Archiv der Kategorie: Gehirnentwicklung

M.DONALD: EVOLUTION DES MENSCHLICHEN BEWUSSTSEINS – Kurzbesprechung, Teil 3

Diesem Beitrag ging voraus Teil 2.

1) Im Rahmen seiner Arbeitshypothese, dass sich der Mensch mit seinem Gehirn nur im Rahmen einer entsprechenden ‚Kultur‘ entwickeln kann und entwickelt hat, sucht Donald nun Anhaltspunkte in der empirischen Geschichte des Menschen. Dabei greift er auf die Ergebnisse seines ersten Buches von 1991 zurück (siehe unten). Entlang der Geschichte des Menschen mit den Phasen ‚homo‘ (ca. -2 Mio Jahre), ‚homo sapiens‘ (ca -0.5 Mio Jahre) und ‚homo sapiens sapiens‘ (ca. -125.000 Jahre) meint Donald vier charakteristische Typen von Kulturen unterscheiden zu können: ‚Episodisch‘, ‚Mimetisch‘, ‚Mythisch‘ und ‚Theoretisch‘.(vgl. Tabelle S.260)
2) Versucht man diese Klassifizierung zu verstehen, dann findet man aber nur eine recht allgemeine Charakterisierung des Lebens unserer Vorfahren anhand archäologischer Befunde (ohne Aufweis von Quellen). Es skizziert das Bild von Wesen (homo), die in kleinen Gruppen organisiert waren, über Feuer und einfache Werkzeuge für die Jagd verfügten, und jahreszeitlich bedingt den Standort wechselten. Die Gehirngröße war deutlich größer als in vorausgehenden Phasen; direkte Nachweise für Sprache finden sich nicht. Andererseits impliziert diese Lebensweise ein Minimum an Koordination von Tätigkeiten und ein Minimum an Wissensweitergabe. Indirekt muss man annehmen, dass mit dieser Phase die ‚episodische‘ Phase gemeint zu sein scheint.(vgl. S.261)
3) Noch in der Phase des Wesens ‚homo‘ und noch vor dem Auftreten des ‚homo sapiens‘ sieht er die ‚mimetische‘ Phase gegeben: ’spielerische Handlungen‘ (‚play acting‘), ‚Körpersprache‘, ‚Gesten‘, ‚präzise Nachahmung‘, noch keine Sprache aber ‚expressive Laute‘, die die ‚prosodische‘ Dimension in der späteren Sprache vorwegnehmen.(vgl. S.261)
4) Die dritte ‚mythische‘ Phase sieht er gegeben in der Zeit vom ersten Auftreten des ‚homo sapiens‘ bis zum ersten Auftreten des ‚homo sapiens sapiens‘. Mit der weiteren deutlichen Zunahme des Gehirns werden immer schneller neue ‚Erfindungen‘ gemacht, komplexere Werkzeuge, wunderschön gestaltete Objekte (Schmuck?), verbesserte Schutzvorrichtungen, besser ausgestaltete Gräber, vielteilige Objekte, erste Musikinstrumente usw. homo sapiens bevölkerte große Teile der Erde und hatte sicherlich schon gesprochene Sprache, ein Medium für Erinnerung und Wissensweitergabe. (vgl. S.261f)
5) Den letzten großen Übergang sieht er im Bereich des homo sapiens sapiens gegeben, als dieser vor ca. 40.000 Jahren Symbole erfand, die dann zur Schrift wurden. Damit ist für Donald der charakteristische Dreiklang erreicht, der für ihn den Menschen als homo sapiens sapiens vor allem auszeichnet: Mimesis, oral-linguistisch und extern-symbolisch.(vgl.S.262)
6) [Anmerkung: So schön dieses Bild einen anmuten mag, so sehr birgt es doch mehr Fragen als Antworten. Die Klassifikationen, die er auf S.260 einführt, sind in dieser Form in keiner Weise verständlich, nicht in der kurzen Tabelle, noch durch den begleitenden Text. Man kann zwar eine Ahnung bekommen, was gemeint sein mag, aber harte Kriterien zur Unterscheidung der verschiedenen Phasen sind das nicht. Schaut man in sein Buch von 1991, dann kann man feststellen, dass das aktuelle Buch von 2001 tatsächlich die ausführlichen Texte von 1991 voraussetzt; ohne den Text des 1991-Buches kann man seine Begriffe ab Kapitel 7 nicht verstehen. Dies wird deutlich, wenn man z.B. seinen Begriff von ‚episodisch‘ verstehen will. Im Buch von 1991 hat er ein ganzes Kapitel (Kap.5), das sich mit dieser Klassifikation im Detail beschäftigt, dazu viele Seiten (SS.148ff) nur für die eigentliche Definition. Zusätzlich findet man dort sehr viele Quellenhinweise. Dies ist sehr schade. Im 2001-Buch findet man interessante Thesen, aber die harte, nachvollziehbare Erklärung fehlt.]
7) Auch im 2001-Buch folgen dann doch noch ausführlichere Beschreibungen zu den Klassifikationen, nicht aber zu ‚episodisch‘! Donald beginnt mit der mimetischen Phase als der notwendigen Vorstufe zur Sprache, allerdings nicht so, dass die Mimesis direkt auf Sprache abzielt sondern eher so, dass sich über viele kleine Zwischenschritte ein kognitives System im homo aufgebaut hat, das die Kernelemente ‚Erinnerung‘ (‚mime‘), ‚Nachahmung‘ (‚precise imitation‘), ‚Fertigkeit‘ (’skill‘) und ‚Gestik‘ (‚gesture‘) realisieren kann. Im Lernen der Kinder finden sich alle diese Elemente wieder und dieses Lernen setzt einen geeigneten sozialen Raum voraus, in dem es stattfinden kann. (vgl. SS.262-269)
8) [Anmerkung: Hier gilt leider das auch schon zuvor Festgestellte: so suggestiv diese Begriffe sein mögen, bei einer näheren Analyse fällt es schwer, die Kernelemente eindeutig zu identifizieren. Das spricht nicht unbedingt gegen Donald, sondern lässt erahnen, wie schwierig dieses Untersuchungsgebet ist, will man es wissenschaftlich fixieren. Das zentrale Problem liegt darin, dass wissenschaftliche Begriffe ihre Bedeutung nur insoweit besitzen, als sie (i) in einem theoretischen Modell verankert sind und (ii) dieses Modell einen klaren empirischen Bezug besitzt. Ein theoretisches Modell hat Donald bislang nicht vorgestellt. Dadurch fehlen für die Begriffe klare Kontexte. Der empirische Bezug ist sehr vage und sicherlich nicht einfach nachvollziehbar. Damit wird es schwierig. ]
9) [Anmerkung: Nehmen wir sein Kernelement ‚Erinnern‘ (‚mime‘). Der Begriff der ‚Erinnerung‘ ist in erster Linie ein Begriffe der Alltagssprache mit Bezug auf spezifische subjektive Erlebnisse, die jeder nur ‚für sich‘ hat; was ‚genau‘ damit gemeint ist, ist wissenschaftlich unklar. Will man ihn ‚objektivieren‘, dann müsste man versuchen, ‚Korrelate‘ des Erinnerns im beobachtbaren ‚Verhalten‘ aufzuweisen (eine Aufgabe der Verhaltenspsychologie mit Interesse am ‚Wissen‘), oder zusätzlich noch im Bereich ’neuronaler Prozesse‘ (eine Aufgabe der ‚Neuropsychologie‘). Im Falle des Verhaltensansatzes könnte man dann anhand von Experimenten z.B. herausfinden, dass das – im Verhalten nachweisbare – ‚Wiedererkennen‘ von bestimmten zuvor gesehenen Objekten nur funktioniert, wenn bestimmte Areale im Gehirn aktiv sind und – meistens, nicht immer – das subjektive ‚Erleben‘ des Erinnerns auftritt. Diese Experimente wurden viel hundertfach durchgeführt, machen aber deutlich, dass das Konzept des Erinnerns sehr komplex ist. Wieweit man diesen wissenschaftlichen Term dann im Bereich der archäologischen Artefakte rekonstruieren kann, ist sicher keine einfache Frage. Man wird, was Donald zu tun scheint, eher ‚indirekt‘ in dem Sinne schließen müssen, dass unter Voraussetzung einer bestimmten Modellvorstellung von ‚Erinnern‘ (die fehlt) bestimmte Artefakte Schlüsse auf Verhaltensweisen erlauben, die dann wiederum im Lichte des Modells ‚Erinnern‘ dahingehend gedeutet werden könnten, dass diese Verhaltensweisen Erinnern voraussetzen; ansonsten wären sie nicht ‚erklärbar‘. ]
10) [Anmerkung: Entsprechendes gilt von den anderen Schlüsselbegriffen ‚Nachahmung‘ (‚precise imitation‘), ‚Fertigkeit‘ (’skill‘) und ‚Gestik‘ (‚gesture‘). Diese sind mindestens so komplex wie der Begriff ‚Erinnern‘. Nach meiner Einschätzung sind diese drei Begriffe in keinem bekannten Buch der Psychologie wissenschaftlich wirklich erschöpfend ‚erklärt‘ (was an zahlreichen schwierigen Randbedingungen liegt, die unsere wissenschaftlichen Möglichkeiten (noch?) überfordern). Da jeder zumindest ansatzweise ein paar Vorstellungen mit jedem dieser Begriffe verknüpft, wird sich jeder Szenarien ausmalen können, in denen diese Begriffe vorkommen, aber ob diese selbst vorgestellten Prozesse mit den Prozessen etwas zu tun haben, die tatsächlich in einem Wesen von der Art ‚homo‘ stattgefunden haben, ist mehr als offen. Für mich verliert der Text von Donald hier immer mehr an Boden: anregend, spekulativ, aber was erklärt er tatsächlich?]
11) [Anmerkung: Obwohl ich das Buch bis zu Ende gelesen habe, werde ich die Besprechung hier abbrechen. So anregend der Text war, im reflektierenden Nacherzählen wird deutlich, dass er zu spekulativ ist und der ‚Wahrheitsgehalt‘ seiner Sätze ist einfach zu nebulös. Möglicherweise bin ich hier ein bisschen zu ‚verseucht‘, da ich an ein ‚harten‘ Theorie des ‚emergenten Geistes‘ arbeite, die sowohl vollständig formal ist wie auch vollständig kontrolliert durch empirische Experimente. ‚Wahre‘ Theorien sind in der Regel auch ‚einfacher‘ als spekulative Texte, da die Rekonstruktion von ‚Komplexität‘ in der Regel auf ‚einfache‘ Elemente führt, deren Art und Weise des ‚Zusammenwirkens‘ die (emergente) Komplexität für Beobachter erzeugt. Obwohl unser Körper aus ca. 14 Billionen einzelnen Zellen besteht, erfahren wir nicht 14 Billionen ‚Einzelteile‘ sondern erleben (glücklicherweise) ein unfassbares ‚Zusammenspiel‘ dieser Einzelzellen in Form eines Körpers und körperlicher Prozesse, die auf unvorstellbar komplexe Weise miteinander ‚interagieren‘. Und dieses unfassbar komplexe Zusammenspiel resultiert aus den ‚impliziten Funktionen‘ dieser Einzelteile, Funktionen, die als solche nicht ’sichtbar‘ sind. Ich schätze, wir haben noch einen sehr weiten Weg zu gehen, bis wir das alles wirklich verstehen.]
12) [Anmerkung: Der Ausdruck ‚unfassbar komplex‘ bezieht sich auf den Umstand, dass im Falle des menschlichen Körpers (einschliesslich des Gehirns) ein Sachverhalt vorliegt, der unsere aktuellen kognitiven Fähigkeiten des Begreifens real sprengt. Selbst wenn wir wollen, uns fehlen bislang die kognitiven Mittel, um solch eine Komplexität zu bearbeiten. Neben sehr konkret-realen Faktoren, die dies andeuten, gibt es philosophisch-mathematische Argumente, nach denen das vollständige und konsistente ‚Begreifen‘ des ‚Begreifens‘ prinzipiell unmöglich ist. Ich erinnere nur an Godel 1931/ Turing 1936.]

QUELLENNACHWEISE

Ein älteres Buch von Donald:

  • Merlin Donald, Origins of the Modern Mind. Three stages in the evolution of culture and cognition. Cambridge (MA) – London: Harvard University Press, 1991
    /* Anmerkung: In diesem Buch gibt Donald erheblich konkretere Aufweise und Nachweise als in dem Buch von 2001 */

  • Gödel, K;. Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I, In: Monatshefte Math.Phys., vol.38(1931),pp:175-198
  • Gödel, K.; Remarks before the princeton bicentennial conference on problems in mathematics, 1946. In: Martin Davis, 1965: pp.84-87
  • Turing, A.M.; Intelligence Service. Schriften, ed. by Dotzler, B.; Kittler, F.; Berlin: Brinkmann & Bose, 1987, ISBN 3-922660-2-3
  • Turing, A. M. On Computable Numbers with an Application to the Entscheidungsproblem. In: Proc. London Math. Soc., Ser.2, vol.42(1936), pp.230-265; received May 25, 1936; Appendix added August 28; read November 12, 1936; corr. Ibid. vol.43(1937), pp.544-546. Turing’s paper appeared in Part 2 of vol.42 which was issued in December 1936 (Reprint in M.DAVIS 1965, pp.116-151; corr. ibid. pp.151-154).(an online version at: http://www.comlab.ox.ac.uk/activities/ieg/e-library/sources/tp2-ie.pdf, last accesss Sept-30, 2012))
  • Turing, A.M. Computing machinery and intelligence. Mind, 59, 433-460. 1950

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

EMERGING MIND PROJECT – SICHTBARMACHUNG DES GEISTES PROJEKT – Erste Lebenszeichen

VORGESCHICHTE

1) In der Vergangenheit wurde in diesem Blog schon öfters über das Emerging Mind Project gesprochen; zu Beginn noch unter einem anderen Namen. Wobei letztlich – wer diesen Blog intensiv liest, wird es merken bzw. gemerkt haben – der ganze Blog im Grunde auf dieses Projekt hingeführt hat – was sich natürlich erst im Nachhinein so feststellen lässt.
2) Einige Blogeinträge, die einen besonders deutlichen Bezug haben zum Emerging Mind Project sind etwa die folgenden: Erste öffentliche Idee zu einem Projekt; damals noch ‚Reengineering Goethes Faust‘ genannt.; Treffen im Cafe Siesmayer; die Projekt-Idee gewinnt weiter an Fahrt. Überlegungen zu ein paar theoretischen Begriffen; Im Anschluss an die Brasilienvorträge erste Konkretisierungen des ‚Geist‘-Begriffs im Kontext der Evolution; das zog weitere Kreise; die ausführliche Reflexion zu Kauffmans Buch brachte an vielen Punkten wertvolle Anregungen; Beobachtungen im Kontext des Komplexitätsbegriffs und seiner Verdichtung in der globalen Evolution; weitere Präzisierung zur Beschleunigung der Komplexitätsentwicklung.

ROLLE DES BLOGS FÜR EMP

3) Im Blog geht es auf der persönlichen Seite um die Klärung der eigenen Fragen und Gedanken; auf der offiziellen Ebene geht es um eine philosophische Auseinandersetzung mit dem heute verfügbaren Wissen um unsere gemeinsame Welt. Dabei kam es bislang schon zu erstaunlichen Umakzentuierungen. Aus meiner Sicht besonders stimulierend ist die Klärung des Verhältnisses von Philosophie und Wissenschaft (Wissenschaft als Untergebiet der Philosophie), Philosophie und Kunst (Kunst ist der kreative Teil des Denkens), Philosophie und Theologie (Theologie als jener Teil der Philosophie, der sich speziell mit der Frage der möglichen ‚Botschaft in allem‘ beschäftigt und den sich daraus ergebenden spezifischen Anforderungen an den einzelnen (Spiritualität)). Eine Konsequenz vom letzten Punkt scheint zu sein, dass alle bisherigen Religionen damit in einer einzigen Religion münden, in einem Universum, mit einem Sinn für alle (was nicht heißt, dass alle den einen Sinn in gleicher Weise ‚interpretieren‘).

EMERGING MIND PROJECT – INM 11.Juni 2013

4) Am 11.Juni 2013 gab es im Institut für neue Medien (INM)(Frankfurt) eine erste öffentliche Veranstaltung im Rahmen der unplugged heads Reihe, die sich offiziell dem Emerging Mind Projekt widmete. Michael Klein (Mitgründer und Direktor des INMs), Gerd Doeben-Henisch (Professur für ‚Dynamisches Wissen‘ an der FH Frankfurt, Mitgründer und Vorstand des INM), Manfred Faßler (Professor am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seine Forschungs- und Lehrbereiche sind die Medienevolution und medienintegrierte Wissenskulturen. )
5) Dieses Treffen diente dem Zweck, das öffentliche Gespräch zum Projekt zu eröffnen und war – auch entsprechend der offenen Gesprächskultur der unplugged heads Reihe – sehr locker. Im Folgenden folgt keine Beschreibung dieses Gesprächs sondern ein paar Gedanken, die der Autor des Blogs im Anschluss an dieser Veranstaltung hatte.

EXPERIMENTELLE MUSIK

6) Wer rechtzeitig da war, konnte zur Einstimmung ein Stück experimentelle Musik hören mit dem Titel They Appear and Disappear von cagentArtist. Gegen Ende wurde auch noch das Stück Another Pattern-Cloud Exercise, extended aufgeführt, ebenfalls von cagentArtist. Bei dieser Musik handelt es sich nicht um Musik für den Konzertsaal, sondern um ‚Labormusik‘, die nach der ‚Radically Unplugged‘ Methode im Labor erzeugt wird zur Erforschung des Klangraums unter spezifischen Randbedingungen.

IDEENGESCHICHTLICHER WENDEPUNKT?

7) An diesem Abend kamen in sehr intensiven 3 Stunden sehr viele interessante Aspekte zur Sprache. Mir selbst wurde im Laufe des Abends bewusst, dass man die Geschichte der Ideen möglicherweise neu strukturieren könnte bzw. müsste. Der große ‚Umschaltpunkt‘ wäre dann die Zeit des Auftretens der neuen experimentellen und formalen Wissenschaften (ungefähr ab der Renaissance) bis zum Emerging Mind project. Denn bis zum Aufkommen und zur gesellschaftlich relevanten Etablierung der neueren Wissenschaften konnotierten die Menschen das ‚Lebendige‘ im Gegensatz um ‚Nichtlebendigen‘ mit etwas Besonderem, schrieben im besondere Eigenschaften zu, und einer der dabei benutzten Begriffe (mit jeweils anderen Worten in anderen Sprachen) war der Begriff ‚Geist‘, der insbesondere dem Lebewesen Mensch inne zu wohnen schien.

‚GEIST‘ FRÜHER

8) Der Begriff ‚Geist‘ ist aber – wie sich jeder in den Zeugnissen der Geschichte überzeugen kann – alles andere als klar und gebunden an eine Vielzahl von ‚Manifestationen‘, die alle Bereiche überdecken: normales Leben, Rhetorik, Handwerk, Kunst, Philosophie usw. Man kann diesen Begriff wie so eine Art ‚imaginären Fluchtpunkt aller Projektionen‘ ansehen, die man auf den Menschen aufgrund seines erfahrbaren Verhaltens richten konnte. Mit neuzeitlichen Begriffen könnte man mit Kant vielleicht von einer allgemeinen ‚transzendentalen Bedingung‘ sprechen, die man annehmen muss, um die verschiedenen Erscheinungsweisen des Menschen zu verstehen. Noch moderner könnte man von einer ‚Funktion‘ sprechen, die dem ‚Körper‘ des Menschen eben jene charakteristischen Eigenschaften verleiht, die wir als spezifisch ‚Menschlich‘ ansehen gelernt haben.
9) Nebenbei: Es gibt ein starkes Wechselverhältnis zwischen diesen Auffassungen von ‚Geist‘ und der Annahme einer menschlichen ‚Seele‘. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass dieses Verhältnis bislang abschließend geklärt wurde. Dies mag darin begründet sein, dass beide Begriffe ‚geist‘ und ‚Seele‘ in sich weitgehend unbestimmt sind; sie leben von ‚Randbedingungen‘, von ‚Konnotationen‘, von ‚Manifestationen‘, von begrifflich-logischen Schlüssen, die wenig Anhaltspunkte in der Realität haben.

AUSTREIBUNG DES BEGRIFFES ‚GEIST‘

10) Für den Gesamtzusammenhang wichtig ist es, dass diese über viele tausend Jahre anhaltende vage Sprechweise von ‚Geist‘ mit der Entwicklung der experimentellen und formalen Wissenschaften immer mehr an Anhaltspunkten verloren hat. Die Erforschung der realen Natur und des Weltalls konnte zunächst nirgends ‚Geist‘ entdecken und trugen damit zum Bilde eines ‚toten, leeren Weltalls‘ bei. Parallel führten die Untersuchungen der Entstehung der Lebensformen und des Körpers dazu, dass man zwar immer mehr Details der Körper und ihres ‚Formenwandels‘ entdeckte, aber auch nirgends ‚Geist‘ dingfest machen konnte. Im Körper fand man über all nur Zellen; auch isolierte Zellen im Gehirn (ca. 100*10^6), und jede Zelle zerfällt in Moleküle, diese in Atome, diese in Quanten, usw. Nirgends traf man auf ‚Geist‘. Damit geriet das Selbstbild des Menschen, seine Besonderheiten immer mehr in einen Erklärungsnotstand. Theologische Interpretationen verlieren weitgehend ihre rationale Basis; sie hängen quasi ‚in der Luft‘.
11) Betrachtet man die verschiedenen einzelwissenschaftlichen Erkenntnisse, dann sind sie alle transparent, nachvollziehbar, wirken sie rational. Allerdings leiden nahezu alle diese Erkenntnisse an der einzelwissenschaftlichen Zersplitterung; keine Disziplin hat mehr die Zusammenhänge im Blick.

RÜCKKEHR DES ‚GEISTES‘ – MENS REDIVIVUS?

12) Die massivste Erschütterung dieses trostlosen Blicks auf unendlich viele Einzelteile, die sich im Dunst der Quanten und primären Anfangsenergie zu verlieren scheinen, kommt nun aber ausgerechnet nicht von den Geisteswissenschaften (dazu sind ihre Elfenbeintürme doch ein bisschen zu hermetisch geworden), auch nicht von der Anatomie und den Neurowissenschaften, sondern von jener Disziplin, die die Entzauberung des alten Weltbildes als erste begonnen hatte: von der Physik.
13) Es sind letztlich Physiker, die auf unterschiedliche Weise die Ungereimtheiten der Strukturbildungen seit dem Energieausbruch des Big Bang bemerken und beim Namen nennen. Schon der Übergang von reiner Energie zu Quanten gibt fundamentale Fragen auf. Während das Gesetz von der Entropie bei Vorliegen von Energieungleichheiten (sprich Strukturen) einen großen Teil von Vorgängen des gerichteten Ausgleichs beschreiben kann, versagt das Entropiegesetz vollständig für den umgekehrten Vorgang, für die Erklärung einer anhaltenden Strukturbildung, und nicht nur einer ‚Strukturbildung einfach so‘, sondern einer Strukturbildung mit einer sich exponentiell beschleunigten Komplexität.
14) Angestoßen von diesen drängenden Fragen der Physiker kann man beginnen, die verschiedenen Evolutionen (chemische, biologische, soziale, usw.) als ‚Hervorbringungen von immer komplexeren Strukturen‘ zu sehen, für die bestimmte ‚Strukturbildungsfunktionen‘ zu unterstellen sind, die weitab vom ‚Zufall‘ operieren.
15) Erste Indizien deuten darauf hin, dass die exponentielle Beschleunigung daraus resultiert, dass die zum Zeitpunkt t entstandenen Strukturen S mitursächlich dafür sind, dass die nächsten noch komplexeren Strukturen S‘ zum Zeitpunkt t+n gebildet werden können. Wir haben also eine Art Zusammenhang S'(t+n) = f(S(t)) mit ‚f‘ als der unbekannten Funktionalität, die dies ermöglicht.
16) Wenn man jetzt weiß, dass Funktionen (man denke nur an einfache Additionen oder Subtraktionen) nicht an den Elementen ablesbar sind (also man hat ‚4‘, ‚2‘, und nach der Addition hat man ‚6‘), sondern als Funktionszusammenhang in einem ‚anderen Medium‘ vorausgesetzt werden müssen, dann ist klar, dass die Analyse der Bestandteile von Körpern oder Zellen oder Atomen usw. niemals das zutage fördern, was eigentlich interessant ist, nämlich deren Funktionalität. Wenn nun also das mit ‚Geist‘ Gemeinte mit solchen zu unterstellenden (da sich in Ereignissen manifestierende) Funktionen konnotieren würde, dann wäre klar, dass die vielen einzelwissenschaftlichen Detailanalysen so gut wie keine interessanten Zusammenhänge enthüllen können; die ‚Unsichtbarkeit‘ von ‚Geist‘ wäre dann nicht der Tatsache geschuldet, dass es so etwas wie ‚Geist‘ nicht gäbe, sondern der Tatsache, dass wir nur ‚falsch hinschauen‘.
17) Hier bleibt einiges zu tun.

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

Philosophie im Kontext – Teil2 – Irrtum!

Das Diagramm im letzten Beitrag über Philosophie im Kontext ist falsch, nicht so sehr in den Details, sondern in der grundlegenden Logik.

Philosophie im Kontext - FalschBild 1

Eine korigierte Version könnte wie folgt aussehen:

Philosophie im Kontext - NeuBild 2

 

(1) In dem vorausgehenden Beitrag hatte ich versucht, auf der Basis der philosophischen Überlegungen seit Januar (letztlich natürlich noch Monate und Jahre weiter zurück) in einem Diagramm die grundsätzlichen Verhältnisse zu skizzieren, die man berücksichtigen muss, will man über das Zusammenspiel all der verschiedenen möglichen wissenschaftlichen und philosophischen Theorien sprechen, einschließlich des alltäglichen Denkens.

 

(2) Dabei ist mir ein gravierender Fehler unterlaufen, der natürlich nicht zufällig ist, sondern aus der Art und Weise resultiert, wie unser Denken funktioniert.

 

 

(3) Das Bild, so wie es jetzt ist (siehe Bild 1), zeigt — wie in einer Landkarte — das erkennende Individuum aus einer ‚Draufsicht‘ (3.Person) mit seinem Körper, darin enthalten sein Gehirn, und innerhalb des Gehirns irgendwo die subjektiven Erlebnisse als ‚Phänomene [PH]‘.

 

(4) Der Fehler liegt darin begründet, dass das subjektive Erkennen niemals als ‚Objekt einer dritten Person-Perspektive‘ auftreten kann. Das ist ja gerade das Besondere der subjektiven Erkenntnis, dass sie die ‚Innenansicht‘ eines Gehirns ist, das subjektive Erleben eines bestimmten Menschen (oder auch mit Abwandlungen eines Tieres), ’seines‘ Erlebens, bei Husserl dem ‚transzendentalen ego‘ zugeordnet. D.h. das ‚primäre Erkennen‘ ist in einem subjektiven Erleben verortet, das als solches kein Objekt einer dritten Person sein kann.

 

(5) Diesem Sachverhalt trägt Bild 2 Rechnung. Das Erkennen startet dort bei der Menge der Phänomene. Wie Husserl – und auch viele andere – zurecht herausgestellt hat, sind die Phänomene aber nicht nur ‚in sich geschlossene Objekte‘, sondern ‚phänomenologische Tatbestände‘ in dem Sinne, dass ihr ‚Vorkommen/ Auftreten‘ begleitet ist von einem ‚Wissen über sie‘; jemand, der ‚etwas erkennt‘, ‚weiß‘ dass er erkennt. Das wird im Diagramm durch den Pfeil mit dem Label ‚Reflexion‘ ausgedrückt: Im ‚Wissen um etwas‘ – Husserl nennt dies ‚Intentionalität‘ des Erkennens – können wir alles, was der Inhalt dieses primären Wissens ist, hinsichtlich möglicher unterscheidbarer Eigenschaften ‚explizit unterscheiden‘ und ‚bezugnehmende Konzepte‘ bilden.

 

 

(6) Und da der Mensch – in Ansätzen auch einige Tierarten – die wundersame Fähigkeit besitzt, ‚Gewusstes‘ [PH_Non-L] in Beziehung zu setzen (assoziieren, Assoziation) zu anderem Gewussten, das als ‚verweisenden Etwas‘ (Zeichen) [PH_L] dienen soll, kann der erkennende Mensch die ‚Inhalte seines Bewusstseins‘ – die Phänomene [PH] – mit Hilfe solcher verweisender Zeichen ‚kodieren‘ und dann unter Verwendung solcher kodierender Zeichen ‚Netzwerke solcher Zeichen‘ bilden, die – je nach ‚Ordnungsgrad‘ – mehr oder weniger ‚Modelle‘ oder gar ‚Theorien‘ bilden können.

 

(7) Da das begleitende Wissen, die Reflexion, in der Lage ist, auch ‚dynamische Eigenschaften‘ der Phänomene zu erfassen (‚Erinnern‘, ‚Vorher – nachher‘,…) kann diese Reflexion auch – nach sehr vielen Reflexionsschritten – unterscheiden zwischen jenen Phänomenen, die geschehen ‚ohne eigenes Zutun‘ (ohne eigenes ‚Wollen‘) und den anderen. Das ‚ohne eigenes Zutun‘ kann aus jenen Bereichen des ‚eigenen Körpers‘ herrühren, die die Reflexion ’nicht unter Kontrolle‘ hat oder aus Bereichen ‚außerhalb des Körpers‘, den wir dann auch ‚intersubjektiv‘ nennen bzw. neuzeitlich ‚empirisch‘ [PH_emp].

 

 

(9) In einer phänomenologischen Theorie [TH_ph], deren Gegenstandsbereich die subjektiven Erlebnisse [PH] sind, kann man daher die charakteristische Teilmenge der empirischen Phänomene [PH_emp] identifizieren. Daneben – und zugleich – kann man all die anderen Eigenschaften der Phänomene samt ihrer ‚Dynamik‘ unterscheiden und begrifflich ausdrücklich machen. Eine genaue Beschreibung aller möglicher Unterscheidung ist sehr komplex und ich habe nicht den Eindruck, dass irgend jemand dies bis heute erschöpfend und befriedigend zugleich geleistet hat. Möglicherweise kann dies auch nur als ein ‚Gemeinschaftswerk‘ geschehen. Dazu müsste man eine geeignete Methodik finden, die dies ermöglicht (vielleicht sind wir Menschen technologisch erst jetzt (2012, ca. 13.7 Milliarden Jahre nach dem Big Bang, ca. 3.7 Milliarden Jahre nach dem ersten Auftreten von lebensrelevanten Molekülen auf der Erde…) langsam in der Lage, eine solche Unternehmung einer ‚gemeinsamen Theorie des menschlichen phänomenalen Bewusstseins‘ in Angriff zu nehmen).

 

(10) Vieles spricht dafür, dass die unterschiedlichen Versuche von Philosophen, die Vielfalt der Reflexionsdynamik (und deren ‚Wirkungen‘ auf den Bewusstseinsinhalt) mit Hilfe von sogenannten ‚Kategorientafeln‘ zu strukturieren (keine gleicht wirklich völlig der anderen), in diesen Kontext der Bildung einer ‚phänomenologischen Theorie‘ [TH_ph] gehört. Idealerweise würde man – zumindest einige der bekanntesten (Aristoteles, Kant, Peirce, Husserl,…) – vor dem aktuellen Hintergrund neu vergleichen und analysieren. Sofern diese die Struktur der Dynamik des ’sich ereignenden Denkens‘ beschreiben, müssten diese Kategorientafeln letztlich alle ’strukturell gleich‘ sein. Dabei unterstellen wir, dass die Dynamik des Denkens der einzelnen Menschen aufgrund der Gehirnstruktur ‚hinreichend ähnlich‘ ist. Dies ist aber streng genommen bis heute nicht erwiesen. Die vielen neuen Erkenntnisse zur Gehirnentwicklung und zum individuellen Lernen (einschließlich der emotionalen Strukturen) legen eher die Vermutung nahe, dass es sehr wohl individuelle Unterschiede geben kann in der Art und Weise, wie einzelne Menschen die Welt ‚verarbeiten‘. Träfe dies zu, hätte dies natürlich weitreichende Folgen für die Alltagspraxis und die Ethik (und die Moral und die Gesetze…).

 

 

(11) Hat man sich dies alles klar gemacht, dann wundert es nicht mehr, dass die Bildung wissenschaftlicher empirischer Theorien [TH_emp] nicht ‚außerhalb‘ einer phänomenologischen Theoriebildung stattfinden kann, sondern nur ‚innerhalb‘, und zwar aus mindestens zwei Gründen: (i) die Menge der empirischen Phänomene [PH_emp] ist eindeutig eine echte Teilmenge aller Phänomene [PH], also PH_emp subset PH. (ii) Die empirische Theorie TH_emp entsteht im Rahmen und unter Voraussetzung der allgemeinen Reflexion, die unser primäres Denken ermöglicht und ausmacht; wir haben kein ‚zweites‘ Denken daneben oder ‚jenseits‘ im ‚Irgendwo‘. Dies erklärt auch sehr einfach das häufig bemerkte Paradox der Metatheorie: Theorien sind nur möglich, weil wir ‚über‘ (Alt-Griechisch: ‚meta‘) sie ’nachdenken‘ können. Dieses ‚Nachdenken über‘ (Metareflexion‘) ist unter Annahme der allem Denken vorausgehenden und begleitenden primären Reflexion keine Überraschung. Was immer wie uns ‚ausdenken‘, es geschieht im Rahmen der primären Reflexion und von daher kann auch alles und jedes, was wir jemals gedacht haben oder uns gerade denken beliebig miteinander in Beziehung gesetzt werden. Bezogen auf diese vorausgehende und begleitende Reflexion ist jeder ‚Denkinhalt‘ grundsätzlich ‚unabgeschlossen‘; die primäre Reflexion ermöglicht eine ‚endliche Unendlichkeit‘, d.h. der prinzipiell nicht abgeschlossene Denkprozess kann – als ‚Prozess‘ – jede endliche Struktur immer wieder und immer weiter ‚erweitern‘, ‚ausdehnen‘, usf.

 

(12) Kennzeichen von neuzeitlichen empirischen Theorien ist ihre Fundierung in ‚empirischen Messverfahren‘ [MEAS]. Kennzeichen dieser empirischen Messverfahren ist es, dass sie unabhängig vom Körper eines Menschen und auch unabhängig von seinem individuellen Erkennen, Fühlen und Wollen bei gleicher ‚Durchführung‘ immer wieder die ‚gleichen Messergebnisse‘ [DATA_emp] liefern sollen. Ob und wieweit solche ‚unabhängigen‘ Messungen tatsächlich durchgeführt werden können ist eine ‚praktische‘ und ‚technologische‘ Frage. Die Geschichte zeigt, dass dieses Konzept auf jeden Fall trotz aller Probleme im Detail bislang extrem erfolgreich war.

 

(13) Allerdings ist hier folgender Umstand zu beachten: obwohl die Messergebnisse [DATA_emp] als solche idealerweise ‚unabhängig‘ vom Fühlen, Denken und Wollen eines Menschen erzeugt werden sollen, gelangen dieses Messergebnisse erst dann zu einer ‚theoretischen Wirkung‘, wenn es irgendwelche Menschen gibt, die diese Messergebnisse DATA_emp ‚wahrnehmen‘ (Englisch: perception, abgekürzt hier als ‚perc‘) können, damit sie als ‚auftretende Phänomene‘ – und zwar hier dann als empirische Phänomene [PH_emp] – in den Bereich des ‚Wissens‘ eintreten, also perc: DATA_emp —> PH_emp. Dies bedeutet, der besondere Charakter von empirischen Phänomenen haftet ihnen nicht als ‚gewussten Eigenschaften‘, nicht qua ‚Phänomen‘ an, sondern nur im Bereich ihrer ‚Entstehung‘, ihres ‚Zustandekommens‘ (aus diesem – und nur aus diesem – Grund ist es so wichtig, beim Umgang mit Phänomenen jeweils klar zu kennzeichnen, ‚woher diese stammen), der ihrem ‚Phänomensein‘ ‚vorausliegt‘.

 

 

(14) In dem Masse nun, wie wir mittels empirischer Messungen Daten über das beobachtbare menschliche Verhalten [DATA_sr], über physiologische Eigenschaften des Körpers [DATA_bd] bzw. auch über Eigenschaften des Nervennetzes im Körper (‚Gehirn‘) [DATA_nn] gewonnen haben, können wir versuchen, basierend auf diesen verschiedenen Daten entsprechende wissenschaftliche Theorien TH_sr, TH_bd, TH_nn zu formulieren, die die Gesetzmäßigkeiten explizit machen, die durch die Daten sichtbar werden.

 

(15) Der wichtige Punkt hier ist, dass alle diese Theorien nicht ‚unabhängig‘ oder ‚jenseits von‘ einer phänomenologischen Theorie zu verorten sind, sondern ‚innerhalb‘ von dieser! Jede beliebige Theorie kann immer nur eine Theorie ‚innerhalb‘ der umfassenden und zeitlich wie logisch vorausgehenden phänomenologischen Theorie sein. Eine spezifische empirische Theorie [TH_i] zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie sich auf eine echte Teilmenge [PH_i] aller verfügbarer Phänomene [PH] beschränkt. Gerade in dieser methodischen Beschränkung liegt – wie der Gang der Geschichte uns lehrt – der große Erfolg dieser Art von Theoriebildung. Zugleich wird aber auch deutlich, dass jede dieser speziellen Theorien TH_i aufgrund ihrer speziellen Datenmengen DATA_i (denen die entsprechenden Phänomenmengen PH_emp_i] korrespondieren) zunächst einmal nichts mit einer der vielen anderen speziellen Theorien TH_j TH_i zu tun hat. Es ist eine eigene theoretische Leistung, Querbeziehungen herzustellen, strukturelle Ähnlichkeiten aufzuzeigen, usw. Dies fällt dann in den Bereich ‚interdisziplinärer Theoriebildung‘, ist ‚Metatheorie‘. Diese Art von metatheoretischen Aktivitäten ist aber nur möglich, da die primäre Reflexion alle Arten von speziellen Reflexionen zeitlich und logisch vorausgeht und das entsprechende ‚Instrumentarium‘ zur Verfügung stellt.

 

(16) In diesem Kontext ist unmittelbar einsichtig, dass subjektives Wissen prinzipiell kein Gegenstand empirischer Theoriebildung sein kann. Im Umfeld der modernen Neurowissenschaften (einschließlich Neuropsychologie) sowie im Bereich der Psychologie ist dieser grundsätzliche Tatbestand – so scheint es – bislang methodisch nicht wirklich sauber geklärt. In unzähligen Experimenten mischen sich klare empirische Vorgehensweisen mit der Benutzung von subjektiven Daten, was methodisch ungeklärt ist. Dies durchzieht alle ‚Kreise‘.

 

(17) Will man von der einzigartigen Datenquelle des primären Wissens PH für wissenschaftliche empirische Forschung PH_emp profitieren, bietet sich bislang einzig ein ‚hybrides‘ Vorgehen an, in dem ein Mensch sein eigenes subjektives Wissen PH auf der Basis einer ‚zeitlichen Korrelation‘ (t,t‘) mit empirischen Daten PH_emp, die von anderen Wissenschaftlern mittels Messungen über seinen Körper und sein Nervennetz erhoben werden. Also etwa CORR((t,t‘), PH, PH_emp). Dies ist zwar mühsam und fehleranfällig, aber die einzige methodische Möglichkeit, mit diesen ungleichen Phänomenmengen zurecht zu kommen (Mir ist nicht bekannt, dass irgendjemand diese scharfe methodische Forderung bislang erhebt geschweige denn, dass irgend jemand danach tatsächlich vorgeht).

 

(18) Für die weiteren Überlegungen soll versucht werden, diesen methodologischen Anforderungen gerecht zu werden.

 

(19) Es zeigt sich nun auch sehr klar, dass und wie das philosophische Denken gegenüber allen anderen theoretischen Erklärungsansätzen tatsächlich eine Sonderstellung einnimmt. Das philosophische Denken ist das fundamentale Denken, das jeglichem speziellen Denken zeitlich und logisch voraus liegt, nicht als Gegensatz oder als etwas ganz Anderes, sondern als das primäre Medium innerhalb dessen sich alles andere ‚abspielt‘. Während ich eine spezielle empirische Theorie als ‚Objekt des Wissens‘ klar abgrenzen und beschreiben kann, ist die dazu notwendige Metareflexion als solche kein ‚Objekt des Wissens‘, sondern immer nur ein nicht weiter hintergehbares ‚Medium‘, eben das ‚Denken‘, in dem wir uns immer schon vorfinden, das wir nicht erst ‚machen‘, das wir nur ‚benutzen‘ können. Die ‚Eigenschaften‘ dieses unseres Denkens ‚zeigen‘ sich damit auch nur ‚indirekt‘ durch die ‚Wirkung‘ der Denkaktivität auf die Inhalte des Bewusstseins (Eine Kooperation von empirischer Psychologie TH_emp_psych und phänomenologischer Analyse TH_ph kann hilfreich sein, allerdings sind die Gegenstandsbereiche DATA_emp_psych als PH_emp_psych und PH komplett verschieden und wirklich interessant würde es erst dann, wenn wir eine TH_emp_psych einer TH_ph gegenübersetzen könnten (bislang sehe ich nirgends – nicht einmal in Ansätzen – eine phänomenologische Theorie, die diesen Namen verdienen würde, noch eine wirkliche empirische psychologische Theorie, und das im Jahr 2012).

 

 

Ein Überblick über alle bisherigen Einträge findet sich hier.

 

 

In dem Online-Skript General Computational Learning Theory versuche ich, diese erkenntnisphilosophischen Aspekte zu berücksichtigen. Ich kann in diesem Skript allerdings nur einen Teilbereich behandeln. Aber aus diesen sehr abstrakt wirkenden Überlegungen ist meine ‚Rückkehr zur Philosophie‘ entscheidend mitbeeinflusst worden.