Heutzutage das Wort ‚Gott‘ in den Mund zu nehmen ist unmittelbar ein Akt potentieller Selbstzerstörung. Angesichts der vielen, fast schon unzählbar vielen, Strömungen, Richtungen, Bewegungen, Vereinigungen und Kirchen, die je auf ihre Weise einen Deutungsanspruch auf das Wort ‚Gott‘ anmelden, und mindestens genauso vielen, die dem Wort ‚Gott‘ jegliche Deutung absprechen, ist jeder individuelle Sprechakt, in dem man die Wortmarke ‚Gott‘ benutzt, genauso vielen Deutungsakten ausgesetzt, wie es verbreitete Meinungen zur Wortmarke ‚Gott‘ gibt.
Als Autor dieses Textes kann ich zwar versuchen, mich formell von jenen Deutungsansprüchen abzugrenzen, die ich aus meinen eigenen Gründen für unpassend oder gar falsch empfinde, dies wird aber engagierte Vertreter anderer Deutungsversuche kaum bis gar nicht beeindrucken. Es ist ein Wesenszug von uns Menschen, dass wir dazu tendieren, das Bild von der Welt, welches wir aktuell in unserem Kopf mit uns herumtragen, zum Maßstab für die Welt zu machen, selbst wenn es vollständig falsch ist. Falschen Bildern in unserem Kopf kann man nicht direkt ansehen, dass sie falsch sind! Sie riechen nicht schlecht, sie verursachen keine direkte Schmerzen, sie kommentieren sich nicht selbst, sie sind da, in unserem Kopf, und lassen uns die Welt sehen, wie diese Bilder die Welt in unserem Kopf vorzeichnen. Solche falschen Bilder in unserem Kopf zu erkennen, sich von ihnen zu befreien, ist eine eigene Lebenskunst, eine Kulturtechnik, die zu beherrschen, selbst für die Besten, immer nur im Modus der kontinuierlichen Annäherung gelingt, wenn überhaupt.
Aufgrund dieses umfassenden Dilemmas überhaupt nichts mehr zu sagen scheint auch keine attraktive Verhaltensweise zu sein. Damit würde man nicht nur sich selbst möglicher Erkenntnisse berauben, nein, man würde auch jenen, die aktuell ein anderes Bild von der Welt haben, die Chance nehmen, im Handeln eines anderen Menschen etwas zu erfahren, was von seinem aktuellen Weltbild abweicht. Das Auftreten einer Differenz zum eigenen Bild, das Sich-Ereignen von etwas Anderem, kann immer eine vorzügliche Gelegenheit sein, auf Unterschiede zum eigenen aktuellen Bild aufmerksam zu werden, der mögliche kleine Anstoß, der zum Nachdenken über sein eigenes aktuelles Bild anregt. Viele Wochen, Monate, gar Jahre oder Jahrzehnte mögen solche auftretenden Differenzen scheinbar keine Wirkung zeigen, aber dann kann dieser magische Moment eintreten, in welchem dem Inhaber eines bestimmten Weltbildes nachhaltig dämmert, dass sein vertrautes Bild – zumindest an dieser einen Stelle – falsch ist. Diese kleine Verschiebung kann andere Verschiebungen nach sich ziehen, und aus vielen solchen kleinen Verschiebungen kann plötzlich eine ganze Lawine ins Rollen kommen, die zu einer völligen Neuausrichtung des eigenen Weltbildes führt. Aus Verfolgern werden plötzlich Anhänger, aus gequälten Menschen werden plötzlich begeisterte Befürworter, aus Gegnern werden Freunde, ein zerstrittenes Land findet zu einer, für unmöglich gehaltenen, neuen Einheit.
DIE ANDERSHEIT IST LEBENSWICHTIG
Ja, es ist dieses Auftreten von Andersheiten, Neuheiten, welche die Voraussetzung dafür sind, dass wir in unserem Wahrnehmen und Deuten darauf aufmerksam werden können, dass unser aktuelles Weltbild möglicherweise unpassend, unangemessen, falsch ist. In starren, scheinbar unveränderlichen Umgebungen ist das kognitive Reizklima zur Entstehung von Andersheit gering; damit auch die Chance für den Inhaber eines Weltbildes sehr klein, die mögliche Fehlerhaftigkeit seines Weltbildes zu bemerken. Erhöht man die Intensität des kognitiven Reizklimas, nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass man Unterschiede zum eigenen aktuellen Weltbild bemerkt, dass diese Unterschiede zum Anlass werden, über das eigene Weltbild neu nachzudenken. Die besten Mittel zur Erhöhung des kognitiven Reizklimas sind Vielfalt und Veränderungen.
Beim individuellen Menschen kann man aber kulturübergreifend feststellen, dass er, wenn er nicht in einer Notsituation ist, nicht in einer Anforderungssituation, stark dazu tendiert, die als angenehm empfundene Situation zu stabilisieren, zu konservieren, sie abzusichern. Möglichst nichts verändern. Stillstand; eine Art ‚stehendes Gewässer‘.
Von der Gehirnforschung heute wissen wir, dass das Gehirn ein lebendes, dynamisches Netzwerk von Zellen ist, die hochsensibel auf Veränderungen reagieren. Wird das Gehirn beansprucht, dann ist es aktiv, Zellen differenzieren und verbinden sich; ist es weniger aktiv, dann sterben Verbindungen und Zellen ab. Das Gehirn schaltet sich gleichsam selbst ab (Energie sparen!). Diese partielle Selbstabschaltung vermindert Erregungen, Interessen, Aktivitäten, was in einer negativen Spirale dazu führt, dass der Inhaber dieses Gehirns tendenziell noch weniger macht, was das Gehirn weiter abschwächt.
WIR SIND EXPERIMENTELL GEWORDENE
Betrachtet man den größeren Rahmen, den individuellen Menschen als Teil der ganzen Population des homo sapiens (sapiens), diesen wiederum als Teil des gesamten biologischen Lebens, dann wird schnell klar, warum Veränderung so wichtig ist (Siehe Schaubild)
Wir Menschen als Mitglieder der Art homo sapiens, stehen am Ende eines langen Stammbaums von Lebensformen, der nach heutigem Wissen mindestens 3.5 Milliarden Jahre zurück reicht. Die Geschichte, die dieser Stammbaum erzählt, ist die Geschichte einer sehr langen Kette von Experimenten des Lebens mit sich selbst, um auf die sich ständig verändernde Situation auf der Erde jene überlebenswirksamen Strukturen, Funktionen und Interaktionen zu finden, die ein Leben auf der Erde ermöglichen. Immer wieder sind Lebensformen ausgestorben; in manchen Phasen bis zu 90% (manche schätzen sogar bis zu 99%) aller Lebensformen auf der Erde. Vor diesem Bild erscheint das Leben keinesfalls als ein ruhiges, gefälliges Dasein, dessen höchstes Ziel die Selbstgenügsamkeit ist, die Ruhe, das Nichtstun, die Gleichförmigkeit, sondern das genaue Gegenteil. Leben auf der Erde war und ist immer ein intensiver Prozess des Findens, Umbauens, Ausprobierens, Testens mit einem kontinuierlich hohen Risikoanteil, der den individuellen Tod als konstitutiven Erneuerungsfaktor umfasst.
Dass bei diesem Überlebens-Findungs-Prozess ‚Bilder im Kopf‘ überhaupt eine Rolle spielen, ist vergleichsweise neu. Wann diese Fähigkeit im großen Maßstab wirksam wird, ist möglicherweise nicht genau zu datieren; klar ist aber, dass spätestens mit dem Auftreten des homo sapiens eine Lebensform auftrat, die ganz klar die Gegenwart durch Abstraktion, Gedächtnis, Vergleichen, Kombinieren, Bewerten, Planen und Experimentieren durchbrechen und überwinden konnte. Spätestens mit dem homo sapiens hat sich die Situation des Lebens auf der Erde grundlegend gewandelt. Mit einem Mal konnte man in die Vergangenheit und hinter die Phänomene schauen. Mit einem Male konnte man die sich verändernden Phänomene der Erde und des Lebens im Kopf einsammeln, sortieren, neu zusammenbauen und nach verborgenen Regeln und Dynamiken suchen. Mit einem Mal begann die materielle Welt sich im Virtuellen des gehirnbasierten Denkens zu verdoppeln. Von jetzt ab gab es die gedachte virtuelle Welt im Kopf und die reale Welt drum herum, die auch den Körper mit dem Gehirn stellte. Die physikalische Welt schenkte sich im denkenden Gehirn eine Art ‚Spiegel‘, in dem sie sich selbst anschauen konnte, und zwar in jedem Gehirn, tausendfach, millionenfach, milliardenfach. In der Virtualität des Denkens vervielfältigte sich die Erde. Was war jetzt die wahre Welt: jene, die Körper, Gehirne und Denken ermöglicht oder jene, die im Denken virtuell erstand; für den Denkenden die primäre Realität; für die reale Welt ein sekundäres Abbild. Die gedachte Welt kann falsch sein.
1. Wenn man sich die täglichen Nachrichtenmeldungen anschaut, die über die diversen Medien zugänglich sind — trotz ihrer großen Zahl sicher nur eine kleine Auswahl dessen, was tatsächlich alles passiert –, dann könnte man dazu neigen, zu sagen, dass die Frage aus der Überschrift dumm und lächerlich ist: natürlich haben wir Probleme, viel zu viele.
2. Doch sind diese ‚täglichen Probleme‘ nicht das, was ich meine. Dass einzelne Personen gestresst sind, krank werden, leiden, sterben, überall auf der Welt, in jedem Land (wenn auch mit unterschiedlichen Randbedingungen), das gehört quasi zum konkreten Leben dazu. Dafür kann man ‚Randbedingungen‘ verantwortlich machen: Gesetze, wirtschaftliche Bedingungen, korrupte Verhaltensweisen von Institutionen, schlechte Organisationen von Institutionen, spezielle agrarische oder klimatische Konstellationen, usw. Mit diesen kann (und muss!) man sich auseinandersetzen.
3. Man kann das Ganze auch noch eine Nummer größer betrachten: den Einfluss ganzer Nationen oder gar der ganzen Menschheit auf die Natur: Auslutschen vorhandener nicht erneuerbarer Ressourcen, Umweltzerstörungen als Einengung der verfügbaren Lebensbasis, Zerstörung der Ökologie der Meere bis hin zur Ausrottung von immer mehr Lebensformen im Meer, Vernichtung von Lebensformen auf dem Land, Verlust der Kontrolle wichtiger Wachstumsprozesse, usw. Auch mit diesen müssen wir uns auseinandersetzen, wollen wir überleben. Wobei man sich hier fragen ob wir überhaupt ‚überleben wollen‘? Und wer sind ‚wir‘? Gibt es dieses ‚wir‘ überhaupt, das sich über alle Kulturen und Nationen hinweg als ‚innere Einheit‘ in der Vielfalt zeigt, die aus Vielfalt kein ‚Chaos‘ macht, sondern ’nachhaltige Ordnung‘?
TREND DER EVOLUTION
4. Hier nähern wir uns dem, was ich mit ‚Problem‘ meine. Wenn alle bisherigen Überlegungen im Blog zutreffen, dann manifestiert sich die Besonderheit des Phänomens Lebens in dem unübersehbaren ‚Trend‘ zu immer mehr Komplexität in mindestens den folgenden Richtungen: (i) individuelle biologische Systeme werden immer komplexer; (ii) dadurch werden immer komplexere Interaktionen und damit Koordinierungen möglich; (iii) es entstehen biologisch inspirierte nicht-biologische Systeme als artifizielle (= technologische) Systeme, die in das biologische Gesamtphänomen integriert werden; (iv) sowohl das Individuum als auch die Gesamtheit der Individuen unterstützt von der Technologie wirken immer intensiver und nachhaltiger auf ’sich selbst‘ und auf das Gesamtsystem zurück; (v) aufgrund der entstandenen kulturellen Vernetzungsmuster (schließt politische Subsysteme mit ein) können einzelne Individuen eine ‚Verfügungsgewalt‘ bekommen, die es ihnen erlaubt, als individuelle Systeme (trotz extrem limitierten Verstehen) große Teile des Gesamtsystems konkret zu verändern (positiv wie negativ); (vi) die schiere Zahl der Beteiligten und die anschwellende Produktion von Daten (auch als Publikationen) hat schon lange die Verarbeitungskapazität einzelner Individuen überschritten. Damit verlieren kognitive Repräsentationen im einzelnen mehr und mehr ihren Zusammenhang. Die Vielfalt mutiert zu einem ‚kognitiven Rauschen‘, durch das eine ‚geordnete‘ kognitive Verarbeitung praktisch unmöglich wird.
VERANTWORTUNG, KOORDINIERUNG, WIR
5. Die Frage nach der ‚Verantwortung‘ ist alt und wurde zu allen Zeiten unterschiedlich beantwortet. Sie hat eine ‚pragmatische‘ Komponente (Notwendigkeiten des konkreten Überlebens) und eine ‚ideologische‘ (wenige versuchen viele für ihre persönlichen Machtinteressen zu instrumentalisieren). Der ‚Raum‘ der ‚Vermittlung von Verantwortung‘ war und ist immer der Raum der ‚Interaktion und Koordination‘: dort, wo wir versuchen, uns zu verständigen und uns zu koordinieren, dort stehen wir vor der Notwendigkeit, uns wechselseitig Dinge zu ‚repräsentieren‘, damit evtl. zu ‚erklären‘, und dadurch vielleicht zu ‚motivieren‘. Ein mögliches ‚WIR‘ kann nur in diesem Wechselspiel entstehen. Das ‚WIR‘ setzt die Dinge zueinander in Relation, gibt dem einzelnen seine ‚individuelle Rolle‘. Nennen wir das ‚Repräsentieren von Gemeinsamkeiten‘ und die damit evtl. mögliche ‚Erklärung von Gegebenheiten‘ mal das ‚kognitive WIR-Modell‘.
6. Es kann sehr viele kognitive WIR-Modelle geben: zwischen zwei Personen, zwischen Freunden, in einer Institution, in einer Firma, in einem Eisenbahnabteil, …. sie alle bilden ein ‚Netzwerk‘ von kognitiven WIR-Modellen; manche kurzfristig, flüchtig, andere länger andauernd, nachhaltiger, sehr verpflichtend. Kognitive WIR-Modelle sind die ‚unsichtbaren Bindeglieder‘ zwischen allen einzelnen.
KOGNITIVE WIR-MODELLE IM STRESS
7. Jeder weiß aus seiner eigenen Erfahrung, wie schwer es sein kann, schon alleine zwischen zwei Personen ein kognitives WIR-Modell aufzubauen, das die wichtigsten individuellen ‚Interessen‘ ‚befriedigend‘ ‚integriert/erklärt‘. Um so schwieriger wird es, wenn die Zahl der Beteiligten zunimmt bzw. die Komplexität der Aufgabe (= wir sprechen heute oft und gerne von ‚Projekten‘) ansteigt. Der Bedarf an Repräsentationen und vermittelnder Erklärung steigt rapide. Die verfügbare Zeit nimmt in der Regel aber nicht entsprechend zu. Damit steigt der Druck auf alle Beteiligten und die Gefahr von Fehlern nimmt überproportional zu.
8. Man kann von daher den Eindruck gewinnen, dass das Problem der biologischen Evolution in der aktuellen Phase immer mehr zu einem Problem der ‚angemessenen kognitiven Repräsentation‘ wird, gekoppelt an entsprechende ‚koordinierende Prozesse‘. Moderne Technologien (speziell hier Computer und Computernetzwerke) haben zwar einerseits das Repräsentieren und die ‚Gemeinsamkeit‘ des Repräsentierten dramatisch erhöht, aber die kognitiven Prozesse in den individuellen biologischen Systemen hat nicht in gleicher Weise zugenommen. Sogenannte soziale Netze haben zwar gewisse ‚Synchronisationseffekte‘ (d.h. immer mehr Gehirne werden auf diese Weise ‚kognitive gleichgeschaltet), was den Aufbau eines ‚kognitiven WIRs‘ begünstigt, aber durch den limitierenden Faktor der beteiligten individuellen Gehirne kann die Komplexität der Verarbeitung in solchen sozialen Netzen nie sehr hoch werden. Es bilden sich ‚kognitive WIR-Modell Attraktoren‘ auf niedrigem Niveau heraus, die die beteiligten als ‚kognitiv angenehm‘ empfinden können, die aber die tatsächlichen Herausforderungen ausklammern.
OPTIMIERUNG VON KOGNITIVEN WIR-MODELLEN
9. An dieser Stelle wäre auch die Rolle der offiziellen Bildungsinstitutionen (Kindergarten, Schule, Betrieb, Hochschule…), zu reflektieren. In welchem Sinne sind sie bereit und fähig, zu einer Verbesserung der kognitiven WIR-Modelle beizutragen?
10. Das Problem der ‚Optimierung‘ der kognitiven Selbstmodelle verschärft sich dadurch, dass man allgemein einen Sachverhalt X nur dann optimieren kann, wenn man einen Rahmen Y kennt, in den man X so einordnen kann, dass man weiß, wie man unter Voraussetzung des Rahmens Y einen Sachverhalt X zu einem Sachverhalt X+ optimieren kann. Der ‚Rahmen‘ ist quasi ein ‚kognitives Meta-Modell‘, das einen erst in die Lage versetzt, ein konkretes Objekt-Modell zu erarbeiten. Im Alltag sind diese ‚Rahmen‘ bzw. ‚Meta-Modelle‘ die ‚Spielregeln‘, nach denen wir vorgehen. In jeder Gesellschaft ist grundlegend (oft implizit, ’stillschweigend‘) geregelt, wann und wie eine Person A mit einer Person B reden kann. Nicht jeder darf mit jedem zu jedem Zeitpunkt über alles reden. Es gibt feste Rituale; verletzt man diese, kann dies weitreichende Folgen haben, bis hin zum Ausschluss aus allen sozialen Netzen.
11. Sollen also die kognitiven WIR-Modelle im großen Stil optimiert werden, brauchen wir geeignete Meta-Modelle (Spielregeln), wie wir dies gemeinsam tun können. Einfache Lösungen dürfte in diesem komplexen Umfeld kaum geben; zu viele Beteiligten und zu viele unterschiedliche Interessen sind hier zu koordinieren, dazu ist die Sache selbst maximal komplex: es gibt — nach heutigem Wissensstand — kein komplexeres Objekt im ganzen Universum wie das menschliche Gehirn. Das Gehirn ist so komplex, dass es sich prinzipiell nicht selbst verstehen kann (mathematischer Sachverhalt), selbst wenn es alle seine eigenen Zustände kennen würde (was aber nicht der Fall ist und auch niemals der Fall sein kann). Die Koordinierung von Gehirnen durch Gehirne ist von daher eigentlich eine mathematisch unlösbare Aufgabe. Dass es dennoch bis jetzt überhaupt soweit funktioniert hat, erscheint nur möglich, weil es möglicherweise ‚hinter‘ den beobachtbaren Phänomenen Gesetzmäßigkeiten gibt, die ‚begünstigen‘, diese unfassbare Komplexität partiell, lokal ‚einzuschränken‘.
Ein Überblück über alle Blogeinträge nach Themen findet sich HIER
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich einen losen Kontakt mit dem Salon Slalom (URL: http://salonslalom.wordpress.com/salon-slalom/). Ein Team von aktuell fünf Personen organisiert gemeinsame Veranstaltungen zu allen möglichen Themen, meist aus den Reihen der Salon-Mitglieder. Das Besondere daran ist, dass es keinen festen Ort gibt. Die Veranstaltungen sind je nach Thema irgendwo, teilweise auch draußen. Ich war z.B. einmal bei einer sehr inspirierenden Veranstaltung mit einem Holzkünstler im Taunus. Irgendwann hatte ich auch mal zugesagt, einen Abend zu gestalten. Die Ankündigung findet sich hier:
Durch einen akuten Wintereinbruch mit starkem Schneefall wurde die Anreise für alle TeilnehmerInnen an diesem Abend zu einem kleinen Abenteuer. Dazu noch die Lage des INM im Osthafen, zwischen lauter Logistikunternehmen, im vierten Stock auf dem Dach eines alten Bunkers, ohne Aufzug (die Städte nehmen es in ihren eigenen Gebäuden mit der Barrierefreiheit nicht so genau…). Aber der Raum füllte sich dann doch.
Harakiri?
Angeregt durch die offene Atmosphäre des Salons hatte ich mir vorgenommen, meine aktuellen Gedanken zum neuen Welt- und Menschenbild so zusammen zu stellen, dass man zumindest ahnen konnte, wie das Wissen um den Menschen, die Evolution, und die Computer sich wechselseitig verschränken. Angereichert wurde das Ganze noch durch kurze Schilderungen meiner Radically Unplugged Music Selbstversuche mit Klangbeispielen (Startseite für die RUM-Experimente ist: http://www.doeben-henisch.de/sounds/index.html). Die Stücke, die ich für diesen Abend ausgewählt hatte, stammten von meiner provisorischen ‚Playlist‘: http://www.doeben-henisch.de/sounds/playlist). Natürlich weiß man vorher nie, wie die TeilnehmerInnen auf das alles reagieren.
Nach der Begrüßung und einigen einleitenden Worten habe ich erst mal ein Stück zur Einstimmung gespielt:
Thunderstorm Dancing Ahead of (Version c) Interesting, somehow I was nearly sleeping after a long day, but when I started the recorder and started playing I became awake again….somewhere in the night…
Fügte noch hinzu, dass ich im Sommer 2010 kurz vorher ein kleines Aufnahmegerät gekauft hatte, mit dem ich im Juli einen kleinen Sturm aufgenommen hatte. Den Sound von diesem Sturm hatte ich in diesem Stück als Ausgangspunkt benutzt.
Phänomene und hinter den Phänomenen
Hauptproblem bei allen Vorträgen ist immer, wie fange ich an. Ermutigt durch die positive Resonanz im Münchner Vortrag bei der YPO-Jahresveranstaltung wählte ich die Vielschichtigkeit des Menschen als Ausgangspunkt,
um davon ausgehend deutlich zu machen, dass alle unseren bewussten Bilder von einem Gehirn stammen, das im Körper sitzt und selbst keinen direkten Kontakt mit der Welt hat.
Daraus ergeben sich allerlei Konsequenzen dazu, wie wir mit den Bildern, die unser Gehirn von der Welt produziert, umgehen sollten. So wunderbar unser Gehirn arbeitet, so wenig darf man ihm blindlings trauen. Dazu habe ich ein paar Beispiele erzählt.
Die Philosophen in Europa haben sich mindestens seit der Zeit der griechischen Philosophie beständig damit beschäftigt, wie sie die Erscheinungsformen der Phänomene analysieren und bewerten sollten. Einige der letzten großen Heroen der bewusstseinsbasierten Philosopien waren Descartes, Kant, Hegel, Hume, Locke, Berckeley, Husserl, Hartmann, um nur einige zu nennen. Sie alle erkannten in den Phänomenen des Bewusstseins zwar gewisse Regelhaftigkeiten, sie blieben aber notgedrungen im Bewusstsein ‚gefangen‘. Erst die neuen Erkenntnisse zum Gehirn (ab Beginn 20.Jahrhundert) sowie zur Evolution (ab Ende 19.Jahrhundert) ermöglichten uns, die ‚Rahmenbedingungen der Entstehung der Phänomene‘ neu zu verstehen (was sich u.a. im Aufblühen neuer an den Naturwissenschaften orientierten Erkenntnistheorien manifestiert).
Die neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse lieferten aber nicht nur einen Schlüssel zum Paradox des Bewusstseins in der Weise, dass wir jetzt die Dynamik unseres Bewusstseins in Beziehung setzen können zur Arbeitsweise des Gehirns , sondern wir bekommen damit einen weiteren Schlüssel dafür, warum wir überhaupt ein so unglaubliches Gehirn in einem nicht weniger unglaublichen Körper haben. Die Evolutionsbiologie kann uns in eindrücklicher Weise aufzeigen, wie dieses unser heutiges Gehirn mit dem Körper sich in einer langen 4 Milliarden Jahre dauernden mühevollen Geschichte herausbilden mussten. Wir Menschen haben eine Geschichte, eine reale Geschichte. Wir haben reale Vorfahren, die in unglaublichen erfinderischen Prozessen mit extrem hohen ‚Verlusten‘ das ermöglicht haben, was wir heute sind. Und wir sind kein Endpunkt, sondern – soweit wir sehen können – eine Durchgangsstation zu einem Zustand, den keiner aktuell genau beschreiben kann (obwohl es Menschen gab wie der französische Jesuit Teilhard de Chardin, der als weltweit geachteter Paläontologe sein von der Theologie und Philosophie inspirierte Visionen über das wahre Wesen des Menschen und des Kosmos in wortgewaltigen Texten niedergeschrieben hat; gegen das Lehramt der katholischen Kirche, mit mehrfachen Verboten mundtod gemacht, aber dann doch durch seine vielen Freunde der Öffentlichkeit gerettet).
Mit diesen neuen Erkenntnissen ergaben sich neue Fragen: wie ist diese atemberaubende ‚Gestaltwerdung‘ im Biologischen möglich?
Am Beispiel der Interaktion zwischen Genotyp und Phänotyp versuchte ich dann deutlich zu machen, wie hier ein lokaler Veränderungsmechanismus, der in sich völlig ‚blind‘ für den Kontext ist, mögliche Gestaltungsräume absucht, die dann über Wachstum und Körper mit der Umgebung Erde in Interaktion treten. Es ist dann die konkrete Erde, die quasi als ‚Schiedsrichter‘ auftritt, welche der versuchten Strukturen ‚es schaffen‘ und welche nicht (die Darwinsche Selektion). Man kann hier auch das fundamentale Wertesystem erkennen (wenn man will), das alles andere übertönt: Erhaltung des Lebens unter den Bedingungen der Erde. Allerdings, und darauf habe ich dann im weiteren Verlauf hingewiesen, hat die Evolution selbst die Bedingungen im späteren Verlauf tiefgreifend verändert.
Können diese Überlegungen noch sehr abstrakt wirken, so macht uns der reale Gang der universalen Genese seit dem Big Bang klar, dass wir es mit einem überaus realen Prozess zu tun haben, von dem wir ein Teil sind. Die geradezu dramatische Weise der Entstehung des Lebens seit ca. 4 Mrd.Jahren, die unglaublichen Vorgänge im Rahmen der chemischen Evolution, die zur ersten Zelle führten und die bis heute noch nicht vollständig aufgeklärt sind, dann die ca. 2.8 Milliarden dauernde Zeitspanne (!!!!!!!!), bis es von den einzelligen zu mehrzelligen Lebensformen kam, usw. usw. Wer sich dies bewusst anschaut und nicht in ergriffener Bewunderung endet, dem ist schwer zu helfen.
Bemerkenswert ist, dass nach heutigen Kenntnisstand bis zur Ausdehnung der Sonne noch ca. 1 Mrd Jahre Zeit haben, bis die mit der Aufblähung der Sonne einhergehende Temperaturerhöhung alles Leben auf der Erde unmöglich machen wird. Gemessen an der bisherigen Zeit unseres bekannten Universums von ca. 13.7 Mrd Jahren macht dies etwa 1/15 aus. Gemessen an der Evolution des Lebens von ca. 3.8 – 4 Mrd etwa 1/5. Wenn man sieht, welche ungeheure Beschleunigung die Evolution des Lebens auf der Erde allein in den letzten 100 Jahren genommen hat, können die verbleibenden 1 Mrd Jahre mehr als ausreichend sein, um eine Lösung für die Erhaltung des Lebens zu finden. Vorausgesetzt, wir nutzen unsere Möglichkeiten entsprechend.
Es gab dann einen Einschub mit Gedanken zu meinen Radically Unpluggd Music Selbstversuchen.
Schilderte kurz die Entstehungsgeschichte, die Auflehnung dagegen, nur passiver Konsument zu sein, die Versuchsanordnung, wie ich mit Musik experimentieren kann ohne Noten zu benutzen und ohne vorher üben zu können.
Dazu ein paar Gedanken zur Frage, was denn ein ‚Ton‘ ist und wie die Mathematik und die moderne Technik es erlaubt, den klassischen Produktions- und Reproduktionszusammenhang aufzubrechen und in schier unendliche Räume auszuweiten. Der ‚reale‘ menschliche Musiker und Komponist wird dadurch nicht ‚überflüssig‘, aber er kommt in eine neue Rolle. In gewisser Weise eröffnet die Mathematik in Kombination mit der Technik ein Universum an Instrumenten und Klängen und die Frage, was Musik ist, was wir mit ihr tun, stellt sich völlig neu. Auch hier, im Segment der Musik, wirkt sich die fortdauernde Evolution aus.
Es kam dann als nächstes Stück ‚Die Wahrheit spielt vor den schwarzen Riesen (The truth plays before the black giants‘).
The Truth Plays Before the Black Giants I have experimented with some abstract ‚dark‘ sound in the back and a very crisp and clear oboe-sound in the foreground. I am still curious about the many libraries of ableton. But besides this ’sound curiosity‘ I gave some space for inspirations. There was the picture of the ‚(seemingly) tiny truth‘ playing before the large dark giants of the ‚all earth’… The tiny small truth got their hearts and the darkness was rumbling, but in comfort…
Mathematik und Computer
Versuchte deutlich zu machen, dass nahezu alles, was wir heute im Alltag an Technologie benutzen, ohne die Entwicklung der modernen Mathematik unmöglich wäre. Die Mathematik ist das zentrale Instrument des modernen Geistes, um sich in der überwältigenden Vielfalt der Realität zurecht zu finden und es ist geradezu bizarr wie eine Gesellschaft, die nahezu vollständig auf er Mathematik basiert, in ihrem öffentlichen Leben, im öffentlichen Bewusstsein, in den Medien dies nahezu vollständig ausblendet, verdrängt. Dies grenzt an eine kollektive Neurose, die sich wie eine Gehirnwäsche über alles legt und schon die kleinsten Regungen, dass jemand irgendetwas Mathematisches äußert, zeigt, tut sofort negativ abstraft oder ins Lächerliche zieht.
Ich habe dann versucht, deutlich zu machen, dass die Technologie des Computers, die heute nahezu alle Winkel unseres alltäglichen Lebens erobert, durchdringt und damit mitgestaltet, ihren Ausgangspunkt in den Grundlagendiskussionen der Mathematiker kurz vor der Wende zum 20.Jahrhundert wie dann in den ersten Jahrzehnten eben dieses Jahrhunderts hatte.
Nach den ersten großen Formalisierungserfolgen entstand die Idee – insbesondere bei David Hilbert – ob sich nicht alle Fragen mathematischer Theorien völlig ‚automatisch‘ mittels eines endlichen Kalküls entscheiden lassen.
Es dauerte zwar ca. 30 Jahre von den ersten Vermutungen dieser Art bis zum Beweis von Kurt Gödel 1931, aber dafür war das Ergebnis um so schockartiger.
Kurt Gödel konnte beweisen, dass es schon bei den ‚einfachen‘ mathematischen Theorien nicht möglich ist, sowohl ihre ‚Widerspruchsfreiheit‘ als auch ihre ‚Vollständigkeit‘ zu beweisen. Der Beweis von Gödel konnte bis heute nicht widerlegt werden, aber Gödel selbst war mit ihm nicht ganz zufrieden. Ein Beweis bezieht seine Überzeugungskraft ja daher, dass er im Beweis nur solche Mittel benutzt, die ‚aus sich heraus‘ ‚zweifelsfrei‘ sind. Im Konkreten heißt dies, diese Mittel müssen – um der einfachen Struktur des menschlichen Gehirns zu entsprechen – durchweg ‚endlich‘ sein und nach ‚endlich vielen Schritten‘ einen klaren ‚Endzustand‘ erreichen. Was für die meisten Menschen im Alltag eher als Banaliät erscheinen mag (ist doch im Alltag alles sehr deutlich und konkret ‚endlich‘) war für den Bereich mathematischer Beweise offensichtlich nicht so trivial. Es war dann Alan Matthew Turing, ein genialer Engländer, der den Beweis von Gödel quasi mit anderen Mitteln wiederholte und der es auf eine Weise tat, die Gödel begeisterte. Diese Art des Beweises akzeptierte Gödel sofort.
Schaut man sich das Verfahren von Turing näher an, ist man zuerst einmal überrascht. Das Verfahren, das Turing beschreibt, sieht so einfach aus, dass man sich im ersten Moment gar nicht vorstellen kann, dass man damit irgend etwas Ernsthaftes machen könnte. Turings Vorbild war ein Büroangestellter, der mit einem Schreibstift auf einem Blatt Papier Zahlen schreibt. Wie sich dann aber in den Jahren nach Turing herausstellte, ist es genau dieses Verfahren, was sich bislang als ‚das‘ Konzept, als der ‚Maßstab‘ für einen ‚endlichen berechenbaren Prozess‘ erwiesen hat, denn von allen anderen Formalisierungsvorschlägen, die nach ihm gemacht wurden (oder zeitgleich oder kurz vorher) konnte bewiesen werden, dass sie höchstens ‚gleichwertig‘ sind oder schwächer. Damit dürfte dieses Konzept von Turing, das später und heute allgemein als ‚Turingmaschine‘ benannt wird, als das fundamentalste philosophische Konzept des 20.Jahrhunderts erscheinen (fragt sich natürlich, welche anderen Bereiche man noch hinzunehmen möchte. Im Bereich Naturwissenschaft gab es im 20.Jahrhundert viele bahnbrechende Erkenntnisse. Eventuell müsste man die dann dazurechnen). Jeder konkrete Computer heute kann nicht mehr als das, was das mathematische Konzept der Turingmaschine verkörpert (leider gibt es immer wieder Leute, die das mathematische Konzept der Turingmaschine als Beschreibung einer konkreten ’sequentiellen‘ Rechnerarchitektur missverstehen. Das führt dann natürlich zu allerlei logischen Ungereimtheiten).
Intelligenz bei Tieren und Computern
Dass das Prinzip der Turingmaschine umgesetzt in der Technologie heutiger Computer extrem vielseitig ist, das erleben wir heute in unserem Alltag (falls man sich überhaupt noch bewusst macht, dass nahezu in jedem Gerät heute mindestens ein Computer steckt (allein in einem einzigen Autositz können z.B. bis zu 7 kleine Computer vor sich hinwerkeln, ohne dass sich jemand dessen bewusst ist). Dennoch kann man die Frage stellen, wieweit die prinzipiellen Fähigkeiten dieser Technologie reichen.
Turing selbst dachte laut darüber nach (und hat dies auch in sehr vergnüglicher Weise beschrieben), dass das Prinzip der Turingmaschine eigentlich so universal ist, dass eine Maschine, die nach diesen Prinzipien gebaut würde (ein Computer, ein Roboter), mit der entsprechenden Ausstattung an Sensoren und bei Teilnahme an allen Lernprozessen, die auch ein Kind durchläuft, in der Lage sein müsste, alles lernen zu können, was auch ein Kind lernt. Turing selbst konnte es nicht erleben, ob dies tatsächlich geht.
Aber spätestens seit ihm wird immer wieder laut darüber nachgedacht, ob ein Computer so intelligent sein kann wie ein Mensch, oder gar noch intelligenter.
Ich habe dann kurz die Entwicklung der wissenschaftlichen Psychologie zu Beginn des 20.Jahrhunderts in den USA eingeblendet. Bekannt unter dem Schlagwort ‚verhaltensbasierte Psychologie‘ (‚Behaviorismus) versuchten in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts (aufgrund starker Anregungen von europäischen Psychologen) Psychologen zu empirisch begründeten Aussagen über beobachtbares Verhalten zu kommen. Das vorherrschende Versuchsparadigma waren damals Ratten, die in einem Labyrinth nach Futter (oder Wasser) suchen mussten.
Ein Experiment von Tolman (und anderen), das ihm lange Zeit eine gewisse Berühmtheit bescherte, war die Beobachtung, dass nicht nur Ratten (i) die hungrig waren, nach einer Anzahl von Versuchen das Futter immer schneller fanden, sondern (ii) auch Ratten, die viele Versuche ohne Hunger im Labyrinth herumlaufen konnten, ab dem Zeitpunkt, wo sie dann ‚hungrig gemacht wurden‘, ziemlich direkt das Futter ansteuerten. Tolman & Co folgerten daraus, dass die Ratten offensichtlich während der ’nicht-Hunger-Zeit‘ trotzdem ‚gelernt‘ haben, wie das Labyrinth angeordnet ist, so dass sie in dem Moment, wo sie das Futter wirklich brauchten, dieses aufgrund des zuvor ‚erworbenen Wissens‘ direkt ansteuern konnten.
Die Psychologen dieser Zeit versuchten also aus den beobachtbaren Verhaltensdaten auf ‚Regelmäßigkeiten‘ ‚in‘ der Ratte zu schließen. Da man in dieser Zeit noch nicht so richtig in ein Rattengehirn hineinschauen konnte (übrigens auch heute ist das, was die Neurowissenschaften im Kontext von Rattenexperimenten zu Tage fördern, äußerst unbefriedigend!) , war der Interpretationsspielraum recht groß. Die Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Interpretationsschulen (z.B. das Lager um Hull mit dem ‚Reward-learning‘ und das Lager um Tolman mit den ‚cognitive maps‘) erscheinen aus heutiger Sicht merkwürdig (zumal man zeigen kann, dass sich cognitive maps mit neuronalen Netzen nachbilden lassen, die ziemlich genau den Annahmen von Hull entsprechen). Entscheidend ist nur, dass man aufgrund des Verhaltens eindeutig ausschließen konnte, dass die Ratten ‚zufällig vorgehen.
Mittlerweile können wir – mittels Computern! – beliebige Typen von ‚virtuellen‘ Ratten simulieren. Das Bild zeigt die Struktur des Programms einer virtuellen Ratte basiert auf dem Konzept der Classifier Systeme, allerdings hier abgewandelt), die das Erlernen eines Weges im Labyrinth zum Futter sehr schnell erledigt. Was dieser einfache Typ aber nicht kann, ist das ‚Umlernen‘, falls das Futter nicht mehr am alten Ort ist, sondern an einem neuen Ort. Durch geringfügige Änderungen kann man dies aber ‚einbauen‘.
Die Frage ist, was man aus diesen Befunden folgern kann bzw. sollte. Hat die virtuelle Ratte die ‚gleiche Intelligenz‘ wie die reale Ratte, wenn die beobachtbaren Verhalten messtechnisch ‚gleich‘ sind (Eine Fragestellung, die in den berühmten Turing-Tests auch beständig diskutiert wird)?
Würde man ‚Ja‘ sagen, dann würde dies bedeuten, dass ‚Intelligenz‘ etwas ist, was nicht an die biologische Struktur als Körper gebunden ist, sondern mit jeder Struktur realisiert werden kann, die die entsprechenden ’strukturellen Eigenschaften‘ aufweist. Zwar ist damit nicht gesagt, dass man damit das Phänomen des biologischen Lebens ‚als solchem‘ reproduziert, aber die Eigenschaft der Intelligenz, die sich uns ursprünglich an, mit und durch die biologischen Strukturen ‚zeigt‘ (‚enthüllt‘, ‚offenbart‘, ‚emergiert’…).
Ich habe dann einen weiteren ‚Schwenk‘ gemacht und versuchte zu verdeutlichen, dass sich die Strukturen der Turingmaschine im Kern des Biologischen selbst finden. Am Beispiel des Übergangs vom Genotyp (die Gene) zum Phänotyp (die Körper) kann man sehen, dass die Prozesse, die hier ablaufen, strukturell identisch sind mit der Arbeitsweise einer Turingmaschine, im Prinzip sogar einer abgeschwächten Turingmaschine. Der molekulare Input für das Ribosom repräsentiert die ‚Bandinhalte‘, die ‚Gelesen‘ werden, und der molekulare Output des Ribosoms repräsentiert den Bandinhalt, der ‚geschrieben‘ wird.
Noch wichtiger aber ist vielleicht der Sachverhalt (von dem der Physiker Paul Davies anmerkte, dass er sich bislang jeder physikalischen Theorie widersetzt), dass der Input von einem Molekül kommt (DNA), dessen ‚Bedeutung‘ nicht durch seine primären physikalischen Eigenschaften gegeben ist, sondern durch einen Informationskode, für den es keinerlei physikalische Notwendigkeit gibt. Überhaupt ist das Auftreten von ‚Information‘ in diesem Kontext geradezu aberwitzig. Jeder Kode setzt das Zusammenspiel von einem Sender und Empfänger voraus. Wenn wir also hier , an der Wurzel des Biologischen unübersehbar einen Kode vorfinden, der Bau- und Wachstumsprozesse steuert, und es keine dritte Instanz gibt, die diesen Kode vereinbart hat (und eine solche Instanz ist nicht bekannt), dann muss die Struktur des Kodes schon im Ausgangsmaterial als physikalische Eigenschaft angelegt sein. Das würde aber bedeuten, dass diese eindeutigen Eigenschaften von Intelligenz und Geist inhärente Eigenschaften der Materie selbst sein müssen. Eine andere Erklärung ist aktuell rein logisch nicht möglich (Plato und die Neuplatoniker haben so etwas beispielsweise auch schon gedacht, allerdings ohne explizites Wissen um die Strukturen des Lebens und der Materie).
versucht man alle bekannten Fakten zusammen zu fassen, dann kann man zu folgendem eindrücklichen Bild kommen: das Phänomen des Biologischen im Universum resultiert zunächst einmal aus der Tatsache, dass sich das Universum laut Aussagen der Physik noch in einem Zustand unterhalb des Maximums der Entropie befindet. Dadurch gibt es noch ‚Energieunterschiede‘ im Universum, die sich in Form ‚frei verfügbarer Energie‘ nutzen lassen. Alle bekannten biologische Phänomene tun genau dies: sie nutzen freie Energie um – im Widerspruch zum Entropiegesetz der Physik!!! – immer komplexere Strukturen hervor zu bringen. Ab einem bestimmten Komplexitätspunkt (Tiere, insbesondere dann wir als homo sapiens sapiens) sind diese Strukturen in der Lage, Modell der Umgebung und von sich selbst zu erstellen, die für das eigene Handeln genutzt werden können. Damit hat sich die Evolution einen erweiterten Handlungsspielraum geschaffen, der die Geschwindigkeit der Lernprozesse um geschätzt den Faktor 10^7 zu beschleunigen (weitere Steigerungen nicht ausgeschlossen). Gleichzeitig gibt es im Konzept der Turingmaschine eine ‚technische Kopie‘ jener Struktureigenschaften, die wir mit Intelligenz verknüpfen. Die Evolution hat sich also neben den ‚intelligenten biologischen Strukturen‘ auch noch einen ‚Intelligenzverstärker‘ geschaffen, der sich unabhängig von den biologischen Strukturen entwickeln und nutzen lässt.
In diesem Zusammenhang fundamental bedeutsam ist auch der Umstand, dass alle biologischen Strukturen ‚wertabhängig‘ sind, d.h. Alle (!!!) Wachstums- und Lernprozesse setzen voraus, dass es messbare ‚Präferenzen‘ (Fitness, Werte) gibt, an denen sich diese Prozesse orientieren. Bislang ist dies die Erde selbst in ihrer Konkretheit. In dem Masse, wie die Evolution aber Strukturen geschaffen hat, die in ihrer Erkenntnisfähigkeit über die Erde ‚hinaus schauen‘ können, wird dies primäre Wertsystem ‚Leben unter den Bedingungen der Erde‘ abgelöst durch ein Wertesystem ‚Leben unter den Bedingungen des Universums‘. Eine solche Erweiterung des Wertesystem ist auch dringend notwendig, da mit den verbleibenden 1 Mrd Jahre bis zum Wärmtod durch die Sonne einiges getan werden muss, um diesem Wärmetod zu entgehen. Hierin deutet sich an, dass das Leben seinen ‚Sinn‘ ‚in sich selbst‘ hat. Dies alles zu verstehen stehen wir vermutlich erst ganz am Anfang.
Es gab dann noch ein paar Bilder und Bemerkungen zur Beschreibung von Vielfalt durch die Mathematik oder den direkten Strukturvergleich zwischen Menschen als selbsmodifizierendem System und der universellen Turingmaschine:
Verhaltensformel Mensch: phi: I x IS —> IS x O
Verhaltensformel UTM: phi: I x IS —> IS x O
Ich habe die Präsentation beendet mit dem Hinweis darauf, dass wir hier in Frankfurt, und zwar genau in diesem INM, wo an diesem Abend der Vortrag stattfand, zusammen mit der FH Frankfurt und der Goethe-Uni Frankfurt und allen, die mitmachen wollen, im Frühjahr 2014 das große ‚Geist-Sichtbarkeitsmachung-Projekt‘ starten wird. Rund um die Uhr, jeden Tag des Jahres, wird man zuschauen können, wie der künstliche Geist unter den Augen der Öffentlichkeit entstehen wird. Die Vorbereitungen dazu laufen schon. Noch im Dezember wird es eine erste Gründungsversammlung mit einer ersten Webseite geben. Wir werden auch Sponsorengelder einsammeln, da wir ganz ohne ein Minimalteam zum Management des Ganzen nicht auskommen werden.
Es folgte abschließend ein weiteres Musikstück, inhaltlich passend zum neuen Welt- und Menschenbild. ‚Du bist die Botschaft des Universums‘, womit jeder gemeint ist; jeder verkörpert – ob er/ sie will oder nicht – eine Botschaft, in der das Ganze des Universums enthalten ist. Wir müssen diese Botschaft nur lesen lernen:
You are the message of the universe (Rap-like…) Hatte nur so gespielt. Erst ein paar Drum-Clips arrangiert. Dann eine verfremdete Flöte als Hauptmotiv. Dazu dann einen Bass. Als mir dann keine geeignete weitere Stimme mehr einfiel, habe ich mich an einen Text erinnert, den ich vor Monaten schon in einem Musikvideo verarbeitet hatte ‚You are the message of the universe‘. Ich finde, im aktuellen Arrangement passt er ganz gut. Eine Art Anti-Rap Rap….oder auch nicht. Es gibt so unendlich viele Sichten zu jeder Sache. Die immanente Unendlichkeit ist der eigentliche ‚Hit‘, natürlich hervorgebraht vom Gehirn, dieses selbst aber ist eine Hervorbringung aus dem Innern der Materie, und damit aus der Mitte der Energie… diese wiederum ist — physikalisch betrachtet — ‚unsterblich‘. Wir sind alle viel mehr, als wir ahnen, geschweige denn denken können…letztlich ist es egal, was wir denken, bevor wir denken sind wir schon das, was wir sind… das ist unser Glück. Aber natürlich, warum können wir dann überhaupt denken? Wozu? Gute Frage… wer die Antwort findet, braucht sie nicht mehr….Good Luck..
PS: Ursprünglich hatte ich noch einen Abschnittt über die zentrale Rolle von Künstlern zusammen mit Wissenschaftlern; aber der blieb auf der Strecke, es war dann doch zu viel Stoff….
PS2: Es gab noch eine recht intensive Diskussion.
PS3: Am Tag drauf hatte ich eine lange, sehr inspirierende Besprechung mit einem guten Bekannten aus der Szene der experimentellen Musik, wo wir die verschiedenen Aspekte des kommenden Projektes zur ‚Sichtbarmachung von Geist‘ durchsprachen. Von den vielen Punkten, die wir demnächst auch entsprechend kommunizieren werden, war einer für den Zusammenhang hier besonders interessant: da der Begriff ‚Geist‘ (Englisch oft ‚mind‘) extrem vage ist und bis heute in keiner Wissenschaft eine operationale Definition existiert, die diesen Begriffen irgendwie fassbar macht (nur sehr viele blumige Beispiele), sollten wir uns in der Diskussion und Weiterentwicklung zunächst an den Begriff ‚Intelligenz‘ halten. Für diesen Begriff haben die experimentellen Psychologen eine sehr brauchbare operationale Definition entwickelt, die in Gestalt des IQ (Intelligenzquotienten) weit verbreitet ist. Was immer ‚Geist‘ sein mag, insofern er sich im Verhalten manifestiert, das man beobachten und messen kann, kann man die sich ‚im Verhalten zeigende Intelligenz‘ in ihren unterschiedlichen Ausprägungen ‚messen‘, d.h. mit vorgegebenen Standards ‚vergleichen‘. Für diese ‚Messungen‘ spielt es keine Rolle, ob es sich bei dem beobachteten System um eine Pflanze, ein Tier, einen homo sapiens sapiens oder um eine Maschine handelt. Der psychologische Intelligenzbegriff ist insofern ‚invariant‘ bzgl. derjenigen Struktur, die das zu messende Verhalten hervorbringt. Insofern ist dieser Intelligenzbegriff geeignet, ‚Intelligenz‘ so zu messen, dass man all die verschiedenen ‚Hervorbringungsstrukturen‘ vergleichen kann. Präzisierend müsste man von daher vielleicht sagen, dass wir in diesem Experiment zeigen wollen, dass die Entstehung und Anwendung von Intelligenz nicht an eine biologische Trägerstruktur gebunden ist, sondern nur an Strukturmerkmalen, die in nahezu beliebiger materieller Beschaffenheit auftreten können. Der philosophische ‚Druck‘ auf das Selbstverständnis von uns Menschen bleibt damit sehr wohl erhalten: Wer sind wir wirklich? Was soll das Ganze? Sind wir überflüssig? Haben wir eine spezielle Mission? Haben wir trotz allem eine Verantwortung für das Ganze? usw.
PS4: In einem privaten Kreis mit vielen Freunden flammten diese Diskussionen auch wieder auf, da im Kreis außer mir zwei da waren, die auch bei dem Salon waren. Diese Themen bewegen…
Literaturnachweise
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8 Jahre und drei Monate später … es hat etwas Berührendes, nach einer so langen Zeit einen eigenen Text samt Musikbeispielen nochmals zu lesen (und zu hören). Alles gesagte würde ich auch heute wieder unterschreiben. Es ist sehr ‚zum Punkt‘; besonders das Rapp-artige Musikstück ‚You are the message of the universe‘ geht mir noch immer ‚unter die Haut‘. Das im Text angekündigte Experiment am INM hatte tatsächlich unter dem Label ‚emerging-mind‚ stattgefunden. Aber es ist wieder versandet… Seit ca. 2018/19 ist ein neues Projekt entstanden, nicht wirklich geplant, aber irgendwie auch nicht planlos, und gewinnt immer mehr Fahrt. Der innere Motor ist der Gedankenkomplex ‚Kollektive Mensch-Maschine Intelligenz‚. Der treibende Motor ist die Vereinigung von Philosopie, Engineering und Gesellschaft. Ausgang offen, aber die Dynamik ist stark. Das Thema ‚You are the Message of the Universe‘ schwingt in allem weiter …
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Die exponentielle Vermehrung der Menschen seit mindestens 200 Jahren, die Überflutung des Alltags mit Varianten an Verhalten, Objekten, Anschauungen usw., die überall anzutreffenden Machtanmaßungen im Privaten, lokalen, regionalen, nationalen und globalen Bereichen, die Explosion des Wissens schlechthin können den Eindruck erwecken, als sei es letztlich beliebig, was wir tun, ‚anything goes‘, alles sei relativ da beliebig.
Die täglichen Nachrichten belehren uns allerdings eines besseren (wenn wir es denn wissen wollen): das Klima kann ganze Regionen verdorren, in Wasser absaufen oder in Kälte erstarren lassen. Entsprechend lassen sich Nahrungsmittel anbauen oder nicht. Erdbeben sind zwar lokal, können aber verheerende Zerstörungen bewirken, durch die die Wirtschaft empfindliche Produktions- und Lieferausfälle zu beklagen hat. Viele Ressourcen sind endlich und knapp. Nicht erneuerbar werden sie sich absehbar erschöpfen (ein paar hundert Jahre zählen so gut wie gar nicht; in der Entwicklung des Lebens sind ein paar hundert Jahre weniger wie ein ‚Wimpernschlag‘). Abhängig von der Sonneneinstrahlung gibt es maximale Grenzen der Energieumwandlung für Nahrungsmittel, die niemand verändern kann, es sei denn, er könnte die Sonne kontrollieren (was grundsätzlich gehen würde, wenn man wüsste, wie). Der ‚Erfolg‘ des homo sapiens sapiens drängt immer mehr andere Arten zurück, löscht sie aus, biologische Arten, die aber für Kreislaufprozesse wichtig sind, von denen wir abhängen. Ihre irreversible Auslöschung entzieht uns selbst mehr und mehr den Boden, auf dem wir stehen. Darüber hinaus gibt es Wechselwirkungen zwischen einer Unzahl von Faktoren, die sich über Jahrmillionen eingespielt haben, deren Entwicklung bis zu Milliarden Jahren gedauert hat, die wir schrittweise außer Kraft setzen, beschädigen, zerstören. Diese Liste ließe sich verlängern.
Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass wir selbst durch und durch ein ‚Produkt‘ (!!!) eben dieser Prozesse sind, die wir so leichthändig beschädigen und zerstören. Wir haben uns nicht selbst erfunden. Wir wurden erfunden durch Prozesse, die nicht nur viele Milliarden chemische und biologische Evolution gebraucht haben, sondern zusätzlich auch noch viele Jahre einer physikalischen Evolution, von der ‚reinen Energie‘ über Atome, Gaswolken, Sonnen, Galaxien bis hin zu den Konstellationen, unter denen aller erst biologisches Leben entstehen konnte. Und die heute bekannten biologischen Lebensformen haben alle eines gemeinsam: sie verkörpern das Ergebnis des Zusammenwirkens eines (auch) zufällig arbeitenden generierenden Mechanismus (Kopieren, Mischen, Weitergeben von genetischen Informationen) mit einer ‚Leitlinie‘, nämlich der vorfindlichen Umgebung (in unserem Fall die Erde (die sich selbst allerdings im Laufe der Zeit z.T. dramatisch verändert hat!). Nur die genetischen Strukturen, die ‚hinreichend‘ zur vorfindlichen Umgebung Erde ‚passten‘, konnten ihre genetischen Produktionen fortsetzen. Dabei heißt ‚passen‘ auch ‚anpassen‘, da sich sowohl die Erde selbst als auch die Welt des Biologischen beständig ‚mit verändert‘ (Koevolution) hat (Räuber-Beute Konstellationen, Nischeneigenschaften,…).
Es ist genau diese ‚Leitlinien‘-Funktion, auf die es hier ankommt. Wir sind so, wie wir sind, durch und durch für ein Leben auf dieser Erde ‚optimiert‘. Dazu gehört nicht nur die ‚Passung‘ für Sauerstoff, Klima, Tag-Nacht-Schema, bestimmte Nahrungsmittel, Erdanziehung usw., sondern auch für das Miteinander mit den anderen biologischen Formen (Pflanzen, Mikroorganismen, Tieren, andere Menschen…). D.h. wenn wir – ganz klassisch – ‚Wahrheit‘ als eine Relation auffassen wollen zwischen Organismen O die in einer Umgebung E ‚passen‘ (=wahr) oder ’nicht passen‘ (=falsch), dann besteht die physikalische/ chemische/ biologische Evolution darin, dass sie Objekte eines Komplexitätslevels O_i zu einer bestimmten Zeit in einer Umgebung E_t mittels bestimmter Konstruktionsprozesse P_i in Objekte mit einem Komplexitätslevel j ≥ i verwandelt, die überlebensfähig sind: X-evol: E x T x O_i —> E x T x O_j. Die primäre Wahrheit ist dann die Fähigkeit, zu überleben, und zwar ’nachhaltig‘!
Interessant an diesem Prozess ist, dass die Überlebensfähigkeit mit der Zunahme an ‚Flexibilität‘ zunimmt. Letztere aber hängt u.a. daran, dass die jeweiligen Lebensformen im Organismus selbst (!) immer mehr über eine ‚Informationsverarbeitung‘ verfügen, die sie in die Lage versetzt, immer mehr Aspekte der Umgebung im Organismus so zu repräsentieren, dass das ‚eigene Verhalten‘ sich daran ‚orientieren‘ kann. Das immer bessere Erkennen von ‚Nahrung‘, ‚Gefahren‘, das ‚Vorwegnehmen‘ potentieller Situationen, das ‚Erfinden‘ von Hilfsmitteln, die ‚Koordinierung‘ mit anderen usw. sind unmittelbar hilfreich für das Überleben. Eine ‚Übereinstimmung‘ dieser inneren (=subjektiven) Repräsentationen mit den auslösenden externen (=empirischen, objektiven) Eigenschaften der Umgebung ist also eine fundamentale Eigenschaft dieser Informationsverarbeitung. Da die ‚Außenwelt‘ immer nur in Form der informatorisch aufbereiteten ‚Innenwelt‘ vorliegt, kann eine ‚Überprüfung‘ der ‚Korrektheit = Wahrheit‘ dieser modellierten Innenwelt immer nur indirekt geschehen durch ‚Hypothesenbildung‘: Unter der Annahme, dass die Innenwelt ’stimmt = wahr‘ ist, können mögliche ‚Folgezustände‘ ‚berechnet‘ (vorgestellt, gedacht, geplant,…) werden. Treffen diese Folgezustände dann so ein, dass die aktuelle Wahrnehmung mit der ‚erwarteten Wahrnehmung‘ ‚hinreichend übereinstimmt‘, dann kann sich der agierende Organismus bzgl. seines ‚Wissens‘ ‚bestätigt‘ fühlen. Das Wissen scheint ‚wahr‘ zu sein. Andernfalls muss er sein Wissen ‚in Frage stellen‘ oder es gar ‚verwerfen‘ (nicht bestätigt, ‚falsch‘).
Es gibt damit mindestens zwei ‚Wahrheitsmechanismen‘ im Bereich des biologischen Lebens: (i) einen überindividuellen Mechanismus, der lebensfähige (= wahre) genetische Strukturen hervorgebracht hat und weiter hervorbringt; (ii) einen individuellen Mechanismus aufgrund interner Informationsverarbeitung, der im unterschiedlichen Umfang die interne ‚Kodierung‘ und ‚Manipulation‘ von externen Umwelteigenschaften zum Zwecke der Handlungssteuerung erlaubt. Dieser interne Mechanismus gewinnt seine Wahrheit aus der (begrenzten) Möglichkeit der ‚Bestätigung‘.
In beiden Fällen ist aber ganz klar, dass die Organismen selbst nicht ‚im Besitz der Wahrheit‘ sind!!! Die Wahrheit als ‚Übereinstimmung‘ mit einer Vorgabe ist primär an der Vorgabe orientiert. Dies ist aktuell die Erde und das umgebende Universum. Kein Lebewesen kann diese Vorgabe für sich beanspruchen bzw. ‚außer Kraft‘ setzen. In existentialistischer Sprechweise sind wir in diesem Punkt alle in gleicher Weise ‚Geworfene‘, ‚Ausgesetzte‘. Keiner hat ‚von Natur aus‘ irgendwelche Vorrechte, mehr Rechte, Privilegien usw. (dass wir Menschen uns im Laufe der Jahrtausende ‚Pseudowerte‘ geschaffen haben wie ‚Rangstufen‘, ‚Adelshierarchien‘, ‚Kastensysteme‘, ‚Rassenideologien‘ und dergleichen mehr zeugt in erster Linie von Unwissenheit gepaart mit Machtinstinkten und Gruppenegoismen (wer per Konvention angeblich ‚besser‘ sein soll als jemand anderes hat es natürlich bequemer; er muss nicht erst beweisen, dass er tatsächlich ‚gut‘ ist). Auf Dauer sind solche falschen ‚Rankings‘ aber irreführend, falsch und damit schädlich. Sie verhindern die Entfaltung realer Potentiale, jener Potentiale, die wir alle brauchen, um die Zukunft hinreichend gut nachhaltig gestalten zu können. WAHRHEIT IST – in diesem Sinne — GANZ UND GAR NICHT KÄUFLICH.
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