Archiv der Kategorie: Energie

Schmerz ersetzt nicht die Wahrheit …

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Email: gerd@doeben-henisch.de

Entstehungszeit: 18.Okt 2023 – 24.Okt 2023

KONTEXT

Der Terrorakt der Hamas auf israelische Bürger am 7.Oktober 2023 erschüttert die Welt. Seit Jahren erschüttern Terrorakte unsere Welt. Unter unseren Augen versucht ein Staat seit 2022 (eigentlich schon ab 2014), das ganze ukrainische Volk auf brutalste Weise auszuradieren. In vielen anderen Regionen dieser Welt findet und fand Ähnliches statt …

… Schmerz ersetzt nicht die Wahrheit [0]…

Wahrheit ist kein Automatismus. Wahrheit verfügbar zu machen erfordert erheblich mehr Anstrengung, als im Zustand partieller Wahrheit zu verweilen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch die Wahrheit kennt bzw. sich um die Wahrheit bemüht ist kleiner als das Verharren in einem Zustand der partiellen Wahrheit oder der direkten Unwahrheit.

Ob in einer Demokratie mehrheitlich die Unwahrheit vorherrscht oder eben die Wahrheit, hängt davon ab, wie eine Demokratie den Prozess der Wahrheitsfindung und der Kommunikation von Wahrheit gestaltet. Einen Automatismus zur Wahrheit gibt es nicht.

In einer Diktatur ist die Wahrscheinlichkeit für eine Verfügbarkeit von Wahrheit extrem abhängig von jenen, die die Macht zentral ausüben. Absolute Macht hat aber schon im Kern mit der Wahrheit gebrochen (was nicht ausschließt, dass diese Macht erhebliche Wirkungen entfalten kann).

Der Gang der bisherigen Geschichte des Menschen auf dem Planet Erde zeigt, dass es offensichtlich keinen einfachen schnellen Weg gibt, der alle Menschen gleichermaßen in einen glücklichen Zustand überführt. Dies muss mit dem Menschen selbst — mit uns — zu tun haben.

Das Interesse an Wahrheitsfindung, an Kultivierung von Wahrheit, an einem gemeinsamen Prozess in Wahrheit, war bislang aber niemals stark genug, um die alltäglichen Abgrenzungen, Unwahrheiten, Verfeindungen, Greueltaten … zu überwinden.

Der eigene Schmerz ist furchtbar, aber er hilft uns nicht weiter …

Wer will überhaupt eine Zukunft für uns alle?????

[0] Es gibt einen Überblicksartikel vom Autor aus dem Jahr 2018, in dem er 15 größere Texte aus dem Blog ‚Philosophie Jetzt‘ vorstellt ( „INFORMELLE KOSMOLOGIE. Teil 3a. Evolution – Wahrheit – Gesellschaft. Synopse der bisherigen Beiträge zur Wahrheit in diesem Blog“ ( https://www.cognitiveagent.org/2018/03/20/informelle-kosmologie-teil-3a-evolution-wahrheit-gesellschaft-synopse-der-bisherigen-beitraege-zur-wahrheit-in-diesem-blog/ )), in denen die Sache mit der Wahrheit aus vielen Gesichtspunkten betrachtet wird. In den 5 Jahren danach hat sich der gesellschaftliche Umgang mit der Wahrheit dramatisch weiter verschlechtert.

Hass hebt Wahrheit auf …

Wahrheit hat mit Wissen zu tun. Wissen ist bei Menschen aber den Emotionen untergeordnet. Was immer wir wissen oder wissen wollen, wenn unsere Emotionen dagegen sind, werden wir das Wissen einklammern.

Eine Form von Emotion ist der Hass. Die zerstörerische Wirkung von Hass begleitet die Geschichte der Menschheit wie ein Schatten und er hinterlässt überall eine Spur der Verwüstung: im Hassenden selbst, und in seiner Umgebung.

Das Ereignis des unmenschlichen Überfalls am 7.Oktober 2023 in Israel, von der Hamas für sich in Anspruch genommen, ist ohne Hass nicht denkbar.

Verfolgt man die Geschichte der Hamas seit ihrer Gründung 1987 [1,2], dann kann man sehen, dass der Hass schon als ein wesentliches Moment in der Gründung grundgelegt ist. Zu diesem Hass gesellt sich das Moment einer religiösen Deutung, die sich islamisch nennt, die aber eine spezielle, sehr radikalisierte und zugleich fundamentalistische Form des Islams repräsentiert.

Die Geschichte des Staates Israel ist komplex, nicht minder die Geschichte des Judentums. Und dass das heutige Judentum auch starke Anteile enthält, die eindeutig fundamentalistisch sind und denen Hass nicht fremd ist, dies führt innerhalb vieler anderer Faktoren im Kern auch zu einer Konstellation von fundamentalistischen Gegensätzen auf beiden Seiten, die aus sich heraus keine Lösungsansätze erkennen lassen. Die vielen anderen Menschen in Israel und Palästina ‚drumherum‘ sind Teil dieser ‚fundamentalistischen Kraftfelder‘, die Menschlichkeit und Wahrheit in ihrer Nähe schlicht verdunsten lassen. An der Spur des Blutes kann man diese Wirklichkeit erkennen.

Sowohl das Judentum wie auch der Islam haben wunderbare Dinge hervorgebracht, aber was bedeutet all dies angesichts eines brennenden Hasses, der alles beiseite schiebt, der nur sich selbst sieht.

[1] Jeffrey Herf, Sie machen den Hass zum Weltbild, FAZ 20.Okt. 23, S.11 (Abriss der Geschichte der Hamas und ihr Weltbild, als Teil der größeren Geschichte)

[2] Joachim Krause, Die Quellen des Arabischen Antisemitismus, FAZ, 23.10.2023,S.8 (Dieser Text ergänzt die Darstellung von Jeffrey Herf. Nach Krause wurde der arabische Antisemitismus seit den 1920iger/ 30iger Jahren über die 1928 gegründete Muslimbrüderschaft weit in die arabische Welt hineingetragen.)

Zerbrechende Gesellschaft

Wenn die Wahrheit schwindet, der Hass wächst (und damit indirekt auch das Vertrauen verdunstet), dann befindet sich eine Gesellschaft im freien Fall. Dagegen gibt es kein Mittel; Waffeneinsatz kann es nicht heilen, nur verschlimmern.

Allein die Tatsache, dass wir glauben, man könnte mangelnde Wahrheit, schwindendes Vertrauen, vor allem aber manifesten Hass nur durch Gewalt ausrotten, zeigt, wie ernst wir diese Phänomene nehmen und zugleich, wie hilflos wir uns diesen Haltungen gegenüber erleben.

In einer Welt, deren Fortbestand an die Verfügbarkeit von Wahrheit und Vertrauen geknüpft ist, ist es ein schrilles Alarmzeichen zu sehen, wie schwer wir uns als Menschen im Umgang mit fehlender Wahrheit und Hass tun.

Ist Hass unheilbar?

Wenn man sieht, wie zäh sich Hass in der Menschheit hält, wir unfassbar grausam ein Handeln sein kann, was von Hass angetrieben wird, und wie hilflos wir Menschen im Angesichts von Hass wirken, dann muss man vielleicht die Frage stellen, ob Hass letztlich nicht eine Art Krankheit ist, eine, die den Hassenden selbst und — ganz besonders — den Gehassten mit schweren Schäden, letztlich mit dem Tod bedroht?

Bei normalen Krankheiten haben wir gelernt, nach Heilmitteln zu suchen , die von der Krankheit befreien können. Wie ist es aber bei einer Krankheit Hass? Was hilft hier? Hilft hier irgendetwas? Müssen wir Menschen, die von Hass befallen sind, wie zu früheren Zeit bei Menschen mit tödlichen Krankheiten (die Pest!) , hassende Menschen ausgrenzen, wegsperren, in ein Niemandsland verschicken? … aber jeder weiß, dass dies nicht geht… Was aber geht? Was hilft gegen Hass?

Nach ca. 300.000 Jahren Homo sapiens auf diesem Planeten wirken wir seltsam hilflos im Angesicht der Krankheit Hass.

Das Schlimme ist, dass es andere Menschen gibt, die in jedem hassenden Menschen ein mögliches Werkzeug sehen, diesen Hass mit geeigneter Manipulation auf Ziele umzufunktionieren, die der Manipulator gerne geschädigt oder gar zerstört sehen will. Dadurch verschwindet der Hass nicht; im Gegenteil, er fühlt sich bestätigt und neues Unrecht schürt die Entstehung von neuem Hass … die Krankheit breitet sich weiter aus.

Eines der größten Ereignisse im gesamten bekannten Universum, die Entstehung des geheimnisvollen Lebens auf diesem Planet Erde, hat einen wunden Punkt, an dem dieses Leben so seltsam schwach und hilflos wirkt. Die Menschen haben im Lauf der bisherigen Geschichte gezeigt, dass sie zu Taten fähig sind, die viele Generationen überdauern, die vielen Menschen mehr Leben ermöglichen, die …. aber angesichts von Hass seltsam hilflos wirken … und der Hassende ist sich selbst genommen, unfähig zu allem anderen … im freien Fall in sein dunkles Inneres …

Statt Hass brauchen wir (minimal, skizzenhaft):

  • Wasser, damit Menschen leben können. Dazu eine Infrastruktur, die Wasser bereit stellt. Dazu andere Menschen, die sich um diese Infrastruktur kümmern. Diese anderen Menschen brauchen auch alles, was sie für ihr Leben benötigen, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.
  • Nahrung, damit Menschen leben können. Dazu eine Infrastruktur, die diese Nahrung herstellt, lagert, aufbereitet, transportiert, verteilt, und die Nahrung bereit stellt. Dazu andere Menschen, die sich um diese Infrastruktur kümmern. Diese anderen Menschen brauchen auch alles, was sie für ihr Leben benötigen, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.
  • einen Wohnbereich, damit Menschen leben können. Dazu eine Infrastruktur, die diesen Wohnbereich herstellt, bereit stellt, erhält, und verteilt. Dazu andere Menschen, die sich um diese Bereitstellung kümmern. Diese anderen Menschen brauchen auch alles, was sie für ihr Leben benötigen, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.
  • Energie, gegen Kälte, gegen Hitze, für alltägliche Abläufe, um Leben zu können. Dazu eine Infrastruktur, die diese Energie herstellt, bereit stellt, erhält, und verteilt. Dazu andere Menschen, die sich um diese Bereitstellung kümmern. Diese anderen Menschen brauchen auch alles, was sie für ihr Leben benötigen, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.
  • Die Berechtigung und die Teilhabe, Wasser, Nahrung, Wohnen und Energie bekommen zu können. Dazu eine Infrastruktur an Vereinbarungen, damit dies alles möglich ist. Dazu andere Menschen, die sich um diese Vereinbarungen kümmern. Diese anderen Menschen brauchen auch alles, was sie für ihr Leben benötigen, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.
  • Ausbildung, um in der Lage zu sein, Aufgaben im realen Leben übernehmen und erfolgreich ausführen zu können. Dazu braucht es andere Menschen, die genügend Erfahrung und Wissen haben, um solche Ausbildung anbieten und durchführen zu können. Diese anderen Menschen brauchen auch alles, was sie für ihr Leben benötigen, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.
  • Medizinische Versorgung, um bei vielen Verletzungen, Unfällen, Krankheiten helfen zu können. Dazu braucht es andere Menschen, die dafür genügend Erfahrung und Wissen haben, um solche medizinische Versorgung anbieten und durchführen zu können; dazu auch die notwendigen Einrichtungen und Ausrüstungen. Diese anderen Menschen brauchen auch alles, was sie für ihr Leben benötigen, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.
  • Kommunikationseinrichtungen, damit jeder jederzeit die hilfreichen Informationen bekommen kann, die er braucht, um sich in seiner Welt sachgemäß orientieren zu können: Wann, wer, wo, wie, was …. Dazu braucht es eine geeignete Infrastruktur und andere Menschen, die dafür genügend Erfahrung und Wissen haben, um solche Informationen anbieten zu können. Diese anderen Menschen brauchen auch alles, was sie für ihr Leben benötigen, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.
  • Transporteinrichtungen, damit Menschen und Sachen an die Orte kommen können, zu denen sie hin müssen. Dazu braucht es eine geeignete Infrastruktur und andere Menschen, die dafür genügend Erfahrung und Wissen haben, um solche Infrastrukturen anbieten zu können. Diese anderen Menschen brauchen auch alles, was sie für ihr Leben benötigen, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.
  • Entscheidungsstrukturen, die die vielfältigen Bedürfnisse und notwendigen Leistungen so vermitteln, dass möglichst alle all das zur Verfügung haben, was sie für ihr alltägliches Leben benötigen. Dazu braucht es eine geeignete Infrastruktur und andere Menschen, die dafür genügend Erfahrung und Wissen haben, um solche Infrastrukturen anbieten zu können. Diese anderen Menschen brauchen auch alles, was sie für ihr Leben benötigen, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.
  • Ordnungskräfte, die dafür Sorge tragen, dass Störungen und Verletzungen jener Infrastrukturen, die für das alltägliche Leben notwendig sind, behoben werden, ohne dass neue Störungen entstehen. Dazu braucht es eine geeignete Infrastruktur und andere Menschen, die dafür genügend Erfahrung und Wissen haben, um solche Dienst anbieten zu können. Diese anderen Menschen brauchen auch alles, was sie für ihr Leben benötigen, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.
  • ausreichend Land, um für all diese Anforderungen genügend Raum zur Verfügung stellen können, dazu geeignete Böden (Wasser, Nahrung, Wohnen, Transport, Lagerung, Produktion, …)
  • ein geeignetes Klima
  • ein funktionierendes Ökosystem
  • eine leistungsfähige Wissenschaft, welche die Welt erkundet, um zu wissen, was geht, was nicht geht, was auf uns zukommt, …. Dazu braucht es eine geeignete Infrastruktur und andere Menschen, die dafür genügend Erfahrung und Wissen haben, um solche Dienst anbieten zu können. Diese anderen Menschen brauchen auch alles, was sie für ihr Leben benötigen, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.
  • eine geeignete Technologie, um alle die Aufgaben erfolgreich durchführen zu können, die im Alltag und für die Wissenschaft benötigt werden. Dazu braucht es eine geeignete Infrastruktur und andere Menschen, die dafür genügend Erfahrung und Wissen haben, um solche Dienst anbieten zu können. Diese anderen Menschen brauchen auch alles, was sie für ihr Leben benötigen, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.
  • ein Wissen in den Köpfen der Menschen, das dazu geeignet ist, das Geschehen im Alltag hinreichend gut verstehen zu können, so dass sie verantwortungsvoll mitdenken, sich selbständig orientieren und entscheiden zu können. Dazu braucht es eine geeignete Infrastruktur und andere Menschen, die dafür genügend Erfahrung und Wissen haben, um solche Dienst anbieten zu können. Diese anderen Menschen brauchen auch alles, was sie für ihr Leben benötigen, damit sie diese Aufgabe erfüllen können.
  • Zielvorstellungen (Präferenzen, Werte, …) in den Köpfen der Menschen, welche dazu geeignet sind, im Geschehen des Alltags hinreichend gut Entscheidungen fällen zu können. Dazu braucht es im alltäglichen Leben eine gegenseitige Hilfestellung von Allen, damit die junge Generation sich mit diesen Zielen vertraut machen und selbständig überprüfen kann, um nach und nach aus eigener Kraft diese Ziele anwenden kann.
  • hinreichend viel Zeit und Frieden, damit die bisher genannten Prozesse stattfinden und ihre Wirkung erbringen können.
  • hinreichend gute und dauerhafte Beziehungen zu anderen Bevölkerungsgruppen, die die gleichen Ziele verfolgen.
  • eine hinreichende Gemeinsamkeit zwischen all den Bevölkerungsgruppen, die auf dem Planet Erde leben und mit der Realität dieses Planeten (Erdbeben, Vulkane, Klima, verfügbares Land, …) den Bedarf für ihr Leben dort gemeinsam lösen müssen, wo sie alle betroffen sind.
  • einen dauerhaften positiv-konstruktiven Wettbewerb um jene Zielvorstellungen, die das Leben von möglichst allen Menschen auf diesem Planeten (in diesem Sonnensystem, in dieser Galaxie, ….) auch für die Zukunft möglich erscheinen lassen.
  • der Freiheit, die im Innern der erfahrbaren Welt anwesend ist, so auch in jedem Lebewesen, besonders auch im Menschen, sollte so viel Raum wie möglich gegeben werden, da es nur diese Freiheit ist, die angesichts einer sich beständig verändernden Welt falsche Vorstellungen von gestern so überwinden kann, damit wir in der Welt der Zukunft vielleicht bestehen können.

DER AUTOR

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ABSTRAKTE MORAL in einer ENDLICHEN und VERÄNDERLICHEN WELT

(16.Juni 2023 – 19.Juni 2023, 15:15h)

KONTEXT

Die Bedeutung und die Befolgung von moralischen Werten im Kontext des alltäglichen Handelns hat schon immer für Spannungen, Diskussionen und handfeste Konflikte gesorgt.

In diesem Text soll kurz beleuchtet werden, warum dies so ist, und warum dies vermutlich nie anders sein wird, so lange wir Menschen so sind, wie wir sind.

ENDLICHE-UNENDLICHE WELT

In diesem Text wird angenommen, dass die Wirklichkeit, in der wir uns von Kindheit an ‚vorfinden‘, eine ‚endliche‘ Welt ist. Damit ist gemeint, dass kein Phänomen, auf das wir in dieser Welt stoßen — wir selbst mit eingeschlossen — ‚unendlich‘ ist. Anders ausgedrückt: alle Ressourcen, auf die wir stoßen, sind ‚begrenzt‘. Auch die ‚Sonnenenergie, die im heutigen Sprachgebrauch als ‚erneuerbar‘ angesehen wird, ist ‚begrenzt‘, wenngleich diese Begrenzung die Lebenszeit vieler Generationen von Menschen überdauert.

Diese ‚Endlichkeit‘ ist aber kein Gegensatz dazu, dass sich unsere endliche Welt kontinuierlich in einem ‚Veränderungsprozess‘ befindet, der von vielen Seiten gespeist wird. Eine ’sich-selbst-verändernde Endlichkeit‘ ist damit ein Etwas, was an und in sich irgendwie ‚über sich hinaus weist‘! Die ‚Wurzeln‘ dieser ‚immanenten Veränderlichkeit‘ sind weitgehend vielleicht noch unklar, aber die ‚Auswirkungen‘ der immanenten Veränderlichkeit‘ deuten an, dass das jeweils ‚konkret Endliche‘ nicht das Entscheidende ist; das ‚jeweils konkret Endliche‘ ist eher eine Art ‚Indikator‘ für eine ‚immanente Veränderungsursache‘, die sich mittels konkreter Endlichkeiten in Veränderung ‚manifestiert‘. Die ‚Formen konkreter Veränderungsmanifestationen‘ können daher vielleicht eine Art ‚Ausdruck‘ sein, von etwas, was ‚dahinter immanent wirkt‘.

In der Physik gibt es das Begriffspaar ‚Energie‘ und ‚Masse‘, letztere als Synonym für ‚Materie‘. Atomphysik und Quantenmechanik haben uns gelehrt, dass die verschieden ‚Manifestationen von Masse/ Materie‘ nur eine ‚Zustandsform von Energie‘ sein können. Die überall und immer angenommene ‚Energie‘ ist jener ‚Ermöglichungsfaktor‘, der sich in all den bekannten Formen von Materie ‚manifestieren‘ kann. ‚Sich-verändernde-Materie‘ kann man dann verstehen als eine Form von ‚Information‘ über die ‚ermöglichende Energie‘.

Setzt man das, was die Physik bislang über ‚Energie‘ herausgefunden hat, als jene Form von ‚Unendlichkeit‘, die sich uns über die erfahrbare Welt erschließt, dann sind die verschiedenen ‚Manifestationen von Energie‘ in diversen ‚Formen von Materie‘ Formen konkreter Endlichkeiten, die aber im Kontext der unendlichen Energie letztlich nicht wirklich endlich sind. Alle bekannten materiellen Endlichkeiten sind nur ‚Übergänge‘ (‚Transitionen‘) in einem nahezu unendlichen Raum von möglichen Endlichkeiten, der letztlich in der ‚unendlichen Energie‘ gründet. Ob es ’neben‘ oder ‚hinter‘ oder ‚qualitativ nochmals ganz anders zu‘ der ‚erfahrbaren Unendlichkeit‘ noch eine ‚andere Unendlichkeit‘ gibt, ist damit völlig offen.[1]

ALLTAGSERFAHRUNGEN

Unser normale Lebenskontext ist das, was wir heute ‚Alltag‘ nennen: ein Bündel von regelmäßigen Abläufen, vielfach verbunden mit charakteristischen Verhaltens-Rollen. Dazu gehört die Erfahrung, einen ‚endlichen Körper‘ zu haben; dass ‚Abläufe real Zeit benötigen‘; dass jeder Prozess durch seinen eigenen ‚typischen Ressourcenverbrauch‘ charakterisiert ist; dass ‚alle Ressourcen endlich‘ sind (wobei es hier unterschiedliche Zeit-Skalen geben kann (siehe das Beispiel mit der Sonnenenergie)).

Aber auch hier: das ‚Eingebettet-Sein‘ aller Ressourcen und ihr Verbrauch in eine umfassende Veränderlichkeit macht aus allen Angaben ‚Momentaufnahmen‘, die ihre ‚Wahrheit‘ nicht allein ‚im Moment‘ haben, sondern in der ‚Gesamtheit der Abfolge‘! An sich ‚kleine Veränderungen‘ im Alltag können, wenn sie andauern, Größen annehmen und Wirkungen erzielen, die einen ‚bekannten Alltag‘ soweit verändern, dass lang bekannte ‚Anschauungen‘ und ‚lang praktizierte Verhaltensweisen‘ irgendwann ’nicht mehr stimmen‘: Das Format des eigenen Denkens und Verhaltens gerät dann in zunehmendem Widerspruch zur erfahrbaren Welt. Dann ist der Punkt gekommen, wo die immanente Unendlichkeit sich in der alltäglichen Endlichkeit ‚manifestiert‘ und uns darin ‚demonstriert‘, dass der ‚gedachte Kosmos in unserem Kopf‘ eben nicht der ‚wahre Kosmos‘ ist. Letztlich ist diese immanente Unendlichkeit ‚wahrer‘ als die ’scheinbare Endlichkeit‘.

HOMO SAPIENS (Wir)

Neben den lebensfreien materiellen Prozessen in dieser endlichen Welt gibt es seit ca. 3.5 Mrd. Jahren die Erscheinungsformen, die wir ‚Leben‘ nennen, und sehr spät — quasi ‚gerade eben‘ — zeigte sich in den Milliarden von Lebensformen eine, die wir ‚Homo sapiens‘ nennen. Das sind wir.

Die heutigen Kenntnisse von dem ‚Weg‘, den das Leben in diesen 3.5 Mrd. Jahren ‚genommen‘ hat, waren und sind nur möglich, weil die Wissenschaft gelernt hat, das ’scheinbar Endliche‘ als ‚Momentaufnahme‘ eines andauernden Veränderungsprozesses zu begreifen, der seine ‚Wahrheit‘ nur in der ‚Gesamtheit der einzelnen Momente‘ zeigt. Dass wir als Menschen, als die ‚Spätlinge‘ in diesem Lebens-Entstehungs-Prozess‘, über die Fähigkeit verfügen, aufeinander folgende ‚Momente‘ ‚einzeln‘ wie auch ‚in Abfolge‘ ‚erkennen‘ zu können, liegt an der besonderen Beschaffenheit des ‚Gehirns‘ im ‚Körper‘ und der Art und Weise, wie unser Körper mit der umgebenden Welt ‚interagiert‘. Von der ‚Existenz einer immanenten Unendlichkeit‘ wissen wir also nicht ‚direkt‘, sondern nur ‚indirekt‘ über die ‚Prozesse im Gehirn‘, die auf eine ’neuronal programmierte Weise‘ Momente identifizieren, speichern, prozessieren und in möglichen Abfolgen ‚anordnen‘ können. Also: unser Gehirn ermöglicht uns aufgrund einer vorgegebenen neuronalen und körperlichen Struktur, ein ‚Bild/ Modell‘ einer möglichen immanenten Unendlichkeit zu ‚konstruieren‘, von dem wir annehmen, dass es die ‚Ereignisse um uns herum‘ einigermaßen gut ‚repräsentieren‘.

DENKEN

Eine Eigenschaft, die dem Homo Sapiens zugeschrieben wird, heißt ‚Denken‘; ein Begriff, der bis heute nur vage und sehr vielfältig durch verschiedene Wissenschaften beschrieben wird. Von einem anderen Homo Sapiens erfahren wir von seinem Denken nur durch seine Art des ‚Sich Verhaltens‘, und ein Spezialfall davon ist ’sprachliche Kommunikation‘.

Sprachliche Kommunikation ist dadurch gekennzeichnet, dass sie grundsätzlich mit ‚abstrakten Begriffen‘ arbeitet, denen als solches direkt kein einzelnes Objekt in der realen Welt entspricht (‚Tasse‘, ‚Haus‘, ‚Hund‘, ‚Baum‘, ‚Wasser‘ usw.). Stattdessen ordnet das menschliche Gehirn ‚völlig automatisch‘ (‚unbewusst‘!) unterschiedlichste konkrete Wahrnehmungen dem einen oder anderen abstrakten Begriff so zu, dass ein Mensch A sich mit einem Menschen B darüber einigen kann, ob man dies konkrete Phänomen da vorne dem abstrakten Begriff ‚Tasse‘, ‚Haus‘, ‚Hund‘, ‚Baum‘, oder ‚Wasser‘ zuordnet. Irgendwann weiß im Alltag Mensch A welche konkrete Phänomene gemeint sein können, wenn Mensch B ihn fragt, ob er eine ‚Tasse Tee‘ habe, bzw. ob der ‚Baum‘ Äpfel trägt usw.

Diese empirische belegte ‚automatische Bildung‘ von abstrakten Konzepten durch unser Gehirn basiert nicht nur auf einem einzigen Moment, sondern diese automatischen Konstruktionsprozesse arbeiten mit den ‚wahrnehmbaren Abfolgen‘ von endlichen Momenten ‚eingebettet in Veränderungen‘, die das Gehirn selbst auch automatisch ‚erstellt‘. ‚Veränderung als solche‘ ist insofern kein ‚typisches Objekt‘ der Wahrnehmung, sondern ist das ‚Resultat eines Prozesses‘, der im Gehirn stattfindet, der ‚Folgen von einzelnen Wahrnehmungen‘ konstruiert, und diese ‚errechneten Folgen‘ gehen als ‚Elemente‘ in die Bildung von ‚abstrakten Begriffen‘ ein: ein ‚Haus‘ ist von daher kein ’statisches Konzept‘, sondern ein Konzept, das viele einzelne Eigenschaften umfassen kann, das aber als ‚Konzept‘ ‚dynamisch erzeugt‘ wird, so dass ’neue Elemente‘ dazu kommen können oder ‚vorhandene Elemente‘ möglicherweise wieder ‚weg genommen‘ werden.

MODELL: WELT ALS PROZESS

Obwohl es bislang keine allgemein akzeptierte umfassende Theorie des menschlichen Denkens gibt, gibt es doch viele unterschiedliche Modelle (alltäglicher Begriff für den korrekteren Begriff ‚Theorien‘), die versuchen, wichtige Aspekte des menschlichen Denkens anzunähern.

Das vorausgehende Bild zeigt die Umrisse eines minimal einfachen Modells zu unserem Denken.

Dieses Modell nimmt an, dass die umgebende Welt — mit uns selbst als Bestandteile dieser Welt — als ein ‚Prozess‘ zu verstehen ist, bei dem man zu einem gewählten ‚Zeitpunkt‘ in idealisierter Weise alle ‚beobachtbaren Phänomene‘ beschreiben kann, die dem Beobachter zu diesem Zeitpunkt wichtig sind. Diese Beschreibung eines ‚Weltausschnitts‘ sei hier ‚Situationsbeschreibung‘ zum Zeitpunkt t oder einfach ‚Situation‘ zu t genannt.

Dann benötigt man ein ‚Wissen über mögliche Veränderungen‘ von Elementen der Situationsbeschreibung in der Art und Weise (vereinfacht): ‚Wenn X Element der Situationsbeschreibung zu t ist, dann wird für eine nachfolgende Situation zu t entweder X gelöscht oder durch ein neues X* ersetzt‘. Möglicherweise gibt es für das Löschen oder die Ersetzung mehrere Alternativen mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten. Solche ‚Beschreibungen von Veränderungen‘ werden hier vereinfachend ‚Veränderungsregeln‘ genannt.

Zusätzlich gibt es als Teil des Modells noch eine ‚Spielanleitung‘ (klassisch: ‚Folgerungsbegriff‘), die erklärt wann und wie man einer Veränderungsregel auf eine gegebene Situation Sit zu t so anwenden kann, dass zum nachfolgenden Zeitpunkt t+1 eine Situation Sit* existiert, in der die Veränderungen vorgenommen worden sind, die die Veränderungsregel beschreibt.

Im Normalfall gibt es mehr als eine Veränderungsregel, die gleichzeitig mit den anderen angewendet werden kann. Auch dies gehört zur Spielanleitung.

Dieses minimale Modell kann und muss man auch vor dem Hintergrund der durchgängigen Veränderung sehen.

Für diese Struktur von Wissen wird vorausgesetzt, dass man ‚Situationen‘ beschreiben kann, mögliche Veränderungen solch einer Situation, und dass man ein Konzept haben kann, wie man Beschreibungen von erkannte möglichen Veränderungen auf eine gegebene Situation anwenden kann.

Mit der Erkenntnis einer immanenten Unendlichkeit, die sich in vielen konkreten endlichen Situationen manifestiert, ist sogleich klar, dass die Menge der angenommenen Veränderungsbeschreibungen mit den beobachtbaren Veränderungen korrespondieren sollte, da ansonsten die Theorie nur einen geringen praktischen Nutzen hat. Ebenso ist es natürlich wichtig, dass die angenommenen Situationsbeschreibungen mit der beobachtbaren Welt korrespondieren. Die Korrespondenz-Anforderungen zu erfüllen bzw. ihr Zutreffen zu überprüfen ist alles andere als trivial.

ABSTRAKT – REAL – INDETERMINIERT

Zu diesen ‚Korrespondenz-Anforderungen‘ hier einige zusätzliche Überlegungen, in denen die Sicht der Alltagsperspektive zur Sprache kommt.

Zu beachten ist, dass ein ‚Modell‘ nicht die Umwelt selbst ist, sondern nur eine ’symbolische Beschreibung‘ eines Umweltausschnitts aus der Sicht und mit dem Verständnis eines menschlichen ‚Autors‘! Auf welche Eigenschaften der Umwelt sich eine Beschreibung bezieht, das weiß nur der Autor selbst, der die gewählten ‚Symbole‘ (Text oder Sprache) ‚in seinem Kopf‘ mit bestimmten Eigenschaften der Umwelt ‚verknüpft‘, wobei diese Eigenschaften der Umwelt ebenfalls ‚im Kopf‘ repräsentiert sein müssen, quasi ‚Wissensabbilder‘ von ‚Wahrnehmungsereignissen‘, die durch die Umwelteigenschaften ausgelöst worden sind. Diese ‚Wissensabbilder im Kopf‘ sind für den jeweiligen Kopf ‚real‘; verglichen mit der Umgebung sind sie aber grundsätzlich nur ‚fiktiv‘; es sei denn, es gibt zwischen aktuellen fiktiven ‚Bilder im Kopf‘ und den ‚aktuellen Wahrnehmungen‘ von ‚Umweltereignissen‘ aktuell einen Zusammenhang, der die ‚konkreten Elemente der Wahrnehmung‘ als ‚Elemente der fiktiven Bilder‘ erscheinen lässt. Dann wären die ‚fiktiven‘ Bilder ‚fiktiv und real‘.

Aufgrund des ‚Gedächtnisses‘, dessen ‚Inhalt‘ im ‚Normalzustand‘ mehr oder weniger ‚unbewusst‘ sind, können wir aber ‚erinnern‘, dass bestimmte ‚fiktive Bilder‘ in der Vergangenheit mal ‚fiktiv und real‘ waren. Dies kann dazu führen, dass wir im Alltag dazu tendieren, fiktiven Bilder, die in der Vergangenheit schon mal ‚real‘ waren, auch in der aktuellen Gegenwart eine ‚vermutliche Realität‘ zuzuschreiben. Diese Tendenz ist im alltäglichen Leben vermutlich von hoher praktischer Bedeutung. In vielen Fällen funktionieren diese ‚Annahmen‘ auch. Dieses ’spontan-für-real-Halten‘ kann aber auch oft daneben liegen; eine häufige Quelle für Fehler.

Das ’spontan-für-real-Halten‘ kann aus vielen Gründen nachteilig sein. So können die fiktiven Bilder (als unausweichlich abstrakte Bilder) schon als solche vielleicht nur ‚partiell angemessen‘ sein. Der Kontext der Anwendung kann sich geändert haben. Generell befindet sich die Umgebung ‚im Fluss‘: Sachverhalte, die gestern gegeben waren, können heute anders sein.

Die Gründe für die anhaltenden Veränderungen sind verschieden. Neben solchen Veränderungen, die wir durch unsere Erfahrung als ein ‚identifizierbares Muster‘ erkennen konnten, gibt es auch Veränderungen, die wir noch keinem Muster zuordnen konnten; diese können für uns einen ‚zufälligen Charakter‘ haben. Schließlich gibt es auch noch die verschiedenen ‚Lebensformen‘, die von ihrer Systemstruktur her bei aller ‚partiellen Determiniertheit‘ grundsätzlich ’nicht determiniert‘ sind (man kann dies auch ‚immanente Freiheit‘ nennen). Das Verhalten diese Lebensformen kann zu allen anderen erkannten Mustern konträr liegen. Ferner verhalten sich Lebensformen nur partiell ‚einheitlich‘, wenngleich Alltagsstrukturen mit ihren ‚Verhaltensregeln‘ — und viele anderen Faktoren — Lebensformen mit ihrem Verhalten in eine bestimmte Richtung ‚drängen‘ können.

Erinnert man sich an dieser Stelle nochmals an die vorausgehenden Gedanken zur ‚immanenten Unendlichkeit‘ und der Sicht, dass die einzelnen, endlichen Momente nur als ‚Teil eines Prozesses‘ verstehbar sind, dessen ‚Logik‘ bis heute weitgehend noch nicht entschlüsselt ist, dann ist klar, dass jegliche Art von ‚Modellbildung‘ von innerhalb der umfassenden Veränderungsprozesse immer nur einen vorläufigen Näherungscharakter haben kann, zumal erschwerend dazu kommt, dass die menschlichen Akteure ja nicht nur ‚passiv Aufnehmende‘ sind, sondern zugleich immer auch ‚aktiv Handelnde‘, die durch ihr Handeln mit auf den Veränderungsprozess einwirken! Diese menschlichen Einwirkungen resultieren aus der gleichen immanenten Unendlichkeit wie jene, die alle übrigen Veränderungen bewirkt. Die Menschen (wie das gesamte Leben) sind damit real ‚ko-Kreativ‘ …. mit all den Verantwortlichkeiten, die sich daraus ergeben.

MORAL ÜBER ALLEM

Was man unter ‚Moral‘ genau zu verstehen hat, muss man aus vielen hundert — oder gar mehr — verschiedenen Texten heraus lesen. Jede Zeit — und sogar jede Region in dieser Welt — hat dazu unterschiedliche Versionen entwickelt.

In diesem Text wird davon ausgegangen, dass mit ‚Moral‘ solche ‚Anschauungen‘ gemeint sind, die dazu beitragen sollen, dass ein einzelner Mensch (oder eine Gruppe oder …) in Fragen der ‚Entscheidung‘, soll ich eher A oder B tun, ‚Hinweise‘ bekommen soll, wie diese Frage ‚am besten‘ beantwortet werden kann.

Erinnert man sich an dieser Stelle daran, was zu vor gesagt wurde zu jener Denkform, die ‚Prognosen‘ erlaubt (das Denken in expliziten ‚Modellen‘ oder ‚Theorien‘) , dann müsste es unabhängig von eine aktuellen ‚Situationsbeschreibung‘ und unabhängig vom möglichen ‚Veränderungswissen‘ eine ‚Bewertung‘ der ‚möglichen Fortsetzungen‘ geben. Es muss also ’neben‘ der Beschreibung einer Situation, wie sie ‚ist‘ mindestens eine ‚zweite Ebene‘ (eine ‚Meta-Ebene‘) geben, die ‚über‘ die Elemente der ‚Objektebene so sprechen kann, dass z.B. gesagt werden kann, dass ein ‚Element A‘ aus der Objektebene ‚gut‘ oder ’schlecht‘ oder ’neutral‘ ist oder mit einer bestimmten graduellen ‚Abstimmung‘ ‚gut‘ oder ’schlecht‘ oder ’neutral‘. Dies kann auch mehrere Elemente oder ganze Teilmengen der Objektebene betreffen. Dies kann man machen. Damit es ‚rational akzeptierbar‘ ist, müssten diese Bewertungen aber mit ‚irgendeiner Form von Motivation‘ verknüpft sein, ‚warum‘ diese Bewertung angenommen werden soll. Ohne solch eine ‚Motivation von Bewertungen‘ würde solch eine Bewertung als ‚pure Willkür‘ erscheinen.

An dieser Stelle wird die ‚Luft‘ recht ‚dünn‘: in der bisherigen Geschichte wurde bislang kein überzeugendes Modell für eine moralische Begründung bekannt, das letztlich nicht auf die Entscheidung von Menschen zurück zu führen ist, bestimmte Regeln als ‚gültig für alle‘ (Familie, Dorf, Stamm, …) anzusetzen. Oft lassen sich die Begründungen noch in den konkreten ‚Lebensumständen‘ verorten, genauso oft treten die konkreten Lebensumstände im Laufe der Zeit ‚in den Hintergrund‘ und stattdessen werden abstrakte Begriffe eingeführt, die man mit einer ’normativen Kraft‘ ausstattet, die sich einer konkreteren Analyse entziehen. Ein rationaler Zugriff ist dann kaum bis gar nicht mehr möglich.

In einer Zeit wie im Jahr 2023, in dem das verfügbare Wissen dazu ausreicht, die wechselseitigen Abhängigkeiten von buchstäblich jedem von jedem erkennen zu können, dazu die Veränderungsdynamik, die mit der Komponenten ‚Erderwärmung‘ den ’nachhaltigen Bestand des Lebens auf der Erde‘ substantiell bedrohen kann bzw. bedroht, erscheinen ‚abstrakt gesetzte Normbegriffe‘ nicht nur ‚aus der Zeit‘ gefallen, nein, sie sind höchst gefährlich, da sie den Erhalt des Lebens für die weitere Zukunft substantiell behindern können.

META-MORAL (Philosophie)

Es stellt sich dann die Frage, ob dieses ‚rationale schwarze Loch‘ von ‚begründungsfreien Normbegriffen‘ die Endstation menschlichen Denkens markiert oder ob das Denken hier nicht gerade erst anfangen sollte?

Traditionell versteht sich eigentlich die Philosophie als jene Denkhaltung, in der jedes ‚Gegebene‘ — dazu gehören dann auch jegliche Art von Normbegriffen — zu einem ‚Gegenstand des Denkens‘ gemacht werden kann. Und gerade das philosophische Denken hat in Jahrtausende langem Ringen genau dieses Ergebnis hervorgebracht: es gibt keinen Punkt im Denken, aus dem sich alles Sollen/ alles Bewerten, ‚einfach so‘ ‚ableiten lässt.

Im Raum des philosophischen Denkens, auf der Meta-Moral-Ebene, kann man zwar immer mehr Aspekte unserer Situation als ‚Menschheit‘ in einer dynamischen Umwelt (mit dem Menschen selbst als Teil dieser Umwelt) ‚thematisieren‘, ‚benennen‘, in eine ‚potentielle Beziehungen‘ einordnen, ‚Denkexperimente‘ über ‚mögliche Entwicklungen‘ anstellen, aber dieses philosophische Meta-Moral-Wissen ist komplett transparent und immer identifizierbar. Die Folgerungen, warum etwas ‚besser‘ erscheint als etwas anderes, sind immer ‚eingebettet‘, ‚bezogen‘. Die Forderungen nach einer ‚autonomen Moral‘, nach einer ‚absoluten Moral‘ neben dem philosophischen Denken erscheinen vor diesem Hintergrund ‚grundlos‘, ‚willkürlich‘, der ‚Sache fremd‘. Eine rationale Begründung ist nicht möglich.

Ein ‚rational Unerkennbares‘ mag es geben, gibt es sogar unausweichlich, aber dieses rational Unerkennbare ist unsere schiere Existenz, das tatsächliche reale Vorkommen, für das es bislang keine rationale ‚Erklärung gibt‘, genauer: noch nicht gibt. Dies ist aber kein ‚Freifahrschein‘ für Irrationalität. In der ‚Irrationalität‘ verschwindet alles, sogar das ‚rational Unerkennbare‘, und dieses gehört mit zu den wichtigsten ‚Sachverhalten‘ in der Welt des Lebens.

DER AUTOR

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ANMERKLUNGEN

[1] Die verschiedenen Formen von ‚Unendlichkeit‘, die mit den Arbeiten von Georg Cantor in die Mathematik eingeführt und intensiv weiter untersucht wurden, haben mit der im Text beschrieben erfahrbaren Endlichkeit/ Unendlichkeit nichts zu tun: https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Cantor . Allerdings, will man die ‚Erfahrung‘ von realer Endlichkeit/ Unendlichkeit ‚beschreiben‘, dann wird man möglicherweise auf Beschreibungsmittel der Mathematik zurückgreifen wollen. Nur ist nicht von vornherein ausgemacht, ob die mathematischen Konzepte mit der zur Sache stehenden empirischen Erfahrung ‚harmonieren‘.

WAHRHEIT ALS UNABDINGBARER ROHSTOFF EINER KULTUR DER ZUKUNFT

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 20.Nov. 2017
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: cagent
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ÜBERSICHT


I Zukunft als Politischer Zankapfel 1
II Wahrheit als Chance 2
III Wahrheit als Betriebssystem einer Kultur  2
III-A Überwindung des Augenblicks . . . .2
III-B Das ’Äußere’ als ’Inneres’ . . . . . .2
III-C Das ’Innere’ als ’Außen’ und als ’Innen’ 3
III-D Fähigkeit zur Wahrheit . . . . . . . . 3
III-E Bindeglied Sprache . . . . . . . . . . 4
IV Wahrheit durch Sprache? 4
V Wahrheit in Freiheit 5
VI Energie 5
VII Wahrheit durch Spiritualität 6
VIII Intelligente Maschinen 7
IX Der homo sapiens im Stress-Test 8
X ’Heilige’ Roboter 8
XI Singularität(en) 9
XII Vollendung der Wissenschaften 10
Quellen: 11

 

ZUSAMMENFASSUNG

Nachdem es in diesem Blog schon zahlreiche
Blogbeiträge zum Thema Wahrheit gab, geht es in diesem
Beitrag um die wichtige Ergänzung, wie Wahrheit mit einer
Kultur der Zukunft zusammenspielt. Hier wird aufgezeigt,
dass eine Kultur der Zukunft ohne Wahrheit unmöglich
ist. Wahrheit ist der entscheidende, absolut unabdingbare
Rohstoff für eine Kultur der Zukunft.

Für den vollständigen Text siehe das PDF-Dokument.

KONTEXT BLOG

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WO IST DER STANDPUNKT VON JEDEM EINZELNEN? Eine Notiz

ANGEREGT VON

  1. Angeregt von dem Buch von Matt Ridley Ehe Evolution of Everything. How small Changes Transform our World (2015) ergaben sich viele interessante Fragen. Eine ausführlichere Diskussion des Buches wird im Blog noch erfolgen. Vorab aber erste Impressionen zu der speziellen Frage, die sich mir stellte, ob sich für jeden Menschen skizzieren lässt, was eigentlich der individuelle Ausgangspunkt für den gesamten Weltbezug ist (eine Abstimmung dieser Überlegungen mit den vielen vorausgehenden Beiträgen im Blog könnte zusätzlich hilfreich sein).

ALLGEMEINE BEDEINGUNGEN FÜR LEBEN

Verhältnis der Zeitdauer zwischen Alter des Universums (physikalische Natur) mit ca. 13.8 Mrd. Jahren, dem Auftreten biologschen Lebens seit ca. 3.8 Mrd, dem Auftreten von menschlichen Gesellschaften (homo sapiens sapiens) mit ca. 200.000 Jahren sowie der Lebenszeit eines einzelnen Menschen (hier optimistisch auf 100 Jahre gesetzt)
Verhältnis der Zeitdauer zwischen Alter des Universums (physikalische Natur) mit ca. 13.8 Mrd. Jahren, dem Auftreten biologschen Lebens seit ca. 3.8 Mrd, dem Auftreten von menschlichen Gesellschaften (homo sapiens sapiens) mit ca. 200.000 Jahren sowie der Lebenszeit eines einzelnen Menschen (hier optimistisch auf 100 Jahre gesetzt)

  1. Im Lichte des verfügbaren empirischen Wissens könnte man versucht sein, vier Dimensionen aufzuspannen:
  2. Den allgemeinsten Rahmen gibt die Naturgeschichte des Universums mit ca. 13.8 Mrd Jahren bislang, durch die die allgemeinsten Rahmenbedingungen festgelegt werden. Ohne diese zu verstehen kann man eigentlich gar nichts verstehen (Übergang von Energie in den Zustand von Materie mit Bewegung und Raum, Bildung von Atomen, Molekülen im Kontext von Gas- und Sonnenbildungen, Galaxien, usw.).
  3. Innerhalb dieses Rahmens haben sich seit ca. 3.8 Mrd Jahren biologische Strukturen herausgebildet, die unter Beachtung der allgemeinen physikalischen Gesetze eine Eigendynamik entwickelt haben, die sich deutlich von den allgemeinen physikalischen Gesetzen abheben.
  4. Sehr spät – also ca. ab 200.000 Jahren vor unserer Zeit – kann man innerhalb der biologischen Strukturen ein Phänomen beobachten, das mit Populationen des homo sapiens sapiens nur sehr unzulänglich beschrieben ist. Populationen des homo sapiens sapiens (hier abgekürzt hss-Populationen) zeigen eine Dynamik, die sich von der allgemein biologischen Dynamik nochmals deutlich abhebt.
  5. Dies neue Art von hss-Dynamik wird initiiert von jedem einzelnen Mitglied einer hss-Population, also von jedem einzelnen Exemplar eines homo sapiens sapiens; diese hss-Exemplare sollen hier Menschen genannt werden.
  6. Jeder einzelne Mensch (kurz für hss-Exemplar) zeigt spezifische Dynamiken im Vergleich zu allen anderen biologischen Individuen, setzt aber alle allgemeinen biologischen und physikalischen Gesetze voraus. Ohne diese kann man ihn nicht verstehen. Zusätzlich zeigt der Mensch aber besondere Dynamiken, die im Wechselspiel mit anderen Menschen im Rahmen von jeweiligen Gesellschaftssystemen zu immer wieder neuen Konstellationen führen können.
  7. Soweit eine erste Sichtweise aus der Sicht der empirischen Wissenschaften. Bei dieser Sichtweise wird vorausgesetzt, dass es eine Menge von wissenschaftlichen Beobachtern OBS gibt, die alle in gleicher Weise diese empirischen Phänomene sehen und beurteilen können.

EMPIRISCHER BEOBACHTER UNVOLLSTÄNDIG

  1. Wie wir aber heute wissen (können) (Anmerkung: siehe z.B. die 9 Blogeinträge HIER; es gab dazu noch viele weitere Blogeinträge), ist der von den empirischen Wissenschaften unterstellte homogene Beobachter eine starke Idealisierung. Diese Idealisierung ermöglicht zwar die Erklärung vieler Begriffe im Kontext der empirischen Wissenschaften, verdeckt aber die ganze komplexe Maschinerie, die notwendig ist, dass der idealisierte empirische Beobachter überhaupt funktionieren kann.
  2. Bezieht man diese komplexe Maschinerie ein, dann betritt man das aufregende unbekannte Land der aktuellen Forschungen, in denen von der einen Seite aus die empirischen Wissenschaften versuchen, das faszinierende Phänomen des Menschen mit empirischen Mitteln aufzuhellen, auf der anderen Seit die sogenannten Geisteswissenschaften, mit zusätzlichen, nicht-empirischen Methoden. Leider herrscht in diesem Forschungsgebiet des Phänomens Mensch eine große Unübersichtlichkeit, wechselseitig viel Unverständnis und unnötige Verteufelungen, natürlich auch schlichte Abgrenzungskämpfe um selbst möglich viel von den knappen Forschungsgeldern zu bekommen. Das interessanteste Phänomen des bekannten Universums, der Mensch, wird also vielfach zerrieben zwischen den Kämpfen der beteiligten Disziplinen.
  3. Ein beliebter Konfliktpunkt im Wechselspiel der vielen beteiligten Disziplinen ist die grobe Unterscheidung zwischen dem empirischen Standpunkt des Beobachters aus der sogenannten 3.Person-Perspektive und und dem subjektiven, introspektiven Standpunkt des Beobachters (als Selbstbeobachter) aus der sogenannten 1.Person-Perspektive.
  4. Die Kritik der empirischen Disziplinen an Untersuchungen im introspektiven Modus ist natürlich berechtigt, da introspektive Untersuchungen sich interaktiv nur sehr schwer (bis gar nicht) zweifelsfrei kommunizieren und überprüfen lassen.
  5. Auf der anderen Seite kulminiert das Besondere des Phänomens Mensch gerade in der Fähigkeit, auf der Basis seines Körpers mit dem Gehirn eine Art Innensicht des Systems genannt Bewusstsein auszubilden, das den Menschen in die Lage versetzt, genau diese Besonderheit an Dynamik zu entwickeln, die Populationen von Menschen deutlich abhebt von anderen biologischen Populationen. Außerdem besteht zwischen der 3.Person-Perspektive und der 1.Person-Perspektive kein absoluter Gegensatz. Die sogenannte 3.Person-Perspektive ist genuiner Teil des Bewusstseins, also der 1.Person-Perspektive. Mathematisch kann man davon sprechen, dass die Perspektive des empirischen Beobachters eine echte Teilmenge der Perspektive der 1.Person ist. Zum vollen Verständnis des empirischen Beobachters muss man letztlich sogar von dieser Teilmengeneigenschaft Gebrauch machen, sonst kann man das Funktionieren des empirischen Beobachters gar nicht erklären.
  6. Dieses spezifische Abhängigkeitsverhältnis des empirischen Beobachters von dem introspektiven Beobachter wurde bislang in den Wissenschaften kaum (oder gar nicht?) tiefer gehender diskutiert und untersucht. Man belässt es gerne bei der Abgrenzung.

SPEZIFISCHE DYNAMIK DES BIOLOGISCHEN

  1. Kommen wir nochmals zurück zur Behauptung, dass sich die biologischen Strukturen von den allgemeinen physikalischen Strukturen durch eine spezifische Dynamik auszeichnen und innerhalb der biologischen Strukturen sich die menschliche Population auch nochmals durch eine spezifische Dynamik auszeichnet. Viele (die meisten?) Wissenschaftler würden solche Feststellungen eher ablehnen. Die Grundtendenz ist (nachvollziehbar und bis zu einem gewissen Grad angemessen), die Vielfalt der Phänomene auf möglichst wenig Grundprinzipien zurück zu führen. Das ist das Erfolgsprinzip der empirischen Wissenschaften bis heute. Allerdings zeigt die Geschichte der Wissenschaften, dass gerade aufgrund dieses Prinzips nicht alles zu einem Einheitsbrei zusammen gedampft wurde, sondern dass gerade im Versuch der Vereinfachung sich auch Besonderheiten gezeigt haben. Die Vielfalt der heute bekannten Materieteilchen (subatomar, atomar, molekular…) kann man zwar auf allgemeine Prinzipien zurückführen, die schließlich alle im Superbegriff der Energie versinken, aber die Vielfalt der Phänomene im Universum allgemein wie speziell auch auf der Erde mit den biologischen Strukturen kann man nicht erklären, indem man im abstraktesten Allgemeinen verweilt.
  2. Ein Charles Darwin hat (im Kontext vieler anderer Denker, die damals ähnliche Phänomene untersuchten) zwar einerseits die Vielfalt biologischer Phänomene auf einige wenige Prinzipien der möglichen Entstehung zurückgeführt, aber diese Rückführung führte nicht zur Aufhebung der Vielfalt selbst. Nein, die Vielfalt blieb erhalten und es kamen Ideen auf, wie nicht nur diese Vielfalt sondern noch ganze andere Vielfalte entstehen könnten. In gewisser Weise erschien die beobachtbare Vielfalt als Manifestation eines Prinzips, das offensichtlich wirkte und genau durch die wechselnden Vielfalte sichtbar wurde. Dass dieses Prinzip dann den Namen Evolution bekam ist fast nebensächlich, Wichtig ist nur, dass überhaupt ein Prinzip entdeckt werden konnte, das mathematisch als Funktion, Abbildung interpretierbar ist:
  3. evol: BIOL x ENV —> ENV x BIOL
  4. Etwa umschreibar mit: gegebene biologische Systeme (BIOL) in bestimmten Umgebungen (ENV) können neue biologische Systeme hervorbringen und dabei zugleich verändernd auf die Umgebung einwirken. Die spezifischen Aktivitäten, Veränderungen dieser vielfältigen Formen werden hier allgemein als Dynamik bezeichnet.
  5. In dieser Allgemeinheit lässt das Evolutionskonzept noch nahezu nichts Konkretes erkennen, fokussiert aber den Blick darauf, dass der kontinuierliche Strom der Formen nicht rein zufällig stattfindet, sondern von Bedingungen abhängt, die nach einem bestimmten Muster neue Formen hervorbringt. Diese Dynamik deutet damit auf eine bestimmte Prozessstruktur hin, auf eine bestimmte mathematisch beschreibbare Logik des Geschehens, die sich nicht in der Beschreibung der einzelnen Teile erschöpft, sondern nur und gerade in der Beschreibung von Abfolgen und Zusammenhängen, durch die sich diese unterstellte Logik manifestiert.
  6. Der Begriff der Emergenz, der in diesem Zusammenhang oft und gerne benutzt wird, erscheint dem Autor dieser Zeilen zu schwach, um der Konkretheit dieser Logik und ihrer massiven Wirkung gerecht zu werden.
  7. Nach Darwin konnte das postulierte Prinzip der Evolution schrittweise immer weiter konkretisiert werden. Mit der Entdeckung von Zellstrukturen, von Molekülen, speziell dem DNA-Molekül, dem Reproduktionsmechanismus der Zellen mit Hilfe von DNA- und anderen Molekülen, dem epizyklischen Geschehen und vielem mehr konnte man die postulierte Logik des Geschehens an immer konkreteren Strukturen festmachen und damit die unterstellte Prozessstruktur verfeinern. Mittlerweile gibt es sogar weitreichende Modelle, die sogar die Entstehung der komplexen Zellen selbst aus einfacheren Bestandteilen unter bestimmten Umgebungsbedingungen plausibel machen können. Auch hier handelt es sich letztlich mathematisch um Abbildungsprozesse, die die Genese/ Konstruktion von komplexen Strukturen aus einfacheren Elementen unter Beteiligung von Wirkprinzipien andeuten. Die Wirkprinzipien selbst jenseits der beteiligten materiellen Komponenten sind nicht direkt beschreibbar, nur in ihren Wirkungen (so wie auch z.B. die Gravitation sich nur indirekt durch das Verhalten der beobachtbaren Materiekonstellationen erschließen lässt).
  8. Die entscheidend Botschaft ist hier also, dass sich in der Dynamik biologischer Strukturen Wirkprinzipien manifestieren, die charakteristisch für das Biologische sind, die auf implizite Eigenschaften der beteiligten Komponenten hinweisen, die sich nur in bestimmten Konstellationen zeigen. Letztlich sind es Eigenschaften der Materie, die sich überall im Universum zeigen können, wenn entsprechende Bedingungen gegeben sind.

ENDLICHE UNENDLICHKEIT

  1. Während ein einzelner Mensch am Beispiel seines Körpers mit dem klaren Beginn (Geburt) und dem klaren Ende (Tod) das Modell eines endlichen Prozesses am eigenen Leib erleben kann (und natürlich vielfältig im Laufe seines Lebens mit anderen Phänomenen), gibt es aus Sicht eines Menschen aber Phänomene, die sein Leben überdauern, die länger als 100 Jahre andauern. Die Endlichkeit wird damit immer ungreifbarer, erscheint immer mehr wie eine quasi Unendlichkeit. Und im Denken kann ein Mensch den Begriff der Unendlichkeit formen als Gegensatz zur Endlichkeit. Es bleibt zwar offen, ob und wieweit dem der gedanklichen Unendlichkeit irgendeine Realität entspricht, aber zumindest gibt es ein Etwas, ein Gedachtes, als Gegensatz zur konkreten Endlichkeit.

UNTERBRECHUNG

  1. Mit diesem angedeuteten Koordinatensystem kann man nun viele bekannte Phänomene diskutieren und zueinander in Beziehung setzen. Vielleicht geschieht dies mit weiteren Blogeinträgen.

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BLICK IN DAS INNERE DES UNIVERSUMS – NICK LANE – LIFE ASCENDING – BESPRECHUNG – Teil 2

Nick Lane, „Life Ascending“, London: Profile Books Ltd, 2009 (Paperback 2010)

KONTEXT

  1. Im vorausgehenden Teil 1 wurde nach einer kurzen Einleitung die Entstehung des Lebens im Lichte neuerer Erkenntnisse skizziert. Wer dadurch neugierig geworden ist, sei ermuntert, den Text von Lane und die angegebenen zusätzlichen Artikel und Bücher selbst zu lesen. In dieser Besprechung können nur die großen Linien angesprochen werden und mögliche Zusammenhänge mit dem Thema dieses Blogs. Interessant vielleicht auch die Nachbemerkungen zur Besprechung in Teil 1.
  2. Nachdem in Teil 1 neuere Forschungsergebnisse andeuten, wie sich das biologische Leben (= das Leben) im Rahmen der allgemeinen physikalischen (und chemischen) Gesetze in Form von grundlegenden hoch stabilen metabolischen Prozessketten formieren konnte, stellt sich die Folgefrage, wie der Weg von diesen komplexen, und doch – verglichen mit den späteren biologischen Strukturen – noch so einfachen Strukturen zu den eigentlichen Selbstreproduktionsmechanismen kommen konnte.

DNA – Der Code des Lebens (SS.34-59)

  1. Lane beginnt mit dem Sachverhalt, dass die Reproduktion einer Zelle letztlich gesteuert wird vom sogenannten Genom, das aus einer endlichen Menge von DNA-Molekülen besteht, wobei jedes DNA-Molekül jeweils in einem Doppelstrang ausgeführt ist. In diesem Doppelstrang bildet jedes Element ein Paar aus zwei Basen.
  2. [Anmerkung: ein DNA-Molekül bildet zusammen mit weiteren Elementen ein Chromatin. Ein Chromosom enthält – je nach Zellphase – entweder genau ein Chromatin oder ein Chromatin und seine Kopie (bei der Zellteilung werden diese beiden auf auf zwei neue Zellen als Schwester-Chromatine aufgeteilt). Die Gesamtheit der Chromosome bildet das Genom.]
  3. [Anmerkung: ein Grundelement (Nukleotid) der DNA besteht aus einem Strukturelement (einem Zucker-Phosphat Molekül), an das sich eine Base anlagern kann. Zwei solche Nukleotide können sich dann über die Basen komplementär zu einem Paar verbinden. (vgl. CELL S.3)]
  4. Es gibt vier Basen Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G) und Cytosin (C). Dazu gibt es die starke chemische Tendenz, dass A sich nur an T bindet und C nur an G. Dadurch sind die beiden Stränge komplementär. (vgl. S.34f) Die Anordnung nutzt also eine vorgegebene chemische Bindungstendenz aus.
  5. Die Gesamtzahl der Nukleoide in einem menschlichen Genom wird auf ca. 3 Mrd (10^9) geschätzt. Bei ca. 15 Billionen (10^12) Körperzellen [Anmerkung: neuere Schätzungen gehen auf ca. 34 Billionen) bedeutet dies, dass das Genom 15 Billionen Mal (und öfters, da ja Körperzellen absterben und wieder ersetzt werden müssen) kopiert werden muss. Bei einer geschätzten Fehlerrate von 1 Nukleotid in 1 Mrd bedeutet dies, dass bei einer Kopie ca. 3 Fehler auftreten. Der Unterschied zwischen Menschen wird auf ca. 1 Unterschied pro 1000 Nukleotide geschätzt, also ca. 3 Mio; Lane spricht von 6-10 Mio. (vgl. SS.36-38)
  6. Beispiel: Die Trennung vom Schimpansen soll ca. vor 6 Mio Jahren geschehen sein. Die empirisch ermittelte Abweichungen werden mit 1,4% angegeben, also jede Art hat ca. 0.7% ihres Genoms in dieser Zeit verändert [Anmerkung: Bei einer angenommenen Generationendauer von 30 Jahren ergäben sich ca. 1050 Änderungen an Nukleotiden pro Generation auf jeder Seite].(vgl. S.38)
  7. Das Wissen um die Kombinatorik der Basen auf einem DNA-Molekül nützt allerdings letztlich nur dann etwas, wenn man auch weiß, welche potentiellen Strukturen und ihre lebensweltbezogenen Funktionen damit kodiert werden.(vgl. S.39) In der Zeit vor der Entdeckung von Watson und Crick 1953 waren die Details der biochemischen Maschinerie unbekannt.(vgl. S.40f)
  8. Nur langsam entdeckte man, dass die Proteine außerhalb des Zellkerns über die Zwischenstationen Messenger RNA (mRNA) (erste Kopie von DNA-Abschnitten) und Transfer RNA (tRNA) (Rückübersetzung) und Ribosom (Zusammenbau von Aminosäuren anhand der tRNA-Informationen) erzeugt werden. Und nur langsam entdeckte man, dass jeweils vier Nukleotide aus der DNA ein Codon bilden, das für genau eine Aminosäure steht, deren Aneinanderreihung ein Protein (bei kürzeren Formen spricht man von einem Peptid) ergibt. Während 4^4 = 64 Kombinationen mit einem Codon möglich wären, schätzten Crick und Watson damals die Zahl der relevanten Aminosäuren für biogene Proteine auf 20. [Anmerkung: im menschlichen Körper kommen 21 verschiedene Aminosäuren vor. Insgesamt sind heute 23 Aminosäuren bekannt, die bei Proteinen Verwendung finden (wobei heute mehr als 400 Aminosäuren bekannt sind, die biologisch wichtig sind aber nicht in Proteinen vorkommt).] Es stellte sich heraus, dass der Kode redundant ist: es können mehrere verschiedene Codons die gleiche Aminosäure kodieren. Drei von 64 Codons dienen als STOP-Signal. Da dieser Kode universell für alle Lebensformen gilt wird daraus geschlossen, dass alle diese Lebensformen einen gemeinsamen Vorläufer gehabt haben müssen, von dem diese Kodierung übernommen wurde. (vgl. SS.39-45) Crick entwickelte daraus die These (1981), dass das Leben von außerhalb der Erde kam (Raumschiff, Aliens,…), und sich dann hier ausgebreitet hat.
  9. Die Hypothese von Crick wurde durch den Gang der Forschung überholt. Generell erschien die Hypothese von Crick auch nicht sehr plausibel, da das Auftreten von komplexen Molekülen ohne entsprechende Umgebungen wenig Chancen bietet, dass diese Moleküle überleben.(vgl. S.45f)
  10. Realistischer erschienen solche Hypothesen, die aufzeigen können, wie die Elemente von Aminosäuren aus Vorläufermaterial aus vorgegebenen Umgebungen rekrutiert werden konnten.(vgl. S.46)
  11. Und in der Tat, man entdeckte nach und nach, dass es einen Kode in den Codons gibt! Die Codons mit ihren vier Elementen haben Positionen 1-4. Ein einzelnes Codon steht nicht nur irgendwie für eine bestimmte Aminosäure, sondern die Abfolge der Elemente im Codon steuern sehr stark auch den Prozess der Aminosäurebildung! So fand man heraus, dass es folgenden Zusammenhang gibt: ein C an erster Stelle legt fest, dass als erster Baustein bei der Aminosäureherstellung ein alpha-ketoglutarate benutzt werden soll; ein A an erster Stelle legt fest, dass als erster Baustein bei der Aminosäureherstellung ein oxalocetate benutzt werden soll; ein T steht für pyruvate; ein G steht für eine beliebige Anzahl von einfachen Vorläufern.(vgl.S46f und Fußnote 5)
  12. Die zweite Position im Codon reguliert, wo im Spektrum zwischen hydrophob und hydrophil sich die Aminosäure ansiedeln soll: die fünf häufigsten hydrophoben Elemente korrespondieren mit T an Position 2; die meisten hydrophilen Elemente mit dem Element A; G und C stehen für Elemente in der Mitte des Spektrums.(vgl. S.47)
  13. Position 3 und 4 lassen keine feste Kodierung erkennen. Dies deutet darauf hin, dass die frühen Vorformen des DNA-Kodes möglicherweise nur 2 Elemente hatten, die stark deterministisch waren. Experimente mit Punktmutationen zeigen, dass der genetische Kode verglichen mit zufälligen Anordnungen extrem stabil ist. Er stellt eine interessante Kombination dar aus einem sehr konservativem Anteil (Position 1-2), und einem experimentellen Anteil (Positionen 3-4).(vgl. SS.47-49)
  14. Bleibt als Frage, wie kam der Prozess zustande, in dem DNA eine Proteinproduktion steuert, wo aber DNA spezifische Proteine für ihr Funktionieren voraussetzt und die spezifischen Proteine eben DNA?(vgl.S.49)
  15. Eine Lösung deutet sich an über RNA Moleküle: diese sind flexibler und können als Katalysatoren wirken, die zur Bildung jener ersten Proteine geführt haben, die wiederum Vorformen von DNA-Molekülen ermöglichten.(vgl.49-51)
  16. Allerdings, wo kommen diese RNA-Moleküle her? Man weiß, dass RNA-Moleküle sich nur bei hohen Konzentrationen bilden können, da sie beim Zusammenbau Nukleotide verbrauchen. Wo findet man solche hohen Konzentrationen? Die Entdeckung der unterseeischen Schlote eröffnet ein mögliches Szenario. Modellrechnungen zeigten, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass sich in solchen Schloten (speziell in den Poren des Gesteins) solche hohen Konzentrationen von RNA-Molekülen bilden können. Simuliert man RNA-Moleküle isoliert, dann tendieren sie dazu, sich nur mit einer minimalen Struktur fortzupflanzen, nur genau so viele Elemente, wie zur Reproduktion notwendig sind (die berühmten ‚Spiegelmann Monster‘). Dieses Modell ist offensichtlich nicht dazu geeignet, die Bildung komplexer RNA-Moleküle, dazu noch in Kooperation mit Proteinbildung zu erklären. Eine Lösung muss in einem umfassenderen Rahmen gesucht werden, in dem die RNA-Moleküle nur eine Teilkomponenten sind. Dieser umfassenderer Rahmen wurde wieder in der Struktur der unterseeischen Schlote gesehen. Die Poren bilden natürliche Umgebungen, die wie eine Zelle wirken, in der komplexere metabolische Prozesse ablaufen können, in deren Kontext die RNA-Moleküle nur eine Teilfunktion haben.(vgl. S.53-55)
  17. Zum Thema umfassender Rahmen gehören auch die Entdeckungen, dass aufgrund genetischer Strukturen die Eukaryotischen Zellen (jene mit einem Zellkern) von den Archaeen abstammen, diese wiederum haben sehr viel mit den Bakterien gemeinsam. Letztere beiden unterscheiden sich aber bei der DNA Replikation, was so gedeutet wird, dass beide einen gemeinsamen Vorläufer haben müssen, von dem sie sich unterschiedlich weiter entwickelt haben.(vgl.S.55f)
  18. Die Arbeitshypothesen laufen darauf hinaus, dass die flexibleren RNA-Moleküle zwischen Proteinerzeugung und DNA-Bildung vermittelt haben (nach dem Muster von Retroviren?). Erst in dem Maße, wie sich die stabileren DNA-Moleküle bilden konnten, war auf Dauer eine Reproduktion gesichert. Für die beiden chemischen Unterschiede von RNA- und DNA-Molekülen gibt es genügend chemische Bestandteile in der unterseeischen Schlotumgebung, so dass eine DNA-Erzeugung aus RNA-Molekülen prinzipiell möglich erscheint.(vgl. SS.55-59)

DISKURS

  1. Die Details der neuen Erkenntnisse können einen erschlagen, und doch ist dies ja nur die berühmte Spitze des Eisbergs. Hinter diesen Fakten verbergen sich hochkomplexe Prozesse und entsprechend aufwendige Forschungen, die hier natürlich nicht beschrieben werden können. Nick Lane macht das großartig.
  2. Aber, treten wir ein paar Schritte zurück und fragen uns, was sich in diesen vielen Fakten an allgemeineren Strukturen andeutet.
  3. Offensichtlich nimmt man aktuell an, dass man mindestens die folgenden Strukturen unterscheiden sollte:
  4. Die heutigen eukaryotischen Zellen (Z_eu) (Zellen mit einem komplexen Kern und vielen Teilstrukturen inklusive ganzer ehemaliger Bakterien).
  5. Die heutigen Prokarytischen Zellen (Z_pro) als Bakterien (Z_ba) und die Archaeen (Z_ar)
  6. Eine Erzeugungsbeziehung zwischen Archaeen und Eukaryoten (g_ar.eu : Z_ar —> Z_eu)
  7. Bei dieser Erzeugungsbeziehung sind weitere Einflussfaktoren durch horizontalen Genaustausch nicht völlig ausgeschlossen.
  8. Es soll einen gemeinsamen Vorläufer (Z_pre) von Archaeen und Bakterien geben.
  9. Entsprechend muss es auch eine Erzeugungsbeziehung geben: g_pre.ar.ba: Z_pre —> Z_ba u Z_ar.
  10. Diese Strukturen und Erzeugungsbeziehungen haben nicht im Nichts stattgefunden, sondern haben geeignete Umgebungen ENV benötigt, die sowohl in großen Mengen und kontinuierlich die notwendigen Ausgangsmaterialien M0 bereit halten konnten wie auch die notwendigen Temperaturgefälle DT für die Ermöglichung der chemischen Prozesse: ENV = <M0, DT, Z_pre, Z_ba, Z_ar, Z_eu, g_pre.ar.ba, g_ar.eu>
  11. Ferner wird angenommen, dass die allgemeinen physikalisch-chemischen Gesetze (G) gelten und ausschließlich diese für das Auftreten und das Reagieren der verschiedenen beteiligten Materialien zuständig sind, also ENV = <M0, DT, Z_pre, Z_ba, Z_ar, Z_eu, g_pre.ar.ba, g_ar.eu, G>
  12. Dazu gehören auch jene Entstehungsprozesse, die aus den Ausgangsmaterialien M0 die Vorläuferzelle Z_pre hat entstehen lassen, also g_0: ENV x TD x M0 —> Z_pre, also ENV = <M0, DT, Z_pre, Z_ba, Z_ar, Z_eu, g_0, g_pre.ar.ba, g_ar.eu, G>
  13. Für den Bereich der eukaryotischen Zellen Z_eu werden mindestens angenommen DNA-Moleküle, Boten-RNA (mRNA), Transfer RNA (tRNA), ribosomale RNA (ribRNA) und Proteine PROT. Dazu weitere Großstrukturen wie Chromatin(e), Chromosomen, Mitochondrien, usw.
  14. Im Bereich der Erzeugungsprozesse muss man ferner eine Art zeitliche und logische Abhängigkeit annehmen, indem der jeweils spätere Hervorbringungsprozess andere frühere voraussetzt, also: G < g_0 < g_pre.ar.ba < g_ar.eu.
  15. Jeder dieser Hervorbringungsprozesse wiederum zeigt sich nicht im Nichts sondern nur beim Vorhandensein spezifischer Materialien M, die in ihrem beobachtbaren Verhalten phi indirekt das Wirken spezifischer Gesetze manifestieren. Ohne die Beobachtbarkeit spezifischer Materialien und deren Verhalten (Newtons berühmter Apfel, die Planetenbahnen der alten Astronomen, magnetische Kräfte, Vulkanausbrüche, geologische Ablagerungen usw.) wäre es nicht möglich, auf dahinter/ darunter/ damit .. wirkende Kräfte phi zu schließen, die man dann in Form von symbolischen Darstellungen als gesetzmäßige Beziehungen (Relationen, Funktionen, Axiome) beschreibt.
  16. Während das menschliche Denken beim Vorliegen von irgendwelchen beobachtbaren Materialien, deren Eigenschaften und Veränderungen spontan dazu neigt, diese als gegeben, als auftretend, als seiend, als objektiv, als Objekte zu unterstellen, tut sich das gleiche Denken sehr schwer, das durch diese Materialien sichtbare werdende Verhalten phi in gleicher Weise als gegeben, seiend, objektiv vorkommend zu denken.
  17. Obgleich die beobachtbaren Materialien ohne dieses unterstellte Verhalten sich in keiner Weise verändern würden, zögern wir, aus den beobachtbaren Veränderungen auf eine interne Eigenschaft der Materialien zu schließen. Im Falle von tierischen Lebewesen wissen wir mittlerweile, dass das gesamte Verhalten in einem Nervensystem gründet, das im Innern des Systems angeordnet ist und von da aus das Verhalten steuert. Aber wir tun  uns schwer, in analoger Weise anzunehmen, dass das überall beobachtbare Verhalten von Materialien nicht auch von Strukturen abhängig ist, die im Innern der Materialien zu verorten sind.
  18. Bei chemischen Molekülen unterstellt man die atomare Struktur mit den unterschiedlichen Bestandteilen, Ladungen und Reaktionstendenzen, die in Wechselwirkung mit der jeweiligen Umgebung sich spezifisch verändern können.
  19. Bei Atomen bleiben einem nur noch die unterscheidbaren Teilchen, aber auch diese haben mathematisch beschreibbare ( wenngleich in Form von Möglichkeitsräumen) Verhaltenstendenzen.
  20. Dann bleibt als letzter Referenzpunkt nur die reine Energie E. Diese kann man nicht direkt beobachten, nur in ihren Wirkungen. Mit anderen Worten, die Energie E enthält sowohl alle potentiellen Materialeigenschaften wie auch die dazu gehörigen Verhaltenstendenzen. In diesem Sinne repräsentiert die Energie E eine Art Superobjekt, in dem die in der Makrowelt bekannte Unterscheidung zwischen materiellen Strukturen und Verhalten nicht mehr gilt. Energie als Superobjekt beinhaltet Materie und deren Verhalten in einem. Um diesen Sachverhalt auszudrücken, ist die bekannte Formel von Einstein e = mc^2 möglicherweise zu ungenau. Sie bietet keine Möglichkeit, zwischen materiellen Strukturen und Verhalten zu unterscheiden. Das beobachtbare Verhalten ist aber genau die Sprache, in der sich das Innere der Dinge mitteilt. Alles,was uns Menschen fasziniert, das sind die Erscheinungen der Veränderungen, ihre Vielfalt, ihre Abfolge. Liebe enthüllt sich nur im Gewandte solcher Veränderungen, genauso wie Hass oder Treue. Wissen ist eingeflochten in eine Vielzahl von Strukturen und deren Veränderungen.
  21. Sowohl die Entwicklung des Universums vor dem ersten Auftreten von Leben wie erst recht dann mit dem Auftreten biologischer Strukturen ist ein Prozess immer komplexerer Verhaltensweisen, die in ihrer Dynamik Gesetze, Regeln, Strukturen erkennen lassen, die den Blick immer tiefer in das Innere aller Dinge öffnen. Das ist eigentlich unfassbar fantastisch, aber es scheint niemand besonders zu rühren.

Keine direkte, aber inhaltlich passende Fortsetzung könnte DIESE sein.

WEITERE QUELLEN/ LINKS (Selektiv)

  • Freie Protein-Datenbank: http://www.ebi.ac.uk/pdbe/ (siehe auch http://proteopedia.org/wiki/index.php/Main_Page )
  • Visualisierung von Proteindaten: https://de.wikipedia.org/wiki/Jmol und http://wiki.jmol.org/index.php/Jmol_Application#Starting_Jmol_Application
  • Proteine (Peptide): https://de.wikipedia.org/wiki/Protein
  • Aminosäuren: https://de.wikipedia.org/wiki/Aminos%C3%A4uren
  • Alpha-Ketoglutarate: https://en.wikipedia.org/wiki/Alpha-Ketoglutaric_acid
  • oxalocetate: https://en.wikipedia.org/wiki/Oxaloacetic_acid
  • Pyruvate: https://en.wikipedia.org/wiki/Pyruvic_acid
  • Punktmutation: https://de.wikipedia.org/wiki/Punktmutation
  • Spiegelmann Monster: https://de.wikipedia.org/wiki/Spiegelmans_Monster
  • Bakterien: https://de.wikipedia.org/wiki/Bakterien
  • Achaeen: https://de.wikipedia.org/wiki/Archaeen
  • Eukaryoten: https://de.wikipedia.org/wiki/Eukaryoten
  • Retroviren: https://de.wikipedia.org/wiki/Retroviren
  • Chromosom: https://de.wikipedia.org/wiki/Chromosom
  • Chromatin: https://de.wikipedia.org/wiki/Chromatin
  • CELL: B.Alberts, A.Johnson, J.Lewis (und andere), Molecular Biology of THE CELL, 6.Aufl., 2015, New York: Garland Science, Taylor and Francis Group, LLC.
  • V.Storch, U.Welsch, M.Wink (und andere), Evolutionsbiologie,3.überarbeitete und aktualisiere Aufl., 2013, Berlin – Heidelberg: Springer-Verlag
  • Francis Harry Compton Crick, Nobelpreisrede: http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/medicine/laureates/1962/crick-lecture.html
  • Francis Harry Compton Crick Life Itself: Its Origin and Nature (Simon & Schuster, 1981) ISBN 0-671-25562-2
  • DNA WikiEN: https://en.wikipedia.org/wiki/DNA
  • RNA: https://de.wikipedia.org/wiki/Ribonukleins%C3%A4ure
  • Harold Morowitz: https://en.wikipedia.org/wiki/Harold_J._Morowitz (ein großes Thema: Wechselwirkung von Thermodynamik und Leben)
  • Michael J.Russel et al: http://www.gla.ac.uk/projects/originoflife/html/2001/pdf_articles.htm: The Origin of Life research project by Michael J. Russell & Allan J. Hall , University of Glasgow, May 2011
  • Krebs-Zyklus: https://en.wikipedia.org/wiki/Citric_acid_cycle
  • Martin W, Russell MJ., On the origin of biochemistry at an alkaline hydrothermal vent. , Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci. 2007 Oct 29; 362(1486):1887-925.
  • Martin W, Baross J, Kelley D, Russell MJ., Hydrothermal vents and the origin of life., Nat Rev Microbiol. 2008 Nov; 6(11):805-14.
  • Harold Morowitz und Eric Smith , Energy flow and the organization of life , Journal Complexity archive, Vol. 13, Issue 1, September 2007, SS. 51 – 59 ,John Wiley & Sons, Inc. New York, NY, USA

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DENKEN UND WERTE – DER TREIBSATZ FÜR ZUKÜNFTIGE WELTEN (Teil 1)

  1. In dem Beitrag Digitalisierung und die Religionen vom 9.März 2016 gibt es neben vielen anderen Motiven zwei Motive, die besonders hervortreten: einmal das Momentum (i) kombinatorischer Räume, die gefüllt werden können, und zum anderen (ii) das Momentum der Auswahl, welche Teilräume wie gefüllt werden sollen.

KOMBINATORISCHER RAUM BIOLOGISCHE ZELLE

  1. Im Rahmen der biologischen Evolution auf Zellebene z.B. eröffnet sich der kombinatorische Raum an verschiedenen Stellen. Eine ist jene, wo das Übersetzungsmolekül (das Ribosom) von den gespeicherten potentiellen Informationen (DNA mit ihren Abwandlungen) eine Transformation in andere Moleküle (Proteine) überleitet , mit denen sich neue Zellstrukturen aufbauen lassen. Die Verfügbarkeit dieser Proteine, ihre chemischen Eigenschaften und die Umgebungseigenschaften definieren einen potentiellen kombinatorischen Raum, von dem im konkreten Übersetzungsprozess dann ein bestimmter Teilraum ausgewählt wird.
  2. Aber auch schon der potentielle Informationsspeicher (realisiert mittels DNA-Molekülen) selbst, wie auch seine verschiedenen Transformationsprozesse bis zum Übersetzungsprozess in Proteine repräsentieren ebenfalls kombinatorische Räume, deren Realisierung viel Spielraum zulässt.
  3. Man könnte diese molekülbasierte Informationsspeicherung, diese Transformationen der Moleküle, als eine Urform des Denkens ansehen: Moleküle fungieren als Repräsentanten möglicher Konstruktionsprozesse, und diese Repräsentanten können verändert, rekombiniert werden zu neuen Strukturen, die dann zu neuen Konstruktionsprozessen führen. Man hat also – vereinfacht – ein Funktion der Art repr: M_inf x M_tr x MMprot —> Z, d.h. die Reproduktionsfunktion repr die mittels Molekülen, die als Informationsträger fungieren (M_inf), mittels Molekülen (M_tr), die als Übersetzer fungieren und Molekülen (MM_prot), die als Proteine fungieren können, daraus neue Zellstrukturen entstehen lassen kann.

GELIEHENE PRÄFERENZEN

  1. So wundersam diese Urform des Denkens immer neue kombinatorische Räume strukturell aufspannen und dann im Reproduktionsprozess als reales Strukturen konkretisieren kann, so hilflos und arm ist dieser Mechanismus bei der Beurteilung, Bewertung, welche der möglichen Teilräume denn bevorzugt vor anderen realisiert werden sollten. Soll das Fell weiß oder schwarz sein? Benötigt man überhaupt Zähne? Wozu so komplizierte Hand- und Fingergelenke? Warum tausende Kilometer reisen, um zu brüten? … Die Urform des Denkens ist unfähig, ihre potentielle innere Vielfalt selbständig zu bewerten. Man kann auch sagen, die Urform des Denkens kann zwar kombinieren, ist aber blind wenn es darum geht, gezielt Teilräume auszuwählen, die sich als interessante Kandidaten für das Leben anbieten.
  2. Dabei ist schon die Wortwahl ‚interessante Kandidaten für das Leben‘ problematisch, da der Begriff Leben eine Schöpfung von Lebewesen ist, die viele Milliarden Jahre später erst auftreten und die versuchen im Nachhinein, von außen, durchtränkt von neuen Bedingungen, die zunächst bedeutungsleere Wortmarke Leben mit Bedeutung zu füllen. Die Urform des Denkens verfügt über keinen externen Begriff von Leben und es gibt keine Ingenieure, die der Urform des Denkens zuflüstern können, was sie tun sollen.

MOLEKÜLE ALS INFORMATIONSSPEICHER IMPLIZITE PRÄFERENZEN

  1. Allerdings beinhaltet schon die Urform des Denkens über ein Moment, das außerordentlich ist: jene Moleküle (DNA), die als Speicher potentieller Informationen dienen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt repräsentieren diese Informations-Moleküle einen eng umgrenzten Teilraum eines kombinatorischen Raumes und wirken für den Übersetzungsprozess wie eine Art Anweisung in Form eines Bauplans. Gemessen an dem theoretisch möglichen kombinatorischen Raum stellt der Plan des Informationsmoleküls eine Auswahl dar, eine Selektion und damit zeigt sich hier eine indirekte Präferenz für die Informationen auf dem Molekül vor allen anderen möglichen Informationen. Die Urform des Denkens kann zwar im Prinzip einen riesigen potentiellen kombinatorischen Raum repräsentieren und transformieren, die konkrete Zelle aber repräsentiert in diesem riesigen Raum einen winzigen Teilbereich, mit einem aktuellen Ausgangspunkt – gegeben durch die aktuellen Informationen auf dem Informationsmolekül M_inf – und potentiellen Veränderungsrichtungen – gegeben durch die Transformationsprozesse einschließlich der verfügbaren Materialien und Pannen im Prozess. Anders formuliert, die Informationsmoleküle repräsentieren eine komplexe Koordinate (KK) im kombinatorischen Raum und die Transformationsprozesse (einschließlich Pannen und Materialien) repräsentieren eine Menge von möglichen Veränderungsrichtungen (DD), an deren Endpunkten dann jeweils neue komplexe Koordinaten KK_neu_1, …, KK_neu_n liegen.
  2. Wichtig: eine Zelle enthält über die Informationsmoleküle zwar implizite Präferenzen/ Werte, die die Urform des Denkens steuern, diese Präferenzen werden aber nicht von der Zelle selbst generiert, sondern entstehen aus einem Wechselspiel/ aus einer Interaktion mit der Umgebung! Biologische Strukturen (bis heute nur bekannt auf dem Planeten Erde in unserem Sonnensystem in einem geschützten Bereich der Galaxie Milchstraße des uns bekannten Universums) kommen nie isoliert vor, sondern als Teil einer Umgebung, die über sogenannte freie Energie verfügt.

OHNE ENERGIE GEHT NICHTS

  1. Biologische Zellen sind Gebilde, die für ihre Konstruktion und für ihr Funktionieren solche freie Energie brauchen. Der Umfang ihrer Strukturen wie auch die Dauer ihres Funktionierens hängt direkt und ausschließlich von der Verfügbarkeit solcher freien Energie ab. Bezogen auf den kombinatorischen Raum, der durch die Kombination (Informationsmoleküle, Transformationsmolekül, Bausteine) potentiell gegeben ist, ist unter Berücksichtigung der notwendigen Fähigkeit zum Finden und Verarbeiten von freier Energie nicht neutral! Definieren wir den potentiellen kombinatorischen Raum PKK für biologische Zellen als Raum für mögliche komplexe Koordination KK (also KK in PKK), dann sind im potentiellen kombinatorischen Raum nur jene Teilräume von Interesse, in denen die biologische Zelle über hinreichende Fähigkeiten verfügt, freie Energie zu finden und zu nutzen. Nennen wir die Gesamtheit dieser interessanten Teilräume PKK+, mit PKK+ subset PKK.

GEBORGTE PRÄFERENZEN

  1. Da die individuelle biologische Zelle selbst über keinerlei explizite Informationen verfügt, wo überall im potentiell kombinatorischen Raum PKK die interessanten Teilräume PKK+ liegen, stellt sie – trotz ihrer eigenen Reproduktionstätigkeit – eher ein passives Element dar, das sich mit geborgten Präferenzen im potentiellen kombinatorischen Raum PKK bewegt, ohne explizit wissen zu können, ob es auf seinem Weg durch den potentiellen kombinatorischen Raum PKK auch tatsächlich auf solche komplexen Koordinaten KK+ stößt, die ihr eine minimale Lebensfähigkeit erlauben.
  2. Da wir vom Jahr 2016 rückwärts blickend wissen, dass diese passiven Elemente es in ca. 4 Mrd Jahren geschafft haben, komplexe Strukturen unvorstellbaren Ausmaßes zu generieren (ein Exemplar des homo sapiens soll z.B. ca. 37 Billionen Körperzellen haben (davon ca. 100 Mrd als Gehirnzellen), dazu ca. 200 Billionen Bakterien in seinem Körper plus ca. 220 Milliarden auf seiner Haut (siehe dazu Kegel-Review Doeben-Henisch), muss man konstatieren, dass die permanente Interaktion zwischen biologischer Zelle und ihrer Umgebung offensichtlich in der Lage war, all diese wichtigen Informationen PKK+ im potentiellen kombinatorischen Raum PKK zu finden und zu nutzen!
  3. Für die Frage der potentiellen Präferenzen/ Werte gilt für diesen gesamten Zeitraum, dass sich die implizit gespeicherten Präferenzen nur dadurch bilden konnten, dass bestimmte generierte Strukturen (M_inf, M_tr, MM_prot) sich immer von einer positiven komplexen Koordinate zur nächsten positiven Koordinate bewegen konnten. Dadurch konnten die gespeicherten Informationen kumulieren. Aus der Evolutionsgeschichte wissen wir, dass ein Exemplar des homo sapiens im Jahr 2016 eine Erfolgsspur von fast 4 Mrd Jahren repräsentiert, während in diesem Zeitraum eine unfassbar große Zahl von zig Mrd anderen generierte Strukturen (M_inf, M_tr, MM_prot) irgendwann auf eine negative komplexe Koordinate KK- geraten sind. Das war ihr Ende.

ERHÖHUNG DER ERFOLGSWAHRSCHEINLICHKEIT

  1. Für den Zeitraum bis zum Auftreten des homo sapiens müssen wir konstatieren, dass es Präferenzen/ Werte für ein biologisches System nur implizit geben konnte, als Erinnerung an einen erreichten Erfolg im Kampf um freie Energie. Unter Voraussetzung, dass die umgebende Erde einigermaßen konstant war, war die Wahrscheinlichkeit, von einer positiven Koordinate KK+ zu einer weiteren komplexen Koordinate KK+ zu kommen um ein Vielfaches höher als wenn das biologische System nur rein zufällig hätte suchen müssen. Die gespeicherten Informationen in den Informationsmolekülen M_inf stellen somit sowohl erste Abstraktionen von potentiellen Eigenschaften wie auch von Prozessen dar. Damit war es Anfangshaft möglich, die impliziten Gesetzmäßigkeiten der umgebenden Welt zu erkennen und zu nutzen.

URSPRUNG VON WERTEN

  1. Es fragt sich, ob man damit einen ersten Ort, einen ersten Ursprung potentieller Werte identifizieren kann.
  2. Vom Ergebnis her, von den überlebensfähigen biologischen Strukturen her, repräsentieren diese einen partiellen Erfolg von Energienutzung entgegen der Entropie, ein Erfolg, der sich in der Existenz von Populationen von solchen erfolgreichen Strukturen als eine Erfolgsspur darstellt. Aber sie alleine bilden nur die halbe Geschichte. Ohne die umgebende Erde (im Sonnensystem, in der Galaxie…), wäre dieser Erfolg nicht möglich. Andererseits, die umgebende Erde ohne die biologischen Strukturen lässt aus sich heraus nicht erkennen, dass solche biologische Strukturen möglich noch wahrscheinlich sind. Bis heute ist die Physik mehr oder weniger sprachlos, wirkt sie wie paralysiert, da sie mit ihren bisherigen (trotz aller mathematischen Komplexität weitgehend naiven) Modellen nicht einmal ansatzweise in der Lage ist, die Entstehung dieser biologischen Strukturen zu erklären. Von daher müssen wir fordern, dass die umgebende Erde — letztlich aber das gesamte bekannte Universum — die andere Hälfte des Erfolgs darstellt; nur beide zusammen geben das ganze Phänomen. In diesem Fall würde ein reduktiver Ansatz nicht vereinfachen, sondern das Phänomen selbst zerstören!

ONTOLOGISCHE GELTUNG VON BEZIEHUNGEN

  1. Dies führt zu einem bis heute ungeklärten philosophischen Problem der ontologischen Geltung von Funktionen. In der Mathematik sind Funktionen die Grundbausteine von allem, und alle Naturwissenschaften wären ohne den Funktionsbegriff aufgeschmissen. Eine Funktion beschreibt eine Beziehung zwischen unterschiedlichen Elementen. In der Mathematik gehören diese Elemente in der Regel irgendwelchen Mengen an, die einfach unterstellt werden. Wendet man das mathematische Konzept Funktion auf die empirische Wirklichkeit an, dann kann man damit wunderbar Beziehungen beschreiben, hat aber ein Problem, die in der Mathematik unterstellten Mengen in der Realität direkt erkennen zu können; man muss sie hypothetisch unterstellen. Was man direkt beobachten und messen kann sind nicht die funktionalen Beziehungen selbst, sondern nur isolierte Ereignisse in der Zeit, die der Beobachter in seinem Kopf (Gehirn, Gehirnzellen…) verknüpft zu potentiellen Beziehungen, die dann, wenn sie sich hinreichend oft wiederholen, als gegebener empirischer Zusammenhang angenommen werden. Was ist jetzt empirisch real: nur die auslösenden konkreten individuellen Ereignisse oder das in der Zeit geordnete Nacheinander dieser Ereignisse? Da wir ja die einzelnen Ereignisse protokollieren können, können wir sagen, dass auch das Auftreten in der Zeit selbst empirisch ist. Nicht empirisch ist die Zuordnung dieser protokollierten Ereignisse zu einem bestimmten gedachten Muster/ Schema/ Modell, das wir zur gedanklichen Interpretation benutzen. Die gleichen Ereignisse lassen in der Regel eine Vielzahl von unterschiedlichen Mustern zu. Einigen wir uns kurzfristig mal auf ein bestimmtes Muster, auf den Zusammenhang R(X, …, Z), d.h. zwischen den Ereignissen X, …, Z gibt es eine Beziehung R.
  2. Biologische Systeme ohne Gehirn konnten solche Relationen in ihrem Informations-Moleküle zwar speichern, aber nicht gedanklich variieren. Wenn die Beziehung R stimmen würde, dann würde sie zur nächsten positiven komplexen Koordinate KK+ führen, was R im Nachhinein bestätigen würde; wenn R aber zu einer negativen komplexen Koordinate KK- führen würde, dann war dies im Nachhinein eine Widerlegung, die nicht mehr korrigierbar ist, weil das System selbst verschwunden (ausgestorben) ist.
  3. Im Gehirn des homo sapiens können wir ein Beziehungsmuster R(X, …, Z) denken und können es praktisch ausprobieren. In vielen Fällen kann solch ein Interpretationsversuch scheitern, weil das Muster sich nicht reproduzieren lässt, und in den meisten solchen Fällen stirbt der Beobachter nicht, sondern hat die Chance, andere Muster R‘ auszuprobieren. Über Versuch und Irrtum kann er so – möglicherweise irgendwann – jene Beziehung R+ finden, die sich hinreichend bestätigt.
  4. Wenn wir solch ein positiv bestätigtes Beziehungsmuster R+ haben, was ist dann? Können wir dann sagen, dass nicht nur die beteiligten empirischen Ereignisse empirisch real sind, sondern auch das Beziehungsmuster R+ selbst? Tatsächlich ist es ja so, dass es nicht die einzelnen empirischen Ereignisse als solche sind, die wir interessant finden, sondern nur und ausschließlich die Beziehungsmuster R+, innerhalb deren sie uns erscheinen.
  5. In der Wechselwirkung zwischen umgebender Erde und den Molekülen ergab sich ein Beziehungsmuster R+_zelle, das wir biologische Zelle nennen. Die einzelnen Elemente des Musters sind nicht uninteressant, aber das wirklich frappierende ist das Beziehungsmuster selbst, die Art und Weise, wie die Elemente kooperieren. Will man dieses Beziehungsmuster nicht wegreden, dann manifestiert sich in diesem Beziehungsmuster R+_zelle ein Stück möglicher und realer empirisches Wirklichkeit, das sich nicht auf seine Bestandteile reduzieren lässt. Es ist genau umgekehrt, man versteht die Bestandteile (die vielen Milliarden Moleküle) eigentlich nur dadurch, dass man sieht, in welchen Beziehungsmustern sie auftreten können.
  6. Vor diesem Hintergrund plädiere ich hier dafür, die empirisch validierten Beziehungsmuster als eigenständige empirische Objekte zu betrachten, sozusagen Objekte einer höheren Ordnung, denen damit eine ontologische Geltung zukommt und die damit etwas über die Struktur der Welt aussagen.
  7. Zurück zur Frage der Präferenzen/ Werte bedeutet dies, dass man weder an der Welt als solcher ohne die biologischen Systeme noch an den biologischen Strukturen als solche ohne die Welt irgendwelche Präferenzen erkennen kann. In der Wechselwirkung zwischen Erde und biologischen Strukturen unter Einbeziehung einer Irreversibilität (Zeit) werden aber indirekt Präferenzen sichtbar als jener Pfad im potentiellen Möglichkeitsraum der komplexen Koordinaten KK, der die Existenz biologischer Systeme bislang gesichert hat.
  8. Dieser Sachverhalt ist für einen potentiellen Beobachter unaufdringlich. Wenn der Beobachter nicht hinschauen will, wenn er wegschaut, kann er diesen Zusammenhang nicht erkennen. Wenn der Beobachter aber hinschaut und anfängt, die einzelnen Ereignisse zu sortieren und versucht, aktiv Beziehungsmuster am Beispiel der beobachteten Ereignispunkte auszuprobieren (was z.B. die Evolutionsbiologie tut), dann kann man diese Strukturen und Prozesse erkennen, und dann kann man als Beobachter Anfangshaft begreifen, dass hier ein Beziehungsmuster R+_zelle vorliegt, das etwas ganz Außerordentliches, ja Einzigartiges im ganzen bekannten Universum darstellt.

Keine direkte, aber eine indirekte, Fortsetzung könnte man in diesem Beitrag sehen.

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DAS GANZE IN EINER NUSSSCHALE – In gewisser Weise ‚Ja‘

ANREGUNG VON PLATO & ARISTOTELES

  1. Im Kontext der Relektüre von Platon und Aristoteles, zunächst angeregt durch das Buch von Decher, dann vertiefend mit anderen Büchern, entstand immer mehr der Eindruck, dass das Ringen von Aristoteles um eine realistischere Sicht der Ganzheit des Lebens im Vergleich zu dem stark dualistisch-apriorisierenden Denken Platons, in seinem Kern, in den erkennbaren Strukturen, nicht so weit weg ist vom heutigen Denken. Natürlich muss man einige Begriffe neu übersetzen, natürlich muss man viele Details aktualisieren, aber die gesamte Ausrichtung gibt eine Fülle von Anregungen, die auch Lücken in unseren heutigen Ansätzen sichtbar machen. Die Meinungen gehen auseinander, ob Aristoteles auf der Zielgeraden letztlich dann doch Platons Sicht übernommen hat (Priorität und Andersartigkeit des Geistes über und vor allem anderen), oder ob man seine ähnlich klingenden Begriffe nicht doch von seinem Gesamtansatz her doch anders denken müsste.
  2. Bevor es aber dazu kam, dass ich mich in diese Begriffswelt von Platon, ganz besonders aber von Aristoteles, neu versenken konnte, setzte sich ein ganz anderes Karussell von Analogien in Bewegung.

Die fünf Paradoxien - Vorstufe: Geist und Materie
DAS GANZE IN EINER NUSSSCHALE. Fünf Themenkomplexe. Vorstufe: Geist und Materie

BIOLOGISCH VERSUS TECHNOLOGISCH

  1. Das vorausgehende Diagramm zeigt eine Gegenüberstellung von biologischen Systemen, wie z.B. dem homo sapiens, und von technischen Systemen wie z.B. intelligente Maschinen.
  2. Das Faszinierende bei biologischen Maschinen ist das Phänomen, dass rein materielle Bestandteile – wie man salopp im Alltag sagen würde – in der Lage sind, hochkomplexe Verhaltensweisen zu ermöglichen, die wir umschreiben mit Worten wie nett, liebenswürdig, gemein, aggressiv, dumm, intelligent, einfühlsam, vorausschauend, usw. Einem Menschen schreiben wir gewöhnlich geistige-emotionale Eigenschaften zu (ganz im Stile von Platon und Aristoteles; wobei beide nicht nur vom Geist sprechen, sondern auch von der Seele als dem eigentlichen Lebensprinzip mit dem Geist als Huckpackeigenschaft).
  3. Da wir heute die materiellen Bestandteile immer mehr auf ihre Zusammensetzung hin analysieren können (anders als Platon und Aristoteles), können wir wissen, dass der Körper ein Verband von vielen Billionen (10^12) Zellen darstellt, die wiederum aus einer unfassbar großen Zahl von Molekülen bestehen, diese wiederum aus Atomen, diese wiederum aus subatomaren Teilchen, die sich dann im Raum quantenphysikalischer Modelle von Wahrscheinlichkeitsverteilungen verlieren.
  4. Und dieses ganze Ensemble benötigt in jedem Moment Energie, die über Nahrung zugeführt wird; zusätzlich auch Flüssigkeit. Wird diese Zufuhr lang genug unterbrochen, bricht das System in sich zusammen. Wir sagen, es stirbt, und damit verschwindet auch sein Verhalten; die Aktivitäten, aufgrund deren wir einem Organismus Gefühle und Geist zugeschrieben haben, sind nicht mehr da. Ist damit der Geist (oder wie Platon und Aristoteles sagen würden: die Seele) auch vollständig weg (bei Aristoteles ja, bei Plato nein), oder existieren diese Nicht-Dinge Seele und Geist getrennt von den biologischen Körpern irgendwie weiter? Falls dem so wäre, müsste die Existenzform von Seele (Psyché) und Geist (Nous) im Sinne von Platon (und z.T. Aristoteles) anders sein als die Existenzform, die wir von biologischen Körpern kennen.
  5. Eher spontan hatte ich neben diese Struktur von biologischen Systemen jene von sogenannten intelligenten Maschinen aufgezeichnet. Strukturell kann man eine starke Analogie beobachten. Auch hier kann man materielle Bestandteile unterscheiden (Chips, Gatter, Verbände von Atomen), die ihre Zustände ändern können, und ein Verhalten, das man – je nach Ausführung und Kontext – auch als nett, intelligent, vorausschauend usw. beschreiben könnte.
  6. Solange Menschen wissen, dass es ja nur eine Maschine ist, sagen sie immer, das ist natürlich nicht wirklich wie beim Menschen. Ist es nicht so offensichtlich (z.B. bei Hausrobotern, die äußerlich wie echte Tiere aussehen), dann verschwindet dieser Vorbehalt und Menschen entwickeln zu den Maschinen eine – zumindest äußerlich ähnlich erscheinende – Beziehung wie zu biologischen Systemen.
  7. Auch Maschinen benötigen beständig Energie, um funktionieren zu können. In dem Fall elektrische Energie, die mittels Transformationsprozessen aus natürlichen Energiequellen gewonnen werden (Fossile Energien, biologische, Wasser- und Windenergie, Sonnenenergie, atomar, …).
  8. Im Wissen um die unterschiedlichen materiellen Substanzen, die den Verhaltensmanifestationen zugrunde liegen, stellt sich die Frage, wie kann es sein, dass so unterschiedliche Strukturen ein so ähnliches Verhalten hervorbringen können? Wie groß ist die Ähnlichkeit? Welche Rückschlüsse kann man auf den bei biologischen Systemen unterstellten Geist (bzw. auch auf das Lebensprinzip der Psychè von Platon und Aristoteles) ziehen nur aufgrund der unterschiedlichen materiellen Strukturen, die sie hervorbringen? Hätte ein Aristoteles seine Überlegungen geändert, wenn er von diesen neuen Details gewusst hätte? Platon möglicherweise ja, Aristoteles – nach meiner Einschätzung – eher nicht. Das Modell von Aristoteles könnte theoretisch mit diesen neuen Erkenntnissen umgehen.
  9. Die ganze Frage besitzt noch eine pikante Note, da die sogenannten intelligenten Maschinen ja nicht an Bäumen wachsen oder als Teil von Korallenriffen entstehen, sondern sie sind vollständig ein Produkt des homo sapiens, seines Denkens und seines Produzierens. Es ist der Mensch, der im Laufe der Jahrtausende gelernt hat, seine Wahrnehmung der Welt zu strukturieren, sie mittels Sprachen mit anderen zu teilen, sie in Handlungen zu überführen, und nach und nach es geschafft hat, die Funktionsprinzipien der Natur – einschließlich der biologischen Phänomene, also auch von sich selbst – soweit zu rekonstruieren, dass er Gebäude errichten konnte, ganze Städte baut, Flugkörper, Kommunikationsmittel, Computer, die ihm helfen können, sein eigenes Denken mehr und mehr zu imitieren und partiell sogar zu übertreffen. Anders gewendet, es ist der Mensch, der seine Art zu denken sowohl in ein gedachtes Modell übersetzt hat (Turing, von Neumann), als auch in eine reale Maschine (viele Personen), die man anschauen, mit der man konkret arbeiten kann.
  10. So betrachtet liegt eigentlich keine Parallelität vor, sondern eher so etwas wie eine Aufschichtung: die materiellen Strukturen des Menschen (sein Körper) sind in der Lage, intern Wolken von Ladungszuständen zu erzeugen und zu modifizieren, mittels denen sie die erfahrbare Welt wahrnehmen, vorstellen und denken können. Mittels diesen Bildern von der aktuellen Welt wie von denkbaren = möglichen Welten hat der Mensch ein mögliches Modell eines künstlichen Geistes gedacht und realisiert, der erkennbare Prinzipien der biologischen Natur sichtbar macht und dem Handlungs- und Denkraum des Menschen hinzufügt.
  11. Der Mensch selbst ist direkt und unmittelbar ein Produkt des evolutionären Naturprozesses. Die intelligenten Maschinen sind – vermittelt durch den biologischen Geist des Menschen – ebenfalls ein Produkt der Evolution. Allerdings finden wir hier eine dramatische Weiterentwicklung im Mechanismus der biologischen Evolution! Verfügte die Evolution bis zum Auftreten des homo sapiens nur über die Möglichkeit, anhand von (blinden! Rein zufälligen!) Änderungen im DNA-Molekül Veränderungen im Bereich des biologischen Lebens herbei zu führen, so stellte die Struktur des homo sapiens selbst schon eine Revolution dar: die biologische Möglichkeit innerer geistiger Zustände in einem biologischen System, die Fähigkeit von Selbstbewusstsein, das sich selbst als in der Welt seiend wahr zu nehmen, alternativ zu denken und zu kommunizieren, dies ermöglicht eine völlig neue Weise, Veränderungen im Kontext der biologischen Evolution einzuführen! Statt viele hundert oder tausend oder noch mehr Generationen abwarten zu müssen, bis irgendwelche zufälligen Änderungen eine brauchbare Veränderung entstehen ließen, kann jetzt jeder einzelne homo sapiens im Verbund mit allen anderen sehr schnell beliebige und komplexe Änderungen erfinden und umsetzen. Ergänzt und verstärkt durch intelligenten Maschinen kann dieser Prozess noch komplexer, noch schneller ablaufen. Einbettet in Netzwerke und verbunden mit Datenbanken ist prinzipiell noch mehr möglich.
  12. Nur der Mensch selbst, seine aktuelle körperliche und – wie wir noch immer salopp sagen – seine psychologische Struktur erweisen sich immer mehr als Hemmschuh: unsere Informationsverarbeitungskapazität ist sehr beschränkt und unser emotionales und triebhaftes Korsett erweist sich als sehr eng, schwerfällig und schlecht angepasst. Möglicherweise der größte Anteil aller Zukunftsmöglichkeiten des einzelnen und der ganzen Populationen wird aktuelle vergeudet, weil die Menschen nicht in der Lage sind, mit ihren Emotionen und Trieben nachhaltig umzugehen.

Die fünf Paradoxien der Menschheit heute - Version 2
DAS GANZE IN EINER NUSSSCHALE. Fünf Themenkomplexe. Version 2

ENTSTEHUNG VON KOMPLEXITÄT

  1. Damit kommen wir zur zweiten Skizze. Sie ist aus der ersten hervorgegangen.
  2. Ausgangspunkt waren die biologischen Strukturen, und hier das Phänomen der Entstehung der Komplexität im Laufe der Zeit.
  3. Zwar haben wir bislang eigentlich nur winzige Fragmente der vorausgehenden Zeit, aber mit den heutigen Methoden der Genetik und Molekularbiologie (ergänzt um viele Methoden aus vielen anderen Wissenschaften) ermöglichen diese Fragmente Blicke zurück in die Zeit, die bis noch vor 10 – 20 Jahren unvorstellbar waren. Immer noch verstehen wir nicht alles; immer noch bleiben viele Fragen offen; aber das Gesamtbild gewinnt immer mehr Konturen.
  4. Es gibt viele Ansätze, wie man diese Zeit des biologischen Lebens auf der Erde (ca. 4 Mrd.Jahre von heute rückwärts) strukturieren und deuten kann. Einer von vielen ist z.B. der von Nick Lane (2009), der versucht hat, die zehn wichtigsten Ereignisse der biologischen Evolution zu identifizieren und zu beschreiben. Er bezieht zwar das Phänomen des Bewusstseins (consciousness) mit ein, nicht mehr aber das, was sich auf der Basis von Bewusstsein dann getan hat. Für ihn als biologischer Chemiker ist dies nachvollziehbar, aber dem Phänomen der Evolution wird es möglicherweise nicht gerecht, weil Evolution mehr ist als das, was die Biochemie erfassen und behandeln kann.

NATUR UND GEIST

  1. Die Aufspaltung der Wissenschaft in Natur- und Geisteswissenschaften hat zwar in Europa eine lange (unglückliche?) Tradition, aber aus historischen Zufälligkeiten und Gewohnheiten folgt nicht ohne weiteres, dass dies auch dem Phänomen des Lebens als Teil der Natur gerecht wird. Der Mensch selbst erscheint aktuell als jene Revolution der Evolution, durch die sich die sogenannte materielle Natur in eine sogenannte geistige Natur transformiert hat. Die Revolte von Aristoteles gegen Plato wurzelt genau hier: Aristoteles wollte das Geistige als Teil des Natürlichen verstehen. Mit dem heutigen Wissen sind wir soweit, dass wir von dem heute Wissbaren ausgehend eigentlich nur sagen können, dass das bekannte Geistige eine Eigenschaft der bekannten materiellen Natur ist. Wer diese Aussage vorschnell als mögliche Abwertung des Geistigen versteht, sollte einen Moment innehalten: er/ sie sollte sich fragen, was er/sie denn vom sogenannten materiell Natürlichen weiß?
  2. Wenn es so ist, dass das bekannte Geistige als Eigenschaft des Natürlichen auftritt, sich zeigt, manifestiert, dann wäre die normale logische Fragerichtung jene, eben dieses materiell Natürliche einer neuen Analyse (und Interpretation) zu unterziehen. Wenn sogar intelligente Maschinen Phänomene hervorbringen können, die wir geistig zu nennen gewohnt sind, dann muss man die Frage stellen, welche inhärenten/ impliziten Eigenschaften des Materiellen sind es, die Geistiges real werden lassen?
  3. Bislang wissen wir, dass die komplexen Zellansammlungen von biologischen Lebewesen sich nur sehr langsam entwickelt haben. Allein schon der Übergang von einzelnen Zellen zu größerem Zellverbänden, die kooperieren, hat Milliarden Jahre gedauert. Und der Übergang von Molekülen zu Strukturen wie es eine Zelle ist hat mindestens einige hundert Millionen Jahre gedauert. Vollständige Erklärungsmodelle, wie man sich diesen Bildungsprozess auf der Basis der bekannten Naturgesetze vorstellen sollte, liegen noch nicht vor.
  4. Die bisherigen Denkmodelle der Physik zur Entstehung des bekannten Universums bieten nicht all zu viel: ein singuläres Energieereignis, in dessen Gefolge sich bei Abkühlung immer mehr Strukturen zeigten (subatomar, atomar, …), die zur Entstehung von Sternen führte, deren Fusionsprozesse weitere schwere Atome hervorbrachten, die wiederum zu Bausteinen jener Moleküle wurden, die im Verlauf von ca. 9 Mrd. Jahr dann bei der Entstehung biologischer Zellen beteiligt waren. Dann noch ein Entropiegesetz, das nicht wirklich ein Gesetz ist und vielfältige Interpretationen zulässt. Schließlich ein großes Schweigen angesichts des Phänomens einer nach 9 Mrd Jahren einsetzenden (biologischen) Komplexitätsbildung, für dies es bis heute keinerlei Ansatzpunkte in den bisherigen physikalischen Modellen gibt. Diejenigen Eigenschaften von Molekülen, die sich physikalisch erklären lassen, reichen nicht aus,um das Gesamtverhalten befriedigend erklären zu können.
  5. Die berühmte Formel von Einstein e=mc2 , durch die eine Beziehung zwischen dem Term Energie e und dem Term Masse m mal Quadrat der Lichtgeschwindigkeit c2 erhält ihre Bedeutung natürlich nur innerhalb des mathematischen Modells, in dem diese Terme definiert sind. In einer saloppen Interpretation kann man aber vielleicht sagen, dass die beobachtbaren (messbaren) Massen und Geschwindigkeiten mit jener Energie korrespondieren, die notwendig ist, dass sich dies beobachten lässt. Masse kombiniert mit Raumzeit ist die Manifestation von jener Energie, die die Physik bislang in ihre Modelle abgebildet hat. Dass diese Massen innerhalb der Raumzeit zu einem Prozess fähig sind, den wir als Ansteigen von funktionaler Komplexität im Bereich biologischer Systeme identifizieren, ist in den bisherigen physikalischen Modellen schlicht nicht vorgesehen. Warum auch; ein normaler Physiker interessiert sich nicht für Phänomene des Lebens (außerdem hat er ja auch ohne die biologischen Phänomene noch genügend Baustellen (dunkle Materie, dunkle Energie, Gravitation,…). Und jene Physiker, die es dann doch manchmal versucht haben (Schroedinger, Davis, ..) sind dann in den Modus des Staunens verfallen und haben immerhin dahingehend Größe gezeigt, dass sie ihr Nocht-Nicht-Verstehen zugegeben haben.
  6. Schliesslich gibt es auch noch die offene Frage, wie man den von den Möglichkeits- und Wahrscheinlichkeitsräumen der Quantenphysik zur jeweilig konkreten Welt (Universum) kommt. Zu sagen, dass unendlich viele Welten rein theoretisch möglich sind, war eine revolutionäre Einsicht. Wie kommt man aber von der Möglichkeit zur Singularität eines konkreten Universums? Und auch hier: wie verhält sich die immer mehr erkennbare evolutionäre biologische Komplexität zum physikalischen Modell einer Energie, die mit Masse und Raumzeit korrespondiert?

Die fünf Paradoxien - Bild 4
DAS GANZE IN EINER NUSSSCHALE. Fünf Themenkomplexe. Version 4

  1. Die vorausgehenden Überlegungen führten zwanglos zu einer dritten Skizze, die sich durch ein langes Telefonat mit Si.Sch. in eine Skizze mit vielen Anmerkungen verwandelte (Diagramm 4).
  2. Ich merke schon, dass eine vollständige Beschreibung dieser Version den Rahmen dieser Blogeintrags völlig sprengen würde. Daher hier nur ein paar erste Gedanken, die dann in weiteren Blogeinträgen (und Gesprächen in der Philosophiewerkstatt und im Emerging Mind Projekt) zu vertiefen sind.

SELBSTABSCHALTUNG – VERWEIGERUNG VON ZUKUNFT

  1. Der Themenkomplex 4 wird inspiriert von dem alltäglichen Phänomen der Selbstabschaltung des Menschen. Zwar ist unser kognitiver Apparat so gebaut, dass die Wahrnehmung schon vorab, ohne Zutun des Bewusstseins, den Strom der sensorischen Reize stark reduziert, abstrahiert und selektiert, aber darüber hinaus gibt es das Phänomen, dass Menschen sich in ihrem Bewusstsein, in ihrem Denken von innen heraus abschalten! Abschalten heißt hier, sich auf ein bestimmtes (meist – aber nicht notwendigerweise – vereinfachendes) Bild der Wirklichkeit festzulegen und dann alles zu tun, um es nicht mehr ändern zu müssen. Von diesem Zeitpunkt an hat in diesem Bild alles irgendwie seinen Platz. Dies ist sehr bequem. Man muss sich nicht mehr mühsam damit beschäftigen, was wirklich wahr ist, ob es wirklich so wahr, ob es wirklich nicht anders geht, ob der Andere vielleicht ganz anders ist als gedacht, usw.
  2. Im Falle von intelligenten Maschinen spricht man salopp von falsch programmiert, wenn das Programm nicht das tut, was es tun soll. Letztlich haben falsche Bilder im Kopf die gleichen Wirkungen wie falsch programmierte Maschinen: sie liefern falsche Bilder von der Welt, verstellen richtige Einsichten, begünstigen falsches Verhalten. Menschen, die nicht merken, dass sie falsche Bilder im Kopf haben (bzw. falsch programmiert sind), können Zukunft gefährden oder ganz unmöglich machen, ihre eigene wie die ganzer Gruppen oder Populationen.
  3. Da die Welt sich permanent ändert, heute womöglich schnelle denn je, ist es eine Herausforderung an das biologische Leben, dafür zu sorgen, dass die Bilder im Kopf aktuelle sind, differenziert, wahr, empathisch, also zukunftsfähig.
  4. Hier sind alle Formen des Lernens einschlägig, kulturelle Muster die vorleben, wie man mit sich selbst, den anderen, der Wirklichkeit umgeht. Die Wirklichkeit, die Wahrheit lässt sich weder verordnen noch einsperren. Wohl aber kann man Menschen einsperren, abrichten, mit Ängsten der Hass vollpumpen, um sie an eigenen, anderen Erkenntnissen zu hindern.

GESELLSCHAFTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN FÜR EVOLUTION

  1. Dies führt zum Fragenkomplex Nr.5. Die Geschichte hat verschiedene Gesellschaftssysteme hervorgebracht, u.a. auch solche, die sich demokratisch nennen. Diese Gesellschaftssysteme haben als Grundeinsicht, dass die Chance für eine mögliche nachhaltige Zukunft durch Öffnung und Beteiligung von jedem einzelnen wächst. Analog der blinden biologischen Evolution, die nur Erfolg hatte durch umfassendes radikales Experimentieren, so können auch die Menschen mit der Masse ihres falschen Wissens nur weiter kommen, wenn sie sich allen sich bietenden Möglichkeiten gegenüber öffnen, sie ausprobieren. Freiheit, Offenheit, Kreativität, Meinungsaustausch, funktionierenden Öffentlichkeit, Menschenrechte sind kein überflüssiger Luxus, sondern die biologisch motivierten und sachlich notwendigen Voraussetzungen für eine mögliche Begegnung mit einer nachhaltigen Zukunft. Schon heute kennen wir zahllose Beispiele von umfassenden Zerstörungen, die entstehen, wenn Menschen glauben, dass dies alles nicht notwendig sei.
  2. Der Slogan vom ‚Überleben der Tüchtigsten‘ wird gerne benutzt, um allerlei Arten von Egoismen und Grausamkeiten zu rechtfertigen, gepaart mit riesengroßen Dummheiten in der Zerstörung vielfältigster Ressourcen. Der Slogan beschreibt aber nur einen Teilaspekt der Evolution! Natürlich überleben nur die, die sich für die jeweilig Weltsituation fit gemacht haben, aber dies ist keine Eigenschaft eines Individuums, sondern einer ganzen Population, die nur durch vielfältige Kooperationen mit zahllosen Faktoren Leben gelingen lässt. In der aktuellen Phase der Evolution gilt mehr denn je, dass nur das Zusammenwirken aller Beteiligen eine Chance hat, und hier spielt das gemeinsam geteilte Wissen eine zentrale Rolle, das nicht von einzelnen Playern egoistisch für partielle Zwecke missbraucht wird, sondern von allen für eine gemeinsame nachhaltige Zukunft genutzt werden kann. Ohne Vertrauen und umfassende Transparenz wir die Komplexität an sich selbst scheitern. Es reicht nicht, dass einzelne mächtig und reich sind, alle müssen optimal leben, um die Aufgabe der kommenden Zeit meistern zu können. Die aktuellen Wertesysteme sind weitgehend veraltet und tödlich. Nur gemeinsam kann Neues entstehen.

Anmerkung: Diese Perspektive, die sich jetzt im Verlaufe dieser Überlegungen herausgeschält hat, ist stark verwoben mit den Überlegungen von Manfred Fassler im Blog Emergent Life Academy. Ich verdanke den intensiven Gesprächen mit Manfred sehr viele wichtige und tiefe Einsichten. Möglicherweise hilft es uns beiden, dass wir von unterschiedlichen Blickwinkeln aus auf das Geschehen schauen: er als Soziologe und Kulturanthropologe, ich als Philosoph  und Infomatiker (mit starken Einflüssen aus den Kognitionswissenschaften).

 

QUELLEN

  • Nick Lane, Life Ascending. The Ten Great Inventions of Evolution, London: Profile Books Ltd, 2009

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DECHER – HANDBUCH PHILOSOPHIE DES GEISTES – PLATON – DISKURS (Teil 3)

Decher, Friedhelm, Handbuch der Philosophie des Geistes, Darmstadt: WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2015 (Im Folgenden abgekürzt: HPG)

KONTEXT

  1. Nach der kurzen Einführung in das Phänomen Geist beginnt Decher seine gedankliche Expedition zum Begriff Geist bei den  alten Ägyptern und den Vorsokratikern. In Teil 2 habe ich darauf hingewiesen, dass die Verwendung der zentralen Begriffe wie Noos/ Nous, Thymos, Psyché, Aisthesis, Noema, Logos und deren Interpretation grundsätzlich eine Herausforderung darstellt, die aus der Art und Weise resultiert, wie Sprache und Erkennen beim Menschen funktionieren.
  2. Im nächsten Kapitel wendet sich Decher Platon zu, und hier speziell dem Verhältnis von Geist (Nous) und Seele (Psyché).
  3. An dieser Stelle sei wiederum darauf aufmerksam gemacht (vgl.  die Anmerkungen im ersten Teil dieser Besprechung, besonders Nr.4), dass diese Besprechung in keiner Weise die eigene Lektüre des Buches von Decher ersetzen kann. Ich lese das Buch im Lichte meiner Fragen, andere werden möglicherweise etwas anderes in dem Buch erkennen. Die Lektüre eines Buches ist niemals eine 1-zu-1 Angelegenheit (ein Umstand, warum auch die sogenannte Offenbarungsschriften im Judentum, Christentum und im Islam im Gang der Geschichte immer wieder – und zwar unvermeidbar – unterschiedlich interpretiert werden).

PLATON: NOUS UND PSYCHE (SS.41 – 44)

Platon: Seele und Geist, Grundstruktur
Platon: Seele und Geist, Grundstruktur

  1. Decher weist darauf hin, dass es bis heute schwierig ist, in den Werken Platons – speziell in seinen früheren Werke – den Einfluss der sokratischen Denkweise von den eigenen Überlegungen Platons klar abzugrenzen. Sokrates (ca. -469 bis -399) lebte vor Platon (-428/7 bis – 348/7) und Platon kannte Sokrates nicht nur, sondern war auch sein Schüler (ca. ab -407).
  2. Decher fasst dann die Lehre von Platon in einigen Kernthesen zusammen, die im Schaubild (erweitert) illustriert werden.
  3. Grundsätzlich geht Platon von einer Trennung von Körper und Seele (Psyché) aus, wobei der Geist (Nous) ein Teil der Seele ist. Die Seele gehört zum unkörperlichen immateriellen überindividuellen und unsterblichen Lebensprinzip im Gegensatz zum materiellen sterblichen Körper. Entsprechend den verschiedenen Körperteilen (Kopf, Brust, Unterleib) zeigt sich die Seele auf unterschiedliche Weise (Nous als Geist, Verstand; Thýmos als antreibende Gefühle; Epithymiai als Begierden, Triebe, Bedürfnisse). Anlässlich von sinnlichen Erregungen wird der Geist in der Weise angeregt, stimuliert, dass er sich erinnert (Erinnerung, Anamnesis) an ein allgemeines, ideales, immaterielles Wissen, das auf die Ideen zurückgeht, die die Seele vor ihrer Wiedergeburt kannte, und die sie auf dem Weg zur Wiedergeburt in einem Körper beim Durchqueren des Flusses Lethe (Fluss des Vergessens) vergessen hatte. Die allgemein Wahrheit ist also etwas, was unabhängig von materieller Körperwelt und sinnlicher Erfahrung existiert und nur erinnert werden kann. Je nachdem, wie die verschiedenen Seelenteile miteinander im Einklang sind, ist ein Mensch eher krank oder gesund.

DISKURS

  1. Diese Bemerkungen sind sehr knapp. Entsprechen aber den allgemeinen Lehrmeinungen über Platons Position.
  2. Interessant ist hier die Wechselbeziehung zwischen Geist und Seele.
  3. Offensichtlich kommt der Seele die Priorität zu. Der Geist scheint zwar der Ort zu sein, wo die aus der Materialität herrührenden sinnlichen Erregungen sich zu ersten bewussten Vorstellungen formen können und wo diese Anregungen zur Erinnerung an präexistierende immaterielle unendliche Ideen führen können, die ebenfalls im Geist bewusst werden können, aber der Geist ist nur ein Moment an der Seele, die als solche als immateriell und unsterblich gilt.
  4. Der Hauptgrund für die Unsterblichkeit der Seele scheint aus der Annahme zu resultieren (vgl. dazu Hirschberger, SS.118-128), dass die Seele als Lebensprinzip alles Lebendigen gesehen wird (auch der Tiere und Pflanzen), und dieses Lebensprinzip erkennt man an der Bewegung, und zwar an der spontanen Selbstbewegung. Die Selbstbewegung liegt jeglicher Bewegung zugrunde, auch den Himmelsbewegungen; sie ist das Erste von Allem, und darin ewig.
  5. Dies bedeutet, dass ein ewiges, immaterielles Prinzip erkannt wurde auf der Basis eines Naturphänomens, das zu Zeiten Platons von vielen nicht anders verstanden werden konnte, als etwas ganz Anderes, für das man keine Erklärung in der bekannten Welt finden konnte.
  6. Unterstützung fand diese Hypothese von der ganz anderen Bewegung noch durch die Phänomene des Erkennens, dass man in der empirischen Erfahrungswelt immer nur endliche und unvollkommene Objekte, Verhältnisse und Strukturen findet, sich im Denken aber Verhältnisse zeigen und denken lassen, die unendlich erscheinen und ideal. Lässt diese scheinbare Unerklärlichkeit der (spontanen) Bewegung kombiniert mit der Unerklärlichkeit der idealen Erkenntnisse von daher berechtigt einen Schluss auf etwas Immaterielles, Unendliches, Präexistierendes, Überindividuelles zu, das man Seele (Psyché) nennt und das vorab und begleitend zur erfahrbaren empirischen Welt existiert und wirkt?
  7. Auf den ersten Blick tut sich hier ein Dualismus von endlichem unvollkommenem Materiellen und endlichem vollkommenem Immateriellen auf. Dies aber nur solange, als man die Wechselwirkung zwischen beiden nicht ernst nimmt. Wenn das endliche Materielle mit dem unendlichen Immateriellen in Erkenntnisweisen zusammenwirken können, dann kann und muss man fragen, wie dies möglich ist.
  8. Sowohl die sinnlich angeregten Vorstellungen sind bewusst und im Geist (Nous) wie auch die von den ewigen Ideen gespeisten Erinnerungen an ideale Verhältnisse sind bewusst, da ansonsten unbekannt. Im platonischen Denkmodell gibt es für dieses Zusammentreffen von unvereinbaren Gegensätzen keine wirkliche Erklärung. Im Lichte der neuzeitlichen Erkenntnisse der letzten 50 (!) Jahre gibt es aber Ansatzpunkte, die möglicherweise neue Denkmodelle ermöglichen könnten, die aber – so scheint mir – bislang noch nicht konsequent öffentlich zu Ende gedacht wurden.

SELBSTBEWEGUNG

  1. Nach heutigem Kenntnisstand wissen wir, dass es ein Charakteristikum biologischen Lebens ist, dass es über eine Konfiguration von Molekülen verfügt, die es in die Lage versetzen, Energie aus der Umgebung zu entziehen, um damit eine Eigenbewegung (Selbstbewegung) zu organisieren. Die Selbstbewegung resultiert also aus dem Zusammenwirken einer (nach heutigem Kenntnisstand) vorauszusetzenden Energie, die allem Empirischen zugrunde liegt, und einer bestimmten molekularen Struktur, die in der Lage ist, diese Energie in Bewegung zu transformieren. Dies ist ein Eigenschaft jeder biologischen Zelle, die sich im Falle des homo sapiens in ca. 37 Billionen (10^12) Zellen in Form eines Gesamtorganismus (Körper) so präsentiert, dass eine Vielzahl von Bewegungen in Erscheinung treten können. Die ca. 100 Mrd (10^9) Gehirnzellen nutzen ihre Energie weniger zu mechanischen Bewegungen sondern zum elektrischen Signalaustausch. Dieser Signalaustausch ermöglicht Wahrnehmung, Erinnern, Denken, Fühlen usw.
  2. Mit diesen Erkenntnissen können wir zwar auch sagen, dass die primären Prinzipien von biologischer Belebtheit auf überindividuelle Gesetze und Eigenschaften zurückverweisen (Energie), dass aber das Zusammenwirken von materiellen (atomaren, molekularen) Strukturen und freier Energie eine Eigenschaft ist, die schon jeder einzelnen Zelle zukommt, und damit jeglicher Lebensform auf der Erde.

IDEALE ERKENNTNIS

  1. Bleibt das Phänomen der idealen Erkenntnis. In der Tat sind alle sinnlich wahrnehmbaren Sachverhalte endlich, unvollkommen, singulär verglichen mit allgemeinen, strukturellen Dachverhalten, wie sie sich im Denken erschließen können.
  2. Hält man sich aber vor Augen, dass unser sinnliches Wahrnehmen und unser ideales Denken von einem Netzwerk von ca. 100 Mrd (10^9) Zellen ermöglicht wird, die völlig uniform arbeiten, dann kann man zumindest die Frage stellen, ob es möglicherweise ein (sehr hilfreicher) Artefakt dieses neuronalen Netzwerkes ist, dass wir mit endlichen Strukturen unendliche Strukturen denken können?
  3. Gerade dieser Punkt ist in der modernen Grundlagenforschung merkwürdigerweise noch nicht hinreichend abgeklärt. Hier nur ein paar Stichworte, um anzudeuten, in welcher Richtung die Antwort liegen kann.
  4. Wichtigster Kronzeuge für ideale unendliche Objekte des Denkens ist die Mathematik. Ein Beispiel ist hier die Menge der abzählbar-unendlichen natürlichen Zahlen. Die Menge der natürlichen Zahlen gilt als unendlich groß. Man definiert diese Unendlichkeit durch einen endlichen Zählprozess, der als Prozess aber keinen Endpunkt besitzt. Analog verhält es sich mit den komplexeren Zahlmengen wie z.B. den rationalen Zahlen, den reellen Zahlen usw. Diese Mengen gelten auf unterschiedliche Weise als unendlich, besitzen einen Namen, mit denen man sie benennen kann, und indem Mathematiker ständig die Namen von Objekten im Munde führen können, die als unendlich gelten, kann der Eindruck entstehen, dass es solche unendlichen Objekte tatsächlich gibt. Was es aber nur gibt, das sind endliche Prozeduren, durch die unterschiedliche Begriffe von Unendlichkeit definiert werden. Alle Arten von endlichen Prozeduren können – nach heutigem Wissensstand – von neuronalen Netzen simuliert – sprich: gedacht — werden.
  5. Ein anderes Beispiel ist die Welt der Begriffe, wie sie sich im Sprachgebrauch und in der Alltagslogik finden. Wir sind gewohnt (meist unbewusst), beständig Allgemeinbegriffe benutzen. Z.B. wir sehen ein Objekt vor uns auf dem Tisch, das genügend Eigenschaften aufweist, dass wir es als eine Tasse klassifizieren können. Und bekanntlich können wir beliebig viele einzelne Objekte als Tasse bezeichnen, sofern die charakterisierenden Eigenschaften gegeben sind. Dies bedeutet, mit einigen wenigen (endlich vielen) Eigenschaften können wir einen einzigen, individuellen Namen mit potentiell (= abzählbar) unendlich vielen Objekten verknüpfen. Dies ist mit einem neuronalen Netzwerk leicht zu bewerkstelligen.
  6. Dies bedeutet, am Beispiel von zwei sehr wichtigen Typen von denkbarer Unendlichkeit kann man sehen, dass sich diese mit endlichen Mitteln realisieren lassen.
  7. Allerdings ist klar, dass diese quasi-unendlichen endlichen Prozesse nur möglich sind, insoweit von außerhalb des Systems beständig genügend Energie zugeführt werden kann, durch die diese Prozesse aufrecht erhalten werden können.
  8. Wollte man die platonische Dualität von Materiell-Immateriell, von Seele – Körper, beibehalten, dann wäre nach heutigem Wissensstand der Körper die Anordnung der Atome/ Moleküle und das Seelische die verfügbare freie Energie, durch die Veränderungen/ Transformationen/ Signale/ Bewegungen dieser Moleküle möglich sind. Aufgrund der endlichen Konstellation der Moleküle kann zugeführte (unendliche?) Energie ein Denken von quasi unendlichen Mengen mit Hilfe endlicher Strukturen realisiert werden.

SEIN – WAHRHEIT

  1. Die Rückführung von quasi unendlichen Objekten auf endliche (Denk-)Prozesse lässt aber die Frage unbeantwortet, ob diese mit endlichen Mitteln sichtbar werdenden quasi-unendlichen Objekte (Strukturen) über das Denken hinaus eine ontologische Bedeutung haben können, oder, anders formuliert, ob diese quasi-unendlichen Objekte (Strukturen) über das Denken hinaus tatsächlich existieren, obgleich sie sich für unsere begrenzte Wahrnehmung immer nur als punktuelle, individuelle Messereignisse in Raum und Zeit manifestieren?
  2. Dies wäre die Frage nach der Wahrheit unserer Erkenntnisse.

Fortsetzung mit Aristotles HIER

SONSTIGE QUELLEN

  • Hirschberger, Johannes; GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE. Altertum und Mittelalter, Freiburg – Basel – Wien: Herder, 14.Aufl. 1976
  • Holenstein, Elmar; Philosophie-Atlas. Orte und Wege des Denkens, Zürich: Amman Verlag & Co, 2004

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Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 5 – neu – Version 2

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 27.August 2015
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll.

Was ist Leben?

Erst die Erde

Etwa 9.2 Mrd Jahre nach dem sogenannten Big Bang kam es zur Entstehung unseres Sonnensystems mit der Sonne als wichtigstem Bezugspunkt. Nur ca. 60 Mio Jahre später gab es unsere Erde. Die Zeitspanne, innerhalb der Spuren von Leben auf der Erde bislang identifiziert wurden, liegt zwischen -4 Mrd Jahre von heute zurück gerechnet bis ca. -3.5 Mrd Jahre. Oder, vom Beginn der Erde aus gesehen, ca. 540 Mio Jahre bis ca. 1 Mrd Jahre nach der Entstehung der Erde.

Alte Bilder vom Leben

Wenn man vom Leben spricht, von etwas Belebtem im Gegensatz zum Unbelebtem, fragt man sich sofort, wie man ‚Leben‘ definieren kann? In der zurückliegenden Geschichte gab es viele Beschreibungs- und Definitionsversuche. Einer, der heute noch begrifflich nachwirkt, ist die Sicht der Philosophie der Antike (ca. -600 bis 650) . Hier wurde das ‚Atmen‘ (gr. ‚pneo‘) als charakteristisches Merkmal für ‚Lebendiges‘ genommen, wodurch es vom ‚Unbelebtem‘ abgegrenzt wurde. Aus dem ‚Atmen‘ wurde zugleich ein allgemeines Lebensprinzip abgeleitet, das ‚Pneuma‘ (im Deutschen leicht missverständlich als ‚Geist‘ übersetzt, im Lateinischen als ’spiritus‘), das sich u.a. im Wind manifestiert und ein allgemeines kosmologisches Lebensprinzip verkörpert, das sowohl die Grundlage für die psychischen Eigenschaften eines Lebewesens bildet wie auch für seine körperliche Lebendigkeit. In der Medizin gab es vielfältige Versuche, das Pneuma im Körper zu identifizieren (z.B. im Blut, in der Leber, im Herzen, im Gehirn und den Nerven). Im philosophischen Bereich konnte das Pneuma ein heißer Äther sein, der die ganze Welt umfasst. Eine andere Auffassung sieht das Pneuma zusammengesetzt aus Feuer und Luft, woraus sich alle Körper der Welt bilden. Das Pneuma wird auch gesehen als die ‚Seele‘, die allein das Leben des Körpers ermöglicht. Bei den Stoikern wird das Pneuma-Konzept zum allumfassenden Begriff einer Weltseele gesteigert. Mit der Zeit vermischte sich der Pneuma-Begriff mit dem Begriff ’nous‘ (Kurzform für ’noos‘)(Englisch als ‚mind‘ übersetzt; Deutsch ebenfalls als ‚Geist‘), um darin die kognitiv-geistige Dimension besser auszudrücken. Weitere einflussreiche begriffliche Koordinierungen finden statt mit dem lateinischen ‚mens‘ (Deutsch auch übersetzt mit ‚Geist‘) und dem hebräischen ‚ruach‘ (im Deutschan ebenfalls mit ‚Geist‘ übersetzt; bekannt in der Formulierung ‚Der Geist Gottes (= ‚ruach elohim‘) schwebte über den Wassern‘; in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, heißt es ‚pneuma theou‘ (= der Geist Gottes)) (Anmerkung: Diese Bemerkungen sind ein kleiner Extrakt aus der sehr ausführlichen begriffsgeschichtlichen Herleitung in Sandkühler 2010)

Die Zelle im Fokus

War es für die antiken Philosophen, Mediziner und Wissenschaftler noch praktisch unmöglich, die Frage nach den detaillierten Wirkprinzipien des ‚Lebens‘ genauer zu beantworten, erarbeitete sich die moderne Naturwissenschaft immer mehr Einsichten in die Wirkprinzipien biologischer Phänomene (bei Tieren, Pflanzen, Mikroben, molekularbiologischen Sachverhalten), so dass im Laufe des 20.Jahrhunderts klar wurde, dass die Gemeinsamkeit aller Lebensphänomene auf der Erde in jener Superstruktur zu suchen ist, die heute (biologische) Zelle genannt wird.

Alle bekannten Lebensformen auf der Erde, die mehr als eine Zelle umfassen (wir als Exemplare der Gattung homo mit der einzigen Art homo sapiens bestehen aus ca. 10^13 vielen Zellen), gehen zu Beginn ihrer körperlichen Existenz aus genau einer Zelle hervor. Dies bedeutet, dass eine Zelle über alle notwendigen Eigenschaften verfügt, sich zu reproduzieren und das Wachstum eines biologischen Systems zu steuern.

So enthält eine Zelle (Anmerkung: Für das Folgende benutze ich B.Alberts et.al (2008)) alle Informationen, die notwendig sind, um sowohl sich selbst zu organisieren wie auch um sich zu reproduzieren. Die Zelle operiert abseits eines chemischen Gleichgewichts, was nur durch permanente Aufnahme von Energie realisiert werden kann. Obwohl die Zelle durch ihre Aktivitäten die Entropie in ihrer Umgebung ‚erhöht‘, kann sie gegenläufig durch die Aufnahme von Energie auch Entropie verringern. Um einen einheitlichen Prozessraum zu gewährleisten, besitzen Zellen eine Membran, die dafür sorgt, dass nur bestimmte Stoffe in die Zelle hinein- oder herauskommen.

Keine Definition für außerirdisches Leben

Obgleich die Identifizierung der Zelle samt ihrer Funktionsweise eine der größten Errungenschaften der modernen Wissenschaften bei der Erforschung des Phänomens des Lebens darstellt, macht uns die moderne Astrobiologie darauf aufmerksam, dass eine Definition der Lebensphänomene mit Einschränkung des Blicks auf die speziellen Bedingungen auf der Erde nicht unproblematisch ist. Wunderbare Bücher wie „Rare Earth“ von Peter Douglas Ward (Geboren 1949) und Donald Eugene Brownlee (Geboren 1943) „ASTROBIOLOGY. A Multidisciplinary Approach“ von Jonathan I.Lunine (Geb. 1959) machen zumindest sichtbar, wo die Probleme liegen könnten. Lunine diskutiert in Kap.14 seines Buches die Möglichkeit einer allgemeineren Definition von Leben explizit, stellt jedoch fest, dass es aktuell keine solche eindeutige allgemeine Definition von Leben gibt, die über die bekannten erdgebundenen Formen wesentlich hinausgeht. (Vgl. ebd. S.436)

Schrödingers Vision

Wenn man die Charakterisierungen von Leben bei Lunine (2005) in Kap.14 und bei Alberts et.al (2008) in Kap.1 liest, fällt auf, dass die Beschreibung der Grundstrukturen des Lebens trotz aller Abstraktionen tendenziell noch sehr an vielen konkreten Eigenschaften hängen.

Erwin Rudolf Josef Alexander Schrödinger (1887-1961), der 1944 sein einflussreiches Büchlein „What is Life? The Physical Aspect of the Living Cell“ veröffentlichte, kannte all die Feinheiten der modernen Molekularbiologie noch nicht . Schrödinger unterzog das Phänomen des Lebens einer intensiven Befragung aus Sicht der damaligen Physik. Auch ohne all die beeindruckenden Details der neueren Forschung wurde ihm klar, dass das hervorstechendste Merkmal des ‚Biologischen‘, des ‚Lebendigen‘ die Fähigkeit ist, angesichts der physikalisch unausweichlichen Zunahme der Entropie einen gegensätzlichen Trend zu realisieren; statt wachsender Unordnung als Entropie diagnostizierte er eine wachsende Ordnung als negative Entropie, also als etwas, was der Entropie entgegen wirkt.

Diesen Gedanken Schrödingers kann man weiter variieren und in dem Sinne vertiefen, dass der Aufbau einer Ordnung Energie benötigt, mittels der Freiheitsgrade eingeschränkt und Zustände temporär ‚gefestigt‘ werden können.

Fragt sich nur, warum?

Alberts et.al (2008) sehen das Hauptcharakteristikum einer biologischen Zelle darin, dass sie sich fortpflanzen kann, und nicht nur das, sondern dass sie sich selbstmodifizierend fortpflanzen kann. Die Realität biologischer Systeme zeigt zudem, dass es nicht nur um ‚irgendeine‘ Fortpflanzung ging, sondern um eine kontinuierlich optimierende Fortpflanzung.

Metastrukturen

Nimmt man diese Eckwerte ernst, dann liegt es nahe, biologische Zellen als Systeme zu betrachten, die einerseits mit den reagierenden Molekülen mindestens eine Objektebene [O] umfasst und in Gestalt der DNA eine Art Metaebene [M]; zwischen beiden Systemen lässt sich eine geeigneten Abbildung [R] in Gestalt von Übersetzungsprozessen realisieren, so dass die Metaebene M mittels Abbildungsvorschrift R in eine Objektebene O übersetzt werden kann ($latex R: M \longmapsto O$). Damit eine Reproduktion grundsätzlich gelingen kann, muss verlangt werden, dass das System mit seiner Struktur ‚lang genug‘ stabil ist, um solch einen Übersetzungsprozess umsetzen zu können. Wie diese Übersetzungsprozesse im einzelnen vonstatten gehen, ist letztlich unwichtig. Wenn in diesem Modell bestimmte Strukturen erstmals realisiert wurden, dann fungieren sie als eine Art ‚Gedächtnis‘: alle Strukturelemente von M repräsentieren potentielle Objektstrukturen, die jeweils den Ausgangspunkt für die nächste ‚Entwicklungsstufe‘ bilden (sofern sie nicht von der Umwelt ‚aussortiert‘ werden).

Die Rolle dieser Metastrukturen lässt sich letztlich nicht einfach mit den üblichen chemischen Reaktionsketten beschreiben; tut man es dennoch, verliert man die Besonderheit des Phänomens aus dem Blick. Eine begriffliche Strategie, um das Phänomen der ‚wirkenden Metastrukturen‘ in den Griff zu bekommen, war die Einführung des ‚Informationsbegriffs‘.

Information

Grob kann man hier mindestens die folgenden sprachlichen Verwendungsweisen des Begriffs ‚Information‘ im Kontext von Informationstheorie und Molekularbiologie unterscheiden:

  1. Unreflektiert umgangssprachlich (‚Information_0‘)
  2. Anhand des Entscheidungsaufwandes (Bit) (‚Information_1‘)
  3. Rein statistisch (a la Shannon 1948) (‚Information_2‘)
  4. Semiotisch informell (ohne die Semiotik zu zitieren) (‚Semantik_0‘)
  5. Als komplementär zur Statistik (Deacon) (‚Semantik_1‘)
  6. Als erweitertes Shannonmodell (‚Semantik_2‘)

Information_0

Die ‚unreflektiert umgangssprachliche‘ Verwendung des Begriffs ‚Information‘ (hier: ‚Information_0‘) brauchen wir hier nicht weiter zu diskutieren. Sie benutzt den Begriff Information einfach so, ohne weitere Erklärungen, Herleitungen, Begründungen. (Ein Beispiel Küppers (1986:41ff))

Information_1

Die Verwendung des Begriffs Information im Kontext eines Entscheidungsaufwandes (gemessen in ‚Bit‘), hier als ‚Information_1‘ geht auf John Wilder Tukey (1915-2000) zurück.

Information_2

Shannon (1948) übernimmt zunächst diesen Begriff Information_1, verzichtet dann aber im weiteren Verlauf auf diesen Informationsbegriff und führt dann seinen statistischen Informationsbegriff ein (hier: ‚Information_2‘), der am Entropiekonzept von Boltzmann orientiert ist. Er spricht dann zwar immer noch von ‚Information‘, bezieht sich dazu aber auf den Logarithmus der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses, was alles und jedes sein kann. Ein direkter Bezug zu einem ’speziellen‘ Informationsbegriff (wie z.B. Information_1) besteht nicht. Man kann die logarithmierte Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses als ‚Information‘ bezeichnen (hier: ‚Information_2‘), aber damit wird der Informationsbegriff inflationär, dann ist alles eine Information, da jedes Ereignis mindestens eine Wahrscheinlichkeit besitzt. (Leider benutzt auch Carl Friedrich von Weizsäcker (1971:347f) diesen inflationären Begriff (plus zusätzlicher philosophischer Komplikationen)). Interessanterweise ist es gerade dieser inflationäre statistische Informationsbegriff Information_2, der eine sehr starke Resonanz gefunden hat.

Semantik 0

Nun gibt es gerade im Bereich der Molekularbiologie zahlreiche Phänomene, die bei einer Beschreibung mittels eines statistischen Informationsbegriffs wichtige Momente ihres Phänomens verlieren. (Dazu eine kleine Übersicht bei Godfrey-Smith, Kim Sterelny (2009)) Ein Hauptkritikpunkt war und ist das angebliche Fehlen von Bedeutungselementen im statistischen Modell von Shannon (1948). Man spricht auch vom Fehlen einer ‚Semantik‘. Allerdings wird eine Diskussion der möglichen Bedeutungsmomente von Kommunikationsereignissen unter Verwendung des Begriffs ‚Semantik‘ auch oft unreflektiert alltagssprachlich vorgenommen (hier: Semantik_0′), d.h. es wird plötzlich von Semantik_0 gesprochen (oft noch erweitert um ‚Pragmatik‘), ohne dass die Herkunft und Verwendung dieses Begriffs in der Wissenschaft der Semiotik weiter berücksichtigt wird. (Ein Beispiel für solch eine verwirrende Verwendungsweise findet sich z.B. wieder bei Weizsäcker (1971:350f), wo Information_0, Information_2 sowie Semantik_0 miteinander frei kombiniert werden, ohne Berücksichtigung der wichtigen Randbedingungen ihrer Verwendung; ganz ähnlich Küppers (1986:61ff); zur Semiotik siehe Noeth (2000)). Ein anderes neueres Beispiel ist Floridi (2015:Kap.3+4) Er benutzt zwar den Begriff ‚Semantik‘ extensiv, aber auch er stellt keinen Bezug zur semiotischen Herkunft her und verwendet den Begriff sehr speziell. Seine Verwendung führt nicht über den formalen Rahmen der statistischen Informationstheorie hinaus.

Semantik 1

Sehr originell ist das Vorgehen von Deacon (2007, 2008, 2010). Er diagnostiziert zwar auch einen Mangel, wenn man die statistische Informationstheorie von Shannon (1948) auf biologische Phänomene anwenden will, statt sich aber auf die schwierige Thematik einer expliziten Semantik einzulassen, versucht er über die Ähnlichkeit des Shannonschen statistischen Informationsbegriffs mit dem von Boltzmann einen Anschluss an die Thermodynamik zu konstruieren. Von dort zum Ungleichgewicht biologischer Systeme, die durch Arbeit und Energieaufnahme ihr Gleichgewicht zu halten versuchen. Diese Interaktionen des Systems mit der Umgebung modifizieren die inneren Zustände des Systems, die wiederum dann das Verhalten des Systems ‚umweltgerecht‘ steuern. Allerdings belässt es Deacon bei diesen allgemeinen Annahmen. Die ‚Abwesenheit‘ der Bedeutung im Modell von Shannon wird über diese frei assoziierten Kontexte – so vermutet man als Leser – mit den postulierten internen Modifikationen des interagierenden Systems begrifflich zusammengeführt. Wie dies genau gedacht werden kann, bleibt offen.

Semantik 2

So anregend die Überlegungen von Deacon auch sind, sie lassen letztlich offen, wie man denn – auch unter Berücksichtigung des Modells von Shannon – ein quasi erweitertes Shannonmodell konstruieren kann, in dem Bedeutung eine Rolle spielt. Hier eine kurze Skizze für solch ein Modell.

Ausgehend von Shannons Modell in 1948 besteht die Welt aus Sendern S, Empfängern D, und Informationskanälen C, über die Sender und Empfänger Signale S eingebettet in ein Rauschen N austauschen können (<S,D,S,N,C> mit C: S —> S x N).

Ein Empfänger-Sender hat die Struktur, dass Signale S in interne Nachrichten M dekodiert werden können mittels R: S x N —> M. Umgekehrt können auch Nachrichten M in Signale kodiert werden mit T: M —> S. Ein minimaler Shannon Sender-Empfänger hat dann die Struktur <M, R, T>. So gesehen funktionieren R und T jeweils als ‚Schnittstellen‘ zwischen dem ‚Äußeren‘ und dem ‚Inneren‘ des Systems.

In diesem minimalen Shannonmodell kommen keine Bedeutungen vor. Man kann allerdings annehmen, dass die Menge M der Nachrichten eine strukturierte Menge ist, deren Elemente Paare der Art (m_i,p_i) in M mit ‚m_i‘ als Nachrichtenelement und ‚p_i‘ als Wahrscheinlichkeit, wie oft dieses Nachrichtenelement im Kanal auftritt. Dann könnte man Shannons Forml H=-Sum(p_i * log2(p_i)) als Teil des Systems auffassen. Das minimale Modell wäre dann <M, R, T, H>.

Will man ‚Bedeutungen‘ in das System einführen, dann muss man nach der Semiotik einen Zeichenbegriff für das System definieren, der es erlaubt, eine Beziehung (Abbildung) zwischen einem ‚Zeichenmaterial‚ und einem ‚Bedeutungsmaterial‚ zu konstruieren. Nimmt man die Signale S von Shannon als Kandidaten für ein Zeichenmaterial, fragt sich, wie man das Bedeutungsmaterial B ins Spiel bringt.

Klar ist nur, dass ein Zeichenmaterial erst dann zu einem ‚Zeichen‘ wird, wenn der Zeichenbenutzer in der Lage ist, dem Zeichenmaterial eine Bedeutung B zuzuordnen. Eine einfache Annahme wäre, zu sagen, die dekodierten Nachrichten M bilden das erkannte Zeichenmaterial und der Empfänger kann dieses Material irgendwelchen Bedeutungen B zuordnen, indem er das Zeichenmaterial M ‚interpretiert‚, also I : M —> B. Damit würde sich die Struktur erweitern zu <B, M, R, T, H, I>. Damit nicht nur ein Empfänger ‚verstehen‘ kann, sondern auch ‚mitteilen‘, müsste der Empfänger als Sender Bedeutungen auch wieder ‚umgekehrt lesen‘ können, also -I: B —> M. Diese Nachrichten könnten dann wieder mittels T in Signale übersetzt werden, der Kanal sendet diese Signale S angereichert mit Rauschen N zum Empfänger, usw. Wir erhalten also ein minimal erweitertes Shannon Modell mit Bedeutung als <B, M, R, T, H, I, -I>. Ein Sender-Empfänger kann also weiterhin die Wahrscheinlichkeitsstruktur seiner Nachrichten auswerten; zusätzlich aber auch mögliche Bedeutungsanteile.

Bliebe als Restfrage, wie die Bedeutungen B in das System hineinkommen bzw. wie die Interpretationsfunktion I entsteht?

An dieser Stelle kann man die Spekulationen von Deacon aufgreifen und als Arbeitshypothese annehmen, dass sich die Bedeutungen B samt der Interpretationsbeziehung I (und -I) in einem Adaptionsprozess (Lernprozess) in Interaktion mit der Umgebung entwickeln. Dies soll an anderer Stelle beschrieben werden.

Für eine komplette Beschreibung biologischer Phänomene benötigt man aber noch weitere Annahmen zur Ontogense und zur Phylogense. Diese seien hier noch kurz skizziert. (Eine ausführliche formale Darstellung wird anderswo nachgeliefert).

Ontogenese

Von der Lernfähigkeit eines biologischen Systems muss man die Ontogenese unterscheiden, jenen Prozess, der von der Keimzelle bis zum ausgewachsenen System führt.

Die Umsetzung der Ontogenese in einem formalen Modell besteht darin, einen Konstruktionsprozess zu definieren, das aus einem Anfangselement Zmin das endgültige System Sys in SYS erstellen würde. Das Anfangselement wäre ein minimales Element Zmin analog einer befruchteten Zelle, das alle Informationen enthalten würde, die notwendig wären, um diese Konstruktion durchführen zu können, also Ontogenese: Zmin x X —> SYS. Das ‚X‘ stünde für alle die Elemente, die im Rahmen einer Ontogenese aus der Umgebung ENV übernommen werden müssten, um das endgültige system SYS = <B, M, R, T, H, I, -I> zu konstruieren.

Phylogenese

Für die Reproduktion der Systeme im Laufe der Zeiten benötigte man eine Population von Systemen SYS, von denen jedes System Sys in SYS mindestens ein minimales Anfangselement Zmin besitzt, das für eine Ontogenese zur Verfügung gestellt werden kann. Bevor die Ontogenese beginnen würde, würden zwei minimale Anfangselemente Zmin1 und Zmin2 im Bereich ihrer Bauanleitungen ‚gemischt‘. Man müsste also annehmen, dass das minimale System um das Element Zmin erweitert würde SYS = <B, M, Zmin, R, T, H, I, -I>.

Erstes Zwischenergebnis

Auffällig ist also, dass das Phänomen des Lebens

  1. trotz Entropie über dynamische Ungleichgewichte immer komplexere Strukturen aufbauen kann.
  2. innerhalb seiner Strukturen immer komplexere Informations- und Bedeutungsstrukturen aufbaut und nutzt.

So wie man bislang z.B. die ‚Gravitation‘ anhand ihrer Wirkungen erfasst und bis heute erfolglos zu erklären versucht, so erfassen wir als Lebende das Leben anhand seiner Wirkungen und versuchen bis heute auch erfolglos, zu verstehen, was hier eigentlich passiert. Kein einziges physikalisches Gesetzt bietet auch nur den leisesten Anhaltspunkt für dieses atemberaubende Geschehen.

In dieser Situation den Menschen als eine ‚vermutlich aussterbende Art‘ zu bezeichnen ist dann nicht einfach nur ‚gedankenlos‘, sondern im höchsten Maße unwissenschaftlich, da es letztlich einer Denkverweigerung nahe kommt. Eine Wissenschaft, die sich weigert, über die Phänomene der Natur nachzudenken, ist keine Wissenschaft.

Fortsetzung Folgt.

QUELLEN

  1. H.J. Sandkühler (Hg.), 2010, „Enzyklopädie Philosophie“, Hamburg: Felix Meiner Verlag, Band 1: Von A bis H, Kapitel: Geist, SS.792ff
  2. B.Alberts et.al (Hg.), 2008, „Molecular Biology of the CELL“, Kap.1, 5.Aufl., New York: Garland Science, Taylor & Francis Group
  3. Peter Douglas Ward und `Donald Eugene Brownlee (2000),“Rare Earth: Why Complex Life Is Uncommon in the Universe“, New York: Copernikus/ Springer,
  4. Jonathan I.Lunine (2005), „ASTROBIOLOGY. A Multidisciplinary Approach“, San Francisco – Boston – New York et al.: Pearson-Addison Wesley
  5. Zu Schroedinger 1944: Based on Lectures delivered under the auspices of the Institute at Trinity College, Dublin, in February 1943, Cambridge: University Press. 1944. Ich selbst habe die Canto Taschenbuchausgabe der Cambridge University von 1992 benutzt. Diese Ausgabe enthält ‚What is Life?‘, ‚Mind from Matter‘, sowie autobiographischen Angaben und ein Vorwort von Roger Penrose
  6. Anmerkung zu Schroedinger 1944: Sowohl James D. Watson (2003) wie auch ähnlich Francis Crick (1990) berichten, dass Schrödingers Schrift (bzw. einer seiner Vorträge) sie für ihre Erforschung der DNA stark angeregt hatte.
  7. James D.Watson und A.Berry(2003), „DNA, the Secret of Life“, New York: Random House
  8. Francis Crick (1990),„What Mad Pursuit: A Personal View of Scientific Discovery“, Reprint, Basic Books
  9. Peter Godfrey-Smith und Kim Sterelny (2009) Biological Information“, in: Stanford Enyclopedia of Philosophy
  10. Carl Friedrich von Weizsäcker (1971), „Die Einheit der Natur“, München: Carl Hanser Verlag
  11. Bernd-Olaf Küppers (1986), „Der Ursprung biologischer Information. Zur Naturphilosophie der Lebensentstehung“, München – Zürich: Piper Verlag.
  12. Claude E. Shannon, A mathematical theory of communication. Bell System Tech. J., 27:379-423, 623-656, July, Oct. 1948
  13. Claude E. Shannon; Warren Weaver (1949) „The mathematical theory of communication“. Urbana – Chicgo: University of Illinois Press.
  14. Noeth, W., Handbuch der Semiotik, 2. vollst. neu bearb. und erw. Aufl. mit 89 Abb. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, xii + 668pp, 2000
  15. Luciano Floridi (2015) Semantic Conceptions of Information, in: Stanford Enyclopedia of Philosophy
  16. Deacon, T. (2007), Shannon-Boltzmann-Darwin: Redfining information. Part 1. in: Cognitive Semiotics, 1: 123-148
  17. Deacon, T. (2008), Shannon-Boltzmann-Darwin: Redfining information. Part 2. in: Cognitive Semiotics, 2: 167-194
  18. Terrence W.Deacon (2010), „What is missing from theories of information“, in: INFORMATION AND THE NATURE OF REALITY. From Physics to Metaphysics“, ed. By Paul Davies & Niels Henrik Gregersen, Cambridge (UK) et al: Cambridge University Press, pp.146 – 169

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Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 5-neu

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll.

Was ist Leben?

Erst die Erde

Etwa 9.2 Mrd Jahre nach dem sogenannten Big Bang kam es zur Entstehung unseres Sonnensystems mit der Sonne als wichtigstem Bezugspunkt. Nur ca. 60 Mio Jahre später gab es unsere Erde. Die Zeitspanne, innerhalb der Spuren von Leben auf der Erde bislang identifiziert wurden, liegt zwischen -4 Mrd Jahre von heute zurück gerechnet bis ca. -3.5 Mrd Jahre. Oder, vom Beginn der Erde aus gesehen, ca. 540 Mio Jahre bis ca. 1 Mrd Jahre nach der Entstehung der Erde .

Alte Bilder vom Leben

Wenn man vom Leben spricht, von etwas Belebtem im Gegensatz zum Unbelebtem, fragt man sich sofort, wie man ‚Leben‘ definieren kann? In der zurückliegenden Geschichte gab es viele Beschreibungs- und Definitionsversuche. Einer, der heute noch begrifflich nachwirkt, ist die Sicht der Philosophie der Antike (ca. -600 bis 650) . Hier wurde das ‚Atmen‘ (gr. ‚pneo‘) als charakteristisches Merkmal für ‚Lebendiges‘ genommen, wodurch es vom ‚Unbelebtem‘ abgegrenzt wurde. Aus dem ‚Atmen‘ wurde zugleich ein allgemeines Lebensprinzip abgeleitet, das ‚Pneuma‘ (im Deutschen leicht missverständlich als ‚Geist‘ übersetzt, im Lateinischen als ’spiritus‘), das sich u.a. im Wind manifestiert und ein allgemeines kosmologisches Lebensprinzip verkörpert, das sowohl die Grundlage für die psychischen Eigenschaften eines Lebewesens bildet wie auch für seine körperliche Lebendigkeit. In der Medizin gab es vielfältige Versuche, das Pneuma im Körper zu identifizieren (z.B. im Blut, in der Leber, im Herzen, im Gehirn und den Nerven). Im philosophischen Bereich konnte das Pneuma ein heißer Äther sein, der die ganze Welt umfasst. Eine andere Auffassung sieht das Pneuma zusammengesetzt aus Feuer und Luft, woraus sich alle Körper der Welt bilden. Das Pneuma wird auch gesehen als die ‚Seele‘, die allein das Leben des Körpers ermöglicht. Bei den Stoikern wird das Pneuma-Konzept zum allumfassenden Begriff einer Weltseele gesteigert. Mit der Zeit vermischte sich der Pneuma-Begriff mit dem Begriff ’nous‘ (Kurzform für ’noos‘)(Englisch als ‚mind‘ übersetzt; Deutsch ebenfalls als ‚Geist‘), um darin die kognitiv-geistige Dimension besser auszudrücken. Weitere einflussreiche begriffliche Koordinierungen finden statt mit dem lateinischen ‚mens‘ (Deutsch auch übersetzt mit ‚Geist‘) und dem hebräischen ‚ruach‘ (im Deutschan ebenfalls mit ‚Geist‘ übersetzt; bekannt in der Formulierung ‚Der Geist Gottes (= ‚ruach elohim‘) schwebte über den Wassern‘; in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, heißt es ‚pneuma theou‘ (= der Geist Gottes)) (Anmerkung: Diese Bemerkungen sind ein kleiner Extrakt aus der sehr ausführlichen begriffsgeschichtlichen Herleitung in der ‚Enzyklopädie Philosophie‘ (2010), herausgegeben von H.J. Sandkühler, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2010. Buch: Von A bis Z, Kapitel: Geist,SS.792ff}

Die Zelle im Fokus

War es für die antiken Philosophen, Mediziner und Wissenschaftler noch praktisch unmöglich, die Frage nach den detaillierten Wirkprinzipien des ‚Lebens‘ genauer zu beantworten, erarbeitete sich die moderne Naturwissenschaft immer mehr Einsichten in die Wirkprinzipien biologischer Phänomene (bei Tieren, Pflanzen, Mikroben, molekularbiologischen Sachverhalten), so dass im Laufe des 20.Jahrhunderts klar wurde, dass die Gemeinsamkeit aller Lebensphänomene auf der Erde in jener Superstruktur zu suchen ist, die heute (biologische) Zelle genannt wird.

Alle bekannten Lebensformen auf der Erde, die mehr als eine Zelle umfassen (wir als Exemplare der Gattung homo mit der einzigen Art homo sapiens bestehen aus ca. 10^13 vielen Zellen), gehen zu Beginn ihrer körperlichen Existenz aus genau einer Zelle hervor. Dies bedeutet, dass eine Zelle über alle notwendigen Eigenschaften verfügt, sich zu reproduzieren und das Wachstum eines biologischen Systems zu steuern.

So enthält eine Zelle (Anmerkung: Für das Folgende benutze ich Kap.1 des wunderbaren Buches „Molecular Biology of the CELL“, 5.Aufl. 2008, hrsg. von B.Alberts et.al, New York: Garland Science, Taylor & Francis Group) alle Informationen, die notwendig sind, um sowohl sich selbst zu organisieren wie auch um sich zu reproduzieren. Die Zelle operiert abseits eines chemischen Gleichgewichts, was nur durch permanente Aufnahme von Energie realisiert werden kann. Obwohl die Zelle durch ihre Aktivitäten die Entropie in ihrer Umgebung ‚erhöht‘, kann sie gegenläufig durch die Aufnahme von Energie auch Entropie verringern. Um einen einheitlichen Prozessraum zu gewährleisten, besitzen Zellen eine Membran, die dafür sorgt, dass nur bestimmte Stoffe in die Zelle hinein- oder herauskommen.

Keine Definition für außerirdisches Leben

Obgleich die Identifizierung der Zelle samt ihrer Funktionsweise eine der größten Errungenschaften der modernen Wissenschaften bei der Erforschung des Phänomens des Lebens darstellt, macht uns die moderne Astrobiologie darauf aufmerksam, dass eine Definition der Lebensphänomene mit Einschränkung des Blicks auf die speziellen Bedingungen auf der Erde nicht unproblematisch ist. Wunderbare Bücher wie das Buch „Rare Earth: Why Complex Life Is Uncommon in the Universe“ (2000) (Anmerkung: erschienen im Verlag Copernikus/ Springer, New York.) von Peter Douglas Ward (Geboren 1949) und Donald Eugene Brownlee (Geboren 1943) oder das Buch „ASTROBIOLOGY. A Multidisciplinary Approach“ (2005) (Anmerkung: erschienen in San Francisco – Boston – New York et al. bei Pearson-Addison Wesley) von Jonathan I.Lunine (Geb. 1959) machen zumindest sichtbar, wo die Probleme liegen könnten. Lunine diskutiert in Kap.14 seines Buches die Möglichkeit einer allgemeineren Definition von Leben explizit, stellt jedoch fest, dass es aktuell keine solche eindeutige allgemeine Definition von Leben gibt, die über die bekannten erdgebundenen Formen wesentlich hinausgeht. (Vgl. ebd. S.436)

Schrödingers Vision

Wenn man die Charakterisierungen von Leben bei Lunine (2005) in Kap.14 und bei Alberts et.al (2008) in Kap.1 liest, fällt auf, dass die Beschreibung der Grundstrukturen des Lebens trotz aller Abstraktionen tendenziell noch sehr an vielen konkreten Eigenschaften hängen.

Erwin Rudolf Josef Alexander Schrödinger (1887-1961) , der 1944 sein einflussreiches Büchlein „What is Life? The Physical Aspect of the Living Cell“ veröffentlichte (Anmerkung: Based on Lectures delivered under the auspices of the Institute at Trinity College, Dublin, in February 1943, Cambridge: University Press. 1944. [B 12, B 18a.1] Ich selbst habe die Canto Taschenbuchausgabe der Cambridge University von 1992 benutzt. Diese Ausgabe enthält ‚What is Life?‘, ‚Mind from Matter‘, sowie autobiographischen Angaben und ein Vorwort on Roger Penrose)), kannte all die Feinheiten der modernen Molekularbiologie noch nicht (Anmerkung: Allerdings berichten sowohl James D. Watson in seinem Buch „DNA, the Secret of Life“ (Anmerkung: zusammen mit Berry, A. (2003), New York: Random House) wie auch ähnlich Francis Crick in seinem autobiographischen Buch „What Mad Pursuit“ (Anmerkung: What Mad Pursuit: A Personal View of Scientific Discovery (Basic Books reprint edition, 1990)), dass Schrödingers Schrift (bzw. einer seiner Vorträge) sie für ihre Erforschung der DNA stark angeregt hatte.). Schrödinger unterzog das Phänomen des Lebens einer intensiven Befragung aus Sicht der damaligen Physik. Auch ohne all die beeindruckenden Details der neueren Forschung wurde ihm klar, dass das hervorstechendste Merkmal des ‚Biologischen‘, des ‚Lebendigen‘ die Fähigkeit ist, angesichts der physikalisch unausweichlichen Zunahme der Entropie einen gegensätzlichen Trend zu realisieren; statt wachsender Unordnung als Entropie diagnostizierte er eine wachsende Ordnung als negative Entropie, also als etwas, was der Entropie entgegen wirkt.

Diesen Gedanken Schrödingers kann man weiter variieren und in dem Sinne vertiefen, dass der Aufbau einer Ordnung Energie benötigt, mittels der Freiheitsgrade eingeschränkt und Zustände temporär ‚gefestigt‘ werden können.

Fragt sich nur, warum?

Alberts et.al (2008) sehen das Hauptcharakteristikum einer biologischen Zelle darin, dass sie sich fortpflanzen kann, und nicht nur das, sondern dass sie sich selbstmodifizierend fortpflanzen kann. Die Realität biologischer Systeme zeigt zudem, dass es nicht nur um ‚irgendeine‘ Fortpflanzung ging, sondern um eine kontinuierlich optimierende Fortpflanzung.

Nimmt man versuchsweise einen abstrakten Betrachtungsstandpunkt ein, dann kann man vereinfachend annehmen, dass es sich bei biologischen Zellen um Systeme handelt, die u.a. mindestens eine Objektebene [O] und eine Metaebene [M] umfassen, mit einer geeigneten Abbildung [R], so dass man die Metaebene M in die Objektebene O mittels R abbilden kann $latex R: M \longmapsto O$ Damit könnte eine Reproduktion grundsätzlich gelingen, vorausgesetzt, das System mit seiner Struktur bleibt ‚lang genug‘ stabil.

Kann man solch eine ‚hinreichend lange‘ Stabilität garantieren, dann können minimale Systemstrukturen aufgebaut werden, und es können Reproduktionen vorgenommen werden. Wie dies im einzelnen geschieht, ist letztlich unwichtig. Die tatsächliche Realisierungsgeschichte biologischer Systeme auf der Erde ist von schwindelerregender Komplexität und zugleich von atemberaubender Schönheit. Tatsächlich gibt es an jedem Punkt des Prozesses Varianten (auch in der realen Geschichte), wenn aber bestimmte Strukturen erst einmal realisiert wurden, dann fungierten diese (Meta-)Strukturen als eine Art ‚Gedächtnis‘: alle Strukturelemente von M repräsentieren potentielle Objektstrukturen, die jeweils den Ausgangspunkt für die nächste ‚Entwicklungsstufe‘ bilden (sofern sie nicht von der Umwelt ‚aussortiert‘ werden).

Irrlicht Information

Forts. folgt.

Wer nicht warten will, bis die Fortsetzung hier erscheint, kann mitlesen, was zwischendurch gedacht und geschrieben wird, um zur Fortsetzung zu gelangen: HIER.

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