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IST DIE SELBSTVERSKLAVUNG DER MENSCHEN UNTER DIE MASCHINEN EVOLUTIONÄR UNAUSWEICHLICH?

  1. In diesem Blog gab es in der Vergangenheit schon mehrere Einträge (z.B. den ersten großen Beitrag Kann es doch einen künstlichen Geist geben?), die sich mit der Frage beschäftigt haben, inwieweit Maschinen die Lernfähigkeit und die Intelligenz von Menschen erreichen oder sogar übertreffen können.
  2. In vielen wichtigen Punkten muss man diese Frage offensichtlich bejahen, obgleich es bis heute keine Maschine gibt, die das technische Potential voll ausnutzt.
  3. Umso bemerkenswerter ist es, welche Wirkungen Maschinen (Computer) auf die Gesellschaft erzielen können, obgleich sie noch weitab von ihrem Optimum agieren.
  4. In einem Blogeintrag anlässlich eines Vortrags Über Industrie 4.0 und Transhumanismus. Roboter als Volksverdummung? Schaffen wir uns selbst ab? hatte ich noch eine grundsätzlich positive Grundstimmung bzgl. dessen, was auf uns zukommt. Ich schrieb damals:
  5. Das Ganze endet in einem glühenden Plädoyer für die Zukunft des Lebens in Symbiose mit einer angemessenen Technik. Wir sind nicht das ‚Endprodukt‘ der Evolution, sondern nur eine Durchgangsstation hin zu etwas ganz anderem!
  6. Mittlerweile beschleicht mich der Verdacht, dass wir aktuellen Menschen die nächste Phase der Evolution möglicherweise unterschätzen.
  7. Auslöser war der persönliche Bericht eines Managers in einem weltweiten IT-Konzern, der – von Natur aus ein Naturwissenschaftler, ‚knochentrocken‘, immer sachlich, effizient – zum ersten Mal nach vielen Jahren Ansätze von Emotionen zeigte, was die Entwicklung seiner Firma angeht. Die Firma (und nicht nur diese Firma, s.u.) entwickelt seit vielen Jahren ein intelligentes Programm, das eine Unzahl von Datenbanken auswerten kann, und zwar so, dass die Anfrage von Menschen ‚interpretiert‘, die Datenbanken daraufhin gezielt abgefragt und dem anfragenden Menschen dann mitgeteilt werden. Das Ganze hat die Form eines passablen Dialogs. Das Verhalten dieses intelligenten Programms ist mittlerweile so gut, dass anfragende Menschen nicht mehr merken, dass sie ’nur‘ mit einer Maschine reden, und dass die Qualität dieser Maschine mittlerweile so gut ist, dass selbst Experten in vielen (den meisten?) Fällen schlechter sind als diese Maschine (z.B. medizinische Diagnose!). Dies führt schon jetzt dazu, dass diese Beratungsleistung nicht nur nach außen als Dienstleistung genutzt wird, sondern mehr und mehr auch in der Firma selbst. D.h. die Firma beginnt, sich von ihrem eigenen Produkt – einem in bestimmtem Umfang ‚intelligenten‘ Programm – ‚beraten‘ (und damit ‚führen‘?) zu lassen.
  8. Wenn man sich in der ‚Szene‘ umhört (man lese nur den erstaunlichen Wikipedia-EN-Eintrag zu deep learning), dann wird man feststellen, dass alle großen global operierenden IT-Firmen (Google, Microsoft, Apple, Facebook, Baidu und andere), mit Hochdruck daran arbeiten, ihre riesigen Datenbestände mit Hilfe von intelligenten Maschinen (im Prinzip intelligenten Algorithmen auf entsprechender Hardware) dahingehend nutzbar zu machen, dass man aus den Nutzerdaten nicht nur möglichst viel vom Verhalten und den Bedürfnissen der Nutzer zu erfahren, sondern dass die Programme auch immer ‚dialogfähiger‘ werden, dass also Nutzer ’natürlich (= menschlich)‘ erscheinende Dialoge mit diesen Maschinen führen können und die Nutzer (= Menschen) dann zufrieden genau die Informationen erhalten, von denen sie ‚glauben‘, dass es die ‚richtigen‘ sind.
  9. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob die Manager dieser Firmen dank ihrer überlegenen Fähigkeiten die Firmen technologisch aufrüsten und damit zum wirtschaftlichen Erfolg führen.
  10. Tatsache ist aber, dass allein aufgrund der Möglichkeit, dass man ein bestimmtes Informationsverhalten von Menschen (den aktuellen ‚Kunden‘!) mit einer neuen Technologie ‚bedienen‘ könnte, und dass derjenige, der dies zu ‚erschwinglichen Preisen‘ als erster schafft, einen wirtschaftlichen Erfolg erzielen kann (zu Lasten der Konkurrenz), diese rein gedachte Möglichkeit einen Manager zwingt (!!!), von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Tut der Manager es nicht läuft er Gefahr, dass die Konkurrenz es tut, und zwar vor ihm, und dass er dadurch möglicherweise auf dem Markt so geschwächt wird, dass die Firma sich davon u.U. nicht mehr erholt. Insofern ist der Manager (und die ganze Firma) ein Getriebener (!!!). Er kann gar nicht anders!
  11. Das, was den Manager ‚treibt‘, das ist die aktuelle technische Möglichkeit, die sich aufgrund der bisherigen technischen Entwicklung ergeben hat. Für die bisherige technische Entwicklung gilt aber für jeden Zeitpunkt die gleiche Logik: als die Dampfmaschine möglich wurde, hatte nur noch Erfolg, wer sie als erster und konsequent eingesetzt hat; als die Elektrizität verfügbar, nicht anders, dann Radio, Fernsehen, Auto, Computer, ….
  12. Die ‚Manager‘ und ‚Unternehmensgründer‘, die wir zurecht bewundern für ihre Fähigkeiten und ihren Mut (nicht immer natürlich), sind trotz all dieser hervorstechenden Eigenschaften und Leistungen dennoch nicht autonom, nicht freiwillig; sie sind und bleiben Getriebene einer umfassenderen Logik, die sich aus der Evolution als Ganzer ergibt: die Evolution basiert auf dem bis heute nicht erklärbaren Prinzip der Entropie-Umkehr, bei dem freie Energie dazu genutzt wird, den kombinatorischen Raum möglicher neuer Zustände möglichst umfassend abzusuchen, und in Form neuer komplexer Strukturen in die Lage zu versetzen, noch mehr, noch schneller, noch effizienter zu suchen und die Strukturen und Dynamiken der vorfindlichen Welt (Universum) darin zu verstehen.
  13. Während wir im Falle von Molekülen und biologischen Zellen dazu tendieren, diese eigentlich ungeheuren Vorgänge eher herunter zu spielen, da sie quasi unter unserer Wahrnehmungsschwelle liegen, wird uns heute vielleicht dann doch erstmalig, ansatzweise, etwas mulmig bei der Beobachtung, dass wir Menschen, die wir uns bislang für so toll halten, dazu ganze riesige globale Firmen, die für Außenstehende beeindruckend wirken und für Firmenmitglieder wie überdimensionale Gefängnisse (? oder Irrenanstalten?), dass wir ‚tollen‘ Menschen also ansatzweise spüren, dass die wahnwitzige Entwicklung zu immer größeren Metropolen und zu immer intelligenteren Maschinen, die uns zunehmen die Welt erklären (weil wir es nicht mehr schaffen!?), uns dies alles tun lassen, weil der einzelne sich machtlos fühlt und die verschiedenen Chefs auf den verschiedenen Hierarchieebenen total Getriebene sind, die ihre Position nur halten können, wenn sie hinreichend effizient sind. Die Effizienz (zumindest in der freien Wirtschaft) wird jeweils neu definiert durch das gerade Machbare.
  14. Politische Systeme haben zwar immer versucht – und versuchen es auch heute – sich ein wenig vor dem Monster der Innovation abzuschotten, aber dies gelingt, wenn überhaupt, in der Konkurrenz der Gesellschaftssysteme nur für begrenzte Zeiten.
  15. Was wir also beobachten ist, dass die immense Informationsflut, die das einzelne Gehirn hoffnungslos überfordert, Lösungen mit intelligente Maschinen auf den Plan ruft, die das Sammeln, Sortieren, Klassifizieren, Aufbereiten usw. übernehmen und uns Menschen dann auf neue Weise servieren. So betrachtet ist es hilfreich für alle, nützlich, praktisch, Lebensfördernd.
  16. Beunruhigend ist einmal die Art und Weise, das Wie: statt dass es wirklich allen hilft, hat man den Eindruck, dass es die globalen Konzerne sind, die einseitig davon Vorteile haben, dass das bisherige Ideal der Privatheit, Freiheit, Selbstbestimmung, Würde usw. aufgelöst wird zugunsten einer völlig gläsernen Gesellschaft, die aber nur für einige wenige gläsern ist. Demokratische Gesellschaften empfinden dies u.U, stärker als nicht-demokratische Gesellschaften.
  17. Beunruhigend ist es auch, weil wir als Menschen erstmalig merken, dass hier ein Prozess in Gang ist, der eine neue Qualität im Verhältnis Mensch – Technik darstellt. In primitiveren Gesellschaften (und auch noch in heutigen Diktaturen) war es üblich , dass wenige Menschen die große Masse aller anderen Menschen quasi ‚versklavt‘ haben. Unter absolutistischen Herrschern hatten alle einem Menschen zu gehorchen, ob der nun Unsinn redete oder Heil verkündete. Nach den verschiedenen demokratischen Revolutionen wurde dieser Schwachsinn entzaubert und man wollte selbst bestimmen, wie das Leben zu gestalten ist.
  18. In der fortschreitenden Komplexität des Alltags merken wir aber, dass das sich selbst Bestimmen immer mehr vom Zugang zu Informationen abhängig ist und von der kommunikativen Abstimmung mit anderen, die ohne erheblichen technischen Aufwand nicht zu leisten sind. Die dazu notwendigen technischen Mittel gewinnen aber im Einsatz, im Gebrauch eine solche dominante Rolle, dass sie immer weniger nur die neutralen Vermittler von Informationen sind, sondern immer mehr ein Eigenleben führen, das sich ansatzweise und dann immer mehr auch von denen abkoppelt, die diese vermittelnden Technologien einsetzen. Kunden und Dienstleister werden werden gleichzeitig abhängig. Wirtschaftlich können die Dienstleister nicht mehr dahinter zurück und lebenspraktisch ist der Verbraucher, der Kunde immer mehr von der Verfügbarkeit dieser Leistung abhängig. Also treiben beide die Entwicklung zu noch größerer Abhängigkeit von den intelligenten Vermittlern voran.
  19. Eine interessante Entwicklung als Teil der übergreifenden Evolution. Wo führt sie uns hin?
  20. Die Frage ist spannend, da die heute bekannten intelligenten Maschinen noch weitab von den Möglichkeiten operieren, die es real gibt. Die Schwelle ist bislang die Abhängigkeit von den begrenzten menschlichen Gehirnen. Unsere Gehirne tun sich schwer mit Komplexität. Wir brauchen Computer, um größere Komplexität bewältigen zu können, was zu noch komplexeren (für uns Menschen) Computern führt, usw. Dabei haben wir noch lange nicht verstanden, wie die etwa 200 Milliarden einzelne Nervenzellen in unserem Gehirn es schaffen, im Millisekundenbereich miteinander so zu reden, dass all die wunderbaren Leistungen der Wahrnehmens, Denkens, Erinnerns, Bewegens usw. möglich sind.
  21. Heutige Computer haben mittlerweile eine begrenzte lokale Lernfähigkeit realisiert, die ihnen den Zugang zu begrenzter Intelligenz erlaubt. Heutige Computer sind aber weder im lokalen wie im strukturellen voll Lernfähig.
  22. Einige meinen, dass die Zukunft im Sinne von technischer-Singularität zu deuten ist, dass die intelligenten Maschinen dann irgendwann alles übernehmen. Ich wäre mir da nicht so sicher. Das Hauptproblem einer vollen Lernfähigkeit ist nicht die Intelligenz, sondern die Abhängigkeit von geeigneten Präferenzsystemen (Werte, Normen, Emotionen, Bedürfnissen, …). Dieses Problem begegnen wir beim Menschen auf Schritt und Tritt. Die vielen Probleme auf dieser Welt resultieren nicht aus einem Mangel an Intelligenz, sondern aus einem Mangel an geeigneten von allen akzeptierten Präferenzsystemen. Dass Computer die gleichen Probleme haben werden ist den meisten (allen?) noch nicht bewusst, da die Lernfähigkeit der bisherigen Computer noch so beschränkt ist, dass das Problem nicht sichtbar wird. Sobald aber die Lernfähigkeit von Computern zunehmen wird, wird sich dieses Problem immer schärfer stellen.
  23. Das einzige wirklich harte Problem ist jetzt schon und wird in der Zukunft das Werteproblem sein. Die bisherigen Religionen haben unsere Blicke mit vielen falschen Bildern vernebelt und uns im Glauben gelassen, das Werteproblem sei ja gelöst, weil man ja an Gott glaubt (jede Religion tat dies auf ihre Weise). Dieser Glaube ist aber letztlich inhaltsleer und nicht geeignet, die realen Wertprobleme zu lösen.
  24. Man kann nur gespannt sein, wie die Menschheit als Teil des umfassenden Lebensphänomens mit einer immer leistungsfähigeren Technik auf Dauer das Werteproblem lösen wird. Die einzige Hoffnung ruht in der Logik des Prozesses selbst. Der Mensch in seiner unfassbaren Komplexität ist ein Produkt der Evolutionslogik; wir selbst sind weit entfernt davon, dass wir etwas Vergleichbares wie uns selbst schaffen könnten. Darf man also darauf vertrauen, dass die in allem Leben innewohnende Logik der Evolution uns Menschen als Werkzeuge benutzt zu noch mehr Komplexität, in der wir alle kleine Rädchen im Ganzen sind (als was erscheint uns  ein einzelner Mensch in einer 30-Millionen Metropole?)

Einen Überblick über alle Einträge von cagent nach Titeln findet sich HIER

FRIEDENSPREIS DES DEUTSCHEN BUCHANDELS 2014 FÜR JARON LANIER – Ein paar Nachgedanken

1. Bei den folgenden ‚Nachgedanken‘ orientiere ich mich an dem Text Der High-Tech-Frieden braucht eine neue Art von Humanismus, der die offizielle deutsche Übersetzung darstellt. Die Laudatio von Martin Schulz, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments,findet sich HIER.

2. Eine Rede an so einem besonderen Ort vor solch einem selektiertem Publikum zu halten, ist nicht einfach. Bedenkt man ferner, wie unsere Zeit geprägt ist von einer totalen Informationsüberflutung, die wiederum eingebettet ist in krasse Ungleichzeitigkeiten von Kulturen und gesellschaftlichen Gruppen, dann wird es nicht einfacher. Andererseits hatte Lanier ein Publikum vor sich, das aufgrund seiner Auswahl eine minimale kulturelle Homogenität aufwies, eines, das irgendwo dem Muster westlicher Demokratien und vom Internet geprägten Hochleistungsgesellschaften nahestand.

VIELZAHL VON IMPRESSIONEN

3. Die Rede war nun nicht von der klassischen Art, dass ein bestimmter Gedanke sich einfach und klar mit Wucht Ausdruck verschaffte, nein es war eher eine Vielzahl von Impressionen, die alle ihren Ort in unserem Alltag haben, und es waren verschiedene Themenansätze, die anklangen, aber nicht zu Ende durchkomponiert waren (siehe Stichwortsammlung auf folgendem Schaubild).

Auszug von Stichworten aus der Rede Laniers zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2014
Auszug von Stichworten aus der Rede Laniers zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2014

4. Was als erstes auffällt, es fehlt praktisch – bis auf eine kleine Ausnahme — jede historische Dimension: die Welt erscheint nicht als gewordene, als von bestimmten Kräften getrieben, angetrieben, sondern wir tauchen unmittelbar ein in eine Momentaufnahme, ein Kaleidoskop von vielen Bildern, Bilder einer ‚entwickelten Welt‘ eingespannt zwischen ‚Überfluss‘ und ‚Rand eines Abgrunds‘.

5. Er selbst sieht sich als ‚Realist‘ mit einer Familiengeschichte (das ist die kleine Ausnahme in der Geschichtslosigkeit), die zurückreicht in die Gräuel des Naziregimes, das in großer Perfektion ganze Völker manipuliert und gequält hat. Treue gegenüber dem System und Gehorsam sind in einer Nazigesellschaft missbraucht worden für Zwecke, die zwar einigen wenigen nützten, aber sehr vielen anderen Leid und Tod gebracht haben.

INDIVIDUELLER HUMANIST ALS MITVERURSACHER

6. Lanier selbst ist einerseits Mitverursacher der modernen Informationstechnologien und ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen, andererseits ist er individueller Humanist und leidet an ihren negativen Auswüchsen: er kann ein breites Spektrum von Phänomenen an den neuen Informationstechnologien benennen, die sich zwar soziale psychische ‚Grundtriebe‘ des Menschen zu Nutze machen, die aber diese Menschen letztlich doch entrechten und verachten, indem alles, was man an Daten von diesen Menschen bekommen kann, an fremden, entlegenen, anonymen Orten speichert und in eigener Regie nutzt, ausnutzt, oft gegen die Interessen des Datenspenders.

ÄHNLICHKEITEN MIT NAZIREGIME ZUFÄLLIG?

7. Das Naziregime knüpfte auch am ‚gesunden Volksempfinden‘ an, schaffte auf den ersten Blick Erleichterungen, Wohltaten, Komfort, neue soziale Netze; Google, Facebook und Co weisen starke Ähnlichkeiten auf: sie bieten kostenlos allerlei persönlichen Komfort, neue Formen sozialer Vernetzungen, nehmen sich dafür aber alles, was sie von den Menschen bekomme können, treten deren Rechte mit Füßen, und bauen globale wirtschaftliche Nutzungszusammenhänge auf, die immer mehr Menschen ihre Arbeit nehmen, selbst aber Gewinne erzielen für noch mehr global-elitäre Geschäftstätigkeiten. In sich sind sie völlig intransparent, elitär, erscheinen menschenverachtend. Der Mensch wird so behandelt, als ob er keinen eigenen Wert hat, sondern nur insoweit, als er der globalen elitären Geschäftsidee nutzt.

UNSICHTBARE MONSTER?

8. Die Schwierigkeit bei dem Reden über diese neue Formen von Ausbeutung ist, dass vieles nicht direkt sichtbar wird, dass die Mechanismen ‚dahinter‘ verborgen sind in Netzwerken, in Serverfarmen, im Code der Software. Konnte man sich früher schon mal bei einem Menschen beschweren, wenn Verwaltungsabläufe Kritik hervorriefen, werden diese Verwaltungsabläufe heute von undurchschaubaren Engineeringverfahren erzeugt, in Software eingekleidet, für Politik, Recht und Öffentlichkeit ‚unsichtbar‘, absolut wie die mythischen Götter der Vorzeit. Öffentlichkeit und Politik sitzen vor diesen neuen Monster andächtig, wie das Kaninchen vor der Schlage; Arbeitsverluste, Steuerausfälle, Manipulation, Totalüberwachung erleidet und erduldet man, aber niemand handelt. So erzieht man sich immer größere Monster.

PARALLELE PHÄNOMENE, ÜBER DIE LANIER NICHTS SAGTE

9. Sind die Bilder, die Lanier in seiner Rede mit Blick auf die digitale Wirtschaft schon bedrückend genug, sollte man im Hinterkopf behalten, dass wir in anderen Bereichen (Rohstoffe, Chemie, Pharma, Landwirtschaft …) ganz ähnliche Globalisierungseffekte erleben, die immer mehr auf Kosten der Menschen ‚vor Ort‘ den Reichtum weniger elitärer Gruppen ‚im Hintergrund‘ mehren, alles auf Kosten der Verwahrlosung der restlichen Welt (so scheint z.B. die WHO über die Finanzierung sich in den Händen weniger Großkonzerne zu befinden, die die Zertifizierungen von Produkten anderer Firmen verhindern bzw. das Ausbrechen bzw. Nichtausbrechen von medizinischen Katastrophen steuern können, ein einträgliches Milliardengeschäft, wie es scheint).

MENSCHENVERACHTENDE ELITEN?

10. Es ist dann möglicherweise kein Zufall, dass es genau die Wirtschafts- und Technologieeliten sind, die der Abschaffung des Menschen das Wort reden, transhumanistische Visionen begünstigen, Gehirn-Uploads und Unsterblickeitstechnologien favorisieren. So bizarr die hier einschlägigen Theorien momentan auch sein mögen, reflektieren sie auf jeden Fall einen Wertekosmos, der grundlegend menschenverachtend ist. Die rosigen Werbeslogans wirken vor diesem Hintergrund zynisch: man hätschelt den Konsumenten, den man grundlegend verachtet, rechtlich missbraucht und ökonomisch ausnimmt, um daraus den eigenen Wohlstand zu bauen; gleichzeitig bastelt man an Visionen, wie man sich von diesen lästigen Menschen befreien kann. Waren Hitler, Stalin, Mao (oder deren heutigen Nachfahren) so viel schlechter, weil sie keine Probleme hatten, viele Millionen Menschen zu opfern, weil sie einfach mal so nicht ins Konzept passten?

DIE PASSIVITÄT DER UNTERDRÜCKTEN

11. Man kann sich wundern, warum die Menschen, wir (!), dies alles mit uns machen lassen. Warum lassen wir die wenigen gewähren, die alle anderen ‚ausbeuten‘, ‚missbrauchen‘? Lanier hat dazu nicht viel zu sagen. Er zitiert das Wort vom ‚Rudelverhalten‘, das wir Menschen einen inneren Schalter haben, der, einmal umgelegt, uns dazu bringt, uns als ‚Rudel‘ zu verhalten, das auch vor größten Dummheiten und Ungeheuerlichkeiten nicht zurückschrecke.

12. Diese Rudelverhalten korreliert nach Lanier auf Seiten der Manipulierten stark mit Phänomenen wie Stammesverhalten, blinder Gefolgschaft, autoritären Strukturen, Gewalt, Terror, Nationalitäten. Auf Seiten der Eliten finden wir eine entsprechende Ethik und Gedanken wie den ‚Transhumanismus‘.

DER GESCHICHTSLOSE, VERLORENE MENSCH

13. Bei diesem düsteren – und durchgehend geschichtslosem und unökologischem – Bild der menschlichen Gesellschaft kann man sich fragen, wo denn hier irgendein Lichtschimmer der Hoffnung herkommen kann? Der Mensch, ein blasses rudelhaftes, von dunklen Trieben geleitetes Wesen – warum, wieso, weshalb sollte dieses Wesen eine Zukunft haben?

14. Lanier beruft sich mehrfach auf die Menschenrechte, optiert für eine breite Mitte, für Pluralismus und Nachhaltigkeit, lobt eine neue Sensitivität und Kreativität, preist die traditionellen Familienwerte, glaubt an den Menschen, schließt den Glauben an einen Gott nicht aus, aber diese optimistischen Ansätze bleiben seltsam matt, kraftlos, da nicht so recht zu sehen ist, worin diese Ansätze wirklich gründen sollen, warum diese stärker, wichtiger sein sollen als die dunklen Seiten der Mächte, die den einzelnen, das Rudel, die Menge der Konsumenten, die elitären Nutzer einer globalen Ausbeutung anzutreiben scheinen.

DAS BUCH ALS EINZELNER HEROISCHER AKT

15. Als eine gewisse Referenz an den Ort und an den Anlass der Rede schenkt er dem Publikum auch noch ein paar Bemerkungen zur Rolle und Bedeutung des Buches. Aus der Innensicht eines Autors weiß er zu berichten, dass der Akt des Buch Schreibens Lebenszeit konsumiert, ein minimales Engagement verlangt, dass ein Autor sich damit bis zu einem gewissen Grade verwundbar macht, dass dies aber unumgänglich erscheint, um individuelle Erfahrungen allgemein zugänglich zu machen. Diese Individualität sei notwendig, meint Lanier, und sieht hier auch einen gewissen Widerspruch zur monumentalen Internetenzyklopädie Wikipedia, die eher zur Nivellierung tendiert, zur Vereinheitlichung, zu einer Monopolisierung dessen, was und wie etwas gesagt werden darf.

16. Aktuelle Konflikte wie z.B. die zwischen Internet-Großhändlern wie amazon einerseits und klassischen Verlagen (die allerdings auch Internet nutzen) anderseits, oder die zwischen klassischen Zeitungen einerseits und neuen Webredaktionen andererseits kamen nicht direkt zur Sprache.

17. Auch die grundsätzliche Rolle einer funktionierenden Öffentlichkeit in einer Demokratie und deren potentielle Gefährdung durch die neuen Entwicklungen blieb unberührt. Genau sowenig thematisierte Lanier das Grundproblem des Wissens heute als Medium des globalen Denkens und Handelns.

WENN LANIER RECHT HAT …

18. Wenn Lanier Recht hat – und in vielen Punkten hat er Recht; die Phänomene, die er beschreibt gibt es wirklich, sie sind sehr real – dann ist der Gesamteindruck vordringlich eher düster. Die Macht der schmarotzenden Eliten auf Kosten der vielen ist da, wird täglich praktiziert. Die bislang eher passiv-abwartende Reaktion der betroffenen gesellschaftlichen Systeme und Subsysteme wirkt nicht sehr ermutigend. Das Fehlen eines gemeinsam geteilten Wertekanons als Gegenpol zu den globalen Ausbeutungstendenzen ist in der praktischen, gelebten Realität der Politik da; Menschenrechte stehen auf dem Papier, aber Länder wie z.B. die USA, Russland, China und Saudiarabien passen sie kompromisslos der aktuellen Machtpolitik an. In den USA heißt die Zauberformel ‚Staatsicherheit‘ und ‚wirtschaftlicher Erfolg der Eliten‘, in China ist es der Führungsanspruch der kommunistischen Partei, in Russland ist es der Führungsanspruch eines Putin, in Saudiarabien ist es eine theologisch verbrämte Autokratie. Als ‚Fremder‘ hat man in diesen Ländern keinerlei Rechtsanspruch, außer, er wird aus irgendwelchem Anlass auf Abruf eigens ‚gewährt‘ (und diese vier Länder sind keine Ausnahmen).

19. Die Rede von Lanier hinterlässt daher mehr offene Fragen als nützliche Antworten. Es gibt natürlich viele ermutigende gesellschaftliche Institutionen, Bewegungen und gelebte Wertmodelle, aus denen eine alternative, bessere Zukunft wachsen könnte, es gibt in Europa Länder die trotz allem wachsenden Lobbyismus und wachsender Korruption institutionalisierte Werteansätze leben, aber man kann nicht behaupten, dass wir aktuell einen weltweiten Konsens haben, der die von Lanier geschilderten negativen Auswüchse mit Leichtigkeit überwinden könnte. Die Menschen, die Menschheit steht hier – sicher nicht zum ersten Mal – vor einer Herausforderung, sich für die nächste Phase auf eine Weise ’neu erfinden zu müssen‘, die die aktuellen Probleme konstruktiv und nachhaltig löst. Woher nehmen wir das dazu notwendige Wissen? Was sind die leitenden Kriterien? Woher können wir wissen, was wir vielleicht aktuell noch nicht wissen? Gibt es gute Lösungen ohne vorausgehende Irrtümer, ohne vorausgehende Katastrophen, aus denen wir lernen können? Alle sind gefragt, jeder ist aufgerufen, keiner kann sich entschuldigen. Sterben müssen wir zwar alle, aber wie nutzen wir die kurze Zeit vor dem Tod?

Einen Überblick über alle bisherige Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

DIE DEMOKRATIE HAT GERADE MAL KEINE SAISON (2) – … und die Wiederkehr der Sklaverei?

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 16.Febr.2014,
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

 

Letzte Änderung: So, 16.2.2014, 12:43h

In mittlerweile sehr vielen Artikeln (unter anderem in den vorausgehenden Artikeln DIE DEMOKRATIE HAT GERADE MAL KEINE SAISON und WAS WILL UNS MOROZOV SAGEN? Zu seiner Replik auf Martin Schulz, der am 6.2.2014 zum Kampf aufruft) bin ich dem Phänomen nachgegangen, dass gewählte Regierungen die ihnen anvertraute Macht in einer Weise nutzen, die aus demokratischer Sicht mindestens grenzwertig ist oder – wie es der Fall zu sein scheint – deutlich überschreiten, d.h. faktisch so benutzen, dass dies einer Ent-Demokratisierung gleich kommt. Weitere Beispiele liefert leider auch die EU-Politik.

AUSVERKAUF DER EU AN DEN PARLAMENTEN VORBEI?

… GENMAIS

Leider, muss man sagen, sind wir in der EU fast schon daran gewöhnt, dass starke Lobbygruppen an den nationalen Parlamenten vorbei die EU-Kommission in ihrem Sinne beeinflussen, so dass einige wenige große Firmen für bestimmte Maßnahmen die Kontrolle über die gesamte EU gewinnen. Am Beispiel der Gen-Mais Abstimmung kann man aktuell eine Neuauflage dieses Schauspiels beobachten. Während die SPD sowie die CSU und der Vertreter Deutschlands beim Ministertreffen in Brüssel eigentlich gegen die Genehmigung von Gen-Mais waren (sowie alle Oppositionsparteien und die Mehrheit der deutschen Wähler), musste der deutsche Vertreter sich dennoch der Stimme enthalten (was im Kontext einer Zustimmung gleichkam), weil die von der Kanzlerin geführte CDU nicht dagegen sein wollte (siehe: EU-Entscheidung: Europas Lavieren bringt Genmais in die EU (Süddeutsche Zeitung online, 1. Februar 2014 11:12)). Bekannt ist, dass es nur einige wenige große multinationale Konzerne sind, die für diese Genehmigung kämpfen.

… TRANSNATIONALES FREIHANDELSABKOMMEN

Verglichen mit den Verhandlungen zum ‚Transatlantischen Freihandelsabkommen‘ Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP), das seit etwa Mitte 2013 unter Ausschluss der Öffentlichkeit zwischen der US-Regierung und 12 weiteren Ländern (parallel zu Verhandlungen mit pazifischen Ländern) verhandelt wird, ist das Gen-Mais-Abkommen eher ‚geringfügig‘. Kanzlerin Merkel spricht sich bislang eindeutig für dieses transnationale Abkommen aus (Warum eigentlich?). Dagegen wird es von Teilen der Politik, Journalisten, Verbraucherschutz- und Umweltschutzorganisationen sowie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in vielen Teilen (sofern sie bekannt wurden) und in der Art des Vorgehens massiv kritisiert. Kernpunkt ist, dass die Verhandlungen zwar unter Beteiligung von Industrievertretern aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Beteiligung der nationalen Parlamente (auch unter Ausschluss des US-amerikanischen Kongresses und des EU-Parlaments) verhandelt werden, und dies heißt faktisch ohne demokratische Kontrolle.

In der Deutung der zu erwartenden positiven wirtschaftlichen Effekte gehen die Deutungen auseinander, aber der erfassbare Konsens geht eher in die Richtung, dass die wirtschaftlichen Effekte für die Bevölkerung der Teilnehmerstaaten als sehr gering, geradezu gegen Null, eingeschätzt werden, hingegen begleitet von zahlreichen gravierenden Nachteilen. So würden durch das Abkommen (siehe Wikipedia-DE) Umwelt- und Gesundheitsstandards untergraben und Arbeitnehmerrechte aufgeweicht. Die angestrebte ‚Harmonisierung von Standards‘ orientiere sich laut Kritikern an den Interessen der Konzerne und Finanz-Investoren, weil Harmonisierung bedeuten würde, dass tendenziell der jeweils niedrigste bzw. wirtschaftsfreundlichste Standard aller Einzelstaaten als Basis für die verbindliche Norm des Vertrags dienen würde.

Würden Staaten später gegen die Vertragsregelungen verstoßen, könnten ‚gigantische Entschädigungen für Unternehmen‘ fällig werden. Darüber würden sogenannte Schiedsgerichte entscheiden, die keiner nationalen Gesetzgebung und Kontrolle unterworfen wären. Unternehmen könnten so etwa das staatliche Verbot bzw. die Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Lebensmittel oder die Gasförderung mittels Fracking verhindern, oder Entschädigungszahlungen für den Ausstieg aus der Kernenergie erzwingen. Die Vorteile, die das Abkommen den Unternehmen bieten würde, wären zudem bindend, dauerhaft und praktisch nicht mehr veränderbar – weil jede einzelne Bestimmung nur mit Zustimmung sämtlicher Unterzeichnerstaaten geändert werden könne, sobald der Vertrag (in dr aktuellen form) in Kraft treten würde.

Aus diesen Gründen (mehr Details bitte an den angegebenen Stellen selbst nachlesen) wurde das Abkommen von all den genannten Gruppierungen als ‚undemokratisch‘, als ‚unvereinbar mit demokratischen Prinzipien‘ und als ‚Unterwerfung der Teilnehmerstaaten unter Konzerninteressen‘ charakterisiert (siehe z.B. auch Freihandelsabkommen TTIP : Mit demokratischen Prinzipien nicht vereinbar (GEO.de, Marianne Henkel, Sprecherin des Arbeitskreises Internationale Umweltpolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), im Interview mit Peter Carstens))

WÄHREND MUTTI NOCH LÄCHELT KÄMPFEN DIE DEMOKRATISCHEN KRÄFTE DER USA

Während die deutsche Regierung – allen voran die Bundeskanzlerin, die sich in der Rolle der lächelnden ‚Mutti der Nation‘ zu gefallen scheint – den Eindruck erweckt, dass für sie das mit dem transatlantischen Freihandelsabkommen doch eine tolle Sache sei (trotz der allseits aufflammenden Kritik), muss man wissen, dass dieses Abkommen auch in den USA heftig umstritten ist, da auch dort die Verhandlungen bislang am Kongress vorbei geführt werden und die Regierung alles versucht, vom Kongress einen Blankoscheck für das weitere Vorgehen zu bekommen (vgl. For controversial trade pact, fire from the left, the right and WikiLeaks (WP, By Howard Schneider, Published: November 14 ), How Congress might have already tied Obama’s hands in trade negotiations (WP, By Lydia DePillis, Updated: July 17, 2013 at 12:13 pm), Congress is considering whether to allow Obama to finish two massive trade deals (WP, By Lydia DePillis, Updated: January 9 at 4:57 pm)).

Unterstellt man mal, dass die CDU letztlich nur tut, was ‚Mutti‘ will, dann verdichten sich in den vielen Ereignissen die Hinweise, dass unsere ‚Mutti‘ auch vergleichbar wird mit den berühmten ‚Paten‘ in den Filmen über die organisierte Kriminalität: nach außen treten diese Paten kaum in Erscheinung, sagen öffentlich nur belanglose Dinge, sind aber intern und hinter den Kulissen extrem vernetzt mit allem was nach Macht und Geld riecht. War ein ‚Tarnkappenverhalten‘ unter DDR-Verhältnissen vielleicht noch überlebensnotwendig, in einer Demokratie ist die ‚Neutralisierung der Öffentlichkeit‘ ein Frontalangriff auf die Demokratie. Die Unterstützung von Großindustrie und multinationalen Konzernen an den Parlamenten vorbei gegen die Interessen der Bürger ist letztlich Machtmissbrauch und zutiefst antidemokratisch. Dass eine Partei wie die CDU sich einen solchen antidemokratischen, letztlich gegen die Bevölkerung gerichtete Politik gefallen lässt, spricht nicht gerade für sie. Das ‚D‘ für ‚demokratisch‘ im Akronym ‚CDU‘ wirkt stark zerschlissen.

(Anmerkung: Es ist irgendwie schwer nachvollziehbar, warum die Einbeziehung der gewählten Parlamente bei so wichtigen Abkommen wie z.B. dem transatlantischen Freihandelsabkommen nicht selbstverständlich ist. Ist es denn nicht die primäre Aufgabe einer demokratisch gewählten Regierung die Interessen eines ganzen Landes zu vertreten statt nur einige wenige rein kapitalinteressierte Interessengruppen, die in vielen konkreten Belangen eindeutig den Interessen der Bevölkerung zuwiderlaufen? Leben wir denn tatsächlich schon in einer multinationalen organisierten Kriminalität mit den Regierungschefs als ‚Super-Paten‘? Wenn nicht, warum verhalten sich die Regierungschefs dann so, als ob sie ‚Super-Paten‘ sind? Warum kooperieren die Parlamente nicht direkt miteinander, wenn schon ihre Regierungen sie ins politische Abseits stellen? Die Beziehungen zwischen den USA und Europa sind lebenswichtig, nicht nur für einige wenige Konzernspitzen…)

EIN REPUBLIKANISCH-DEMOKRATISCHES AUFBEGEHREN IN DEN USA?

Während also in Deutschland eine CDU dabei ist, mit ‚Mutti‘ die Demokratie durch Missachtung zu erodieren (und die SPD den Eindruck erweckt, dass sie, von Machtgier geblendet, sich der Strategie der Macht von Mutti bis hin zur Selbstverleugnung anzupassen scheint) gibt es in den USA eine ganze Vielzahl von Bewegungen, die versuchen, sich gegen die schleichende Ent-Demokratisierung zu wehren. Neben dem schon erwähnten Kampf des Kongresses um Einbeziehung in die Verhandlungen zu transatlantischen Freihandelsabkommen gibt es mittlerweile eine offizielle Anklage gegen Obama und seine Regierung durch den republikanischen Senator Rand Paul (Kentucky) (siehe Rand Paul files suit against Obama, NSA Wednesday (Washington Post online, By Jaime Fuller, Updated: February 12 at 11:23 am). Senator Rand Paul zusammen mit Matt Kibbe, dem Präsidenten der konservativen Bewegung FreedomWorks, erheben Anklage gegen Präsident Obama und anderen Regierungsmitgliedern wegen des Sammelns von Telefondaten durch die NSA. Für sie ist es eine Verletzung des vierten Zusatzes zur US-amerikanischen Verfassung (was in diesem Blog schon sehr früh so gesehen wurde (nicht der technische Vorgang der Überwachung ist entscheidend, sondern die politische Deutung dieses Vorgehens!)). Publikumswirksam erinnert Paul die US-Bürger an die Frühzeit der USA, an die Herrschaft der Briten, die die Privatheit der Kolonisten eben nicht geachtet haben (was übrigens auf der Webplattform von tomdispatch.com schon seit Jahren so analysiert wurde). Und Paul vergleicht die heutige Praxis der NSA mit dem damaligen Verhalten der verhassten britischen Regierung.

Paul Milband, ein journalistischer Lobbyist für die Demokraten und gegen die Republikaner, versucht durch schreibende Betriebsamkeit zwar das Vorgehen von Paul zu diskreditieren (siehe z.B. Rand Paul and Ken Cuccinelli accused of stealing NSA lawsuit (By Dana Milbank, WP, February 12) und E-mails back claim that Sen. Rand Paul ‘stole’ NSA lawsuit (By Dana Milbank, Updated: February 13 at 6:00 pm) doch, wie diverse Lesermeinungen es auch zum Ausdruck bringen, wirken diese schreibenden Aktionen eher wie ein ‚Ablenkungsmanöver‘ von dem grundsätzlichen Problem einer staatlich betriebenen Ent-Demokratisierung.

Zu dem sehr negativen Bild, das der US-amerikanischen Regierungsbetrieb seit langem in vielen Bereichen abgibt, passen leider auch solche aktuellen Meldungen wie der – so scheint es – extreme Missbrauch von öffentlichen Steuergeldern durch die US-Geheimdienste (siehe: U.S. intelligence agencies can’t justify why they use so many contractors (WP, By Brian Fung, Updated: February 14 at 3:24 pm ) oder die handwerklich unprofessionelle, vetternwirtschaftliche Art der Ernennung der großen Mehrheit von US-amerikanischen Botschaftern (siehe: Obama ambassador nominees prompt an uproar with bungled answers, lack of ties (WP, By Juliet Eilperin, Published: February 14).

DIE WIEDERKEHR DER SKLAVEREI IM DIGITALEN?

Und noch etwas muss man in diesem Zusammenhang erwähnen (ein längerer Beitrag wäre notwendig). So wie das Verhalten der NSA — ermöglicht durch die neuen Computer- und Internettechnologien — in ihren Auswirkungen bisherige demokratische Grundwerte erodiert oder gar — nach Einschätzung vieler — gerade zu aufhebt, so kann man im Vorgehen von Firmen wie Google, Facebook, Apple, Samsung und alle jenen, die Kundenbeziehungen über das Internet realisieren, feststellen, dass sie nicht nur den vierten Zusatz zur US-amerikanischen Verfassung massiv aushebeln (die nächste mögliche Attacke von Senator Paul (oder anderen)), sondern dass sie faktisch durch ihre Praxis alle ihre Kunden quasi zu ‚Leibeigenen‘ erklären, zu ‚digitalen Sklaven‘! Egal was jemand heute machen will (Kommunizieren, Suchen, Finanztransaktionen, …), man muss nicht nur extrem viele Daten von sich preisgeben, sondern zugleich gerät man in juristische Abhängigkeiten, die so meistens nicht gewollt sind, und einer Art Totalübergabe gleich kommt. Gegenüber diesen Firmen ist jemand außerhalb der USA nahezu ohne jedes Recht, dazu werden alle seine Aktivitäten protokolliert. Vergleicht man damit die Definiton von Sklaverei, dann hat ein heutiger Bürger im digitalen Bereich fast sogar weniger Rechte als ein ‚klassischer‘ Sklave. Wir sind faktisch schon längst ‚digitale Sklaven‘ und Google erscheint hier als jene Firma, die mit der größten Zielstrebigkeit das als global und frei visionierte Internet in in ein vergiftetes Minenfeld von hochverschachtelten privatisierten Diensten verwandelt, in dem jeder Quadratmeter durchkommerzialisert ist, verbunden mit einer völligen Aufhebung persönlicher und demokratischer Rechte.

Für die meisten unsichtbar hat Google seit langem damit begonnen, das ehemals quelloffene Handy-Betriebssystem ‚android‘ schrittweise so umzubauen, dass immer mehr ‚freie‘ Teile dieser Software durch google-spezifische Teile ersetzt worden sind. Damit sind alle Kunden und auch Firmen in direkte Abhängigkeit von Google geraten. Die schöne neue Welt des Internets versinkt mehr und mehr – um ein Bild zu gebrauchen – ‚im stinkenden Morast von digitalen Sklavenhaltern‘, die jedes Zipfelchen Lebensäußerungen zu ihrem totalen Eigentum erklären. Das kann und wird auf Dauer nicht funktionieren. Die große Firma der Zukunft wird ziemlich sicher eine Anti-Google-Firma sein. Die Frage ist nur, wie viele Jahre wird es brauchen? Evolutionsbiologisch ist das Erfolgskonzept von Google und Co heute schon tot. Die individuelle Gier einzelner Macher reicht gewöhnlich nicht aus, um epocheprägend zu sein. Die Verdienste von Google und Co liegen gleichwohl darin, dass Sie uns die Aufgen dafür öffnen, wie diese anderen Firmen der Zukunft aussehen werden.

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