit vorprogrammiert.
Keine billige Polemik
Im Emerging Mind Projekt geht es aber nicht um billige Polemik. Diese nützt niemandem. Das Emerging Mind Projekt lebt sogar von der Vision, dass neue, algorithmisierte, intelligente und lernfähige Netzstrukturen als Moment an der evolutionären Entwicklung tatsächlich zur Logik der Evolution gehören. Diese nächste Stufe der Evolution – wir sind mitten drin – muss sich möglicherweise vollziehen. Die Frage ist nur: wie?
Notwendigkeit einer neuen umfassenden Entwicklungswissenschaft
Historisch ist dieser Zustand radikal neu. Er bildet als solcher eine gewisse Singularität (neben den vielen anderen Singularitäten, die wir schon kennen und von denen wir beeinflusst sind). Was wir hier brauchen, wäre ein neues, vertieftes philosophisch-wissenschaftliches Verständnis. Alle bekannten Disziplinen greifen hier aber zu kurz; sie betrachten immer nur Ausschnitte des Problems. An dieser Stelle hat sich das Emerging Mind Projekt verstärkt, erweitert durch ein kooperierendes Parallelprojekt genannt Emergent Life Academy (ELA), in der die Vision einer neuen, umfassenden Entwicklungswisseschaft soweit konkretisiert werden soll, dass sie arbeitsfähig wird und uns allen helfen kann, das umfassende globale Phänomen einer Entwicklung auf allen Ebenen denken zu können.
Entstehung einer Anti-Wissenschaft?
Neben den umfassenden Aspekten des Phänomens einer globalen Entwicklung, die wie ein Sturm über die menschlichen Gesellschaftssysteme hereinbricht (letztlich ein Merkmal von Evolution seit Anbeginn), gibt es aber auch schon Einsichten in die innere Logik, in die innere Maschinerie von Entwicklung, von Intelligenz, Lernen, Bewusstsein, Psyche und Geist. Die Algorithmen in den Computern und Netzwerken sind erfahrbare konkrete Beispiele. Für die Mehrheit der Menschen sind diese Algorithmen aber fremd, unverständlich; ihre Macher lieben das Kryptische, Verborgene. Und da Algorithmen mittlerweile ein Rohstoff für industrielle Produktion und militärische Macht darstellen, werden sie zusätzlich geschützt, abgeschottet, unter ‚Top Secret‘ gestellt, so dass man noch weniger versteht, was unsere Welt im innersten zusammenhält. Galt es lange Zeit als Credo moderner Wissenschaft, die Welt zu erklären, sie transparent zu machen, sie einer verantwortungsvollen Gestaltung zuzuführen, hat die Erfindung der Berechenbarkeit, der Computer und der Netzwerke dazu geführt, dass es eine neue Anti-Wissenschaft gibt: Wissen dient nicht mehr zum Verstehen und nicht mehr für ein besseres Leben für alle, sondern wird abgeschottet, um die Herrschaft weniger über den Rest der Menschheit zu begründen. Das ist eine Umkehrung bisheriger Werte. Die Moderne, das Demokratische, die Menschenrecht zerbröseln im algorithmischen Alltag zu Lapalien, die immer weniger Wertschätzung besitzen.
Algorithmen auf dem Prüfstand
Damit erklärt sich die zweite Dimension des Emerging Mind Projektes; neben Emergent Life Academy für die globalen Entwicklungszusammenhänge sollen die konkreten Algorithmen vorgestellt, untersucht, reflektiert und bewertet werden; nicht isoliert, sondern im Kontext möglicher Wirkzusammenhänge, speziell im Kontext des menschlichen Lebens, der menschlichen Gesellschaft: Was ist künstliche Intelligenz? Was kann sie wirklich? Ist eine Symbiose zwischen Menschen und künstlicher Intelligenz möglich? Könnten die intelligenten Maschinen sich verselbständigen? Dies sind einige der Leitfragen.
Auch ein eigenes Kunstprojekt: PHILOSOPHY-IN-CONCERT
Und wer denkt, das war es jetzt, dem sei gesagt, dass wir nicht nur Philosophie und Wissenschaft zusammenbringen wollen, nicht nur Theorie und Lernpraxis, sondern auch all das zusätzlich verbunden mit einem Kunstprojekt genannt PHILOSOPHY-IN-CONCERT. Aktuell weiß vielleicht noch niemand, wie das genau funktionieren soll; klar ist nur, dass wir uns die Freiheit nehmen, philosophisch-wissenschaftliche Gedanken und Algorithmen als Material zu benutzen, um eine neue Art von Kunst-Performance zu leben: Menschen und intelligente Maschinen zusammen in einem hybriden Team, im Spiel mit sich selbst, der Welt, der Geschichte, um mögliche Zipfel der Zukunft zu erhaschen. Schon immer war der schwierigste Part im Leben das Kreative, die Innovation, der Beginn des Neuen. Für wirklich Neues nützen die alten Rezepte nur bedingt. Die DNA einer Zelle kann Anhaltspunkt für eine neue Zelle sein, ihre unveränderte konservative Übernahme für eine Zukunft wäre aber ein sicheres Todesrezept. Machthaber lieben solche kritiklosen konservativen Reproduktionen; das ist auch das sicherste Mittel der Selbstzerstörung.
Spuren der Vergangenheit, Medienreflexe
In diesem Blog gab es viele Beiträge, die mehr oder weniger in die Richtung des aktuellen Emerging Mind Projektes deuten. Ein Beitrag vom 10.Oktober 2012 lautete
und deutet an, dass die Gedanken dazu herumspukten. In einem Beitrag vom 18.November 2012, der auf einen Vortrag zurückging, wurde die Frage nach der Möglichkeit eines künstlichen geistes explizit gestellt:
Wegen der zahlreichen kontroversen Diskussionen zur Idee der Komplexitätssteigerung im Kontext von Evolution gab es am 23.Mai 2013 dazu einen weiteren Beitrag mit dem Titel
in dem Phänomene des Alltags reflektiert wurden mit Blick auf die treibenden Strukturen. Es folgten dann immer wieder Presseartikel im Umfeld des Themas.
Einen Überblick über alle Beiträge des Autors cagent in diesem Blog nach Titeln findet sich HIER.
Im Rahmen der interdisziplinären Ringvorlesung Grenzen (Wintersemester 2015/16) an der Universität Passau (organisiert von der Deutsche Gesellschaft für Semiotik (DGS) e.V. in Kooperation mit der Professur für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Mediensemiotik (Prof. Dr. Jan-Oliver Decker und Dr. Stefan Halft) hatte ich einen Vortrag angenommen mit dem Titel Semiotik und künstliche Intelligenz. Ein vielversprechendes Team. Wie immer halte ich Vorträge immer zu Fragen, die ich bis dahin noch nicht ausgearbeitet hatte und nutze diese Herausforderung, es dann endlich mal zu tun.
Die Atmosphäre beim Vortrag war sehr gut und die anschließenden Gespräche brachte viele interessanten Aspekte zutage, was wir im Rahmen der DGS noch tun sollten/ könnten, um das Thema weiter zu vertiefen.
MOTIV – WARUM DIESES THEMA
Angesichts der vielfältigen Geschichte der Semiotik könnte man natürlich ganze Abende nur mit Geschichten über die Semiotik füllen. Desgleichen im Fall der künstlichen Intelligenz [KI]. Der Auslöser für das Thema war dann auch der spezielle Umstand, dass im Bereich der KI seit etwa den 80iger Jahren des 20.Jahrhunderts in einigen Forschungsprojekten das Thema Semiotik ganz neu auftaucht, und nicht als Randthema sondern verantwortlich für die zentralen Begriffe dieser Forschungen. Gemeint sind die berühmten Roboterexperimente von Luc Steels (ähnlich auch aufgegriffen von anderen, z.B. Paul Vogt) (siehe Quellen unten).
Unter dem Eindruck großer Probleme in der klassischen KI, die aus einem mangelnden direkten Weltbezug resultierten (das sogenannte grounding Problem) versuchte Steels, Probleme des Zeichen- und Sprachlernens mit Hilfe von Robotern zu lösen, die mit ihren Sensoren direkten Kontakt zur empirischen Welt haben und die mit ihren Aktoren auch direkt auf die Welt zurück wirken können. Ihre internen Verarbeitungsprozesse können auf diese Weise abhängig gemacht werden (eine Form von grounding) von der realen Welt (man spricht hier auch von embodied intelligence).
Obwohl Steels (wie auch Vogt) auf ungewöhnliche Weise grundlegende Begriffe der Semiotik einführen, wird dieser semiotische Ansatz aber nicht weiter reflektiert. Auch findet nicht wirklich eine Diskussion des Gesamtansatzes statt, der aus dieser Kombination von Semiotik und Robotik/ KI entsteht bzw. entstehen könnte. Dies ist schade. Der Vortrag Semiotik und künstliche Intelligenz. Ein vielversprechendes Team stellt einen Versuch dar, heraus zu arbeiten, warum die Kombination Semiotik und KI nicht nur Sinn macht, sondern eigentlich das Zeug hätte, zu einem zentralen Forschungsparadigma für die Zukunft zu werden. Tatsächlich liegt dem Emerging Mind Projekt, das hier im Blog schon öfters erwähnt wurde und am 10.November 2015 offiziell eröffnet werden wird, genau dieses Semiotik-KI-Paradigma zugrunde.
WELCHE SEMIOTIK?
Wer Wörterbücher zur Semiotik aufschlägt (z.B. das von Noeth 2000), wird schnell bemerken, dass es eine große Vielfalt von Semiotikern, semiotischen Blickweisen, Methoden und Theorieansätze gibt, aber eben nicht die eine große Theorie. Dies muss nicht unbedingt negativ sein, zumal dann nicht, wenn wir ein reiches Phänomen vor uns haben, das sich eben einer einfachen Theoriebildung widersetzt. Für die Praxis allerdings, wenn man Semiotik in einer realen Theoriebildung einsetzen möchte, benötigt man verbindliche Anknüpfungspunkte, auf die man sich bezieht. Wie kann man solch eine Entscheidung motivieren?
Aus der Sicht der Wissenschaftsphilosophie biete es sich an, die unterschiedlichen Zugangsweisen zur Erfahrung und und Beschreibung von Wirklichkeit als quasi Koordinatensystem zu wählen, diesem einige der bekanntesten semiotischen Ansätze zu zuordnen und dann zu schaue, welche dieser semiotischen Positionen der Aufgabenstellung am nächsten kommen. Von einer Gesamttheorie her betrachtet sind natürlich alle Ansätze wichtig. Eine Auswahl bzw. Gewichtung kann nur pragmatische Gründe haben.
ZUGÄNGE ZUR WIRKLICHKEIT
Grundsätzlich gibt es aus heutiger Sicht zwei Zugangsweisen: über den intersubjektiven (empirischen) Bereich und über das subjektive Erleben.
Innerhalb des empirischen Bereichs gab es lange Zeit nur den Bereich des beobachtbaren Verhaltens [SR] (in der Psychologie) ohne die inneren Zustände des Systems; seit ca. 50-60 Jahren eröffnen die Neurowissenschaften auch einen Zugriff auf die Vorgänge im Gehirn. Will man beide Datenbereiche korrelieren, dann gerät man in das Gebiet der Neuropsychologie [NNSR].
Der Zugang zur Wirklichkeit über den subjektiven Bereich – innerhalb der Philosophie auch als phänomenologischer Zugang bekannt – hat den Vorteil einer Direktheit und Unmittelbarkeit und eines großen Reichtums an Phänomenen.
Was den meisten Menschen nicht bewusst ist, ist die Tatsache, dass die empirischen Phänomene nicht wirklich außerhalb des Bewusstseins liegen. Die Gegenstände in der Zwischenkörperzone (der empirische Bereich) sind als Gegenstände zwar (was wir alle unterstellen) außerhalb des Bewusstseins, aber die Phänomene, die sie im Bewusstsein erzeugen, sind nicht außerhalb, sondern im Bewusstsein. Das, was die empirischen Phänomene [PH_em] von den Phänomenen, unterscheidet, die nicht empirisch [PH_nem] sind, ist die Eigenschaft, dass sie mit etwas in der Zwischenkörperwelt korrespondieren, was auch von anderen Menschen wahrgenommen werden kann. Dadurch lässt sich im Falle von empirischen Phänomenen relativ leicht Einigkeit zwischen verschiedenen Kommunikationsteilnehmern über die jeweils korrespondierenden Gegenstände/ Ereignisse erzielen.
Bei nicht-empirischen Phänomenen ist unklar, ob und wie man eine Einigkeit erzielen kann, da man nicht in den Kopf der anderen Person hineinschauen kann und von daher nie genau weiß, was die andere Person meint, wenn sie etwas Bestimmtes sagt.
Die Beziehung zwischen Phänomenen des Bewusstseins [PH] und Eigenschaften des Gehirns – hier global als NN abgekürzt – ist von anderer Art. Nach heutigem Wissensstand müssen wir davon ausgehen, dass alle Phänomene des Bewusstseins mit Eigenschaften des Gehirns korrelieren. Aus dieser Sicht wirkt das Bewusstsein wie eine Schnittstelle zum Gehirn. Eine Untersuchung der Beziehungen zwischen Tatsachen des Bewusstseins [PH] und Eigenschaften des Gehirns [NN] würde in eine Disziplin fallen, die es so noch nicht wirklich gibt, die Neurophänomenologie [NNPH] (analog zur Neuropsychologie).
Der Stärke des Bewusstseins in Sachen Direktheit korrespondiert eine deutliche Schwäche: im Bewusstsein hat man zwar Phänomene, aber man hat keinen Zugang zu ihrer Entstehung! Wenn man ein Objekt sieht, das wie eine Flasche aussieht, und man die deutsche Sprache gelernt hat, dann wird man sich erinnern, dass es dafür das Wort Flasche gibt. Man konstatiert, dass man sich an dieses Wort in diesem Kontext erinnert, man kann aber in diesem Augenblick weder verstehen, wie es zu dieser Erinnerung kommt, noch weiß man vorher, ob man sich erinnern wird. Man könnte in einem Bild sagen: das Bewusstsein verhält sich hier wie eine Kinoleinwand, es konstatiert, wenn etwas auf der Leinwand ist, aber es weiß vorher nicht, ob etwas auf die Leinwand kommen wird, wie es kommt, und nicht was kommen wird. So gesehen umfasst das Bewusstsein nur einen verschwindend kleinen Teil dessen, was wir potentiell wissen (können).
AUSGEWÄHLTE SEMIOTIKER
Nach diesem kurzen Ausflug in die Wissenschaftsphilosophie und bevor hier einzelne Semiotiker herausgegriffen werden, sei eine minimale Charakterisierung dessen gegeben, was ein Zeichen sein soll. Minimal deshalb, weil alle semiotischen Richtungen, diese minimalen Elemente, diese Grundstruktur eines Zeichens, gemeinsam haben.
Diese Grundstruktur enthält drei Komponenten: (i) etwas, was als Zeichenmaterial [ZM] dienen kann, (ii) etwas, das als Nichtzeichenmaterial [NZM] fungieren kann, und (iii) etwas, das eine Beziehung/ Relation/ Abbildung Z zwischen Zeichen- und Nicht-Zeichen-Material in der Art repräsentiert, dass die Abbildung Z dem Zeichenmaterial ZM nicht-Zeichen-Material NZM zuordnet. Je nachdem, in welchen Kontext man diese Grundstruktur eines Zeichens einbettet, bekommen die einzelnen Elemente eine unterschiedliche Bedeutung.
Morris, der jüngste von den Dreien, ist im Bereich eines empirischen Verhaltensansatzes zu positionieren, der dem verhaltensorientierten Ansatz der modernen empirischen Psychologie nahe kommt. In diesem verhaltensbasierten Ansatz kann man die Zeichengrundstruktur so interpretieren, dass dem Zeichenmaterial ZM etwas in der empirischen Zwischenwelt korrespondiert (z.B. ein Laut), dem Nicht-Zeichen-Material NZM etwas anderes in der empirischen Außenwelt (ein Objekt, ein Ereignis, …), und die Zeichenbeziehung Z kommt nicht in der empirischen Welt direkt vor, sondern ist im Zeichenbenutzer zu verorten. Wie diese Zeichenbeziehung Z im Benutzer tatsächlich realisiert ist, war zu seiner Zeit empirische noch nicht zugänglich und spielt für den Zeichenbegriff auch weiter keine Rolle. Auf der Basis von empirischen Verhaltensdaten kann die Psychologie beliebige Modellannahmen über die inneren Zustände des handelnden Systems machen. Sie müssen nur die Anforderung erfüllen, mit den empirischen Verhaltensdaten kompatibel zu sein. Ein halbes Jahrhundert nach Morris kann man anfangen, die psychologischen Modellannahmen über die Systemzustände mit neurowissenschaftlichen Daten abzugleichen, sozusagen in einem integrierten interdisziplinären neuropsychologischen Theorieansatz.
Saussure, der zweit Jüngste von den Dreien hat als Sprachwissenschaftler mit den Sprachen primär ein empirisches Objekt, er spricht aber in seinen allgemeinen Überlegungen über das Zeichen in einer bewusstseinsorientierten Weise. Beim Zeichenmaterial ZM spricht er z.B. von einem Lautbild als einem Phänomen des Bewusstseins, entsprechend von dem Nicht-Zeichenmaterial auch von einer Vorstellung im Bewusstsein. Bezüglich der Zeichenbeziehung M stellt er fest, dass diese außerhalb des Bewusstseins liegt; sie wird vom Gehirn bereit gestellt. Aus Sicht des Bewusstseins tritt diese Beziehung nur indirekt in Erscheinung.
Peirce, der älteste von den Dreien, ist noch ganz in der introspektiven, phänomenologischen Sicht verankert. Er verortet alle drei Komponenten der Zeichen-Grundstruktur im Bewusstsein. So genial und anregend seine Schriften im einzelnen sind, so führt diese Zugangsweise über das Bewusstsein zu großen Problemen in der Interpretation seiner Schriften (was sich in der großen Bandbreite der Interpretationen ausdrückt wie auch in den nicht selten geradezu widersprüchlichen Positionen).
Für das weitere Vorgehen wird in diesem Vortrag der empirische Standpunkt (Verhalten + Gehirn) gewählt und dieser wird mit der Position der künstlichen Intelligenz ins Gespräch gebracht. Damit wird der direkte Zugang über das Bewusstsein nicht vollständig ausgeschlossen, sondern nur zurück gestellt. In einer vollständigen Theorie müsste man auch die nicht-empirischen Bewusstseinsdaten integrieren.
SPRACHSPIEL
Ergänzend zu dem bisher Gesagten müssen jetzt noch drei weitere Begriffe eingeführt werden, um alle Zutaten für das neue Paradigma Semiotik & KI zur Verfügung zu haben. Dies sind die Begriffe Sprachspiel, Intelligenz sowie Lernen.
Der Begriff Sprachspiel wird auch von Luc Steels bei seinen Roboterexperimenten benutzt. Über den Begriff des Zeichens hinaus erlaubt der Begriff des Sprachspiels den dynamischen Kontext des Zeichengebrauchs besser zu erfassen.
Steels verweist als Quelle für den Begriff des Sprachspiels auf Ludwig Josef Johann Wittgenstein (1889-1951), der in seiner Frühphase zunächst die Ideen der modernen formalen Logik und Mathematik aufgriff und mit seinem tractatus logico philosophicus das Ideal einer am logischen Paradigma orientierten Sprache skizzierte. Viele Jahre später begann er neu über die normale Sprache nachzudenken und wurde sich selbst zum schärfsten Kritiker. In jahrelangen Analysen von alltäglichen Sprachsituationen entwickelte er ein facettenreiches Bild der Alltagssprache als ein Spiel, in dem Teilnehmer nach Regeln Zeichenmaterial ZM und Nicht-Zeichen-Material NZM miteinander verknüpfen. Dabei spielt die jeweilige Situation alsKontext eine Rolle. Dies bedeutet, das gleiche Zeichenmaterial kann je nach Kontext unterschiedlich wirken. Auf jeden Fall bietet das Konzept des Sprachspiels die Möglichkeit, den ansonsten statischen Zeichenbegriff in einen Prozess einzubetten.
Aber auch im Fall des Sprachspielkonzepts benutzt Steels zwar den Begriff Sprachspiel, reflektiert ihn aber nicht soweit, dass daraus ein explizites übergreifendes theoretisches Paradigma sichtbar wird.
Für die Vision eines neuen Forschungsparadigmas Semiotik & KI soll also in der ersten Phase die Grundstruktur des Zeichenbegriffs im Kontext der empirischen Wissenschaften mit dem Sprachspielkonzept von Wittgenstein (1953) verknüpft werden.
INTELLIGENZ
Im Vorfeld eines Workshops der Intelligent Systems Division des NIST 2000 gab es eine lange Diskussion zwischen vielen Beteiligten, wie man denn die Intelligenz von Maschinen messen sollte. In meiner Wahrnehmung verhedderte sich die Diskussion darin, dass damals nach immer neuen Klassifikationen und Typologien für die Architektur der technischen Systeme gesucht wurde, anstatt das zu tun, was die Psychologie schon seit fast 100 Jahren getan hatte, nämlich auf das Verhalten und dessen Eigenschaften zu schauen. Ich habe mich in den folgenden Jahren immer wieder mit der Frage des geeigneten Standpunkts auseinandergesetzt. In einem Konferenzbeitrag von 2010 (zusammen mit anderen, insbesondere mit Louwrence Erasmus) habe ich dann dafür argumentiert, das Problem durch Übernahme des Ansatzes der Psychologie zu lösen.
Die Psychologie hatte mit Binet (1905), Stern (1912 sowie Wechsler (1939) eine grundsätzliche Methode gefunden hatte, die Intelligenz, die man nicht sehen konnte, indirekt durch Rückgriff auf Eigenschaften des beobachtbaren Verhaltens zu messen (bekannt duch den Begriff des Intelligenz-Quotienten, IQ). Die Grundidee bestand darin, dass zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Kultur bestimmte Eigenschaften als charakteristisch für ein Verhalten angesehen werden, das man allgemein als intelligent bezeichnen würde. Dies impliziert zwar grundsätzlich eine gewisse Relativierung des Begriffs Intelligenz (was eine Öffnung dahingehend impliziert, dass zu anderen Zeiten unter anderen Umständen noch ganz neue Eigenschaftskomplexe bedeutsam werden können!), aber macht Intelligenz grundsätzlich katalogisierbar und damit messbar.
Ein Nebeneffekt der Bezugnahme auf Verhaltenseigenschaften findet sich in der damit möglichen Nivellierung der zu messenden potentiellen Strukturen in jenen Systemen, denen wir Intelligenz zusprechen wollen. D.h. aus Sicht der Intelligenzmessung ist es egal ob das zu messende System eine Pflanze, ein Tier, ein Mensch oder eine Maschine ist. Damit wird – zumindest im Rahmen des vorausgesetzten Intelligenzbegriffs – entscheidbar, ob und in welchem Ausmaß eine Maschine möglicherweise intelligent ist.
Damit eignet sich dieses Vorgehen auch, um mögliche Vergleiche zwischen menschlichem und maschinellem Verhalten in diesem Bereich zu ermöglichen. Für das Projekt des Semiotk & KI-Paradigmas ist dies sehr hilfreich.
LERNEN
An dieser Stelle ist es wichtig, deutlich zu machen, dass Intelligenz nicht notwendigerweise ein Lernen impliziert und Lernen nicht notwendigerweise eine Intelligenz! Eine Maschine (z.B. ein schachspielender Computer) kann sehr viele Eigenschaften eines intelligenten Schachspielers zeigen (bis dahin, dass der Computer Großmeister oder gar Weltmeister besiegen kann), aber sie muss deswegen nicht notwendigerweise auch lernfähig sein. Dies ist möglich, wenn erfahrene Experten hinreichend viel Wissen in Form eines geeigneten Programms in den Computer eingeschrieben haben, so dass die Maschine aufgrund dieses Programms auf alle Anforderungen sehr gut reagieren kann. Von sich aus könnte der Computer dann nicht dazu lernen.
Bei Tieren und Menschen (und Pflanzen?) gehen wir von einer grundlegenden Lernfähigkeit aus. Bezogen auf das beobachtbare Verhalten können wir die Fähigkeit zu Lernen dadurch charakterisieren, dass ein System bis zu einem Zeitpunkt t bei einem bestimmten Reiz s nicht mit einem Verhalten r antwortet, nach dem Zeitpunkt t aber dann plötzlich doch, und dieses neue Verhalten über längere Zeit beibehält. Zeigt ein System eine solche Verhaltensdynamik, dann darf man unterstellen, dass das System in der Lage ist, seine inneren Zustände IS auf geeignete Weise zu verändern (geschrieben: phi: I x IS —> IS x O (mit der Bedeutung I := Input (Reize, Stimulus s), O := Output (Verhaltensantworten, Reaktion r), IS := interne Zustände, phi := Name für die beobachtbare Dynamik).
Verfügt ein System über solch eine grundlegende Lernfähigkeit (die eine unterschiedlich reiche Ausprägung haben kann), dann kann es sich im Prinzip alle möglichen Verhaltenseigenschaften aneignen/ erwerben/ erlernen und damit im oben beschriebenen Sinne intelligent werden. Allerdings gibt es keine Garantie, dass eine Lernfähigkeit notwendigerweise zu einer bestimmten Intelligenz führen muss. Viele Menschen, die die grundsätzliche Fähigkeit besitzen, Schachspielen oder Musizieren oder Sprachen zu lernen, nutzen diese ihre Fähigkeiten niemals aus; sie verzichten damit auf Formen intelligenten Verhaltens, die ihnen aber grundsätzlich offen stehen.
Wir fordern also, dass die Lernfähigkeit Teil des Semiotik & KI-Paradigmas sein soll.
LERNENDE MASCHINEN
Während die meisten Menschen heute Computern ein gewisses intelligentes Verhalten nicht absprechen würden, sind sie sich mit der grundlegenden Lernfähigkeit unsicher. Sind Computer im echten Sinne (so wie junge Tiere oder menschliche Kinder) lernfähig?
Um diese Frage grundsätzlich beantworten zu können, müsste man ein allgemeines Konzept von einem Computer haben, eines, das alle heute und in der Zukunft existierende und möglicherweise in Existenz kommende Computer in den charakteristischen Eigenschaften erschöpfend beschreibt. Dies führt zur Vor-Frage nach dem allgemeinsten Kriterium für Computer.
Historisch führt die Frage eigentlich direkt zu einer Arbeit von Turing (1936/7), in der er den Unentscheidbarkeitsbeweis von Kurt Gödel (1931) mit anderen Mitteln nochmals nachvollzogen hatte. Dazu muss man wissen, dass es für einen formal-logischen Beweis wichtig ist, dass die beim Beweis zur Anwendung kommenden Mittel, vollständig transparent sein müssen, sie müssen konstruktiv sein, was bedeutet, sie müssen endlich sein oder effektiv berechenbar. Zum Ende des 19.Jh und am Anfang des 20.Jh gab es zu dieser Fragestellung eine intensive Diskussion.
Turing wählte im Kontrast zu Gödel keine Elemente der Zahlentheorie für seinen Beweis, sondern nahm sich das Verhalten eines Büroangestellten zum Vorbild: jemand schreibt mit einem Stift einzelne Zeichen auf ein Blatt Papier. Diese kann man einzeln lesen oder überschreiben. Diese Vorgabe übersetze er in die Beschreibung einer möglichst einfachen Maschine, die ihm zu Ehren später Turingmaschine genannt wurde (für eine Beschreibung der Elemente einer Turingmaschine siehe HIER). Eine solche Turingmaschine lässt sich dann zu einer universellen Turingmaschine [UTM] erweitern, indem man das Programm einer anderen (sekundären) Turingmaschine auf das Band einer primären Turingmaschine schreibt. Die primäre Turingmaschine kann dann nicht nur das Programm der sekundären Maschine ausführen, sondern kann es auch beliebig abändern.
In diesem Zusammenhang interessant ist, dass der intuitive Begriff der Berechenbarkeit Anfang der 30ige Jahre des 20.Jh gleich dreimal unabhängig voneinander formal präzisiert worden ist (1933 Gödel und Herbrand definierten die allgemein rekursiven Funktionen; 1936 Church den Lambda-Kalkül; 1936 Turing die a-Maschine für ‚automatische Maschine‘, später Turing-Maschine). Alle drei Formalisierungen konnten formal als äquivalent bewiesen werden. Dies führte zur sogenannten Church-Turing These, dass alles, was effektiv berechnet werden kann, mit einem dieser drei Formalismen (also auch mit der Turingmaschine) berechnet werden kann. Andererseits lässt sich diese Church-Turing These selbst nicht beweisen. Nach nunmehr fast 80 Jahren nimmt aber jeder Experte im Feld an, dass die Church-Turing These stimmt, da bis heute keine Gegenbeispiele gefunden werden konnten.
Mit diesem Wissen um ein allgemeines formales Konzept von Computern kann man die Frage nach der generellen Lernfähigkeit von Computern dahingehend beantworten, dass Computer, die Turing-maschinen-kompatibel sind, ihre inneren Zustände (im Falle einer universellen Turingmaschine) beliebig abändern können und damit die Grundforderung nach Lernfähigkeit erfüllen.
LERNFÄHIGE UND INTELLIGENTE MASCHINEN?
Die Preisfrage stellt sich, wie eine universelle Turingmaschine, die grundsätzlich lernfähig ist, herausfinden kann, welche der möglichen Zustände interessant genug sind, um damit zu einem intelligenten Verhalten zu kommen?
Diese Frage nach der möglichen Intelligenz führt zur Frage der verfügbaren Kriterien für Intelligenz: woher soll eine lernfähige Maschine wissen, was sie lernen soll?
Im Fall biologischer Systeme wissen wir mittlerweile, dass die lernfähigen Strukturen als solche dumm sind, dass aber durch die schiere Menge an Zufallsexperimenten ein Teil dieser Experimente zu Strukturen geführt hat, die bzgl. bestimmter Erfolgskriterien besser waren als andere. Durch die Fähigkeit, die jeweils erfolgreichen Strukturen in Form von Informationseinheiten zu speichern, die dann bei der nächsten Reproduktion erinnert werden konnten, konnten sich die relativen Erfolgebehaupten.
Turing-kompatible Computer können speichern und kodieren, sie brauchen allerdings noch Erfolgskriterien, um zu einem zielgerichtete Lernen zu kommen.
LERNENDE SEMIOTISCHE MASCHINEN
Mit all diesen Zutaten kann man jetzt lernende semiotische Maschinen konstruieren, d.h. Maschinen, die in der Lage sind, den Gebrauch von Zeichen im Kontext eines Prozesses, zu erlernen. Das dazu notwendige Verhalten gilt als ein Beispiel für intelligentes Verhaltens.
Es ist hier nicht der Ort, jetzt die Details solcher Sprach-Lern-Spiele auszubreiten. Es sei nur soviel gesagt, dass man – abschwächend zum Paradigma von Steels – hier voraussetzt, dass es schon mindestens eine Sprache L und einen kundigen Sprachteilnehmer gibt (der Lehrer), von dem andere Systeme (die Schüler), die diese Sprache L noch nicht kennen, die Sprache L lernen können. Diese Schüler können dann begrenzt neue Lehrer werden.
Zum Erlernen (Training) einer Sprache L benötigt man einen definierten Kontext (eine Welt), in dem Lehrer und Schüler auftreten und durch Interaktionen ihr Wissen teilen.
In einer Evaluationsphase (Testphase), kann dann jeweils überprüft werden, ob die Schüler etwas gelernt haben, und wieviel.
Den Lernerfolge einer ganzen Serie von Lernexperimenten (ein Experiment besteht aus einem Training – Test Paar) kann man dann in Form einer Lernkurve darstellen. Diese zeigt entlang der Zeitachse, ob die Intelligenzleistung sich verändert hat, und wie.
Gestaltet man die Lernwelt als eine interaktive Softwarewelt, bei der Computerprogramme genauso wie Roboter oder Menschen mitwirken können, dann kann man sowohl Menschen als Lehrer benutzen wie auch Menschen im Wettbewerb mit intelligenten Maschinen antreten lassen oder intelligente Maschinen als Lehrer oder man kann auch hybride Teams formen.
Die Erfahrungen zeigen, dass die Konstruktion von intelligenten Maschinen, die menschenähnliche Verhaltensweisen lernen sollen, die konstruierenden Menschen dazu anregen, ihr eigenes Verhalten sehr gründlich zu reflektieren, nicht nur technisch, sondern sogar philosophisch.
EMERGING MIND PROJEKT
Die zuvor geschilderten Überlegungen haben dazu geführt, dass ab 10.November 2015 im INM Frankfurt ein öffentliches Forschungsprojekt gestartet werden soll, das Emerging Mind Projekt heißt, und das zum Ziel hat, eine solche Umgebung für lernende semiotische Maschinen bereit zu stellen, mit der man solche semiotischen Prozesse zwischen Menschen und lernfähigen intelligenten Maschinen erforschen kann.
QUELLEN
Binet, A., Les idees modernes sur les enfants, 1909
Doeben-Henisch, G.; Bauer-Wersing, U.; Erasmus, L.; Schrader,U.; Wagner, W. [2008] Interdisciplinary Engineering of Intelligent Systems. Some Methodological Issues. Conference Proceedings of the workshop Modelling Adaptive And Cognitive Systems (ADAPCOG 2008) as part of the Joint Conferences of SBIA’2008 (the 19th Brazilian Symposium on Articial Intelligence); SBRN’2008 (the 10th Brazilian Symposium on Neural Networks); and JRI’2008 (the Intelligent Robotic Journey) at Salvador (Brazil) Oct-26 – Oct-30(PDF HIER)
Gödel, K. Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I, In: Monatshefte Math.Phys., vol.38(1931),pp:175-198
Charles W. Morris, Foundations of the Theory of Signs (1938)
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Winfried Noth: Handbuch der Semiotik. 2., vollständig neu bearbeitete Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2000
Charles Santiago Sanders Peirce (1839-1914) war ein US-amerikanischer Mathematiker, Philosoph und Logiker. Peirce gehort neben William James und John Dewey zu den maßgeblichen Denkern des Pragmatismus; außerdem gilt er als Begründer der modernen Semiotik. Zur ersten Einführung siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Charles Sanders Peirce Collected Papers of Charles Sanders Peirce. Bände I-VI hrsg. von Charles Hartshorne und Paul Weiss, 1931{1935; Bände VII-VIII hrsg. von Arthur W. Burks 1958. University Press, Harvard, Cambridge/Mass. 1931{1958
Writings of Charles S. Peirce. A Chronological Edition. Hrsg. vom Peirce Edition Project. Indiana University Press,Indianapolis, Bloomington 1982. (Bisher Bände 1{6 und 8, geplant 30 Bände)
Saussure, F. de. Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft, 2nd ed., German translation of the original posthumously publication of the Cours de linguistic general from 1916 by H.Lommel, Berlin: Walter de Gruyter & Co., 1967
Saussure, F. de. Course in General Linguistics, English translation of the original posthumously publication of the Cours de linguistic general from 1916, London: Fontana, 1974
Saussure, F. de. Cours de linguistique general, Edition Critique Par Rudolf Engler, Tome 1,Wiesbaden: Otto Harrassowitz, 1989 /*This is the critical edition of the dierent sources around the original posthumously publication of the Cours de linguistic general from 1916. */
Steels, Luc (1995): A Self-Organizing Spatial Vocabulary. Articial Life, 2(3), S. 319-332
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Wechsler, D., The Measurement of Adult Intelligence, Baltimore, 1939, (3. Auage 1944)
Wittgenstein, L.; Tractatus Logico-Philosophicus, 1921/1922 /* Während des Ersten Weltkriegs geschrieben, wurde das Werk 1918 vollendet. Es erschien mit Unterstützung von Bertrand Russell zunächst 1921 in Wilhelm Ostwalds Annalen der Naturphilosophie. Diese von Wittgenstein nicht gegengelesene Fassung enthielt grobe Fehler. Eine korrigierte, zweisprachige Ausgabe (deutsch/englisch) erschien 1922 bei Kegan Paul, Trench, Trubner und Co. in London und gilt als die offizielle Fassung. Die englische Übersetzung stammte von C. K. Ogden und Frank Ramsey. Siehe einführend Wikipedia-DE: https://de.wikipedia.org/wiki/Tractatus logicophilosophicus*/
Wittgenstein, L.; Philosophische Untersuchungen,1936-1946, publiziert 1953 /* Die Philosophischen Untersuchungen sind Ludwig Wittgensteins spätes, zweites Hauptwerk. Es übten einen außerordentlichen Einfluss auf die Philosophie der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts aus; zu erwähnen ist die Sprechakttheorie von Austin und Searle sowie der Erlanger Konstruktivismus (Paul Lorenzen, Kuno Lorenz). Das Buch richtet sich gegen das Ideal einer logik-orientierten Sprache, die neben Russell und Carnap Wittgenstein selbst in seinem ersten Hauptwerk vertreten hatte. Das Buch ist in den Jahren 1936-1946 entstanden, wurde aber erst 1953, nach dem Tod des Autors, veröffentlicht. Siehe einführend Wikipedia-DE: https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophische Untersuchungen*/
Eine Übersicht über alle Blogeinträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER
Nachbemerkung am 30.Dez.2015: Das Ziel, das Buch bis 10.November 2015 fertig zu haben, konnte nicht erreicht werden. Dies lag vornehmlich daran, dass sich im Schreiben so viele Baustellen aufgetan haben, dass es dem Autor nicht möglich war, den ‚Sack zu zu machen‘. Dann begann das Semester und die Zeitreserven schmolzen dahin…Dennoch war dieser erste Versuch eines kompakten Buches sehr lehrreich. Wann es wieder zu solch einem Versuch kommen wird, ist momentan offen. Im Rahmen des Emerging Mind Projektes (EMP), das seit November 2015 angelaufen ist, gibt es so viele neue Theorieprojekte (auch verbunden mit Texten), dass es möglicherweise noch lange Zeit bei den kursorischen Blogeinträgen bleiben wird…
… und vor dem 10.November 2015 erscheinen. Aktualisierung: Bis 10.November nur die Onlineversion, dann die anderen Versionen …
Da es bei mehr als 285 Blogeinträgen mit dem Verstehen langsam schwierig wird, habe ich mich entschlossen, in der Zeit bis 28.August die Grundaussage des Blogs von den ca. 1500 Seiten auf 100 Seiten zu ‚verdichten‘. Dabei gehen natürlich viele Details verloren, aber es wird – hoffentlich – die Kernaussage sichtbar, die sich im Blog im Laufe der Jahre herausgeschält hat. Da ich dazu ab November deutlich mehr öffentliche Veranstaltungen machen werde als in der Vergangenheit (das Emerging-Mind Projekt, Vorträge mit Diskussionen und auch das neue Philosophy-in-Concert Format (vermutlich auch weiterhin die Philosophiewerkstatt)) kann es hilfreich sein, die Kernaussage in handlicher Form zur Hand zu haben. Da das Ganze ein dynamischer Prozess ist, werden sich die Inhalte beständig weiter entwickeln. Während dem Schreiben des Buches werde ich die einzelnen Kapitel auch hier im Blog ‚vorab drucken‘. Dies schließt nicht aus, dass der endgültige veröffentlichte Text in Details von dieser Vorabversion abweichen kann (zumal ich erst beim Schreiben so richtig ’sehe‘, was ich tatsächlich schreiben will … :-)).
Was ist Leben? (Letzte Änderung: 27.Aug.2015)
…
Zurück auf Start 🙂
Alle folgenden Kapitel wurden neu konzipiert
…
Das Gesamtformat des Textes geht in Richtung eines philosophisch-wissenschaftlichen Essays, in dem bekannte Fragen und Erkenntnisse zum Thema in einem eher freien literarischen Format so angeordnet werde, dass ein ’normaler Leser‘, jemand, der kein Experte ist, eine Chance haben sollte, zumindest zu erahnen, was heute gerade passiert, was mit ihm passiert, mit ihm als Mitglied der Population der Menschen.
Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.
2. Mittlerweile bildet sich ein ’spezifischer Stil‘ in der Philosophiewerkstatt heraus: Immer weniger vorgefertigter Input durch einen Eingangsvortrag, sondern stattdessen von Anfang an ein ‚gemeinsames Denken‘ entlang einer Fragestellung. Das ‚Gemeinsame‘ wird in einem aktuellen ‚Gedankenbild‘ festgehalten, ‚visualisiert‘, so dass die Vielfalt der Gedanken für alle sichtbar wird. Nichts geht verloren. Dies eröffnet dann jedem die Möglichkeit, anhand der sichtbaren Unterschiede, Lücken und Gemeinsamkeiten ‚fehlende Stücke‘ zu suchen, zu ergänzen, oder vorhandene Begriffe weiter zu erläutern.
3. Als ‚Rhythmus‘ des gemeinsamen Denkens erweist sich ein gemeinsamer Einstieg, dann ‚Blubberpause‘, dann Schlussrunde als sehr produktiv.
GEIST – BIOLOGISCH UND KÜNSTLICH
4. Ausgangspunkt waren die Begriffe ‚Geist‘, ‚Biologisch‘ sowie ‚Künstlich‘.
5. Auf einer Zeitachse betrachtet kann man grob sagen, dass der Begriff ‚Geist‘ in der antiken griechischen Philosophie eine zentrale Rolle gespielt hat, sich bis mindestens ins 19.Jahrhundert durchgehalten hat, dann aber – zumindest im Bereich der Naturwissenschaft – nahezu jegliche Verwendung verloren hat. In den heutigen Naturwissenschaften herrscht der Eindruck vor, man bräuchte den Begriff ‚Geist‘ nicht mehr. Zugleich fehlen damit auch alle ‚Unterstützungsmerkmale‘ für jenes Wertesystem, das einer demokratischen Staatsform wie der deutschen Demokratie zugrunde liegt. ‚Menschenwürde‘ in Art.1 des Grundgesetzes hat im Lichte der aktuellen Naturwissenschaften keine Bedeutung mehr.
6. Gleichfalls auf der Zeitachse beobachten wir, dass das Paradigma der ‚Maschine‘ mit dem Aufkommen des theoretischen Begriffs des Automaten (erste Hälfte des 20.Jahrhunderts) und der Bereitstellung von geeigneter Technologie (Computer) einen neuen Begriff von ‚Künstlichkeit‘ ermöglicht: der Computer als programmierbare Maschine erlaubt die Nachbildung von immer mehr Verhaltensweisen, die wir sonst nur von biologischen Systemen kennen. Je mehr dies geschieht, umso mehr stellt sich die Frage, wieweit diese neue ‚Künstlichkeit‘ letztlich alle ‚Eigenschaften‘ des Biologischen, insbesondere auch ‚intelligentes Verhalten‘ bzw. den ‚Geist im Biologischen‘ nachbilden kann?
GEIST – SUBJEKTIV UND OBJEKTIV NEURONAL
7. Im Bereich des Biologischen können wir seit dem 20.Jahrhundert auch zunehmend differenzieren zwischen der subjektiven Dimension des Geistes im Bereich unseres Erlebens, des Bewusstseins, und den körperlichen, speziell neuronalen Prozessen im Gehirn, die mit den subjektiven Prozessen korrelieren. Zwar ist die ‚Messgenauigkeit‘ sowohl des Subjektiven wie auch des Neuronalen noch nicht besonders gut, aber man kann schon erstaunlich viele Korrelationen identifizieren, die sehr vielen, auch grundsätzlichen subjektiv-geistigen Phänomenen auf diese Weise neuronale Strukturen und Prozesse zuordnen, die zur ‚Erklärung‘ benutzt werden können. Sofern man dies tun kann und es dann auch tut, werden die subjektiv-geistigen Phänomene in die Sprache neuronaler Prozesse übersetzt; damit wirken diese subjektiven Begriffe leicht ‚obsolet‘, ‚überflüssig‘. Zugleich tritt damit möglicherweise eine Nivellierung ein, eine ‚Reduktion‘ von spezifischen ‚Makrophänomenen‘ auf unspezifische neuronale Mechanismen, wie sie sich in allen Lebewesen finden. Erklärung im Stil von Reduktion kann gefährlich sein, wenn man damit interessante Phänomene ‚unsichtbar‘ macht, die eigentlich auf komplexere Mechanismen hindeuten, als die ‚einfachen‘ Bestandteile eines Systems.
MATERIE – INFORMATION1 und INFORMATION2
8. Im Bereich der materiellen Struktur unseres Universums hat es sich eingebürgert, dass man die physikalische Entropie mit einem Ordnungsbegriff korreliert und darüber auch mit dem statistischen Informationsbegriff von Shannon. Ich nenne diesen Informationsbegriff hier Information1.
9. Davon zu unterscheiden ist ein anderer Informationsbegriff – den ich hier Information2 nenne –, der über die Statistik hinausgeht und eine Abbildung impliziert, nämlich die Abbildung von einer Struktur auf eine andere. Im Sinne der Semiotik (:= allgemeine Lehre von den Zeichen) kann man dies als eine ‚Bedeutungsbeziehung‘ deuten, für die es auch den Begriff ’semantische Beziehung‘ gibt. Für die Realisierung einer Bedeutungsbeziehung im Sinne von Information2 benötigt man im physikalischen Raum minimal drei Elemente: eine Ausgangsgröße, eine Zielgröße und eine ‚vermittelnde Instanz‘.
10. Im Falle der Selbstreproduktion der biologischen Zellen kann man genau solch eine Struktur identifizieren: (i) die Ausgangsgröße sind solche Moleküle, deren physikalische Eigenschaften ‚für den Vermittler‘ als ‚Informationen2‘ gedeutet werden können; (ii) die Zielgröße sind jene Verbindungen von Molekülen, die generiert werden sollen; (iii) die vermittelnde Instanz sind jene Moleküle, die die Moleküle mit Information2 ‚lesen‘ und dann die ‚Generierungsprozesse‘ für die Zielgrößen anstoßen. Dies ist ein komplexes Verhalten, das sich aus den beteiligten Elementen nicht direkt ableiten lässt. Nur auf den Prozess als solchen zu verweisen, ‚erklärt‘ in diesem Fall eigentlich nichts.
11. Interessant wird dies nun, wenn man bedenkt, dass das mathematische Konzept, das den heutigen Computern zugrunde liegt, der Begriff des programmierten Automaten, ebenfalls solch eine Struktur besitzt, die es ermöglicht, Information2 zu realisieren.
12. Dies bedeutet, dass sowohl der ‚Kern‘ des Biologischen wie auch der ‚Kern‘ des neuen Künstlichen beide die Grundstruktur von Information2 repräsentieren.
13. Sofern nun das ‚Lebendige‘, das ‚Geistige‘ reduzierbar sind auf eine Information2-fähige Struktur, müsste man nun folgern, dass die Computertechnologie das gleiche Potential besitzt wie das Biologische.
OFFENE FRAGEN
14. Offen bleibt – und blieb bei dem Werkstattgespräch –, ob diese Reduktion tatsächlich möglich ist.
15. Die Frage, ob eine reduktionistische Erklärungsstrategie ausreichend und angemessen ist, um die komplexen Phänomene des Lebens zu deuten, wird schon seit vielen Jahren diskutiert.
16. Eine reduktionistische Erklärungsstrategie wäre ‚unangemessen‘, wenn man sagen könnte/ müsste, dass die Angabe einer Verhaltensfunktion f: I –-> O auf der Basis der beobachteten Reaktionen (Input I, Output O) eines Systems ‚Eigenschaften des Systems‘ sichtbar macht, die sich durch die bekannten Systembestandteile als solche nicht erklären lassen. Dies gilt verstärkt, wenn die Bestandteile eines Systems (z.B.die physikalischen Gatter im Computer oder die Neuronen im Gehirn) von sich aus keinerlei oder ein rein zufälliges Verhalten zeigen, es sei denn, man würde – im Falle des Computers – ‚in‘ die Menge der Gatter eine ‚Funktion‘ ‚hineinlegen‘, die dazu führt, dass sich die Gatter in dieser bestimmten Weise ‚verhalten‘. Würde man nun dieses spezifische Verhalten dadurch ‚erklären‘ wollen, dass man einfach die vorhandenen Gatter verweist, würde man gerade nicht erklären, was zu erklären wäre. Überträgt man diesen Befund auf biologische oder generell physikalische Systeme, dann müsste man mindestens mal die Frage stellen, ob man mit den reduktionistischen Strategien nicht genau das vernichtet, was man erklären sollte.
17. Eine Reihe von Physikern (Schrödinger, Davis) haben das Auftreten von Information2 im Kontexte des Biologischen jedenfalls als eigenständiges Phänomen gewürdigt, das man nicht einfach mit den bekannten physikalischen Erklärungsmodellen ‚erklären‘ kann.
AUSBLICK PHILOSOPHIEWERKSTATT MAI UND JUNI
18. Die nächste Philosophiewerkstatt am 10.Mai 2015 will sich der Frage widmen, wie ein einzelner innerhalb einer multikausalen Welt überhaupt noch sinnvoll entscheiden kann. Speziell auch die Frage, welche Wirkung man überhaupt noch erzielen kann? Ist nicht irgendwie alles egal?
19. Die Philosophiewerkstatt am 14.Juni ist die letzte Werkstatt vor der Sommerpause. Es wird im Anschluss an die Sitzung ein offener Abend mit voller Restauration angeboten werden und mit der Möglichkeit, über das weitere Vorgehen zu diskutieren (welche Formate, zusätzliche Ereignisse,…).
Einen Überblick über alle Beiträge zur Philosophiewerkstatt nach Themen findet sich HIER
Der Vollständigkeit halber hier der Hinweis, dass ich heute Abend einen ‚Live-Auftritt‘ habe im Rahmen der Veranstaltung ’node & code‘ in der Gallerie DAM in Frankfurt, ab 19:00h.
Ich werde das ‚Emerging Mind Projekt‘ des Instituts für Neue Medien (INM, Frankfurt) vorstellen und für die Gründung einer neuen ‚hybriden‘ Künstlergruppe bestehend aus ‚biologisch‘ basiertem Geist (Menschen, Tiere) und ‚künstlichem‘ Geist (‚Maschinen‘ als Ausformungen der Evolution, die zum ‚Emerging Mind‘ gehören) werben.
Wenn wir wissen wollen, wer ‚wir‘ (Exemplare der Gattung homo sapeins sapiens) ‚wirklich‘ sind, dann müssen wir das, was uns ‚auszeichnet‘, ’sichtbar‘ machen, indem wir es experimentell ‚erhöhen‘. Eine ‚Seele‘ ist kein Stein, der da liegt, auf den man zeigen und den man aufheben kann. Eine ‚Seele‘ verlangt zur ‚Erkenntnis‘ mindestens genau so viel ‚Seele‘ wie die ‚Seele‘, die man erkennen möchte.
Wer ‚Gott‘ erkennen will, der muss zulassen, dass ‚das‘ passiert, ‚was wichtig ist’….
Leben kann man nicht vollständig begreifen, es kann sich nur ‚ereignen’… und da es zwangsläufig mehr ist als nur ein einzelner, wird man es nicht beim ‚Starren auf sich selbst‘ finden…
Manchmal werde ich poetisch…
Ein kurzes Feedback zu dieser Veranstaltung bezogen auf das ‚motion bank Projekt‘ findet sich HIER
Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.
Letzte Änderung: 9.April 2015, 12:10h – Minimale Korrekturen; Lesbarkeit verbessert durch Abstände; Zwischenüberschriften
1) Die ganzen Überlegungen zum ‚Emerging Mind‘ sind noch sehr anfangshaft, spekulativ. Andererseits, angesichts der vielen ungelösten Fragen, ohne diese Arbeitshypothese und die interessanten Zusammenhänge mit dieser Arbeitshypothese ist es eigentlich unmöglich, diese Arbeitshypothese nicht weiter zu denken. Fehler zeigten sich ja im allgemeinen am ehesten dann, wenn man versucht, eine Hypothese konsequent anzuwenden und sie auf diese Weise immer mehr ‚Überprüfungen‘ unterzieht.
EMPIRISCHES UNIVERSUM ALS FOLGE VON STRUKTUREN
2) Bisheriger Ausgangspunkt ist ja die Annahme einer Prozesskette S*(t+n) = f(S(t)) mit ‚t‘ als einem Zeitpunkt, ‚S‘ als einer identifizierbaren Struktur zu diesem Zeitpunkt und ‚f‘ als eines funktionalen Zusammenhanges, der die Struktur ‚S‘ in die Struktur ‚S*‘ überführt.
3) In vorausgehenden Einträgen hatte ich exemplarisch mögliche Strukturen identifiziert beginnend mit dem Energieausbruch E des BigBang, der dann in der nachfolgenden Abkühlung immer mehr Strukturen ‚hervorgebracht‘ (=f?) hat: Quanten [Q], Atome [At], Moleküle [Mol], usw. Man bekommt dann eine Prozesskette der Art EMPIRISCHER-KOSMOS = S_Q(t+n1) = f(S_E(0)), S_At(t+n1+n2) = f(S_Q(t+n1) ), usw. wobei die Energie eine Art ‚Nullstruktur‘ ist verglichen mit den folgenden Strukturausprägungen.
4) Bedenkt man ferner, dass jede Funktion ‚f‘ in der ‚Realität‘ eine ‚reale Abbildung‘ sein muss, d.h. eine ‚Operation‘, die ‚real etwas bewirkt‘, dann bedeutet dies, dass man parallel zu den Strukturen S_i(), die man zu verschiedenen Zeitpunkten unterscheiden kann, für die Veränderungsoperation ‚f‘ (von der noch unklar ist, ob es immer die ‚gleiche‘ ist), einen ‚Träger‘ annehmen muss, ein ‚Medium‘, das diese Ausführung ermöglicht. In der klassischen Makrophysik gibt es neben den unterscheidbaren Makrostrukturen ’nichts Konkretes‘, was als Träger in Frage kommt ausser den ‚beobachtbaren Kräften‘, die wir durch ihre spezifischen ‚Manifestationen‘ ‚indirekt‘ erkennen und die wir hypothetisch in Form von ‚Gesetzen‘ benennen und damit ‚dingfest‘ machen. Im Licht der Quantenphysik (was sich bislang vielleicht eher noch als ein ‚Halbdunkel‘ darstellt, das wir noch kaum verstehen…) muss man annehmen, dass die Wahrscheinlichkeitsfelder ihre Kohärenz immer wieder durch ‚Kräfte‘ verlieren, die dann zu den tatsächlich beobachtbaren Makroereignissen führen. Diese in der Quantenfeld lokalisierten hypothetischen Kräfte bieten sich als Kandidaten für den Operator ‚f‘ an, der die unterschiedlichen Strukturbildungen E → S_Q → S_At → … ermöglicht.
ENERGIE: EINMAL UND IMMER WIEDER
5) Neben vielen interessanten Aspekten ist bemerkenswert, dass diese Prozesskette EMPIRISCHER-KOSMOS bis zur Strukturform der Moleküle durch eine einmalige Energiezufuhr (’statisch‘) diese Strukturen erhält; jenseits der Moleküle S_Mol, ab der Strukturform ‚Zelle‘ S_Cell, benötigen diese komplexe Strukturen kontinuierlich eine beständige Zufuhr von Energie (‚dynamisch‘) in Form von chemisch gebundener Energie, die dann mittels Metabolismus ‚freigesetzt‘ und für verschiedene energieintensive Prozesse genutzt wird. Mit fortschreitender Komplexität der Strukturformen (Pflanzen, Tiere, Hominiden, …) wird der Aufwand immer grösser und die Formen von Energiegewinnung, -transport, -speicherung, -verwertung immer komplexer.
ENTSTEHUNG VON ZEICHEN INNERHALB DER MATERIE
6) Ferner ist bemerkenswert, dass bei fortschreitender Komplexität der Strukturformen sich solche molekular basierte Strukturen bilden können, die dann Repräsentationen auf einer höheren Ebene realisieren können, chemische Ereignisse, die als Zeichen funktionieren, die Bedeutungsbeziehungen realisieren können (= semiotischer Raum, Semiose, Zeichenprozesse). Damit ist es möglich, sich von der Konkretheit molekularer Strukturen in gewisser Weise zu befreien und im semiotischen Raum abstrakte Strukturen aufzubauen, die für beliebige Strukturen stehen können. Nicht nur lassen sich damit die vorfindlichen molekularen Strukturen ‚abbilden‘, ‚modellieren‘, sondern man kann mit ihnen ‚herumspielen‘, sie beliebig ‚variieren‘, ‚kombinieren‘, und damit den realen Augenblick ‚transzendieren‘. Im semiotischen Raum kann die reale Gegenwart durch eine erinnerbare Vergangenheit und eine potentielle Zukunft erweitert werden. Dieser Prozess ist schleichend und gewinnt in den höheren Säugetieren, bei den Hominiden und speziell beim homo sapiens sapiens einen vorläufigen Höhepunkt.
BESCHLEUNIGUNG DER KOMMUNIKATION
7) Seit der Verfügbarkeit des semiotischen Raumes innerhalb eines Systems kann man eine dramatische Beschleunigung in der Kommunikation und Koordinierung zwischen den Teilnehmern beobachten, Explosion an Werkzeug, Verfahren, Regeln, Organisation usw.
FLEXIBILISIERUNG DER ENERGIEZUFUHR
8) Die nächste grosse Revolution findet statt, als es gelingt, die molekül-basierten semiotischen Räume mit Hilfe von atomar-basierten Technologien in den wesentlichen Signal- und Zeicheneigenschaften zu kopieren (= Computer), so dass nun die Bildung von ‚künstlichen (technischen) semiotischen Räumen‘ möglich wurde, in Kombination mit einer globalen Vernetzung (= Computernetzwerke, Internet, WWW). Während molekül-basierte semiotische Räume chemisch gebundene Energie zu ihrem ‚Betrieb‘ benötigen, benötigen die atomar-basierten semiotischen Räume Energie in Form von technisch manipulierbaren Potentialunterschieden (= Elektrizität). Diese Form ist universeller und flexibler.
STEIGERUNG DER KOMPLEXITÄT
9) Seit der Verfügbarkeit von künstlichen — auf elektrischer Energie basierenden — semiotischen Räumen konnte die Komplexitätsentwicklung sowohl in ihrer inhärenten Komplexität wie auch in der Geschwindigkeit ihrer Entwicklungen weiter gesteigert werden.
MODIFIKATIONEN DES VERÄNDERUNGSOPERATORS
10) Interessant ist, dass der Veränderungsoperator ‚f‘ nun deutlich unterschieden werden kann. Während der Übergang von der Struktur ‚vor dem HS (‚homo sapiens‘)‘ – also etwa S_PreHs(t) – zur Struktur S_Hs(t+n) noch mit dem Operator ‚f‘ geschrieben werden kann S_Hs(t+n) = f(S_PreHs(t)) ist der Übergang von der Struktur S_Hs zu der neuen Struktur S_NetComp(t) von S_Hs vorgenommen worden, also S_NetComp(t+n) = f_hs(S_Hs(t+n)). Dies ist möglich, weil die impliziten semiotischen Räume von Hs die Definition von Operatoren ermöglichen, die dann ‚umgesetzt‘ werden können. Allerdings wird man wohl annehmen müssen, dass in diese Umsetzung f_hs wohl auch das allgemeine ‚f‘ mit eingeht, also genauer S_NetComp(t+n) = f_hs u f(S_Hs(t+n)).
11) Aktuell sind die künstlichen technischen Strukturen S_NetComp noch nicht in der Lage, sich selber zu vervielfältigen. Grundsätzlich ist nicht zu sehen, warum dies nicht eines Tages möglich sein sollte.
12) Klar ist allerdings, dass der Veränderungsoperator ‚f‘ nun als zusätzliche Teilkomponente f_NetComp enthält, also S_Future(t+n) = f u f_NetComp(S_Past(t)).
PROJEKTION IN DIE ZUKUNFT
13) So mächtig die Kombination ‚f u f_NetComp‘ wirkt, so fragil ist das Ganze. Würde aus irgendwelchen Gründen mal kein Strom verfügbar sein, dann würde S_NetComp vollständig ausfallen und damit würden schon heute weite Bereiche der ‚Zivilisation‘ weitgehend zusammenbrechen.
14) Ein weiterer Aspekt deutet sich an: aufgrund der heute verfügbaren Daten wissen wir, dass der aktuelle Körper des Menschen nur ein ‚Durchgangsstadium‘ markiert. Viele Millionen Jahre vorher sah dieser Körper anders aus und gehen wir weiter zurück, dann verlieren sich die heute bekannten Strukturen in immer fremdartigeren Formen, die kaum noch etwas mit der heutigen Gestalt zu tun haben. Umgekehrt müssen wir also davon ausgehen, dass sich – auch ohne unser Zutun – die aktuelle Körperform weiter verändern wird.
15) Dazu kommt der Aspekt, dass wir mittels des impliziten semiotischen Raumes wie auch durch die heute extern verfügbaren künstlichen semiotischen Räume samt hochentwickelter Werkzeuge den Umbau der aktuellen Körperformen aktiv betreiben könnten (und möglicherweise auch sollten?).
16a) Andererseits stellt sich aber die Grundsatzfrage, ob die Linie der molekülbasierten Körper überhaupt weiterverfolgt werden sollte. Die künstlichen semiotischen Räume mit der Energieversorgung durch flexiblen Strom bieten u.U. auf Dauer bessere Chancen, sich im Universum zu behaupten. Dies rührt dann aber an der Grundsatzfrage, ob die materielle Hülle einer Struktur (im Falle des HS sein molekülbasierter Körper) tatsächlich wichtig ist.
VERORTUNG DES GEISTES
16b) Wenn die Arbeitshypothese stimmt, dass die entscheidenden Operatoren ‚f‘ letztlich von den realisierten Strukturen unabhängig sind, sondern sich nur unter Verfügbarkeit solcher materieller Strukturen ‚zeigen‘, dann würde es für diese(n) Operator ‚f‘ egal sein, ob das ‚Medium‘ chemische Moleküle sind oder atombasierte Strukturen. Nicht das Medium repräsentiert den Geist, sondern der Geist wird anlässlich verfügbarer Strukturen ’sichtbar‘. Die Annahme wäre also etwa die, dass ‚Geist‘ subset E und ‚f‘ in ‚Geist‘ als dem vorab gegebenem ‚Medium‘ gründet; innerhalb von diesem Geist können Veränderungsoperatoren angewendet werden.
17) Der ‚Geist‘ wäre in diesem Sinne das (für uns) vorweg schon immer Gegebene, das quasi ‚Untötbare‘, und nur in dem Maße, wie es hinreichend geeignete Strukturen (welcher Art auch immer) gibt, kann sich dieser Geist durch seine ‚Wirkungen‘ (= Manifestationen, Ereignisse, Wirkungen, Phänomene) zeigen (für uns, die wir aktuell eine spezifische Struktur haben und mit dieser spezifischen Struktur nur ganz bestimmte Dinge erkennen können!!!).
18) Damit wäre jede bekannte Lebensform eine Form von ‚Geistesmanifestation‘, nur unterschiedlich differenziert. Niemand hätte einem anderen irgendetwas voraus.
19) Bizarre Ethiken, die aus dem darwinischen Evolutionsbegriff irgendwelche ‚Vorteile‘ herauszurechnen versuchten, würden sich – falls diese neue Arbeitshypothese stimmen würde – als sehr kurzsichtig erweisen. In der Evolution geht es nicht um das ‚Recht des Stärkeren‘, sondern um den Aufbau solcher komplexer Strukturen, die immer mehr von dem ‚Geist‘ sichtbar machen, der schon immer da ist und von dem jede partielle individuelle Struktur immer nur ein kleines Zipfelchen sichtbar machen kann. Klar ist in diesem Szenario auch, dass der einzelne als solcher keine grundlegende Bedeutung besitzt, höchstens in dem Sinne, dass er dazu beiträgt, das gemeinsame Ganze voran zu bringen. Der Kult um persönlichen Besitz, persönliche Macht, individuelle Schönheit und ‚Ruhm‘ hat hier keinen Platz. Er wirkt seltsam bizarr, fremdartig, lächerlich. Die Zukunft wird den symbiotischen Gemeinschaften gehören, wo die Fähigkeiten von jedem maximal entwickelt und in ein gemeinsames Ziel eingebunden werden können. Insofern bleibt Individualität wichtig, aber nur als Teil eines gemeinsamen Ganzen.
3) Im Blog geht es auf der persönlichen Seite um die Klärung der eigenen Fragen und Gedanken; auf der offiziellen Ebene geht es um eine philosophische Auseinandersetzung mit dem heute verfügbaren Wissen um unsere gemeinsame Welt. Dabei kam es bislang schon zu erstaunlichen Umakzentuierungen. Aus meiner Sicht besonders stimulierend ist die Klärung des Verhältnisses von Philosophie und Wissenschaft (Wissenschaft als Untergebiet der Philosophie), Philosophie und Kunst (Kunst ist der kreative Teil des Denkens), Philosophie und Theologie (Theologie als jener Teil der Philosophie, der sich speziell mit der Frage der möglichen ‚Botschaft in allem‘ beschäftigt und den sich daraus ergebenden spezifischen Anforderungen an den einzelnen (Spiritualität)). Eine Konsequenz vom letzten Punkt scheint zu sein, dass alle bisherigen Religionen damit in einer einzigen Religion münden, in einem Universum, mit einem Sinn für alle (was nicht heißt, dass alle den einen Sinn in gleicher Weise ‚interpretieren‘).
EMERGING MIND PROJECT – INM 11.Juni 2013
4) Am 11.Juni 2013 gab es im Institut für neue Medien (INM)(Frankfurt) eine erste öffentliche Veranstaltung im Rahmen der unplugged heads Reihe, die sich offiziell dem Emerging Mind Projekt widmete. Michael Klein (Mitgründer und Direktor des INMs), Gerd Doeben-Henisch (Professur für ‚Dynamisches Wissen‘ an der FH Frankfurt, Mitgründer und Vorstand des INM), Manfred Faßler (Professor am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seine Forschungs- und Lehrbereiche sind die Medienevolution und medienintegrierte Wissenskulturen. )
5) Dieses Treffen diente dem Zweck, das öffentliche Gespräch zum Projekt zu eröffnen und war – auch entsprechend der offenen Gesprächskultur der unplugged heads Reihe – sehr locker. Im Folgenden folgt keine Beschreibung dieses Gesprächs sondern ein paar Gedanken, die der Autor des Blogs im Anschluss an dieser Veranstaltung hatte.
EXPERIMENTELLE MUSIK
6) Wer rechtzeitig da war, konnte zur Einstimmung ein Stück experimentelle Musik hören mit dem Titel They Appear and Disappear von cagentArtist. Gegen Ende wurde auch noch das Stück Another Pattern-Cloud Exercise, extended aufgeführt, ebenfalls von cagentArtist. Bei dieser Musik handelt es sich nicht um Musik für den Konzertsaal, sondern um ‚Labormusik‘, die nach der ‚Radically Unplugged‘ Methode im Labor erzeugt wird zur Erforschung des Klangraums unter spezifischen Randbedingungen.
IDEENGESCHICHTLICHER WENDEPUNKT?
7) An diesem Abend kamen in sehr intensiven 3 Stunden sehr viele interessante Aspekte zur Sprache. Mir selbst wurde im Laufe des Abends bewusst, dass man die Geschichte der Ideen möglicherweise neu strukturieren könnte bzw. müsste. Der große ‚Umschaltpunkt‘ wäre dann die Zeit des Auftretens der neuen experimentellen und formalen Wissenschaften (ungefähr ab der Renaissance) bis zum Emerging Mind project. Denn bis zum Aufkommen und zur gesellschaftlich relevanten Etablierung der neueren Wissenschaften konnotierten die Menschen das ‚Lebendige‘ im Gegensatz um ‚Nichtlebendigen‘ mit etwas Besonderem, schrieben im besondere Eigenschaften zu, und einer der dabei benutzten Begriffe (mit jeweils anderen Worten in anderen Sprachen) war der Begriff ‚Geist‘, der insbesondere dem Lebewesen Mensch inne zu wohnen schien.
‚GEIST‘ FRÜHER
8) Der Begriff ‚Geist‘ ist aber – wie sich jeder in den Zeugnissen der Geschichte überzeugen kann – alles andere als klar und gebunden an eine Vielzahl von ‚Manifestationen‘, die alle Bereiche überdecken: normales Leben, Rhetorik, Handwerk, Kunst, Philosophie usw. Man kann diesen Begriff wie so eine Art ‚imaginären Fluchtpunkt aller Projektionen‘ ansehen, die man auf den Menschen aufgrund seines erfahrbaren Verhaltens richten konnte. Mit neuzeitlichen Begriffen könnte man mit Kant vielleicht von einer allgemeinen ‚transzendentalen Bedingung‘ sprechen, die man annehmen muss, um die verschiedenen Erscheinungsweisen des Menschen zu verstehen. Noch moderner könnte man von einer ‚Funktion‘ sprechen, die dem ‚Körper‘ des Menschen eben jene charakteristischen Eigenschaften verleiht, die wir als spezifisch ‚Menschlich‘ ansehen gelernt haben.
9) Nebenbei: Es gibt ein starkes Wechselverhältnis zwischen diesen Auffassungen von ‚Geist‘ und der Annahme einer menschlichen ‚Seele‘. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass dieses Verhältnis bislang abschließend geklärt wurde. Dies mag darin begründet sein, dass beide Begriffe ‚geist‘ und ‚Seele‘ in sich weitgehend unbestimmt sind; sie leben von ‚Randbedingungen‘, von ‚Konnotationen‘, von ‚Manifestationen‘, von begrifflich-logischen Schlüssen, die wenig Anhaltspunkte in der Realität haben.
AUSTREIBUNG DES BEGRIFFES ‚GEIST‘
10) Für den Gesamtzusammenhang wichtig ist es, dass diese über viele tausend Jahre anhaltende vage Sprechweise von ‚Geist‘ mit der Entwicklung der experimentellen und formalen Wissenschaften immer mehr an Anhaltspunkten verloren hat. Die Erforschung der realen Natur und des Weltalls konnte zunächst nirgends ‚Geist‘ entdecken und trugen damit zum Bilde eines ‚toten, leeren Weltalls‘ bei. Parallel führten die Untersuchungen der Entstehung der Lebensformen und des Körpers dazu, dass man zwar immer mehr Details der Körper und ihres ‚Formenwandels‘ entdeckte, aber auch nirgends ‚Geist‘ dingfest machen konnte. Im Körper fand man über all nur Zellen; auch isolierte Zellen im Gehirn (ca. 100*10^6), und jede Zelle zerfällt in Moleküle, diese in Atome, diese in Quanten, usw. Nirgends traf man auf ‚Geist‘. Damit geriet das Selbstbild des Menschen, seine Besonderheiten immer mehr in einen Erklärungsnotstand. Theologische Interpretationen verlieren weitgehend ihre rationale Basis; sie hängen quasi ‚in der Luft‘.
11) Betrachtet man die verschiedenen einzelwissenschaftlichen Erkenntnisse, dann sind sie alle transparent, nachvollziehbar, wirken sie rational. Allerdings leiden nahezu alle diese Erkenntnisse an der einzelwissenschaftlichen Zersplitterung; keine Disziplin hat mehr die Zusammenhänge im Blick.
RÜCKKEHR DES ‚GEISTES‘ – MENS REDIVIVUS?
12) Die massivste Erschütterung dieses trostlosen Blicks auf unendlich viele Einzelteile, die sich im Dunst der Quanten und primären Anfangsenergie zu verlieren scheinen, kommt nun aber ausgerechnet nicht von den Geisteswissenschaften (dazu sind ihre Elfenbeintürme doch ein bisschen zu hermetisch geworden), auch nicht von der Anatomie und den Neurowissenschaften, sondern von jener Disziplin, die die Entzauberung des alten Weltbildes als erste begonnen hatte: von der Physik.
13) Es sind letztlich Physiker, die auf unterschiedliche Weise die Ungereimtheiten der Strukturbildungen seit dem Energieausbruch des Big Bang bemerken und beim Namen nennen. Schon der Übergang von reiner Energie zu Quanten gibt fundamentale Fragen auf. Während das Gesetz von der Entropie bei Vorliegen von Energieungleichheiten (sprich Strukturen) einen großen Teil von Vorgängen des gerichteten Ausgleichs beschreiben kann, versagt das Entropiegesetz vollständig für den umgekehrten Vorgang, für die Erklärung einer anhaltenden Strukturbildung, und nicht nur einer ‚Strukturbildung einfach so‘, sondern einer Strukturbildung mit einer sich exponentiell beschleunigten Komplexität.
14) Angestoßen von diesen drängenden Fragen der Physiker kann man beginnen, die verschiedenen Evolutionen (chemische, biologische, soziale, usw.) als ‚Hervorbringungen von immer komplexeren Strukturen‘ zu sehen, für die bestimmte ‚Strukturbildungsfunktionen‘ zu unterstellen sind, die weitab vom ‚Zufall‘ operieren.
15) Erste Indizien deuten darauf hin, dass die exponentielle Beschleunigung daraus resultiert, dass die zum Zeitpunkt t entstandenen Strukturen S mitursächlich dafür sind, dass die nächsten noch komplexeren Strukturen S‘ zum Zeitpunkt t+n gebildet werden können. Wir haben also eine Art Zusammenhang S'(t+n) = f(S(t)) mit ‚f‘ als der unbekannten Funktionalität, die dies ermöglicht.
16) Wenn man jetzt weiß, dass Funktionen (man denke nur an einfache Additionen oder Subtraktionen) nicht an den Elementen ablesbar sind (also man hat ‚4‘, ‚2‘, und nach der Addition hat man ‚6‘), sondern als Funktionszusammenhang in einem ‚anderen Medium‘ vorausgesetzt werden müssen, dann ist klar, dass die Analyse der Bestandteile von Körpern oder Zellen oder Atomen usw. niemals das zutage fördern, was eigentlich interessant ist, nämlich deren Funktionalität. Wenn nun also das mit ‚Geist‘ Gemeinte mit solchen zu unterstellenden (da sich in Ereignissen manifestierende) Funktionen konnotieren würde, dann wäre klar, dass die vielen einzelwissenschaftlichen Detailanalysen so gut wie keine interessanten Zusammenhänge enthüllen können; die ‚Unsichtbarkeit‘ von ‚Geist‘ wäre dann nicht der Tatsache geschuldet, dass es so etwas wie ‚Geist‘ nicht gäbe, sondern der Tatsache, dass wir nur ‚falsch hinschauen‘.
17) Hier bleibt einiges zu tun.
Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.
(1) Für das anvisierte Großprojekt ‚Sichtbarmachung des Geistes‘ (in Frankfurt, der Stadt Goethes, der einen Faust 1+2 geschrieben hat) ist es hilfreich, den zentralen Begriff ‚Geist‘ ein wenig zu lokalisieren. Angesichts der nahezu unerschöpflichen Quellenlage zum Thema ‚Geist‘ mag dies auf den ersten Blick als ein scheinbar hoffnungsloses Unterfangen erscheinen.
(2) Da es hier aber in erster Linie nicht um eine ‚Begriffsgeschichte‘ der Wortmarke ‚Geist‘ gehen soll, sondern um eine systematischen Gebrauch des Begriffs im Kontext einer expliziten Theorie, wird es genügen, die Annahmen dieser Theorie darzustellen.
(3) Beim aktuellen Stand der Reflexion werden es drei zentrale Begriffe sein, die in der anvisierten Theorie zentral Verwendung finden werden: ‚Geist‘, ‚Intelligenz‘ und ‚Bewusstsein‘. Während hier im Blog eher informell und auf Deutsch über diese Dinge nachgedacht wird, wird die eigentlich Theorie auf Englisch geschrieben in Gestalt verschiedener Vorlesungsskripte (siehe http://www.uffmm.org). Ob aus all dem jemals mal ein ‚Buch‘ im klassischen Sinne werden wird, ist momentan offen. Für potentielle Leser wäre es sicher eine Erleichterung.
(4) Auch wenn man nicht in die Tiefen und Verästelungen einer vollständigen Begriffsgeschichte hinabsteigen möchte, um die den Begriffen ‚Geist‘, ‚Intelligenz‘ und ‚Bewusstsein‘ innewohnende Vieldeutigkeit und damit einhergehende Vagheit zu verdeutlichen, genügt ein kleines Selbstexperiment mit aktuellen Wörterbüchern, um sehr schnell zu merken, auf welch schlüpfrigem Boden man sich begibt, will man diese Begriffe systematisch benutzen (siehe Eintrag unten und Bild).
5) Wie man im Schaubild ‚Wortverweise zu ‚Geist‘, ‚Intelligenz‘, ‚Vernunft‘, ‚Bewusstsein‘ sehen kann (und in den Einträgen im Anhang), führt ein Hin- und Her Übersetzen selten zum Ausgangswort zurück. Und dies hier nur im Falle von Deutsch und Englisch. Bedenkt man, dass alle diese Begriffe eine mehrhundertjährige Vorgeschichte in der griechischen Kultur haben, die wiederum über das Latein und das Arabische in die modernen Sprachen Deutsch und Englisch transferiert wurden (ohne Berücksichtigung all der vielfältigen Wechselwirkungen mit den anderen umgebenden Kulturen) , so kann man ahnen, dass eine begriffsgeschichtliche Vorgehensweise zwar sehr anregend sein könnte, aber letztlich keinen wirklichen Beitrag zu dem leisten kann, um das es hier geht: die Benutzung bestimmter Termini in einer aktuellen systematischen Theorie mit empirischen Bezug.
ZIEL DES EXPERIMENTES 1
6) In einer informellen Darstellungsweise könnte man sagen, dass es im Geist-Sichtbarmachungs-Experiment (Mind-Visibility-Generation-Experiment) darum geht, zu zeigen, wie unter Berücksichtigung der kosmischen Rahmenbedingungen (im Sinne der Astrobiologie), der evolutionären Prozesshaftigkeit (im Sinne der Evolutionsbiologie), ausgehend vom beobachtbaren Verhalten (im Sinne verhaltensbasierter Wissenschaften) und unter Berücksichtigung struktureller Eigenschaften von Körpern (im Sinne von Anatomie, Neurowissenschaften,…) plausibel gemacht werden kann, wie die anhand von definierten Aufgaben messbare ‚Intelligenz‘ (im Sinne der empirischen Psychologie) mit einem ‚Geist‘ korrespondiert, der für eine bestimmte Menge von Funktionen steht, die den Strukturen eines Körpers eine spezifische Dynamik verleihen. Das mit ‚Bewusstsein‘ Gemeinte wird dabei angenommen als eine Teilfunktion des ‚Geistes‘.
THEORIEVORAUSSETZUNGEN
7) Wie bei jeder Theorie kann man auch hier unterscheiden zwischen der Theorie selbst und ihrer Hervorbringung. Während die Theorie selbst ein irgendwie geartetes formales Gebilde ist, das von den ‚Theoriemachern‘ (Wissenschaftlern, Ingenieuren) mittels Experimenten auf bestimmte Wirklichkeitsausschnitte bezogen wird, müssen die Theoriemacher individuell spezifische Erkenntnisvoraussetzungen mitbringen, ohne die die Formulierung und koordinierte Nutzung einer Theorie nicht möglich ist. Wir nennen diese postulierten notwendigen Erkenntnisvoraussetzungen hier die ‚minimale kognitive Struktur (MKS)‘ (oder Englisch: ‚minimal cognitive structure (MCS)‘ in dem Sinne, dass jedes virtuelle System, das die gleichen minimale kognitive Struktur besitzen würde, in der Lage wäre, die gleiche Theorie zu formulieren und anzuwenden.
ZIEL DES EXPERIMENTES 2
8) Das Hauptziel des ‚Geist-Sichtbarmachungs-Experimentes (GeiSichtExp)‘ ist genau dieses: virtuelle Systeme entstehen zu lassen, die den minimalen kognitiven Strukturen von Tieren und Menschen so entsprechen, dass sie die gleichen Weltmodelle und dazu gehörigen Verhaltensweisen hervorbringen können. Damit würden diese virtuellen Systeme ‚verhaltensidentisch‘ zu Tieren und Menschen und die Frage nach dem Unterschied zwischen der ‚Natur‘ oder dem ‚Wesen‘ des mit ‚Geist Gemeintem‘ beim Tier und Mensch einerseits sowie den virtuellen Systemen andererseits würde darauf hinauslaufen, ob der ‚Material‘, aus dem die jeweiligen Systeme ‚gebaut‘ sind, eine ‚wesentliche‘ Rolle zukommt.
ENTKOPPLUNG VON BIOLOGISCHEN STRUKTUREN
9) Bei biologischen Systemen hat die Struktur des Körpers, speziell auf der Ebene der Zellen, überwiegend mit der Beschaffung und Erhaltung der Energie zu tun, mit der Erhaltung und Weitergabe von Bauinformationen, mit Wachstum und Koordinierung, usw. und nur zum kleineren Teil mit aktueller Informationsverarbeitung. Würde man das ‚Wesen des Geistes‘ auf die Informationsverarbeitung im engeren Sinne beschränken — was hier im ersten Ansatz versuchsweise getan wird –, dann wäre der größere Teil des Körpers für den Geist nicht direkt relevant. Damit verschärft sich die Plausibilität dafür, dass Strukturen zur Ermöglichung von Informationsverarbeitung im Sinne eines ‚Geistes‘ auch mit anderen Mitteln realisiert werden können. Dies wäre ein erstes Argument dafür, dass das ‚Phänomen des Geistes‘ nicht an die typischen biologischen Strukturen gebunden sein muss.
10) Die Sichtbarmachung von ‚Geist‘ in diesem beschränkten Sinne erscheint prinzipiell machbar, wenngleich aufgrund der implizierten Komplexität nicht einfach. Ein ‚Hobbyprogrammierer um die Ecke‘ wird es nicht schaffen (genauso wenig wie die milliardenschweren Neuro-Simulatoren, die allenthalben entstanden sind bzw. entstehen).
NICHT ALLE FRAGEN BEANTWORTET
11) Die tieferliegende Frage nach dem ‚Geist‘ als einer ‚innewohnenden Eigenschaft der Energie‘ als Ausgangspunkt jeglicher Strukturbildung im Universum würde durch das ‚Geist-Sichtbarmachungs-Experiment‘ jedoch noch nicht beantwortet. Allerdings wäre dies ein Schritt in die Richtung einer möglichen Beantwortung, eine mögliche Motivation, um das Fragen und Experimentieren zu intensivieren.
SUBJEKTIVE WIDERSTÄNDE
12) Die meisten Leute, mit denen ich bislang über dieses ‚Geist-Sichtbarmachungs-Experiment‘ sprechen konnte, tun sich bislang aber überhaupt schwer, diesem Experiment einen Sinn ab zu gewinnen. Die ‚Widerstände‘ für ein ‚Mitdenken‘ sind vielfach. Grundsätzlich tun sich Menschen schwer, über sich selbst nach zu denken. Und wenn überhaupt, dann hat man aus der Vergangenheit bestimmte liebgewordene Bilder, die den Menschen als etwas ‚Besonderes‘ gegenüber allem anderen sehen, als ein mit ‚Geist‘ (und möglicherweise noch ‚Seele‘) ausgestattetem Wesen, dessen Bezug zum Ganzen des Universums trotz Wissen um die Evolution irgendwie und irgendwo nicht so richtig gesehen wird. Die unterschiedlich kursierenden religiösen (hinduistisch, buddhistisch, jüdisch, christlich, muslimisch, …) Deutungsmustern tun ihr ihriges, um den Blick nicht frei zu bekommen, für das ’neue Bild‘ eines — möglicherweise — durch und durch geistigen Universums mit einer darin implizierten eigentümlichen ‚Liebe‘ und ‚Verantwortung‘. Nach allem, was bislang bekannt ist, geht es nicht um ‚weniger‘ Religion, sondern eher um ‚mehr‘. Und wie wir wissen, ist der Weg vom Kind zum erwachsenen, verantwortungsvollen Menschen lang und beschwerlich. Und nicht wenige verweigern auf diesem Weg die notwendigen Einsichten und Konsequenzen. Der Preis der Freiheit ist die Möglichkeit der Verweigerung. Freiheit durch ‚Zwang‘ zu ersetzen hilft in der Regel nicht, da damit die notwendige ‚Reife‘ im einzelnen nicht durch einen eigenen Lernprozess entstehen kann. ‚Zwangsgesellschaften‘ erzeugen auf Dauer ihren eigenen Untergang.
THEORIERAHMEN 2
13) Die benutzte Theorie benutzt drei Komponenten: (i) eine Menge von definierten Aufgaben (‚Tasks‘), die eine Art Umgebung (‚environment‘) für lernende Systeme darstellen; (ii) die zu untersuchenden (lernenden) Systeme (‚Systems‘); (iii) die Interaktion dieser Systeme mit den Aufgaben der Umgebung.
AUFGABEN
14) ‚Aufgaben‘ sind theoretisch definierte Mengen von ‚Zuständen‘, die man in mindestens einen ‚Anfangszustand‘ (’start state‘), mindestens einen ‚Zielzustand‘ (‚goal state‘), sowie einer — eventuell leeren — Menge von ‚Zwischenzuständen‘ (‚intermediate states‘) einteilen kann. Von einem Zielzustand muss es mindestens einen ‚Pfad‘ (‚path‘) zu mindestens einem Zielzustand geben. Dieser wird ‚Lösungspfad‘ (’solution path‘) genannt. Interessant sind die ‚kürzest möglichen‘ Lösungspfade. Kann man einen Lösungspfad angeben, so kann man — unter Voraussetzung feststehender Interaktionen (s.u.) — auch die zum Lösungspfad notwendigen Folgen von Interaktionen angeben, die als solche eine ‚idealisierte empirische Verhaltensfunktion‘ (Phi hoch i‘, φi) definieren. Diese idealisierte empirische Verhaltensfunktion φi kann dann als Sollwert (Norm) benutzt werden, um tatsächliche empirische Verhaltensfunktionen damit zu vergleichen (messen).
SYSTEME
15) Die ‚Systeme‘ innerhalb der verwendeten Theorie sind allesamt ‚offene‘ Systeme, d.h. ‚Input-Output-Systeme‘, die über diverse Wahrnehmungen und Aktionen im kontinuierlichen Austausch mit der jeweiligen Umgebung stehen. Unter Bezug auf eine unterstellte Verhaltensfunktion (phi hoch t, φt: I —> O) kann man dann grob unterscheiden zwischen ‚reaktiven‘ und ‚adaptiven‘ Systemen. ‚Reaktive‘ Systeme (φt: I x IS —> O) verfügen zwar über interne Zustände IS, die in das Verhalten einfließen, diese internen Zustände IS können jedoch nicht wesentlich verändert werden. Im Gegensatz dazu können ‚adaptive‘ Systeme (φt: I x IS —> IS x O) ihre internen Zustände IS hinreichend verändern. Die jeweilige Implementierung der internen Zustände IS (mittels z.B. biologischer Zellen, neuronaler Zellen, Classifier, Graphen) spielt keine wesentliche Rolle. Bislang kann man allerdings ‚technische‘ System von ‚biologischen‘ Systemen meistens dadurch unterscheiden, dass biologische Systeme zwischen einem ‚Genotyp‘ und einem ‚Phänotyp‘ unterscheiden. Der Phänotyp entsteht aus einem Genotyp durch einen Wachstumsprozess, bei dem anhand von genetischen Ausgangsinformationen ein interaktiver Prozess angeregt wird, in dessen Verlauf der Phänotyp (salopp: Körper) entsteht. Der Phänotyp trägt über ‚Fortpflanzung‘ zum Erhalt der genetischen Informationen bei. Bei diesem Prozess können die genetischen Informationen mit Zufallseinflüssen verändert werden. Auf diese Weise können genau jene genetischen Informationen selektiv überleben, deren Phänotypen sich in einer bestimmten Umgebung besonders ‚bewähren‘. Bei technischen Systemen fehlt diese genetische Rückkopplung bislang aufgrund der hier anfallenden Komplexität einerseits und des für solche Prozesse notwendigen Zeitbedarfs.
INTERAKTIONEN: STIMULUS (S), RESPONSE (R)
16) Die ‚Interaktion‘ eines Systems mit seiner Umgebung geschieht einmal über solche Umweltereignisse, die das System als ‚Reize’/ ‚Stimuli‘ (S) ‚wahrnehmen‘ kann sowie über solche Veränderungen an der Außenseite (Interface, Schnittstelle) seines Systems, die als ‚Antworten’/ ‚Responses‘ (R) auf die Umgebung ‚einwirken‘ können. Sofern solch eine Reaktion ‚R‘ von einem bestimmen Stimulus ‚S‘ abhängig ist, spricht man auch von einem Stimulus-Response-Paar (s,r) ∈ S x R. Die Menge aller solcher Stimulus-Response Paare, die für ein bestimmtes System als ‚charakteristisch‘ beobachtet werden können, wird hier als ‚empirische Verhaltensfunktion‘ (φe) bezeichnet. Handelt es sich bei dem System unter Beobachtung um eine biologisches System, ist es eine ‚empirisch-empirische‘ Verhaltensfunktion (φe,e), im Falle von technischen Systemen um eine ‚empirisch-technische‘ Verhaltensfunktion (φe,t). Empirische Verhaltensfunktionen kann man mit idealisierten (‚gesollten‘) Verhaltensfunktionen (φi) vergleichen. Stimmen die empirischen Funktionen mit den idealisierten ‚hinreichend überein‘, dann kann man sagen, dass ein System den für eine Aufgabe zu leistenden minimalen Lösungspfad ‚gelernt‘ hat. Zwischen einer vollständigen (100%) und keiner (0%) Übereinstimmung mag es viele charakteristische Varianten geben.
17) Innerhalb des hier skizzierten theoretischen Rahmens lassen sich alle bis heute bekannten reaktiven und adaptiven Systeme behandeln. Im Laufe des Experimentes werden einige dieser Systeme real vorgestellt werden. Alle beobachtbaren Leistungen sind über definierte Aufgaben beschreibbar und dadurch mit dem Verhalten realer biologischer Systeme vergleichbar. Die Einbeziehung des genotypischen Lernens ist angezielt, aber weitgehend abhängig von der Verfügbarkeit geeigneter Ressourcen.
QUELLENNACHWEISE
Abfrageergebnisse in www.leo.org (Abfrage vom 27.Dez.2012)
Dieser Blogeintrag geht zurück auf einen Vortrag, den ich auf der Jahrestagung der deutschen Sektion von YPO (Young Presidents Organization) gehalten habe. Der ursprüngliche Titel lautete „Das Digitale als Synomym für berechenbare Prozesse“. Als der Text zu diesem Vortrag fertig war (am Tag davor) deutete sich schon an, dass der Vortrag eigentlich eine weitere, sogar eine weiterführende Botschaft enthielt, die sich im ursprünglichen Titel nicht so widerspiegelte. Während ich den Vortrag dann hielt wurde mir klar, dass – in der Tat – der eigentliche Inhalt ein anderer war; der ursprüngliche Titel war nicht falsch, aber zu ‚eng‘.
Da ich jeden Vortrag nur einmal halte und mir für den Vortrag immer eine Problemstellung vornehme, die ich selber gerne geklärt haben möchte ohne zum Zeitpunkt er Themenstellung schon zu wissen, ob es wirklich so gehen wird, gibt es immer diese fluktuierenden Überlegungen und Formulierungen vorher, in denen das mögliche Thema um seine finale Gestalt ringt. Bislang war es immer so, dass es unmittelbar vor dem Vortrag eine starke Klarheit gab, im Vortrag selbst und in den anschließenden Fragen das Ganze nochmals heftig ‚aufleuchtete‘ und in den nachebbenden Gedanken und Gesprächen sich dann der ‚finale Gedanke‘ gezeigt hat.
So auch hier. Die benutzten Diagramme sind mit denen im Vortrag identisch, der Wortlaut nicht genau, aber dem Inhalt nach.
Ankündigungstext ohne Leser
Der folgende Text wurde von mir als Ankündigungstext verfasst, wurde dann aber doch nicht publiziert. Er gibt so ein wenig den ‚Flair‘ im Vorfeld wieder:
Wir leben in einer Zeit, in der die Computertechnik immer mehr Bereiche des täglichen Lebens durchdringt, uns in eine Symbiose mit dem Digitalen zwingt, der wir uns nur schwer bis gar nicht entziehen können: Im Haushalt, in der Haustechnik, beim Entwerfen und Bauen von Häusern, in der Musik, beim Fernsehen, bei der Filmproduktion, in den Verwaltungen, in der industriellen Produktion, bei der Verkehrssteuerung, in jedem Auto, in jedem Flugzeug, bei der täglichen Kommunikation,…und, und, und,…. Wie ist dies möglich? Wie kann eine Technologie für uns zu einer Art ‚zweiten Natur‘ werden? Wie kann eine einzige Technologie nahezu alle Lebensbereiche durchdringen? Wie kann Technik Eigenschaften annehmen, die wir eigentlich nur dem Menschen zuschreiben: Wahrnehmen, Begriffe bilden, Schlüsse ziehen, Wiedererkennen, Kreativ sein, Gefühle haben, Ansätze von Selbstbewusstsein? Wo führt dies hin? Wird uns die Computertechnik irgendwann doch überflüssig machen?
In seinem Vortrag wird Prof. Doeben-Henisch diesen Fragen nachgehen. Er führt zurück zum Ursprung des Computers, ins Zentrum der mathematischen Dispute um die Jahrhundertwende, die dann in den Personen von Kurt Goedel und Alan Matthew Turing zum neuen philosophisch-mathematischen Begriff ‚endlicher Prozess‘ bzw. zum Begriff der ‚Berechenbarkeit‘ führten. Der Mensch selbst stand Modell für das mathematische Konzept der Turingmaschine (1936/7), das dann wenige Jahre später zu realen Maschinen führte, die mit Relais, dann Röhren, schließlich mit Halbleitern demonstrierten, dass und wie man ‚rechnende Maschinen‘ bauen kann. Innerhalb von 60 Jahren eroberte diese Technologie die ganze Welt. Die binären Zustände der Computer zeigten sich mächtig genug, sich nahezu alles einzuverleiben: Zahlen, Texte, Bilder, Geräusche, Musik, Objekte, Gebäude, Pflanzen, Tiere, Abläufe, ganze Städte. Zur Zeit versuchen Forscher weltweit, Maschinen mit ‚künstlichem Geist‘ zu schaffen. Als Vorlage dient das menschliche Gehirn. Prof. Doeben-Henisch wird zeigen, warum wir im Moment keine Argumente haben, warum dies nicht gehen könnte.
Die Überlegungen zu den Grundlagen des menschlichen Geistes führen auch hinein in die Frage nach der Natur des Menschen, in seine Geschichte, in die Geschichte der Entstehung des Menschen, in die innere Logik der Evolution des Lebens auf der Erde. Die Forschung hat uns in den letzten 80 Jahren aufregende neue Einblicke in die Struktur des Lebens vermittelt, die wiederum verschränkt sind mit der Entwicklung des bekannten Universums selbst. Man kann sehen, dass das Digitale als lingua universalis berechenbarer Prozesse sich schon im Inneren des Biologischen selbst als ‚Sprache des Lebens‘ findet. Das Leben selbst als großer ‚Computer‘ oder, umgekehrt, der ‚Computer‘ als neue Spielart jenes Prinzips, das wir als Leben bezeichnen?
Dies sind einige der zentralen Themen, die im Vortrag angesprochen werden. Der Vortrag endet mit dem offensichtlichen Faktum der Ko-Evolution von Universum – Erde – biologischem Leben und digitaler Technologie. Was bedeutet dies für uns?
VORTRAG
(Anmerkung: Der geschriebene Text entspricht natürlich nicht exakt dem Wortlaut des frei vorgetragenen Vortrags)
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
nachdem Sie in den vorausgehenden Vorträgen schon einiges gehört haben zu den vielfältigsten Phänomenen, die das Digitale in unserem heutigen Alltag hervorbringt, möchte ich mich in meinem Vortrag mehr der Frage nach der Maschinerie hinter diesen Phänomenen widmen. Was sind das für Strukturen, die all dies möglich machen? Welches Prinzip ist so mächtig, dass es all diese verschiedenartigen Phänomene hervorbringen kann, die dem Menschen in seinen Lebensvollzügen immer näher kommen, ja, bisweilen sogar schon zu inneren Bestand von diesen werden?
Für die Beantwortung dieser Frage werde ich Sie mit drei Konzepten bekannt machen, die auf erstaunliche Weise untereinander zusammenhängen: das Konzept der rechnenden Maschine, das neue Bild des Menschen und die Einbettung beider Konzepte in den Gang der Evolution. Und sie werden dann sehen, dass diese Zusammenschau der drei Konzepte etwas ganz Neues aufscheinen lässt, nämlich das Konzept ‚Geist‘ als jene Größe, die in all diesen Prozessen als etwas ‚aufscheint‘, was ’schon immer da ist‘. Würde dieser erste Eindruck zutreffen, dann würde es bei den Versuchen der ‚Erschaffung‘ eines ‚künstlichen‘ Geistes weniger darum gehen, etwas ‚Neues‘ zu ‚erschaffen‘, sondern mehr darum, etwas, das ’schon immer da ist‘, mit neuen Methoden ’sichtbar‘ zu machen.
Ich werde zum Ende daher auch kurz auf ein Experiment hinweisen, in dem wir genau dies tun: den ‚Geist‘ in Form eines ‚künstlichen‘ Geistes sichtbar machen.
Beginnen wir mit uns selbst, dem dem Menschen, dem homo sapiens sapiens.
DER MENSCH
VIELSCHICHTIG
[Bild: vier Sichten des Menschen] Ich möchte mit einem Schaubild beginnen, das zeigt, wie vielschichtig wir Menschen bei näherer Betrachtung sind. Sie sehen einmal links die Oberfläche des Menschen, wie sie sich uns darbietet, wenn wir uns nackt zeigen. Doch bei der Frage, ob wir den Menschen mit dieser Oberfläche gleich setzen sollen, werden wir dies verneinen müssen. Wir wissen heute, dass hinter bzw. unter dieser Oberfläche eine Fülle von hochkomplexen Organen zu finden ist, die durch ihre kontinuierliche Arbeit alle unsere Lebensprozesse ermöglichen. Was wären wir ohne Herz, Nieren, Lunge, Leber, Magen, Darm usw.? Zugleich wissen wir, dass all diese wunderbaren Organe im Chaos enden würden, gäbe es nicht das Nervensystem mit dem Gehirn, das all diese Tätigkeiten – ergänzend zum Blutkreislauf und zum Immunsystem –– koordiniert, anregt, steuert. Und dann noch das augenfällige System von Knochen und Gelenken, in sich ein überaus lebendes System, ohne das alle Haut und Organe in einen Zellklumpen zusammenstürzen würden, der alsbald verenden würde. Vier überaus komplexe Systeme, die vielfach ineinander greifen und in diesem Zusammenwirken das Gesamtkunstwerk menschlicher Körper in seiner Grundstruktur ermöglichen. Wissen wir damit, was und wer der Mensch ist? Haben wir die Psyche, den Geist, die Seele vergessen?
Bevor ich darauf eine Antwort versuche, hier ein kurzer Szenenwechsel. Im Film würden man sagen, ein harter Schnitt.
FORMALISIERUNG DER VIELFALT ALS SYSTEM
[Bild: Box mit Eingang/ Ausgang und Verhaltensfunktion] Was Sie auf diesem Bild sehen können, ist ein Diagramm und eine kleine Formel.
Dieses Diagramm und diese Formel entspricht ein wenig der Art, wie ein mathematisch geschulter Ingenieur die zuvor präsentierte Vielfalt des Menschen hinschreiben könnte.
Die Box mit Überschrift ‚System‘ kann einen Menschen repräsentieren, der aus seiner Umgebung Stimuli – abgekürzt ‚S‘ – als Input ‚I‘ empfangen kann (also Augen, Ohren, Tastempfindungen usw.) und der über seinen Output ‚O‘ Reaktionen ‚R‘ an die Umgebung abgeben kann, also diverse Bewegungen, Schallereignisse, usw. Im Innern des Systems gibt es verschiedene interne Zustände (internal states, IS), die zum Funktionieren des Systems wichtig sind. Z.B. die diversen Organe, das Nervensystem, die Knochen, usw. Und zwischen all diesen Elementen, dem Input, den internen Zuständen und dem Output, gibt es einen funktionalen Zusammenhang, der im Bild einfach mit dem griechischen Buchstaben ‚phi‘ (Φ, φ) benannt wird.
Alternativ zu solche einem Diagramm würde man aber auch einfach die kürzere Formel hinschreiben, die genau das gleiche zum Ausdruck bringt: der funktionale Zusammenhang ‚phi‘ nimmt Inputwerte und aktuelle Zustände als Ausgangspunkt und berechnet daraus mögliche Änderungen der inneren Zustände und einen Output. Also, Beispiel, sie sitzen in einem Auto und sehen (=Input) eine rote Ampel. Da sie gelernt haben, bei Rot tunlichst stehen zu bleiben (=IS), verändern sie ihre Fußstellung und bremsen (=IS, O).
Dieses kleine Beispiel mag auch ein wenig verdeutlichen, wie Ingenieure vorgehen, wenn sie die vielfältige Wirklichkeit mit der Sprache der Mathematik vereinfachen und dadurch all die wunderbaren Dinge bauen können, die Sie jeden Tag wie selbstverständlich benutzen. Ohne diese mathematische Sprache würden wir noch immer steinzeitlich leben.
Betrachten wir noch ein weiteres Beispiel im Kontext des Menschen, das uns helfen wird, die Brücke zur rechnenden Maschine zu bauen.
GEHIRN UND NERVENZELLE
[Bild: Gehirn links, Nervenzelle rechts] Werden wir ein wenig bescheidener und nehmen uns nur einen Teil des Menschen vor, sein Gehirn. Nach neuen Schätzungen umfasst ein Gehirn etwa 100 Mrd Neuronen (Kandel et al. 2012:S.21). Diese sind in der Regel nicht direkt miteinander verbunden.
Die typische Struktur eines Neurons sieht man rechts vom Gehirn. Es gibt genau einen Ausgangs (das Axon), der sich vieltausendfach verzweigen kann, sowie viele tausend Eingänge. In dem kleinen hervorgehobenen Kreis kann man die Eigenart der neuronalen Verbindungen erkennen: das Endstück eines Axons endet kurz vor der Oberfläche des Neurons; es bleibt ein kleiner synaptischer Spalt.
NERVENZELLE UND MEMBRAN
[Bild: Neuron und Membran schematisiert] In dem nachfolgenden Bild ist dies schematisierend und vergrößert dargestellt. Die Oberfläche der empfangenden Zelle stellt eine Membran dar, die man postsynaptische Membran nennt, die zusammen mit dem Endstück des Axons eine Synapse bildet. Die Kommunikation zwischen Endstück und potsysnaptischer Membran wird über Moleküle (Transmittermoleküle) realisiert, die beim Auftreten eines elektrischen Potentials im Axon aus den Vesikeln entlassen werden. Diese diffundieren durch den synaptischen Spalt und können dort, falls sie ‚passen‘ an Rezeptormolekülen von Ionenkanälen andocken. Jede postsysnaptische Membran hat mehrere Tausend solcher Ionenkanäle. Docken diese Transmittermoleküle an den Rezeptoren an, öffnen sich die Ionenkanäle. Es findet dann ein schlagartiger Austausch von Ionen in und außerhalb der Membran statt. Dieser schlagartiger Austausch hat einen ebenso plötzlichen Wechsel des elektrischen Potentials zur Folge, was dann zu dem bekannten Ein-Aus-Signal eines Neurons führen kann.
Gäbe es nur Ionenkanäle, dann wäre mit dem einmaligen Öffnen der Kanäle – bildlich gesprochen – alles Pulver verschossen. Diese Membran würde nie mehr ein weiteres Signal erzeugen können. Das aber ist eigentlich ihre Aufgabe. Zu diesem Zweck gibt es noch einige tausend Ionenpumpen. Diese sind in der Lage Ionen gegen ein Konzentrationsgefälle von außen nach Innen oder umgekehrt zu pumpen. Dazu benötigen sie Energie. Da sie insgesamt langsamer arbeiten als der Ionenaustausch durch die Kanäle stattfindet, entstehen zwischen den einzelnen Signalereignissen Refraktionszeiten, in denen keine Schaltvorgänge möglich sind.
Sie sehen also, schon die vielen tausend Membranen einer einzigen Nervenzelle (es können bei einer Zelle mehr als 1 Mio sein!) bilden kleine, komplexe Maschinen, deren Funktion Signalerzeugung und Signalfluss im Gehirn ermöglicht.
Während ein Neurowissenschaftler zur Beschreibung einer Nervenzelle und des Gehirns auf alle diese unfassbar komplexen Details eingehen muss, kann ein Ingenieur, der ein künstliches Gehirn bauen möchte, sich fast entspannt zurücklehnen und die Frage stellen, welche Eigenschaften an einem Neuron denn wesentlich sind, um sein Schaltverhalten zu erfassen.
Eine typische Antwort würde so aussehen:
NERVENZELLE MATHEMATISCH
[Bild: Nervenzelle mathematisch] Sie sehen wieder ein Box, dieses Mal ‚Neuron‘ genannt. Der ‚Input‘ zu dieser Box bilden die Endstücke von anderen Neuronen. Im Bild sind es drei Eingänge, es könnten aber n-viele sein. Dazu ein Ausgang, das Axon, das sich auf n-viele viele andere Neuronen – letztlich auch auf sich selbst – verteilen kann. In der Box können Sie drei einfache Formeln erkennen, die drei aufeinander folgende Verarbeitungsstufen repräsentieren. In der ersten Stufe werden die mit wij gewichteten Aktionspotentiale aij der einzelnen Eingänge summiert zum Wert net_j. Dann wird mittels der Aktivierungsfuntkion f_act berechnet, ob diese summierten Eingangssignale zusammen mit dem letzten Aktionspotential a_j einen vorgegebenen Schwellwert theta (θ) überschreiten oder nicht. Falls der Schwellwert überschritten wird, wird ein neues Aktionspotential a_j erzeugt, das dann schließlich mit der Ausgabefunktion f_out in einen geeigneten Ausgabewert umgerechnet wird.
Genauso wenig wie eine einzelne Schwalbe bekanntlich einen Frühling macht, genauso wenig kann man mit einem einzelnen Neuron etwas interessantes anfangen. Der Ingenieur muss sich also noch etwas einfallen lassen, wie er die vielen Neuronen zusammenbringt. Vielleicht ahnen Sie schon, was jetzt kommt:
KÜNSTLICHES GEHIRN
[Bild: Mengen von Neuron-Verbindungen] Eine einfache Möglichkeit, die Gesamtheit aller Neuronen zu betrachten, besteht darin, jeweils zwei, die miteinander in Verbindung stehen, als ein Paar zu betrachten, das bestimmte Verbindungswerte besitzt, und dann die Menge aller dieser Paare als eine Einheit zu einem bestimmten Zeitpunkt. Im Bild ‚CON‘ genannt, die Menge aller Connections.
Was dann noch bleibt ist die Beschreibung der Dynamik dieser Zellen, die Art der Veränderungen von einem Zeitpunkt zum nächsten. Dieser Veränderungszusammenhang wird im Bild ‚dyn‘ genannt, eine mathematische Vorschrift, die sagt, wie ich vom Zustand der Zellen zu einem Zeitpunkt zum Zustand der Zellen beim nächsten Zeitpunkt komme.
Damit ist für den Ingenieur alles gesagt, was gesagt werden muss. Ob dieses künstliche Gehirn Bilder erkennen soll, Sprache sprechen, sich erinnern können soll, usw. all dies ist damit erfasst. Sollte der Ingenieur in der Praxis feststellen, dass er wichtige Eigenschaften übersehen hat, dann fügt er sie einfach in seine Formeln ein.
Gehen wir nach diesem Ausflug ins Gehirn nochmals zur Ausgangsbox mit dem Menschen zurück.
NOCHMALS SYSTEMBOX
[Bild: Nochmals die Systembox, jetzt mit Verfeinerungen] Soeben haben wir das Gehirn als eine Teilbereich des Körpers näher betrachtet. Wollen wir diese Erkenntnisse in der allgemeinen Box verorten, dann müssen wir sagen, dass die Menge CON eine Teilmenge der Menge IS der internen Zustände ist, und die Verarbeitungsvorschrift ‚dyn‘ ist ein Teil der allgemeinen Verhaltensfunktion φ des Menschen.
Sie können an diesem Beispiel einmal sehen, wie man mit der Sprache der Mathematik komplizierteste Sachverhalte auf einfache Strukturen zurückführen kann, und – und darauf kommt es in unserem Zusammenhang besonders an – dass der Mensch – also wir selbst – bei dieser Betrachtungsweise eine Struktur besitzt, die uns durch diese Struktur vergleichbar macht mit allen anderen Strukturen.
Eine der Strukturen, mit denen ich die Struktur des Menschen vergleichen möchte, ist die Struktur eines endlichen Prozesses.
Um zu beschreiben und zu erklären was ‚berechenbare Prozesse‘ sind, müssen wir einen kleinen Ausflug in die Welt der Logik und Mathematik machen.Ich hoffe dann zeigen zu können, warum die berechenbaren Prozesse und wir Menschen mehr gemeinsam haben, als die meisten vermuten, und warum das Reden vom ‚Geist‘, auch vom ‚künstlichen Geist‘ heute eine ganz andere Bedeutung bekommen hat, als es bislang üblich war.
DIGITALE MASCHINE
DISKUSSION DER MATHEMATIKER
[Bild: Schema einer formalen Theorie] Natürlich werde ich hier nicht auf die Details der Diskussionen im Kontext der sogenannten Grundlagenkrise der Mathematik zum Ende des 19. und zu Beginn des 20.Jahrhunderts eingehen können. Nur so viel sei hier gesagt, dass die Logiker und Mathematiker dieser Zeit ein Problem damit hatten, die Grundlagen der Mathematik so zu beschreiben, dass keine Paradoxien entstehen konnten, erst recht keine direkten Widersprüche in den formalen Systemen und natürlich wünschte man sich vollständige Systeme, d.h. formale Systeme, in denen man alle Aussagen, die im Sinne des Systems wahr sein sollen, auch beweisbar sind.
Eine der wichtigsten mathematischen Schulen innerhalb dieser Diskussionen war die Schule um David Hilbert, der die Lösung des Problems einer befriedigenden Darstellung der Mathematik darin sah, eine Reihe von möglichst einfachen formalen Systemen zu schaffen (basierend auf einer endlichen Menge von Axiomen), deren Widerspruchsfreiheit und Vollständigkeit mit sogenannten ‚endlichen Mitteln‘ gezeigt werden kann. Alle komplizierteren Theorien sollten dann auf diese einfachen Systeme zurückgeführt werden.
Im Alltag mag es uns nicht als Problem erscheinen, von ‚endlichen Mitteln‘ zu sprechen. Aber wenn es darum geht, allgemein zu beschreiben, was hinreichend geeignete endliche Mittel sind, um eine mathematische Theorie als widerspruchsfrei und vollständig zu erweisen, dann zeigt sich plötzlich, dass dies nicht so einfach ist, wie sich dies Hilbert und seine Schule erhofft hatten.
GOEDEL – TURING
[Bild: Goedel und Turing historisch] Es war Kurt Goedel, der 1930-31 zeigen konnte, dass das Grundlagenprogramm von Hilbert und seiner Schule prinzipiell unmöglich war. Er zeigte, dass eine mathematische Theorie, die mindestens so stark wie die Arithmetik ist, aus prinzipiellen Gründen nur eines von beiden sein kann: entweder widerspruchsfrei (konsistent) oder vollständig, aber nicht beides zugleich. Dieses Ergebnis trifft in das Herz jeder mathematischen Theorie, bis heute. Es zeigt, dass es prinzipielle Grenzen in der Beweisbarkeit von mathematischen Wahrheiten gibt.
Diese Probleme treten immer dann auf, wenn es darum geht, innerhalb (!) einer formalen Theorie (mindestens so stark wie eine Prädikatenlogik erster Stufe) die Widerspruchsfreiheit und Vollständigkeit zu beweisen. Natürlich kann man das Problem dadurch zu umgehen versuchen (was sehr viele versucht haben), eine zusätzliche ‚Beschreibungsebene‘ einzurichten, von der aus sie dann ‚über‘ (Griechisch ‚meta‘) die Objekte der anderen ebene ‚reden‘. Solche Art von Hierarchisierungen oder Typisierungen oder Metaebenen entsprechen der üblichen Arbeitsweise des menschlichen Gehirns. Allerdings bildet diese Strategie bei näherem Hinsehen keine wirkliche Lösung. Zwar verschwinden in der Objekttheorie all jene Elemente, die ‚über sich selbst‘ reden können, aber die Metaebene selbst, die ja auch den Berechenbarkeitsforderungen mathematischer Beweise genügen müssen, enthalten dann genau all jene Elemente wieder, die zu der von Kurz Goedel aufgedeckten Schwachstelle führen.
Eine letzte philosophische Würdigung dieser Sachverhalte scheint mir noch auszustehen.
Mit diesen Überlegungen sind wir beim Thema Berechenbarkeit angekommen.
Die Diskussion unter Mathematikern hängt von Beweisen ab, die geführt werden. Diese Beweise müssen mit sogenannten endlichen Mitteln geführt werden, damit sie nachvollziehbar sind. Goedel selbst hatte ein geniales Verfahren ersonnen, um unter Benutzung von natürlichen Zahlen seine Beweise zu führen. Aber er war von seinem eigenen Beweis nie begeistert, obgleich niemand ihn bis heute widerlegen konnte.
Es war dann einem gewissen Alan Matthew Turing vorbehalten fünf Jahre später die Beweise von Goedel nochmals mit anderen Mitteln zu führen. Und diese Beweismittel – später Turingmaschine genannt – fanden nicht nur die Zustimmung von Goedel, sondern von nahezu allen nachfolgenden Generationen. Bis heute ist die Turingmaschine das wichtigste mathematische Konzept für alle Berechenbarkeitsbeweise – und damit der mathematische Referenzpunkt für alles, was wir heute Computer nennen.
Weil dem so ist, weil das Konzept der Turingmaschine eine solch eminente philosophische und mathematische Bedeutung zukommt, lassen Sie mich dieses Konzept kurz vorstellen. Es ist so einfach, dass die meisten, die es zum ersten Mal kennen lernen, sofort fragen: und das soll alles sein? Ich versichere Ihnen, das ist alles und – und das möchte ich dann zum Abschluss zeigen – das Konzept der Turingmaschine findet sich auch schon im Kern von allem Biologischen. Ein Befund, den man nun nicht unbedingt erwarten muß.
TURINGMASCHINE
[Bild: Theorieprozess TM] So wie Newton angeblich beim Fallen eines Apfels seine entscheidende Einsicht in das Wesen des Gravitationsgesetzes bekommen haben soll, so beschreibt Turing selbst in dem entscheidenden Artikel von 1936-7, dass es die Arbeit eines Buchhalters im Büro war, die ihn inspiriert hat. So, wie der Buchhalter mit einem Stift auf einem Blatt Papier Zahl an Zahl fügt, so stellte er sich eine ideale Maschine vor (siehe im Bild rechts oben), die auf einem Band mit lauter Kästchen, entweder über ein Schreib-Lese-Fenster lesen kann, was in dem Kästchen geschrieben ist oder ein neues Zeichen in das Kästchen schreiben kann. Darüber hinaus kann die ideale endliche Maschine den Schreib-Lesekopf nur um ein Feld nach links oder rechts bewegen. Das ist alles. Das Verhalten der idealen endlichen Maschine wird gesteuert über eine endliche Liste von Befehlen
TM BEISPIEL
[Bild: TM mit vier Zeilen] In einem einfachen Beispiel einer TM können Sie solche Befehlszeilen erkennen: in der ersten Spalte steh der Name eines Zustandes (z0), dann folgt ein Feld mit dem Zeichen, das gelesen werden kann, dann eine Feld mit dem Namen des Folgezustandes (z0), dann das Zeichen, das in diesem Fall geschrieben werden soll, und schließlich ein Zeichen, welche Bewegung ausgeführt werden soll.
Im Beispiel würde man die erste Zeile etwa wie folgt lesen: Im Zustand z0 wird beim Lesen des Zeichens ‚#‘ der Zustand z0 beibehalten, für das Zeichen ‚#‘ würde das neue Zeichen ‚1‘ geschrieben und der Schreib-Lesekopf wird um 1 Feld nach rechts bewegt.
Im Beispiel umfasst das ganze Verhaltens-Programm 4 Zeilen.
Das ist alles. Das ist die berühmte Turingmaschine, die sich als weltweiter Standard zur Prüfung der Berechenbarkeit eines Prozesses durchgesetzt hat. Was immer bislang an anderen Formalismen gefunden wurde, sofern solch ein Formalismus endliche Berechenbarkeit beschreiben soll, war er niemals stärker als eine Turingmaschine.
Oder anders ausgedrückt:
Sofern es nicht möglich ist, zu zeigen, dass eine Turingmaschine, angesetzt auf ein Problem, nach endlichen vielen Schritten zu einem Ergebnis kommt, solange kann man nicht behaupten, dass dieses Problem (Turing-)berechenbar ist.
Auf der Basis der Turingmaschine wurden in den vergangenen Jahrzehnten eine ganze Reihe interessanter Unentscheidbarkeitsresultate bewiesen. Auf die kann ich hier jetzt nicht eingehen. In meinen Augen habe diese Ergebnisse alle eine sehr hohe philosophische Relevanz.
Wie eingangs festgestellt, sehe ich einen interessanten Zusammenhang zwischen der Turingmaschine, dem Menschen und der Evolution des Biologischen. Lassen Sie uns daher einen kurzen Blick darauf werfen.
EVOLUTION, KOEVOLUTION, …
GENOTYP UND PHÄNOTYP
[Bild: Genotyp und Phänotyp] Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist das erstaunliche Faktum, dass die Vielfalt und Komplexität der Körper – der sogenannte Phänotyp – zurückführbar ist auf die zugrunde liegenden genetischen Informationen – auf den sogenannten Genotyp –. In einem Wachstumsprozess wird – ausgehend von einer einzigen Zelle – ein Körpergebilde mit vielen Billionen Zellen aufgebaut, die alle in einem sinnvollen funktionalen Zusammenhang enden.
Es lohnt, sich klar zu machen, dass dieses unfassbare Wunderwerke eine sehr lange, komplexe Entstehungsgeschichte hat, die selbst im universalen Maßstab ihresgleichen sucht.
EVOLUTION ALS TEIL DER ENTWICKLUNG DES UNIVERSUMS
[Bild: Entwicklung des Universums mit Evolution] Das Schaubild zeigt maßstabsgetreu wichtige Entwicklungsstationen im bekannten Universum an. Unsere Position auf der Zeitachse ist unmittelbar dort, wo das grüne Dreieck endet. Das grüne Dreieck zeigt an, ab wann zellbasiertes Leben auf der Erde nachweisbar ist. Die Erde begann ca. vor 4.55 Mrd Jahren. Die chemische Evolution, die dann zu ersten einfachen Zellen führte, setzte ungefähr vor 4 Mrd. Jahren ein, 200 Mio Jahre später eben erste einfachste Zellstrukturen. Es dauerte dann etwa 2.8 Mrd Jahre bis es zu ersten multizellulären Lebensformen kam, die dann einige hundert Mio Jahre später zur Besiedlung des Landes führte. Von diesem Zeitpunkt bis zu uns dauerte es nochmals 700 Mio Jahre.
Nach heutigem Wissensstand wird es nur ca. 1 Mrd Jahre dauern, bis in der Zukunft das Leben auf der Erde wegen der beginnenden Aufblähung der Sonne praktisch unmöglich werden wird.
Sind schon diese zeitlichen Verhältnisse atemberaubend, so ist es noch spannender, wenn man der Frage nachgeht, wie es denn überhaupt zur Ausbildung dieser extrem komplexen Strukturen kommen konnte.
Das Schwierigste ist dabei nicht einmal die biologische Evolution, die mit dem Auftreten der ersten Zellen vor ca. 3.8 Mrd. Jahren begann, sondern die härteste, bis heute nicht geknackte Nuss, ist eine Erklärung, wie es überhaupt zu den ersten Zellen kommen konnte. Denn selbst bei den einfachsten Zellen wirken schon so viele komplexe Strukturen zusammen, dass eine Erklärung der schrittweisen Entstehung dieser Strukturen im Rahmen der sogenannten chemischen Evolution bislang nicht völlig aufgehellt ist.
Kehren wir zu den ersten Zellen zurück.
Ich hatte angekündigt, dass die TM als Grundmodell der Berechenbarkeit sich im Herzen des Biologischen wiederfindet.
RIBOSOM ALS TURINGMASCHINE
[Bild: links Ribosom, rechts Turingmaschine] Dies können Sie hier sehen:
Links sehen sie das Prozeßmodell, wie ein Ribosom – ein spezielles RNA-Molekül – Proteine erzeugt, indem es Informationen von einem Boten-RNA-Molekül bekommt und zugleich Aminosäurebasteine von Transfer-RNA-Molekülen. Der Dirigent im Hintergrund ist ein DNA-Molekül, dessen Bausteine als Informationseinheiten auf das Ribosom einwirken.
Was sie hier sehen ist das Herzstück allen biologischen Lebens und – möglicherweise – eines der wahren Wunder des ganzen Universums. Das, was allen bekannten Gesetzen der Physik zuwiderläuft und sich jeder anderen bekannten Erklärung entzieht das ist dieses DNA-Molekül. Das DNA-Molekül repräsentiert eine frei kombinierbare Anordnung von Aminosäuren, für die es in den möglichen Kombinationen keinerlei zwingende Gründe gibt. Durch die Verknüpfung mit dem proteinerzeugenden Mechanismus mittels mRNA, tRNA und Ribosom stellt die DNA aber eine Quelle von unerschöpflich vielen Bauplänen für Körperstrukturen dar.
Im Lichte des Konzepts der Turingmaschine bieten sich folgende Interpretationen an. Wie im Bild eingezeichnet lässt sich das Ribosom als eine Turingmaschine interpretieren, die als Input Eingaben von der mRNA und der tRNA bekommt und diese dann in eine Ausgabe als Protein verwandelt. Da das Ribosom, wie wir wissen, aber bzgl. seiner Eingaben nicht rückwärts gehen kann, sondern immer nur vorwärts, schöpft es die Möglichkeiten einer Turingmaschine nicht einmal ganz aus; es entspricht damit eher noch einer abgeschwächten TM mit Namen ‚endlicher deterministischer Automat‘.
Zentral bleibt das Faktum, dass wir im innersten Kern des Biologischen berechenbare Prozesse finden, die von einem DNA-Molekül gesteuert werden, das mit seinen Eigenschaften dem Konzept eines Zeichens sehr nahe kommt.
QUINTESSENZ des BIOLOGISCHEN
[Bild: Zusammenfassung Biologisches] Fassen wir diese verschiedenen Aspekte des Biologischen nochmals zusammen:
Ausgangspunkt aller biologischer Phänomene ist das kosmische Faktum, dass die Entropie bislang noch nicht maximal ist. Aus den lokalen Entropiegefällen ist daher ‚freie Energie‘ verfügbar, die in Gestalt von chemischen, biochemischen und dann biologischen Prozessen lokal Strukturen entstehen lassen, die immanent in Richtung immer größerer Komplexität drängen. Dafür gibt es bislang keine befriedigende naturwissenschaftliche Theorie.
In Gestalt der zellbasierten biologischen Evolution können wir ein komplexes Zusammenspiel zwischen Genotyp und Phänotyp einerseits beobachten, aber simultan genauso wichtig das Zusammenspiel zwischen Phänotyp und umgebender Welt. Während der zufallsgesteuerte Genotyp den Raum möglicher Strukturen frei absuchen kann, führt die Bindung des Genotyps an den Phänotyp über die Interaktion mit der umgebenden Welt zu einem übergeordneten Selektionsprozess, der nur jene Phänotypen und damit daran gekoppelte Genotypen akzeptiert, die zur Umgebung passen. Daraus ergibt sich, dass die biologische Evolution simultan und unausweichlich immer nur als Ko-Evolution funktionieren kann.
Damit stellt sich die Frage, ob wir es bei der Emergenz des Geistigen als Eigenschaft des Biologischen mit einer Neuerschaffung des Geistes zu tun haben, oder ’nur‘ mit der Sichtbarmachung des stehts schon vorhandenen ‚Geistigen‘?
Hält man sich diesen Gesamtzusammenhang vor Augen, dann kann der direkte Vergleich zwischen dem Menschen und einer Turingmaschine in einem neuen Licht erscheinen.
MENSCH und KÜNSTLICHER GEIST
MENSCH TURINGMASCHINE
[Bild: Formel Mensch und (U)TM] Sie sehen auf diesem Schaubild nochmals die schon bekannte Verhaltensformel des Menschen, die sich dadurch auszeichnet, dass wir vom Menschen annehmen können, dass er sich innerhalb seines wissensbasierten Verhaltens bis zu einem gewissen Grade kontinuierlich verändern kann. Man nennt dies Lernen.
Die ’normale‘ Turingmaschine kann dies zunächst nicht. Sie ist vollständig determiniert. Allerdings nur auf den ersten Blick.
Schon Turing hat gezeigt, dass man eine deterministische Turingmaschine sehr leicht zu einer universellen sich selbst modifizierenden Maschine ‚umbauen‘ kann, indem man einen Teil des Bandes dazu benutzt, dort die Beschreibung einer beliebigen Turingmaschine (oder eines Gehirns, oder…) zu speichern. Die ursprüngliche deterministische Turingmaschine kann dann diese andere Turingmaschine simulieren bis dahin, dass sie diese andere Beschreibung in Abhängigkeit von Umgebungsereignissen abändern kann. Damit ist eine universelle Turingmaschine (UTM) voll lernfähig.
Zieht man diese Möglichkeit in Betracht, dann gibt es weder strukturell noch verhaltensmässig einen wesentlichen Unterschied zwischen einem Menschen (sofern er mit der obigen Formel adäquat erfasst wird) und einer universellen Turingmaschine.
Bei solch einer Betrachtungsweise verwundert es dann nicht, dass Turing selbst in verschiedenen Aufsätzen offen darüber spekuliert hatte, dass eine universelle Turingmaschine im Prinzip die vom Menschen her bekannte Geistigkeit nicht nur nachzuahmen sondern in bestimmten Bereichen sogar übertreffen könnte. Letztlich sah er nur praktische Hindernisse auf dem Weg dahin, insbesondere die Schwierigkeit, eine Maschine an all den Lernprozessen teilhaben zu lassen, die Menschen normalerweise durchlaufen.
Künstlicher Geist?
Wenn man sich all diese Gedanken in einer Gesamtschau nochmals vor Augen stellt, dann kann man den Eindruck gewinnen, dass all das, was wir traditionell ‚Geist‘ nennen, also diverse Eigenschaften, die wir mit dem Verhalten des Menschen zusammen bringen, möglicherweise so zu verstehen ist, dass hier Eigenschaften ’sichtbar‘ werden von jenen ‚impliziten‘ Eigenschaften der dynamischen Materie, aus dem alles ist. Die mit den bisherigen Gesetzen der empirischen Wissenschaften nicht erklärbaren biologischen Phänomene wären dann ’nur‘ ‚Ausfaltungen‘ von empirischen Eigenschaften, die genau wie alles andere impliziten ‚Gesetzen‘ folgen.
Wenn dies stimmen würde, dann müsste die ‚Konstruktion‘ eines künstlichen Geistes immer dann möglich sein, wenn man die ‚Randbedingungen‘ für das ‚Aufscheinen‘ (Emergenz?) der geistigen Phänomene bereitstellen würde.
In einer Diskussion in der Nacht des 9.Oktobers dieses Jahres entstand angesichts dieser Sachlage die Idee, in der Stadt Goethes, den künstlichen Geist unter Beteiligung der Öffentlichkeit offiziell entstehen zu lassen.
In einer öffentlich kontrollierten Entstehung des künstlichen Geistes hätten alle eine Chance, ein wesentliches Prinzip dieses unseres Universums und deren Anwendung bzw. Nutzung besser verstehen zu können.
Es geht nicht darum, den Geist neu zu erfinden, sondern das, was vor allem Denken schon da ist, sichtbar zu machen.
Erkennnis ist nicht nur ein Wissensproblem, sondern auch ein Akzeptanzproblem: sind wir bereit zu akzeptieren wer wir wirklich sind: Teil eines universalen Geistwerdungsprozesses, der uns eine immer größere Mitwirkungsmöglichkeit zuweist (womit nicht ausgeschlossen ist, dass es irgendwo in den unendlichen Weiten des Universums ähnliche Prozesse gibt).
An dieser Stelle höre ich jetzt auf, obgleich es ja gerade erst anfängt…
[Anmerkung (11.April 2015): Nach zwei Jahren Diskussion konnte im April die Webseite zum Emerging Mind Projekt eröffnet werden. Offizieller Start ist der 10.November 2015. In diesem Projekt geht es genau um das, was in dem vorausgehenden Beitrag diskutiert wurde, die öffentliche Erzeugung eines Künstlichen Geistes samt den dazugehörigen begleitenden philosophischen Diskussionen und künstlerischen Aktionen.]
LITERATURVERWEISE
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Davis, M. (Ed.). (1965). The Undecidable. Basic Papers On Undecidable Propositions, Unsolvable Problems And Computable Functions. Hewlett (NY): Raven Press.
Doeben-Henisch, G.; Beschreibung TM auf der Seite: http://www.doeben-henisch.de/fh/I-TI04/VL/VL3/i-ti04-vl-vl3.html
Gödel, K. Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I, In: Monatshefte Math.Phys., vol.38(1931),pp:175-198
Gödel, K. Remarks before the princeton bicentennial conference on problems in mathematics, 1946. In: Martin Davis, 1965: pp.84-87
Hilbert, D.; Ackermann, W. Grundzüge der theoretischen Logik, Berlin. J.Springer, 1928
Hilbert in Wikipedia (en): Hilbert’s problems, URL: http://en.wikipedia.org/wiki/Hilbert%27sproblems (Last access Sept-30, 2012)
Hilbert, D. Mathematische Probleme, Vortrag, gehalten auf dem internationalen Mathematiker-Kongreß zu Paris 1900, Göttinger Nachrichten 1900, S.253-297, URL:
http://www.mathematik.uni-bielefeld.de/ kersten/hilbert/rede.html, und
http://www.mathematik.uni-bielefeld.de/ kersten/hilbert/(Last Access Sept-30, 2012)
Kandel, E.R.; Schwartz, J.H.; Jessell, T.M.; Siegelbaum, S.A.; Hudspeth, A.J.; (Eds.) Principles of Neural Science, 5th.ed., New York et.al: McGrawHill, 2012
TM – Beispiel aus dem Internet, vereinfacht. Siehe http://keinerspieltmitmir.de/turing/ (letzter Besuch: 12.Nov.2012)
Turing, A.M.; Intelligence Service. Schriften, ed. by Dotzler, B.; Kittler, F.; Berlin: Brinkmann & Bose, 1987, ISBN 3-922660-2-3
Turing, A. M. On Computable Numbers with an Application to the Entscheidungsproblem. In: Proc. London Math. Soc., Ser.2, vol.42(1936), pp.230-265; received May 25, 1936;
Appendix added August 28; read November 12, 1936; corr. Ibid. vol.43(1937), pp.544-546. Turing’s paper appeared in Part 2 of vol.42 which was issued in December 1936 (Reprint
in M.DAVIS 1965, pp.116-151; corr. ibid. pp.151-154).(an online version at:
http://www.comlab.ox.ac.uk/activities/ieg/e-library/sources/tp2-ie.pdf, last accesss Sept-30, 2012)
Wikipedia (en): Body Surface at http://en.wikipedia.org/wiki/Human body (letzter Besuch: 12.Nov.2012)
Wikipedia (en). Brain at http://en.wikipedia.org/wiki/Human brain (letzter Besuch: 12.Nov.2012)
Wikipedia (en): Human skeleton at http://en.wikipedia.org/wiki/Human_skeleton (letzter Besuch 12.Nov.2012)
Wikipedia (en): Organs beyond the Body Surface at http://en.wikipedia.org/wiki/Human anatomy (letzter Besuch: 12.Nov.2012)
Wikipedia (en): Neuron at http://en.wikipedia.org/wiki/Neuron (letzter Besuch: 12.Nov.2012)
Eine Übersicht über alle bisherigen Beiträge anhand der Titel findet sich HIER