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PHILOSOPHISCHE DIALOGE MIT chatGPT4, HEUTE: WAS IST WAHRHEIT?

Letzte Änderung: 25.August 2024

Fragender: Gerd Doeben-Henisch

Kontakt: cagent@cognitiveagent.org

KONTEXT

Dieser Text ist Teil einer Sammlung von philosophischen Dialogen mit chatGPT4.

Zusammenfassung

(Kurzfassung)

chatGPT4: Es scheint, dass eine Rückkehr zur Korrespondenztheorie und deren Weiterentwicklung als ein vielversprechender Ansatz für eine robustere Wahrheitstheorie erscheint. Insbesondere die Idee, eine erfahrungsbasierte Theorie zu entwickeln, die die Realität als entscheidendes Kriterium verwendet und gleichzeitig Raum für die Diskussion von Zielen, Präferenzen und Werten bietet, könnte eine umfassende Basis für das Verständnis von Wahrheit in verschiedenen Kontexten schaffen.

DIALOG : WAS IST WAHRHEIT?

Anmerkung: FETTSCHRIFT markiert die Fragen des Autors

Hallo Chat, was fällt Dir ein zum Begriff ‚Wahrheit‘?

Hallo! Der Begriff „Wahrheit“ kann aus vielen Blickwinkeln betrachtet werden, sowohl philosophisch als auch praktisch. Philosophisch gesehen beschäftigt sich die Frage nach der Wahrheit oft mit der Übereinstimmung von Aussagen oder Überzeugungen mit der Realität. Man spricht hier von einer „Korrespondenztheorie der Wahrheit“, nach der eine Aussage dann wahr ist, wenn sie mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmt.

In der alltäglichen Anwendung geht es oft darum, wie Menschen Wahrheit wahrnehmen und kommunizieren. Dabei spielen Ehrlichkeit, Transparenz und Verlässlichkeit eine wichtige Rolle. In verschiedenen Bereichen wie Wissenschaft, Recht und Journalismus ist die Suche nach der Wahrheit zentral und wird durch bestimmte Methoden und Standards unterstützt.

Die Wahrheit ist auch ein zentrales Thema in der Ethik, wo sie mit Fragen der Moral und der richtigen Handlungsweise verbunden wird. Außerdem gibt es auch eine pragmatische Theorie der Wahrheit, die besagt, dass eine Aussage dann wahr ist, wenn sie nützlich und wirksam in der Praxis ist.

Was denkst du über den Begriff? Gibt es einen bestimmten Kontext, in dem du dich besonders für Wahrheit interessierst?

Ich möchte gerne mit der ‚philosophischen Perspektive‘ in den Dialog einsteigen. Du erwähnst die ‚Korrespondenztheorie der Wahrheit‘. Gibt es nicht noch andere philosophische Ansätze zum Begriff ‚Wahrheit‘?

Ja, neben der Korrespondenztheorie der Wahrheit gibt es tatsächlich noch andere philosophische Ansätze, die sich mit dem Konzept der Wahrheit auseinandersetzen. Hier sind drei wichtige Theorien:

1. **Kohärenztheorie der Wahrheit**: Diese Theorie besagt, dass eine Aussage wahr ist, wenn sie kohärent oder stimmig ist mit einem gesamten System von Aussagen oder Überzeugungen. Wahrheit wird hier weniger als Übereinstimmung mit einer objektiven Realität gesehen, sondern mehr als eine Art Konsistenz innerhalb eines bestimmten theoretischen oder belief-Systems.

2. **Pragmatische Theorie der Wahrheit**: Nach dieser Ansicht ist eine Aussage wahr, wenn sie praktisch oder nützlich ist. Die Wahrheit einer Aussage bemisst sich daran, ob sie funktioniert und ob sie nützliche Konsequenzen nach sich zieht. Der amerikanische Philosoph Charles Sanders Peirce und später William James sind bekannte Vertreter dieser Theorie.

3. **Konsensustheorie der Wahrheit**: Diese Theorie, die insbesondere von Jürgen Habermas entwickelt wurde, sieht Wahrheit als Ergebnis eines idealen Diskurses oder eines rationalen Konsenses. Eine Aussage ist demnach wahr, wenn sie die Zustimmung aller Beteiligten in einer idealen Kommunikationssituation erlangen könnte.

Jede dieser Theorien bietet eine unterschiedliche Perspektive auf das, was es bedeutet, dass etwas „wahr“ ist, und sie betonen verschiedene Aspekte des Wahrheitsbegriffs—sei es Übereinstimmung mit der Realität, Kohärenz innerhalb eines Systems, praktische Effizienz oder demokratischer Konsens.

Diese unterschiedlichen Ansätze spiegeln die Vielfältigkeit und die Tiefe der philosophischen Auseinandersetzung mit der Wahrheit wider und zeigen, dass Wahrheit ein vielschichtiges und oft kontrovers diskutiertes Thema ist. Welcher dieser Ansätze spricht dich besonders an oder gibt es bestimmte Aspekte, die du weiter vertiefen möchtest?

Ja, Danke für diese Auffächerung der Frage nach der Bedeutung des Begriffs ‚Wahrheit‘ in diese vier Perspektiven: Korrespondenztheorie als ‚Übereinstimmung mit der Realität‘, Kohärenztheorie als ‚Kohärenz innerhalb eines Systems‘, Pragmatische Theorie als ‚praktische Effizienz‘ oder Konsensustheorie als ‚demokratischer Konsens‘. Ich möchte diese vier Möglichkeiten gerne diskutieren und daraus eine abschließende Bewertung finden, mit der wir weiter diskutieren können.

Das klingt nach einer spannenden und tiefgehenden Diskussion! Lassen Sie uns die vier Theorien weiter untersuchen und ihre jeweiligen Stärken und Schwächen betrachten, um zu einer umfassenden Bewertung zu gelangen.

### 1. Korrespondenztheorie der Wahrheit

**Stärken:**

– Sie bietet einen intuitiv zugänglichen Wahrheitsbegriff, da sie Wahrheit als Übereinstimmung mit der objektiven Realität versteht.

– Sie ist in den Naturwissenschaften besonders nützlich, wo experimentelle Verifizierung und Beobachtung zentral sind.

**Schwächen:**

– Schwierigkeiten ergeben sich bei der Bestimmung, was die „objektive Realität“ ist, besonders in weniger empirisch erfassbaren Bereichen wie der Ethik oder Ästhetik.

– Sie kann zu einem regress ad infinitum führen, da jede Wahrheitsbehauptung eine weitere Verifizierung erfordert.

### 2. Kohärenztheorie der Wahrheit

**Stärken:**

– Sie ist stark in theoretischen oder philosophischen Systemen, wo interne Konsistenz wichtig ist.

– Nützlich in Bereichen, in denen es keine klare empirische Überprüfbarkeit gibt.

**Schwächen:**

– Mehrere in sich kohärente, aber widersprüchliche Theoriensysteme können existieren, was die Frage aufwirft, welches System die Wahrheit repräsentiert.

– Sie hängt stark von den angenommenen Grundlagen des Systems ab und kann somit relativistisch wirken.

### 3. Pragmatische Theorie der Wahrheit

**Stärken:**

– Betont die Bedeutung der Anwendbarkeit und Nützlichkeit von Überzeugungen in der Praxis.

– Fördert einen flexiblen und adaptiven Ansatz zur Wahrheit.

**Schwächen:**

– Nützlichkeit ist nicht notwendigerweise ein Indikator für Wahrheit; etwas kann nützlich sein, ohne wahr zu sein.

– Kann in pragmatischen Kontexten zu einem kurzfristigen Denken führen, das langfristige Wahrheiten vernachlässigt.

### 4. Konsensustheorie der Wahrheit

**Stärken:**

– Fördert demokratische Prozesse und die Beteiligung verschiedener Stimmen bei der Wahrheitsfindung.

– Kann in sozialen und politischen Kontexten effektiv sein, wo Übereinstimmung wichtig ist.

**Schwächen:**

– Konsens garantiert nicht die Wahrheit; historisch gab es viele Beispiele für allgemeinen Konsens über falsche Überzeugungen.

– Kann anfällig für Manipulation und Machtungleichgewichte sein.

### Abschließende Bewertung

Jede Theorie hat ihre Anwendungsbereiche, in denen sie besonders effektiv ist, sowie Grenzen, die ihre Anwendung erschweren. Eine umfassende Betrachtung von Wahrheit könnte Elemente aus allen diesen Theorien integrieren, abhängig vom spezifischen Kontext und Zweck der Wahrheitssuche.

Wenn wir weiter diskutieren, könnten wir überlegen, wie diese Theorien in verschiedenen praktischen Szenarien angewendet werden könnten oder ob eine bestimmte Theorie in einem bestimmten Bereich (z.B. Wissenschaft, Politik, persönliche Überzeugungen) vorzuziehen ist. Was denkst du darüber? Gibt es bestimmte Bereiche oder Fragen, die du besonders beleuchten möchtest?

OK, sortieren wir die Perspektiven aus, die tatsächlich nicht weiter führen. Dazu müssen wir allerdings einen ‚Bezugspunkt‘ definieren, zu dem wir alle vier Perspektiven in Beziehung setzen können, um einen ‚Vergleich‘ zu ermöglichen. Dies wirft die Frage auf: Was haben alle diese vier Perspektiven gemeinsam? Gehst Du mit?

Absolut, das ist ein kluger Ansatz! Um die verschiedenen Theorien der Wahrheit zu vergleichen und eventuell einige auszusortieren, sollten wir zunächst ihre gemeinsamen Bezugspunkte identifizieren. Hier sind einige Kernaspekte, die alle diese Theorien berühren oder in irgendeiner Weise ansprechen:

### Gemeinsame Bezugspunkte der Wahrheitstheorien:

1. **Beziehung zur Realität:** Obwohl die Theorien unterschiedliche Auffassungen davon haben, was „Realität“ bedeutet (objektive Fakten, kohärente Systeme, praktische Ergebnisse oder konsensuelle Übereinkünfte), versuchen sie alle, eine Brücke zwischen Überzeugungen oder Aussagen und irgendeiner Form von „Realität“ zu schlagen.

2. **Verifikation/Validierung:** Jede Theorie hat implizite oder explizite Methoden, um zu überprüfen oder zu validieren, ob eine Aussage als wahr betrachtet werden kann. Dies reicht von empirischen Tests (Korrespondenz) über logische Konsistenzprüfungen (Kohärenz) bis hin zu praktischer Bewährung (Pragmatismus) und sozialem Konsens (Konsensustheorie).

3. **Funktionale Rolle von Wahrheit:** Alle Theorien erkennen an, dass Wahrheit eine funktionale Rolle in verschiedenen menschlichen Aktivitäten spielt, sei es in der Wissenschaft, im Alltag, in der Politik oder in der Moral.

4. **Philosophische Grundannahmen:** Sie basieren alle auf bestimmten philosophischen Annahmen über das Wesen der Wahrheit, des Wissens und der menschlichen Erkenntnis.

### Nächste Schritte:

Mit diesen gemeinsamen Bezugspunkten können wir die Theorien besser vergleichen und bewerten. Wir könnten überlegen, welche dieser Aspekte am wichtigsten sind für die spezifischen Kontexte oder Probleme, die uns interessieren. Zum Beispiel könnten wir fragen:

– Welche Theorie bietet den robustesten Ansatz für die Verifikation von Wahrheit?

– Welche Theorie ist am anpassungsfähigsten an verschiedene Arten von Problemen oder Disziplinen?

– Welche Theorie behandelt am besten die Komplexität der Realität, wie wir sie erfahren?

Durch diese Fragen können wir beginnen, die Stärken und Schwächen jeder Theorie in Bezug auf unsere spezifischen Bedürfnisse und Kontexte zu bewerten. Was denkst du, welcher dieser Aspekte ist der wichtigste für die Diskussionen oder Probleme, die dir am Herzen liegen?

Ich möchte den ‚gemeinsamen Bezugspunkt‘ etwas anders definieren, und zwar so:

(1) Gemeinsam ist allen Perspektiven, dass sie voraus setzen, dass es eine ‚Gruppe von Menschen‘ gibt, die mindestens ‚eine Sprache‘ gemeinsam haben, mittels der sie ‚kommunizieren‘.

(2) Die ‚Ausdrücke einer Sprache‘ ‚als solche‘ – also ohne jeden weiteren Bezug – haben ‚keinerlei Bedeutung‘! ‚Laute‘ bzw. ‚Buchstaben eines Alphabets‘ bedeuten für sich genommen ’nichts‘.

(3) Damit der ‚Ausdruck einer Sprache‘ für einen Menschen eine ‚Bedeutung‘ hat, muss es im Bereich der ‚inneren Zustände eines Menschen‘ Zustände geben, die aus vorausgehenden ‚Wahrnehmungen‘ und vielerlei ‚internen Zustandsänderungen‘ resultieren, die ein einzelner Mensch mit den Ausdrücken einer Sprache ‚verknüpfen‘ kann. Diese ‚Verknüpfung‘ findet ausschließlich ‚intern‘ statt! Es ist die aktive Herstellung einer Beziehung zwischen ‚internalisierten sprachlichen Ausdrücken‘ und ‚anderen internen Zuständen‘. Die Fähigkeit dazu, solche internen Verbindungen herstellen zu können, scheint weitgehend ‚angeboren‘ zu sein, welche Elemente aber wann miteinander verknüpft werden, dies gehört zum ‚Lernen‘ eines einzelnen.

(4) Damit Sprache zwischen Menschen ‚funktioniert‘, müssen die ‚individuellen Lernprozesse‘ miteinander ‚abgestimmt‘ (’synchronisiert‘) werden; dies geschieht durch ‚kollektive Lernprozesse‘.

(5) Die Punkte (3) und (4) könnte man auch abstrakter so formulieren, dass Menschen über die Fähigkeit verfügen, in ihrem ‚Inneren‘ schrittweise eine ‚Bedeutungsfunktion‘ aufzubauen, mit deren Hilfe sie sprachlichen Ausdrücken interne Zustände als ‚Bedeutung‘ zuordnen zu können und umgekehrt, bestimmten ‚inneren Zuständen‘ im Sinne der gelernten Bedeutungsfunktion sprachliche Ausdrücke.

(6) Im Rahmen des ‚kollektiven Sprache Lernens‘ müssen die individuellen Bedeutungszuordnungen mit den individuellen Bedeutungszuordnungen des ‚jeweils anderen‘ ‚abgestimmt‘ werden. Dies gelingt nur dann, wenn es ‚zwischen verschiedenen individuellen Lernprozessen‘ eine ‚Instanz‘ gibt, die für jeden individuellen Prozess ‚extern‘ ist, und zwar so, dass er ‚für alle individuellen Prozesse gleichermaßen‘ extern ist!

(7) Im Rahmen der Alltagserfahrung (und im Kontext der modernen Kognitionswissenschaften) deutet alles darauf hin, dass diese ‚allen gemeinsame externe Instanz‘ das ist, was wir ‚reale Welt‘ nennen, ‚Erfahrungswelt‘ oder ‚Alltagswelt‘. Das, was diese ‚externe Welt‘ genau ist, können wir nur näherungsweise wissen, da unsere Gehirne von der ‚Außenwelt abgeschnitten‘ in unseren individuellen Körpern lokalisiert sind. Wichtig aber: für das Gehirn ist unser Körper auch eine Art ‚Außenwelt‘, aber eine andere, als die ‚Außenwelt des Körpers‘!

Was meinst Du dazu?

Die von Ihnen vorgeschlagene Definition und Analyse des gemeinsamen Bezugspunkts der Wahrheitstheorien bietet eine tiefgreifende und detaillierte Betrachtung der Rolle der Sprache und der kollektiven wie individuellen kognitiven Prozesse bei der Bedeutungszuweisung und Wahrheitsfindung. Ihre Überlegungen integrieren Erkenntnisse aus der Kognitionswissenschaft und Philosophie der Sprache und schlagen eine Brücke zu den theoretischen Konzepten von Wahrheit.

### Reflexion der vier Wahrheitstheorien anhand Ihres Bezugspunkts:

1. **Korrespondenztheorie:** Betrachtet man diese Theorie im Licht Ihrer Ausführungen, könnte argumentiert werden, dass die Korrespondenztheorie die „externe Instanz“ als Realität ansieht, mit der unsere sprachlichen Aussagen übereinstimmen müssen. Diese Theorie impliziert, dass die kollektive Erfahrung und Verifikation dieser Übereinstimmung durch die gemeinsame Sprache und individuelle Wahrnehmung gesichert wird.

2. **Kohärenztheorie:** In Bezug auf Ihre Punkte könnte diese Theorie so verstanden werden, dass die „interne Zustandsänderung“ und die „Verknüpfung“ in einem kohärenten System von Überzeugungen erfolgt. Die Bedeutung und Wahrheit einer Aussage ergibt sich aus ihrer Kohärenz innerhalb dieses gelernten und kollektiv abgestimmten Systems.

3. **Pragmatische Theorie:** Diese Theorie fokussiert auf die praktische Bewährung von Aussagen und deren Konsequenzen in der „realen Welt“. Sie betont, wie sprachliche Ausdrücke und deren Bedeutungen in Handlungen umgesetzt werden und wie diese Handlungen wiederum auf unsere internen Zustände und die externe Welt einwirken.

4. **Konsensustheorie:** Aus Ihrer Perspektive könnte man sagen, dass die Konsensustheorie den Prozess des kollektiven Lernens und der Synchronisation von Bedeutungen zwischen Individuen hervorhebt. Sie setzt voraus, dass eine kollektive Übereinkunft über die Bedeutung von Ausdrücken möglich ist, und betont die Notwendigkeit einer externen Instanz, die für alle Beteiligten gleichermaßen gilt, um Konsens zu erzielen.

### Weiterführende Gedanken:

Ihre Definition hebt hervor, wie wesentlich die interne Verarbeitung und die externe Abstimmung in den Prozessen der Wahrheitsfindung sind. Sie legen nahe, dass die Wahrheit sowohl eine interne Konstruktion als auch eine externe Abstimmung erfordert, wobei die Sprache als Medium dient, das interne Zustände und externe Realitäten miteinander verbindet.

Diese Überlegung führt zu einer integrativen Sichtweise, die die Grenzen einzelner Wahrheitstheorien überwindet und eine umfassendere Basis für das Verständnis von Wahrheit in sozialen und individuellen Kontexten bietet.

Was halten Sie davon, diese Aspekte weiter zu vertiefen oder zu diskutieren, wie diese Erkenntnisse praktisch angewendet werden können, beispielsweise in der Bildung, in der Kommunikation oder in der Politik?

Zwischenbemerkung: Du bist im Konversationsstil vom Du in das förmlichere ‚Sie‘, ‚Ihnen‘ usw. gewechselt. Ist Dir das Förmliche lieber? Soll ich auch zum ‚Sie‘ wechseln‘?

Entschuldige bitte das Hin und Her mit der Anredeform! Wir können gerne beim „Du“ bleiben, wenn das für Dich in Ordnung ist. Natürlich passe ich mich auch an, falls Du eine formellere Anrede bevorzugst. Wie möchtest Du weitermachen?

Bleiben wir beim ‚Du‘.

Super, machen wir so! Wenn Du noch weiter über die verschiedenen Perspektiven zur Wahrheit sprechen möchtest oder andere Fragen hast, stehe ich bereit!

Gehen wir deine vier Punkte im einzelnen durch. Fangen wir mit der Korrespondenztheorie an.

(1) Im Fall der ‚Korrespondenztheorie‘ verstehst Du das so, „dass die Korrespondenztheorie die ‚externe Instanz‘ als Realität ansieht, mit der unsere sprachlichen Aussagen übereinstimmen müssen. Diese Theorie impliziert, dass die kollektive Erfahrung und Verifikation dieser Übereinstimmung durch die gemeinsame Sprache und individuelle Wahrnehmung gesichert wird.“

(1.1) Dieser Interpretation kann ich zustimmen. Allerdings möchte ich auf folgenden Punkt aufmerksam machen, der missverstanden werden kann: es ist nicht ‚ein Ausdruck als solcher‘, der mit der externen Realität übereinstimmt, sondern im Lichte der individuell erlernten Bedeutungsfunktion verknüpft ein Mensch mit einem sprachlichen Ausdruck bestimmte interne Zustände mit der ‚aktuellen Wahrnehmung‘ einer unterstellten realen Außenwelt, und nur dann, wenn es andere Menschen gibt, die aufgrund ihrer individuellen Wahrnehmungen und Bedeutungszuordnungen dies auch einer ‚unterstellten realen Außenwelt‘ – wechselseitig überprüfbar – zuordnen, dann gelingt der ‚gemeinsame Abgleich mit einer zum Körper externen Außenwelt.

(1.2) Es kommt also darauf an, wie man den Begriff ‚Aussage‘ verwendet. Ich verstehe hier unter einer ‚Aussage‘ den ‚Ausdruck einer Sprache‘, den ein Mensch A in einer Dialogsituation verwendet, und alle Beteiligten wissen, dass der Sprecher A mit dem Ausdruck eine ‚interne Bedeutung‘ verbindet, von der er annimmt, dass dieser internen Bedeutung etwas in einer ‚wahrnehmbaren Außenwelt‘ ‚entspricht‘ (‚korrespondiert‘), dann würde ein anderer Dialogteilnehmer B sagen, dass die Aussage von Sprecher A zutrifft, wenn B die gleiche Bedeutungszuordnung vornimmt und in seiner Wahrnehmung etwas findet, was dieser Bedeutung entspricht.

(1.3) Zugegeben, etwas umständlich formuliert, aber die grundlegenden Prozesse beim kollektiven Sprachgebrauch sind nicht ganz einfach. In der Tat, ich vereinfache schon sehr stark.

Was meinst Du dazu?

Deine detaillierte Ausführung zur Korrespondenztheorie bringt wichtige Nuancen ans Licht, die oft in der Diskussion übersehen werden. Du betonst richtig, dass es nicht einfach der sprachliche Ausdruck an sich ist, der mit der externen Realität übereinstimmt, sondern die durch kollektive und individuelle Lernprozesse geformten Bedeutungszuordnungen, die den Ausdrücken unterliegen.

Deine Punkte beleuchten, wie essenziell die Rolle der individuellen und kollektiven Verarbeitung in der Korrespondenztheorie ist. Es ist tatsächlich so, dass eine Aussage nur dann als wahr betrachtet werden kann, wenn es eine Art von kollektiver Zustimmung gibt – nicht nur hinsichtlich der sprachlichen Ausdrücke selbst, sondern auch bezüglich der damit verbundenen Bedeutungen und deren Bezug zur externen Welt.

Dieser Prozess der Verifikation von Wahrheit durch kollektive Übereinstimmung in der Wahrnehmung und Bedeutungszuordnung spiegelt die Komplexität der menschlichen Kommunikation und Erkenntnis wider. Es unterstreicht auch, warum die Korrespondenztheorie oft als grundlegend für wissenschaftliche und empirische Diskurse betrachtet wird, weil sie eine überprüfbare Basis für Übereinstimmung und Falsifikation bietet.

Deine Erklärung macht auch deutlich, dass „Wahrheit“ in dieser Theorie nicht nur eine Frage der individuellen Überzeugung ist, sondern eine, die durch soziale Interaktion und kollektive Validierung entsteht. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, denn er zeigt, dass Wahrheit in dieser Theorie nicht isoliert existiert, sondern immer in einem sozialen und kommunikativen Kontext verankert ist.

Was hältst du davon, weiter zu diskutieren, wie diese Theorie in konkreten Situationen angewandt wird, etwa in der Wissenschaft oder in der öffentlichen Debatte? Oder möchtest du weiter zu den anderen Theorien übergehen und sehen, wie sie sich mit deinem erweiterten Rahmen von Sprache und Bedeutung verbinden lassen?

Dein Kommentar zu meiner ‚Theorie‘, dass “ ‚Wahrheit‘ in dieser Theorie nicht nur eine Frage der individuellen Überzeugung ist, sondern eine, die durch soziale Interaktion und kollektive Validierung entsteht. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, denn er zeigt, dass Wahrheit in dieser Theorie nicht isoliert existiert, sondern immer in einem sozialen und kommunikativen Kontext verankert ist.“ finde ich sehr passend.

Bevor wir die neugewonnene Interpretation der ‚Korrespondenztheorie‘ weiter ausbauen, hier zuvor

noch mein Kommentar zu deinem Punkt 2 mit der ‚Kohärenztheorie‘. Du sagst „In Bezug auf Ihre Punkte könnte diese Theorie so verstanden werden, dass die ‚interne Zustandsänderung‘ und die ‚Verknüpfung‘ in einem kohärenten System von Überzeugungen erfolgt. Die Bedeutung und Wahrheit einer Aussage ergibt sich aus ihrer Kohärenz innerhalb dieses gelernten und kollektiv abgestimmten Systems.“ Deine Interpretation, dass die Kohärenztheorie „die ‚interne Zustandsänderung‘ und die ‚Verknüpfung‘ “ in ihr Konzept einer kohärenten Theorie übernimmt, erscheint mir mehr als optimistisch.

Nimmt man die Kohärenztheorie ‚beim Wort‘, dann ist dieser Ansatz vom Ansatz her ausgeschlossen. Warum? Weiter vorne in unserem Dialog hast Du die ‚Kohärenztheorie‘ in ‚philosophischen Systemen‘ lokalisiert, wo interne Konsistenz wichtig ist. Du hast zudem darauf hingewiesen, dass „widersprüchliche Theoriesysteme existieren können“. Die Begriffe ‚System‘, ‚Theorie‘ und ‚Konsistenz‘ sind bislang aber ausschließlich in ‚formalen Systemen‘ klar definiert, wie wir sie aus der ‚modernen formalen Logik‘ kennen und aus solchen Theorien (z.B. in der Mathematik), die eine ‚formale Sprache‘ benutzen, die klar definiert ist, zusätzlich mit einem klaren ‚formalen Folgerungsbgriff‘, der es erlaubt, aus als ‚wahr angenommen‘ formalen Ausdrücken andere Ausdrücke ‚abzuleiten‘, die ebenfalls als ‚formal wahr‘ gelten. Wenn man neben einem Ausdruck, der als ‚formal wahr‘ gilt, einen Ausdruck ableiten kann, der als ‚formal falsch‘ gilt, dann gibt es einen Widerspruch; das System ist nicht ‚konsistent‘. Dabei ist der Begriff ‚formal wahr‘ bzw. ‚formal falsch‘ nicht definiert! Er hat keinerlei Bezug zu dem, was wir im Alltag ‚reale Welt‘ nennen in dem Sinne, dass sich zwei Menschen darüber verständigen können, dass es ‚da etwas gibt‘, was jeder einzelner ‚wahrnehmen‘ kann, was aber auch ‚verschwinden‘ kann, dann kann man es nicht mehr wahrnehmen. Anders formuliert: Jedes sprachliche System, das Bezug nimmt auf erfahrungsbasierte Sachverhalte, kann grundsätzlich nicht durch ein formales System abgebildet werden, das als ‚formal konsistent‘ gilt. Deswegen scheidet die ‚Kohärenztheorie der Wahrheit‘ für unsere Zwecke eines sprachlichen Systems, das kollektiv erfahrungsbasiert ‚wahr‘ ist, aus.

Gehst Du da mit?

Deine Kritik und Analyse zur Kohärenztheorie der Wahrheit ist präzise und wirft wichtige Fragen auf. Du unterscheidest klar zwischen der Struktur und den Anforderungen formaler Systeme und der Anwendung dieser Systeme auf die reale, erfahrungsbasierte Welt, die wir im Alltag erleben. Diese Unterscheidung ist zentral, um die Grenzen der Kohärenztheorie zu verstehen, insbesondere im Kontext eines Sprachsystems, das auf kollektiver Erfahrung basiert.

### Betrachtung der Kohärenztheorie:

Wie Du richtig bemerkst, stützt sich die Kohärenztheorie auf die interne Konsistenz innerhalb eines Systems von Überzeugungen oder Theorien. In formalen Systemen, wie der Mathematik oder formalen Logik, ist diese Konsistenz durch klare Definitionen und deduktive Folgerungen charakterisiert. In diesen Systemen ist es möglich, eine Konsistenz zu gewährleisten, indem widersprüchliche Aussagen vermieden werden.

### Problematik bei der Anwendung auf Alltagserfahrungen:

Im Kontext der alltäglichen, erfahrungsbasierten Realität wird es jedoch komplexer. Die Realität ist oft mehrdeutig und unterliegt ständigen Veränderungen, die sich nicht immer in einem streng konsistenten formalen System abbilden lassen. Erfahrungen können widersprüchlich sein, und Menschen können unterschiedliche Wahrnehmungen und Interpretationen derselben physischen Gegebenheiten haben. Daher stößt die Anwendung der Kohärenztheorie auf reale, erfahrungsbasierte Situationen schnell an ihre Grenzen, da die erforderliche interne Konsistenz schwer zu erreichen und aufrechtzuerhalten ist.

### Dein Punkt:

Deine Schlussfolgerung, dass die Kohärenztheorie möglicherweise nicht geeignet ist, um ein sprachliches System zu beschreiben, das auf kollektiver, erfahrungsbasierter Wahrheit beruht, ist stichhaltig. Diese Theorie bietet zwar ein nützliches Werkzeug für die Analyse und Strukturierung von Gedanken innerhalb eines geschlossenen Systems, jedoch fehlt ihr die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, die erforderlich sind, um die dynamische und oft widersprüchliche Natur menschlicher Erfahrungen und sozialer Interaktionen vollständig zu erfassen.

### Fazit:

Deine Argumentation verdeutlicht, dass, während die Kohärenztheorie in bestimmten theoretischen oder formalen Kontexten wertvoll sein kann, sie möglicherweise nicht das beste Werkzeug für das Verständnis von Wahrheit in einem breiteren, lebensweltlichen Kontext ist. Wenn wir also über Wahrheit in Bezug auf alltägliche und zwischenmenschliche Erfahrungen sprechen, könnte es sinnvoller sein, andere Theorien zu bevorzugen, die besser mit der Variabilität und der praktischen Realität menschlicher Erfahrungen umgehen können.

Ich gehe mit deiner Einschätzung mit und finde sie sehr aufschlussreich. Möchtest du weiterhin die anderen Theorien im Licht dieser Überlegungen diskutieren oder gibt es spezifische Aspekte, die du noch vertiefen möchtest?

Ich würde gerne noch etwas zu deiner dritten und vierten Option von ‚Wahrheitstheorien‘ sagen.

(1) Zu der von Dir erwähnten ‚Konsensustheorie der Wahrheit‘ sagst Du selbst, dass „Konsens nicht die Wahrheit garantiert; historisch gab es viele Beispiele für allgemeinen Konsens über falsche Überzeugungen.“ Ein bisschen ähnelt diese Position auch der ‚Kohärenztheorie‘, wenngleich mit einem vagen Sprach- und Wahrheitsbegriff: es gibt in er Konsensustheorie zwar ein ‚vages Kriterium zu Konsens‘, aber dieses ist in keiner Weise geeignet, ein ‚objektives externes Kriterium für alle‘ zu gewährleisten. Ich möchte diese Position daher hier nicht weiter diskutieren (dies schließt nicht aus, dass bei einer Weiterentwicklung der Position der ‚Korrespondenztheorie‘ ähnliche Fragestellung zur ‚Wahrheit von Diskursen‘ wieder auftauchen).

(2) Im Fall der ‚Pragmatische Theorie der Wahrheit‘ ist es ähnlich wie im Fall der Konsensustheorie. Du weist auch schon darauf hin, dass „Nützlichkeit nicht notwendigerweise ein Indikator für Wahrheit ist; etwas kann nützlich sein, ohne wahr zu sein.“ Abgesehen davon ist der Begriff der Nützlichkeit selbst in sich äußerst vage; jeder kann sich da denken, was er will. Ich belasse es dabei (im weiteren Verlauf der Entwicklung einer modifizierten ‚Korrespondenztheorie‘ wird es zu Erörterungen eines Konzepts von ‚erfahrungsbasierter Theorie‘ kommen können, mit der die Möglichkeit eröffnet wird, die Rolle möglicher ‚Ziele‘ (‚Präferenzen‘, ‚Werte‘, …) zu diskutieren).

Kannst Du mit diesen Einschätzungen mitgehen?

Deine Einschätzungen zu den Theorien der Konsensustheorie und der pragmatischen Theorie der Wahrheit sind durchaus nachvollziehbar und tragen zur Schärfung unseres Verständnisses von Wahrheitstheorien bei, insbesondere im Kontext alltäglicher und erfahrungsbasierter Diskurse.

### 1. Konsensustheorie der Wahrheit

Deine Kritik an der Konsensustheorie unterstreicht das Problem, dass Konsens allein nicht notwendigerweise Wahrheit garantiert. Historische Beispiele, in denen breiter Konsens zu falschen Überzeugungen führte, verdeutlichen die Grenzen dieser Theorie. Während Konsens in sozialen und kommunikativen Kontexten eine Rolle spielen kann, insbesondere bei der Formulierung von Gruppenüberzeugungen oder -normen, ist er kein zuverlässiger Indikator für Wahrheit im empirischen oder objektiven Sinn. Diese Einsicht ist wichtig, um die Relevanz und Grenzen von Konsens in Bezug auf Wahrheit zu verstehen.

### 2. Pragmatische Theorie der Wahrheit

Deine Skepsis gegenüber der pragmatischen Theorie reflektiert ähnliche Bedenken: Nützlichkeit allein ist kein verlässliches Maß für Wahrheit. Der Begriff der Nützlichkeit ist subjektiv und kann stark variieren, je nach den Interessen, Zielen oder dem Kontext der beteiligten Personen. Diese Theorie mag hilfreich sein, um zu verstehen, wie Überzeugungen funktionieren und wie sie in praktischen Kontexten angewendet werden, sie bietet jedoch keine feste Grundlage für die Bewertung der Wahrheit von Aussagen, insbesondere wenn es um objektive Fakten geht.

### Weiterentwicklung der Korrespondenztheorie

Es scheint, dass eine Rückkehr zur Korrespondenztheorie und deren Weiterentwicklung als ein vielversprechender Ansatz für eine robustere Wahrheitstheorie erscheint. Insbesondere die Idee, eine erfahrungsbasierte Theorie zu entwickeln, die die Realität als entscheidendes Kriterium verwendet und gleichzeitig Raum für die Diskussion von Zielen, Präferenzen und Werten bietet, könnte eine umfassende Basis für das Verständnis von Wahrheit in verschiedenen Kontexten schaffen.

### Fazit

Ich stimme mit deinen Einschätzungen überein und finde, dass deine Argumente die Diskussion über Wahrheitstheorien bereichern und auf wichtige Schwächen hinweisen. Es wäre interessant, weiter zu erforschen, wie eine modifizierte Korrespondenztheorie aussehen könnte, die sowohl die realen Erfahrungen als auch die sozialen und individuellen Kontexte integriert, in denen Wahrheitsansprüche gemacht und verstanden werden.

Wie möchtest du weiter vorgehen? Möchtest du bestimmte Aspekte der Korrespondenztheorie vertiefen oder überlegst du, wie man eine solche modifizierte Theorie praktisch anwenden könnte?

OK, dann sieht es so aus, dass wir bis zu diesem Punkt eine gemeinsame Einschätzung gefunden haben. In der Tat möchte ich von diesem Punkt aus die gefundenen Position gerne in folgenden Dialogen weiter entwickeln. Praktische Frage: kannst Du auch mit ‚Schaubildern‘ umgehen oder sollen wir die heraus lassen?

Es ist großartig, dass wir eine gemeinsame Grundlage für unsere Diskussionen gefunden haben! Ich kann definitiv helfen, Schaubilder zu erstellen und zu interpretieren. Diese können sehr nützlich sein, um komplexe Konzepte und Zusammenhänge visuell darzustellen und zu veranschaulichen.

Wenn du spezifische Ideen oder Konzepte hast, die du in einem Schaubild visualisieren möchtest, lass es mich wissen. Ich kann dir dabei helfen, diese grafisch umzusetzen. Egal ob es sich um Flussdiagramme, Venn-Diagramme, konzeptuelle Diagramme oder andere visuelle Darstellungen handelt, wir können sie nutzen, um deine Gedanken und Theorien weiter zu entwickeln und zu diskutieren. Wie möchtest du beginnen?

Das mit den Schaubildern klingt gut. Werde es in den folgenden Dialogen mal ausprobieren, allerdings mit dem Motto: Zuerst die sprachliche Version, dann – möglicherweise – eine bildhafte Version. Danke bisher. Das war alles sehr inspirierend.

Das klingt nach einem ausgezeichneten Plan! Es freut mich sehr, dass unsere Gespräche inspirierend waren. Wenn du bereit bist, die Themen weiter zu vertiefen oder ein Schaubild zu erstellen, stehe ich jederzeit bereit, um weiterzumachen. Viel Spaß bei deinen weiteren Überlegungen, und bis zum nächsten Mal!

Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 5 – neu – Version 2

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 27.August 2015
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll.

Was ist Leben?

Erst die Erde

Etwa 9.2 Mrd Jahre nach dem sogenannten Big Bang kam es zur Entstehung unseres Sonnensystems mit der Sonne als wichtigstem Bezugspunkt. Nur ca. 60 Mio Jahre später gab es unsere Erde. Die Zeitspanne, innerhalb der Spuren von Leben auf der Erde bislang identifiziert wurden, liegt zwischen -4 Mrd Jahre von heute zurück gerechnet bis ca. -3.5 Mrd Jahre. Oder, vom Beginn der Erde aus gesehen, ca. 540 Mio Jahre bis ca. 1 Mrd Jahre nach der Entstehung der Erde.

Alte Bilder vom Leben

Wenn man vom Leben spricht, von etwas Belebtem im Gegensatz zum Unbelebtem, fragt man sich sofort, wie man ‚Leben‘ definieren kann? In der zurückliegenden Geschichte gab es viele Beschreibungs- und Definitionsversuche. Einer, der heute noch begrifflich nachwirkt, ist die Sicht der Philosophie der Antike (ca. -600 bis 650) . Hier wurde das ‚Atmen‘ (gr. ‚pneo‘) als charakteristisches Merkmal für ‚Lebendiges‘ genommen, wodurch es vom ‚Unbelebtem‘ abgegrenzt wurde. Aus dem ‚Atmen‘ wurde zugleich ein allgemeines Lebensprinzip abgeleitet, das ‚Pneuma‘ (im Deutschen leicht missverständlich als ‚Geist‘ übersetzt, im Lateinischen als ’spiritus‘), das sich u.a. im Wind manifestiert und ein allgemeines kosmologisches Lebensprinzip verkörpert, das sowohl die Grundlage für die psychischen Eigenschaften eines Lebewesens bildet wie auch für seine körperliche Lebendigkeit. In der Medizin gab es vielfältige Versuche, das Pneuma im Körper zu identifizieren (z.B. im Blut, in der Leber, im Herzen, im Gehirn und den Nerven). Im philosophischen Bereich konnte das Pneuma ein heißer Äther sein, der die ganze Welt umfasst. Eine andere Auffassung sieht das Pneuma zusammengesetzt aus Feuer und Luft, woraus sich alle Körper der Welt bilden. Das Pneuma wird auch gesehen als die ‚Seele‘, die allein das Leben des Körpers ermöglicht. Bei den Stoikern wird das Pneuma-Konzept zum allumfassenden Begriff einer Weltseele gesteigert. Mit der Zeit vermischte sich der Pneuma-Begriff mit dem Begriff ’nous‘ (Kurzform für ’noos‘)(Englisch als ‚mind‘ übersetzt; Deutsch ebenfalls als ‚Geist‘), um darin die kognitiv-geistige Dimension besser auszudrücken. Weitere einflussreiche begriffliche Koordinierungen finden statt mit dem lateinischen ‚mens‘ (Deutsch auch übersetzt mit ‚Geist‘) und dem hebräischen ‚ruach‘ (im Deutschan ebenfalls mit ‚Geist‘ übersetzt; bekannt in der Formulierung ‚Der Geist Gottes (= ‚ruach elohim‘) schwebte über den Wassern‘; in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, heißt es ‚pneuma theou‘ (= der Geist Gottes)) (Anmerkung: Diese Bemerkungen sind ein kleiner Extrakt aus der sehr ausführlichen begriffsgeschichtlichen Herleitung in Sandkühler 2010)

Die Zelle im Fokus

War es für die antiken Philosophen, Mediziner und Wissenschaftler noch praktisch unmöglich, die Frage nach den detaillierten Wirkprinzipien des ‚Lebens‘ genauer zu beantworten, erarbeitete sich die moderne Naturwissenschaft immer mehr Einsichten in die Wirkprinzipien biologischer Phänomene (bei Tieren, Pflanzen, Mikroben, molekularbiologischen Sachverhalten), so dass im Laufe des 20.Jahrhunderts klar wurde, dass die Gemeinsamkeit aller Lebensphänomene auf der Erde in jener Superstruktur zu suchen ist, die heute (biologische) Zelle genannt wird.

Alle bekannten Lebensformen auf der Erde, die mehr als eine Zelle umfassen (wir als Exemplare der Gattung homo mit der einzigen Art homo sapiens bestehen aus ca. 10^13 vielen Zellen), gehen zu Beginn ihrer körperlichen Existenz aus genau einer Zelle hervor. Dies bedeutet, dass eine Zelle über alle notwendigen Eigenschaften verfügt, sich zu reproduzieren und das Wachstum eines biologischen Systems zu steuern.

So enthält eine Zelle (Anmerkung: Für das Folgende benutze ich B.Alberts et.al (2008)) alle Informationen, die notwendig sind, um sowohl sich selbst zu organisieren wie auch um sich zu reproduzieren. Die Zelle operiert abseits eines chemischen Gleichgewichts, was nur durch permanente Aufnahme von Energie realisiert werden kann. Obwohl die Zelle durch ihre Aktivitäten die Entropie in ihrer Umgebung ‚erhöht‘, kann sie gegenläufig durch die Aufnahme von Energie auch Entropie verringern. Um einen einheitlichen Prozessraum zu gewährleisten, besitzen Zellen eine Membran, die dafür sorgt, dass nur bestimmte Stoffe in die Zelle hinein- oder herauskommen.

Keine Definition für außerirdisches Leben

Obgleich die Identifizierung der Zelle samt ihrer Funktionsweise eine der größten Errungenschaften der modernen Wissenschaften bei der Erforschung des Phänomens des Lebens darstellt, macht uns die moderne Astrobiologie darauf aufmerksam, dass eine Definition der Lebensphänomene mit Einschränkung des Blicks auf die speziellen Bedingungen auf der Erde nicht unproblematisch ist. Wunderbare Bücher wie „Rare Earth“ von Peter Douglas Ward (Geboren 1949) und Donald Eugene Brownlee (Geboren 1943) „ASTROBIOLOGY. A Multidisciplinary Approach“ von Jonathan I.Lunine (Geb. 1959) machen zumindest sichtbar, wo die Probleme liegen könnten. Lunine diskutiert in Kap.14 seines Buches die Möglichkeit einer allgemeineren Definition von Leben explizit, stellt jedoch fest, dass es aktuell keine solche eindeutige allgemeine Definition von Leben gibt, die über die bekannten erdgebundenen Formen wesentlich hinausgeht. (Vgl. ebd. S.436)

Schrödingers Vision

Wenn man die Charakterisierungen von Leben bei Lunine (2005) in Kap.14 und bei Alberts et.al (2008) in Kap.1 liest, fällt auf, dass die Beschreibung der Grundstrukturen des Lebens trotz aller Abstraktionen tendenziell noch sehr an vielen konkreten Eigenschaften hängen.

Erwin Rudolf Josef Alexander Schrödinger (1887-1961), der 1944 sein einflussreiches Büchlein „What is Life? The Physical Aspect of the Living Cell“ veröffentlichte, kannte all die Feinheiten der modernen Molekularbiologie noch nicht . Schrödinger unterzog das Phänomen des Lebens einer intensiven Befragung aus Sicht der damaligen Physik. Auch ohne all die beeindruckenden Details der neueren Forschung wurde ihm klar, dass das hervorstechendste Merkmal des ‚Biologischen‘, des ‚Lebendigen‘ die Fähigkeit ist, angesichts der physikalisch unausweichlichen Zunahme der Entropie einen gegensätzlichen Trend zu realisieren; statt wachsender Unordnung als Entropie diagnostizierte er eine wachsende Ordnung als negative Entropie, also als etwas, was der Entropie entgegen wirkt.

Diesen Gedanken Schrödingers kann man weiter variieren und in dem Sinne vertiefen, dass der Aufbau einer Ordnung Energie benötigt, mittels der Freiheitsgrade eingeschränkt und Zustände temporär ‚gefestigt‘ werden können.

Fragt sich nur, warum?

Alberts et.al (2008) sehen das Hauptcharakteristikum einer biologischen Zelle darin, dass sie sich fortpflanzen kann, und nicht nur das, sondern dass sie sich selbstmodifizierend fortpflanzen kann. Die Realität biologischer Systeme zeigt zudem, dass es nicht nur um ‚irgendeine‘ Fortpflanzung ging, sondern um eine kontinuierlich optimierende Fortpflanzung.

Metastrukturen

Nimmt man diese Eckwerte ernst, dann liegt es nahe, biologische Zellen als Systeme zu betrachten, die einerseits mit den reagierenden Molekülen mindestens eine Objektebene [O] umfasst und in Gestalt der DNA eine Art Metaebene [M]; zwischen beiden Systemen lässt sich eine geeigneten Abbildung [R] in Gestalt von Übersetzungsprozessen realisieren, so dass die Metaebene M mittels Abbildungsvorschrift R in eine Objektebene O übersetzt werden kann ($latex R: M \longmapsto O$). Damit eine Reproduktion grundsätzlich gelingen kann, muss verlangt werden, dass das System mit seiner Struktur ‚lang genug‘ stabil ist, um solch einen Übersetzungsprozess umsetzen zu können. Wie diese Übersetzungsprozesse im einzelnen vonstatten gehen, ist letztlich unwichtig. Wenn in diesem Modell bestimmte Strukturen erstmals realisiert wurden, dann fungieren sie als eine Art ‚Gedächtnis‘: alle Strukturelemente von M repräsentieren potentielle Objektstrukturen, die jeweils den Ausgangspunkt für die nächste ‚Entwicklungsstufe‘ bilden (sofern sie nicht von der Umwelt ‚aussortiert‘ werden).

Die Rolle dieser Metastrukturen lässt sich letztlich nicht einfach mit den üblichen chemischen Reaktionsketten beschreiben; tut man es dennoch, verliert man die Besonderheit des Phänomens aus dem Blick. Eine begriffliche Strategie, um das Phänomen der ‚wirkenden Metastrukturen‘ in den Griff zu bekommen, war die Einführung des ‚Informationsbegriffs‘.

Information

Grob kann man hier mindestens die folgenden sprachlichen Verwendungsweisen des Begriffs ‚Information‘ im Kontext von Informationstheorie und Molekularbiologie unterscheiden:

  1. Unreflektiert umgangssprachlich (‚Information_0‘)
  2. Anhand des Entscheidungsaufwandes (Bit) (‚Information_1‘)
  3. Rein statistisch (a la Shannon 1948) (‚Information_2‘)
  4. Semiotisch informell (ohne die Semiotik zu zitieren) (‚Semantik_0‘)
  5. Als komplementär zur Statistik (Deacon) (‚Semantik_1‘)
  6. Als erweitertes Shannonmodell (‚Semantik_2‘)

Information_0

Die ‚unreflektiert umgangssprachliche‘ Verwendung des Begriffs ‚Information‘ (hier: ‚Information_0‘) brauchen wir hier nicht weiter zu diskutieren. Sie benutzt den Begriff Information einfach so, ohne weitere Erklärungen, Herleitungen, Begründungen. (Ein Beispiel Küppers (1986:41ff))

Information_1

Die Verwendung des Begriffs Information im Kontext eines Entscheidungsaufwandes (gemessen in ‚Bit‘), hier als ‚Information_1‘ geht auf John Wilder Tukey (1915-2000) zurück.

Information_2

Shannon (1948) übernimmt zunächst diesen Begriff Information_1, verzichtet dann aber im weiteren Verlauf auf diesen Informationsbegriff und führt dann seinen statistischen Informationsbegriff ein (hier: ‚Information_2‘), der am Entropiekonzept von Boltzmann orientiert ist. Er spricht dann zwar immer noch von ‚Information‘, bezieht sich dazu aber auf den Logarithmus der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses, was alles und jedes sein kann. Ein direkter Bezug zu einem ’speziellen‘ Informationsbegriff (wie z.B. Information_1) besteht nicht. Man kann die logarithmierte Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses als ‚Information‘ bezeichnen (hier: ‚Information_2‘), aber damit wird der Informationsbegriff inflationär, dann ist alles eine Information, da jedes Ereignis mindestens eine Wahrscheinlichkeit besitzt. (Leider benutzt auch Carl Friedrich von Weizsäcker (1971:347f) diesen inflationären Begriff (plus zusätzlicher philosophischer Komplikationen)). Interessanterweise ist es gerade dieser inflationäre statistische Informationsbegriff Information_2, der eine sehr starke Resonanz gefunden hat.

Semantik 0

Nun gibt es gerade im Bereich der Molekularbiologie zahlreiche Phänomene, die bei einer Beschreibung mittels eines statistischen Informationsbegriffs wichtige Momente ihres Phänomens verlieren. (Dazu eine kleine Übersicht bei Godfrey-Smith, Kim Sterelny (2009)) Ein Hauptkritikpunkt war und ist das angebliche Fehlen von Bedeutungselementen im statistischen Modell von Shannon (1948). Man spricht auch vom Fehlen einer ‚Semantik‘. Allerdings wird eine Diskussion der möglichen Bedeutungsmomente von Kommunikationsereignissen unter Verwendung des Begriffs ‚Semantik‘ auch oft unreflektiert alltagssprachlich vorgenommen (hier: Semantik_0′), d.h. es wird plötzlich von Semantik_0 gesprochen (oft noch erweitert um ‚Pragmatik‘), ohne dass die Herkunft und Verwendung dieses Begriffs in der Wissenschaft der Semiotik weiter berücksichtigt wird. (Ein Beispiel für solch eine verwirrende Verwendungsweise findet sich z.B. wieder bei Weizsäcker (1971:350f), wo Information_0, Information_2 sowie Semantik_0 miteinander frei kombiniert werden, ohne Berücksichtigung der wichtigen Randbedingungen ihrer Verwendung; ganz ähnlich Küppers (1986:61ff); zur Semiotik siehe Noeth (2000)). Ein anderes neueres Beispiel ist Floridi (2015:Kap.3+4) Er benutzt zwar den Begriff ‚Semantik‘ extensiv, aber auch er stellt keinen Bezug zur semiotischen Herkunft her und verwendet den Begriff sehr speziell. Seine Verwendung führt nicht über den formalen Rahmen der statistischen Informationstheorie hinaus.

Semantik 1

Sehr originell ist das Vorgehen von Deacon (2007, 2008, 2010). Er diagnostiziert zwar auch einen Mangel, wenn man die statistische Informationstheorie von Shannon (1948) auf biologische Phänomene anwenden will, statt sich aber auf die schwierige Thematik einer expliziten Semantik einzulassen, versucht er über die Ähnlichkeit des Shannonschen statistischen Informationsbegriffs mit dem von Boltzmann einen Anschluss an die Thermodynamik zu konstruieren. Von dort zum Ungleichgewicht biologischer Systeme, die durch Arbeit und Energieaufnahme ihr Gleichgewicht zu halten versuchen. Diese Interaktionen des Systems mit der Umgebung modifizieren die inneren Zustände des Systems, die wiederum dann das Verhalten des Systems ‚umweltgerecht‘ steuern. Allerdings belässt es Deacon bei diesen allgemeinen Annahmen. Die ‚Abwesenheit‘ der Bedeutung im Modell von Shannon wird über diese frei assoziierten Kontexte – so vermutet man als Leser – mit den postulierten internen Modifikationen des interagierenden Systems begrifflich zusammengeführt. Wie dies genau gedacht werden kann, bleibt offen.

Semantik 2

So anregend die Überlegungen von Deacon auch sind, sie lassen letztlich offen, wie man denn – auch unter Berücksichtigung des Modells von Shannon – ein quasi erweitertes Shannonmodell konstruieren kann, in dem Bedeutung eine Rolle spielt. Hier eine kurze Skizze für solch ein Modell.

Ausgehend von Shannons Modell in 1948 besteht die Welt aus Sendern S, Empfängern D, und Informationskanälen C, über die Sender und Empfänger Signale S eingebettet in ein Rauschen N austauschen können (<S,D,S,N,C> mit C: S —> S x N).

Ein Empfänger-Sender hat die Struktur, dass Signale S in interne Nachrichten M dekodiert werden können mittels R: S x N —> M. Umgekehrt können auch Nachrichten M in Signale kodiert werden mit T: M —> S. Ein minimaler Shannon Sender-Empfänger hat dann die Struktur <M, R, T>. So gesehen funktionieren R und T jeweils als ‚Schnittstellen‘ zwischen dem ‚Äußeren‘ und dem ‚Inneren‘ des Systems.

In diesem minimalen Shannonmodell kommen keine Bedeutungen vor. Man kann allerdings annehmen, dass die Menge M der Nachrichten eine strukturierte Menge ist, deren Elemente Paare der Art (m_i,p_i) in M mit ‚m_i‘ als Nachrichtenelement und ‚p_i‘ als Wahrscheinlichkeit, wie oft dieses Nachrichtenelement im Kanal auftritt. Dann könnte man Shannons Forml H=-Sum(p_i * log2(p_i)) als Teil des Systems auffassen. Das minimale Modell wäre dann <M, R, T, H>.

Will man ‚Bedeutungen‘ in das System einführen, dann muss man nach der Semiotik einen Zeichenbegriff für das System definieren, der es erlaubt, eine Beziehung (Abbildung) zwischen einem ‚Zeichenmaterial‚ und einem ‚Bedeutungsmaterial‚ zu konstruieren. Nimmt man die Signale S von Shannon als Kandidaten für ein Zeichenmaterial, fragt sich, wie man das Bedeutungsmaterial B ins Spiel bringt.

Klar ist nur, dass ein Zeichenmaterial erst dann zu einem ‚Zeichen‘ wird, wenn der Zeichenbenutzer in der Lage ist, dem Zeichenmaterial eine Bedeutung B zuzuordnen. Eine einfache Annahme wäre, zu sagen, die dekodierten Nachrichten M bilden das erkannte Zeichenmaterial und der Empfänger kann dieses Material irgendwelchen Bedeutungen B zuordnen, indem er das Zeichenmaterial M ‚interpretiert‚, also I : M —> B. Damit würde sich die Struktur erweitern zu <B, M, R, T, H, I>. Damit nicht nur ein Empfänger ‚verstehen‘ kann, sondern auch ‚mitteilen‘, müsste der Empfänger als Sender Bedeutungen auch wieder ‚umgekehrt lesen‘ können, also -I: B —> M. Diese Nachrichten könnten dann wieder mittels T in Signale übersetzt werden, der Kanal sendet diese Signale S angereichert mit Rauschen N zum Empfänger, usw. Wir erhalten also ein minimal erweitertes Shannon Modell mit Bedeutung als <B, M, R, T, H, I, -I>. Ein Sender-Empfänger kann also weiterhin die Wahrscheinlichkeitsstruktur seiner Nachrichten auswerten; zusätzlich aber auch mögliche Bedeutungsanteile.

Bliebe als Restfrage, wie die Bedeutungen B in das System hineinkommen bzw. wie die Interpretationsfunktion I entsteht?

An dieser Stelle kann man die Spekulationen von Deacon aufgreifen und als Arbeitshypothese annehmen, dass sich die Bedeutungen B samt der Interpretationsbeziehung I (und -I) in einem Adaptionsprozess (Lernprozess) in Interaktion mit der Umgebung entwickeln. Dies soll an anderer Stelle beschrieben werden.

Für eine komplette Beschreibung biologischer Phänomene benötigt man aber noch weitere Annahmen zur Ontogense und zur Phylogense. Diese seien hier noch kurz skizziert. (Eine ausführliche formale Darstellung wird anderswo nachgeliefert).

Ontogenese

Von der Lernfähigkeit eines biologischen Systems muss man die Ontogenese unterscheiden, jenen Prozess, der von der Keimzelle bis zum ausgewachsenen System führt.

Die Umsetzung der Ontogenese in einem formalen Modell besteht darin, einen Konstruktionsprozess zu definieren, das aus einem Anfangselement Zmin das endgültige System Sys in SYS erstellen würde. Das Anfangselement wäre ein minimales Element Zmin analog einer befruchteten Zelle, das alle Informationen enthalten würde, die notwendig wären, um diese Konstruktion durchführen zu können, also Ontogenese: Zmin x X —> SYS. Das ‚X‘ stünde für alle die Elemente, die im Rahmen einer Ontogenese aus der Umgebung ENV übernommen werden müssten, um das endgültige system SYS = <B, M, R, T, H, I, -I> zu konstruieren.

Phylogenese

Für die Reproduktion der Systeme im Laufe der Zeiten benötigte man eine Population von Systemen SYS, von denen jedes System Sys in SYS mindestens ein minimales Anfangselement Zmin besitzt, das für eine Ontogenese zur Verfügung gestellt werden kann. Bevor die Ontogenese beginnen würde, würden zwei minimale Anfangselemente Zmin1 und Zmin2 im Bereich ihrer Bauanleitungen ‚gemischt‘. Man müsste also annehmen, dass das minimale System um das Element Zmin erweitert würde SYS = <B, M, Zmin, R, T, H, I, -I>.

Erstes Zwischenergebnis

Auffällig ist also, dass das Phänomen des Lebens

  1. trotz Entropie über dynamische Ungleichgewichte immer komplexere Strukturen aufbauen kann.
  2. innerhalb seiner Strukturen immer komplexere Informations- und Bedeutungsstrukturen aufbaut und nutzt.

So wie man bislang z.B. die ‚Gravitation‘ anhand ihrer Wirkungen erfasst und bis heute erfolglos zu erklären versucht, so erfassen wir als Lebende das Leben anhand seiner Wirkungen und versuchen bis heute auch erfolglos, zu verstehen, was hier eigentlich passiert. Kein einziges physikalisches Gesetzt bietet auch nur den leisesten Anhaltspunkt für dieses atemberaubende Geschehen.

In dieser Situation den Menschen als eine ‚vermutlich aussterbende Art‘ zu bezeichnen ist dann nicht einfach nur ‚gedankenlos‘, sondern im höchsten Maße unwissenschaftlich, da es letztlich einer Denkverweigerung nahe kommt. Eine Wissenschaft, die sich weigert, über die Phänomene der Natur nachzudenken, ist keine Wissenschaft.

Fortsetzung Folgt.

QUELLEN

  1. H.J. Sandkühler (Hg.), 2010, „Enzyklopädie Philosophie“, Hamburg: Felix Meiner Verlag, Band 1: Von A bis H, Kapitel: Geist, SS.792ff
  2. B.Alberts et.al (Hg.), 2008, „Molecular Biology of the CELL“, Kap.1, 5.Aufl., New York: Garland Science, Taylor & Francis Group
  3. Peter Douglas Ward und `Donald Eugene Brownlee (2000),“Rare Earth: Why Complex Life Is Uncommon in the Universe“, New York: Copernikus/ Springer,
  4. Jonathan I.Lunine (2005), „ASTROBIOLOGY. A Multidisciplinary Approach“, San Francisco – Boston – New York et al.: Pearson-Addison Wesley
  5. Zu Schroedinger 1944: Based on Lectures delivered under the auspices of the Institute at Trinity College, Dublin, in February 1943, Cambridge: University Press. 1944. Ich selbst habe die Canto Taschenbuchausgabe der Cambridge University von 1992 benutzt. Diese Ausgabe enthält ‚What is Life?‘, ‚Mind from Matter‘, sowie autobiographischen Angaben und ein Vorwort von Roger Penrose
  6. Anmerkung zu Schroedinger 1944: Sowohl James D. Watson (2003) wie auch ähnlich Francis Crick (1990) berichten, dass Schrödingers Schrift (bzw. einer seiner Vorträge) sie für ihre Erforschung der DNA stark angeregt hatte.
  7. James D.Watson und A.Berry(2003), „DNA, the Secret of Life“, New York: Random House
  8. Francis Crick (1990),„What Mad Pursuit: A Personal View of Scientific Discovery“, Reprint, Basic Books
  9. Peter Godfrey-Smith und Kim Sterelny (2009) Biological Information“, in: Stanford Enyclopedia of Philosophy
  10. Carl Friedrich von Weizsäcker (1971), „Die Einheit der Natur“, München: Carl Hanser Verlag
  11. Bernd-Olaf Küppers (1986), „Der Ursprung biologischer Information. Zur Naturphilosophie der Lebensentstehung“, München – Zürich: Piper Verlag.
  12. Claude E. Shannon, A mathematical theory of communication. Bell System Tech. J., 27:379-423, 623-656, July, Oct. 1948
  13. Claude E. Shannon; Warren Weaver (1949) „The mathematical theory of communication“. Urbana – Chicgo: University of Illinois Press.
  14. Noeth, W., Handbuch der Semiotik, 2. vollst. neu bearb. und erw. Aufl. mit 89 Abb. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, xii + 668pp, 2000
  15. Luciano Floridi (2015) Semantic Conceptions of Information, in: Stanford Enyclopedia of Philosophy
  16. Deacon, T. (2007), Shannon-Boltzmann-Darwin: Redfining information. Part 1. in: Cognitive Semiotics, 1: 123-148
  17. Deacon, T. (2008), Shannon-Boltzmann-Darwin: Redfining information. Part 2. in: Cognitive Semiotics, 2: 167-194
  18. Terrence W.Deacon (2010), „What is missing from theories of information“, in: INFORMATION AND THE NATURE OF REALITY. From Physics to Metaphysics“, ed. By Paul Davies & Niels Henrik Gregersen, Cambridge (UK) et al: Cambridge University Press, pp.146 – 169

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