Archiv der Kategorie: Innenwelt

WO IST DER STANDPUNKT VON JEDEM EINZELNEN? Eine Notiz

ANGEREGT VON

  1. Angeregt von dem Buch von Matt Ridley Ehe Evolution of Everything. How small Changes Transform our World (2015) ergaben sich viele interessante Fragen. Eine ausführlichere Diskussion des Buches wird im Blog noch erfolgen. Vorab aber erste Impressionen zu der speziellen Frage, die sich mir stellte, ob sich für jeden Menschen skizzieren lässt, was eigentlich der individuelle Ausgangspunkt für den gesamten Weltbezug ist (eine Abstimmung dieser Überlegungen mit den vielen vorausgehenden Beiträgen im Blog könnte zusätzlich hilfreich sein).

ALLGEMEINE BEDEINGUNGEN FÜR LEBEN

Verhältnis der Zeitdauer zwischen Alter des Universums (physikalische Natur) mit ca. 13.8 Mrd. Jahren, dem Auftreten biologschen Lebens seit ca. 3.8 Mrd, dem Auftreten von menschlichen Gesellschaften (homo sapiens sapiens) mit ca. 200.000 Jahren sowie der Lebenszeit eines einzelnen Menschen (hier optimistisch auf 100 Jahre gesetzt)
Verhältnis der Zeitdauer zwischen Alter des Universums (physikalische Natur) mit ca. 13.8 Mrd. Jahren, dem Auftreten biologschen Lebens seit ca. 3.8 Mrd, dem Auftreten von menschlichen Gesellschaften (homo sapiens sapiens) mit ca. 200.000 Jahren sowie der Lebenszeit eines einzelnen Menschen (hier optimistisch auf 100 Jahre gesetzt)
  1. Im Lichte des verfügbaren empirischen Wissens könnte man versucht sein, vier Dimensionen aufzuspannen:
  2. Den allgemeinsten Rahmen gibt die Naturgeschichte des Universums mit ca. 13.8 Mrd Jahren bislang, durch die die allgemeinsten Rahmenbedingungen festgelegt werden. Ohne diese zu verstehen kann man eigentlich gar nichts verstehen (Übergang von Energie in den Zustand von Materie mit Bewegung und Raum, Bildung von Atomen, Molekülen im Kontext von Gas- und Sonnenbildungen, Galaxien, usw.).
  3. Innerhalb dieses Rahmens haben sich seit ca. 3.8 Mrd Jahren biologische Strukturen herausgebildet, die unter Beachtung der allgemeinen physikalischen Gesetze eine Eigendynamik entwickelt haben, die sich deutlich von den allgemeinen physikalischen Gesetzen abheben.
  4. Sehr spät – also ca. ab 200.000 Jahren vor unserer Zeit – kann man innerhalb der biologischen Strukturen ein Phänomen beobachten, das mit Populationen des homo sapiens sapiens nur sehr unzulänglich beschrieben ist. Populationen des homo sapiens sapiens (hier abgekürzt hss-Populationen) zeigen eine Dynamik, die sich von der allgemein biologischen Dynamik nochmals deutlich abhebt.
  5. Dies neue Art von hss-Dynamik wird initiiert von jedem einzelnen Mitglied einer hss-Population, also von jedem einzelnen Exemplar eines homo sapiens sapiens; diese hss-Exemplare sollen hier Menschen genannt werden.
  6. Jeder einzelne Mensch (kurz für hss-Exemplar) zeigt spezifische Dynamiken im Vergleich zu allen anderen biologischen Individuen, setzt aber alle allgemeinen biologischen und physikalischen Gesetze voraus. Ohne diese kann man ihn nicht verstehen. Zusätzlich zeigt der Mensch aber besondere Dynamiken, die im Wechselspiel mit anderen Menschen im Rahmen von jeweiligen Gesellschaftssystemen zu immer wieder neuen Konstellationen führen können.
  7. Soweit eine erste Sichtweise aus der Sicht der empirischen Wissenschaften. Bei dieser Sichtweise wird vorausgesetzt, dass es eine Menge von wissenschaftlichen Beobachtern OBS gibt, die alle in gleicher Weise diese empirischen Phänomene sehen und beurteilen können.

EMPIRISCHER BEOBACHTER UNVOLLSTÄNDIG

  1. Wie wir aber heute wissen (können) (Anmerkung: siehe z.B. die 9 Blogeinträge HIER; es gab dazu noch viele weitere Blogeinträge), ist der von den empirischen Wissenschaften unterstellte homogene Beobachter eine starke Idealisierung. Diese Idealisierung ermöglicht zwar die Erklärung vieler Begriffe im Kontext der empirischen Wissenschaften, verdeckt aber die ganze komplexe Maschinerie, die notwendig ist, dass der idealisierte empirische Beobachter überhaupt funktionieren kann.
  2. Bezieht man diese komplexe Maschinerie ein, dann betritt man das aufregende unbekannte Land der aktuellen Forschungen, in denen von der einen Seite aus die empirischen Wissenschaften versuchen, das faszinierende Phänomen des Menschen mit empirischen Mitteln aufzuhellen, auf der anderen Seit die sogenannten Geisteswissenschaften, mit zusätzlichen, nicht-empirischen Methoden. Leider herrscht in diesem Forschungsgebiet des Phänomens Mensch eine große Unübersichtlichkeit, wechselseitig viel Unverständnis und unnötige Verteufelungen, natürlich auch schlichte Abgrenzungskämpfe um selbst möglich viel von den knappen Forschungsgeldern zu bekommen. Das interessanteste Phänomen des bekannten Universums, der Mensch, wird also vielfach zerrieben zwischen den Kämpfen der beteiligten Disziplinen.
  3. Ein beliebter Konfliktpunkt im Wechselspiel der vielen beteiligten Disziplinen ist die grobe Unterscheidung zwischen dem empirischen Standpunkt des Beobachters aus der sogenannten 3.Person-Perspektive und und dem subjektiven, introspektiven Standpunkt des Beobachters (als Selbstbeobachter) aus der sogenannten 1.Person-Perspektive.
  4. Die Kritik der empirischen Disziplinen an Untersuchungen im introspektiven Modus ist natürlich berechtigt, da introspektive Untersuchungen sich interaktiv nur sehr schwer (bis gar nicht) zweifelsfrei kommunizieren und überprüfen lassen.
  5. Auf der anderen Seite kulminiert das Besondere des Phänomens Mensch gerade in der Fähigkeit, auf der Basis seines Körpers mit dem Gehirn eine Art Innensicht des Systems genannt Bewusstsein auszubilden, das den Menschen in die Lage versetzt, genau diese Besonderheit an Dynamik zu entwickeln, die Populationen von Menschen deutlich abhebt von anderen biologischen Populationen. Außerdem besteht zwischen der 3.Person-Perspektive und der 1.Person-Perspektive kein absoluter Gegensatz. Die sogenannte 3.Person-Perspektive ist genuiner Teil des Bewusstseins, also der 1.Person-Perspektive. Mathematisch kann man davon sprechen, dass die Perspektive des empirischen Beobachters eine echte Teilmenge der Perspektive der 1.Person ist. Zum vollen Verständnis des empirischen Beobachters muss man letztlich sogar von dieser Teilmengeneigenschaft Gebrauch machen, sonst kann man das Funktionieren des empirischen Beobachters gar nicht erklären.
  6. Dieses spezifische Abhängigkeitsverhältnis des empirischen Beobachters von dem introspektiven Beobachter wurde bislang in den Wissenschaften kaum (oder gar nicht?) tiefer gehender diskutiert und untersucht. Man belässt es gerne bei der Abgrenzung.

SPEZIFISCHE DYNAMIK DES BIOLOGISCHEN

  1. Kommen wir nochmals zurück zur Behauptung, dass sich die biologischen Strukturen von den allgemeinen physikalischen Strukturen durch eine spezifische Dynamik auszeichnen und innerhalb der biologischen Strukturen sich die menschliche Population auch nochmals durch eine spezifische Dynamik auszeichnet. Viele (die meisten?) Wissenschaftler würden solche Feststellungen eher ablehnen. Die Grundtendenz ist (nachvollziehbar und bis zu einem gewissen Grad angemessen), die Vielfalt der Phänomene auf möglichst wenig Grundprinzipien zurück zu führen. Das ist das Erfolgsprinzip der empirischen Wissenschaften bis heute. Allerdings zeigt die Geschichte der Wissenschaften, dass gerade aufgrund dieses Prinzips nicht alles zu einem Einheitsbrei zusammen gedampft wurde, sondern dass gerade im Versuch der Vereinfachung sich auch Besonderheiten gezeigt haben. Die Vielfalt der heute bekannten Materieteilchen (subatomar, atomar, molekular…) kann man zwar auf allgemeine Prinzipien zurückführen, die schließlich alle im Superbegriff der Energie versinken, aber die Vielfalt der Phänomene im Universum allgemein wie speziell auch auf der Erde mit den biologischen Strukturen kann man nicht erklären, indem man im abstraktesten Allgemeinen verweilt.
  2. Ein Charles Darwin hat (im Kontext vieler anderer Denker, die damals ähnliche Phänomene untersuchten) zwar einerseits die Vielfalt biologischer Phänomene auf einige wenige Prinzipien der möglichen Entstehung zurückgeführt, aber diese Rückführung führte nicht zur Aufhebung der Vielfalt selbst. Nein, die Vielfalt blieb erhalten und es kamen Ideen auf, wie nicht nur diese Vielfalt sondern noch ganze andere Vielfalte entstehen könnten. In gewisser Weise erschien die beobachtbare Vielfalt als Manifestation eines Prinzips, das offensichtlich wirkte und genau durch die wechselnden Vielfalte sichtbar wurde. Dass dieses Prinzip dann den Namen Evolution bekam ist fast nebensächlich, Wichtig ist nur, dass überhaupt ein Prinzip entdeckt werden konnte, das mathematisch als Funktion, Abbildung interpretierbar ist:
  3. evol: BIOL x ENV —> ENV x BIOL
  4. Etwa umschreibar mit: gegebene biologische Systeme (BIOL) in bestimmten Umgebungen (ENV) können neue biologische Systeme hervorbringen und dabei zugleich verändernd auf die Umgebung einwirken. Die spezifischen Aktivitäten, Veränderungen dieser vielfältigen Formen werden hier allgemein als Dynamik bezeichnet.
  5. In dieser Allgemeinheit lässt das Evolutionskonzept noch nahezu nichts Konkretes erkennen, fokussiert aber den Blick darauf, dass der kontinuierliche Strom der Formen nicht rein zufällig stattfindet, sondern von Bedingungen abhängt, die nach einem bestimmten Muster neue Formen hervorbringt. Diese Dynamik deutet damit auf eine bestimmte Prozessstruktur hin, auf eine bestimmte mathematisch beschreibbare Logik des Geschehens, die sich nicht in der Beschreibung der einzelnen Teile erschöpft, sondern nur und gerade in der Beschreibung von Abfolgen und Zusammenhängen, durch die sich diese unterstellte Logik manifestiert.
  6. Der Begriff der Emergenz, der in diesem Zusammenhang oft und gerne benutzt wird, erscheint dem Autor dieser Zeilen zu schwach, um der Konkretheit dieser Logik und ihrer massiven Wirkung gerecht zu werden.
  7. Nach Darwin konnte das postulierte Prinzip der Evolution schrittweise immer weiter konkretisiert werden. Mit der Entdeckung von Zellstrukturen, von Molekülen, speziell dem DNA-Molekül, dem Reproduktionsmechanismus der Zellen mit Hilfe von DNA- und anderen Molekülen, dem epizyklischen Geschehen und vielem mehr konnte man die postulierte Logik des Geschehens an immer konkreteren Strukturen festmachen und damit die unterstellte Prozessstruktur verfeinern. Mittlerweile gibt es sogar weitreichende Modelle, die sogar die Entstehung der komplexen Zellen selbst aus einfacheren Bestandteilen unter bestimmten Umgebungsbedingungen plausibel machen können. Auch hier handelt es sich letztlich mathematisch um Abbildungsprozesse, die die Genese/ Konstruktion von komplexen Strukturen aus einfacheren Elementen unter Beteiligung von Wirkprinzipien andeuten. Die Wirkprinzipien selbst jenseits der beteiligten materiellen Komponenten sind nicht direkt beschreibbar, nur in ihren Wirkungen (so wie auch z.B. die Gravitation sich nur indirekt durch das Verhalten der beobachtbaren Materiekonstellationen erschließen lässt).
  8. Die entscheidend Botschaft ist hier also, dass sich in der Dynamik biologischer Strukturen Wirkprinzipien manifestieren, die charakteristisch für das Biologische sind, die auf implizite Eigenschaften der beteiligten Komponenten hinweisen, die sich nur in bestimmten Konstellationen zeigen. Letztlich sind es Eigenschaften der Materie, die sich überall im Universum zeigen können, wenn entsprechende Bedingungen gegeben sind.

ENDLICHE UNENDLICHKEIT

  1. Während ein einzelner Mensch am Beispiel seines Körpers mit dem klaren Beginn (Geburt) und dem klaren Ende (Tod) das Modell eines endlichen Prozesses am eigenen Leib erleben kann (und natürlich vielfältig im Laufe seines Lebens mit anderen Phänomenen), gibt es aus Sicht eines Menschen aber Phänomene, die sein Leben überdauern, die länger als 100 Jahre andauern. Die Endlichkeit wird damit immer ungreifbarer, erscheint immer mehr wie eine quasi Unendlichkeit. Und im Denken kann ein Mensch den Begriff der Unendlichkeit formen als Gegensatz zur Endlichkeit. Es bleibt zwar offen, ob und wieweit dem der gedanklichen Unendlichkeit irgendeine Realität entspricht, aber zumindest gibt es ein Etwas, ein Gedachtes, als Gegensatz zur konkreten Endlichkeit.

UNTERBRECHUNG

  1. Mit diesem angedeuteten Koordinatensystem kann man nun viele bekannte Phänomene diskutieren und zueinander in Beziehung setzen. Vielleicht geschieht dies mit weiteren Blogeinträgen.

Einen Überblick über alle Blog-Beiträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER.

Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 4

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll

Rahmenbedingungen des Wissens

Wenn wir aufwachen in unserer schönen neuen Welt, können wir nachlesen, welch Böses Menschen anderen Menschen bisher zugefügt haben. Wir können Verhalten beobachten, das solch Böses hervorbringt: konkreten Handlungen, Aktionen, Objekte und Werkzeuge, die dazu benutzt werden. Was wir nicht können, nicht so ohne weiteres, das ist, in das Innere des Menschen zu schauen, warum Menschen anderen Menschen Böses zufügen.

Was geht in Menschen vor, wenn sie sich so verhalten? Wissen sie selbst so genau, was sie da tun, wenn sie etwas tun?

Was geht in Menschen vor, die andere Menschen foltern, um mit Gewalt heraus zu finden, was andere Menschen Denken oder Wissen (Siehe hier einen kurzen Überblick zur Folter)? Da auch Unschuldige unter Folter Handlungen gestehen können, die sie nie begangen haben, geht der Anwendung von Folter eine Vorverurteilung voraus: man ist schon überzeugt, dass man einen Täter vor sich hat. Zugleich verachtet man diesen Menschen, da man bereit ist, ihn zu zerstören, obgleich er möglicherweise unschuldig ist.

Und es gibt auch dies: Menschen helfen Menschen, Menschen ermöglichen Leben. Warum tun sie das?

Dort hinter den Augen

Die Antwort auf die Frage, warum Menschen dies und jenes tun, liegt offensichtlich im ‚Inneren‘ des Menschen. Dort, hinter seinen Augen, hinter seinem Gesicht, das mal lächelt, mal weint, mal zürnt, dort gibt es ‚geheimnisvolle Kräfte‘, die ihn, uns, Dich und mich, dazu bringen das eine zu tun, und das andere zu lassen.

Und, wie die moderne Biologie uns in Gestalt der Gehirnforschung lehrt, ist es vor allem das Gehirn, in dem ca. 100 Milliarden Gehirnzellen miteinander ein Dauergespräch führen, dessen Nebenwirkungen die eine oder andere Handlung ist, die wir vornehmen.

Wenn wir uns auf die moderne Biologie einlassen, auf die Gehirnwissenschaft, dann erkennen wir sehr schnell, dass das Gehirn, das unser Verhalten bestimmt, selbst keinen Kontakt mit der Welt hat. Es ist im Körper eingeschlossen, quasi abgeschottet, oder auch isoliert von der Welt jenseits des Körpers.

Das Gehirn bezieht sein Wissen über die Welt jenseits der Gehirnzellen quasi von ‚Mittelsmännern‘, von speziellen Kontaktpersonen, von Übersetzern; dies sind unsere Sinnesorgane (Augen, Ohren, Haut, Geschmackszellen, Gleichgewichtsorgan, …)(Anmerkung: Siehe: Sinnesorgan, Sensory receptor, Sensory system), die bestimmte Ereignisse aus der Welt jenseits der Gehirnzellen in die ‚Sprache des Gehirns‘ übersetzen.

Wenn wir sagen, dass wir Musik hören, wunderschöne Klänge, harmonisch oder dissonant, laut oder leise, hoch oder tief, mit unterschiedlichen Klangfarben, dann sind dies für das Gehirn ’neuronale Signale‘, elektrische Potentialänderungen, die man als ‚Signal‘ oder ‚Nicht-Signal‘ interpretieren kann, als ‚An‘ oder ‚Aus‘, oder einfach als ‚1‘ oder ‚0‘, allerdings zusätzlich eingebettet in eine ‚Zeitstruktur‘; innerhalb eines Zeitintervalls können ‚viele‘ Signale auftreten oder ‚wenige‘. Ferner gibt es eine ‚topologische‘ Struktur: das gleiche Signal kann an einem Ort im Gehirn ein ‚Klang‘ bedeuten, an einem anderen Ort eine ‚Bild‘, wieder an einem anderen Ort ein ‚Geschmack‘ oder ….

Was hier am Beispiel des Hörens gesagt wurde, gilt für alle anderen Sinnesorgane gleichermaßen: bestimmte physikalische Umwelteigenschaften werden von einem Sinnesorgan so weit ‚verarbeitet‘, dass am Ende immer alles in die Sprache des Gehirns, in die neuronalen ‚1en‘ und ‚0en‘ so übersetzt wird, dass diese Signale zeitlich und topologisch geordnet zwischen den 100 Milliarden Gehirnzellen hin und her wandern können, um im Gehirn Pflanzen, Tiere, Räume, Objekte und Handlungen jenseits der Gehirnzellen neuronal-binär repräsentieren zu können.

Alles, was in der Welt jenseits des Gehirns existiert (auch die anderen Körperorgane mit ihren Aktivitäten), es wird einheitlich in die neuronal-binäre Sprache des Gehirns übersetzt. Dies ist eine geniale Leistung der Natur(Anmerkung: Dass wir in unserem subjektiven Erleben keine ‚1en‘ und ‚0en‘ wahrnehmen, sondern Töne, Farben, Formen, Geschmäcker usw., das ist das andere ‚Wunder der Natur‘; siehe weiter unten.}.

Die Welt wird zerschnitten

Diese Transformation der Welt in ‚1en‘ und ‚0en‘ ist aber nicht die einzige Übersetzungsbesonderheit. Wir wissen heute, dass die Sinnesinformationen für eine kurze Zeitspanne (in der Regel deutlich weniger als eine Sekunde) nach Sinnesarten getrennt in einer Art ‚Puffer‘ zwischen gespeichert werden (Anmerkung: Siehe Sensory memory). Von dort können sie für weitere Verarbeitungen übernommen werden. Ist die eingestellte Zeitdauer(Anmerkung: Zeitfenster zwischen den aufeinanderfolgenden Zeitpunkten t1 und t2 (t1,t2)} verstrichen, wird der aktuelle Inhalt von neuen Daten überschrieben. Das voreingestellte Zeitfenster (t1,t2) definiert damit, was ‚gleichzeitig‘ ist.

Faktisch wird die sinnlich wahrnehmbare Welt damit in Zeitscheiben ‚zerlegt‘ bzw. ‚zerschnitten‘. Was immer passiert, für das Gehirn existiert die Welt jenseits seiner Neuronen nur in Form von säuberlich getrennten Zeitscheiben(Anmerkung: In Diskussionen, ob und wieweit ein Computer das menschliche Gehirn ’nachahmen‘ könnte, wird oft betont, der Computer sei ja ‚diskret‘, ‚binär‘, zerlege alles in 1en und 0en im Gegensatz zum ‚analogen‘ Gehirn. Die empirischen Fakten legen hingegen nahe, auch das Gehirn als eine ‚diskrete Maschine‘ zu betrachten.).

Unterscheiden sich die ‚Inhalte‘ von Zeitscheiben, kann dies als Hinweis auf mögliche ‚Veränderungen‘ gedeutet werden.

Beachte: jede Sinnesart hat ihre eigene Zeitscheibe, die dann vom Gehirn zu ’sinnvollen Kombinationen‘ ‚verrechnet‘ werden müssen.

Die Welt wird vereinfacht

Für die Beurteilung, wie das Gehirn die vielen unterschiedlichen Informationen so zusammenfügt, auswertet und neu formt, dass daraus ein ’sinnvolles Verhalten‘ entsteht, reicht es nicht aus, nur die Gehirnzellen selbst zu betrachten, was zum Gegenstandsbereich der Gehirnwissenschaft (Neurowissenschaft) gehört. Vielmehr muss das Wechselverhältnis von Gehirnaktivitäten und Verhaltenseigenschaften simultan betrachtet werden. Dies verlangt nach einer systematischen Kooperation von wissenschaftlicher Verhaltenswissenschaft (Psychologie) und Gehirnwissenschaft unter der Bezeichnung Neuropsychologie (Anmerkung: Siehe Neuropsychology).

Ein wichtiges theoretisches Konzept, das wir der Neuropsychologie verdanken, ist das Konzept des Gedächtnisses(Anmerkung: Memory). Mit Gedächtnis wird die generelle Fähigkeit des Gehirns umschrieben, Ereignisse zu verallgemeinern, zu speichern, zu erinnern, und miteinander zu assoziieren.

Ausgehend von den oben erwähnten zeitlich begrenzten sensorischen Speichern unterteilt man das Gedächtnis z.B. nach der Zeitdauer (kurz, mittel, unbegrenzt), in der Ereignisse im Gedächtnis verfügbar sind, und nach der Art ihrer Nutzung. Im Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis kann eine kleine Zahl von Ereignissen im begrenzten Umfang verarbeitet und mit dem Langzeitgedächtnis in begrenztem Umfang ausgetauscht werden (speichern, erinnern). Die Kapazität von sinnespezifischen Kurzzeit- und multimodalem Arbeitsgedächtnisses liegt zwischen ca. 4 (im Kurzzeitgedächtnis) bis 9 (im Arbeitsgedächtnis) Gedächtniseinheiten. Dabei ist zu beachten, dass schon im Übergang vom oben erwähnten sensorischen Speichern zum Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis eine starke Informationsreduktion stattfindet; grob von 100% auf etwa 25%.

Nicht alles, was im Kurz- und Arbeitsgedächtnis vorkommt, gelangt automatisch ins Langzeitgedächtnis. Ein wichtiger Faktor, der zum Speichern führt, ist die ‚Verweildauer‘ im Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis, und die ‚Häufigkeit‘ des Auftretens. Ob wir nach einer Speicherung etwas ‚wiederfinden‘ können, hängt ferner davon ab, wie ein Ereignis abgespeichert wurde. Je mehr ein Ereignis sich zu anderen Ereignissen in Beziehung setzen lässt, umso eher wird es erinnert. Völlig neuartige Ereignisse (z.B. die chinesischen Schriftzeichen in der Ordnung eines chinesischen Wörterbuches, wenn man Chinesisch neu lernt) können Wochen oder gar Monate dauern, bis sie so ‚verankert‘ sind, dass sie bei Bedarf ‚mühelos‘ erinnern lassen.

Ein anderer Punkt ist die Abstraktion. Wenn wir über alltägliche Situationen sprechen, dann benutzen wir beständig Allgemeinbegriffe wie ‚Tasse‘, ‚Stuhl‘, ‚Tisch‘, ‚Mensch‘ usw. um über ‚konkrete individuelle Objekte‘ zu sprechen. So nennen wir ein konkretes rotes Etwas auf dem Tisch eine Tasse, ein anderen blaues konkretes Etwas aber auch, obgleich sie Unterschiede aufweisen. Desgleichen nennen wir ein ‚vertikales durchsichtiges Etwas‘ eine Flasche, ein vertikales grünliches Etwas auch; usw.

Unser Gedächtnis besitzt die wunderbare Eigenschaft, alles, was sinnlich wahrgenommen wird, durch einen unbewussten automatischen Abstraktionsprozess in eine abstrakte Struktur, in einen Allgemeinbegriff, in eine ‚Kategorie‘ zu übersetzen. Dies ist extrem effizient. Auf diese Weise kann das Gedächtnis mit einem einzigen Konzept hunderte, tausende, ja letztlich unendlich viele konkrete Objekte klassifizieren, identifizieren und damit weiter arbeiten.

Welt im Tresor

Ohne die Inhalte unseres Gedächtnisses würden wir nur in Augenblicken existieren, ohne vorher und nachher. Alles wäre genau das, wie es gerade erscheint. Nichts hätte eine Bedeutung.

Durch die Möglichkeit des ‚Speicherns‘ von Ereignisse (auch in den abstrakten Formen von Kategorien), und des ‚Erinnerns‘ können wir ‚vergleichen‘, können somit Veränderungen feststellen, können Abfolgen und mögliche Verursachungen erfassen, Regelmäßigkeiten bis hin zu Gesetzmäßigkeiten; ferner können wir Strukturen erfassen.

Eine Besonderheit sticht aber ins Auge: nur ein winziger Teil unseres potentiellen Wissens ist ‚aktuell verfügbar/ bewusst‘; meist weniger als 9 Einheiten! Alles andere ist nicht aktuell verfügbar, ist ’nicht bewusst‘!

Man kann dies so sehen, dass die schier unendliche Menge der bisher von uns wahrgenommenen Ereignisse im Langzeitgedächtnis weggesperrt ist wie in einem großen Tresor. Und tatsächlich, wie bei einem richtigen Tresor brauchen auch wir selbst ein Codewort, um an den Inhalt zu gelangen, und nicht nur ein Codewort, nein, wir benötigen für jeden Inhalt ein eigenes Codewort. Das Codewort für das abstrakte Konzept ‚Flasche‘ ist ein konkretes ‚Flaschenereignis‘ das — hoffentlich — genügend Merkmale aufweist, die als Code für das abstrakte Konzept ‚Flasche‘ dienen können.

Wenn über solch einen auslösenden Merkmalscode ein abstraktes Konzept ‚Flasche‘ aktiviert wird, werden in der Regel aber auch alle jene Konzepte ‚aktiviert‘, die zusammen mit dem Konzept ‚Flasche‘ bislang aufgetreten sind. Wir erinnern dann nicht nur das Konzept ‚Flasche‘, sondern eben auch all diese anderen Ereignisse.

Finden wir keinen passenden Code, oder wir haben zwar einen Code, aber aus irgendwelchen Emotionen heraus haben wir Angst, uns zu erinnern, passiert nichts. Eine Erinnerung findet nicht statt; Blockade, Ladehemmung, ‚blackout‘.

Bewusstsein im Nichtbewusstsein

Im Alltag denken wir über unser Gehirn nicht so. Im Alltag haben wir subjektiv Eindrücke, Erlebnisse, Empfindungen, Gedanken, Vorstellungen, Fantasien. Wir sind ‚in‘ unserem Erleben, wir selbst ‚haben‘ diese Eindrücke. Wir empfinden alles so, als ob ‚wir‘ selbst (bei jedem einzelnen das ‚Ich‘: ‚ich habe das Erlebnis‘) diese Erlebnisse haben; es sind ‚unsere‘ Erlebnisse‘.

Die Philosophen haben diese Erlebnis- und Erkenntnisweise den Raum unseres ‚Bewusstseins‘ genannt. Sie sprechen davon, dass wir ‚Bewusstsein haben‘, dass uns die Ding ‚bewusst sind‘; sie nennen die Inhalte unseres Bewusstseins ‚Qualia‘ oder ‚Phänomene‘, und sie bezeichnen diese Erkenntnisperspektive den Standpunkt der ‚ersten Person‘ (‚first person view‘) im Vergleich zur Betrachtung von Gegenständen in der Außenwelt, die mehrere Personen gleichzeitig haben können; das nennen sie den Standpunkt der ‚dritten Person‘ (‚third person view‘)(Anmerkung: Ein Philosoph, der dies beschrieben hat, ist Thomas Nagel. Siehe zur Person: Thomas Nagel. Ein Buch von ihm, das hier einschlägig ist, ist ‚The view from nowhere‘ von 1986, New York, Oxford University Press).

Nach den heutigen Erkenntnissen der Neuropsychologie gibt es zwischen dem, was die Philosophen ‚Bewusstsein‘ nennen und dem, was die Neuropsychologen ‚Arbeitsgedächtnis‘ nennen, eine funktionale Korrespondenz. Wenn man daraus schließen kann, dass unser Bewusstsein sozusagen die erlebte ‚Innenperspektive‘ des ‚Arbeitsgedächtnisses‘ ist, dann können wir erahnen, dass das, was uns gerade ‚bewusst‘ ist, nur ein winziger Bruchteil dessen ist, was uns ’nicht bewusst‘ ist. Nicht nur ist der potentiell erinnerbare Inhalt unseres Langzeitgedächtnisses viel größer als das aktuell gewusste, auch die Milliarden von Prozessen in unserem Körper sind nicht bewusst. Ganz zu schweigen von der Welt jenseits unseres Körpers. Unser Bewusstsein gleicht damit einem winzig kleinen Lichtpunkt in einem unfassbar großen Raum von Nicht-Bewusstsein. Die Welt, in der wir bewusst leben, ist fast ein Nichts gegenüber der Welt, die jenseits unseres Bewusstseins existiert; so scheint es.

Außenwelt in der Innenwelt

Der Begriff ‚Außenwelt‘, den wir eben benutzt haben, ist trügerisch. Er gaukelt vor, als ob es da die Außenwelt als ein reales Etwas gibt, über das wir einfach so reden können neben dem Bewusstsein, in dem wir uns befinden können.

Wenn wir die Erkenntnisse der Neuropsychologie ernst nehmen, dann findet die Erkenntnis der ‚Außenwelt‘ ‚in‘ unserem Gehirn statt, von dem wir wissen, dass es ‚in‘ unserem Körper ist und direkt nichts von der Außenwelt weiß.

Für die Philosophen aller Zeiten war dies ein permanentes Problem. Wie kann ich etwas über die ‚Außenwelt‘ wissen, wenn ich mich im Alltag zunächst im Modus des Bewusstseins vorfinde?

Seit dem Erstarken des empirischen Denkens — spätestens seit der Zeit Galileis(Anmerkung: Galilei) — tut sich die Philosophie noch schwerer. Wie vereinbare ich die ‚empirische Welt‘ der experimentellen Wissenschaften mit der ’subjektiven Welt‘ der Philosophen, die auch die Welt jedes Menschen in seinem Alltag ist? Umgekehrt ist es auch ein Problem der empirischen Wissenschaften; für den ’normalen‘ empirischen Wissenschaftler ist seit dem Erstarken der empirischen Wissenschaften die Philosophie obsolet geworden, eine ’no go area‘, etwas, von dem sich der empirische Wissenschaftler fernhält. Dieser Konflikt — Philosophen kritisieren die empirischen Wissenschaften und die empirischen Wissenschaften lehnen die Philosophie ab — ist in dieser Form ein Artefakt der Neuzeit und eine Denkblokade mit verheerenden Folgen.

Die empirischen Wissenschaften gründen auf der Annahme, dass es eine Außenwelt gibt, die man untersuchen kann. Alle Aussagen über die empirische Welt müssen auf solchen Ereignissen beruhen, sich im Rahmen eines beschriebenen ‚Messvorgangs‘ reproduzieren lassen. Ein Messvorgang ist immer ein ‚Vergleich‘ zwischen einem zuvor vereinbarten ‚Standard‘ und einem ‚zu messenden Phänomen‘. Klassische Standards sind ‚das Meter‘, ‚das Kilogramm‘, ‚die Sekunde'(Anmerkung: Siehe dazu: Internationales Einheitensystem (SI)), usw. Wenn ein zu messendes Phänomen ein Objekt ist, das z.B. im Vergleich mit dem Standard ‚Meter [m]‘ die Länge 3m aufweist, und jeder, der diese Messung wiederholt, kommt zum gleichen Ergebnis, dann wäre dies eine empirische Aussage über dieses Objekt.

Die Einschränkung auf solche Phänomene, die sich mit einem empirischen Messstandard vergleichen lassen und die von allen Menschen, die einen solchen Messvorgang wiederholen, zum gleichen Messergebnis führen, ist eine frei gewählte Entscheidung, die methodisch motiviert ist. Sie stellt sicher, dass man zu einer Phänomenmenge kommt, die allen Menschen(Anmerkung: die über gleiche Fähigkeiten der Wahrnehmung und des Denkens verfügen. Blinde Menschen, taube Menschen usw. könnten hier Probleme bekommen!) in gleicher Weise zugänglich und für diese nachvollziehbar ist. Erkenntnisse, die allen Menschen in gleicher Weise zugänglich und nachprüfbar sind haben einen unbestreitbaren Vorteil. Sie können eine gemeinsame Basis in einer ansonsten komplexen verwirrenden Wirklichkeit bieten.

Die ‚Unabhängigkeit‘ dieser empirischen Messvorgänge hat im Laufe der Geschichte bei vielen den Eindruck vertieft, als ob es die ‚vermessene Welt‘ außerhalb und unabhängig von unserem Bewusstsein als eigenständiges Objekt gibt, und dass die vielen ‚rein subjektiven‘ Empfindungen, Stimmungen, Vorstellungen im Bewusstsein, die sich nicht direkt in der vermessbaren Welt finden, von geringerer Bedeutung sind, unbedeutender ’subjektiver Kram‘, der eine ‚Verunreinigung der Wissenschaft‘ darstellt.

Dies ist ein Trugschluss mit verheerenden Folgen bis in die letzten Winkel unseres Alltags hinein.

Der Trugschluss beginnt dort, wo man übersieht, dass die zu messenden Phänomene auch für den empirischen Wissenschaftler nicht ein Sonderdasein führen, sondern weiterhin nur Phänomene seines Bewusstseins sind, die ihm sein Gehirn aus der Sinneswahrnehmung ‚herausgerechnet‘ hat. Vereinfachend könne man sagen, die Menge aller Phänomene unseres Bewusstseins — nennen wir sie PH — lässt sich aufteilen in die Teilmenge jener Phänomene, auf die sich Messoperationen anwenden lassen, das sind dann die empirischen Phänomene PH_EMP, und jene Phänomene, bei denen dies nicht möglich ist; dies sind dann die nicht-empirischen Phänomene oder ‚rein subjektiven‘ Phänomene PH_NEMP. Die ‚Existenz einer Außenwelt‘ ist dann eine Arbeitshypothese, die zwar schon kleine Kindern lernen, die aber letztlich darauf basiert, dass es Phänomene im Bewusstsein gibt, die andere Eigenschaften haben als die anderen Phänomene.

In diesen Zusammenhang gehört auch das Konzept unseres ‚Körpers‘, der sich mit den empirischen Phänomenen verknüpft.

Der Andere als Reflektor des Selbst

Bislang haben wir im Bereich der Phänomene (zur Erinnerung: dies sind die Inhalte unseres Bewusstseins) unterschieden zwischen den empirischen und den nicht-empirischen Phänomenen. Bei genauerem Hinsehen kann man hier viele weitere Unterscheidungen vornehmen. Uns interessiert hier nur der Unterschied zwischen jenen empirischen Phänomenen, die zu unserem Körper gehören und jenen empirischen Phänomenen, die unserem Körper ähneln, jedoch nicht zu uns, sondern zu jemand ‚anderem‘ gehören.

Die Ähnlichkeit der Körperlichkeit des ‚anderen‘ zu unserer Körperlichkeit bietet einen Ansatzpunkt, eine ‚Vermutung‘ ausbilden zu können, dass ‚in dem Körper des anderen‘ ähnliche innere Ereignisse vorkommen, wie im eigenen Bewusstsein. Wenn wir gegen einen harten Gegenstand stoßen, dabei Schmerz empfinden und eventuell leise aufschreien, dann unterstellen wir, dass ein anderer, wenn er mit seinem Körper gegen einen Gegenstand stößt, ebenfalls Schmerz empfindet. Und so in vielen anderen Ereignissen, in denen der Körper eine Rolle spielt (Anmerkung: Wie wir mittlerweile gelernt haben, gibt es Menschen, die genetisch bedingt keine Schmerzen empfinden, oder die angeboren blind oder taub sind, oder die zu keiner Empathie fähig sind, usw.).

Generalisiert heißt dies, dass wir dazu neigen, beim Auftreten eines Anderen Körpers unser eigenes ‚Innenleben‘ in den Anderen hinein zu deuten, zu projizieren, und auf diese Weise im anderen Körper ‚mehr‘ sehen als nur einen Körper. Würden wir diese Projektionsleistung nicht erbringen, wäre ein menschliches Miteinander nicht möglich. Nur im ‚Übersteigen‘ (‚meta‘) des endlichen Körpers durch eine ‚übergreifende‘ (‚transzendierende‘) Interpretation sind wir in der Lage, den anderen Körper als eine ‚Person‘ zu begreifen, die aus Körper und Seele, aus Physis und Psyche besteht.

Eine solche Interpretation ist nicht logisch zwingend. Würden wir uns solch einer Interpretation verweigern, würden wir im Anderen nur einen leblosen Körper sehen, eine Ansammlung von unstrukturierten Zellen, und was immer der Andere tun wird, nichts von alledem könnte uns zwingen, unsere Interpretation zu verändern. Die ‚personale Wirklichkeit des Anderen‘ lebt wesentlich von unserer Unterstellung, dass er tatsächlich mehr ist als der Körper, den wir sinnlich wahrnehmen können.

Dieses Dilemma zeigt sich sehr schön in dem berühmten ‚Turing Test‘ (Anmerkung: Turingtest), den Alan Matthew Turing 1950 vorgeschlagen hatte, um zu testen, wie gut ein Computer einen Menschen imitieren kann (Anmerkung: Es war in dem Artikel: Alan Turing: Computing Machinery and Intelligence, Mind 59, Nr. 236, Oktober 1950, S. 433–460). Da man ja ‚den Geist‘ selbst nicht sehen kann, sondern nur die Auswirkungen des Geistes im Verhalten, kann man in dem Test auch nur das Verhalten eines Menschen neben einem Computer beobachten, eingeschränkt auf schriftliche Fragen und Antworten(Anmerkung: heute könnte man dies sicher ausdehnen auf gesprochene Fragen und Antworten, eventuell kombiniert mit einem Gesicht oder gar mehr}. Die vielen Versuche mit diesem Test haben deutlich gemacht — was man im Alltag auch ohne diesen Test sehen kann –, dass das beobachtbare Verhalten eines Akteurs niemals ausreicht, um logisch zwingend auf einen ‚echten Geist‘, sprich auf eine ‚echte Person‘ schließen zu können. Daraus folgt nebenbei, dass man — sollte es jemals hinreichend intelligente Maschinen geben — niemals zwingend einen Menschen, nur aufgrund seines Verhaltens, von einer intelligenten Maschine unterscheiden könnte.

Rein praktisch folgt aus alledem, dass wir im Alltag nur dann und solange als Menschen miteinander umgehen können, solange wir uns wechselseitig ‚Menschlichkeit‘ unterstellen, an den ‚Menschen‘ im anderen glauben, und mein Denken und meine Gefühle hinreichend vom Anderen ‚erwidert‘ werden. Passiert dies nicht, dann muss dies noch nicht eine völlige Katastrophe bedeuten, aber auf Dauer benötigen Menschen eine minimale Basis von Gemeinsamkeiten, auf denen sie ihr Verhalten aufbauen können.

Im positiven Fall können Unterschiede zwischen Menschen dazu führen, dass man sich wechselseitig anregt, man durch die Andersartigkeit ‚Neues‘ lernen kann, man sich weiter entwickelt. Im negativen Fall kann es zu Missverständnissen kommen, zu Verletzungen, zu Aggressionen, gar zur wechselseitigen Zerstörung. Zwingend ist keines von beidem.

Zur Fortsetzung mit Kapitel 5.

Einen Überblick über alle Blogbeiträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER.

NACHBEMERKUNG ZUM BUCH VON H.RATH – Und Gott sprach: Wir müssen reden!

Hans Rath, „Und Gott sprach: Wir müssen reden!“, Reinbeck (DE): Rowohlt Verlag, 1. November 2013, ISBN-10: 3499259818, ISBN-13: 978-3499259814

1) Wenn mir meine Schwester MDK ein Buch schenkt mit den Worten ‚Das musst Du lesen‘ und mein Schwager in das gleiche Horn stößt, dann muss ich es natürlich trotzdem nicht lesen, aber in diesem Fall habe ich über die Weihnachtstage angefangen, darin zu lesen, und habe es praktisch in einem Rutsch gelesen.
2) Allein das lässt schon drauf schließen, dass das Buch irgendwie — zumindest für mich — ‚an-sprechend‘ gewesen sein muss. Ein Blick auf die Leserreaktionen zu diesem Buch bei Amazon zeigt, dass es aber offensichtlich vielen so gegangen ist, dass sie das Buch an-sprechend fanden.
3) Ich will jetzt hier nicht das Buch im Detail besprechen — habe seitdem schon wieder zu vieles andere gelesen –, aber ich hatte heute ein Gespräch mit meiner Frau über das Buch, das ein paar Gedanken beförderte, die vielleicht auch andere interessieren könnten.
4) Direkt nach der Lektüre zu diesem Buch hatte ich mich zu folgender spontanen Bemerkung hinreißen lassen: … „Als Philosoph und Theologe war ich überrascht, wie Rath schwergewichtige Themen zur Gottesfrage und Theodizee fantasievoll in Alltagsszenen zu verpacken versteht, die interessante Fragen anklingen lassen, ohne sie dogmatisch zu entscheiden. Während die offizielle Theologie in den meisten grundlegenden Fragen bis heute versteckt hinter komplizierten Sprachgebilden anscheinend orientierungslos herumirrt, scheut sich Rath nicht, den Leser mit manch tiefgründiger Frage zu konfrontieren. Allerdings undogmatisch, locker, fast beiläufig; man muss diese Fragen nicht ernst nehmen, man kann es einfach als Unterhaltung lesen; und doch, wer will, wer einen Rest von Sensibilität für den verborgenen Sinn im Alltag besitzt, der kann sich in dieser scheinbaren Leichtigkeit sehr wohl angesprochen fühlen, kann angeregt werden, darin mehr zu sehen, als man vordergründig sehen ‚muss’…. wer sich wirklich durch diese Sprachspiele mehr angesprochen fühlen sollte als nur im Modus der Unterhaltung, der wird nur durch diesen Text möglicherweise nicht sehr weit kommen. Es ist aber keine leichte Frage, welch alternativer Text denn wirklich weiter führt (mit der kleinen Randbedingung, dass er verstehbar sein sollte!). Ich habe einige hundert Bücher zum Thema gelesen. Vielleicht gibt es nicht ‚das‘ Buch, auch wenn wir es gerne so hätten…. “
5) Angesprochen auf die Frage, was ihr denn besonders aufgefallen sei bei der Lektüre des Buches, meinte meine Frau, dass das Buch für sie deutlich mache, dass eigentlich jedes Ereignis im Alltag bedeutsam sein kann, wenn man es entsprechend aufnimmt.
6) Auch hatte sie das Experiment beeindruckt, wie das Leben gelaufen wäre, wenn man selber nicht geboren worden wäre.
7) Letzteres ist natürlich schwer zu rekonstruieren, da es doch sehr viele Unwägbarkeiten umfasst. Doch bei jenen Entscheidungen im eigenen Leben, bei denen man beteiligt war, kann man zumindest auf ‚Tuchfühlung mit dem Schicksal‘ gehen: warum hat man in der Vergangenheit diese oder jene Veränderung vorgenommen? Wieso kam es zu einer bestimmten Entscheidung? Wenn sich Paare gefunden haben: was waren bei jedem einzelnen die Motive, Gefühle und Visionen?
8) Solche und ähnliche Überlegungen können sehr schnell hineinführen in die Welt des ‚Inneren‘ einer jeden Person. Zwar leben wir mit unserem Körper aktuell immer auch in einer Raum-Zeit-Welt mit realen Objekten, mit realen anderen Menschen, die auf uns auf vielfältige Weise einwirken können und wir auf diese, aber zugleich, in jedem Moment, sind wir eingebettet in eine ‚Wolke‘ von Bedürfnissen, Emotionen, Gefühlen, Stimmungen, interpretierenden Erfahrungen, die uns die Welt in einem bestimmten ‚Licht‘ erscheinen lassen. Jeder hat da seine ‚bevorzugte‘ Interpretation (oder lässt man sich unbestimmt treiben?), die darüber entscheidet, wie man die ‚Dinge bewertet‘: morgens, es wird hell; muss ich aufstehen wegen der Arbeit oder kann ich noch einen Moment liegen bleiben, da es Wochenende ist. Hat der Partner mir die Tasse Kaffee/ Tee einfach so gebracht, weil er/sie mich liebt oder musste ich sie mir selbst holen? …
9) Wenn man sein Leben geändert hat (neue Wohnung, neue Ausbildung, neue Firma, …) gingen diesen Änderungen meist auch ‚innere Prozesse‘ voraus: verschiedenst Gefühle/ Stimmungen ‚gegen‘ das ‚Alte‘ und solche ‚für‘ das ‚Neue‘. Sind diese ‚zufällig‘? Sind sie ‚vernünftig‘? Hat man ausschließlich auf die ‚Umgebung‘ reagiert?
10) Solange man kein klares Bild von seiner ‚inneren Welt‘ hat ist es schwer, zu sagen, ob der Klärungsprozess für eine bestimmte Entscheidung ‚rational‘ war, ‚vernünftig‘, bloß nach ‚Bauchgefühl‘, ‚angstgetrieben‘, ‚fehlgeleitet‘, eine ‚Kurzschlusshandlung‘, ’spirituell erleuchtet‘, oder was auch immer.
11) Die Frage nach einem möglichen Sinn entscheidet sich aber letztlich — wie sonst? — ausschließlich über eine Kette von solchen Entscheidungssituationen, bei denen ja oft (meistens?) auch noch andere Menschen mit deren Entscheidungen beteiligt waren. Wenn allen ihre eigenen Klärungsprozesse ‚unklar‘ sind, ist praktisch kein Sinn erkennbar. Wenn zumindest ein Beteiligter für sich einen ‚Sinn‘ in seinem Entscheiden und Verhalten erkennen kann, dann kann eine Erfahrung von Sinn und ein Reden über Sinn stattfinden. Natürlich ist dies nie ‚zwingend‘, da es letztlich eine ‚Interpretation‘ darstellt. Aber es gibt die Auffassung (sehr verbreitet in den Traditionen der Mystik (und bei Menschen mit viel Lebenserfahrung)), dass es im Bereich des ‚inneren Lebens‘ doch ‚Kriterien‘ gäbe, an denen man erkennen könnte, ob man auf ‚dem richtigen Weg‘ sei. Sollte dies zutreffen, dann wären hier möglicherweise die Ansatzpunkte für eine ‚Grammatik des Sinns‘ auf der Ebene des individuellen Lebens gegeben.
12) Über einen solchen ‚empirisch fundierten Sinn‘ gäbe es dann möglicherweise auch eine ‚Bindeglied‘ zu dem ansonsten schwer fassbaren Begriff ‚Gott‘. Was man sich unter ‚Gott‘ (jede Sprache hat ihre eigenen Bezeichnungen für das deutsche Wort ‚Gott‘: ‚deus‘, ‚elohim‘, ‚jhw‘, theos,…) vorstellen soll, ist nirgendwo definiert. Sofern es aber eine ‚Sinnerfahrung‘ auf der individuellen Ebene gibt, tangiert dieser Sinn irgendwie das Konzept Gott, da ‚Sinn‘ sich mit eben solch einer ‚wie auch immer gearteten Gott-Existenz‘ verknüpfen kann (nicht notwendigerweise muss).
13) Genauso, wie wir heute unser ‚Bewusstsein‘ besser verstehen können, weil wir das Gehirn besser verstehen, das diese Bewusstseinserfahrungen zumindest mit-verursacht, genauso kann man auch den individuellen Sinn besser verstehen, wenn man die umgebenden ‚Großprozesse‘ besser versteht, in denen wir als Lebewesen vorkommen. Die biologische Evolution hat sowohl unser Gehirn mit unserem Bewusstsein mit hervorgebracht genauso wie unsere gesamte Lebensform durch diesen Prozess entstanden ist. Wir sind keine isolierten verlorenen Punkte in der Raum-Zeit, sondern ‚Ergebnisse von komplexen Prozessen‘, Teile solcher Prozesse und zugleich ‚Hervorbringer‘ solcher Prozesse. Der individuelle Sinn lässt sich nicht von diesem Gesamtprozess ablösen. Genau sowenig wird man ‚Gott‘ (was immer damit ansonsten gemeint sein mag) verstehen können, wenn man diesen Prozess als solchen nicht versteht.
14) Dies alles vorausgesetzt entsteht ein gewisses ‚Paradox‘: einerseits ‚verschwindet‘ das Individuelle als Teil des Gesamtkontextes; andererseits realisiert sich der Gesamtprozess auch und wesentlich durch das ‚Innenleben‘ der beteiligten Akteure. Ein menschlicher Akteur kann sich im Grenzfall ‚verweigern‘ durch ‚Nichtstun‘, durch ‚Anderes Tun‘, durch ‚Freitod‘. Indem ein Mensch etwas ‚anderes‘ tut als von ihm ‚erwartet‘ wurde, kann er lokal den Prozess verändern. Beispiele dafür, dass dies zu nachhaltigen Veränderungen ganzer Gesellschaften geführt hat gibt es mehr, als man denkt. Nur einige wenige prominente Beispiele: Jesus von Nazareth, Mohammed, Galilei (und Co), Goedel und Turing, Gandhi, M.L. King, osteuropäische Revolutionen von 1989, Mandela, …. Weil diese Menschen in ihrem ‚Innenleben‘ Dinge gedacht und Gefühle zugelassen haben, die von dem allgemeinen Stil ‚abwichen‘ (= Kreativität! Politisch unkorrekt!…) , haben sie ihren Alltag verändert, und ihr Alltag hat wieder den Alltag anderer Menschen verändert, usw.
15) Wenn es einen ‚höheren/ größeren/ übergreifenden… Sinn‘ geben sollte, er kann sich nur über das Verhalten der Akteure realisieren, sofern sie ‚innere Freiheitsgrade‘ haben. Dabei sollten wir nicht vergessen, dass alle Akteure aus ‚Materie‘ bestehen, die wiederum nur eine ‚Zustandsform von Energie‘ ist, und die Energie des Universums — soweit wir heute wissen — besitzt alle denkbaren Freiheitsgrade……ein konkretes Universum wie unseres stellt in diesem Kontext mindestens eine ‚Information‘ im Sinne der Shannonschen Informationstheorie dar (z.B. ‚hochunwahrscheinliche Kombination‘), möglicherweise aber auch eine ‚Bedeutung‘ im Sinne eines semiotischen Prozesses….
16) Zu welchen Gedanken die Lektüre eines Buches mit anschließendem Gespräch so führen kann …

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WERKSTATTGESPRÄCH 14.Dezember 2013 – Rückblick

In Fortsetzung des Werkstattgesprächs vom 9.November 2013 fand sich wieder eine interessante Gruppe zusammen. Die konstruktive Atmosphäre wurde nur durch den zu kühlen Raum behindert, der uns zu einem früheren Abbruch bewegte, als geplant. Nichtsdestotrotz verlief das Gespräch lebendig und interessant.

Skizze vom Brainstorming beim Werkstattgespräch am 14.Dez.2013 (Fortsetzung vom 9.Nov.2013)
Skizze vom Brainstorming beim Werkstattgespräch am 14.Dez.2013 (Fortsetzung vom 9.Nov.2013)

Die Gedanken vom letzten Werkstattgespräch anhand der Gedankenskizze aufgreifend fokussierten die Gesprächsgruppen dieses Mal stark auf den Komplex Motivation – Gefühl – Emotion – Interesse einerseits und die Wechselwirkung dieses Komplexes mit dem Denken und dem Handeln. Ergänzt wurde dies von den Gesprächsgruppen durch den Hinweis auf das Gehirn als Sitz der vielfältigsten Bedürfnisse und Emotionen und dort wiederum unterscheidbar nach Hirnregionen, die sich verschiedenen Stadien der Gehirnentwicklung zuordnen lassen. In bestimmten Gefahrensituationen kann das Gehirn z.B. über seine Schaltungen ‚reflexartig‘ bestimmte Emotionen (‚Angst‘, ‚Flucht‘, ‚Aggression’…) aktivieren, um ein situationsgerechtes Verhalten quasi ‚aus dem Stand‘, ohne viel Reflexion, zu ermöglichen. Der Gesprächsverlauf zeigte aber, dass sich die Gesprächsteilnehmer in der Vagheit der Begriffe zu verstricken drohten, da alle die hier einschlägigen Begriffe eine sachlich bedingte ‚Unschärfe‘ mit sich bringen.

Es wurde daher an dieser Stelle eine kurze Metareflexion eingeblendet. Sie begann mit der Einblendung des Philosophischen Comic im Anschluss an das letzte Werkstattgespräch. In diesem kurzen Dialog wurde das Thema ‚Außenwelt‘ – ‚Innenwelt‘ behandelt und am Beispiel des Handy-Klingelns im Alltag verankert.

Skizze zur Übersetzung ('transduction') Energieereignissen im Kontext von von empirischen Ereignisquellen in neuronale Ereignisse. Am Beispiel des Ohres kann man ca. 6 verschiedene Übersetzungsprozesse unterscheiden, die alle hintereinander geschaltet sind
Skizze zur Übersetzung (‚transduction‘) Energieereignissen im Kontext von von empirischen Ereignisquellen in neuronale Ereignisse. Am Beispiel des Ohres kann man ca. 6 verschiedene Übersetzungsprozesse unterscheiden, die alle hintereinander geschaltet sind

Dies wurde erweitert um ein Schaubild zum Sinnesorgan ‚Ohr‘, in dem die Umwandlung der Schallenergie ‚außerhalb des Körpers‘ über fünf Transformationsstufen in ’neuronale Energie‘ in Form von wandernden elektrischen Potentialen illustriert wurde. Den wandernden elektrischen Potentialen kann man die Werte ‚1‘ und ‚0‘ zuordnen, analog den elektrischen Potentialen in den Chips der Computer. Diese Signale wandern dann von jedem Ohr in Richtung Gehirn und werden auf diesem Weg mehrfach ‚verschaltet‘ bzw. ‚verrechnet‘. Z.B. kann das Gehirn aus der Ungleichzeitigkeit von Schallereignissen am ‚linken‘ und ‚rechten‘ Ohr eine ‚Richtung‘ herausrechnen, aus welcher der Schall relativ zum Hörer kommt.

Der springende Punkt ist hier, dass die neuronale Maschinerie mit ihren ca. 100 Milliarden unverbundenen Nervenzellen als solche zwar elektrische Potentiale (und dazu gehörige diverse biochemische Prozesse) erkennen lassen, dem einzelnen Neuron als solchen kann man aber nicht ‚ansehen‘, ‚Teil‘ welcher ‚Funktion‘ es ist. Das ist analog zum Computer: die elektrischen Werte eines einzelnen logischen Gatters in einem Chip kann man messen, daran kann man aber nicht erkennen, welche ‚übergreifende Funktion‘ damit realisiert wird. Eine ‚übergreifende Funktion‘ erschließt sich nicht auf der Ebene der ‚Schalter‘, sondern nur auf einer ‚höheren‘ Ebene, einer ‚Metaebene‘. Im Fall von biologischen Systemen ist dies einmal der Bereich des ‚bewussten Erlebens (Bewusstsein)‘ und/ oder der des beobachtbaren Verhaltens.

Ein Beispiel ist unsere Fähigkeit, uns bestimmte Erlebnisse zu ‚merken‘, sie wieder ‚erinnern‘ zu können. Den konkreten Prozess des ‚Speicherns‘ und ‚Wiederfindens‘ können wir nicht ‚einsehen‘, nur seine ‚Wirkungen‘. Aus dieser Abfolge von ‚Ereignissen‘ und ‚Wiedererinnern‘ können wir versuchen, uns ein Bild zu machen, wie unser ‚Gedächtnis‘ funktioniert.

Skizze zum Zusammenhang von 'Außenweltereignissen' und 'Innenweltereignissen', sowie 'Neuronal' vs. 'Funktional', dazu die spezielle Rolle des 'bewussten Erlebens'
Skizze zum Zusammenhang von ‚Außenweltereignissen‘ und ‚Innenweltereignissen‘, sowie ‚Neuronal‘ vs. ‚Funktional‘, dazu die spezielle Rolle des ‚bewussten Erlebens‘

Dies haben einerseits viele Philosophen in der Vergangenheit versucht, aber auch, ab dem späten 19.Jahrhundert, immer mehr Psychologen (als Begründer der modernen Gedächtnisforschung gilt Ebbinghaus). Diese haben im Laufe von mehr als 100 Jahren ein ‚Modell‘ der Gedächtnisleistungen ermittelt, das grob die Komponenten ‚Sensorischer Speicher‘, ‚Kurzzeitspeicher‘ sowie ‚Langzeitspeicher‘ umfasst, mit recht komplexen internen Funktionen. Unser bewusstes Erleben (Bewusstsein) korrespondiert sehr stark mit dem ‚Kurzzeitspeicher, der auch ‚Arbeitsspeicher‘ oder ‚Arbeitsgedächtnis‘ genannt wird.

Zurück von dieser Metareflexion zum Diskussionsthema ‚Emotionen – Gefühle – …‘ deutete sich an, dass wir aus der Perspektive des Erlebens nur einen sehr begrenzten und groben Zugang zu jenen Gehirnprozessen haben, die den verschiedenen ‚Erlebnissen = Phänomenen‘ zugrunde liegen, die wir ‚Gefühl‘, ‚Emotion‘, ‚Motivation‘ usw. nennen. Und wenn diese noch durch evolutionäre ‚Erbschaften‘ ‚überlagert‘ sind, durch die das Gehirn uns aufgrund seiner Verschaltungen in bestimmte Richtungen ‚drängt‘, die wir selbst ‚gar nicht wollen‘ (Was ist ‚Wollen‘?), dann wird die Lage nicht gerade einfacher.

Soweit, stark vereinfachend, der Gesprächsprozess vom 14.Dez.2013.

Vorschau: das nächste Werkstattgespräch findet statt am Sa, 11.Januar 2013, 19:00h, im vorderen Teil von Confetti 2.0 (da ist es wärmer….:-))

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KURZNOTIZ: BEWUSSTSEIN – UM ES NICHT ZU VERGESSEN

Aufnahme vom zunehmenden Mond
Aufnahme vom zunehmenden Mond

1) Ein Bild vom zunehmenden Mond. Vom Balkon unserer Wohnung aus aufgenommen. Für mich ein heller Fleck mit einer bestimmten Form im nachtdunklen Himmel. Ich sage, dass dies der Mond sei, weil ich gelernt habe, dass andere Leute, von denen wir sagen, dass man ihnen glauben kann, gesagt haben, dass man helle Flecken am Nachthimmel mit dieser Form als ‚Mond‘ bezeichnet. Bisher mache ich dies so. Bislang gab es auch noch keinen Grund, dies anzuzweifeln. Ich konnte selbst noch nie überprüfen, ob dieser Fleck mehr ist als nur ein heller Fleck am Nachthimmel. Er könnte außerdem ‚eingebildet‘ sein, ‚fantasiert‘, ‚geträumt’… Mit meiner Kamera habe ich mehrere Bilder gemacht und tatsächlich zeigt meine Kamera auch diesen hellen Flecken auf dunklem Grund. Bislang kann meine Kamera noch keine Bilder von meinen Gedanken machen. Also spricht einiges dafür, dass dieser helle Fleck ‚da‘ ‚außerhalb von mir‘ ist… Ich habe das Kamerabild dann als Datei in den Computer geladen, eine ‚Posterisierungsoperation‘ darüber laufen lassen und eine Version vom Bild erhalten, in der man den Mond der ‚realen‘ Wahrnehmung noch erkennen kann, aber er ist ‚anders‘. In diesem ‚Anderssein‘ können wir aber immer noch das ‚Ausgangsbild‘ ‚wiedererkennen‘ (bzw. für alle die, die das Ausgangsbild noch gar nicht gesehen haben, besteht jetzt die Herausforderung, zu ‚glauben‘, dass dieses posterisierte Bild tatsächlich von einem ‚realistischen Foto‘ stammt und nicht einfach nur ein im Computer gemaltes Bild darstellt). Andererseits, was heisst schon ‚realistisches‘ Bild?
2) Ich habe den Mond mit meinen ‚Augen‘ gesehen und mit dem Bild, was die Kamera erzeugt hat. Wir wissen ja, dass die Kamera ‚in ihrem Innern‘ eine hochkomplexe Elektronik mit Software hat, die die einfallenden Lichtreize nach bestimmten Verfahren verarbeiten und dann als eine Bilddatei abspeichern. Je nachdem, welche Einstellungen ich gewählt habe, sah das Bild, das die Kamera produziert hat, ganz verschieden aus. Das, was ich dann ausgewählt habe war also auch nicht das ‚Original‘ ‚O‘ (was immer das ist), sondern eine bestimmte kameraproduzierte Version des Originals O‘ = kamera(O). Ich selbst kann mit meinen Augen das Original O anschauen wie auch jede der Kameraversionen O’_i = kamera(O). Mein ‚eigenes‘ Bild vom Original O kann ich nicht vorzeigen, ich ‚habe‘ es als meine ‚eigene‘ Wahrnehmung O* = augen(O) bzw. O* = augen(O‘). Aus den Physiklehrbüchern können wir entnehmen, dass das ‚Original‘ des Mondes, das wir am Nachthimmel sehen, auch nicht der ‚Mond selbst‘ ist, sondern jene Lichtquanten, die vom Mond herkommend durch das Weltall unsere Atmosphäre durchdringen und dann in unseren Aufgen (bzw. Fotoobjektiven) landen. Diese Lichtquanten repräsentieren eine bestimmte Struktur, bringen bestimmte physikalische Qualitäten mit sich, stehen unter bestimmten Einwirkungen, und werden dann von unseren Augen und den nachfolgenden Nervenzellen auf bestimmte Weise verarbeitet. Also etwa O = lichtmodell(Mond,X), d.h. irgendetwas, was die Physiker ‚Mond‘ nennen, dazu alle möglichen zusätzlichen Faktoren, die wir hier mal global ‚X‘ nennen, diese alle zusammen werden mit Hilfe von Lichtquanten in einer komplexen Prozedur, die wir hier global ‚lichtmodell()‘ nennen, zu dem Wahrnehmungsereignis-Auslöser ‚O‘ verarbeitet, den wir das ‚Original‘ nennen.
3) Damit erhalten wir Verarbeitungsketten wie z.B. O = lichtmodell(Mond,X) → O’_i = kamera(O) → O*_i= augen(O’_i). Und dann in unserem Körper können wir das Spielchen weiter treiben. In den Büchern der Neurowissenschaftler kann man nachlesen, dass die Lichtquanten O, die auf unser Augen treffen, erst einmal hier einem weiteren Transformationsprozess ‚augen()‘ unterworfen werden, der dazu führt, dass beim Ausgang von jedem Auge ca. 1 Million Ketten von Nervenzellen die vom Augenprozess erzeugten Impulse O* in das komplexe Netzwerk des nachgeordneten Nervensystems weiterreichen. Dort finden allerlei unterschiedliche Transformationsprozesse statt, bis ‚wir‘ irgendwann einen ‚Eindruck‘ haben, ein ‚Wahrnehmungserlebnis‘, ein ‚Phänomen‘ bewusst erleben, das wir abkürzen als Ph_emp = perc(O*).

Bewusstsein - Teil1 - Blick von Außen
Bewusstsein – Teil2 – Blick von Aussen

4) Die Überlegungen bis zu diesem Punkt sind ein bisschen so, als ob ich über mich wie über eine dritte Person (‚3rd person‘) reden würde. Ich tue so, als ob ich ‚auf mich‘ draufschauen könnte, von außen, wie ein Input-Output-System, in das irgendwelche Ereignisse ‚hineinlaufen‘ und entsprechend irgendwelche Reaktionen wieder ‚herauskommen‘, und da drin gibt es irgendeine ‚Maschinerie‘ – eine Verhaltensfunktion phi –, die dafür verantwortlich ist, was herauskommt (siehe Bild ‚Blick von Außen‘).
5) Aber das ist natürlich eine Fiktion. Ich kann nicht ‚wirklich‘ auf mich drauf schauen wie auf ein Objekt; bei anderen Menschen kann ich das. Ich kann sie anschauen, ich kann sie fotografieren, ich kann sie berühren. Mich selbst kann ich zwar berühren, aber nicht anschauen, höchstens im Spiegel, in Selbstaufnahmen mit einer Kamera.
6) Aber, wie wir wissen können, gibt es Prozessketten (z.B. O = lichtmodell(Mond,X) → O’_i = kamera(O) → O*_i= augen(O’_i) → Ph_emp = perc(O*)) aus denen hervorgeht, dass selbst das, was wir als ‚Beobachter‘ ‚direkt‘ wahrnehmen, nicht einfach die ‚Sache selbst‘ ist, sondern ein komplexes Verarbeitungsprodukt, das ‚uns‘ erst an der Stelle zugänglich wird, wo es schon ‚in unserem Körper‘ angelandet ist, wo es dort, in unserem Körper, speziell im Gehirn, hochkomplexe Verarbeitungsprozesse durchlaufen hat, bis es dann ‚uns‘ als ein ‚Objekt der Außenwelt‘ ‚erscheint‘. Anders gesagt, in dem Moment, wo ich etwas als ‚Objekt der Außenwelt‘ zur Kenntnis nehme, in dem Moment ist es schon kein Objekt der Außenwelt mehr, sondern ein hochkomplexes Verarbeitungsprodukt ‚in mir‘, das ‚Ph_emp‘! Dort, im ‚Kern‘ unseres Erlebens von Welt, sind wir nicht ‚in der Welt‘, sondern ‚in uns‘ bei ‚unseren Bildern‘ von der Welt.
7) Dies klingt auf den ersten Blick paradox: dort, wo wir glauben ‚Objekte außerhalb von uns‘ zu sehen, dort existieren wir ‚im Innern des Gehirns‘ ( wo ist ‚innen‘ im Gehirn, das aus ca. 100 Mrd einzelnen Zellen besteht, die normalerweise nicht direkt miteinander verbunden sind!!!). Die ‚Objekte außen‘ sind Konstrukte unseres Gehirns. Das ‚Außen‘ kann zwar offensichtlich unter bestimmten Bedingungen ‚Einfluss nehmen‘ (z.B. kann sich die Form des weißen Flecks, den wir Mond nennen, ändern, oder die Dunkelheit kann ‚heller‘ werden oder der Mond kann seine ‚Position‘ am Himmel ändern usw.), aber seine ‚Erscheinungsweise für uns‘ wird weitgehend vom Gehirn festgelegt (2-dimensionale Bilder werden vom Gehirn fast immer 3-dimensional interpretiert, da es ‚intern‘ so ‚ausgelegt‘ ist, dass es alle Dinge ‚im Raum‘ anordnet, auch dann, wenn gar kein Raum da ist).

Notiz zum Thema Bewusstsein - Teil2 - Wichtige Komponenten
Notiz zum Thema Bewusstsein – Teil1 – Wichtige Komponenten

8) Halten wir fest, die Ergebnisse von Wahrnehmungsprozessen Ph_emp = perc(O*) sind irgendwelche Zustände ‚im Innern des Gehirns‘, selbst dann, wenn diese inneren Zustände Ereignisse und Eigenschaften aus dem Bereich ‚außerhalb des Körpers‘ präsentieren. Wenn wir vereinfachend sagen, dass alle Zustände im Gehirn, von denen wir uns ‚bewusst‘ sein können (eine Aussage, die nur solche Systeme verstehen können, die ’sich‘ gewisser ‚interner Zustände‘ ‚bewusst‘ sein können), ‚Phänomene (Ph)‘ heißen sollen, dann wären die ‚empirischen Phänomene (Ph_emp.ext)‘ jene, die mit irgendetwas in der ‚Außenwelt korrelieren, und die ’nicht-empirischen Phänomene (Ph_nemp)‘ solche, die zwar Zustände sind, die wir ‚wahrnehmen‘ können (z.B. Zahnschmerzen), die aber nicht zur Außenwelt gehören.
9) Da wir ja bestimmte Eigenschaften des Körpers empirische untersuchen können, könnte es auch noch hilfreich sein, die Menge jener Phänomene zu identifizieren, die mit empirischen Körperereignissen korrelieren, also etwa ‚empirische Körperphänomene (Ph_emp.body)‘ ohne die Gehirnzellen. Wir hätten dann den Sachverhalt, dass die empirischen Phänomene des Körpers (ohne Gehirn) zu den empirischen Phänomenen gehören Ph_emp.body subset Ph, die empirischen Phänomene der Außenwelt zu den empirischen Phänomenen gehören Ph_emp.ext subset Ph, und dass diese beiden Mengen voneinander verschieden sind Ph_emp.body != Ph_emp.ext. Andererseits, das Gehirn selbst mit seinen einzelnen Zellen steht der empirischen Untersuchung heute auch offen und es gibt einige der empirischen Gehirnzustände, die auch bewusst sein können Ph_emp.nn subset Ph_emp. Nichtempirische Phänomene Ph_nemp wären dann alle jene Phänomene, die nicht einer der zuvor identifizierten Mengen zugehören, also Ph_nemp = Ph – Ph_emp.body u Ph_emp.ext u Ph_emp.nn. Es ist eine interessante Frage, ob die Menge der nicht-empirischen Phänomene Ph_nemp überhaupt existiert bzw. ob sie nicht grundsätzlich ‚leer‘ ist,also Ph_nemp = 0? Denn wie soll es möglich sein, dass uns irgendetwas ‚bewusst‘ ist, das nicht in irgendeiner Form mit einer physikalisch-chemischen Eigenschaft des Gehirns korreliert?
10) Mancher mag dies auf den ersten Blick als eine gewaltige Einschränkungen empfinden, dahingehend, dass unser Bewusstsein gleichsam ‚eingesperrt‘ erscheint in einem ‚Käfig von Zellen‘, gebunden an deren physikalisch-chemischen Eigenschaften. Doch kann dieser Eindruck trügen. Denn diese Zellen, letztlich komplexe Ensembles von Molekülen, diese wiederum komplexe Ensembles von Atomen, diese wiederum komplexe Ensembles von Quanten, diese wiederum komplexe Energieverteilungen im Format quantenphysikalischer Phänomene – diese ‚materiellen‘ Strukturen sind nur scheinbar eine Beschränkung. Tatsächlich und faktisch sind diese materiellen Strukturen aus quantenphysikalischer Sicht wahrscheinlichkeitsverteilte Energiefelder, deren Wechselwirkungen vielfach weder an Raum noch Zeit gebunden sind, wie wir dies aus der Makrowelt des Alltags kennen. Tatsächlich sind wir mit unseren körperlichen Strukturen floatende Gebilde, die in jedem Punkt des Körpers über Lichtjahre hinweg mit jedem Punkt im Universum korrelieren können und tatsächlich korrelieren. Die Phasenübergänge zwischen den quantenphysikalischen Vorgängen und den scheinbaren makroskopischen Konkretheiten sind alles andere als klar
und sind mit Sicherheit nicht ‚unabwendbar‘. Vor diesem Hintergrund anzunehmen, dass die bewussten Phänomene mit diversen empirisch anschaubaren materiellen Strukturen außerhalb oder im Körper korrelieren, muss also in keiner Weise eine Einschränkung darstellen, da es jenseits der Materie = Energie nach heutigem Wissensstand nichts Fassbares gibt.
11) Ein Schöpfergott, so es denn einen gibt, würde sich – im Bereich des uns bekannten Universums – irgendwo in diesem Kontinuum zwischen reiner Energie und diversen ‚Materialisierungen‘ zum Erleben geben, wenn er es täte, und ein solches ’sich zeigen‘ im Sinne von ‚kommunizieren‘ = ‚offenbaren‘ wäre auf jeden Fall ‚erlebbar‘ (es erscheint eher unwahrscheinlich, das die vielen Millionen Menschen, die bis heute ihr Leben aufgrund sogenannter ‚Gotteserfahrungen‘ geändert haben, dies alles nur aufgrund interner ‚Verwirrungen‘ getan haben (Damit meine ich nicht solche ‚Fanatiker‘, die ‚Hass‘, ‚Krieg‘ und ‚Tod‘ predigen; die haben ‚Gott‘ offensichtlich noch nicht erlebt)).

Bewusstsein - Teil3 - Nochmals von Innen
Bewusstsein – Teil3 – Nochmals von Innen

12) Es bleibt eine sehr interessante Frage. Warum tut ein Mensch ein A lieber als ein B? Solange man über diese frage nicht nachdenkt, erscheint es als normal und einfach, dass es Dinge A gibt, die man lieber tut als Dinge B.
13) Nach den bisherigen Überlegungen kann ich ja ‚bewusst‘ nur etwas tun, was in irgendeiner Form ‚in mir‘ erfahrbar ist und damit ‚gegeben‘. Wenn etwas – ein A – in mir nicht erfahrbar ist, kann ich es auch nicht ‚wollen‘.
14) Im Falle von solchen Grundbedürfnissen wie ‚Hunger‘, ‚Durst‘, ‚Müdigkeit‘, ‚Sexualität‘ wissen wir, dass es in unserem Körper ‚vorprogrammierte‘ Abläufe gibt, die spezifische ‚Bedürfniszustände‘ in uns erzeugen können, ohne dass wir dies eigens ‚wollen‘ müssen. Der Energieverbrauch des Körpers führt einfach dazu, dass der Körper ab einem bestimmten Punkte im Gehirn gewisse ‚chemische Schalter‘ umlegt, die dann einen ‚Energiemangelzustand‘ anzeigen, den wir in Form von Hunger ‚erleben‘. Wir ‚müssen‘ darauf ’nicht‘ reagieren; wir können im Nichtstun verharren und dann irgendwann aufgrund von Energiemangel sterben. Entsprechend mit den anderen Bedürfnissen (wobei ein Nichtreagieren im Falle des Sexualbedürfnisses nicht zum Tode führt; kann allerdings unter unglücklichen Umständen zu psychischen Störungen führen). Bedürfnisse können also ein ‚Grund‘ sein, dass wir ein A wollen.
15) Bei Bedürfnissen wie z.B. ‚Ehre‘, ‚Ruhm‘, ‚Macht‘, ‚Besitz‘ wird es schon schwieriger. Was sind hier die real-treibenden Faktoren, die ein ‚Verlangen nach‘ und ‚Gefallen an‘ ‚Rum‘, ‚Macht‘ usw. hervorrufen? Ganz offensichtlich sind viele Menschen dafür empfänglich. Warum? Einen einfachen Grund gibt es nicht dafür. Es gib keine Gehirnzellen, deren ‚Aktivierung‘ das Bedürfnis nach ‚Macht‘ oder ‚Ruhm‘ aktivieren.
16) Die Liste möglicher Motive, die Menschen bewegen, lieber ein A als ein B zu tun, ist sehr lange: beliebig lange?
17) Wenn die Liste der Motive so extrem viele Ausprägungen haben kann, fragt man sich natürlich, gibt es vielleicht ein paar zugrunde liegenden Prinzipien oder Eigenschaften, die für all diese unterschiedlichen Ausprägungen verantwortlich sein können? Haben wir eine Art ‚Grunddynamik‘, die uns vorantreibt?
18) Mit Blick auf den Körper mit seinen Zellen ist klar, dass dieser kontinuierlich eine Zufuhr von ‚Energie‘ benötigt, ohne die er relativ schnell in sich zusammen sacken würde. Ohne Energie geht gar nichts. Insofern stellt die Notwendigkeit des kontinuierlichen Energiegewinns mindestens ein Grundprinzip dar, das vielfach wirkt.
19) Die Frage ist, ob man damit die gesamte Motivationslage erklären kann. Der ganze Komplex Nachkommen, Fortpflanzung, stellt sicher auch noch einen wichtigen Komplex dar, der vielfältige Auswirkungen hat.
20) Aber es scheint, dass die Themen ‚Energiegewinnung‘ sowie ‚Nachkommen‘ nicht alles abdecken. Was aber kann dies X sein, das über Energiegewinnung und Nachkommen hinausgeht, und zwar als etwas ‚Reales‘, etwas, das in der gesamten Struktur des Biologischen, in der Dynamik des Lebens im Universum grundsätzlich ‚mit angelegt‘ ist, etwas, an dem kein Prozess letztlich vorbeikommt, ohne sich selber auf Dauer zu zerstören?

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DIE UNBEGREIFBARKEIT DES MENSCHEN oder DAS GEHIRN ALS SPIEGEL DES UNIVERSUMS (wegen Providerwechsel war dieser Beitrag zeitweise nicht sichtbar)

  1. Wenn man sich aufmacht in die Welt der neuen Erkenntnisse zum Universum und zum Leben, dann ist man sehr bald an einem Punkt, wo die Maschinerie des Alltags ‘bizarr’ wirkt, ‘unwirklich’, wie ein Marionettentheater von ‘Wahnsinnigen’, die sich über Dinge aufregen, die dermaßen lachhaft erscheinen, dass man nicht begreifen kann, wie solch ein Verhalten möglich ist.
  2. Aber, falsche Überheblichkeit ist fehl am Platze. Wo immer wir uns als ‘Beobachter’ wähnen stecken wir zu 100% leibhaftig genau mittendrin in diesem so ‘lächerlich erscheinendem’ Spiel. Was immer wir ‘tief in uns drinnen’ zu fühlen und zu denken meinen, so wahr es uns erscheint, so bedeutsam, gegenüber der ‘Welt da draußen’, der Welt, die wir ‘real’ nennen, so wenig wird das ‘Innere’ ‘wirksam’, ‘gestalterisch mächtig’, ‘verändernd’, solange wir keinen Weg finden, unser ‘Inneres’ mit dem ‘Äußeren’ zu ‘versöhnen’.
  3. Von daher erscheint es oft einfacher, erst gar keine Erkenntnisse zu haben. Man gerät nicht in ‘Spannung’, man spürt keine ‘Differenzen’, man sieht keine Anhaltspunkte, wo man etwas tun sollte….Das Bild von den ‘glücklichen Kühen’… Doch ist auch dies – vermute ich – eine grobe Vereinfachung. Eher scheint es so zu sein, dass alle Lebensformen, selbst die einfachsten, im ‘Medium ihrer inneren Zustände’ Äquivalente von ‘Erleben’ und ‘Leiden’ haben, die wegzudiskutieren bequem ist, aber diesen Zuständen womöglich nicht gerecht wird.
  4. Wenn man aber irgendwelche Erkenntnisse hat – und die haben wir alle, wenngleich unterschiedlich –, dann führen diese unweigerlich zu ‘Spannungen’ zu dem Bisherigen. Wie geht man damit um? Empfindet man sie als ’störend’ und ‘bedrückend’, dann wird man unzufrieden, krank,…. Empfindet man sie als ‘anregend’, ‘belebend’, ‘inspirierend’, dann fühlt man sich gut….
  5. Natürlich macht es einen Unterschied, ob neue Erkenntnisse sich eher in ‘Übereinstimmung’ mit der aktuellen Situation befinden oder eher im ‘Gegensatz’. Im letzteren Fall deuten sich Konflikte an, mögliche Änderungen des Status Quo. Sind die Menschen in der Umgebung aufgeschlossen, neugierig, unternehmungslustig, ist dies kein Problem. Herrscht dagegen ‘Bewahrung’ vor, ‘Festhalten’, Angst vor Veränderung, dann können neue Erkenntnisse zum Problem werden.
  6. Die Geschichte zeigt, dass das Neue, sofern es wirtschaftliche und politische Vorteile zu bringen scheint, eher eine Chance hat, als wenn es liebgewordene Anschauungen in Religion, Politik usw. so in Frage stellt, dass herrschende Vorteilsverhältnisse gefährdet werden (eine Glühbirne, die 100 Jahre hält, will keiner; ein Medikament, das Ursachen beseitigt anstatt Leiden zu mildern, will auch keiner; usw.).
  7. Zurück zu den neuen Erkenntnissen über das Universum und das Leben. Zurück zu unserer Welt, die in ihren konkreten Abläufen so ‘verrückt’ erscheinen kann. Was machen wir dann, wenn wir uns in dieser permanenten Spannung zwischen ‘gedanklich anderer Welt’ und ‘faktisch vorfindlicher So-Welt’ vorfinden? Müssen wir verzweifeln?
  8. Wenn man sich anschaut, wie mühsam dasjenige, was wir von heute aus als ‘Leben’ erkennen können, sich aus dem Raum der Atome und Moleküle der jungen Erde im Laufe von mehr als 3.5 Mrd Jahre herausexperimentiert hat, mit unendlichem Aufwand, unter permanentem Leiden, immer im Totalverlust (Tod) endend, dann erscheint zumindest die aktuelle Situation als ein solch unglaublicher und – vergleichsweise – ‘paradiesischer’ Zustand, dass ein – wie auch immer geartetes – Lamentieren geradezu als ’schäbig’ erscheinen mag .
  9. Andererseits, wir sind – nach allem, was wir wissen – die erste Art von Lebewesen, die ein ‘Gehirn’ besitzen, das uns in die Lage versetzt, nicht nur auf primitive Weise wahrgenommene Reize (Stimuli = S) direkt und ‘festverdrahtet’ (’reaktiv’, ‘Instinktiv’) in fixierte Antworten (Reaktionen = R) zu übersetzen, sondern wir können weit mehr. Unser Gehirn kann z.B. Ereignisse verallgemeinern, in Beziehung zu anderem setzen, kann erinnern, kann relativ zu Körperzuständen ‘bewerten’, kann ‘komplexe Modelle’ von Situationen und deren mögliche Veränderungen ‘denken’…Mit anderen Worten, unser Gehirn versetzt uns in die Lage ‘in’ unserem Körper die Welt ‘da draußen’ ‘nachzubauen’, sie ‘intern zu simulieren’ und in ‘Gedankenexperimenten’ alternative ‘mögliche Welten’ zu ‘denken’. In diesem Kontext können wir auch ein ‘Modell von uns selbst’ und ‘den Anderen’ konstruieren. Es sind diese ’selbstgemachten Bilder’ in unserem Gehirn die wir für ‘real’ halten, nicht die Welt selbst; die kennt unser Gehirn gar nicht.
  10. D.h. – soweit wir wissen — passiert heute, ca. 14,7 Mrd. Jahre nach dem sogenannten ‘Big Bang’, etwas, was innerhalb des bekannten Universums ungeheuerlich ist: im Medium der biologischen Gehirne ’schaut sich das Universum selbst an’ (wobei diese Gehirne ein ‘Produkt’ dieses Universums sind als Teil des Phänomens ‘Leben’!). D.h. das Universum schafft sich gleichsam einen ‘Spiegel’, in dem es sich selbst anschauen kann. Mehr noch, über das ‘Spiegeln’ hinaus ist ein Gehirn (und noch mehr ein ‘Verbund von Gehirnen’) in der Lage, Veränderungen ‘einzuleiten’ auf der Basis der ‘Spiegelungen’. Dies führt zum Paradox, dass das Universum einerseits im Lichte der bekannten physikalischen Gesetze eine ‘bestimmte Entwicklung’ zu nehmen scheint, während es im Medium der Gehirne ’sich selbst in Frage stellen kann’. Welch ein wahnwitziger Gedanke (allerdings bilden wir individuelle Menschen uns bislang eher ein, wir seien die Meister des Universums… eine putzige Vorstellung…).
  11. Aus Sicht des einzelnen Menschen mag dies ‘unwirklich’ erscheinen, ‘artifiziell’, aber im Gesamtkontext des Lebens im Universum ist dies ein absolut herausragendes Ereignis. Während die ‘Materiewerdung’ mit den anschließenden Ausprägungen als stellare Wolken, Sterne, Galaxien sich einigermaßen mit den Gesetzen der Physik beschreiben lassen, entzieht sich die Entstehung des Lebens als Opponentin zur Entropie und durch den ‘inneren Trend’ zur Steigerung der Komplexität bislang allen physikalischen Erklärungsversuchen. Ein Teil der Komplexität ist auch die Zunahme der Kommunikation, die zu einer Koordinierung von Gehirnen, deren ‘gedanklichen Räumen’ führt.
  12. Das Erleben von ‘mehr’ Erkenntnis und einer damit einhergehenden ‘Unruhe’, ‘Spannung’ ist also kein ‘Zufall’, keine ‘Panne’, keine ‘Störung’ sondern gehört wesentlich zum Phänomen des Lebens hinzu. Indem das Leben sich alle frei verfügbare Energien in seiner Umgebung immer mehr ‘einverleibt’ und damit Strukturen schafft, die dies immer besser können, also immer mehr Energie ‘einsammeln’ können, stellt sich die Frage, wozu das Ganze?
  13. Nach gängiger Meinung ist der ‘Big Bang’ dadurch charakterisiert, dass Energie sich in einer Weise in Materie verwandelt hat, dass daraus eben das heute bekannte Universum ‘hervorgehen’ konnte. Sterne und Galaxien sind eine Form der Zusammenballung dieser Materie (durch Gravitation, aber nicht nur (schwarze Materie?)); das uns bekannte ‘Leben’ ist auch eine Zusammenballung von Energie, aber anders. Was verstehen wir noch nicht?
  14. Die klassischen Religionen, so hilfreich sie in er Vergangenheit partiell vielleicht waren, in der heutigen Situation erscheinen sie mir wenig hilfreich, eher hinderlich. Sie verstellen den Blick und können das Herz verdunkeln. Damit will ich nicht sagen, dass auch die Gottesfrage obsolet sei. Wenn es überhaupt so etwas wie ‘Gott’ gibt, so sind wie ihm näher als je zuvor.
  15. Nur sollten wir die ‘Wahrheit’ der Erkenntnis nicht verwechseln mit dem ‘Erkenntniswunsch’. Die Bücher der alten Philosophen (alt kann bis gestern gehen..-:)) sind voll von Pseudorationalismen: man analysiert wie ein Weltmeister um letztlich dann doch nur sein eigenes Vorurteil zu rechtfertigen. Niemand ist davor gefeit; auch ich nicht.
  16. Alle bekannten Positionen muss man immer und immer wieder in Frage stellen, muss sie versuchsweise zerstören. Die ‘wahre Wahrheit’ ist das, was sich nicht zerstören lässt, sie ist das, was vor all unserem individuellen Denken schon immer da war (was nicht heißt, dass sie ‘ewig’ sein muss). Vor der Wahrheit brauchen wir daher keine Angst haben, nur vor uns selbst, vor uns Menschen, die wir unsere individuellen Unwahrheiten schützen und retten wollen, weil wir uns nicht vorstellen können, dass die wahre Wahrheit schlicht und einfach größer ist. Wir klammern uns an das bischen Leben, was wir individuell haben ohne lange zu begreifen, dass dieses ‘Bischen’ nur da ist, weil es ein größeres Ganzes gibt, durch das wir überhaupt geworden sind und in dem alles andere nur weiterlebt.
  17. Was bleibt also: viel Geduld ist notwendig und die Kunst, immer wieder sterben zu können um zu lernen, dass das Leben erst dort anfängt, wo wir oft glauben, dass es zu Ende sei. Freiwillig schaffen dies die wenigsten. Leicht ist es nicht. Transzendenz in Immanenz.
  18. Eigentlich wollte ich über etwas ganz anderes schreiben, aber so kommt es manchmal.

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DIE WAHRHEIT IST GANZ UND GAR NICHT KÄUFLICH

  1. In vorausgehenden Beiträgen (z.B. Wahrheit im Alltag (Konkrete Umstände), Gnoseologische, ontologische, teleologische Wahrheit – Fortsetzung 2 der Ueberlegungen zu N.Hartmanns Metaphysik der Erkenntnis (Erkennen als Relation O x O* –> {w,f} und die Probleme), WAHRHEIT ALS UEBERLEBENSNOTWENDIGKEIT; WEISHEIT ALS STRATEGIE (Weltanschauungen) sowie anderen) habe ich schon mehrfach Bezug genommen auf die ‚Wahrheit‘. In diesem Beitrag möchte ich einen bestimmten Aspekt herausgreifen, der eigentlich selbstverständlich ist, dessen sich aber anscheinend kaum jemand bewusst ist. Es geht um den ‚absoluten Charakter‘ von Wahrheit, der am Ende des letzten Beitrags erwähnt wird.

  2. Die exponentielle Vermehrung der Menschen seit mindestens 200 Jahren, die Überflutung des Alltags mit Varianten an Verhalten, Objekten, Anschauungen usw., die überall anzutreffenden Machtanmaßungen im Privaten, lokalen, regionalen, nationalen und globalen Bereichen, die Explosion des Wissens schlechthin können den Eindruck erwecken, als sei es letztlich beliebig, was wir tun, ‚anything goes‘, alles sei relativ da beliebig.

  3. Die täglichen Nachrichten belehren uns allerdings eines besseren (wenn wir es denn wissen wollen): das Klima kann ganze Regionen verdorren, in Wasser absaufen oder in Kälte erstarren lassen. Entsprechend lassen sich Nahrungsmittel anbauen oder nicht. Erdbeben sind zwar lokal, können aber verheerende Zerstörungen bewirken, durch die die Wirtschaft empfindliche Produktions- und Lieferausfälle zu beklagen hat. Viele Ressourcen sind endlich und knapp. Nicht erneuerbar werden sie sich absehbar erschöpfen (ein paar hundert Jahre zählen so gut wie gar nicht; in der Entwicklung des Lebens sind ein paar hundert Jahre weniger wie ein ‚Wimpernschlag‘). Abhängig von der Sonneneinstrahlung gibt es maximale Grenzen der Energieumwandlung für Nahrungsmittel, die niemand verändern kann, es sei denn, er könnte die Sonne kontrollieren (was grundsätzlich gehen würde, wenn man wüsste, wie). Der ‚Erfolg‘ des homo sapiens sapiens drängt immer mehr andere Arten zurück, löscht sie aus, biologische Arten, die aber für Kreislaufprozesse wichtig sind, von denen wir abhängen. Ihre irreversible Auslöschung entzieht uns selbst mehr und mehr den Boden, auf dem wir stehen. Darüber hinaus gibt es Wechselwirkungen zwischen einer Unzahl von Faktoren, die sich über Jahrmillionen eingespielt haben, deren Entwicklung bis zu Milliarden Jahren gedauert hat, die wir schrittweise außer Kraft setzen, beschädigen, zerstören. Diese Liste ließe sich verlängern.

  4. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass wir selbst durch und durch ein ‚Produkt‘ (!!!) eben dieser Prozesse sind, die wir so leichthändig beschädigen und zerstören. Wir haben uns nicht selbst erfunden. Wir wurden erfunden durch Prozesse, die nicht nur viele Milliarden chemische und biologische Evolution gebraucht haben, sondern zusätzlich auch noch viele Jahre einer physikalischen Evolution, von der ‚reinen Energie‘ über Atome, Gaswolken, Sonnen, Galaxien bis hin zu den Konstellationen, unter denen aller erst biologisches Leben entstehen konnte. Und die heute bekannten biologischen Lebensformen haben alle eines gemeinsam: sie verkörpern das Ergebnis des Zusammenwirkens eines (auch) zufällig arbeitenden generierenden Mechanismus (Kopieren, Mischen, Weitergeben von genetischen Informationen) mit einer ‚Leitlinie‘, nämlich der vorfindlichen Umgebung (in unserem Fall die Erde (die sich selbst allerdings im Laufe der Zeit z.T. dramatisch verändert hat!). Nur die genetischen Strukturen, die ‚hinreichend‘ zur vorfindlichen Umgebung Erde ‚passten‘, konnten ihre genetischen Produktionen fortsetzen. Dabei heißt ‚passen‘ auch ‚anpassen‘, da sich sowohl die Erde selbst als auch die Welt des Biologischen beständig ‚mit verändert‘ (Koevolution) hat (Räuber-Beute Konstellationen, Nischeneigenschaften,…).

  5. Es ist genau diese ‚Leitlinien‘-Funktion, auf die es hier ankommt. Wir sind so, wie wir sind, durch und durch für ein Leben auf dieser Erde ‚optimiert‘. Dazu gehört nicht nur die ‚Passung‘ für Sauerstoff, Klima, Tag-Nacht-Schema, bestimmte Nahrungsmittel, Erdanziehung usw., sondern auch für das Miteinander mit den anderen biologischen Formen (Pflanzen, Mikroorganismen, Tieren, andere Menschen…). D.h. wenn wir – ganz klassisch – ‚Wahrheit‘ als eine Relation auffassen wollen zwischen Organismen O die in einer Umgebung E ‚passen‘ (=wahr) oder ’nicht passen‘ (=falsch), dann besteht die physikalische/ chemische/ biologische Evolution darin, dass sie Objekte eines Komplexitätslevels O_i zu einer bestimmten Zeit in einer Umgebung E_t mittels bestimmter Konstruktionsprozesse P_i in Objekte mit einem Komplexitätslevel j i verwandelt, die überlebensfähig sind: X-evol: E x T x O_i —> E x T x O_j. Die primäre Wahrheit ist dann die Fähigkeit, zu überleben, und zwar ’nachhaltig‘!

  6. Interessant an diesem Prozess ist, dass die Überlebensfähigkeit mit der Zunahme an ‚Flexibilität‘ zunimmt. Letztere aber hängt u.a. daran, dass die jeweiligen Lebensformen im Organismus selbst (!) immer mehr über eine ‚Informationsverarbeitung‘ verfügen, die sie in die Lage versetzt, immer mehr Aspekte der Umgebung im Organismus so zu repräsentieren, dass das ‚eigene Verhalten‘ sich daran ‚orientieren‘ kann. Das immer bessere Erkennen von ‚Nahrung‘, ‚Gefahren‘, das ‚Vorwegnehmen‘ potentieller Situationen, das ‚Erfinden‘ von Hilfsmitteln, die ‚Koordinierung‘ mit anderen usw. sind unmittelbar hilfreich für das Überleben. Eine ‚Übereinstimmung‘ dieser inneren (=subjektiven) Repräsentationen mit den auslösenden externen (=empirischen, objektiven) Eigenschaften der Umgebung ist also eine fundamentale Eigenschaft dieser Informationsverarbeitung. Da die ‚Außenwelt‘ immer nur in Form der informatorisch aufbereiteten ‚Innenwelt‘ vorliegt, kann eine ‚Überprüfung‘ der ‚Korrektheit = Wahrheit‘ dieser modellierten Innenwelt immer nur indirekt geschehen durch ‚Hypothesenbildung‘: Unter der Annahme, dass die Innenwelt ’stimmt = wahr‘ ist, können mögliche ‚Folgezustände‘ ‚berechnet‘ (vorgestellt, gedacht, geplant,…) werden. Treffen diese Folgezustände dann so ein, dass die aktuelle Wahrnehmung mit der ‚erwarteten Wahrnehmung‘ ‚hinreichend übereinstimmt‘, dann kann sich der agierende Organismus bzgl. seines ‚Wissens‘ ‚bestätigt‘ fühlen. Das Wissen scheint ‚wahr‘ zu sein. Andernfalls muss er sein Wissen ‚in Frage stellen‘ oder es gar ‚verwerfen‘ (nicht bestätigt, ‚falsch‘).

  7. Es gibt damit mindestens zwei ‚Wahrheitsmechanismen‘ im Bereich des biologischen Lebens: (i) einen überindividuellen Mechanismus, der lebensfähige (= wahre) genetische Strukturen hervorgebracht hat und weiter hervorbringt; (ii) einen individuellen Mechanismus aufgrund interner Informationsverarbeitung, der im unterschiedlichen Umfang die interne ‚Kodierung‘ und ‚Manipulation‘ von externen Umwelteigenschaften zum Zwecke der Handlungssteuerung erlaubt. Dieser interne Mechanismus gewinnt seine Wahrheit aus der (begrenzten) Möglichkeit der ‚Bestätigung‘.

  8. In beiden Fällen ist aber ganz klar, dass die Organismen selbst nicht ‚im Besitz der Wahrheit‘ sind!!! Die Wahrheit als ‚Übereinstimmung‘ mit einer Vorgabe ist primär an der Vorgabe orientiert. Dies ist aktuell die Erde und das umgebende Universum. Kein Lebewesen kann diese Vorgabe für sich beanspruchen bzw. ‚außer Kraft‘ setzen. In existentialistischer Sprechweise sind wir in diesem Punkt alle in gleicher Weise ‚Geworfene‘, ‚Ausgesetzte‘. Keiner hat ‚von Natur aus‘ irgendwelche Vorrechte, mehr Rechte, Privilegien usw. (dass wir Menschen uns im Laufe der Jahrtausende ‚Pseudowerte‘ geschaffen haben wie ‚Rangstufen‘, ‚Adelshierarchien‘, ‚Kastensysteme‘, ‚Rassenideologien‘ und dergleichen mehr zeugt in erster Linie von Unwissenheit gepaart mit Machtinstinkten und Gruppenegoismen (wer per Konvention angeblich ‚besser‘ sein soll als jemand anderes hat es natürlich bequemer; er muss nicht erst beweisen, dass er tatsächlich ‚gut‘ ist). Auf Dauer sind solche falschen ‚Rankings‘ aber irreführend, falsch und damit schädlich. Sie verhindern die Entfaltung realer Potentiale, jener Potentiale, die wir alle brauchen, um die Zukunft hinreichend gut nachhaltig gestalten zu können. WAHRHEIT IST – in diesem Sinne — GANZ UND GAR NICHT KÄUFLICH.

 

 

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