Archiv der Kategorie: Inhaltsvermitteltes Bewusstsein

Wahrheit im Alltag

(1) Wahrheit: Wenn man davon ausgeht, dass sich in, zwischen und durch den Phänomenen unseres Welterlebens (im Bewusstsein) Strukturen (Ontologien) erkennen lassen, die charakteristisch dafür sind, wie die ‚in den Phänomenen sich andeutende Welt‘ ’sich verhält‘, dann ist hier der Raum möglicher Wahrheit(en). Wahrheit liegt dann in den erkennbaren Strukturen von Welt, wie diese Welt sich verhält und annähernd in Sprache artikulieren lässt. Eine solche ‚in der Welt fundierte‘ Wahrheit ist ‚vorgegeben‘, sie ‚geht unserem Denken voraus‘, das Denken findet statt ‚innerhalb‘ dieser Strukturen, ohne dass allerdings das Denken diese Strukturen ‚automatisch‘, ‚von selbst‘ vollständig erkennen kann. Das primäre Medium des Denkens — das Bewusstsein samt dem dahinter angenommenen Gehirn in seinem Körper — hat zwar eine biologisch determinierte Arbeitsweise, die uns — vor allem Wollen und klarem Bewusstsein — das ganze biologische Leben hindurch auf eine körper-gehirn-bewusstseinsspezische Weise mit Strukturen dieser Welt ‚füttert‘, doch wissen wir mittlerweile, dass diese ‚automatisch generierte (individuelle) Strukturen‘ grundsätzlich idealisierend sind, partiell, abhängig von vielen Voraussetzungen. Insofern kann man sagen, dass sich Welt für uns zwar grundsätzlich ‚ereignet‘, dass eine ‚wahre‘ Erkenntnis aber sehr vieler koordinierter Bemühungen bedarf, die über den einzelnen grundsätzlich hinausgehen. Ein einzelner Mensch alleine kann niemals ‚wahre Erkenntnis‘ im nennenswerten Umfang ‚vermehren‘, selbst wenn er eine direkte ‚Inspiration durch das Göttliche‘ empfangen würde (was sich alleine schon daraus ergibt, dass — wenn man überhaupt einen Schöpfer annimmt — die gesamte Welt Schöpfung ist, in der der einzelne einen sehr kleinen, winzigen (allerdings nicht den kleinsten, winzigsten) Moment ausmacht. ‚Wahre Erkenntnis‘ hat per se mit der Erkenntnis der Struktur der gesamten Welt zu tun und das individuelle ‚unvernetzte‘ Gehirn weiß davon ‚explizit‘ so gut wie gar nichts (implizit spiegelt das Gehirn im Körper mit seinem Bewusstsein allerdings eine Teilwahrheit wider, die sich durch seine langwierige Entstehungsgeschichte ‚angesammelt‘ hat).

 

(2) Medien: Da Bewusstseins-Gehirne nur durch kontinuierliche Vernetzung und entsprechendem Training ‚wahre Erkenntnisse‘ vermehren können spielen die Medien als Schnittstellen zu Erkenntnissen eine wichtige Rolle. Wie man aber weiß — und täglich immer wieder neu belehrt wird — sind die Menschen, die Medien organisieren und mit ‚Inhalten versorgen (‚füttern’…)‘ nicht nur vom Interesse an ‚Wahrheit‘ geleitet. Die Finanzierer von Medien wollen in der Regel nicht nur Geld mit ihnen verdienen, sie haben meist auch klare persönliche und/ oder politische Interessen, für die sie ihre Medienmaschine zu nutzen suchen. Dem entspricht komplementär, dass unterschiedliche Machtgruppen die Nähe zu diesen Medien suchen, um sie ihren Interessen möglichst ‚konform‘ zu gestalten (aus Sicht der interessengesteuerten Machern verständlich und bis zu einem gewissen Grade sicher auch legitim). Wenn allerdings die interessengesteuerten Medien die Mehrheit zu bilden beginnen, wenn die Machtinteressen immer ungenierter werden, dann führen diese Medien im Alltag zu einer fortschreitenden ‚Verdunkelung‘ und damit zur Vernichtung von Wahrheit. Medienereignisse erklären dann nicht, wie es ‚ist‘ bzw. ‚werden wird‘, sondern wie es bestimmte partikuläre Gruppen ‚haben wollen‘. Demokratische Gesellschaften, die u.a. von einer ‚funktionierenden Öffentlichkeit‘ leben, würden durch solche Prozesse fortschreitend ‚von innen her‘ — sprich: von ihrem kollektiven Erkennen her — ausgehöhlt, geschwächt, und auf Dauer zerstört. Zwar unterscheiden sich demokratische Gesellschaften von nicht-demokratischen (cliquen- gesteuerten Diktaturen) dadurch, dass in cliquen-gesteuerten Diktaturen die Öffentlichkeit grundsätzlich nur von cliquen-genehmen Medien mit Informationen ‚beliefert‘ wird, aber in Demokratien können wirtschaftlich starke — und mit diesen verbündete politische — Gruppierungen auf ganz ‚legale‘ Weise Medien ‚unter ihre Kontrolle‘ bringen und diese — wie in Diktaturen — zur Steuerung von gruppenspezifischen ‚Wahrheiten‘ benutzen, um nicht zu sagen zu ‚missbrauchen‘. Es gehört zur Verantwortung einer demokratischen Gesellschaft diese unterschiedlichen Strömungen durch geeignete Rahmenbedingungen so zu fördern, dass die ‚mediale Gehirnwäsche‘ nicht zum alles dominierenden Thema wird.

 

(3) Banken: Ein Hauptzweck von Banken ist es, Geld (Kredite) dort zur Verfügung zu stellen, wo es gebraucht wird. In jeder lebendigen Wirtschaft sind es die aktiven Unternehmen, die beständig Geld benötigen, um ihre wachsenden Aktivitäten zwischen zu finanzieren. Darüber hinaus ist es der Staat selbst, der sich immer wieder Geld leiht, auch Privatleute. Solange dies alles funktioniert, gibt es eine Wirtschaft und einen Staat, der einen Raum bietet für vielerlei Aktivitäten, auch für die Arbeit an der Wahrheit (wenngleich die Arbeit an der Wahrheit normalerweise einen verschwindend kleinen Bruchteil der alltäglichen Aktivitäten darstellt). Zur Zeit erleben wir, dass Banken von den staatlichen Geldagenturen Geld nahezu geschenkt bekommen und es für sie attraktiver ist, mit diesem nahezu geschenktem Geld auf eigene Rechnung zu spekulieren, als es zu ungünstigeren und riskanteren Konditionen an die Wirtschaft oder an Private auszuleihen. Zudem dürfen Banken Geld vom Staat ohne Rücklagen weiter verleihen, während Kredite an nichtstaatliche Empfänger einen bestimmten Prozentsatz an Rückversicherung verlangen. Wieder ein Grund, Unternehmen und Privaten eher kein Geld zu leihen oder zu extrem ungünstigen Bedingungen. Die Finanzierung bankrotter Staaten rentiert sich hier für Banken mehr als die Vergabe von Geld an gesunde Firmen! Banken gelten zudem vielfach als ’systemrelevant‘; aufgrund ihrer Größe herrscht die Meinung, dass man Banken nicht ‚untergehen‘ lassen darf. Bankmanager müssen daher das Gefühl haben, sie sind ‚unsterblich‘: was immer sie tun, selbst die größten Pleiten, all dies führt nicht zur Vernichtung ihres Unternehmens. Letztlich wird ‚der Staat‘ einspringen, und damit die restliche Bevölkerung (die ‚Dummen‘, die ’normalen Steuerzahler’…)(Privater Gewinn und Vergesellschaftung des Verlustes). Und noch eines: Bankmanager sind keine Eigentümer sondern Angestellte zu Vorzugskonditionen: wenn Sie Fehler machen, leidet vielleicht das Unternehmen, sie selbst aber sind immer saniert und können anderweitig eine neue Position finden. Wie die Geschichte zeigt führt ein ungezügeltes Finanzsystem zyklisch zu Finanzkrisen, die ganze Volkswirtschaften und dann auch die Weltwirtschaft ’nach unten‘ ziehen können. Es ist eine offene Frage — wer hat das jemals schon untersucht? — ob die Chancen für die Erkenntnis von mehr wahren Strukturen in Krisenzeiten real steigen?

 

(4) Forschung: Allgemein gilt Forschung als jene Tätigkeit, die der ‚Vermehrung der Wahrheit‘ am meisten dienlich sein soll. Im Idealfall gibt es Experten, die mindestens 20 — eher 25 – 30 — Jahre ‚Training‘ hinter sich haben, die primär an Wahrheit interessiert sind, die in Netzwerken von Forschern kommunizieren (‚Communities‘), und die sich den ‚aktuellen‘ Fragen der Wissenschaft stellen. Doch impliziert dieses Ideal eine Reihe von Voraussetzungen. (i) Es sollen nur solche Ergebnisse publiziert werden, die durch mindestens 3 -5 unabhängige Gutachter als ‚dem Stand der Forschung angemessen‘ qualifiziert worden sind. Bei der heutigen Explosion der Fachzeitschriften bei gleichzeitiger fortschreitender Spezialisierung in Form einer mehr und mehr unüberschaubaren Zersplitterung wird es immer schwerer, eine vorliegende Arbeit adäquat zu begutachten, selbst bei bestem Willen der Gutachter (der nicht immer ohne weiteres unterstellt werden muss). (ii) Da der Bezug von Fachzeitschriften viel Geld kostet, die Bibliotheken aber nicht kontinuierlich mehr Geld bekommen, sondern eher weniger, nimmt der Anteil der Fachzeitschriften, der öffentlich zugänglich ist, kontinuierlich ab. Der Zugang zu ‚wissenschaftlichem Wissen‘ als der ‚Lebensader‘ von Wissenschaft, ist damit ernsthaft gefährdet. Vor diesem Hintergrund muss man die open-access Bewegung sehen, in der der Autor einmalig zahlt und die Leser einen freien Zugang haben. Aktuell erscheint dies als einzige erkennbare Lösung einer ernsthaften Krise. (iii) Forschung benötigt normalerweise Geld für Ressourcen (Mitarbeiter, Geräte, Materialien,…). Dieses Geld kommt von staatlichen Förderprogrammen oder von Unternehmen, die für die Bearbeitung eines Problems Geld zahlen. (iii.1) Die versuchten Einflußnahmen auf die Vergabe staatlicher Gelder ist verständlicherweise intensiv und andauernd. Aufgrund der Intransparenz des Gutachterwesens kann man hier vielerlei Einflussnahmen ‚hinter den Kulissen‘ vermuten. Insiderinformationen bestätigen jedenfalls immer wieder, dass die politischen Interessen von speziellen Gruppen die Maschinerie der Gutachter nach Bedarf — oft schon weit im Vorfeld bei der Ausschreibung — so steuern kann, dass immer das gewünschte Ergebnis heraus kommt (Den Feldtest, 50% der Forschungsgelder streng nach dem Zufallsprinzip an ‚alle‘ sich bewerbenden Forschergruppen ohne ‚verdeckte‘ Gutachter zu verteilen und dann die Effizienz zu überprüfen, hat noch keiner gewagt, stattdessen praktizieren selbst demokratische Gesellschaft im Bereich Forschung eine Art ‚Planwirtschaft‘, deren Effizienz nicht erwiesen ist). (iii.2) Geld von Unternehmen ist überwiegend an kurzfristigen Ergebnissen interessiert, um aktuelle Produkte und Technologien zu optimieren, solche, von denen man einen baldigen Markterfolg erwartet. Dies ist einerseits verständlich, hat aber zur Folge, dass die ‚wahren Produkte von Morgen‘ damit gerade nicht entwickelt werden. Die wirklich interessanten Technologien und daran anknüpfenden Produkte haben Vorlaufzeiten von mindestens 10-15 Jahren, eher mehr. Ein Manager, der alle 3 Monate Erfolge melden muss, kann sich auf solche Perspektiven nicht einlassen. Dies hat zur Folge, dass viele Firmen aufgrund dieser künstlich erzeugten Kurzatmigkeit sich selbst ‚austrocknen‘ und damit eine führende Position innerhalb von wenigen Jahren verlieren können (dann sind die entscheidenden Manager aber möglicherweise nicht mehr da oder werden mittels hoher Abfindung entlassen.). (iii.3) Eine Hochschulforschung, die mit kurzfristig orientierten Firmen zusammenarbeiten will (die viel gepriesene ‚Drittmittelforschung‘), kann dies nur dann, wenn sie sich mehr oder weniger vollständig in einen firmenspezifischen Entwicklungsprozeß einbindet, und damit in das kurzatmige Programm einer Optimierung von Bekanntem. Damit verrät sie gerade das, wodurch sie für die Gesellschaft eigentlich so wertvoll ist: den qualifizierten unabhängigen Blick in die Zukunft. Gerade in diesem ‚Vorausgehen in die Zukunft‘ wäre die Hochschulforschung wichtig für die Firmen eines Landes, aber genau das wird nicht gefördert, sondern eher die Zerstörung dieser Unabhängigkeit. (iii.4) Am Beispiel der Pharmaforschung wird noch ein anderes Problem deutlich: natürlich macht eine Pharmaforschung nur Sinn, wenn irgendwann auch tatsächlich ein reales Leiden gelindert werden kann. Vor die Wahl gestellt, ob man Medikamente entwickelt, die ‚lindern‘ statt ‚heilen‘ wird jedes Pharmaunternehmen, das nicht durch eine Konkurrenz unter Druck gesetzt wird, normalerweise das Modell ‚Lindern‘ wählen und nicht ‚Heilen‘. Mit ‚Lindern‘ kann man kontinuierlich Geld verdienen, mit ‚Heilen‘ möglicherweise nur kurzfristig. Aus Sicht der Menschen und der Gesellschaft, die ein Gesundheitssystem finanzieren muss, wäre ‚Heilung‘ besser, aber der Staat baut in diesem Bereich nahezu keine eigenen unabhängige Forschungs-Ressourcen auf um dem gegen zu steuern. Es entsteht der Eindruck, dass die Politik lieber die Menschen leiden läßt und große Summen in die Versorgung mit sekundären Arzneimitteln steckt anstatt vorbeugend und grundlegend die primären Ursachen zu bekämpfen. (iv) Was ist also mit der ‚Wahrheit‘ durch Forschung? Die Vielzahl der Faktoren, die ein ’normales‘ Forschern schwer machen — ich habe nicht alles aufgezählt — ist schon beachtlich. Gerade dort, wo die ‚Freiheit der Forschung‘ am wichtigsten wäre, wird sie — so der vorherrschende Eindruck — mehr und mehr durch Planwirtschaft ersetzt. Jetzt mag man sich fragen, warum nicht mehr Forscher in der Öffentlichkeit protestieren. Dies mag damit zu tun haben, dass ein ‚wahrer‘ Forscher jemand ist, der nur Forscher sein kann, weil er sich über viele, viele Jahre vom ‚Alltagsgeschehen‘ bis zu einem gewissen Grade abkoppelt, um sich in komplexen Dickicht von Theorien, Methoden und Experimenten zurecht zu finden. Die Forscher, die im Laufe der Jahre aufgrund des Geldvergabesystems zu ‚Forschungsmanagern‘ mutieren sind ab dem Moment keine Forscher mehr, wo sie sich hauptsächlich um ‚Geldbeschaffung‘ kümmern müssen, um Kontakte pflegen, um Gremiensitzungen, usw. Sie werden mehr und mehr zu ‚Interessenvertretern‘, die sich den Geldvergabemechanismen anpassen müssen, um Erfolg zu haben. Die Wahrheit wird damit tendenziell zur ‚Handelsware‘ (Man denke z.B. nur an die anhaltenden Diskussionen um die Klimaforschung: ist das noch Wissenschaft oder ein ‚Politzirkus‘, der um der vielen Gelder willen seine Schaustücke aufführt?) (v) Da wir alle von der Wahrheitsproduktion von Forschung abhängen, sollte es uns nicht egal sein, unter welchen Randbedingungen Forschung heute betrieben wird. Eine rundum ‚einfache‘ Lösung wird es möglicherweise nie geben. Aber weniger ‚Planwirtschaft‘ mit dem Risiko von Fehlern würde mehr dem ‚Geist‘ jenes evolutionären Prozesses entsprechen, der uns allererst hervorgebracht, ohne Chefplaner, ohne ministeriellen Vorgaben, allerdings mit einem hohen Überlebensdruck. Im evolutionären Prozeß spielen ein paar zehntausend oder gar hunderttausend Jahre keine Rolle …. geschweige denn die 3 Monate eines erfolgsgetriebenen Managers…..

Weil es Sinn gibt, kann sich Wissen akkumulieren, das Sinn sichtbar macht. Oder: warum die Frage ‚Warum gerade ich?‘ in die Irre führen kann.

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 15.Juni 2011
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

KONTEXT

Zum Thema ‚Sinn‘ hab es einen vorausgehenden Beitrag mit dem Titel „Zur Grammatik des Sinns„, der möglicherweise hilfreich ist, um diesen Beitrag zu vertiefen.

(1) Wenn etwas ‚Schlimmes‘ passiert, dann fragen sich viele Menschen ‚Warum gerade ich?‘ (hätte es jemanden anderen getroffen wäre man vielleicht ‚berührt‘ — falls man der anderen Person nahe stand –, aber es würde einen bei weitem nicht so zentral treffen wie das eigene Leid. Wenn etwas subjektiv ‚Schönes‘ oder gar ‚Außergewöhnliches‘ geschieht, dann geraten die einen außer sich und halten sich womöglich sogar für ‚auserwählt‘, womöglich für etwas ‚Besonderes‘; andere bekommen sofort Angst, dass sie all dies, kaum dass sie es besitzen, wieder verlieren könnten, dass sie ‚dem Schicksal‘ misstrauen; sie haben bislang — in ihrer Wahrnehmung — nicht viel Gutes erlebt, also verbietet es ihr Denken, das ‚punktuell Schöne‘ ‚anzunehmen‘; oder trotzig gerade doch: es geht ja doch, ich habe es immer gewusst….

(2) Man kann den Eindruck gewinnen, dass wir tendenziell eine ‚Deutungstendenz‘ in uns tragen, die in allem nach einem ‚möglichen Sinn‘ sucht, der die eigene ‚Werthaftigkeit‘ unterstützt, der klar macht, dass das eigene Leben doch irgendwie einen ‚Wert‘ und einen ‚Sinn‘ hat. Andererseits, wenn wir uns lange Zeit schwer tun, einen ‚Sinn‘ zu erkennen, dann kann dies sehr anstrengend, kann es schmerzhaft sein, keinen Sinn zu erkennen; dann ist es einfacher einen Sinn grundsätzlich auszuschließen (z.B. das alte Gegensatzpaar ‚Gläubige‘ gegen ‚Ungläubige‘, ‚Theisten‘ versus ‚Atheisten‘, ‚Optimist‘ vs. ‚Pessimist‘, …), überraschen lassen kann man sich ja immer noch.

(3) Es ist nicht leicht zu sehen, ob man diese Frage(n) nach dem Sinn überhaupt beantworten kann. Bei der Untersuchung der Frage, wie Wissen generell entstehen kann, wie Systeme generell lernen können, stellt man irgendwann nicht nur fest, wie ungeheuer schwierig die Entwicklung von Wissen ist, sondern dass es so etwas wie ein ‚Optimum‘ nicht isoliert für ‚ein einziges‘ System geben kann, sondern nur im Wechselspiel zwischen einem System und der ‚zugehörigen‘ Umgebung. ‚In‘ dieser bzw. ‚bezogen auf diese‘ kann das Verhalten eines Systems und sein aktueller Zustand einen bestimmten ‚Wert‘ haben; ohne diesen Zusammenhang ist nicht klar, wie man die ‚Werthaftigkeit‘ eines Systems definieren soll. Ein ‚individuelles System an sich‘ gibt es nicht. Alle bekannten Systeme — biologische wie technische — kommen immer nur vor als ‚Teil eines Ganzen‚.

(4) Traditionelle Deutungssysteme (mythische, religiöse, philosophische,…?) fallen dadurch auf, dass sie versuchen, dem einzelnen Menschen einen Deutungszusammenhang anzubieten, der es ihnen erlaubt, trotz der Vielfalt der wechselnden Alltagsbilder ‚in Allem‘ einen ‚Sinn für sich selbst‘ erkennen zu können, der ’stabil‘ ist gegen die Schwankungen des Alltags.

(5) Stellt man solche traditionellen Deutungsstrategien in Frage, kann man aus Sicht der ‚Anhänger‘ dieser Deutungsstrategien sehr schnell als ‚Bedrohung‘ angesehen werden, nicht nur als Bedroher des gedeuteten Sinns, sondern dann auch als Bedroher des eigenen Lebens, das durch diesen ‚gedeuteten Sinn‘ einen ‚abgeleiteten Sinn‘ hat/hatte, der durch die Infragestellung der Deutung womöglich abhanden kommt. Letztlich ist es egal welche Deutungsstrategie man in Frage stellt (religiöse, philosophische, esoterische, ad-hoc Alltagsmythologien, Verschwörungstheorien,….), entscheidend ist, dass man durch die Infragestellung bei den jeweiligen ‚Anhängern‘ (‚Gläubigen‘) den Eindruck erweckt, man greife mit der Deutung auch den gedeuteten Sinn selbst an, und damit zentrale ‚Gegenstände‘ des subjektiven Denkens, das sich ‚in‘ diesen ‚geglaubten‘ Gegenständen eine Weltsicht ‚gebaut‘ hat, die ‚Heimat‘, ‚Sinn‘ und persönlichen ‚Wert‘ (für viele Geschäftemacher aber auch konkrete Einkünfte) verspricht.

(6) Die ‚Stabilisierung des Alltags‚ durch Ausdeutung eines Sinns kann man negativ als ‚Immunisierung‚ verstehen, als Versuch der ‚Abschottung‘ vor den ‚Tiefen‘ und ‚Unwägbarkeiten‘ des realen Lebens. Doch letztlich partizipiert diese Tendenz der ‚Stabilisierung durch Deutung‘ von der allgemeinen Natur des Wissens, in einem anfänglichen ‚Meer von isolierten Zufälligkeiten‘ schrittweise ‚Muster‘ und ‚Zusammenhänge‘ erkennen zu können, die sich mehr und mehr zu komplexen Strukturen, Modellen, Theorien formen können. D.h. es ist die Eigenart unserer biologisch bedingten Wissensmaschinerie, die uns dazu anleitet/ führt/ zwingt, im Strom der Zufälligkeiten Nicht-Zufälliges aufzuspüren und dieses dann — wie Steine im fließenden Bach — als ‚Sprungstellen‘ zu benutzen, um ‚in allem Nicht-Sinn‘ dann doch Umrisse eines möglichen ‚Sinns‘ erkennen zu können.

(7) Streng genommen sind selbst die radikalsten wissenschaftlichen Modell bzw. Theoriebildungen Formen von ‚Sinngebung‚. Im Unterschied zu den vielfältigen Formen ‚alltäglicher Deutungen‘ mit Tendenz zur Abschottung, zur Immunisierung (die Andersgläubigen, die Ausländer, die Nachbarn, die Polizei, die Politiker, die Banker, die Proleten, die Versager, die Karrieristen, …) bieten wissenschaftliche Deutungsmodelle zumindest prinzipiell eine Transparenz für alle Daten und Methoden, die benutzt werden, um eine bestimmte Deutung aufrecht zu erhalten. Je komplexer wissenschaftliche Deutungen werden, je mehr persönliche Eitelkeiten von Forschern sich mit der Geltung einer bestimmten Deutung verknüpfen, je mehr finanzielle Einkünfte und politische Macht sich mit einer bestimmten Deutung gewinnen lassen, um so eher steht natürlich auch eine sogenannte wissenschaftliche Deutung in Gefahr, sich ‚unwissenschaftlich zu stabilisieren‘, sich zu ‚immunisieren‘, da der Verlust der Deutungshoheit einhergehen würde mit dem Verlust von vielen sekundären Vorteilen, die direkt nichts mit Wahrheit zu tun haben.

(8) Es gibt also eine eingebaute Tendenz der biologischen ‚Wissensmaschinerie‘ nicht nur überhaupt Deutungen zu generieren, sondern den Inhalt dieser Deutungen als das zu nehmen, was die erfahrbare flüchtige Welt ‚eigentlich‘ ist. Während wir alle von Geburt an automatisch Teil dieses ‚Deutungsgeschehens‘ sind, ist es nicht auch automatisch der Fall, dass wir uns dieses ‚vorprogrammierten Deutungsspiels‘ ‚bewusst‘ werden. In der ‚Simulation von Welt‘ ‚in unserem Kopf‘ ist das biologische Gehirn so meisterhaft, dass viele Menschen bis zu ihrem Tode niemals gemerkt haben, dass die Welt, die sie ‚zu sehen meinten‘, gar nicht die Welt ist, die real außerhalb des Gehirns existiert, sondern ’nur‘ die Welt, wie sie das Gehirn kontinuierlich aufgrund der ihm verfügbaren ‚Signale‘ ‚zusammenbaute‘. Aufgrund von vielen hundert Millionen Jahren ‚Entwicklungszeit‘ hat das Gehirn darin eine ‚Meisterschaft‘ erlangt, die uns die Möglichkeit bietet, auch ohne spezielles bewusstes Wollen Strukturen in der uns umgebenden Welt erkennen zu können, die wir in unserer Bewusstheit noch nie gedacht hatten. M.a.W. unser Gehirn ‚erzählt‘ uns kontinuierlich eine Geschichte von der Welt, die ein hohes Maß an Plausibilität besitzt, aber dennoch nur eine bestimmte (begrenzte) Deutung aufgrund spezieller Annahmen ist.

(9) Der seit Jahrtausenden anhaltende Versuch von Menschen, der automatischen Erkennungsleistung des Gehirns explizit konstruierte zusätzliche Deutungsmodelle an die Seite zu stellen, stellt eine außerordentliche Leistung dar, ist aber aufgrund der unausweichlichen Komplexität des Geschehens auf Schritt und Tritt anfällig für Fehler und Fehldeutungen. Es ist die Aufgabe der vielfältigen wissenschaftlichen (und auch philosophischen) Disziplinen, das gesamtgesellschaftliche Deutungsgeschehen kontinuierlich zu verbessern.

(10) Sofern ein Deutungsgeschehen — in welche Form auch immer — bestimmte Deutungsinhalte ’sichtbar‘ macht, die als ’sinngebend‘ verstanden/ erlebt werden, geschieht dies niemals ohne einen Bezug zu ‚vorgegebener Welt‘, es sei denn, die Deutungsinhalte sind ‚reine gedankliche Konstruktionen‘, ‚Phantasiegebilde‘, ‚gedankliche Spielereien‘, ‚gedankliche Erfindungen‘ und damit ‚beliebig‘, ‚wertlos‘. ‚Wertvolle‘ Deutungsinhalte entstammen letztlich immer einer ‚Begegnung‘ des erkennenden Systems mit einem ‚Anderen‘, das im erkennenden System eine Art ‚Echo’/ ‚Widerhall’/ ‚Erschütterung‘ … erzeugt. In diesem fundamentalen Sinn sind ‚wertvolle Deutungsinhalte‘ ‚wahr‘, weil es das, ‚wovon’/ ‚worüber‘ sie handeln, unabhängig vom Deutungsmedium in irgendeiner Form ‚tatsächlich gibt‘. Wenn jemand also ‚unwahre‘ Deutungen kritisiert, dann gefährdet er den Deutungsinhalt wesentlich. Im Falle von ‚wahren‘ Deutungen ist dies nicht so; durch die Kritik am deutenden Modell, am Deutungsmedium, am Deutungsgeschehen wird die wahr Ursache der Deutung nicht beseitigt. Im Gegenteil, ein — vernünftig geführter — ‚Deutungsstreit‘ trägt meistens dazu bei, ‚die zu deutende Sache‘ als Anlass einer Deutung weiter zu klären. Angesichts der Unzulänglichkeiten der biologischen Wissensprozesse sind Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte keine lange Zeit, letztlich ‚evolutionäre Augenblicke‘. Wahre (!) Wahrheit verschwindet also nicht durch die Kritik an ihrer Deutung; sie kann allerdings für eine gewisse Zeit ‚verdeckt‘ bleiben. Falsche (!) Wahrheiten können ebenfalls Jahrhunderte — oder gar Jahrtausende — überdauern, wenn die Menschen nicht bemerken, dass diese Deutungen letztlich nicht der Welt entsprechen, wie sie außerhalb ihres Denkens ist, sondern nur als Konstruktion in ihrem Kopf.

(11) Entsprechend der Volksweisheit ‚Aus Nichts kommt nichts‘ haben wir in der modernen Logik gelernt, dass man nur etwas beweisen kann, was man zuvor angenommen hat; die Physiker belehren uns über den Energieerhaltungssatz, der anders formuliert besagt, dass ich aus einem System nicht mehr Energie herausbekommen kann, als sowieso schon drin steckt. Im Bereich Wissen gilt letztlich etwas Analoges: ich kann nur wissen, was es schon gibt. In dem heute bekannten Kosmos haben wir — bezogen auf die Verteilung von Energie — noch ‚lokale Ungleichheiten‘. Diese ermöglichen die Entstehung von biologischen Systemen, die lokal Energie ansammeln und in dieser zeitlich begrenzten Energieakkumulationen Strukturen möglich machen, die partiell ‚unwahrscheinlich‘ sind und damit ‚Informationen‘ darstellen, die wir als ‚Wissen‘ erleben: Strukturen, die uns im Fluss von ‚Zufälligkeiten‘ als ‚Häufigkeiten‘ auffallen, die wir ’speichern‘ können, und die wir im Kontext des ‚Fortgangs‘ weiter ‚bewerten‘ können. Durch solche bewertbaren speicherbaren Häufigkeiten akkumulieren Energieungleichheiten als Wissen, das in der Tat letztlich ’nur‘ ein Echo dessen darstellt, was uns Erkennenden ‚widerfährt‘!!! In der Form des erfahrungsbasierten Wissens akkumulieren sich Aspekte des kontinuierlichen Weltgeschehens in verstehtigten Augenblicken, durch die etwas ’sichtbar‘ werden kann, was als Weltgeschehen kontinuierlich ‚abläuft‘, ohne dass der Ablauf als solcher ‚um sich weiß‘. Aber biologische Systeme als Teil dieses kosmischen Ablaufs können im Ablauf Aspekte des Ablaufs ‚akkumulieren‘, diese dadurch ‚füreinander sichtbar‘ machen, und in diesem ‚Füreinander-Sichtbarmachen‘ die Umrisse eines ‚wachsenden Sinnes‘ sichtbar machen, der etwas über das ‚Innere‘ des Kosmos erzählt, über seine ‚mögliche Seele‘, über den möglichen ‚Weltgeist‘ (der selbst möglicherweise keine biologische Strukturen benötigt, um zu ‚wissen‘; biologische Systeme sind spezielle Konstellationen innerhalb der materiellen Makrostrukturen).

(12) Wenn es also ‚für uns Menschen‘ einen Sinn gibt, dann nur, weil es diesen Sinn schon immer unabhängig von uns gibt und nur in dem Modus, dass wir diesen potentiellen wahren Sinn in einem gemeinsamen Deutungsgeschehen über Jahrhunderte, Jahrtausende… schrittweise aufdecken. Dass die zeitliche und körperliche Begrenztheit unseres biologischen Lebens diesen globalen Sinnzusammenhang nicht in Frage stellen können, ergibt ich daraus von selbst. Sinnlosigkeit besteht dann nur solange, als der einzelne sich nicht als Teil des größeren Sinnzusammenhanges verstehen und erleben kann. … was einfacher klingt als es real getan ist…..

 

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Jenseits des Wärmetods?

  1. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass bei unklaren Fragestellungen der Rückgang auf die ‚Klassiker‘ zu Klarheiten verhilft, die die neue und neueste Literatur nicht bieten kann. Die neuere Fachliteratur ist oft schon so fortgeschritten im Detailwissen, dass man sich als ‚Neuling‘ sehr schwer tut, zu verstehen, warum all dieser Aufwand getrieben wird. In den letzten Monaten war es z.B. die Lektüre von Schrödingers ‚What is Life‘ oder Heisenbergs ‚Physics and Philosophy‘ gewesen, die wertvolle Einsichten vermittelt hatten.

  2. Nach einiger Mühe ist es mir gelungen, die ‚Populären Schriften‘ von Ludwig Boltzmann (publiziert 1905) zu bekommen. Allein schon die ersten Beiträge waren sehr erhellend. Wunderbar finde ich seinen Vortrag ‚Der zweite Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie‘, den er 1886 in einer feierlichen Sitzung vor der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften vorgetragen hatte. Zu sehr vielen grundlegenden Fragestellungen, die uns noch heute bewegen, erhellt er Grundlegendes; dies aber auf einer Weise formuliert, die von großer Klarheit und Verständlichkeit ist.

  3. Er nimmt sich in diesem Vortrag sogar etwas Zeit, um die besondere Rolle der Naturforschung gegenüber allgemeiner Philosophie und Alltagswissen zu verdeutlichen. Mit Anspielung auf Herbarth lokalisiert er die Rolle des Bewusstsein zwar an der Quelle unseres Weltzuganges (im Sinne dass wir ‚Empfindungen‘ haben), aber der primäre Inhalt dieses Bewusstseins kann uns aus sich heraus nichts darüber sagen, wie sich diese Inhalte zusammensetzen, wie sie entstehen (vgl. S.48f). Und, wie wir heute wissen, sind diese Bewusstseinsinhalte komplexe Produktionen unseres Gehirns, u.a. auf der Basis sensorischer Daten, die sich aus den energetischen Ereignissen der Umwelt speisen. Die Naturforschung kann — und muss wohl — die bewusste Wahrnehmung als Ausgangspunkt nehmen, beginnt ihre eigentliche Arbeit aber dort, wo sie versucht mittels ‚Hypothesen‘ und ‚Messungen‘ hinter diese Phänomene zu schauen.

  4. Eine dieser — mittlerweile komplexen — Hypothesen ist die von der ‚atomistischen‘ Struktur der Materie, aus der sich dann die weitere Hypothese der mechanischen Wärmelehre herleitet, dass nämlich die ‚Elemente der Körperwelt‘ beständig in ‚reger Bewegung begriffen sind‘ (S.32) Hierher gehört der von Robert Mayer begründete erste Hauptsatz von der Erhaltung der Energie, wobei Energie nach Mayer in den drei Formen ’sichtbare Bewegung‘, ‚Wärme‘ oder ‚Arbeit‘ auftreten kann. Währen die Gesamtmenge der Energie in einem geschlossenen System bei Umwandlung einer Energieform in die andere unverändert bleiben soll, so sagt der zweite Hauptsatz, dass zwar Bewegung und Arbeit bedingungslos ineinander und in Wärme übergehen können, Wärme kann aber höchstens partiell in Bewegung oder Arbeit zurückverwandelt werden (vgl. S.33). In dieser Eigenschaft erscheint Wärme ‚dissipativ‘, als ‚degradierte‘ Energie (Unter Verwendung des von Clausius eingeführten Begriffs der ‚Entropie‘ kann man auch sagen, dass mit Zunahme der Degradation nicht nur die Wahrscheinlichkeit des Zustandes zunimmt, sondern auch seine Entropie (vgl. S.37)). Der zweite Hauptsatz induziert damit eine Art Richtung im Prozess, der schlussendlich zu einer völligen Degradierung von Energie führt oder — in der bekannten Formulierung — zum ‚Wärmetod des Universums‘ (vgl. S.33). Letzterer Schluss gilt aber nur, solange die Annahme eines geschlossenen Systems gilt (vgl. S.48).

  5. Das Prinzip hinter dem Prinzip des 1. und 2. Hauptsatzes ist, dass sich Energie grundsätzlich vom unwahrscheinlicheren Zustand in den wahrscheinlicheren Zustand verändert. So ist die höhere Energiekonzentration in der Sonne im Vergleich zur Erde ‚unwahrscheinlicher‘. Auf dem Weg der ‚Degradation‘ gelangt Energie von der Sonne zur Erde und kann auf diesem Weg und auf der Erde unterschiedliche Zwischenzustände durchlaufen, bis sie als Wärme ‚verschwindet‘. Es sind die Pflanzen, die diesen Energiefluss aufgreifen und ihn mittels chemischer Prozesse in solche Energieformen verwandeln, die anderen biologischen Lebensformen als ‚Nahrung‘ dienen können, bevor der Zustand höherer Entropie weiter angenähert wird (vgl. S.40).

  6. Boltzmann wagt einige Spekulationen zur möglichen ‚Erklärung‘ der Lebensformen, des erfahrbaren Geistes, indem er die Hypothese anformuliert, dass sich die komplexen bekannten biologischen Formen eventuell doch aus den allereinfachsten Atomen durch immer komplexere Konfigurationen herausgebildet haben (vgl.S.49). Heute haben wir so viele Indizien sammeln können, dass diese Hypothese zu großen Teilen als ‚gewiss‘ gelten kann, wenngleich noch nicht vollständig.

  7. Vor dem Hintergrund der Hautsätze der Wärmelehre sieht es dann so aus, als ob sich die komplexen biologischen Lebensformen nur gestützt auf den Energiefluss von Seiten der Sonne bilden konnten. Unter Ausnutzung dieser Energieformen konnten sich immer komplexere molekulare Strukturen herausbilden, die schließlich — Zwischenstand 2011 — in der Lage sind, anhand der energetischen Ereignisse in der Welt sich ‚intern‘ in einem Körper ‚Bilder‘, ‚Modelle‘ der ‚Welt da draußen‘ zu generieren, die auch ‚Selbstbilder‘ mit einschließen. Die Allokierung von Energie in Form von biologischen Strukturen ermöglicht das ‚Sichtbarwerden‘ all jener Dynamiken und Strukturen, die den physikalischen Kosmos auszeichnen. Allerdings sind diese biologischen Strukturen grundsätzlich limitiert durch den Bedarf an ‚freier‘ Energie. Versiegt der Strom von Energie in einer Form, die sich ’nutzen‘ lässt, dann verlieren die biologischen Lebensformen ihre ‚Seele‘; sie versinken im ‚Nichts‘ nahe der maximalen Entropie.

  8. Aus dieser allgemeinen Perspektive kann man den Eindruck gewinnen, dass die entscheidende Eigenschaft, die die biologischen Lebensformen in das bekannte Universum einbringen, jene ist, dass sie ’sichtbar machen können‘, dass sie ‚erkennen‘ können, dass sie ein ‚Bewusstsein von‘ den Dingen entwickeln können. Durch die Verfügbarkeit von Wissen innerhalb des Kosmos gewinnt der Kosmos eine eigentümliche ‚Handlungsfähigkeit‘ ’sich selbst gegenüber‘. Mit der Entstehung, Verfügbarkeit und Ausbreitung von ‚Erkenntnis‘ kann der Kosmos im Prinzip ‚zu sich selbst‘ kommen und darin und dadurch seine Strukturen dazu nutzen, ‚etwas‘ ‚zu tun‘. Fragt sich natürlich: was?

  9. Nach den bisherigen Erkenntnissen entsteht in den biologischen Strukturen Wissen durch ‚Verdichtungen’/ ‚Abstraktionen‘, durch das Finden von Beziehungen/ Relationen, durch die die Wechselwirkungen unterschiedlicher Beziehungen (verstehbar als Netzwerk/ Modell/ Theorie), durch unterschiedlichste Assoziationen zwischen Wissensmomenten und allen möglichen Zuständen (auch Bedürfnissen, Emotionen, Gefühlen,…). Ferner haben wir gelernt, dass sich Wissen wesentlich auch nur im Austausch zwischen unterschiedlichen Gehirnen ereignet/ bilden kann. Für solch eine Kommunikation benötigt man symbolische Mittel, Sprachen, speziell formale Sprache wie z.B. die Sprache der Mathematik oder heute die algorithmischen Formen von Computersprachen und Simulationen.

  10. Ein anderer wesentlicher Aspekt ist die Kooperation als Bedingung für Kommunikation. Eine ‚hinreichende‘ Kooperation wiederum benötigt eine ‚hinreichende‘ Öffentlichkeit: ohne funktionierende Öffentlichkeit keine gute Kommunikation, ohne gute Kommunikation nur partielle, schlechte Erkenntnis.

  11. Berücksichtigt man all dies, stellt sich natürlich die Frage nach dem ‚Sinn‘ des Ganzen. Klar ist, dass die Frage wer am meisten Geld hat, die größte politische Macht, wie berühmt jemand ist, wie ’schön‘ usw. relativ bedeutungslos sind gemessen an der globalen Aufgabe, die verfügbare Energie in jenes Wissen zu verwandeln, das den ‚Wärmetod‘ ‚überlebt‘. Militärische Macht kann punktuell und regional eventuell entscheiden, welche Gruppeninteressen sich für eine kurze Zeit ‚durchsetzen‘, doch auch militärische Macht entkommt nicht der globalen Herausforderung, wie das biologische Leben als solches sich angesichts seiner fragilen Lage innerhalb des verfügbaren Zeitfensters auf Dauer den Kosmos so umgestaltet, dass aus der ‚Anfangsübung‘ ‚Leben auf der Erde‘ ‚mehr‘ wird. Vielleicht müssen wir uns auch gar nicht physikalisch behaupten; vielleicht besteht der ‚Sinn‘ dieses Lebens auf der Erde/ in diesem Kosmos nur darin, die ‚Hoffnung auf Mehr‘ zu schmecken, um dann im/ nach dem körperlichen Tod den ‚eigentlichen‘ Zustand zu erleben. Wer kann dies so genau sagen. Ich persönlich halte allerdings den ‚Aufwand‘, der bislang getrieben wurde, um biologisches Leben überhaupt zu ermöglichen und über all die Milliarden Jahre zu immer komplexeren Formen heran zu reifen für so immens, dass es nicht so recht einleuchten will, dass darin kein spezieller ‚Auftrag‘ gegeben ist. Zu sagen, wir sind ’nur‘ Menschen übersieht, dass dieses ’nur‘ genau den Punkt verpasst, der das zentrale Drama der ganzen Erde, des ganzen Sonnensystems auszeichnet. Natürlich wäre es unbequem, zuzugeben, dass der Erfolg dieses Lebens wichtig ist…

Quelle: Ludwig Boltzmann, „Populäre Schriften“, Leipzig: Verlag Johann Ambrosius Barth, 1905

Leben – Mensch – Gott — Universum

  1. Als ich am 9.Dez.2009 einen Neustart meines Blocks ‚ad experimentum‘ begonnen hatte, war mir noch nicht so recht klar, was ich genau mit diesem Blog wollte. Seitdem zeigt sich aber, dass der Blog zu einem wichtigen Ort der ‚Klärung von Gedanken‘ wird. Für andere zwar nicht unbedingt leicht lesbar hilft er mir selbst doch, trotz nahezu nicht vorhandener Zeit wichtige — z.T. komplexe – Gedanken erst einmal ‚festzuhalten‘. Wie von ‚unsichtbarer Hand‘ wurden im Laufe des Jahres ansatzweise Zusammenhänge sichtbar, die ohne diese Notizen im ‚diffusen Allgemein- und Unterbewusstsein‘, eingebettet in das ‚Rauschen des Alltags‘, kaum sichtbar geworden wären.

  2. Der Vortrag am 24.November 2010 bot Gelegenheit – auch hier trotz erheblicher Zeitknappheit – aus all den vielen Ideen ein Stück weiter einen Zusammenhang herauszustellen; ich habe den Eindruck, dass das Thema klarer wird. Würde mich jetzt jemand fragen, wie ich das Hauptthema des Blogs sehe, würde ich folgendes antworten:

  3. Primärer Ausgangspunkt für alles ist offensichtlich das Phänomen des LEBENS hier auf der Erde. Denn ohne die Tatsache, dass es dieses Leben in seinen vielfältigen Formen geben würde, würde ich nicht existieren, hätte ich keinen Körper, kein Bewusstsein…. wurde das bekannte physikalische Universum existieren, ohne dass ‚wir‘ es ‚wissen‘ würden.

  4. Wir Menschen als Mitglieder der Gattung homo sapiens (Der Begriff ‚Homo sapiens‘ wurde 1758 durch Carl von Linné in vollständig in Latein verfassten zehnten Auflage seines Werks ‚Systema Naturae‘ geprägt (eine digitale öffentliche Version ist über die Bayerische Staatsbibliothek in München zugänglich (http://www.bsb-muenchen-digital.de))) (Hinweise über Wikipedia.de) sind zwar ein genuiner Teil des alles umfassenden Lebens, fallen aber doch durch unsere spezielle ‚Geistigkeit‘ aus dem Gesamtbild heraus. Es sieht im Jahr 2010 nicht so aus, als ob wir Menschen bislang auch nur annähernd verstanden haben, was genau diese unsere ‚Geistigkeit‘ als erfahrbare Eigenschaft in diesem unseren fantastischen Körper genau ist, wie sie genau ‚funktioniert‘. Ein Verständnis dieser Geistigkeit führt vermutlich nicht nur zu einem besseren Verständnis dieser selbst sondern auch zu einem besseren Verständnis des Phänomen Lebens überhaupt und damit zu einem vertieften Verständnis der atomaren Materie bzw. der allem zugrunde liegenden Energie. Was letztlich diese ‚Energie‘ ist zeigt sich bislang nur durch das, was Energie bewirken kann, z.B. Leben hervorbringen.

  5. Drittens scheint mir die Frage nach Gott – und dem ‚letzten Sinn von allem‘ – auch in diesen Kontext zu gehören. Wenig Hilfe ist von den fanatisch-dogmatischen Anschauungsformen zu diesem Thema zu erwarten, weder von radikalen ‚Bekennern‘ noch von radikalen ‚Leugnern‘. Grundsätzlich ist aktuell nicht einmal klar, von welchem Standpunkt aus man überhaupt zur Frage Gottes sinnvoll Stellung nehmen kann. Die empirischen Wissenschaften scheitern bislang ja schon am Phänomen des Lebens selbst, erst recht an der subjektiven Form der erlebten Geistigkeit. Für die subjektive Seite des ‚Welterlebens‘ und der ‚Welterkenntnis‘ gibt es aber keine allgemein Wissenschaftsform noch eine allgemein anerkannte Institution, die hier Verbindliches sagen kann. In gewisser Weise sind wir hier alle auf uns selbst als Individuen zurückgeworfen, obgleich es genau diese subjektive Erfahrung ist, die uns charakterisiert, die uns zu dem macht, was wir als Menschen sind, in der wir letztlich eine tiefere Gemeinsamkeit besitzen.

  6. Und da sich all diese Themen innerhalb des uns bekannten physikalischen Universums bewegen wird man nicht umhin können, diesen speziellen Ort hinreichend zu untersuchen. Das neuerliche Reden der Physiker von ‚Multiversen‘, dass wir mit unserem Universum möglicherweise nur ein Universum unter zahllos vielen sind, erklärt nicht allzuviel. Denn, selbst wenn es viele Universen gäbe, die Grundsatzfragen nach dem rätselvollen Phänomen des Lebens schlechthin, nach der Besonderheit des Menschen, nach einem möglichen Gott werden dadurch in keiner Weise berührt und in keiner Weise beantwortet. Allerdings, aus einer Einsicht in diese Erkenntnisgrenzen folgt auch keine automatische Antwort auf die gestellten Fragen.

Körper – Emergenz – Kognition – Kognitiver Müll

(1) Der Mensch ist durch seinen Körper primär ein animalisches Wesen, ein Körper im Prozess der Körperwerdung als Teil des Biologischen.

(2) Dieser Körper zeigt Eigenschaften, Funktionen, die sich nicht aus den Bestandteilen des Körpers als solchen erklären lassen, sondern nur durch ihr Zusammenwirken (Emergenz) sowohl mit anderen Teilen des Körpers wie auch mit der umgebenden Körperwelt.

(3) Dies bedeutet,dass diese emergenten Eigenschaften und Funktionen eine wirkende Wirklichkeitsebene aufspannen, die als solche kein greifbares Objekt ist sondern nur als Veränderungsprozess (induziert Zeit) aufscheint.

(4) Eine Veränderung (Funktion) als solche ist kein Objekt, aber kann von einem intelligenten Wesen wahrgenommen und als bestimmbare Grösse gespeichert werden.

(5) Als erinnerbare Veränderung kann eine emergente Eigenschaft zu einem kognitiven Objekt in einem einzelnen Körper werden.

(6) Über symbolische Kommunikation kann solch ein kognitives Objekt bedingt kognitiv kopiert und damit verteilt werden.

(7) Die Gesamtheit der kognitiven Objekte (und ihre kommunizierten Kopien) können ein Gesamtbild ergeben von dem, was wir als ‚Welt‘ wahrnehmen, erkennen und kommunizieren.

(8) Das biologische System als kognitiver Agent kann einer Vielzahl von körpereigenen Prozessen unterliegen, die die Speicherung und Erinnerung kognitiver Objekte beeinflussen. Das kognitive Objekt hat von daher immer nur eine begrenzte Ähnlichkeit mit denjenigen emergenten Eigenschaften, die zur seiner Entstehung geführt haben (alltagssprachlich: viele Menschen unterliegen psychologischen Einstellungen wie ‚Eitelkeit‘, ‚Hochmut‘, ‚Arroganz‘, ‚Selbstfixierung‘, ‚Ängsten‘, ‚Minderwertigkeitsgefühlen‘, ‚diversen Süchten‘ usw., die in ihrer psychischen Kraft andere kognitive Wirkungsfaktoren so überlagern können, dass sie nahezu ‚blind‘ werden für das, was wirklich ist. Nach und nach, ohne dass die Betreffenden es  merken, generiert ihre kognitive Maschinerie aufgrund dieser anderen Einflüsse ein ‚Bild von der Welt‘, das  zunehmend ‚verzerrt‘, ‚falsch‘ ist. Die Möglichkeit, diese Verzerrungen ‚aus sich heraus‘ zu erkennen sind sehr ungünstig; wenn nicht starke Ereignisse aus der Umgebung diese Systeme aus ihrer negativen Schleife herausreißen (wie?). Die Systeme selbst finden sich ganz ‚toll‘, aber die kognitive Welt ‚in ihrem Kopf‘ ist nicht die Welt, wie sie sich jenseits ’störender psychologischer Tendenzen‘ zeigen kann und zeigt.

(9) Kognitive Agenten, deren Kommunikation stark verzerrenden Faktoren unterliegt und die innerhalb ihrer individuellen kognitiven Prozesse die Transformierung von Körper- und Aussenweltwahrnehmung ebenfalls verzerren, tendieren dazu, ein pathologisches Bild von sich und der umgebenden Welt aufzubauen, was sich immer mehr –und dann auch immer schneller– in einen verzerrten Zustand hineinbewegt, der dann diesem kognitiven Agenten immer weniger ‚hilft‘ und immer mehr ’schadet‘ (Selbstzerstörung durch verzerrtes Wahrnehmen und Denken).

(10) Aus diesem Blickwinkel erscheint die sogenannte moderne Informationsgesellschaft nicht nur als rein positiver Raum sondern auch potentiell sehr gefährlich, da die Verbreitung von verzerrten kognitiven Objekten leicht ist und die kommerzielle Nutzung von von verzerrten kognitiven Objekten  in der Regel einfacher und gewinnbringender ist als umgekehrt. Daraus würde folgen, dass überwiegend ‚geldorientierte‘ Informationsgesellschaften sich im Laufe der Zeit selbst kognitiv so ‚zumüllen‘, dass die wenigen nichtverzerrten kognitiven Objekte immer weniger auffindbar sein werden. Es entsteht ein Raum mit kognitiven Objekte, der als solcher verzerrt ist,  korrespondierend sind aber auch  alle kognitiven Räume in den Körpern der kognitiven Agenten selbst ‚verzerrt‘. Dieser gesellschaftlich organisierten Dunkelheit zu entkommen ist für ein einzelnes kognitives System schwer bis unmöglich. Wohin immer es seine individuelle Wahrnehmung lenken will, es wird dann fast nur noch verzerrte kognitive Objekte vorfinden. Die Produktion von ‚Müll‘ ist halt so unendlich viel einfacher; man muss sich um nichts kümmern und man denkt und redet einfach so drauflos…..es ist doch sowieso egal…..(sagt sich die ‚Ethik des (kognitiven) Mülls‘). In einer ‚verzerrten Infomationsgesellschaft‘ fühlt sich keiner schuldig, aber alle produzieren faktisch den Müll mit, der sich in der Verzerrung selbst legitimiert.

PHÄNOMENOLOGISCHES DENKEN (3)

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 14.März 2010
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Diesem Beitrag ging ein Teil 2 voraus.

(1) Es gibt unterschiedliche Perspektiven, wie man das, was wir als ‘Denken’ bezeichnen, betrachten kann. Je nachdem, welche dieser Perspektiven wir wählen, ergibt sich ein ganz unterschiedliches Bild von diesem ‘Denken’.

(2) Neben dem ALLTAGSDENKEN gibt es seit ein paar hundert Jahren auch das sogenannten WISSENSCHAFTLICHE DENKEN. Das wissenschaftliche Denken setzt das alltägliche Denken gewissermaßen als primären Bezugspunkt voraus, hebt sich aber dennoch von ihm ab und widerspricht ihm letztlich in vielen Punkten. Dies liegt daran, dass das ALLTAGSDENKEN eine Reihe von ANNAHMEN macht, die FALSCH sind, aber im Alltag meistens sehr NÜTZLICH. So atemberaubend die Leistungen des wissenschaftlichen Denkens auch sind, es ist eine limitierte, eingeschränkte Form des Denkens, die nicht nur das ALLTAGSDENKEN voraussetzt sondern –aus philosophischer, erkenntnistheoretischer Sicht– auch das  PHÄNOMENOLOGISCHE DENKEN.

(3) Im PHÄNOMENOLOGISCHEN Denken macht man sich die Tatsache zunutze, dass die primäre, erste, nicht weiter hintergehbare WURZEL UNSERES WISSENS das ERLEBEN VON ETWAS ist. Was immer wir ‚inhaltlich‘ auch zu erkennen glauben, zunächst einmal müssen wir ÜBERHAUPT ETWAS erkennen, anhand dessen unser ‚UNS SELBST BEWUSST SEIN‘ ‚aufleuchten‘ kann. Insofern geht es hier um unsere INHALTSVERMITTTELTE BEWUSSTHEIT (neuropsychologisches und meditationsorientiertes Denken unterscheidet gerne noch andere Formen von BEWUSSTSEIN, die an dieser Stelle keine Rolle spielen).

(4) Im Bereich dieses ERLEBENS VON ETWAS sind ALLE ERLEBNISSE zunächst einmal GLEICH: Weder sind sie unterschieden nach ihrer HERKUNFT noch nach irgendwelchen anderen EINTEILUNGSKRITERIEN wie z.B. ‚konkret‘, ‚abstrakt‘, ‚empirisch‘, ‚intersubjektiv‘, ’subjektiv‘ usw. Hier gibt es nur ERLEBTES. Ein ‚ERLEBTES‘ nenne ich hier PHÄNOMEN (das alt-griechische Verb ‚phaino‘ spricht davon, dass etwas ‚erscheint‘, ‚ans Licht kommt‘; im ERLEBEN ‚ERSCHEINT ETWAS‘). Man könnte diese primäre Einstellung technisch einfach LEVEL 0 nennen.

(5) Fakt ist, dass man im Bereich des primären ERLEBENS zwischen den einzelnen PHÄNOMENEN UNTERSCHEIDEN kann. Dies ist möglich, da die verschiedenen Phänomene AN SICH bzw. IN SICH (inhärent) EIGENSCHAFTEN (Qualia) aufweisen, anhand deren sie sich voneinander ABHEBEN. Diese Eigenschaften muss das Denken nicht erfinden sondern FINDET SIE VOR; sie SIND DA. In dem Moment, wo man diese ZUSÄTZLICHEN INFORMATIONEN der PHÄNOMENE BERÜCKSICHTIGT verlässt man LEVEL 0 und beginnt sich auf LEVEL 1.

(6) Es ist nicht von vornherein klar, welche SYSTEMATIK die ‚beste‘ ist, um diese Fülle an Eigenschaften zu ’strukturieren‘. Viele große Philosophen haben sich an dieser Aufgabe versucht. Jeder hat sein eigenes Konzept ausprobiert. Das grundlegende Problem an dieser Stelle der Erklärung ist, dass ich als SCHREIBER mit einem potentiellen LESER nur mittels einer SPRACHE –in diesem Fall deutsche Schriftsprache– kommunizieren kann. Und, wie schon der Abschnitt über das ALLTAGSDENKEN deutlich gemacht hat, kann ich mich mit einem ANDEREN nur in dem Maße über die BEDEUTUNG eines AUSDRUCKS verständigen, wenn diese MITZUTEILENDE BEDEUTUNG sich auf etwas BEZIEHT, das SCHREIBER und LESER GEMEINSAM TEILEN. Im ALLTAGSDENKEN ist das die als gemeinsam unterstellte EXTERNE WELT, mittels der wir unsere BEDEUTUNGEN ABSTIMMEN (Kalibrieren) können. IM FALLE VON SUBJEKTIVEN GEGEBENHEITEN –wie hier im Falle der PHÄNOMENE– ist dies zunächst einmal NICHT so! Angenommen, die PHÄNOMENE wären REIN SUBJEKTIV, dann hätten wir keine Chance, eine SPRACHE einzuführen, die es verschiedenen INHABERN EINES PHÄNOMEN-BEWUSSTSEINS erlauben würde, MITEINANDER DARÜBER zu sprechen. Daraus folgt, dass eine REINE PHÄNOMENOLOGIE, also eine ANALYSE DER PHÄNOMENE NACH DENEN IHNEN INHÄRENTEN EIGENSCHAFTEN, OHNE eine GEEIGNETE SPRACHE UNMÖGLICH ist.

(7) Um also den unbezweifelbar vorhandenen RAUM DER PHÄNOMENE (Level 0 + Level 1) für das VERSTEHEN UNSERES DENKENS nutzbar zu machen, muss man klären, wie wir ÜBERHAUPT DARÜBER SPRECHEN können, ohne in Beliebigkeit oder abgründigen Vagheiten abzugleiten.

(8) Am Beispiel des ALLTAGSDENKENS wurde als GRUNDLEGENDE STRATEGIE der BEDEUTUNGSSICHERUNG sichtbar, dass die potentiellen Kommunikationsteilnehmer von dem ausgehen müssen, was SIE GEMEINSAM haben. Bezogen auf das Gemeinsame kann man dann Begriffe einführen, deren BEDEUTUNG durch dieses GEMEINSAME ‚gedeckt‘ (referenziert) wird. Im Bereich des alltäglichen und wissenschaftlichen Denkens gilt das MESSEN als eine der ‚härtesten‘ Formen von GEMEINSAM FIXIERTER BEDEUTUNG. Bei näherer Betrachtung gilt aber, dass die am Messen BETEILIGTE PERSONEN nicht den MESSVORGANG ‚als solchen‘ wahrnehmen, sondern nur die SUBJEKTIVEN ERLEBNISSE, die dieser Messvorgang IN JEDEM EINZELNEN VERURSACHT/ ERZEUGT! Dies bedeutet, aus der Perspektive des PHÄNOMENRAUMES gibt es solche Phänomene Ph_Pers, die wir GELERNT haben als REPRÄSENTANTEN von ANDEREN PERSONEN zu VERSTEHEN und solche Phänomene Ph_Meas, die wir als REPRÄSENTANTEN VON MESSVORGÄNGEN AUFFASSEN. Im ‚Alltagsmodus‘ sprechen wir verkürzend von ‚den Anderen‘ oder ‚dem Messen‘. ‚Nah‘ betrachtet, aus der Perspektive des TATSÄCHLICHEN Erlebens, haben wir bestimmte ERLEBNISSE (PHÄNOMENE), mit unterscheidenden PHÄNOMEN-EIGENSCHAFTEN, anhand deren wir diese Unterscheidungen vornehmen.

(9) An diesem winzigen Beispiel wird ferner deutlich, dass das REDEN ÜBER PHÄNOMENE nicht nur ein Problem der VERFÜGBAREN SPRACHE ist, sondern offensichtlich auch an den ANDAUERNDEN ERLEBNISSTROM gebunden ist, der sich KONTINUIERLICH VERÄNDERT, und der EINGEBETTET ist in etwas, das wir IMPLIZITES LERNEN nennen. Dies bedeutet, es ist nicht nur so, dass wir PHÄNOMENE erleben, WIE SIE SIND, sondern gleichzeitig mit dem ERLEBNISSTROM können wir ERINNERN, und zwar in ‚verdichteten‘ Formen wie ABSTRAHIERENDEN BEGRIFFEN, in denen verschiedene EINZELN ERLEBBARE Phänomene in einem ABSTRAKTEN BEGRIFF (KONZEPT) ‚zusammengefasst‘ werden. So sehen wir KONKRETE Objekte, die wir ALLE mit dem einen Wort ‚STUHL‘ BEZEICHNEN, obgleich jedes einzelne konkrete Erlebnis sich von dem anderen anhand aufzeigbarer Eigenschaften UNTERSCHEIDET. Das WORT ‚STUHL‘ bezieht sich offensichtlich auf EIGENSCHAFTEN, die in allen diesen einzelnen ‚Stuhl-Erlebnissen‘ irgendwie VORKOMMEN, OHNE aber zugleich ‚zu sagen‘, wie noch ANDERE konkrete ‚Stuhl‘-Ereignisse aussehen könnten.

(10) Aus diesen Beobachtungen legt sich der Schluss nahe, dass das Konzept des PHÄNOMENOLOGISCHEN DENKENS eher NICHT das ALLERERSTE ist, was wir erkennen können, sondern dass es sich hier um ein ABGELEITETES, THEORETISCHES Konzept handelt, das sowohl einen LÄNGEREN ERLEBNISSTROM voraussetzt wie auch eine HINREICHEND ENTWICKELTE SPRACHE. Dies deutet darauf hin, dass PHÄNOMENOLOGIE so etwas ist wie eine PHILOSOPHISCHE THEORIE — auf den ersten Blick eigentlich ein Widerspruch in sich, da PHILOSOPHIE traditionellerweise verstanden wird als letzte Reflexionsinstanz, die alles und jedes ‚hinterfragt‘; eine THEORIE ist aber der Versuch einer SYSTEMATISCHEN STRUKTURBILDUNG. Doch im nächsten Moment macht es doch Sinn: um die STRUKTUR des RAUMS DER PHÄNOMENE darstellen zu können muss in PHILOSOPHISCHER MANIER über die Frage des GEGEBENSEINS von ETWAS reflektiert werden. Und in dem Masse, wie die Fragen ANTWORTEN ermöglichen, kann eine SYSTEMATISCHE STRUKTURBILDUNG im Stile einer THEORIE stattfinden.

(11) Wenn es nun so zu sein scheint, dass die PHÄNOMENOLOGIE an den KONTINUIERLICHEN ERLEBNISSTROM gebunden ist, der IN SICH ‚typische‘ VERÄNDERUNGEN aufweist, die wiederum durch ERLEBBARE EIGENSCHAFTEN und darin IMPLIZIT SICHTBAR WERDENDEN STRUKTUREN charakterisiert sind, sowie an eine dazu BEGLEITEND SICH ENTWICKELNDE SPRACHE, dann muss eine systematisierende PHÄNOMENOLOGISCHE THEORIE in den VERSCHIEDENEN PHASEN eines ERLEBNISSTROMES UNTERSCHIEDLICH aussehen! Der PHÄNOMENOLOGISCHE RAUM eines einjährigen Menschen KANN NICHT der GLEICHE sein wie der einer 35-jährigen Frau oder eines 71-jährigen Mannes.

(12) Wenn wir schon von SPRACHE sprechen als jenem HILFSMITTEL, mittels dessen ein SPRECHER einem HÖRER etwas SAGEN MÖCHTE und wir festgestellt haben, dass die GEMEINTE BEDEUTUNG (normalerweise) ETWAS ANDERES ist als die BENUTZTEN SPRACHLICHEN AUSDRÜCKE, und wir ferner ERFAHREN, dass wir sehr wohl die BEZIEHUNGEN zwischen SPRACHLICHEM AUSDRUCK und damit GEMEINTER BEDEUTUNG ‚herstellen‘ können, dann besagt dies, dass wir BEZIEHUNGEN (RELATIONEN) ZWISCHEN VERSCHIEDENEN PHÄNOMENEN WISSEN (ERKENNEN, ERLEBEN) können. So kann der GESPROCHENE SPRACHLICHE AUSDRUCK ‚Diese Person da‘ als mögliches Beispiel für die ABSTRAKTE REPRÄSENTATION DIES AUSDRUCKS verstanden werden, der wiederum BEZOGEN IST auf eine ABSTRAKTE BEDEUTUNG von ‚Person, diese, da‘ und diese abstrakte Bedeutung wiederum kann bezogen werden auf eine KONKRETE PERSON IM UMFELD DES SPRECHERS. Damit gibt es schon verschiedene ARTEN von ERLEBBAREN (WISSBAREN) BEZIEHUNGEN: (i) KONKRETES Phänomen Ph_Concr als Instanz von einem ABSTRAKTEN Phänomen Ph_Abstr*; (ii) ABSTRAKTES Phänomen Ph_Abstr zu einem anderen ABSTRAKTEM Phänomen Ph_Abstr*. Und das sind nicht die einzigen.

(13) Eine PHÄNOMENOLOGISCHE THEORIE müsste also sowohl die verschiedenen ARTEN VON PHÄNOMENEN unterscheiden, dazu die unterschiedlichen BEZIEHUNGEN (RELATIONEN), in denen die Phänomene auftreten können, sowie die DYNAMIK (VERÄNDERUNGEN), die sich an diesen Phänomenen ‚zeigt‘. Ferner müsste diese Theorie auch deutlich machen, wie sich die Struktur des phänomenologischen Raumes unter Umständen im Laufe des Lebens ändert.

(14) Die ENTWICKLUNG einer PHÄNOMENOLOGISCHEN THEORIE müsste ferner der ENTWICKLUNG  des ALLTAGSDENKENS und der ALLTAGSSPRACHE folgen. Denn nur in dem Maße, wie eine Alltagssprache L_Every verfügbar ist, sind KOMMUNIKATIONSPROZESSE möglich, innerhalb deren sich gemeinsam geteilte phänomenologische Strukturen ’sichtbar‘ machen lassen. Da die ERLEBNISSTRUKTUR bei ‚GLEICHGEBAUTEN‘ biologischen Systemen ‚im Normalfall‘ SEHR ÄHNLICH ist, ist zu erwarten, dass die AUSFORMULIERUNGEN einer phänomenologischen Theorie recht weit kommen könnte. Relativ zum NORMALFALL wären dann alle ABWEICHUNGEN von besonderem Interesse (so zeigen gerade die PATHOLOGISCHEN Fälle aus der Neuropsychologie sehr Vieles über das Funktionieren unseres Gehirns und des davon abhängigen Erlebens was ohne diese pathologischen Fälle niemals so klar geworden wäre). Idealerweise würde eine phänomenologische Theorie auch als FORMALE THEORIE formuliert, die zudem COMPUTERGESTÜTZTE SIMULATIONEN möglich macht.

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