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PLANET DER AFFEN: SURVIVAL – Nahe an einer Bankrotterklärung? – Andere Sichten

Übersicht

Eigentlich nur ein Film, aber wenn man den aktuellen kulturellen Kontext bedenkt, vielschichtig, nicht nur negativ. (Anmerkung: der englische Titel des Films lautet: War for the Planet of the Apes)

I. DIE GESCHICHTE

1) Wie man in Wikipedia-DE nachlesen kann gründet die dreiteilige Verfilmung auf einem Roman, dessen Ausgangsszenario darin besteht, dass ein an Affen getestetes virales Medikament gegen Alzheimer diese so intelligent gemacht hatte, dass sie ausbrechen und ihre eigene Zivilisation gründen konnten. Unter Menschen führte das Medikament zu der meist tödlich verlaufenden ’Affengrippe’, die hoch ansteckend war und die sich rasant verbreitete.

2) Mikrobiologisch ist dieser Plot in seiner spezifischen Doppelwirkung ziemlich unsinnig, aber er liefert ein interessantes Szenario, um Menschheit und veränderte Tierwelt in ungewöhnlichen Konstellationen zu konfrontieren.

3) Im dritten Teil gibt es nur noch wenige Menschen, die als zwei verfeindete Militäreinheiten vorkommen. Die eine Einheit genannt Alpha-Omega, die die Affen bekämpft und auszurotten versucht, die andere, die lange Zeit nur in Anspielungen auftaucht, in Andeutungen, die möglicherweise die Alpha-Omega Einheit besiegen will.

4) Die Darstellung der Soldaten selbst mit all ihren Waffen kommt sehr realistisch daher (sogar als 3D-Ereignis), ist aber in nahezu jeder Hinsicht bizarr unrealistisch.

5) Dazu gibt es als Gegenspieler die intelligenten Affen unter ihrem legendären Anführer Cäsar. Diese werden im Kontrast zu den rein militärischen Menschen als ein soziales Gebilde dargestellt mit Jung und Alt, Frauen und Männer, mit normalem gesellschaftlichen Leben, und manifestieren darin das, was man von menschlichen Gesellschaften her kennen kann (nicht muss, da es in den aktuellen menschlichen Gesellschaftsformen viele soziale Formen gibt, die kaum noch ’traditionelle’ Muster erkennen lassen).

6) Das Verhältnis zwischen den Soldaten-Menschen und den intelligenten Affen ist aus der Vergangenheit heraus sehr belastet, kommt aber im dritten Teil immer nur indirekt vor (Andeutungen, Erinnerungen, Handlungsreflexe…). Und damit der Zuschauer gleich weiß, wo hier die Guten und Bösen sind, beginnt der dritte Teil mit einem Überraschungsangriff auf das Lager der Affen. Während der Anführer der Affen, Cäsar, nach dem Sieg einige Gefangene wieder großzügig ziehen lässt mit der Hoffnung auf Besinnung, folgt ziemlich bald der nächste Überraschungsangriff als Kommandounternehmen, durch das Cäsar Frau und Sohn verliert.

7) Dies führt zu einer Expedition von Cäsar und wenigen Getreuen, die letztlich zur Entdeckung des Hauptlagers der Alpha-Omega Einheit führt, die dort eine Art Affen-Konzentrationlager betreiben. Wofür die Arbeit der Affen gut sein soll, erschließt sich nicht wirklich. Das Konzentrationslager mit seinen grausamen Methoden liefert allerdings genügend Anlässe, um die Emotionen gegen die Soldaten-Menschen und für die fühlenden intelligenten Affen weiter anzufachen.

8) Wie in jedem klassischen Schurkenstück gibt es aber ein Happy-End für die Unterdrückten. In einem Endgefecht greifen die bis dahin nur in Zitaten existierenden anderen Soldaten-Menschen die Einheit Alpha-Omega an und können diese (mit Unterstützung der Affen) vollständig vernichten (Feuer, Explosionen, das große Inferno). Als die Sieger plötzlich Cäsar entdecken, der sich noch in der Nähe des Lagers befindet, und sie auf ihn schießen wollen, donnert eine gigantische Schneelawine aus den Bergen ins Tal herab und begräbt das Lager mit allen Soldaten-Menschen unter sich.

9) Nachdem sich der Schneestaub verzogen hat sieht man in den Baumkronen der stehen gebliebenen Bäumen überall die Affen, die zuvor hatten fliehen können. Der Film endet in wunderschönen Naturbildern, die Affen habenüberlebt, und Cäsar stirbt friedlich als großer Retter seiner Volkes.

II. ALS WAHRNEHMUNGSERLEBNIS

1) Der Film kommt als 3D-Film daher. Die im Kino erhältlichen 3D-Brillen vermitteln weitgehend 3D-Eindrücke, allerdings nicht wirklich perfekt. Irgendwo ist diese ganze 3D-Idee auch unsinnig: das menschliche Gehirn wurde im Laufe von Millionen von Jahren darauf ausgelegt, aus den 2D-Pixeln der Netzhaut 3D-Asichten einer Welt zu generieren. Dies macht das Gehirn so perfekt, dass jeder Mensch spontan immer eine räumliche Welt sieht, obgleich die Netzhaut nur Lichtpunkte einer 2D-Oberfläche besitzt, dazu noch auf den Kopf gestellt, auf zwei Augen verteilt, mit unterschiedlichen Schärferegionen. Niemand nimmt aber diese Netzhautwirklichkeit wahr; jeder sieht eine perfekte 3D-Welt. Und das Gehirn ist trainiert, aus 2D-Bildern und Filmen ein 3D-Erlebnis zu machen; im Falle von Bildern ’weiß’ dann jeder auch, dass es ’Bilder’ sind und noch nicht die ’reale Welt’. Vielfach eine sehr nützliche Information.

2) Wohltuend in der Wahrnehmung dieses Films war die gewollte Dauer von vielen Einstellungen; das Verweilen in Situationen, länger als in vielen neuen Filmen üblich. Als Zuschauer hatte man Zeit zum ’Verarbeiten’, zum ’Fühlen’, zum ’denkenden Sehen’.

III. KULTURELLE VOREINSTELLUNGEN

1) Man kann den Film nach kurzer Betrachtung wieder vergessen, wie es so viele Filme gibt, die heute über die Leinwand und den Computerbildschirm rauschen, das Gemüt ein wenig kitzeln, das Gehirn ein wenig in Richtung Markenfixierung programmieren, und im Rausch der bunten Bilder die Alltagsbilder vergessen machen.

2) Man kann den Film aber auch zum Anlass nehmen, ein wenig darüber nachzudenken, welche Botschaften er aussendet, direkte Botschaften, aber auch indirekte Botschaften.

3) Die direkten Botschaften sind eher langweilig, konventionell und erschöpfen sich weitgehend im zuvor geschilderten Plot.

4) Die indirekten Botschaften sind eher interessant.

5) Bedenkt man, dass die meisten Menschen heute ihre Welt aus einer Alltagsperspektive erleben, in der sie selbst kaum noch brauchbares Weltwissen besitzen: Täglich vollgedröhnt mit fragmentierten Nachrichten, einer Fülle von Marketing-Informationen über mehr oder weniger sinnlose Produkte, einer spezialisierten – oft sinnfreien – Arbeitswelt, einem gestressten Alltag, einer erlebnisorientierten Freizeitwelt ohne weiterführende Kontexte, ein Menschenbild, das zwischen blassen Erinnerungen einer religiös eingefärbten Humanität (selbst das bei vielen nicht mehr), und Fragmenten wissenschaftlicher Erkenntnisse, die keinerlei schlüssiges Gesamtbild liefern, …. dann kann man den Film auch sehen als ein Ausdruck eben dieses Verlustes an einer grundlegenden und umfassenden Perspektive.

6) Im Film erscheinen die Menschen nur noch als verzerrte, gefühllose Wesen, umfassend zerstörerisch, nichts aufbauend, blind für das wahre Leben. Und die einzige Quelle von Hoffnung sind jene Lebewesen, die wir bislang als ’Tiere’ kennen, die wir als Menschen (obgleich selbst biologisch Tiere) vielfach brutal ausrotten oder nur zum Verzehr unter unwürdigsten Bedingungen züchten. Und die Hoffnung auf eine Zukunft des Lebens wird in diese Tiere, in diese Affen, projiziert, in Gestalt einer genetischen Veränderung, die dann quasi automatisch, über Nacht, zu einem psychologischen Profil führt, das Affen ermöglicht, intelligent, gefühlvoll, sozial miteinander und der Natur umzugehen.

IV. DAS WAHRE DRAMA

Vieles an dem zuvor angesprochenen Klischee ist richtig und die Umsetzung dieses Klischees in die Handlung des Films hat eine gewisse Logik und Folgerichtigkeit. Dennoch kann – und muss? – man die Frage stellen, ob es die ’richtige’ Folgerung ist.

A. Künstlerisch

1) Bei künstlerischen Ereignissen – und Filme werten wir schon noch als Kunst, bei allem realem Kommerz – sollte man eigentlich die Frage nach der ’Richtigkeit’ nicht stellen, da Kunst sich ja gerade über einen spielerisch-kreativen Umgang mit der Wirklichkeit definiert und uns darin, möglicherweise, Aspekte unserer Wirklichkeit sichtbar machen kann, die uns anregen können, das Leben ’besser’ zu verstehen.

2) Und doch, selbst im Spielerisch-Kreativen der Kunst kann und muss man die Frage erlauben, ob es irgendetwas zeigt, sichtbar, erlebbar macht, was uns weiter führen könnte, ansonsten verliert auch die Kunst ihre Lebensfunktion.

B. Wissen

1) Und hier spielt jetzt das ’Wissen’ eine wichtige Rolle. Wissen ist jener spezielle Zustand im Gehirn eines Menschen, in dem die erlebten und denkbaren Aspekte unserer Welt sich zu Mustern, Bildern, Modellen zusammenfinden können, die Zusammenhänge sichtbar machen, Abläufe, mögliche Entwicklungen. Im ’Lichte unseres Wissens’ können wir dann – nicht notwendigerweise – unsere aktuellen Alltagseindrücke einordnen, relativieren, gewichten, und Zusammenhänge sichtbar machen, die uns weiterführende Bewertungen und dann Handlungen ermöglichen.

2) Und es sind gerade die vielfältigen Erkenntnisse aus den Wissenschaften der letzten 10-20 Jahren, die ein Bild des Universums, unseres Sonnensystems, des biologischen Lebens samt seiner kulturellen Ausprägungen ermöglicht haben, die den Menschen (uns selbst als homo sapiens) im Kontext des gesamten biologischen Lebens völlig neu betrachten lassen.

C. Leben und seine Grenzen

1) Vor diesem möglichen Gesamthintergrund (viele Beiträge in diesem Blog haben versucht, Teile davon zu artikulieren) werden mindestens zwei Botschaften sichtbar: das eine ist eine vertiefte Sicht auf die ungeheuerlich komplexen Zusammenhänge des biologischen Lebens, das als das größte Wunder im bekannten Universum bezeichnet werden muss. Das andere ist die Erfahrung der Letzten paar tausend Jahre, speziell auch der letzten 100 Jahre, dass wir Menschen zwar einerseits eine immer komplexere Welt schaffen konnten, dass wir aber mit unseren individuellen Körpern (Gehirn, Gefühlen, Denkfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, soziale Interaktionen, Vorausschau,…) an Grenzen angekommen sind, um mit dieser komplexen Welt weiterhin konstruktiv positiv, nachhaltig umzugehen.

2) Ein klein wenig können wir mittlerweile eine ganz neue, fantastische Welt erahnen und fühlen, aber zugleich erleben wir konkrete Grenzen, Endlichkeiten, Bedürfnis-Gefühls-Chaos, destruktive Kräfte, die uns daran hindern, die ganz neue Vision voll zu verstehen, sie voll im Alltag umzusetzen.

3) Diese Hilflosigkeit empfinden viele stark, bis hin zur Ohnmacht. Für die große Mehrheit der Menschheit gibt es kaum wirksame Mechanismen der konstruktiven Verarbeitung; für den Rest erscheinen die Mittel auch schwach, zu schwach?

4) Und in dieser Situation gibt es einen gewissen Trend, selbst in den Wissenschaften (!), die Sache des Menschen als hoffnungslos einzustufen. Die einen schreiben Bücher über die Welt nach dem Aussterben des homo sapiens, die anderen ergehen sich in filmische Untergangsszenarien, andere werfen ihren ganzen Glauben auf die kommenden (super-)intelligenten Maschinen, die all das richten können sollen, was wir Menschen bislang anscheinend nicht können. Wieder andere suchen ihr Heil in populistisch-autoritären

Bewegungen, die kurzfristig einzelnen Gruppen Vorteile verschaffen sollen auf Kosten aller anderen.

D. Leben als Vision

1) Was aber not täte, das wäre das ruhige, besonnene, sachliche Aufsammeln aller Fakten, die nüchterne Analyse der bislang bekannten Prozesse, um damit – vielleicht – ein neues, breiteres Bild der Ereignisse gewinnen zu können. Ein zentrales Thema ist dabei die Einsicht, dass man die lange bestehende Abgrenzung zwischen einer Welt da draußen’ (Physik, Chemie ..), der Welt der Zellen (Biologie, Mikrobiologie, Genetik…), dem inneren Erleben (Phänomenologie, Spiritualität,…), dem Sozialen (zwischen Menschen, aber auch zwischen Menschen und Umwelt) beendet, und begreift, dass dies alles eine Einheit bildet, und dass der Mensch als homo sapiens nur verstehbar ist, als Teil (!) des gesamten biologischen Lebens, mit all der weitreichenden Verantwortung, die dem Menschen dadurch für das Gesamte erwächst. Dass intelligente Maschinen dem Menschen dabei helfen könnten, die wachsende Komplexität zu managen, liegt nahe und ist als Teil der biologischen Evolution verstehbar, allerdings eben nicht als Anti-Bewegung gegen den Menschen und das übrige Leben sondern als konstruktives Moment am Gesamtphänomen Leben!

2) Es ist sicher kein Zufall in der Evolution des Lebens, dass der Übergang von den ersten Zellen zu kooperativen Zellverbänden fast 2 Milliarden Jahre gebraucht hat (bei einer bisherigen Gesamtdauer der biologischen Evolution von 3.5 Milliarden Jahren). Die Integration vieler komplexer Einheiten auf einer noch höheren Integrationsstufe ist immer eine Herausforderung. Dass es überhaupt soweit kommen konnte, dass sich das Leben im Universum durch den homo sapiens gleichsam ’selbst anschauen’ kann und darin ’seine eigene Zukunft vorwegnehmen’ kann, ist ein bis heute schwer fassbares Phänomen. Was ansteht, ist eine konstruktive Integration von biologischem Leben als Ganzem inklusive dem homo sapiens inklusive der biologisch ermöglichten Kultur (inklusive Technologie) als Phänomen IM physikalischen Universum, als TEIL des physikalischen Universums, als jenes Moments, das sämtliche bekannten physikalischen Gesetze nachhaltig beeinflussen kann. Wenn wir irgendetwas über das physikalische Universum gelernt haben, dann dieses, dass es keine festen, starren ’Naturgesetze’ gibt. Die Physik ist ganz am Anfang, dies zu verstehen, und es wäre sicher nicht uninteressant, Physik und Biologie ein bisschen mehr zu verzahnen; die Physik könnte eine Menge lernen.

V. KONTEXTE

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DIE ZUKUNFT WARTET NICHT – 2117 – PHILOSOPHISCHE WELTFORMEL – Teil 4 – MIND-GEIST …

KONTEXT

  1. Diesem Beitrag ging ein Blogeintrag voraus mit einer einleitenden methodischen Reflexion sowie die Identifizierung einer ersten Periode im Phänomen des biologischen Lebens auf der Erde.Periodisierung der biologischen Evolution nach speziellen Kriterien. Siehe Text.

UR-GEDÄCHTNIS, ABSTRAKTES WISSEN

  1. Ein wichtiger Punkt der ersten Periode des biologischen Lebens ist jene Struktur, welche erstmalig im Universum die Überwindung der Gegenwart durch eine gedächtnishafte Kumulierung von Eigenschaften und Beziehungen (Speichermolekül, Bauplan, Genom…) erlaubt, wodurch die Erfolge der Vergangenheit in die aktuelle Gegenwart hinein wirken können.
  2. Die Herrschaft des Augenblicks wird damit ansatzweise überwunden. Nicht mehr das aktuell Faktische (‚Seiende‘) ist die eigentliche Wahrheit,  sondern erinnerte Eigenschaften und Beziehungen werden zu einer höheren Wahrheit, einer Wahrheit zweiter Ordnung; das Abstrakte und darin Virtuelle erweist sich als die bessere Aussage über die Gegenwart. Das gegenwärtig Stattfindende, aktuell in die Sinne Springende, ist nur ein Aspekt an einem dynamischen Geschehen, das als Geschehen mehr von der Wirklichkeit, vom Leben enthüllt, als das jeweils aktuell Seiende.
  3. Rückblickend gewinnt damit der Prozess, der zur Entstehung der ersten Zelle führte, ein eminent philosophische Bedeutung: wie konnte die sogenannte tote und dumme, schlichtweg die geistlose Materie, in der Lage sein, im Meer der Atome und Moleküle auf der frühen Erde eine Prozessumgebung bereit zu halten, in der sich chemische Prozesse so abspielten, dass nicht nur neue Energieumwandlungs- und -nutzungskonzepte entstehen konnten, sondern zugleich der Prozess sich selbst in Form eines Moleküls so kodiert, dass er sich bei der Selbstreproduktion auch wieder dekodieren konnte. Für die molekularbiologischen Details dieses komplexen Prozesses sei auf entsprechende Literatur verwiesen (Neben z.B. Christian de Duve sei noch vierwiesen auf The Origin and Nature of Life on Earth: The Emergence of the Fourth Geosphere. Cambridge University Press, 2016, Smith, Eric and Morowitz, Harold J.). Philosophisch entscheidend ist  letztlich, was durch diese komplexen Prozesse an wirkender Struktur und Funktionalität oberhalb der molekularen Ebene entstanden ist, welche die sich selbst reproduzierende Zelle mit einer ersten Form von Wissen ausgestattet haben.

UR-AUTOMAT, UR-ALGORITHMUS

  1. Die Besonderheit dieses ersten Wissens (‚Proto-Wissen‘, ‚Ur-Wissen‘…) liegt in seinem algorithmischen Charakter: im Wechselspiel mit den dekodierenden Elementen einer Zelle zeigen diese Strukturen eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Konzept der Turingmaschine, das 1936 von Alan M.Turing entdeckt wurde, um das Phänomen der Berechenbarkeit zu beschreiben. Wie sich herausstellte, lassen sich alle Computer, die zeitlich nach Turing als reale Maschinen entwickelt wurden, bislang mit dem abstrakten Konzept der Turingmaschine beschreiben. [ANMERKUNG: Dass die neu entwickelten Quantencomputer von diesem Konzept abweichen, müsste erste noch bewiesen werden. Denn dass Prozesse ‚sehr schnell‘ sind, ‚parallel‘ stattfinden, und mehr als nur ‚zwei Zustände‘ kennen, sprengt das mathematische Konzept der Turingmaschine nicht notwendigerweise.]
  2. Diese Strukturähnlichkeit des Automatenkonzepts mit den elementaren Wissensnutzungskonzepten der ersten biologischen Zellen (und dann natürlich aller NachfolgerInnen) ist philosophisch von Interesse. Es legt die Vermutung nahe, dass das moderne algorithmische Informationsverarbeitungskonzept möglicherweise eine elementare Eigenschaft des biologischen Lebens selbst anzeigt, das ja nicht in einzelnen isolierten Komponenten besteht, sondern als ein dynamischer Zusammenhang auftritt, der auf der Basis der Eigenschaften der Materie in der Lage ist, solche Prozesse zum Laufen zu bringen, in denen sich dynamische Eigenschaften des Universums in geeignete abstrakte Kodierungen übersetzen lassen, die wiederum zu Befehlsketten für neue Prozesse werden können.

UR-ZEICHEN, UR-SEMIOTISCHER AKTEUR

  1. Mit Blick auf den weiteren Fortgang der biologischen Evolution ist auch noch folgender Perspektivwechsel von Interesse. Die Kodierung von Realität in eine repräsentierende Struktur mittels eines Materials für die Codeelemente (hier: Atomverbindungen im Kontext eines Moleküls) und die Dekodierung der im Material angeordneten Codeelemente mittels einer Dekodierungsvorschrift, kann man auch als semiotischen Prozess verstehen: die zu kodierende (auch prozesshafte) Realität bildet dann die Bedeutung (‚meaning‘), die in einem Zeichenmaterial (die Codeelemente) repräsentiert wird, und der Zusammenhang zwischen Zeichenmaterial und Bedeutung wird über eine Bedeutungsbeziehung hergestellt, welche immer eine prozesshafte Instanz sein muss, die sowohl die Kodierung wie auch die Dekodierung leisten kann. Innerhalb einer realisierten Bedeutungsbeziehung erscheint das Zeichenmaterial dann als Zeichen für die Bedeutung und umgekehrt wird die bezeichnete Realität zur Bedeutung des Zeichens.
  2. Außerhalb der Bedeutungsbeziehung gibt es weder Bedeutung noch Zeichen. Zeichen und Bedeutung sind an eine prozesshafte Instanz gebunden, durch die diese Beziehung generiert und realisiert wird. Nennt man jene prozesshafte Instanz, die Zeichenbeziehungen ermöglicht, einen semiotischen Akteur, dann ist die erste biologische Zelle der erste semiotische Akteur des Universums. Das Prozessmodell, das hier zum Tragen kommt ist – jenseits der molekularbiologischen Perspektive – das eines Automaten, das einer Turingmaschine, und damit repräsentiert die biologische Zelle – in philosophisch formaler Sicht – den ersten algorithmischen semiotischen Akteur des Universums.
  3. Zum Zeichenkonzept gehört auch, dass es konventionell ist: es ist beliebig, welches Ausdrucksmaterial die Prozessinstanz welchen möglichen Realitäten zuordnet. Das Beschränkende daran ist, dass die Zeichenbeziehung, die dann faktisch eingerichtet wurden, spezifisch sind: alle semiotischen Akteure, die die gleiche Zeichenbeziehung benutzen wollen, müssen sich bezüglich der Zeichenbeziehung koordinieren. Das Entgrenzende an einer Zeichenbeziehung ist, dass sie im Prinzip die gesamte Realität in sich aufnehmen kann. Durch einen semiotischen Prozess kann man die empirische Realität in eine abstrakt-virtuelle Realität transformieren und dabei zugleich verändern. Die veränderte virtuelle Realität kann dann dazu benutzt werden, um die empirische Realität im Hinblick auf mögliche zukünftige empirische Zustände zu befragen und neue Varianten voraus zu denken.
  4. Die Verfügbarkeit einer Zeichenbeziehung gibt damit einem individuellen System eine potentiell unbegrenzte Macht zum Verändern. Andererseits funktioniert dies nur, wenn der semiotische Akteur nicht alleine agiert, sondern als Teil einer Kollektion von semiotischen Akteuren. Jeder kann zwar die Zeichenbeziehung für sich ändern, sie gehört aber niemandem alleine. Es ist ein kollektives Wissen, das sich den einzelnen schafft und durch die Aktivität des einzelnen partiell, graduell modifizierbar ist.
  5. In der Phase der ersten semiotischen Revolution des Lebens wurde die Einheit der Zeichenbeziehung gewahrt durch die gemeinsame Nutzung der RNA- und DNA-Moleküle samt deren molekularen Kodierungs- und Dekodierungsstrukturen, die allen Zellen gleich sind. Und diese gesamte Zeichenstruktur war realisiert als eine universelle Turingmaschine.

 

REPRÄSENTATIONSPROBLEME

 

  1. Man kann sich fragen, in welcher Weise sich diese biologisch vorfindbaren Strukturen und Dynamiken im bisherigen Komplexitätskonzept identifizieren lassen? Wie lässt sich eine algorithmische semiotische Prozessstruktur mit Gedächtnis systemtheoretisch fassen? Was sagen schon Input-Output Mengen, interne Level, mit Blick auf solch komplexe Eigenschaften?
  2. Zeitlich punktuelle und beziehungsmäßig isolierte repräsentierende Strukturen können offensichtlich Phänomene, die sich in der Zeit erstrecken und in Wechselwirkungen stattfinden, nicht angemessen repräsentieren. Dazu kommen semiotische Eigenschaften und auch Erfolgskriterien der empirischen Systeme, die sich neben der Zeit auch in übergeordneten Strukturen repräsentieren (wenn überhaupt).
  3. Zusätzlich gibt es das Phänomen der Strukturveränderung STR im Laufe der Zeit, die zugleich einhergeht mit Verhaltensänderungen f. Und diese Veränderungen erfolgen nicht isoliert, sondern in einem Feld anderer Strukturen {<STR1,f1>, …, <STRn,fn>}(t1) ==> {<STR1,f1>, …, <STRn,fn>}(t1+1) und von Umgebungskontexten {C1, …, Cn}(t1)==> {C1, …, Cn}(t1+1) , die sich mit verändern.
  4. Jede einzelne biologische Struktur ist zudem Teil einer übergreifenden biologischen Population POP, die einen ähnlich kodierten Wissensspeicher G teilt, also POP = {Menge aller STRi für die gilt, dass ihr kodiertes Wissen Gi zur einer Ähnlichkeitsklasse Gi gehört}.
  5. Hier deuten sich komplexe Vernetzungsstrukturen in der Zeit an, die in dem bisherigen Komplexitätskonzept nicht befriedigend repräsentiert sind.
  6. Mit diesen ungelösten Fragen im Hinterkopf stellt sich die weitere Frage, welche der nachfolgenden Ereignisse in der biologischen Evolution eine weitere Steigerung der Komplexität manifestieren?

 

GEHIRN – BEWUSSTSEIN – GEIST

 

  1. Man kann beobachten, wie biologische Zellen sich in nahezu alle Lebensbereiche der Erde ausbreiten: im Meer, im Sediment, auf Land, in der Luft, in heißen und kalten Umgebungen, ohne und mit Sauerstoff, in immer komplexeren Verbänden von Zellen, mit immer komplexeren Strukturen innerhalb der Verbände, mit komplexer werdenden Kooperationen aufgrund von Kommunikation, als Pflanzen und Tiere, als Einzelgänger arbeitend, in Gruppen, Schwärmen, ganzen ‚Staaten‘, mit immer komplexeren Sprachen, mit Schriftsystemen, mit immer komplexeren Werkzeugen, …
  2. … die äußerlich beobachtbaren immer komplexer werdenden Verhaltensweisen korrelieren mit einer zunehmenden Verdichtung der internen Informationsverarbeitung mittels spezialisierter Zellverbände (Nervensystem, Gehirn). Die aktuelle Wahrnehmung der eigenen Körperzustände wie Eigenschaften der Umgebung wurde immer differenzierter. Die Informationsverarbeitung kann Wahrnehmungsereignisse abstrahieren, speichern und erinnern... Im Erinnerbaren lassen sich Unterschiede und Veränderungen erkennen, darin Beziehungen, zugleich kann Gegenwärtiges, Erinnertes neu kombiniert (Denken, Planen) werden. Dazu entwickelt sich die Fähigkeit, aktuell Wahrgenommenes symbolisch zu benennen, es mit anderen zu kommunizieren. Dies erschließt neue Dimensionen der Orientierung in der Gegenwart und über die Gegenwart hinaus.
  3. Wichtig ist, dass man diese neuen Fähigkeiten und Leistungen nicht direkt am Nervensystem ablesen kann (obgleich dies immer größer und dichter wird), sondern nur über das beobachtbare Verhalten, über die Wechselwirkungen mit anderen Systemen und der Umgebung. So ist das Gehirn von Säugetieren strukturell systemisch nicht wirklich verschieden, aber die Verhaltensweisen der jeweiligen Systeme im Verbund sind markant anders.
  4. Dies deutet auf eine neue Form von Dualität (oder wie andere vielleicht sagen würden), von Dialektik hin: die zunehmende Komplexität des Verhaltens korrespondiert mit einer entsprechend anwachsenden komplexen Umgebung, die ihre empirische Fundierung im Körper, im Gehirn zu haben scheint, aber andererseits kann sich diese Komplexität nur entfalten, nur zeigen, nur manifestieren, in dem Maße, wie diese äußere Komplexität empirisch verfügbar ist. Von daher ist es möglicherweise fruchtlos, zu fragen, was hier Ursache für was ist: das Gehirn für die Umgebung oder die Umgebung für das Gehirn. Manche sprechen hier ja auch von Ko-Evolution. Entscheidend ist offensichtlich der Prozess, durch den sich diese Wechselbeziehungen entfalten und wirken können. Dies impliziert, dass die beteiligten Strukturen plastisch, veränderlich sind.
  5. In der klassischen Philosophie nannte man ein komplexes Verhalten dieser Art ‚geistig‘, da man es im Organismus auf das Prinzip des Pneumas, der Psyche, des Geistes zurückführte (ohne letztlich zu wissen, was das jeweils ‚an sich‘ sein sollte). In diesem Verständnis könnte man formulieren, dass Lebensformen entstanden, deren Verhalten eine Komplexität zeigén, die man als geistig bezeichnen könnte.
  6. Dieses Aufkommen des Geistes (‚Emerging Mind‘) definiert sich damit nicht über die direkt messbaren Strukturen (Nervensystem, Struktur, Umfang,..), sondern über den Umfang der möglichen Zustände des Verhaltens, das direkt abhängig ist sowohl von den möglichen Zuständen des Gehirns, des zugehörigen Körpers, aber auch über die Gegebenheiten der Umwelt. Anders ausgedrückt, das neue Potential dieser Lebensform erkennt man nicht direkt und alleine an ihren materiellen Strukturen, sondern an der Dynamik ihrer potentiellen inneren Zustände in Wechselwirkung mit verfügbaren Umwelten. Es ist nicht nur entscheidend, dass diese Systeme symbolisch kommunizieren konnten, sondern auch WAS; nicht entscheidend alleine, dass sie Werkzeuge bilden konnten, sondern auch WIE und WOZU, usw.
  7. Es ist nicht einfach, dieses neue Potential angemessen theoretisch zu beschreiben, da eben die rein strukturellen Elemente nicht genügend aussagestark sind. Rein funktionelle Aspekte auch nicht. Es kommen hier völlig neue Aspekte ins Spiel.
  8. Für die Frage, wann ungefähr zeitlich solche Lebensformen auf der Erde auftreten, gibt es möglicherweise nicht den einen Zeitpunkt, sondern eher ein Zeitkorridor, innerhalb dessen sich unterschiedliche Phänomene angesammelt haben, die zusammen dann solch einen neuen Komplexitätshöhepunkt anzeigen. (Beginn Hominisation ca. -7 bis -5 Mio ; Migrationswellen ausgehend von Afrika (-130.000 bis -115.000 und -100.000 bis -50.000) ; Entstehung der Schrift  ca. -4000 im Gebiet des fruchtbaren Halbmonds)

 

KOEXISTENZ VON GEIST UND GESELLSCHAFT

  1. Da alle Handlungen des Menschen, die über den Augenblick hinausgehen, an seine Erinnerungs- und Denkfähigkeit gebunden sind, durch die der Augenblick in real erfahrene oder virtuell vorstellbare Zusammenhänge nach hinten und vorne eingebettet werden kann, wird man die gesamte Entwicklung komplexer Gesellschaften immer nur unter Voraussetzung einer entsprechenden Kommunikation und entsprechender Wissensmodelle verstehen können. Das verfügbare Wissen kann stabilisieren, konservieren und – im negativen Fall – blockieren, und im positiven Fall Alternativen aufzeigen, neue Möglichkeiten, Ursache-Wirkung Zusammenhänge deutlich machen.
  2. Daraus legt sich nahe, dass eine Theorie der Gesellschaft die handelnden semiotischen Akteure als Grundelemente umfassen sollte.
  3. Während eine biologische Population von Systemen durch den gemeinsamen biologischen Bauplan (realisiert im DNA-Molekül samt zugehöriger Dekodierungsstruktur) charakterisiert ist, definiert sich eine Gesellschaft von Systemen über gemeinsamen Wissensmodelle mit den zugehörigen semiotischen Prozessen (die Redeweise von den Memen, die Dawkins 1976 eingeführt hat, ist hier möglicherweise zu schwach) sowie den zugehörigen empirischen Umweltkontexten. Zu sagen, dass es eine Ko-Evolution zwischen Umgebung und Gesellschaft gibt ist zu schwach: entscheidend ist die Mikrostruktur des Prozesses und der hier wirkenden Faktoren in einem Multi-Agenten-Prozess mit Wissensanteilen und Bedeutung.

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EIN EVOLUTIONSSPRUNG PASSIERT – JETZT – UND NIEMAND BEMERKT ES?

FANTASIE ALLÜBERALL

  1. Die Geschichte der Menschheit ist voll von Fantasien, Träumen, Mythen, Utopien, Science Fiction. Heutzutage wird die Bilderflut noch verstärkt durch die vielen medialen Kanälen, in denen das Gehirn überschwemmt wird mit Bildern, die sich kaum noch einordnen lassen lassen als real, oder als fantastisch oder was genau?

WUNDERBARES GEHIRN

  1. Diese Bilderflut ist möglich durch ein Gehirn, das in der Lage ist, aktuell Gegebenes, das Jetzt, durch Erinnerungen, Abstraktionen, freie Kombinationen hinter sich zu lassen. Das Jetzt kann darin zu einem Moment in einer Folge werden, und die Folge wird zu einem Ist, das zwar passiert, aber beeinflussbar ist. Der hss lernt, dass er selbst kein rein passives Etwas ist, sondern auf vielfältige Weise Einfluss nehmen kann auf das Jetzt, auf die Folgen von Momenten. Er lernt, dass er den Gang der Dinge verändern kann.

JENSEITS DES JETZT

  1. Dieses Wissen um das Mehr jenseits des Jetzt ist uns vertraut, ist uns so vertraut, dass es uns gar nicht mehr auffällt. Aber es sollte uns auffallen, es sollte uns geradezu elektrisieren, denn fast 13.8 Mrd Jahre lang gab es – nach aktuellem Wissen – keine aktuelle Lebensform im gesamten Universum, die über diese Fähigkeit verfügte.
Evolution durchbricht mit dem hss den objektivn Gang der Dinge: hss kann auch ohne Tod Innovationen herbeiführen. Der Prozess hat ein 'Selbst' bekommen
Evolution durchbricht mit dem hss den objektivn Gang der Dinge: hss kann auch ohne Tod Innovationen herbeiführen. Der Prozess hat ein ‚Selbst‘ bekommen

DAS LEBEN VOR DEM MENSCHEN

EINE KETTE AN INNOVATIVEN EXPLOSIONEN

  1. Das Leben vor dem hss war ein Getriebenes: nach ca. 10 Mrd Jahren universalem kosmischen Geschehen, das u.a. unser Sonnensystem mit unserer Erde hervorgebracht hatte, entstanden auf der Erde, in den Tiefen der Ozeane, jene chemischen Strukturen, die wir heute als erste Zellen bezeichnen. Schon diese erste – einfache – Zellen sind ein Wunderwerk molekularer Strukturen und chemischer Prozessketten. Mit diesen ersten Zellen war es erstmalig möglich, selbständig Energie in Form von freien Ladungen aus der Umgebung über eine Membranoberfläche in das Innere der Zelle zu transportieren und diese Energie für unterschiedliche chemische Prozesse zu nutzen. Dies war eine Sensation. Entgegen der allgemeinen Entropie gab es hier physikalische Prozesse, die freie Energie aus der Umgebung abzapften und sie – entgegen der Entropie – für den Aufbau lokaler Strukturen, also lokaler Ordnungen, nutzten. In der allgemeinen Physik sind solche Prozesse nicht vorgesehen und bis heute nicht erklärbar.
  2. Diese ersten Wunderwerke des Lebens konnten sich auch schon selbst reproduzieren. Schon da gab es spezielle Moleküle – heute DNA Moleküle genannt –, die von anderen Molekülen so benutzt wurden, als ob sie eine Bauanleitung darstellten. Die einzelnen Elemente dieser Bauanleitungsmoleküle wurden als Elemente eines Kodes interpretiert, aus dem man entnehmen konnte, wie man eine neue Zelle bauen kann. Wie es zu dieser originellen Arbeitsteilung – von Informationsspeicher hier und Informationen lesen und übersetzen dort — kam ist bis heute noch eher im Dunkeln. Mit dem heutigen Wissen können wir aber in dieser Struktur der Interpretation eines Kodes und darauf aufbauend die Aktivität einer Konstruktion als strukturidentisch mit dem Konzept einer Turingmaschine erkennen. Die Turingmaschine, das zentrale philosophisch-mathematische Konzept unserer Tage für das, was ein Computer sein kann, ist in diesen ersten einfachen Zellen schon realisiert. Jede Zelle ist in dem Sinne ein Computer! Mit dem Computer haben wir so gesehen nichts Neues erfunden, nur etwas sehr, sehr Altes auf neuer Ebene wieder endeckt.
  3. Und noch etwas Grundlegendes ist zu beachten: der Reproduktionsprozess war nie ein 1-zu-1 Prozess. Die neuen Strukturen wichen von den vorausgehenden immer irgendwie ab, mal weniger, mal mehr. Dies hatte zur Folge, dass die nachfolgenden Generationen neue Formen (Phänotypen) ausbildeten, die darin über neue Fähigkeiten verfügten, die andere Organismen nicht besaßen. Wenn diese neuen Fähigkeiten das Überleben verbesserten, erhöhten sich die Chancen auf Nachkommen; andernfalls wurden sie geringer. Der stillschweigende Maßstab für Erfolg/ Misserfolg war jeweils die Passung zur vorhandenen Erde samt ihren Gegebenheiten. Einem Lebewesen vor dem hss war es nicht möglich, ein eigenes Wertesystem unabhängig von den Vorgaben der Erde zu entwickeln. Dies bedeutet, dass es in der Zeit von ca. -3.8 Mrd Jahren bis ca. -200.000 (oder etwas früher, wenn man die früheren menschenähnlichen Wesen mit einbeziehen will) einem Lebewesen nicht möglich war, ein eigenständiges Ziel-/ Wertesystem über die realen Lebenserfordernisse hinaus auszubilden.
  4. Verschärft wird diese Situation auch noch dadurch, dass bei dieser beschränkten Innovationsfähigkeit der Lebewesen (nur bei Reproduktion) die Notwendigkeit eines Todes, also einer beschränkten Lebenszeit, unausweichlich war. Durch die beständige Veränderung der Erde sowie durch die parallele dynamische Entwicklung aller Lebensformen bestand zwischen allen Lebensformen und der Lebenssituation eine kontinuierliche Konkurrenzsituation. Ohne häufige Reproduktionen und durch Sterben wäre jene Innovationsrate gefährdet gewesen, die zum Überleben notwendig war.
  5. Bis zur Lebensform eines hss waren aber aus Sicht er ersten einfachen Zellen noch viele Hürden zu nehmen. So waren die ersten Zellen in ihrer potentiellen Größe massiv beschränkt: solange Energie nur über die Membranen in den Zellkörper kam war durch das Missverhältnis zwischen Oberflächenzunahme (quadratisch) und Volumenzunahmen (kubisch) eine Wachstumsgrenze eingebaut. Es hat etwa 1.7 Mrd Jahre gedauert, bis das Leben einen Weg gefunden hat, durch Einbau vieler einzelner Zellen – später Mitochondrien genannt – in eine Gastzelle die Membranoberfläche zu vervielfachen.
  6. Viele weitere Details sind hier wichtig (sehr schön erklärt u.a. in dem Buch von Nick Lane (2009) Life Ascending).
  7. Im Endeffekt führte die Fähigkeit zu immer komplexeren Prozessen mit immer komplexeren Kooperationen dazu, dass (nach dem großen Sauerstoffereignis) Lebensformen auf dem Land Fuß fassen konnten und nach einer weiter langen Zeit von fast 500 Mio Jahren dann jene Lebensform möglich wurde, die wir als hss kennen.

DAS AUFTRETEN DES MENSCHEN IST EINE ZÄSUR

  1. Der hss verkörperte dann genau diese Lebensform die zum ersten Mal Erstaunliches vermochte.
  2. Der hss konnte durch sein Gedächtnis, seine Abstraktionsfähigkeiten, seine gedanklichen Kombinationen mit einem Male — nach ca. 13.8 Mrd Jahren – als erste Lebensform auf der Erde aus dem Jetzt ausbrechen und mögliche Zukünfte versuchsweise denken.
  3. Der hss konnte durch sein Denken, Kommunizieren, seine Technologie, seine Organisationsformen, seine Wissenskulturen erstmalig die Fähigkeit erlangen, die Baupläne des Lebens zu lesen, sie Anfangshaft zu verstehen. Prinzipiell könnte er jetzt strukturelle Innovationen während des Lebens einer Generation einleiten, ohne dafür zuerst sterben zu müssen. Der Tod des Körpers wäre nicht mehr notwendig.
  4. Durch diese neue Autonomie des Erkennens, Handelns und Gestaltens hat der hss aber ein ganz neuartiges Problem: zum ersten Mal steht er selbst vor der Frage, wohin die Reise eigentlich gehen soll? Zuvor wurde die Frage indirekt durch das Faktum des Überlebens beantwortet. Jetzt muss er sich selbst die Frage stellen, welche der vielen möglichen erkennbaren Zukünfte sind Lebenswert?

ZWISCHENSPIEL: RELIGIONEN

  1. Viele Jahrtausende haben Menschen in Gestalt sogenannter Religionen Antworten hergeleitet, die heutigen Erkenntnisansprüchen nicht mehr genügen, die aber die Menschen in diesen Zeiten benutzt haben, um sich das Unerklärliche zu erklären. Und auch heute scheint es so zu sein, dass eine sehr große Anzahl der Menschen diese alten Religionen immer noch als Hilfsmittel benutzen, um Antworten auf Fragen zu finden, die die Wissenschaften bislang nicht gegeben haben.
  2. Im Kern von Religionen – nicht allen: der Buddhismus kann anders interpretiert werden – steht gewöhnlich ein zentraler Begriff Gott. Aber, was man leicht übersieht, alles, was über Gott bislang gesagt wurde, haben letztlich Menschen gesagt, die von sich behaupten, sie haben mit Gott geredet bzw. er mit ihnen. Da alle diese Menschen unterschiedliche Sprachen sprechen, dann noch zu Zeiten, die tausende Jahre her sind, haben wir nicht nur ein Sprachproblem (Sanskrit, Hebräisch, Griechisch, Arabisch, …), sondern auch ein Verstehensproblem (wer weiß schon, welche Vorstellungen Menschen vor tausenden von Jahren mit bestimmten Ausdrücken verbunden haben). Dazu haben wir ein Überlieferungproblem: wer hat eigentlich wann was von wem aufgeschrieben? Welche Texte sind überhaupt original erhalten? Wie oft wurden Texte aus einer Zeit von Menschen in einer nachfolgenden Zeit überarbeitet und dabei verändert?
  3. Schon allein der Versuch, aus der Vielfalt dieser Texte (und dazu noch aus der ungeheuren Fülle nachfolgender Kommentare und Interpretationen) heute ein zuverlässiges und einheitliches Bild von Gott zu gewinnen, muss scheitern. Es ist vollständig unmöglich, nicht nur rein faktisch aufgrund der Vielzahl und Fülle, aber auch inhaltlich methodisch: die geistigen und begrifflichen Voraussetzungen der vielen Texte sind derart verschieden, dass Worte, die gleich klingen, von ihrem begrifflich-methodischen Kontext her etwas vollständig Verschiedenes bedeuten können.
  4. Angesichts dieser Sachlage mutet es merkwürdig an, wie manchmal Naturwissenschaftler sich berufen fühlen, die Erkenntnisse der Naturwissenschaften gegen ein falsches Gottesbild zu verteidigen und dabei selber bizarre Gottesvorstellungen als Feindbilder benutzen, wo man sich nur fragen kann, wo sie die hergezaubert haben. Natürlich gab es Zeiten (und sie sind noch nicht überwunden), da unterschiedlichste Religionsvertreter versucht haben (und versuchen) neueste Erkenntnisse der Naturwissenschaften mit ihrem spezifischen religiösen Weltbild zu versöhnen. Ein Beispiel sind die sogenannten kreationistischen Deutungen der Evolution. Aber die Ausgangslage einer religiös motivierten Argumentation ist in sich so verworren und schwammig, dass jeglicher Gesprächsversuch hier im Ansatz sinnlos ist. Die Vertreter der Religionen sind ja nicht einmal in der Lage, sich untereinander zu verständigen; warum sollte man sich mit diesen Positionen dann überhaupt auseinandersetzen? Worin besteht diese Position überhaupt? Es ist ein bisschen wie mit dem Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: jeder tut so, als ob die Sache mit Gott doch klar sei, aber keiner will zugeben, dass er eigentlich nichts Genaues weiß…

ZURÜCK IN DIE REALE ZUKUNFT

  1. Kommen wir zurück zur realen Welt, in der wir uns mit unseren Körpern vorfinden. Von dieser Welt haben wir gelernt, wie sie eine unfassbare Fülle an Lebensformen hervorgebracht hat bis zu jener, dem hss, der über erstaunlich neue Fähigkeiten verfügt. Bricht schon das Phänomen der Evolution bis zum hss die bekannten Denkmodelle der Physik, so ist dies neue Phänomen hss mit seinem Gedächtnis, seinem Denken, seiner Zukunftsfähigkeit, seiner Veränderungsfähigkeit, seiner autonomen Frage nach der richtigen Zukunft ein radikaler Systembruch. Das Erscheinen des hss markiert das Ende der klassischen empirischen Wissenschaften. Alles, was die empirischen Wissenschaften bislang entdeckt haben, ist richtig, aber das, was die Physik bislang gedacht hat, ist schlicht zu wenig (auch schon für den engeren Bereich der unbelebten Materie (dunkle Materie, dunkle Energie), wie wir lernen durften).
  2. Sollte es tatsächlich so etwas wie einen Gott geben (was niemand letztlich ganz ausschließen kann, genauso wenig wie man es beweisen kann), dann wäre er in allem anwesend und würde sich darin zeigen. Wir müssten ihn nicht erfinden. Egal was wir tun, er wäre da. Wäre er hingegen nicht da, wäre es auch egal, was wir tun. Wir könnten ihn nicht herbei zaubern.
  3. Schon eine christliche Theologie hat ja (wenngleich rein spekulativ) angenommen, dass Gott sich aus der Transzendenz in die Immanenz bewegen könne (Inkarnation), und dass es in der Immanenz (also in unserer Körperwelt) eine erfahrbare Gegenwart Gottes geben könne. Nahezu alle christlichen Ordensgründer und Ordensgründerinnen berichten von ihren persönlichen Erfahrungen mit Gott, bis dahin, dass ein Ignatius von Loyola, der Mitbegründer des Jesuitenordens, geradezu lehrt, dass Gott sine causa in den Menschen direkt wirken könne. Entsprechende Berichte finden sich auch bei Mitgliedern von anderen Religionen. Zur Überzeugung der Religionen gehört auch, dass die Menschen die Welt gestalten sollen. Die Überzeugungen aller Religionen ist auch, dass das Leben nach dem körperlichen Tod nicht endet, sondern irgendwo (man nennt es Himmel) weiter geht, dann sogar viel besser und schöner.
  4. Wie gesagt, gäbe es so etwas wie Gott, dann müssten wir ihn nicht erfinden, allerdings müssten wir ihn entdecken, so wie wir alle Wirklichkeit, in der wir uns vorfinden, vermittelt durch unseren Körper entdecken, sortieren, verbinden, interpretieren müssen, um zu wissen, wer wir tatsächlich sind, die anderen, die Erde, das Leben, wie sich alles bewegt. So gesehen wäre Alles Theologie, aber nur, wenn wir Gott voraussetzen. Tun wir dies nicht (und es ist methodisch erlaubt, dies nicht zu tun), ist das Gleiche, was vorher Theologie heißt, einfach Wissenschaft vom Leben im Universum, und möglicherweise darüber hinaus. Die Worte mögen verschieden sein, die Sache ist die gleiche.
  5. Ein möglicher Gott stellt für eine radikale Wissenschaft keine Bedrohung dar, wohl aber pseudoreligiöse Ansprüche, die im Namen eines unbekannten Gottes vorgebracht werden, die aber letztlich nur jene Wahrheit verweigern wollen, die uns alle frei macht, die die unfassbare neue Autonomie des hss freilegt.

Einen Überblick über alle Blogeinträge von cagent nach Titeln findet sich HIER.

START DES PHILOSOPHIESOMMERS 2016 IN DER DENKBAR FRANKFURT – Nachhall zum 14.Februar 2016

START GELUNGEN

Nach einer Unterbrechung von mittlerweile fast 6 Monaten hat sich die Philosophie in der DENKBAR zurückgemeldet.  Aufgrund der Einladung vom 9.Februar 2016 hatte sich eine sehr interessante Gruppe  zum Re-Start versammelt. Und der gedankliche Austausch nahm seinen Lauf.

EIN HAUCH VON PHILOSOPHY-IN-CONCERT

Wie angekündigt wurde ein kleines Hörstück vom PHILOSOPHY-IN-CONERT Experiment eingespielt, dazu ein Bild von der – noch – leeren virtuellen Insel aus einer virtuellen Welt.

cagent vor leerer PiC-Insel 14.Februar 2016
cagent vor leerer PiC-Insel 14.Februar 2016

PHILOSOPHY-IN-CONCERT versteht sich als Versuch, die Fragestellung von der Zukunft des Menschen in Wechselwirkung mit der neuen Technologie der intelligenten Maschinen aus philosophischer und wissenschaftlicher Sicht künstlerischer erlebbar zu machen. Wie das genau geschehen wird, ist Teil des laufenden Experimentes. Erste Gehversuche fanden in öffentlichen Veranstaltungen am 1.Dez. 2015 und am 12.Dez. 2015 statt. Daraus stammt das Hörstück, das an diesem Abend gespielt wurde.

 

Dieses Stück kann uns daran erinnern, dass wir uns ohne Gebrauchsanleitung vorfinden und seit vielen tausend Jahren auf der Suche nach uns selbst, nach dem inneren Drehbuch von allem sind. Alle Kulturen haben ihre eigene Version erzählt, die vielen Religionen, die Philosophen, die moderne Wissenschaft liefern ständig neue Varianten. Welche ist nun die richtige? Woran können wir die richtige erkennen?

Zwei der Stimmen im Hörstück sind vom Computer generiert. Die gesamte Musik ist vom Computer generiert. Wir erleben einen realen Klang, der von Algorithmen erzeugt wurde. Auch das Bild, das in der Live-Schaltung sehr realistisch wirkte (z.B. mit Wellenbewegungen und Lichtreflexen) war komplett vom Computer generiert, ein Virtuelles als Reales, Virealität …

DIE AUSGANGSLAGE

Damit waren wir bei der Ausgangslage angekommen.

In unserem Alltag erfahren die, die Arbeit haben, oft (meistens?), dass sie zu viel Arbeit haben. Sie drehen in ihrem Rad und schaffen es kaum noch, jenseits der beruflichen Routine andere Aspekte des Lebens breit und differenziert aufzunehmen. Zugleich hat man das subjektive Gefühl, die Ereignismenge nimmt beständig zu, die Änderungen werden schneller. In all dem ist eine Entwicklung unübersehbar: die fortschreitende, mittlerweile umfassende, Digitalisierung des gesamten Lebens. Im Beruf, in der Freizeit, öffentlich und im Privaten, überall begleiten uns mittlerweile Computer, die mit Netzwerken verbunden sind. Vielfach sind sie schon nicht mehr erkennbar, da sie die Gestalt von Alltagsgegenständen angenommen haben, sie Teil von Wohnungen und Gebäuden sind, überall in den Verkehrsmitteln eingebaut sind, Teil von öffentlichen Räumen …. noch weniger kann man die Aktivitäten in den Netzwerken und Datenbanken wahrnehmen. Das globale Geschäft mit den privaten (und kommerziellen und institutionellen) Daten brummt; einige wenige werden immer reicher, viele andere werden jeden Tag schleichend entwertet. Der Staat scheint zu versagen; es wirkt, als ob er seine Bürger den Datenkraken und den außer Rand geratenen Geheimdiensten überlässt. Privatheit war einmal. Industriespionage scheint mittlerweile der Standard sein, vorpraktiziert von den staatlichen Geheimdiensten selbst, wenn man den Quellen trauen kann.

Erleben wir einen epochalen Umbruch? Was ist mit den traditionellen Wertelieferanten, den bekannten Religionen? Was ist mit den Wissenschaften? Sind Menschen nur ein zufälliges Ereignis der Evolution, eine biochemische Masse, die alsbald wieder vergeht? Sind die Menschenrechte nur noch gut für Sonntagsreden, aber ansonsten im Alltag blutleer, wert-los? Warten alle nur noch auf die Erlösung durch die Roboterfabriken und intelligente Maschinen, die dann alles lösen werden, was der Mensch nicht lösen konnte?

Was ist mit den globalen Konzernen, die ihr Geschäft auf Algorithmen basieren, die die globalen Datenmengen auswerten und hochrechnen: sind sie morgen bankrott, weil sie ihre eigenen Algorithmen nicht mehr unter Kontrolle haben? Lassen die anwachsenden Bot-Armeen die Daten von twitter, facebook, google und Co zu Schrott werden?

GEDANKENSTURM

Dies sind einige der Gedanken, die eingangs geäußert wurden, und die dann zu einem intensiven Gedankenaustausch führten.

Gedankensturm vom 14Febr2016 - ungeordnet
Gedankensturm vom 14Febr2016 – ungeordnet

Im Gegensatz zu sonst fiel es dem Protokollanten schwer, diese vielen Aspekte sofort in eine Struktur einzupassen. Dies kann auch ein Anzeichen dafür sein, dass wir es hier mit einem qualitativ neuem Gesamtphänomen zu tun haben. Alle bisher benutzten Muster greifen nicht mehr so richtig.

Am erfolgversprechendsten erschien dann die Perspektive, dass wir den Menschen, uns, viel radikaler als bislang als Teil eines evolutionären Prozesses sehen müssen, der uns dorthin gebracht hat, wo wie heute stehen. Dies intensiviert die Rückfragen an diesen Prozess. Welche Rolle spielt dann der berühmte Zufall bei der Entstehung des bekannten Universums und der bekannten Lebensformen. Ist alles nur Zufall oder ist Zufall nur ein Moment an einem komplexeren Geschehen? In der Wissenschaft haben einige gemerkt, dass der Zufall insofern nur ein – wenngleich sehr wichtiges – Moment des Geschehens ist, da bei der Entwicklung des biologischen Lebens die Speicherung bisheriger Erfolge im DNA-Molekül wesentlich ist. Nur durch diese Speicherung (Erinnerung, Gedächtnis) wurde eine Zunahme von Komplexität möglich. Der Zufall variiert, das DNA-Gedächtnis gibt eine Richtung. Dieser Prozess ist sehr langsam. Erst mit dem Auftreten des homo sapiens als Teil dieses Prozesses gab es eine Revolution: die Gehirne des homo sapiens können mit ihren elektrischen Zuständen Eigenschaften der Umgebung und sich selbst zu Modellen formen, mit diesen virtuellen Modellen elektrisch spielen und auf diese Weise in sehr kurzer Zeit hochkomplexe Alternativen erkunden, verwerfen oder ausprobieren. Dies führt zu einer extremen potentiellen Beschleunigung der Evolution. Veränderungen, die zuvor vielleicht tausende, zehntausende von Generationen gebraucht haben, können nun innerhalb von Jahren, Monaten, Tagen … gedacht und gestartet werden. Die Erfindung des Computers (eine 1-zu-1 Kopie der Struktur, die dem Kopiervorgang von biologischen Zellen zugrunde liegt!) erscheint in diesem Kontext folgerichtig, dazu Netzwerke und Datenbanken. Aus Sicht der Evolution ist es die Befreiung der Materie in frei konfigurierbare Zustände mit extremer Beschleunigung.

Für die agierenden Menschen, Mitglieder der Gattung homo sapiens, scheint dies aber zu einer Zerreißprobe zu werden, zur Krise der alten Weltbilder die – stimmt das neue Bild – sowieso falsch waren. Wer sind wir wirklich? Was soll das Ganze? Kann es in diesem kosmischen Gesamtgeschehen überhaupt so etwas wie einen Sinn für einzelne Individuen, für einzelne Generationen geben? Wie können wir in all dem, was diese neue Entwicklung mit uns macht, ein Muster erkennen, irgendetwas, was über puren Zufall hinausweist? Oder brauchen wir das alles nicht, ist es sowieso egal? Soll jeder halt die Zeit seines Lebens nutzen so gut es geht, ohne Rücksicht auf Verluste? Sind die Menschen, nachdem sie die Evolution durch Computer, Netzwerke und Datenbanken neu entfesselt haben, sowieso überflüssig geworden? Homo sapiens hat seinen Job gemacht; die Zukunft liegt jetzt nur noch in Hand der intelligenten Maschinen?

WIE GEHT ES WEITER?

Am 13.März 2016 treffen wir uns zur weiteren Verhandlung in Sachen homo sapiens.

  • Was macht das alles mit uns?
  • Hat der homo sapiens noch eine Chance?
  • Ist er überflüssig geworden?
  • Gibt es die intelligenten Maschinen, die den homo sapiens ersetzen sollen, wirklich?
  • Ist dies aller nur ein Propagandatrick der Medien und einiger globaler Konzerne?
  • Sind google, facebook und Co morgen schon pleite, weil sie ihre eigenen Algorithmen nicht mehr unter Kontrolle haben?
  • Was wird uns PHILOSOPHY-IN-CONCERT zum Nachdenken geben?
  • Könnten uns intelligente Maschinen sogar helfen?
  • Was ist mit der Maschine als Therapeut und Partner?
  • Was ist mit den technischen Erweiterungen des Körpers?
  • Was ist mit den möglichen genetischen Veränderungen: warum wollen wir sie nicht?
  • Wo liegt unsere Zukunft? In der bloßen Wiederholung des Alten oder in einem real Neuem? Wie kommen wir dahin? Wer sind unsere Ratgeber? Müssen wir auf unsere Enkel hoffen, dass die es dann schon richten, weil wir zu dumm und träge sind?

Einen Überblick über alle vorausgehenden Sitzungen der Philosophiewerkstatt findet sich HIER.

DAS GANZE IN EINER NUSSSCHALE – In gewisser Weise ‚Ja‘

ANREGUNG VON PLATO & ARISTOTELES

  1. Im Kontext der Relektüre von Platon und Aristoteles, zunächst angeregt durch das Buch von Decher, dann vertiefend mit anderen Büchern, entstand immer mehr der Eindruck, dass das Ringen von Aristoteles um eine realistischere Sicht der Ganzheit des Lebens im Vergleich zu dem stark dualistisch-apriorisierenden Denken Platons, in seinem Kern, in den erkennbaren Strukturen, nicht so weit weg ist vom heutigen Denken. Natürlich muss man einige Begriffe neu übersetzen, natürlich muss man viele Details aktualisieren, aber die gesamte Ausrichtung gibt eine Fülle von Anregungen, die auch Lücken in unseren heutigen Ansätzen sichtbar machen. Die Meinungen gehen auseinander, ob Aristoteles auf der Zielgeraden letztlich dann doch Platons Sicht übernommen hat (Priorität und Andersartigkeit des Geistes über und vor allem anderen), oder ob man seine ähnlich klingenden Begriffe nicht doch von seinem Gesamtansatz her doch anders denken müsste.
  2. Bevor es aber dazu kam, dass ich mich in diese Begriffswelt von Platon, ganz besonders aber von Aristoteles, neu versenken konnte, setzte sich ein ganz anderes Karussell von Analogien in Bewegung.
Die fünf Paradoxien - Vorstufe: Geist und Materie
DAS GANZE IN EINER NUSSSCHALE. Fünf Themenkomplexe. Vorstufe: Geist und Materie

BIOLOGISCH VERSUS TECHNOLOGISCH

  1. Das vorausgehende Diagramm zeigt eine Gegenüberstellung von biologischen Systemen, wie z.B. dem homo sapiens, und von technischen Systemen wie z.B. intelligente Maschinen.
  2. Das Faszinierende bei biologischen Maschinen ist das Phänomen, dass rein materielle Bestandteile – wie man salopp im Alltag sagen würde – in der Lage sind, hochkomplexe Verhaltensweisen zu ermöglichen, die wir umschreiben mit Worten wie nett, liebenswürdig, gemein, aggressiv, dumm, intelligent, einfühlsam, vorausschauend, usw. Einem Menschen schreiben wir gewöhnlich geistige-emotionale Eigenschaften zu (ganz im Stile von Platon und Aristoteles; wobei beide nicht nur vom Geist sprechen, sondern auch von der Seele als dem eigentlichen Lebensprinzip mit dem Geist als Huckpackeigenschaft).
  3. Da wir heute die materiellen Bestandteile immer mehr auf ihre Zusammensetzung hin analysieren können (anders als Platon und Aristoteles), können wir wissen, dass der Körper ein Verband von vielen Billionen (10^12) Zellen darstellt, die wiederum aus einer unfassbar großen Zahl von Molekülen bestehen, diese wiederum aus Atomen, diese wiederum aus subatomaren Teilchen, die sich dann im Raum quantenphysikalischer Modelle von Wahrscheinlichkeitsverteilungen verlieren.
  4. Und dieses ganze Ensemble benötigt in jedem Moment Energie, die über Nahrung zugeführt wird; zusätzlich auch Flüssigkeit. Wird diese Zufuhr lang genug unterbrochen, bricht das System in sich zusammen. Wir sagen, es stirbt, und damit verschwindet auch sein Verhalten; die Aktivitäten, aufgrund deren wir einem Organismus Gefühle und Geist zugeschrieben haben, sind nicht mehr da. Ist damit der Geist (oder wie Platon und Aristoteles sagen würden: die Seele) auch vollständig weg (bei Aristoteles ja, bei Plato nein), oder existieren diese Nicht-Dinge Seele und Geist getrennt von den biologischen Körpern irgendwie weiter? Falls dem so wäre, müsste die Existenzform von Seele (Psyché) und Geist (Nous) im Sinne von Platon (und z.T. Aristoteles) anders sein als die Existenzform, die wir von biologischen Körpern kennen.
  5. Eher spontan hatte ich neben diese Struktur von biologischen Systemen jene von sogenannten intelligenten Maschinen aufgezeichnet. Strukturell kann man eine starke Analogie beobachten. Auch hier kann man materielle Bestandteile unterscheiden (Chips, Gatter, Verbände von Atomen), die ihre Zustände ändern können, und ein Verhalten, das man – je nach Ausführung und Kontext – auch als nett, intelligent, vorausschauend usw. beschreiben könnte.
  6. Solange Menschen wissen, dass es ja nur eine Maschine ist, sagen sie immer, das ist natürlich nicht wirklich wie beim Menschen. Ist es nicht so offensichtlich (z.B. bei Hausrobotern, die äußerlich wie echte Tiere aussehen), dann verschwindet dieser Vorbehalt und Menschen entwickeln zu den Maschinen eine – zumindest äußerlich ähnlich erscheinende – Beziehung wie zu biologischen Systemen.
  7. Auch Maschinen benötigen beständig Energie, um funktionieren zu können. In dem Fall elektrische Energie, die mittels Transformationsprozessen aus natürlichen Energiequellen gewonnen werden (Fossile Energien, biologische, Wasser- und Windenergie, Sonnenenergie, atomar, …).
  8. Im Wissen um die unterschiedlichen materiellen Substanzen, die den Verhaltensmanifestationen zugrunde liegen, stellt sich die Frage, wie kann es sein, dass so unterschiedliche Strukturen ein so ähnliches Verhalten hervorbringen können? Wie groß ist die Ähnlichkeit? Welche Rückschlüsse kann man auf den bei biologischen Systemen unterstellten Geist (bzw. auch auf das Lebensprinzip der Psychè von Platon und Aristoteles) ziehen nur aufgrund der unterschiedlichen materiellen Strukturen, die sie hervorbringen? Hätte ein Aristoteles seine Überlegungen geändert, wenn er von diesen neuen Details gewusst hätte? Platon möglicherweise ja, Aristoteles – nach meiner Einschätzung – eher nicht. Das Modell von Aristoteles könnte theoretisch mit diesen neuen Erkenntnissen umgehen.
  9. Die ganze Frage besitzt noch eine pikante Note, da die sogenannten intelligenten Maschinen ja nicht an Bäumen wachsen oder als Teil von Korallenriffen entstehen, sondern sie sind vollständig ein Produkt des homo sapiens, seines Denkens und seines Produzierens. Es ist der Mensch, der im Laufe der Jahrtausende gelernt hat, seine Wahrnehmung der Welt zu strukturieren, sie mittels Sprachen mit anderen zu teilen, sie in Handlungen zu überführen, und nach und nach es geschafft hat, die Funktionsprinzipien der Natur – einschließlich der biologischen Phänomene, also auch von sich selbst – soweit zu rekonstruieren, dass er Gebäude errichten konnte, ganze Städte baut, Flugkörper, Kommunikationsmittel, Computer, die ihm helfen können, sein eigenes Denken mehr und mehr zu imitieren und partiell sogar zu übertreffen. Anders gewendet, es ist der Mensch, der seine Art zu denken sowohl in ein gedachtes Modell übersetzt hat (Turing, von Neumann), als auch in eine reale Maschine (viele Personen), die man anschauen, mit der man konkret arbeiten kann.
  10. So betrachtet liegt eigentlich keine Parallelität vor, sondern eher so etwas wie eine Aufschichtung: die materiellen Strukturen des Menschen (sein Körper) sind in der Lage, intern Wolken von Ladungszuständen zu erzeugen und zu modifizieren, mittels denen sie die erfahrbare Welt wahrnehmen, vorstellen und denken können. Mittels diesen Bildern von der aktuellen Welt wie von denkbaren = möglichen Welten hat der Mensch ein mögliches Modell eines künstlichen Geistes gedacht und realisiert, der erkennbare Prinzipien der biologischen Natur sichtbar macht und dem Handlungs- und Denkraum des Menschen hinzufügt.
  11. Der Mensch selbst ist direkt und unmittelbar ein Produkt des evolutionären Naturprozesses. Die intelligenten Maschinen sind – vermittelt durch den biologischen Geist des Menschen – ebenfalls ein Produkt der Evolution. Allerdings finden wir hier eine dramatische Weiterentwicklung im Mechanismus der biologischen Evolution! Verfügte die Evolution bis zum Auftreten des homo sapiens nur über die Möglichkeit, anhand von (blinden! Rein zufälligen!) Änderungen im DNA-Molekül Veränderungen im Bereich des biologischen Lebens herbei zu führen, so stellte die Struktur des homo sapiens selbst schon eine Revolution dar: die biologische Möglichkeit innerer geistiger Zustände in einem biologischen System, die Fähigkeit von Selbstbewusstsein, das sich selbst als in der Welt seiend wahr zu nehmen, alternativ zu denken und zu kommunizieren, dies ermöglicht eine völlig neue Weise, Veränderungen im Kontext der biologischen Evolution einzuführen! Statt viele hundert oder tausend oder noch mehr Generationen abwarten zu müssen, bis irgendwelche zufälligen Änderungen eine brauchbare Veränderung entstehen ließen, kann jetzt jeder einzelne homo sapiens im Verbund mit allen anderen sehr schnell beliebige und komplexe Änderungen erfinden und umsetzen. Ergänzt und verstärkt durch intelligenten Maschinen kann dieser Prozess noch komplexer, noch schneller ablaufen. Einbettet in Netzwerke und verbunden mit Datenbanken ist prinzipiell noch mehr möglich.
  12. Nur der Mensch selbst, seine aktuelle körperliche und – wie wir noch immer salopp sagen – seine psychologische Struktur erweisen sich immer mehr als Hemmschuh: unsere Informationsverarbeitungskapazität ist sehr beschränkt und unser emotionales und triebhaftes Korsett erweist sich als sehr eng, schwerfällig und schlecht angepasst. Möglicherweise der größte Anteil aller Zukunftsmöglichkeiten des einzelnen und der ganzen Populationen wird aktuelle vergeudet, weil die Menschen nicht in der Lage sind, mit ihren Emotionen und Trieben nachhaltig umzugehen.
Die fünf Paradoxien der Menschheit heute - Version 2
DAS GANZE IN EINER NUSSSCHALE. Fünf Themenkomplexe. Version 2

ENTSTEHUNG VON KOMPLEXITÄT

  1. Damit kommen wir zur zweiten Skizze. Sie ist aus der ersten hervorgegangen.
  2. Ausgangspunkt waren die biologischen Strukturen, und hier das Phänomen der Entstehung der Komplexität im Laufe der Zeit.
  3. Zwar haben wir bislang eigentlich nur winzige Fragmente der vorausgehenden Zeit, aber mit den heutigen Methoden der Genetik und Molekularbiologie (ergänzt um viele Methoden aus vielen anderen Wissenschaften) ermöglichen diese Fragmente Blicke zurück in die Zeit, die bis noch vor 10 – 20 Jahren unvorstellbar waren. Immer noch verstehen wir nicht alles; immer noch bleiben viele Fragen offen; aber das Gesamtbild gewinnt immer mehr Konturen.
  4. Es gibt viele Ansätze, wie man diese Zeit des biologischen Lebens auf der Erde (ca. 4 Mrd.Jahre von heute rückwärts) strukturieren und deuten kann. Einer von vielen ist z.B. der von Nick Lane (2009), der versucht hat, die zehn wichtigsten Ereignisse der biologischen Evolution zu identifizieren und zu beschreiben. Er bezieht zwar das Phänomen des Bewusstseins (consciousness) mit ein, nicht mehr aber das, was sich auf der Basis von Bewusstsein dann getan hat. Für ihn als biologischer Chemiker ist dies nachvollziehbar, aber dem Phänomen der Evolution wird es möglicherweise nicht gerecht, weil Evolution mehr ist als das, was die Biochemie erfassen und behandeln kann.

NATUR UND GEIST

  1. Die Aufspaltung der Wissenschaft in Natur- und Geisteswissenschaften hat zwar in Europa eine lange (unglückliche?) Tradition, aber aus historischen Zufälligkeiten und Gewohnheiten folgt nicht ohne weiteres, dass dies auch dem Phänomen des Lebens als Teil der Natur gerecht wird. Der Mensch selbst erscheint aktuell als jene Revolution der Evolution, durch die sich die sogenannte materielle Natur in eine sogenannte geistige Natur transformiert hat. Die Revolte von Aristoteles gegen Plato wurzelt genau hier: Aristoteles wollte das Geistige als Teil des Natürlichen verstehen. Mit dem heutigen Wissen sind wir soweit, dass wir von dem heute Wissbaren ausgehend eigentlich nur sagen können, dass das bekannte Geistige eine Eigenschaft der bekannten materiellen Natur ist. Wer diese Aussage vorschnell als mögliche Abwertung des Geistigen versteht, sollte einen Moment innehalten: er/ sie sollte sich fragen, was er/sie denn vom sogenannten materiell Natürlichen weiß?
  2. Wenn es so ist, dass das bekannte Geistige als Eigenschaft des Natürlichen auftritt, sich zeigt, manifestiert, dann wäre die normale logische Fragerichtung jene, eben dieses materiell Natürliche einer neuen Analyse (und Interpretation) zu unterziehen. Wenn sogar intelligente Maschinen Phänomene hervorbringen können, die wir geistig zu nennen gewohnt sind, dann muss man die Frage stellen, welche inhärenten/ impliziten Eigenschaften des Materiellen sind es, die Geistiges real werden lassen?
  3. Bislang wissen wir, dass die komplexen Zellansammlungen von biologischen Lebewesen sich nur sehr langsam entwickelt haben. Allein schon der Übergang von einzelnen Zellen zu größerem Zellverbänden, die kooperieren, hat Milliarden Jahre gedauert. Und der Übergang von Molekülen zu Strukturen wie es eine Zelle ist hat mindestens einige hundert Millionen Jahre gedauert. Vollständige Erklärungsmodelle, wie man sich diesen Bildungsprozess auf der Basis der bekannten Naturgesetze vorstellen sollte, liegen noch nicht vor.
  4. Die bisherigen Denkmodelle der Physik zur Entstehung des bekannten Universums bieten nicht all zu viel: ein singuläres Energieereignis, in dessen Gefolge sich bei Abkühlung immer mehr Strukturen zeigten (subatomar, atomar, …), die zur Entstehung von Sternen führte, deren Fusionsprozesse weitere schwere Atome hervorbrachten, die wiederum zu Bausteinen jener Moleküle wurden, die im Verlauf von ca. 9 Mrd. Jahr dann bei der Entstehung biologischer Zellen beteiligt waren. Dann noch ein Entropiegesetz, das nicht wirklich ein Gesetz ist und vielfältige Interpretationen zulässt. Schließlich ein großes Schweigen angesichts des Phänomens einer nach 9 Mrd Jahren einsetzenden (biologischen) Komplexitätsbildung, für dies es bis heute keinerlei Ansatzpunkte in den bisherigen physikalischen Modellen gibt. Diejenigen Eigenschaften von Molekülen, die sich physikalisch erklären lassen, reichen nicht aus,um das Gesamtverhalten befriedigend erklären zu können.
  5. Die berühmte Formel von Einstein e=mc2 , durch die eine Beziehung zwischen dem Term Energie e und dem Term Masse m mal Quadrat der Lichtgeschwindigkeit c2 erhält ihre Bedeutung natürlich nur innerhalb des mathematischen Modells, in dem diese Terme definiert sind. In einer saloppen Interpretation kann man aber vielleicht sagen, dass die beobachtbaren (messbaren) Massen und Geschwindigkeiten mit jener Energie korrespondieren, die notwendig ist, dass sich dies beobachten lässt. Masse kombiniert mit Raumzeit ist die Manifestation von jener Energie, die die Physik bislang in ihre Modelle abgebildet hat. Dass diese Massen innerhalb der Raumzeit zu einem Prozess fähig sind, den wir als Ansteigen von funktionaler Komplexität im Bereich biologischer Systeme identifizieren, ist in den bisherigen physikalischen Modellen schlicht nicht vorgesehen. Warum auch; ein normaler Physiker interessiert sich nicht für Phänomene des Lebens (außerdem hat er ja auch ohne die biologischen Phänomene noch genügend Baustellen (dunkle Materie, dunkle Energie, Gravitation,…). Und jene Physiker, die es dann doch manchmal versucht haben (Schroedinger, Davis, ..) sind dann in den Modus des Staunens verfallen und haben immerhin dahingehend Größe gezeigt, dass sie ihr Nocht-Nicht-Verstehen zugegeben haben.
  6. Schliesslich gibt es auch noch die offene Frage, wie man den von den Möglichkeits- und Wahrscheinlichkeitsräumen der Quantenphysik zur jeweilig konkreten Welt (Universum) kommt. Zu sagen, dass unendlich viele Welten rein theoretisch möglich sind, war eine revolutionäre Einsicht. Wie kommt man aber von der Möglichkeit zur Singularität eines konkreten Universums? Und auch hier: wie verhält sich die immer mehr erkennbare evolutionäre biologische Komplexität zum physikalischen Modell einer Energie, die mit Masse und Raumzeit korrespondiert?
Die fünf Paradoxien - Bild 4
DAS GANZE IN EINER NUSSSCHALE. Fünf Themenkomplexe. Version 4
  1. Die vorausgehenden Überlegungen führten zwanglos zu einer dritten Skizze, die sich durch ein langes Telefonat mit Si.Sch. in eine Skizze mit vielen Anmerkungen verwandelte (Diagramm 4).
  2. Ich merke schon, dass eine vollständige Beschreibung dieser Version den Rahmen dieser Blogeintrags völlig sprengen würde. Daher hier nur ein paar erste Gedanken, die dann in weiteren Blogeinträgen (und Gesprächen in der Philosophiewerkstatt und im Emerging Mind Projekt) zu vertiefen sind.

SELBSTABSCHALTUNG – VERWEIGERUNG VON ZUKUNFT

  1. Der Themenkomplex 4 wird inspiriert von dem alltäglichen Phänomen der Selbstabschaltung des Menschen. Zwar ist unser kognitiver Apparat so gebaut, dass die Wahrnehmung schon vorab, ohne Zutun des Bewusstseins, den Strom der sensorischen Reize stark reduziert, abstrahiert und selektiert, aber darüber hinaus gibt es das Phänomen, dass Menschen sich in ihrem Bewusstsein, in ihrem Denken von innen heraus abschalten! Abschalten heißt hier, sich auf ein bestimmtes (meist – aber nicht notwendigerweise – vereinfachendes) Bild der Wirklichkeit festzulegen und dann alles zu tun, um es nicht mehr ändern zu müssen. Von diesem Zeitpunkt an hat in diesem Bild alles irgendwie seinen Platz. Dies ist sehr bequem. Man muss sich nicht mehr mühsam damit beschäftigen, was wirklich wahr ist, ob es wirklich so wahr, ob es wirklich nicht anders geht, ob der Andere vielleicht ganz anders ist als gedacht, usw.
  2. Im Falle von intelligenten Maschinen spricht man salopp von falsch programmiert, wenn das Programm nicht das tut, was es tun soll. Letztlich haben falsche Bilder im Kopf die gleichen Wirkungen wie falsch programmierte Maschinen: sie liefern falsche Bilder von der Welt, verstellen richtige Einsichten, begünstigen falsches Verhalten. Menschen, die nicht merken, dass sie falsche Bilder im Kopf haben (bzw. falsch programmiert sind), können Zukunft gefährden oder ganz unmöglich machen, ihre eigene wie die ganzer Gruppen oder Populationen.
  3. Da die Welt sich permanent ändert, heute womöglich schnelle denn je, ist es eine Herausforderung an das biologische Leben, dafür zu sorgen, dass die Bilder im Kopf aktuelle sind, differenziert, wahr, empathisch, also zukunftsfähig.
  4. Hier sind alle Formen des Lernens einschlägig, kulturelle Muster die vorleben, wie man mit sich selbst, den anderen, der Wirklichkeit umgeht. Die Wirklichkeit, die Wahrheit lässt sich weder verordnen noch einsperren. Wohl aber kann man Menschen einsperren, abrichten, mit Ängsten der Hass vollpumpen, um sie an eigenen, anderen Erkenntnissen zu hindern.

GESELLSCHAFTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN FÜR EVOLUTION

  1. Dies führt zum Fragenkomplex Nr.5. Die Geschichte hat verschiedene Gesellschaftssysteme hervorgebracht, u.a. auch solche, die sich demokratisch nennen. Diese Gesellschaftssysteme haben als Grundeinsicht, dass die Chance für eine mögliche nachhaltige Zukunft durch Öffnung und Beteiligung von jedem einzelnen wächst. Analog der blinden biologischen Evolution, die nur Erfolg hatte durch umfassendes radikales Experimentieren, so können auch die Menschen mit der Masse ihres falschen Wissens nur weiter kommen, wenn sie sich allen sich bietenden Möglichkeiten gegenüber öffnen, sie ausprobieren. Freiheit, Offenheit, Kreativität, Meinungsaustausch, funktionierenden Öffentlichkeit, Menschenrechte sind kein überflüssiger Luxus, sondern die biologisch motivierten und sachlich notwendigen Voraussetzungen für eine mögliche Begegnung mit einer nachhaltigen Zukunft. Schon heute kennen wir zahllose Beispiele von umfassenden Zerstörungen, die entstehen, wenn Menschen glauben, dass dies alles nicht notwendig sei.
  2. Der Slogan vom ‚Überleben der Tüchtigsten‘ wird gerne benutzt, um allerlei Arten von Egoismen und Grausamkeiten zu rechtfertigen, gepaart mit riesengroßen Dummheiten in der Zerstörung vielfältigster Ressourcen. Der Slogan beschreibt aber nur einen Teilaspekt der Evolution! Natürlich überleben nur die, die sich für die jeweilig Weltsituation fit gemacht haben, aber dies ist keine Eigenschaft eines Individuums, sondern einer ganzen Population, die nur durch vielfältige Kooperationen mit zahllosen Faktoren Leben gelingen lässt. In der aktuellen Phase der Evolution gilt mehr denn je, dass nur das Zusammenwirken aller Beteiligen eine Chance hat, und hier spielt das gemeinsam geteilte Wissen eine zentrale Rolle, das nicht von einzelnen Playern egoistisch für partielle Zwecke missbraucht wird, sondern von allen für eine gemeinsame nachhaltige Zukunft genutzt werden kann. Ohne Vertrauen und umfassende Transparenz wir die Komplexität an sich selbst scheitern. Es reicht nicht, dass einzelne mächtig und reich sind, alle müssen optimal leben, um die Aufgabe der kommenden Zeit meistern zu können. Die aktuellen Wertesysteme sind weitgehend veraltet und tödlich. Nur gemeinsam kann Neues entstehen.

Anmerkung: Diese Perspektive, die sich jetzt im Verlaufe dieser Überlegungen herausgeschält hat, ist stark verwoben mit den Überlegungen von Manfred Fassler im Blog Emergent Life Academy. Ich verdanke den intensiven Gesprächen mit Manfred sehr viele wichtige und tiefe Einsichten. Möglicherweise hilft es uns beiden, dass wir von unterschiedlichen Blickwinkeln aus auf das Geschehen schauen: er als Soziologe und Kulturanthropologe, ich als Philosoph  und Infomatiker (mit starken Einflüssen aus den Kognitionswissenschaften).

 

QUELLEN

  • Nick Lane, Life Ascending. The Ten Great Inventions of Evolution, London: Profile Books Ltd, 2009

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IST DIE SELBSTVERSKLAVUNG DER MENSCHEN UNTER DIE MASCHINEN EVOLUTIONÄR UNAUSWEICHLICH?

  1. In diesem Blog gab es in der Vergangenheit schon mehrere Einträge (z.B. den ersten großen Beitrag Kann es doch einen künstlichen Geist geben?), die sich mit der Frage beschäftigt haben, inwieweit Maschinen die Lernfähigkeit und die Intelligenz von Menschen erreichen oder sogar übertreffen können.
  2. In vielen wichtigen Punkten muss man diese Frage offensichtlich bejahen, obgleich es bis heute keine Maschine gibt, die das technische Potential voll ausnutzt.
  3. Umso bemerkenswerter ist es, welche Wirkungen Maschinen (Computer) auf die Gesellschaft erzielen können, obgleich sie noch weitab von ihrem Optimum agieren.
  4. In einem Blogeintrag anlässlich eines Vortrags Über Industrie 4.0 und Transhumanismus. Roboter als Volksverdummung? Schaffen wir uns selbst ab? hatte ich noch eine grundsätzlich positive Grundstimmung bzgl. dessen, was auf uns zukommt. Ich schrieb damals:
  5. Das Ganze endet in einem glühenden Plädoyer für die Zukunft des Lebens in Symbiose mit einer angemessenen Technik. Wir sind nicht das ‚Endprodukt‘ der Evolution, sondern nur eine Durchgangsstation hin zu etwas ganz anderem!
  6. Mittlerweile beschleicht mich der Verdacht, dass wir aktuellen Menschen die nächste Phase der Evolution möglicherweise unterschätzen.
  7. Auslöser war der persönliche Bericht eines Managers in einem weltweiten IT-Konzern, der – von Natur aus ein Naturwissenschaftler, ‚knochentrocken‘, immer sachlich, effizient – zum ersten Mal nach vielen Jahren Ansätze von Emotionen zeigte, was die Entwicklung seiner Firma angeht. Die Firma (und nicht nur diese Firma, s.u.) entwickelt seit vielen Jahren ein intelligentes Programm, das eine Unzahl von Datenbanken auswerten kann, und zwar so, dass die Anfrage von Menschen ‚interpretiert‘, die Datenbanken daraufhin gezielt abgefragt und dem anfragenden Menschen dann mitgeteilt werden. Das Ganze hat die Form eines passablen Dialogs. Das Verhalten dieses intelligenten Programms ist mittlerweile so gut, dass anfragende Menschen nicht mehr merken, dass sie ’nur‘ mit einer Maschine reden, und dass die Qualität dieser Maschine mittlerweile so gut ist, dass selbst Experten in vielen (den meisten?) Fällen schlechter sind als diese Maschine (z.B. medizinische Diagnose!). Dies führt schon jetzt dazu, dass diese Beratungsleistung nicht nur nach außen als Dienstleistung genutzt wird, sondern mehr und mehr auch in der Firma selbst. D.h. die Firma beginnt, sich von ihrem eigenen Produkt – einem in bestimmtem Umfang ‚intelligenten‘ Programm – ‚beraten‘ (und damit ‚führen‘?) zu lassen.
  8. Wenn man sich in der ‚Szene‘ umhört (man lese nur den erstaunlichen Wikipedia-EN-Eintrag zu deep learning), dann wird man feststellen, dass alle großen global operierenden IT-Firmen (Google, Microsoft, Apple, Facebook, Baidu und andere), mit Hochdruck daran arbeiten, ihre riesigen Datenbestände mit Hilfe von intelligenten Maschinen (im Prinzip intelligenten Algorithmen auf entsprechender Hardware) dahingehend nutzbar zu machen, dass man aus den Nutzerdaten nicht nur möglichst viel vom Verhalten und den Bedürfnissen der Nutzer zu erfahren, sondern dass die Programme auch immer ‚dialogfähiger‘ werden, dass also Nutzer ’natürlich (= menschlich)‘ erscheinende Dialoge mit diesen Maschinen führen können und die Nutzer (= Menschen) dann zufrieden genau die Informationen erhalten, von denen sie ‚glauben‘, dass es die ‚richtigen‘ sind.
  9. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob die Manager dieser Firmen dank ihrer überlegenen Fähigkeiten die Firmen technologisch aufrüsten und damit zum wirtschaftlichen Erfolg führen.
  10. Tatsache ist aber, dass allein aufgrund der Möglichkeit, dass man ein bestimmtes Informationsverhalten von Menschen (den aktuellen ‚Kunden‘!) mit einer neuen Technologie ‚bedienen‘ könnte, und dass derjenige, der dies zu ‚erschwinglichen Preisen‘ als erster schafft, einen wirtschaftlichen Erfolg erzielen kann (zu Lasten der Konkurrenz), diese rein gedachte Möglichkeit einen Manager zwingt (!!!), von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Tut der Manager es nicht läuft er Gefahr, dass die Konkurrenz es tut, und zwar vor ihm, und dass er dadurch möglicherweise auf dem Markt so geschwächt wird, dass die Firma sich davon u.U. nicht mehr erholt. Insofern ist der Manager (und die ganze Firma) ein Getriebener (!!!). Er kann gar nicht anders!
  11. Das, was den Manager ‚treibt‘, das ist die aktuelle technische Möglichkeit, die sich aufgrund der bisherigen technischen Entwicklung ergeben hat. Für die bisherige technische Entwicklung gilt aber für jeden Zeitpunkt die gleiche Logik: als die Dampfmaschine möglich wurde, hatte nur noch Erfolg, wer sie als erster und konsequent eingesetzt hat; als die Elektrizität verfügbar, nicht anders, dann Radio, Fernsehen, Auto, Computer, ….
  12. Die ‚Manager‘ und ‚Unternehmensgründer‘, die wir zurecht bewundern für ihre Fähigkeiten und ihren Mut (nicht immer natürlich), sind trotz all dieser hervorstechenden Eigenschaften und Leistungen dennoch nicht autonom, nicht freiwillig; sie sind und bleiben Getriebene einer umfassenderen Logik, die sich aus der Evolution als Ganzer ergibt: die Evolution basiert auf dem bis heute nicht erklärbaren Prinzip der Entropie-Umkehr, bei dem freie Energie dazu genutzt wird, den kombinatorischen Raum möglicher neuer Zustände möglichst umfassend abzusuchen, und in Form neuer komplexer Strukturen in die Lage zu versetzen, noch mehr, noch schneller, noch effizienter zu suchen und die Strukturen und Dynamiken der vorfindlichen Welt (Universum) darin zu verstehen.
  13. Während wir im Falle von Molekülen und biologischen Zellen dazu tendieren, diese eigentlich ungeheuren Vorgänge eher herunter zu spielen, da sie quasi unter unserer Wahrnehmungsschwelle liegen, wird uns heute vielleicht dann doch erstmalig, ansatzweise, etwas mulmig bei der Beobachtung, dass wir Menschen, die wir uns bislang für so toll halten, dazu ganze riesige globale Firmen, die für Außenstehende beeindruckend wirken und für Firmenmitglieder wie überdimensionale Gefängnisse (? oder Irrenanstalten?), dass wir ‚tollen‘ Menschen also ansatzweise spüren, dass die wahnwitzige Entwicklung zu immer größeren Metropolen und zu immer intelligenteren Maschinen, die uns zunehmen die Welt erklären (weil wir es nicht mehr schaffen!?), uns dies alles tun lassen, weil der einzelne sich machtlos fühlt und die verschiedenen Chefs auf den verschiedenen Hierarchieebenen total Getriebene sind, die ihre Position nur halten können, wenn sie hinreichend effizient sind. Die Effizienz (zumindest in der freien Wirtschaft) wird jeweils neu definiert durch das gerade Machbare.
  14. Politische Systeme haben zwar immer versucht – und versuchen es auch heute – sich ein wenig vor dem Monster der Innovation abzuschotten, aber dies gelingt, wenn überhaupt, in der Konkurrenz der Gesellschaftssysteme nur für begrenzte Zeiten.
  15. Was wir also beobachten ist, dass die immense Informationsflut, die das einzelne Gehirn hoffnungslos überfordert, Lösungen mit intelligente Maschinen auf den Plan ruft, die das Sammeln, Sortieren, Klassifizieren, Aufbereiten usw. übernehmen und uns Menschen dann auf neue Weise servieren. So betrachtet ist es hilfreich für alle, nützlich, praktisch, Lebensfördernd.
  16. Beunruhigend ist einmal die Art und Weise, das Wie: statt dass es wirklich allen hilft, hat man den Eindruck, dass es die globalen Konzerne sind, die einseitig davon Vorteile haben, dass das bisherige Ideal der Privatheit, Freiheit, Selbstbestimmung, Würde usw. aufgelöst wird zugunsten einer völlig gläsernen Gesellschaft, die aber nur für einige wenige gläsern ist. Demokratische Gesellschaften empfinden dies u.U, stärker als nicht-demokratische Gesellschaften.
  17. Beunruhigend ist es auch, weil wir als Menschen erstmalig merken, dass hier ein Prozess in Gang ist, der eine neue Qualität im Verhältnis Mensch – Technik darstellt. In primitiveren Gesellschaften (und auch noch in heutigen Diktaturen) war es üblich , dass wenige Menschen die große Masse aller anderen Menschen quasi ‚versklavt‘ haben. Unter absolutistischen Herrschern hatten alle einem Menschen zu gehorchen, ob der nun Unsinn redete oder Heil verkündete. Nach den verschiedenen demokratischen Revolutionen wurde dieser Schwachsinn entzaubert und man wollte selbst bestimmen, wie das Leben zu gestalten ist.
  18. In der fortschreitenden Komplexität des Alltags merken wir aber, dass das sich selbst Bestimmen immer mehr vom Zugang zu Informationen abhängig ist und von der kommunikativen Abstimmung mit anderen, die ohne erheblichen technischen Aufwand nicht zu leisten sind. Die dazu notwendigen technischen Mittel gewinnen aber im Einsatz, im Gebrauch eine solche dominante Rolle, dass sie immer weniger nur die neutralen Vermittler von Informationen sind, sondern immer mehr ein Eigenleben führen, das sich ansatzweise und dann immer mehr auch von denen abkoppelt, die diese vermittelnden Technologien einsetzen. Kunden und Dienstleister werden werden gleichzeitig abhängig. Wirtschaftlich können die Dienstleister nicht mehr dahinter zurück und lebenspraktisch ist der Verbraucher, der Kunde immer mehr von der Verfügbarkeit dieser Leistung abhängig. Also treiben beide die Entwicklung zu noch größerer Abhängigkeit von den intelligenten Vermittlern voran.
  19. Eine interessante Entwicklung als Teil der übergreifenden Evolution. Wo führt sie uns hin?
  20. Die Frage ist spannend, da die heute bekannten intelligenten Maschinen noch weitab von den Möglichkeiten operieren, die es real gibt. Die Schwelle ist bislang die Abhängigkeit von den begrenzten menschlichen Gehirnen. Unsere Gehirne tun sich schwer mit Komplexität. Wir brauchen Computer, um größere Komplexität bewältigen zu können, was zu noch komplexeren (für uns Menschen) Computern führt, usw. Dabei haben wir noch lange nicht verstanden, wie die etwa 200 Milliarden einzelne Nervenzellen in unserem Gehirn es schaffen, im Millisekundenbereich miteinander so zu reden, dass all die wunderbaren Leistungen der Wahrnehmens, Denkens, Erinnerns, Bewegens usw. möglich sind.
  21. Heutige Computer haben mittlerweile eine begrenzte lokale Lernfähigkeit realisiert, die ihnen den Zugang zu begrenzter Intelligenz erlaubt. Heutige Computer sind aber weder im lokalen wie im strukturellen voll Lernfähig.
  22. Einige meinen, dass die Zukunft im Sinne von technischer-Singularität zu deuten ist, dass die intelligenten Maschinen dann irgendwann alles übernehmen. Ich wäre mir da nicht so sicher. Das Hauptproblem einer vollen Lernfähigkeit ist nicht die Intelligenz, sondern die Abhängigkeit von geeigneten Präferenzsystemen (Werte, Normen, Emotionen, Bedürfnissen, …). Dieses Problem begegnen wir beim Menschen auf Schritt und Tritt. Die vielen Probleme auf dieser Welt resultieren nicht aus einem Mangel an Intelligenz, sondern aus einem Mangel an geeigneten von allen akzeptierten Präferenzsystemen. Dass Computer die gleichen Probleme haben werden ist den meisten (allen?) noch nicht bewusst, da die Lernfähigkeit der bisherigen Computer noch so beschränkt ist, dass das Problem nicht sichtbar wird. Sobald aber die Lernfähigkeit von Computern zunehmen wird, wird sich dieses Problem immer schärfer stellen.
  23. Das einzige wirklich harte Problem ist jetzt schon und wird in der Zukunft das Werteproblem sein. Die bisherigen Religionen haben unsere Blicke mit vielen falschen Bildern vernebelt und uns im Glauben gelassen, das Werteproblem sei ja gelöst, weil man ja an Gott glaubt (jede Religion tat dies auf ihre Weise). Dieser Glaube ist aber letztlich inhaltsleer und nicht geeignet, die realen Wertprobleme zu lösen.
  24. Man kann nur gespannt sein, wie die Menschheit als Teil des umfassenden Lebensphänomens mit einer immer leistungsfähigeren Technik auf Dauer das Werteproblem lösen wird. Die einzige Hoffnung ruht in der Logik des Prozesses selbst. Der Mensch in seiner unfassbaren Komplexität ist ein Produkt der Evolutionslogik; wir selbst sind weit entfernt davon, dass wir etwas Vergleichbares wie uns selbst schaffen könnten. Darf man also darauf vertrauen, dass die in allem Leben innewohnende Logik der Evolution uns Menschen als Werkzeuge benutzt zu noch mehr Komplexität, in der wir alle kleine Rädchen im Ganzen sind (als was erscheint uns  ein einzelner Mensch in einer 30-Millionen Metropole?)

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WEISHEIT ALS REVOLUTIONÄRER BEGRIFF FÜR EINE ZUKUNFTSFÄHIGE WELT? MEMO philosophieWerkstatt v2.0 VOM Sonntag, 8.März 2015, 16:00 – 19:00h IN DER DENKBAR

MEMO zur philosophieWerkstatt v2.0 VOM Sonntag, 8.März 2015, 16:00 – 19:00h IN DER DENKBAR

PROGRAMM

Soundexperiment
Einführung ‚Weisheit‘
Gesprächsrunde

SOUNDEXPERIMENT

Bei diesem philosophisch motivierten Klangexperiment wurde dieses Mal eine Folge von Bildern mit einem Soundtrack korreliert. Aufgrund der knapp bemessenen Zeit wurde das Experiment verkürzt auf die Momente ‚Bilder ohne Klang‘ und dann ‚Bilder zusammen mit einem Soundtrack‘ (Wer es nachhören/-sehen möchte kann dies hier tun: BigBen, Wales, Translation-Wilderness. Der ursprüngliche Titel, der auch in der Philosophiewerkstatt benutzt wurde, hiess ‚Wale und die Ringe des Saturn‘.) Erst im Anschluss an eine Gesprächsrunde stellte dann der Künstler cagentArtist Hintergrundinformationen zu den benutzten Materialien zur Verfügung, den angewendeten Methoden und die ‚Idee der Aussage‘, wie sie sich nach drei Jahren darstellt: Die Wale im Ozean, in einer fremden Klangwelt, die hart, unerbittlich, zerstörerisch ist, eingebettet in die blaue Mystik des Meeres und der Walgesänge. Unsere menschenerzeugten Geräusche bilden für die Wale ein unerträgliches, fremdes, tödliches Chaos. Ein wenig kann man dies rleben, wenn man sich dem Stück tatsächlich aussetzt.

WEISHEIT, EINFÜHRENDE WORTE

Christian Hellwig gab dann eine kurze Einführung zum Thema „Weisheit”, aus seiner Sicht. Neben zahlreichen Gedanken zum Thema, angereichert mit einigen bildreichen Beispielen aus der Literatur, wurde u.a. ein Interview mit Ute Kunzmann in der Zeit (April, 2014), mit verteilten Rollen vorgelesen. Schließlich wurden aus einem Buch von Professor Baltes, dem Direktor des Berliner Max-Planck-Institutes (MPI) für Bildungsforschung, (Quelle muss präzisiert werden) sieben Eigenschaften vorgestellt, die charakteristisch für das Vorliegen von ‚Weisheit‘ sein sollen (hier stark vereinfacht):

1. Es geht um die Lebensführung als ganze
2. Man ist sich der Grenzen des Wissens bewusst
3. Ein beeindruckendes Wissen, allerdings nur in Annäherung an eine regulativ Idee
4. Das Wissen ist eingebunden in eine entsprechende Umsetzung/ Praxis
5. Synergie von Geist und Charakter
6. Sowohl das eigene wie auch das Wohl der anderen ist im Blick
7. Weisheit wird unmittelbar erkannt, wenn sie sich im Vollzug manifestiert

GESPRÄCHSRUNDE

1. Es folgte dann eine sehr angeregte Gesprächsrunde, an deren Anfang sehr viele Fragen standen, bei einigen ausgesprochene Skepsis und Unverständnis: völlig vager Begriff? Wozu nütze? Das ist doch überhaupt nicht wissenschaftlich, usw.

Diagramm Philosophiewerkstatt 8.März 2015 - Strukturelemente von 'Weisheit'
Diagramm Philosophiewerkstatt 8.März 2015 – Strukturelemente von ‚Weisheit‘

2. Im Laufe des Gespräches kristallisierten sich dann aber schrittweise Deutungen heraus, Erklärungen, die mehr und mehr das Interesse weckten. Obwohl keine ausführliche historische Analyse vorgelegt worden war, führten die Bemerkungen der TeilnehmerInnen mehr und mehr zu einem komplexen Bild, das einerseits sowohl wichtige Hauptrichtungen der Philosophiegeschichte widerspiegelte, in manchen Punkten aber sogar darüber hinaus zu gehen scheint.

3. Die Kernidee schien die zu sein, dass das ‚Wesentliche‘ der ‚Weisheit‘ nicht in einzelnen Aspekten für sich zu suchen sei (besonderes Wissen, besondere Erfahrung, besondere Klugheit, besondere Verantwortung, …) sondern in einem besonderen charakteristischen ‚Zusammenspiel‘ aller Momente, ganz im Sinne des geflügelten Wortes, dass die’Summe mehr ist als ihre Teile‘.

4. Als ‚Summe der Teile‘ muss Weisheit etwas sein, was man (im Sinne von Baltes) unmittelbar als solche erkennen kann, da nur Weisheit diese komplexe emergente Qualität besitzt.

5. Für manchen mag dieser emergente komplexe Charakter von Weisheit gegen seine Wissenschaftlichkeit sprechen, das muss aber nicht so sein. Viele wichtige physikalische Größen sind mittlerweile so, dass sie nicht im einzelnen Messwert erkannt werden können, sondern nur unter Voraussetzung einer abstrakten mathematischen Struktur kann jener Zusammenhang sichtbar gemacht werden, der sich zwar in vielen einzelnen Messwerten zeigt, aber nicht aus den einzelnen Messwerten als solchem ‚herausgelesen‘ werden kann. Letztlich sind alle funktionalen Zusammenhänge per Definition Metakonstrukte zu jenen Elementen, die durch sie ‚geordnet‘ werden.

6. Bedenkt man dies, dann hat ein solcher emergenter Weisheitsbegriff nicht nur nichts ‚Anrüchiges‘, sondern eröffnet überhaupt die Möglichkeit, die vielen Teilaspekte eines Menschen in einem größeren Zusammenhang zu betrachten, und dies ganz ‚wissenschaftlich‘, wenn man will.

7. Unter anderem kann man hier auch z.B. den Ansatz der Existenzphilosophie zwanglos einordnen. Dieses ’sich Vorfinden im Sein‘, das in der existentiell erfahrbaren ‚ontologischen Differenz‘ einen weiterverweisenden – transzendenten – Seinshorizont auszumachen meint, wäre interpretierbar als die subjektive Seite der systemischen Situation, dass der einzelne sich innerhalb der biologischen Evolution in einer körperlichen Struktur vorfindet, die ihm Anteil gibt an einer spezifischen endlichen Welterfahrung, die trotz ihrer Endlichkeit eine ‚eingebaute‘ ontologische Differenz enthält, die jedes individuelle System unausweichlich auf einen größeren Zusammenhang verweist, der sich in vielen konkreten Details manifestiert, der aber als solcher niemals ganz einlösbar ist (regulativ Idee).

8. Damit verweist das Ideal einer individuellen Weisheit aber auch unausweichlich auf den je größeren Zusammenhang einer Population, da es nur als Element einer solchen vorkommt und lebensfähig ist.

9. Eine Population ist dann auch wieder – wenn auch auf einer neuen Ebene – mehr als die Summe ihrer Teile = Mitglieder.

10. Im Unterschied zur tierischen Schwarmintelligenz – besonders beeindruckend bei den Insekten – ist aber die ‚Intelligenz der menschlichen Population‘ (hier gedeutet als ‚Weisheit der Population‘) nicht deterministisch wie bei den Insekten, sondern enthält einige Freiheitsgrade zusammen mit adaptiven Lernmechanismen, die keinen reinen Automatismus erlauben. Die Weisheit der Population des homo sapiens funktioniert nur, wenn eine Reihe von Rahmenanforderungen (quasi als ‚transzendentale Bedingungen‘) erfüllt werden. Diese sind sehr herausfordernd.

11. ‚Populationsweisheit‘ verlangt u.a.
– eine angemessene Kommunikation aller Teile der Population miteinander
– eine angemessene Politik, die gemeinsam erkannte Richtungen entsprechend umsetzt
– ohne eine angemessenes Wissen wird ein realistisches Überlebensverhalten nicht möglich sein
– ohne eine angemessene Technologie auch nicht
– ohne angemessene ‚Präferenzsysteme‘ (Normen, Vorschriften, Werte, …) wird Kommunikation und Handeln im Chaos versinken (diese Präferenzsysteme müssen aber radikal transparent sein und müssen sich aus den erkennbaren Prozessen der realen Welt und der Lebensnotwendigkeiten ableiten lassen)
– usw.

12. In der Populationsweisheit fließt all dies im optimalen Fall zusammen.

13. Treffen diese Überlegungen aus dem Gespräch zu, dann deutet sich zur Frage nach der Entstehung von Weisheit ein Doppeltes an: einerseits ist der emergente Charakter von Weisheit in der Struktur des biologischen Lebens als Teil des kosmischen Prozesses angelegt; andererseits ist es kein völlig determiniertes Phänomen. Es kann sich in eine bestimmte Richtung weiter entwickeln, es muss aber nicht. In dem Masse, wie es zur ‚Selbststeuerung‘ (individuell, als Population, …) fähig wird, muss es sich selbst und seine Umgebung immer besser verstehen. Dies geht nur über mehr konstruktive Kooperation, über mehr fundiertes Wissen, über bessere Moral, usw. Kann letztlich nur gelingen, wenn man voraussetzt, dass das vorfindliche je größere Ganze (das bekannte Universum, das unbekannte Universum) ‚in sich‘ ‚gut‘ ist. Wäre dem nicht so, hätte Weisheit keine Chance. Dies bedeutet, dass Weisheit nur zur ‚Vollendung‘ kommen kann, wenn sie ‚an sich‘ glaubt‘ und die vorfindliche Welt ‚in sich‘ schon immer auch ‚gut‘ ist.

14. Was hier wie ein Paradox erscheint ist aber nicht so ungewöhnlich, wie es im ersten Moment erscheinen mag: die gesamten Naturwissenschaften leben davon, dass sie zunächst daran glaubt, dass die zu untersuchende Natur ‚in sich‘ ‚gesetzmäßig‘ ist und auf der Basis dieses ‚Glaubens‘ werden Experimente durchgeführt, die mögliche Regelhaftigkeiten enthüllen, die in Form von vorwegnehmenden mathematischen Strukturen auf eine Allgemeinheit hin gedeutet werden, die so niemals beobachtbar ist und auch niemals beobachtbar sein wird. Auch in der Naturwissenschaft ist der Moment des Glaubens konstitutiv. Insofern unterscheidet sich die Erforschung einer übergreifenden ‚Weisheit‘ in nichts von irgend einer anderen naturwissenschaftlichen Erforschung.

15. Der ‚Keim‘ zur ‚Weisheit‘ ist so gesehen quasi bei jedem ‚angeboren‘? Dennoch muss man sie mühsam lernen, so wie wir Menschen alle wichtigen Dinge mühsam lernen müssen. So wie auch sonst die einen eher begabt sind für eines, andere für anderes, so gibt es dann auch sicher unterschiedliche Begabungen für Weisheit. Im Gegensatz zu Spezialbegabungen kann man aber ‚Weisheit‘ nicht so einfach lernen wie eine bestimmte Sprache, Mathematik, Auto fahren, usw., sondern Weisheit als ‚Zusammenspiel‘ aller Komponenten auf einer ‚höheren Ebene‘ folgt einem eher komplexen Bildungsprozesse, der von außen zwar ‚angeregt‘ werden kann, der aber letztlich von jedem ‚eigenständig‘ ‚gefunden‘ und ‚gemeistert‘ werden muss. Es gibt keine Garantien. Ein ‚weiser‘ Mensch dürfte also genauso ein Geschenk an alle sein wie die verschiedenen Sonderbegabungen, die immer wieder herausragen und begeistern.

16. Da ‚Weisheit‘ etwas Einzigartiges ist, kann man es auch nicht durch Verweis auf etwas anderes erklären. Weisheit steht ‚für sich‘; da nach Annahme alle Menschen in Richtung möglicher Weisheit ‚geboren‘ werden, muss man annehmen, dass jeder Mensch eine Art ‚Instinkt für Weisheit‘, eine grundlegende Wahrnehmungsfähigkeit dafür besitzt. Nur dann wäre er in der Lage,Weisheit zu erkennen, sich sich im Verhalten von Menschen, Menschengruppen, biologischen Systemen usw. ‚manifestiert‘. ‚Nichtwissen‘ und ‚Passivität‘ wären klare Verhinderungsfaktoren sowohl für Weisheit wie deren Wahrnehmung.

17. Da wir wissen, dass die Verteilung von geistigen Fähigkeit unter Menschen dem Gesetz der natürlichen Verteilung folgt, scheint es wahrscheinlich, dass dies auch auf die Fähigkeit der Weisheit zutrifft; wirklich weise Menschen oder menschliche Organisationen werden eher rar sein. Und sie sind nicht absolut stabil. Im Laufe der Geschichte sind viele Kulturen zugrunde gegangen, auf die einige der Eigenschaften von ‚Weisheit‘ zutrafen. Nicht selten wurden auch ‚weise‘ Menschen von der Gesellschaft geächtet oder getötet, weil ‚die anderen‘ sie nicht verstanden und abgelehnt haben. Von daher ist die Eigenschaft, als ‚weise‘ zu gelten, nicht unbedingt ‚attraktiv‘.

18. Aus der Natur der Weisheit folgt auch, dass man sie kaum explizit definieren kann. Als emergente Größe, die sich im Laufe des kosmischen Prozesses nur langsam, schrittweise zeigt, und zwar nicht als endgültig erkannte Struktur, sondern als sich schrittweise ‚andeutende‘ Struktur, ist sie eine Größe, die erst im Laufe der Jahrmilliarden langsam bekannt werden wird, sofern man sie überhaupt ’sucht‘.

EINIGE WEITERE FRAGEN

19. Was würde man sich von einem weisen Menschen erwarten?

20. Möchte man selber ‚weise‘ sein? Falls ja: was würde man sich persönlich davon versprechen? Falls nein: wovor hätte man Angst?

23. Was würde man von einer ‚weisen‘ Gesellschaft erwarten? Hätte asozialer globaler Kapitalismus darin einen Platz?

24. Was ist mit einer Politik, die im Namen der Sicherheit die ‚Privatheit‘ immer mehr aushöhlt und damit der notwendigen Spielweise für Weisheit den Raum nimmt: wie würde eine ‚weise Sicherheitspolitik‘ aussehen?

25. Was ist mit gesellschaftlichen Tendenzen, in denen sich Klassen bilden, die sich gegeneinander abschotten: wird damit nicht die Forderung nach gemeinsamer Kommunikation und Kooperation im Kern unmöglich gemacht?

26. Was ist mit der Instrumentalisierung der Medien durch einseitige Machtinteressen: wird damit das notwendige Medium der Öffentlichkeit für eine gemeinsame Kommunikation nicht zerstört?

27. Was ist mit den partikulären, rückwärtsgewandten und wissensfeindlichen Religionen: verhindern sie nicht die notwendige Weiterentwicklung der Weisheit als universalem Gut für Alle?

28. Usw.

THEMENVORSCHLAG NÄCHSTES TREFFEN

Neben der Einladung an jeden, etwas aus eigener küntlerischer Aktivität vorzustellen und es aus philosophischer Sicht zu betrachten, einigte sich die Gruppe auf den Themenvorschlag:

Was hat ein ‚künstlicher‘ Geist mit einem ‚biologischen‘ Geist gemeinsam, und was nicht? Zusatzfragen: Würde auf einen künstlichen Geist der Begriff der ‚Menschenwürde‘ zutreffen‘. Kann ein künstlicher Geist ‚weise‘ sein? Sind künstlicher und biologischer Geist nicht schon längst ’symbiotisch vereint‘?

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge zur Philosophiewerkstatt nach Titeln findet sich HIER.

ENDSPIEL, ENDKAMPF, ODER NEUER EVOLUTIONSSCHUB?

(Letzte Änderungen: 23.Nov.2014, 14:46h)

1. Während der Begriff ‚Endspiel‘ durch seine sportliche Konnotationen noch keinen letzten Schrecken verbreiten muss, klingt ‚Endkampf‘ biblisch-apokalyptisch: Endzeitstimmung; das Böse kämpft gegen das Gute; alles steht auf dem Spiel. ‚Evolutionsschub‘ deutet die Perspektive der Naturwissenschaften an, eine methodische Objektivität eines ‚Strukturwandels‘, der sich ’natürlich‘ aus der ‚Vorgeschichte‘ ergibt. Obwohl ich grundsätzlich der naturwissenschaftlichen Sicht zuneige als Grundlage aller Argumentationen über unsere empirisch erfahrbare Welt und damit bei weitreichenden Veränderungen eher einen ’natürlichen Strukturwandel‘ unterstelle, haben wir es bei dem aktuellen Strukturwandel mit Phänomenen zu tun, in die ’subjektive Anteile‘ von beteiligten Menschen, Gruppierungen, Parteien, Firmen usw. mit eingehen. Die ‚Natur‘ hat zwar aufgrund der Gesamtheit aller beteiligten physikalischen Eigenschaften ‚von sich aus‘ eine — möglicherweise ’spezifische‘ — ‚Tendenz‘ sich zu verändern, aber der weltweite Einfluss biologischer Systeme auf den weiteren Gang mit der ‚biologischen Eigendynamik, die – wir wir wissen – gegen grundlegende physikalische Gesetze (z.B. 2.Hauptsatz der Thermodynamik) gerichtet zu sein scheint, erscheint mittlerweile so stark, dass der biologische Faktor neben den physikalischen Prinzipien ein Gewicht gewonnen hat, welches es verbietet, rein ‚technisch‘ von einem Evolutionsschub als ‚ausrechenbarem Strukturwandel‘ zu sprechen.

2. In diesem globalen Kontext erscheint ein Thema wie Informatik & Gesellschaft auf den ersten Blick eher speziell; auf den zweiten Blick zeigt sich aber gerade in diesem Thema eine der globalen Verwerfungslinien zwischen dem ‚Zustand bisher‘ und dem ‚Zustand, der neu beginnt‘. Das Thema ‚Informatik‘ bzw. ‚Computertechnologie‘ galt eher als Teil der Technologie, die nicht eigentlich der ‚Natur‘ zugeordnet wurde. Wie überhaupt seit Aufkommen der ‚Maschinen‘ die Maschinen als Leitmuster der Technologie immer als Gegensatz zur ‚chemischen und biologischen Evolution‘ gesehen wurden. Neben vielen kulturellen Denkmustern, die solch eine ‚Trennung‘ begünstigten, war es sicher auch die mindestens von der antiken Philosophie herrührenden Trennung von ‚unbelebt‘ (die ‚Stoffe‘, ‚Subtsanzen‘, die ‚Materie‘ als solche sind ‚unbelebt‘) und ‚belebt‘ (‚atmend‘ (pneo), Atem als universelles Lebensprinzip (pneuma)), das seinen Ausdruck im ‚Geist‘ (pneuma‘) findet. Da dieser Gegensatz von ‚unbelebt‘ und ‚belebt‘ mehr als 2000 Jahre nicht wirklich aufgelöst werden konnte, konnte sich eine Art ‚Dualismus‘ ausbilden und durchhalten, der wie eine unsichtbare Trennlinie durch die gesamte Wirklichkeit verlief: alles, was nicht ‚atmete‘ war unbelebt, materiell, un-geistig; alles was atmete, belebt war, befand sich in einer Nähe zum universellen Geistigen, ohne dass man eigentlich näher beschreiben konnte, was ‚Geist‘ denn nun genau war. Nicht verwunderlich, dass sich alle großen Religionen wie ‚Hinduismus‘, ‚Judentum‘, ‚Buddhismus‘, ‚Christentum‘, ‚Islam‘ (trotz z.T. erheblicher Differenzen in den Details), diesem Dualismus ’nachbarschaftlich verbunden fühlten‘. Der intellektuell-begriffliche ‚Ringkampf‘ der christlichen Theologie und Philosophie (und streckenweise des Islam, Avicenna und andere!) mit diesem dualistischen Erbe hat jedenfalls tiefe Spuren in allen theologischen Systemen hinterlassen, ohne allerdings dieses ‚Rätsel des Geistes‘ auch nur ansatzweise aufzulösen.

3. Diesen historischen Kontext muss man sich bewusst machen, um zu verstehen, warum für viele (die meisten? Alle?) die plötzliche ‚Nähe‘ der Technologie im alltäglichen Leben, eine sich immer mehr ‚anschmiegende‘ und zugleich ‚verdrängende‘ Technologie an diesem im Alltagsdenken ‚historisch eingebrannten‘ Dualismus‘ zu kratzen beginnt, zu wachsenden Irritationen führt (andere Technologien wie Nanotechnologie und Gentechnik gehören auch in diesen Kontext, wenn auch anders).

4. Im Ankündigungstext zur erwähnten Veranstaltung Informatik & Gesellschaft (siehe auch den Kurzbericht) wurde bewusst herausgestellt, dass seit den ersten Computern eines Konrad Zuse und dem Eniac-Computer von John Presper Eckert und John William Mauchly (1946) die Computertechnologie mittlerweile nahezu alle Bereiche der Gesellschaft in einer Weise durchdrungen hat, wie wohl bislang keine andere Technologie; dass diese Technologie realer Teil unseres Alltags geworden ist, sowohl im Arbeitsleben wie auch in der Freizeit. Man kann sogar sagen, dass diese Technologie die menschliche Lebensweise schon jetzt (nach ca. 60 Jahren) real und nachhaltig verändert hat. Neue Formen der Kommunikation wurden ermöglicht, Veränderungen der Mobilität, automatisierte flexible Produktion, Computermusik, computergenerierte Bildwelten…

5. Aber diese Durchdringung von nahezu allem – was heißt das? Die neue historische Qualität dieser Technologie besteht darin, dass diese Technologie – bislang immer noch klar erkennbar als ‚Maschinen‘, bislang nicht als ‚biologische‘ Strukturen – ‚Verhaltensweisen‘ zeigt, die denen der Menschen als Prototypen von ‚geistigen‘ Wesen ähneln. Aufgrund dieser ‚Ähnlichkeit‘ werden sie Teil von ‚typisch menschlichen‘ Handlungsabläufen (Kommunizieren, Wissen verwalten, Sport und Kunst machen, Spielen, komplexe Modelle und Prozesse entwerfen und simulieren, dann auch steuern, usw.). Seit den 80iger Jahren des 20.Jahrhunderts – also nach nicht mal ca. 30-40 Jahren — hat sich diese Technologie so mit dem menschlichen Alltag verwoben, dass eine moderne industrielle Gesellschaft komplett zusammenbrechen würde, würde man diese Technologie von jetzt auf gleich abschalten.

6. Befürworter eines noch intensiveren Einsatz dieser neuen Computertechnologien z.B. im Bereich der Industrie unter dem Schlagwort ‚Industrie 4.0‘ (so z.B. Prof. Schocke in seinem Beitrag auf der Veranstaltung Informatik & Gesellschaft – Kurzbericht oder die Autoren Thomas Klein und Daniel Schleidt in der gleichnamigen FAZ Beilage vom 18.Nov.2014 auf den Seiten V2 (Klein) und V6 (Schleidt)) sehen vor allem das Potential zu noch mehr Produktionssteigerungen bei gleichzeitiger Verbesserung der Qualität und besserer Ressourcennutzung. Gleichzeitig betonen die drei Autoren die Notwendigkeit von mehr Computertechnologie in der Industrie wegen des internationalen Wettbewerbs. Von den drei genannten Autoren spricht einzig Thomas Klein auch die Kehrseite des vermehrt ‚menschenähnlichen‘ Einsatzes dieser Maschinen im Kontext von Industrie 4.0 an: das damit möglicherweise auch viele Arbeitsplätze wegfallen werden, die bislang für Menschen Arbeitsmöglichkeiten geboten haben. Klein zitiert Untersuchungen, nach denen 47% der bisherigen Arbeitsplätze in den USA in den nächsten 10 Jahren Kandidaten für eine Substitution durch Computergestützte Technologien sind. Dies sind massive Zahlen. Dalia Marin, Professorin für Volkswirtschaft, versucht diese kommende Arbeitsmarktproblematik weiter zu differenzieren. Ausgehend von der Annahme, dass mehr Automatisierung kommen wird, sieht sie neben dem Rückzug von Hochtechnologieproduktionen in die angestammten Industrieländer dort aber die grundsätzliche Entwicklung zur Vergrößerung der Kapitalquote und zur Verringerung der Lohnquote. Diese Verringerung soll vor allem den Akademikersektor treffen; teure menschliche Arbeitskräfte werden bevorzugt von billigen computerbasierten Technologien ersetzt (FAZ 21.Nov.2014, S.16). Sowohl Klein wie auch Marin betonen aber auch, dass solche Zukunftseinschätzungen problematisch sind; der Prozess ist zu komplex, als dass man ihn einfach hochrechnen könnte.

7. Was bei allen vier genannten Autoren auffällt – auch bei den Autoren der Beilage ‚Innovation‘ (FAZ 20.Nov.2014) – ist, dass sie die ‚intelligente‘ und ’smarte‘ Technologie überwiegend aus einer ‚Außensicht‘ behandeln. Sie lassen die Wirkmechanismen dieser neuen Technologien, ihre maschinelle Logik, das, was sie so leistungsfähig macht, mehr oder weniger im Dunkeln. Smarte, intelligente Technologie erscheint dadurch – ich pointiere jetzt ein wenig — wie ein Naturereignis, das geradezu mystisch über uns hereinbricht, das einfach passiert, das so ist wie es ist, das man einfach hinnehmen muss. Auch fehlt eine historische Einordnung dieser Prozesse in das große Ganze einer Evolution des Lebens im Universum. Die sehr differenzierten Sichten von Daniel Schleidt enthalten zwar ein eigenes Schaubild zur industriellen Entwicklung, aber dieses greift – nach meiner Einschätzung – zu kurz. Es zementiert nur eher den opaken Blick auf das Phänomen, macht es begrifflich unzugänglich, schottet es für die Reflexion ab. Auch die volkswirtschaftliche Ausweitung des Blicks durch Marin geht – nach meiner Einschätzung – nicht weit genug. Sie betrachtet das Problem einer möglichen und wahrscheinlichen Substitution von menschlicher Arbeit durch computerbasierte Technologien in gegebenen historischen Kontexten und hier auch nur in einer kurzen Zeitspanne. Sie thematisiert aber nicht die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als solche. Sehr wohl kann man die Frage nach dem aktuellen Gesellschaftsmodell stellen. Sehr wohl kann man die Frage aufwerfen, ob es ein gutes Modell ist, wenn einige wenige GFinanz- und Machteliten mit dem Rest der Menschheit nach Belieben spielen. In der Frankfurter Rundschau wird seit vielen Wochen das Thema ‚Gerechtigkeit‘ diskutiert (siehe zuletzt z.B. Mohssen Massarat, Prof. für Wirtschaft und Politik mit seiner Übersicht verschiedener Gerechtigkeitsmodelle, FR 15./16.Nov.2014, S.9) und die Lektüre eines Buches wie ‚Die Abwicklung‘ von George Packer zeigt, dass eine reflexionsfreie oligopolistische Gesellschaft wie die US-Amerikanische mehr Fragen aufwirft als sie befriedigende Antworten liefert.

8. Sieht man nur die bisherigen Diskussionsbeiträge, dann kann einen schon die klamme Frage beschleichen, warum so viele Autoren in den Spiegeln der Gegenwart immer nur noch ‚das Andere‘ sehen, die ‚Maschine‘, während der ‚Mensch‘, die ‚Menschheit‘ als Hervorbringer dieser Technologien in diesem Sichtfeld gar nicht mehr vorkommt. Es ist wie ein intellektueller blinder Fleck, der die leisesten Zuckungen von Maschinen wie eine Neugeburt feiert während das ungeheuerliche Wunder der Entstehung komplexer Lebensstrukturen auf der Erde (das bis heute in keiner Weise wirklich verstanden ist!) nicht einmal eine Randnotiz wert ist. Fokussierung auf spezifische Fragestellung hat seinen Sinn und ist und war ein Erfolgsrezept, aber in einer Zeit, in der disziplinenübergreifend komplexe Phänomene alles mit allem verzahnen, in einer solchen Zeit erscheint diese selbstgenügsame Tugend nicht mehr nur nicht angebracht, sondern geradezu kontraproduktiv zu sein. Eine falsche Fokussierung führt bei komplexen Phänomenen notwendigerweise zu Verzerrungen, zu Verfälschungen, zu falschen Bildern von der Gegenwart und einer sich daraus ergebenden Zukunft (es sei auch an die lange Diskussion in der FAZ erinnert zu den Schwachstellen moderner Betriebs- und Volkswirtschaftstheorien, die nicht nur die letzten Finanzkatastrophen nicht vorhergesehen haben, sondern auch mit ihrem Paradigma des ‚homo oeconomicus‘ empirisch weitgehend gescheitert sind.)

9. Wenn nun also Menschen selbst das Andere ihrer selbst anpreisen und sich selbst dabei ‚wegschweigen‘, ist damit die Geschichte des biologischen Lebens im Universum automatisch zu Ende oder unterliegen wir als menschlich Denkende hier nicht wieder einmal einem grundlegenden Denkfehler über die Wirklichkeit, wie andere Generationen vor uns auch schon in anderen Fragen?

10. Die Verabschiedung der UN-Menschenrechtskonvention von 1948, damals als ein Lichtblick angesichts der systematischen Greueltaten gegen die Juden (aber aber nicht nur dieser!) und der Beginn vieler anderer daran anknüpfenden Erklärungen und Initiativen erscheint vor den aktuellen gesellschaftlichen Prozessen weltweit fast schon seltsam. Dass ein totalitäres Regime wie das chinesische die Menschenrechte grundsätzlich nicht anerkennt (wohl aber chinesische Bürger, siehe die Charta 2008) ist offiziell gewollt, dass aber selbst demokratische Länder – allen voran die USA – mit den Menschenrechten scheinbar ’nach Belieben‘ umgehen, sozusagen, wie es ihnen gerade passt, dass wirkt wenig ermutigend und gibt Nahrung für Spekulationen, ob die Menschenrechte und die Mitgliedschaft in der UN nur davon ablenken sollen, was die Finanz- und Machteliten tatsächlich wollen. Die Zerstörung ganzer Gesellschaftsbereiche, die Marginalisierung großer Teile der Bevölkerung, die unbeschränkte Aufhebung der Privatsphäre ohne alle Kontrollen, die globale Ausbeutung der Schwachen durch Handelsabkommen … nur wenige Beispiele die eine andere Sprache sprechen, als jene, die in den Menschenrechten vorgezeichnet ist.

11. Noch einmal, was auffällt, ist die ‚Oberflächlichkeit‘ all dieser Bilder im wahrsten Sinn des Wortes: die schier unfassbare Geschichte der Evolution des Lebens im Universum existiert eigentlich nicht; das Wunder des Geistes inmitten materiell erscheinender Strukturen ist weitgehend unsichtbar oder ist eingesperrt in eine gesellschaftliche Enklave genannt ‚Kultur‘, die nahezu kontaktlos ist mit dem Rest des Wirtschaftens, Produzierens und Denkens; eine ‚Kultur der Sonntagsreden‘ und der ‚Belustigungen‘, ein Medium für die Eitelkeit der Reichen und der Unterhaltungsindustrie.

12. Innovation entsteht nie nur aus der Wiederholung des Alten, sondern immer auch aus der Veränderung des Alten, entsteht aus dem gezielt herbeigeführten ‚Risiko‘ von etwas ‚tatsächlich Neuem‘, dessen Eigenschaften und Wirkungen per se nicht vollständig vorher bekannt sein können.

13. Die, die aktuell neue Technologien hervorbringen und einsetzen wollen, erscheinen ‚innovativ‘ darin, dass sie diese hervorbringen, aber in der Art und Weise, wie sie das biologische Leben – speziell die Menschen – damit ‚arrangieren‘, wirken die meisten sehr ‚alt‘, ‚rückwärtsgewandt‘, …. Innovationen für das Menschliche stehen ersichtlich auf keiner Tagesordnung. Das Menschliche wird offiziell ‚konserviert‘ oder schlicht wegrationalisiert, weggeworfen, ‚entsorgt‘; hier manifestiert sich ein seltsamer Zug dazu, sich selbst zu entsorgen, sich selbst zu vernichten. Die Quelle aller Innovationen, das biologische Leben, hat in Gestalt der Menschheit einen ‚blinden Fleck‘: sie selbst als Quelle.

14. Der Mangel an Wissen war zu allen Zeiten ein Riesenproblem und Quelle vieler Notlagen und Gräueltaten. Dennoch hat die Menschheit trotz massiver Beschränkungen im Wissen neues Wissen und neue Strukturen entwickelt, die mehr Teilhabe ermöglichen, mehr Einsichten vermitteln, mehr Technologie hervorgebracht haben, ohne dass ein ‚externer Lehrer‘ gesagt hat, was zu tun ist… wie ja auch alle Kinder nicht lernen, weil wir auf sie einreden, sondern weil sie durch den bisherigen Gang der Evolution für ein kontinuierliches Lernen ausgestattet sind. … Der Geist geht dem Denken voraus, die Logik der Entwicklung liegt ‚in‘ der Materie-Energie.

15. So großartig Innovationen sein können, das größte Mirakel bleibt die Quelle selbst. Wunderbar und unheimlich zugleich.

QUELLEN

George Packer (3.Aufl. 2014), Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerika. Frankfurt am Main: S.Fischer Verlag GmbH (die engl. Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel ‚The Unwinding. An Inner History of the New America‘. New York: Farrar, Strauss and Giroux).

Einen Überblic über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

SASCHA LOBO: DIE DIGITALE KRÄNKUNG DES MENSCHEN – Eine Nachbemerkung

1) Am 12.Januar2014 erschien im Feuilleton der FAZ auf S.37 ein Beitrag von Sascha Lobo mit der Überschrift ‚Die digitale Kränkung des Menschen‘. Im Kern läuft sein Beitrag auf die Aussage hinaus — hierin Freud folgend –, dass nach den drei großen Kränkungen der Menschheit durch Kopernikus (1473-1543) (Erde nicht im Zentrum), Darwin (1809-1882)(Mensch ist Teil der allgemeinen biologischen Entwicklung), und Freud (1856-1939)(Abhängigkeit des Menschen vom Nicht-Bewussten) nun eine vierte große Kränkung stattgefunden hat, nämlich die ‚digitale Kränkung‘ durch die Entdeckung, dass das Internet, der vermeintlich freie Inkubationsraum einer neuen, globalen freien Gesellschaft, von den Wurzeln her und in all seinen Verästlungen einer vollständigen Überwachung (und auch möglicher Manipulation) durch die NSA — und anderer Geheimdienste — unterliegt.
2) Das Ganze bekommt eine sehr persönliche Note, da er sich damit ‚outet‘, dass er dies nicht nur persönlich als Kränkung empfindet, sondern dass er in diesen Erkenntnissen zugleich auch bei sich selbst eine totale Fehleinschätzung der Situation einräumen muss. Er, der Netzerklärer, fühlt sich vorgeführt, getäuscht, missbraucht. Er unterlässt es nicht, sich als Netzerklärer der Avantgarde zuzurechnen, die es liebt, sich vom ‚durchschnittlichen Bildungsbürger‘ abzugrenzen; zugleich räumt er in der Öffentlichkeit einen Irrtum ein (ein Dritter könnte bei ihm möglicherweise auch eine besondere Spielart von ‚Bildungsbürgertum‘ erkennen, das gerne über Voraussetzungen und Hintergründe hinwegsieht):
3) Denn, dies ist auffällig, bei allem Aufschrei über eine Kränkung, vermisst man eine wirkliche Analyse. Wieso konnte es denn zu solch einem Irrtum kommen? Warum ist das Internet nicht die schöne, heile Welt der Freigeister sondern der Kampfplatz der Geheimdienste?
4) Anstatt Freud einfach nur zu zitieren mit den drei Kränkungen könnte Lobo ja auch diese vorausgegangenen sogenannten ‚Kränkungen‘ hinterfragen. Lobo hätte ja fragen können, ob denn die neuen Erkenntnisse von Kopernikus (und der anderen Wissenschaftler in seinem Gefolge) wirklich eine ‚Kränkung‘ waren oder nicht eher doch eine ‚Befreiung aus der Dunkelheit eines Nichtwissens‘, das sich der Naivität eines Alltagsbewusstseins verdankt, das alles nimmt, wie es ist, anstatt nachzufragen, warum das so ist (und darin ein beliebiger Spielball der aktuell Mächtigen).
5) Ferner hätte Lobo fragen können, ob die Einsichten von Darwin (und vieler anderer) nicht ebenfalls eine Befreiung aus einer tiefen Finsternis von Unkenntnis waren, indem er (mit vielen anderen) aufdecken konnte, dass es zwischen den Lebensformen zu unterschiedlichen Zeitpunkten kausale Verbindungen gibt, die bis in die frühesten Zeiten des Lebens auf dem Planeten Erde zurückweisen. Wiederum waren es Unwissenheit, durch Religionen motivierte Vorurteile und Machtinteressen, die diese Einsichten ‚unpassend‘ fanden, ’störend‘, ‚gefährlich‘, ein Abwehrverhalten, das bis heute anhält (in den USA halten im Jahr 2014 28% der Männer und 38% der Frauen die Evolutionstheorie für falsch).
6) Die Einsichten von Freud in die Abhängigkeit des Bewussten vom Nichtbewussten, heute mehr und mehr vertieft durch das Zusammenwirken von Neurowissenschaften und Psychologie, sind auch nur solange eine Kränkung, als man einem falschen Bild vom Körper, dem Gehirn, dem Psychischen, dem Erkennen anhing. Für Wissenschaftler, Aufklärer und alle ’normalen‘ Menschen kann es wiederum nur eine Befreiung von falschen Bildern über die Welt, insbesondere über den Menschen, sein. Auch das hätte Sascha Lobo hinterfragen können.
7) Würde Lobo den Spuren der Evolutionstheorie folgen, dann würde er u.a. feststellen können, dass die biologische Evolution nur die Fortsetzung einer kosmologischen und chemischen Evolution ist, die sich zu einer kulturellen und technologischen Evolution erweitert haben, innerhalb deren das Internet nur ein kleiner Ausschnitt der Entwicklung darstellt.
8) Ein anderer Ausschnitt wird gebildet von den Systemen der Machtregulierung, die mit den Systemen der neuzeitlichen Demokratien eine sehr innovative und hochkomplexe Form gefunden haben, die sich in einem permanenten ‚Gleichgewichtskampf‘ befinden. Am Beispiel der US-amerikanischen Demokratie kann man beobachten, wie diese seit dem 2.Weltkrieg dabei ist, von ‚innen‘ heraus, von der Exekutive aus, ‚ausgehöhlt‘ bzw. fast ganz ’neutralisiert‘ zu werden. Unter dem alles erschlagenden Motto ‚Nationale Sicherheit‘ wurden und werden nahezu alle Gesetze und Kontrollinstanzen ausgehebelt und parallel wurde ein weltumspannendes imperiales System aufgebaut, das systemisch keinen Spielraum mehr kennt. Dass die USA noch nicht in eine völlige Diktatur abgeglitten sind ist systembedingt nicht zu erklären; irgendwie müssen es viele wunderbare Menschen sein, die das letzte Umkippen aktuell noch verhindern. Die Exekutive selbst lässt nur eine Richtung erkennen: noch mehr Kontrolle ‚von innen‘ und noch weniger Kontrolle ‚von außerhalb‘ des Systems.
9) Diese Vorgänge in den USA sind öffentlich zugänglich und erklären, warum das Internet vor diesem Hintergrund nicht das Internet sein kann, was sich Sascha Lobo wünscht. Warum denkt Lobo darüber nicht nach? Warum interessiert ihn das demokratische System als solches nicht? Das bundesrepublikanische demokratische System hat in den letzten Monaten dramatische Schwachstellen offenbart. Alle zuständigen Stellen — einschließlich der Kanzlerin — haben sich nicht nur einer echten Aufklärung verweigert, sie haben sich selbst auch als radikal anti-demokratisch verhalten. In Sonntagsreden wird vor rechten, linken und muslimischen Fundamentalisten gewarnt, im konkreten Alltag wird aber die demokratische Öffentlichkeit von den gleichen Politikern und politischen Beamten (einschließlich Bundesstaatsanwalt) massiv für Dumm verkauft und geradezu zynisch belogen. So zerstört man eine demokratische Öffentlichkeit und damit auf Dauer nachhaltig eine Demokratie. In Sonntagsreden werden Menschen wie Gandhi, Martin Luther King oder Mandela wegen ihrem Widerstand gegen einen unmenschlichen Staat gefeiert; mit einem Edward Snowden will man aber niemand reden (Lob für Ströbele, der es dennoch tat). So zerstört man Demokratie.
10) Sascha Lobo trauert um den Verlust seiner Unschuld. Immerhin scheint er zu merken, dass seine Spielwiese Internet etwas mit dem Funktionieren oder nicht Funktionieren der Demokratie zu tun hat. Vielleicht führt diese Krise ihn ja dazu, dass er für uns alle künftig für unsere gemeinsame Demokratie mitkämpft. Dann hätte diese Krise ein Gutes. Einer mehr für eine gemeinsame demokratische Zukunft, und damit für ein freies Internet.

HABEN WIR EIN PROBLEM? – Zur Problematik des kognitiven WIR-Modells

ALLTÄGLICHE PROBLEME

1. Wenn man sich die täglichen Nachrichtenmeldungen anschaut, die über die diversen Medien zugänglich sind — trotz ihrer großen Zahl sicher nur eine kleine Auswahl dessen, was tatsächlich alles passiert –, dann könnte man dazu neigen, zu sagen, dass die Frage aus der Überschrift dumm und lächerlich ist: natürlich haben wir Probleme, viel zu viele.
2. Doch sind diese ‚täglichen Probleme‘ nicht das, was ich meine. Dass einzelne Personen gestresst sind, krank werden, leiden, sterben, überall auf der Welt, in jedem Land (wenn auch mit unterschiedlichen Randbedingungen), das gehört quasi zum konkreten Leben dazu. Dafür kann man ‚Randbedingungen‘ verantwortlich machen: Gesetze, wirtschaftliche Bedingungen, korrupte Verhaltensweisen von Institutionen, schlechte Organisationen von Institutionen, spezielle agrarische oder klimatische Konstellationen, usw. Mit diesen kann (und muss!) man sich auseinandersetzen.
3. Man kann das Ganze auch noch eine Nummer größer betrachten: den Einfluss ganzer Nationen oder gar der ganzen Menschheit auf die Natur: Auslutschen vorhandener nicht erneuerbarer Ressourcen, Umweltzerstörungen als Einengung der verfügbaren Lebensbasis, Zerstörung der Ökologie der Meere bis hin zur Ausrottung von immer mehr Lebensformen im Meer, Vernichtung von Lebensformen auf dem Land, Verlust der Kontrolle wichtiger Wachstumsprozesse, usw. Auch mit diesen müssen wir uns auseinandersetzen, wollen wir überleben. Wobei man sich hier fragen ob wir überhaupt ‚überleben wollen‘? Und wer sind ‚wir‘? Gibt es dieses ‚wir‘ überhaupt, das sich über alle Kulturen und Nationen hinweg als ‚innere Einheit‘ in der Vielfalt zeigt, die aus Vielfalt kein ‚Chaos‘ macht, sondern ’nachhaltige Ordnung‘?

TREND DER EVOLUTION

4. Hier nähern wir uns dem, was ich mit ‚Problem‘ meine. Wenn alle bisherigen Überlegungen im Blog zutreffen, dann manifestiert sich die Besonderheit des Phänomens Lebens in dem unübersehbaren ‚Trend‘ zu immer mehr Komplexität in mindestens den folgenden Richtungen: (i) individuelle biologische Systeme werden immer komplexer; (ii) dadurch werden immer komplexere Interaktionen und damit Koordinierungen möglich; (iii) es entstehen biologisch inspirierte nicht-biologische Systeme als artifizielle (= technologische) Systeme, die in das biologische Gesamtphänomen integriert werden; (iv) sowohl das Individuum als auch die Gesamtheit der Individuen unterstützt von der Technologie wirken immer intensiver und nachhaltiger auf ’sich selbst‘ und auf das Gesamtsystem zurück; (v) aufgrund der entstandenen kulturellen Vernetzungsmuster (schließt politische Subsysteme mit ein) können einzelne Individuen eine ‚Verfügungsgewalt‘ bekommen, die es ihnen erlaubt, als individuelle Systeme (trotz extrem limitierten Verstehen) große Teile des Gesamtsystems konkret zu verändern (positiv wie negativ); (vi) die schiere Zahl der Beteiligten und die anschwellende Produktion von Daten (auch als Publikationen) hat schon lange die Verarbeitungskapazität einzelner Individuen überschritten. Damit verlieren kognitive Repräsentationen im einzelnen mehr und mehr ihren Zusammenhang. Die Vielfalt mutiert zu einem ‚kognitiven Rauschen‘, durch das eine ‚geordnete‘ kognitive Verarbeitung praktisch unmöglich wird.

VERANTWORTUNG, KOORDINIERUNG, WIR

5. Die Frage nach der ‚Verantwortung‘ ist alt und wurde zu allen Zeiten unterschiedlich beantwortet. Sie hat eine ‚pragmatische‘ Komponente (Notwendigkeiten des konkreten Überlebens) und eine ‚ideologische‘ (wenige versuchen viele für ihre persönlichen Machtinteressen zu instrumentalisieren). Der ‚Raum‘ der ‚Vermittlung von Verantwortung‘ war und ist immer der Raum der ‚Interaktion und Koordination‘: dort, wo wir versuchen, uns zu verständigen und uns zu koordinieren, dort stehen wir vor der Notwendigkeit, uns wechselseitig Dinge zu ‚repräsentieren‘, damit evtl. zu ‚erklären‘, und dadurch vielleicht zu ‚motivieren‘. Ein mögliches ‚WIR‘ kann nur in diesem Wechselspiel entstehen. Das ‚WIR‘ setzt die Dinge zueinander in Relation, gibt dem einzelnen seine ‚individuelle Rolle‘. Nennen wir das ‚Repräsentieren von Gemeinsamkeiten‘ und die damit evtl. mögliche ‚Erklärung von Gegebenheiten‘ mal das ‚kognitive WIR-Modell‘.

6. Es kann sehr viele kognitive WIR-Modelle geben: zwischen zwei Personen, zwischen Freunden, in einer Institution, in einer Firma, in einem Eisenbahnabteil, …. sie alle bilden ein ‚Netzwerk‘ von kognitiven WIR-Modellen; manche kurzfristig, flüchtig, andere länger andauernd, nachhaltiger, sehr verpflichtend. Kognitive WIR-Modelle sind die ‚unsichtbaren Bindeglieder‘ zwischen allen einzelnen.

KOGNITIVE WIR-MODELLE IM STRESS

7. Jeder weiß aus seiner eigenen Erfahrung, wie schwer es sein kann, schon alleine zwischen zwei Personen ein kognitives WIR-Modell aufzubauen, das die wichtigsten individuellen ‚Interessen‘ ‚befriedigend‘ ‚integriert/erklärt‘. Um so schwieriger wird es, wenn die Zahl der Beteiligten zunimmt bzw. die Komplexität der Aufgabe (= wir sprechen heute oft und gerne von ‚Projekten‘) ansteigt. Der Bedarf an Repräsentationen und vermittelnder Erklärung steigt rapide. Die verfügbare Zeit nimmt in der Regel aber nicht entsprechend zu. Damit steigt der Druck auf alle Beteiligten und die Gefahr von Fehlern nimmt überproportional zu.
8. Man kann von daher den Eindruck gewinnen, dass das Problem der biologischen Evolution in der aktuellen Phase immer mehr zu einem Problem der ‚angemessenen kognitiven Repräsentation‘ wird, gekoppelt an entsprechende ‚koordinierende Prozesse‘. Moderne Technologien (speziell hier Computer und Computernetzwerke) haben zwar einerseits das Repräsentieren und die ‚Gemeinsamkeit‘ des Repräsentierten dramatisch erhöht, aber die kognitiven Prozesse in den individuellen biologischen Systemen hat nicht in gleicher Weise zugenommen. Sogenannte soziale Netze haben zwar gewisse ‚Synchronisationseffekte‘ (d.h. immer mehr Gehirne werden auf diese Weise ‚kognitive gleichgeschaltet), was den Aufbau eines ‚kognitiven WIRs‘ begünstigt, aber durch den limitierenden Faktor der beteiligten individuellen Gehirne kann die Komplexität der Verarbeitung in solchen sozialen Netzen nie sehr hoch werden. Es bilden sich ‚kognitive WIR-Modell Attraktoren‘ auf niedrigem Niveau heraus, die die beteiligten als ‚kognitiv angenehm‘ empfinden können, die aber die tatsächlichen Herausforderungen ausklammern.

OPTIMIERUNG VON KOGNITIVEN WIR-MODELLEN

9. An dieser Stelle wäre auch die Rolle der offiziellen Bildungsinstitutionen (Kindergarten, Schule, Betrieb, Hochschule…), zu reflektieren. In welchem Sinne sind sie bereit und fähig, zu einer Verbesserung der kognitiven WIR-Modelle beizutragen?
10. Das Problem der ‚Optimierung‘ der kognitiven Selbstmodelle verschärft sich dadurch, dass man allgemein einen Sachverhalt X nur dann optimieren kann, wenn man einen Rahmen Y kennt, in den man X so einordnen kann, dass man weiß, wie man unter Voraussetzung des Rahmens Y einen Sachverhalt X zu einem Sachverhalt X+ optimieren kann. Der ‚Rahmen‘ ist quasi ein ‚kognitives Meta-Modell‘, das einen erst in die Lage versetzt, ein konkretes Objekt-Modell zu erarbeiten. Im Alltag sind diese ‚Rahmen‘ bzw. ‚Meta-Modelle‘ die ‚Spielregeln‘, nach denen wir vorgehen. In jeder Gesellschaft ist grundlegend (oft implizit, ’stillschweigend‘) geregelt, wann und wie eine Person A mit einer Person B reden kann. Nicht jeder darf mit jedem zu jedem Zeitpunkt über alles reden. Es gibt feste Rituale; verletzt man diese, kann dies weitreichende Folgen haben, bis hin zum Ausschluss aus allen sozialen Netzen.
11. Sollen also die kognitiven WIR-Modelle im großen Stil optimiert werden, brauchen wir geeignete Meta-Modelle (Spielregeln), wie wir dies gemeinsam tun können. Einfache Lösungen dürfte in diesem komplexen Umfeld kaum geben; zu viele Beteiligten und zu viele unterschiedliche Interessen sind hier zu koordinieren, dazu ist die Sache selbst maximal komplex: es gibt — nach heutigem Wissensstand — kein komplexeres Objekt im ganzen Universum wie das menschliche Gehirn. Das Gehirn ist so komplex, dass es sich prinzipiell nicht selbst verstehen kann (mathematischer Sachverhalt), selbst wenn es alle seine eigenen Zustände kennen würde (was aber nicht der Fall ist und auch niemals der Fall sein kann). Die Koordinierung von Gehirnen durch Gehirne ist von daher eigentlich eine mathematisch unlösbare Aufgabe. Dass es dennoch bis jetzt überhaupt soweit funktioniert hat, erscheint nur möglich, weil es möglicherweise ‚hinter‘ den beobachtbaren Phänomenen Gesetzmäßigkeiten gibt, die ‚begünstigen‘, diese unfassbare Komplexität partiell, lokal ‚einzuschränken‘.

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