Hier wieder ein kurzer Bericht zum Philosophiesommer 2016 in der Denkbar, Treffen am So 15.Mai 2016 (siehe die zugehörige Einladung)
Die Einleitung geriet etwas lang, vielleicht auch angesichts der vielen neuen Gesichter. Letztlich hielten wir aber unseren vorgeschlagenen Zeitplan ein. Sehr erfreulich war die breite Streuung der versammelten Kompetenzen, was sich dann in den Beiträgen widerspiegelte.
Ausgangspunkt war die spannungsvolle Diskussion vom letzten Treffen, bei dem zwar das Spannungsfeld Mensch einerseits, intelligente Maschinen andererseits, zur Sprache kam, wir uns aber nicht auf ein klares Thema für die Fortsetzung einigen konnten. Dies führte zur Formulierung von sechs Thesen zu Grundmerkmalen des biologischen Lebens, so wie sie sich am Beispiel des homo sapiens sapiens nach heutigem Kenntnisstand ablesen lassen. Diese Thesen sind gedacht als mögliche Orientierungspunkte für die weitere Diskussion des Spannungsfeldes Mensch – intelligente Maschinen.
STICHWORTE ZU INTELLIGENTE MASCHINEN
Analog zu den sechs Thesen zum biologischen Leben wurden ein paar Meilensteine zum Begriff der intelligenten Maschine in den Raum gestellt, an denen man das Reden über intelligente Maschinen fest machen kann.
STANDARD FÜR EINEN COMPUTER
Es wurde verwiesen auf den berühmten Artikel On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem. In: Proceedings of the London Mathematical Society. Band 42, 1937, S. 230–265, von Alan Mathison Turing (1912–– 1954), in dem er im Kontext eines mathematischen Beweises ein einfaches Gedankenkonstrukt einführte, was später zu seinen Ehren Turingmaschine genannt wurde. Dieses Gedankenkonstrukt, die Turingmaschine, ist bis heute der gedankliche Standard, die Norm, für Fragen der Entscheidbarkeit von Problemstellungen in der Computerwissenschaft. Nach heutigem Kenntnisstand kann kein realer Computer mehr als dieses gedankliche Konstrukt genannt Turingmaschine (und dies gilt auch für alle denkbaren reale Computer der Zukunft).
INTELLIGENTE MASCHINEN
Es war auch dann Turing, der 1950, als es gerade erste Ungetüme von Computer gab, die noch nicht allzu viel konnten, die Frage diskutierte, ob Computer einmal so intelligent werden könnten wie ein homo sapiens sapiens (siehe: Computing Machinery and Intelligence. In: Mind. LIX, Nr. 236, 1950, ISSN0026-4423, S. 433–460 ). Er räsonierte darüber, dass Computer, wenn sie genauso lernen dürften wie Kinder, eigentlich auch alles wissen könnten, wie Kinder. Auf dem Weg zur intelligenten Maschine sah er weniger technische Probleme, sondern soziale psychologische: Menschen werden Probleme haben, intelligenten lernende Maschinen neben sich in ihrem Alltag zu haben.
EMOTIONALE MASCHINEN
Einer der einflussreichsten und wichtigsten Wissenschaftler der künstlichen Intelligenzforschung, Marvin Minsky (1927 – 2016) veröffentlichte wenige Jahre vor seinem Tod ein Buch über die emotionale Maschine ( The Emotion Machine, Simon & Schuster, New York 2006). Es ist – formal gesehen – kein streng wissenschaftliches Buch, aber dennoch bedenkenswert, da er hier im Lichte seines Wissens durchspielt, wie man die menschlichen Erfahrungen von diversen Gefühlszuständen mit dem zu diesem Zeitpunkt bekannten Wissen über Computer rekonstruieren – sprich erzeugen – könnte. Er sieht in solch einem Projekt kein prinzipielles Problem.(Anmerkung: Es könnte interessant sein, dieses Buch zusammen mit Psychologen und Psychotherapeuten zu diskutieren (evtl. ergänzt um Gehirnforscher mit einem psychologischen Training)).
SUPERINTELLIGENZ UND WERTE
Einen weiteren Aspekt bringt der in Oxford lehrende Philosoph Nick Bostrom ins Spiel. In seinem Buch Superintelligenz (Superintelligence. Paths, Dangers, Strategies. Oxford University Press, Oxford 2014) sieht er bzgl. der Möglichkeit, super-intelligenter Maschinen grundsätzlich auch keine grundsätzliche Schwierigkeit, wohl aber in der Wertefrage: nach welchen Werten (Zielgrößen, Präferenzen) werden sich diese super-intelligenten Maschinen richten? Werden sie sich gegen den Menschen wenden? Kann der Mensch ihnen solche Werte einspeisen, die diese super-intelligente Maschinen dem Menschen wohlgesonnen sein lassen? Er selbst findet auf diese Fragen keine befriedigende Antwort. Auch wird durch seine Analysen deutlich (was Bostrom nicht ganz klar stellt), dass die Wertefrage grundsätzlich offen ist. Die Menschen selbst demonstrieren seit Jahrtausenden, dass sie keine Klarheit besitzen über gemeinsame Werte, denen alle folgen wollen.
SECHS THESEN ZUM BIOLOGISCHEN LEBEN
Angesichts des zuvor skizzierten ungebrochenen Glaubens an die Möglichkeiten einer Superintelligenz bei gleichzeitigem ungelösten Werteproblem bei den Menschen selbst stellt sich die Frage, ob wir Menschen als späte Produkte des biologischen Lebens nicht doch Eigenschaften an und in uns tragen, die mehr sind als eine beliebige Meinung. Aus der Vielzahl der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum biologischen Leben und zum homo sapiens sapiens hatte Gerd Doeben-Henisch sechs in Form von Thesen ausgewählt und der Diskussion vorangestellt.
1. KREATIVITÄT JENSEITS DES BEKANNTEN: Die Explosion des Lebens fand statt auf der Basis eines Erfolgswissens aus der Vergangenheit (repräsentiert im DNA-Molekül) ohne Wissen um die Zukunft. Inmitten eines Nicht-Wissens wurde nicht nur das erprobte Wissen aus der Vergangenheit genutzt, sondern der Reproduktionsprozess erlaubte eine Vielzahl von Alternativen, die alle im Moment des Ereignisses das radikale Risiko des Scheiterns beinhalteten. Diese basale Form der Kreativität war die Methode, Leben zu finden, und das Risiko des Scheiterns der Preis: Ohne Tod kein Leben.
2. KOOPERATION ÜBR GRENZEN HINWEG: Die Explosion des Lebens fand statt durch Erlangung der Fähigkeit, mit völlig fremden Systemen (die oft lebensbedrohlich waren) in eine Kooperation geradezu galaktischen Ausmaßes einzutreten, die eine WinWin-Situation für alle Beteiligte bildete. Das Zustandekommen solcher WinWin-Situationen war in den ersten Milliarden Jahren zufällig; der Erhalt der gefundenen Vorteile beruhte auf der grundlegenden Fähigkeit des Lebens, Erfolge zu konservieren.
3. ÜBERWINDUNG DES JETZT: Solange die biologischen Systeme nicht über Gedächtnis, Abstraktionsfähigkeit, basalem Denken verfügten, waren sie im Jetzt der Sinneseindrücke gefangen. Es gab kein Gestern und kein Morgen. Nach der Explosion des Lebens ab ca. -450 Mio Jahren kam es zu einem einzigartigen Punkt: nach 13.8 Mrd Jahren konnte sich das Leben in Gestalt der Hominiden, speziell dann des homo sapiens sapiens, plötzlich selbst anschauen und verfügte ab da über das Potential, sich selbst zu verändern.
4. KOORDINIERUNG INDIVIDUELLER VIRTUELLER WELTEN: Mit der Überschreitung des Jetzt durch interne Konstruktionen entsteht im einzelnen Individuum ein rekonstruierendes virtuelles Abbild der realen Welt. Damit die vielen einzelnen dieses virtuelle Wissen gemeinsam nutzen können, braucht es neue, leistungsfähige Formen der Koordinierung durch symbolische Kommunikation. Erfindungen wie die Sprache, die Schrift, der Buchdruck usw. belegen eindrucksvoll, was symbolische Interaktion vermag.
5. JENSEITS VON SEXUALITÄT: Während die bisherige Form der Sexualität als Strategie der Mischung genetischer Informationen kombiniert mit endogenem Handlungsdruck bei den handelnden Individuen über Jahrmillionen den Erhalt des Lebens offensichtlich ermöglicht hat, führen die neuen Lebensverhältnisse der großen Siedlungsdichten und der drohenden Überbevölkerung zur Frage, wie sich der Mensch von den endogenen Handlungsdrücken hinreichend befreien kann. Mann – Frau war gestern?
6. DYNAMIK DES BÖSEN – WO LEBT DAS GUTE: tiefsitzende Triebstrukturen im Menschen (Macht, Geld, Dünkel, …) sind seit Jahrtausenden bekannt. Mit den neuen globalen Informationstechnologien können sie sich schneller und effektiver im globalen Maßstab organisieren als nationale politische Systeme. Globale Kartelle des Machtmissbrauchs und der der Kriminalität bedrohen die neuzeitlichen Freiheitsansätze des Kreativen (neben anderen Faktoren).
FREIER DISKURS
Bei diesem breiten Spektrum des Themas war klar, dass nicht alle angesprochenen Aspekte gleichzeitig diskutiert werden konnten.
SEXUALITÄT
Die ersten Gesprächsbeiträge griffen die These zur Sexualität auf. Eher grundsätzliche Überlegungen thematisierten, dass Sexualität als ein grundlegendes und übergreifendes Prinzip zu sehen ist; die einzelnen Individuen sind hier nur – in gewisser Weise – nur ‚Marionetten‘ in dem großen Spiel des Lebens. Das Leben will überleben, der einzelne muss entsprechend funktionieren. Dass die biologisch vorgegebene eingebaute endogene Drucksituation im Laufe der Jahrtausende innerhalb der unterschiedlichen Kulturen mit ihren Wertesystemen zu vielfältigen Formen der Regulierungen geführt hat (meist zu Lasten der Frauen), ist manifest. Versuche der Menschen, die strenge Kopplung zwischen Sexualität und Reproduktion zu lockern gab es immer. Erst in neuester Zeit verfeinerten sich die Techniken, bieten sich Möglichkeit in die chemischen oder gar genetischen Prozesse einzugreifen bzw. durch die Reproduktionsmedizin die Reproduktion mehr und mehr aus dem biologischen System auszulagern. War schon immer die Anzahl der Kinder ein Indikator für den aktuellen Wohlstand, so führt heute die zunehmende Bevölkerungsdichte erneut zu Überlegungen, den bisherigen Reproduktionsmechanismus zu verändern. Für alle die neuen Maßnahmen und Technologien zur Veränderung der Reproduktion spielt der Einsatz von Computern eine immer größere Rolle. Zugleich wird der Computern für die Sexualität in Form von Sexrobotern auch immer mehr eingesetzt. Bräuchten super-intelligente Maschinen auch ein Äquivalent zur Sexualität, um sich zu vermehren?
INTELLIGENTE MASCHINEN
Die Position der intelligenten Maschinen blieb auffällig abstrakt. Was können sie eigentlich wirklich leisten? Richtig intelligente Maschinen scheint es noch nicht wirklich zu geben. Generell wurde nicht ausgeschlossen, dass super-intelligente Maschinen eine neue Variante der Evolution ermöglichen können. Haben diese super-intelligente Maschinen dann einen eigenen Willen? Würden sie aus sich heraus zu dem Punkt kommen, dass sie die Menschen abschaffen würden? Können wir den super-intelligente Maschinen solche Werte einpflanzen, dass sie den Menschen grundsätzlich wohlgesonnen sind (hier sei erinnert an die vielen geistreichen Science Fiction von Isaak Asimov (1919 – 1992), der unter anderem die Robotergesetze erfunden hatte, die genau diese Idee umsetzen sollten: menschenfreundliche Roboter ermöglichen).
NICHT SCHWARZ-WEISS DENKEN
Im Gespräch zeichnete sich auch eine Position ab, die viele Argumente auf sich vereinte, nämlich jene, die weniger konfrontativ Mensch und super-intelligente Maschinen gegenüberstellt, sondern von einer symbiotischen Wechselbeziehung ausgeht. Der Mensch entwickelt schrittweise die neuen Technologien, und in dem Masse, wie diese real erfahrbar werden, beginnt die ganze Gesellschaft, sich damit auseinander zu setzen. Systemisch gibt es damit beständige Rückkopplungen, die – falls die gesellschaftliche Dynamik (Öffentlichkeit, freie Meinung, Diskurs..) intakt ist – nach Optimierungen im Verhältnis zwischen Menschen und Maschinen sucht. Natürlich gibt es massive wirtschaftliche Interessen, die versuchen, die neuen Möglichkeiten für sich zu nutzen und versuchen, alle Vorteile einseitig zu akkumulieren; es ist dann Aufgabe der ganzen Gesellschaft, dieser Tendenz entsprechend entgegen zu wirken. Dabei kann es sehr wohl zu Neujustierungen bisheriger Normen/ Werte kommen.
WEISHEIT DES LEBENS
Wenn man bedenkt, welch ungeheuren Leistungen das biologische Leben seit 3.8 Mrd Jahren auf der Erde vollbracht hat, wie es Lebewesen mit einer gerade zu galaktischen Komplexität geschaffen hat (der Körper des homo sapiens sapiens hat nach neuen Schätzungen ca. 34 Billionen (10^12) Körperzellen (plus noch mehr Bakterien in und am Körper), die alle als Individuen im Millisekundentakt zusammenwirken, während dagegen die Milchstraße, unsere Heimatgalaxie, ca. nur 100 – 300 Mrd. Sonnen besitzt), dann kann man nicht grundsätzlich ausschließen, dass diese Leben implizit über eine ‚Weisheit‘ verfügt (man könnte auch einfach von ‚Logik‘ sprechen), die möglicherweise größer, tiefer umfassender ist, als jede denkbare Superintelligenz, weil diese, wann und wo auch immer, nicht von außerhalb des Systems entsteht, sondern innerhalb des Systems.
NÄCHSTES THEMA
Da viele Teilnehmer sagten, dass sie sich unter diesen intelligenten Maschinen immer noch nichts Rechtes vorstellen können, wurde ein anwesender Experte für intelligente Maschinen (aus der Gattung homo sapiens sapiens) gebeten, für das nächste Treffen eine kleine Einführung in die aktuelle Situation zu geben.
Ein Überblick zu allen bisherigen Themen des Philosophiesommers (und seiner Vorgänger) nach Titeln findet sich HIER.
Im Laufe seines Lebens trifft man auf sehr viele unterschiedliche Menschen. Über Körperformen, Geruchsprofile, Spracheigenschaften, Hautfarben, Verhaltensbesonderheiten, Art des Lachens oder Weinens, Essgewohnheiten, Musikvorlieben, und vielem mehr, gibt es eine große Bandbreite. Viele neigen dazu, äußerliche Besonderheiten sofort aufzugreifen, sie hoch zu stilisieren als abgrenzende Besonderheiten, als besondere Menschenklasse, als der bzw. die Anderen. Dabei sind es nur die ganz gewöhnlichen Varianten, die im biologischen Programm der Menschwerdung möglich und vorgesehen sind. Der/ die/ das Andere erweckt in vielen Menschen zudem oft spontane Ängste, weil sie instinktiv spüren, dass sie selbst, so, wie sie sind, nichts Absolutes sind, nicht die einzige Wahrheit; das sie selbst angesichts des Anderen sich auch als etwas Besonderes spüren, etwas Veränderliches, möglicherweise etwas Zufälliges, das am Selbstverständnis nagen kann: wer bin ich, wenn ich auch nur etwas Anderes für Andere bin? Wer bin ich, wenn ich auch nur etwas Zufälliges für andere bin, eine Variante?
Es ist offensichtlich, dass Menschen, von Innen getrieben, nach Fixpunkten suchen, nach Wahrheiten, nach Gewissheiten, nach Anerkennung, nach einem positiven Selbstgefühl. Menschen halten es nicht gut aus, sie mögen es nicht, wenn ihr Selbstgefühl leidet. Und selbst in schweren Formen der Erniedrigung (z.B. in der leider viel zu häufigen Realität, wenn Frauen von Männern misshandelt werden), suchen Menschen noch in der Erniedrigung eine Form der Wertschätzung heraus zu lesen: Ja, der andere quält mich, aber noch in dieser Form der Qual nimmt der andere mich doch ernst, nimmt er mich wahr, verbringt er Zeit mit mir, usw. Dieses letzte Flackern des Lebenswillens reicht zwar aus, sich über der Nulllinie zu halten, nicht aber, um das zu verändern, was Leid und Zerstörung mit sich bringt.
Dass Männer so oft Frauen misshandeln, weil Männer sich Frauen gegenüber aus vielfachen Gründen unterlegen fühlen, erscheint aber nur als eine Spielart von vielen anderen: Wenn Mitglieder einer politischen Partei wie besinnungslos auf Mitglieder anderer politischer Parteien mit Worten (und bisweilen auch Fäusten) einschlagen, dabei gebetsmühlenartig ihre Slogans wiederholen ohne dass irgend jemand näher überprüft hat, ob und wie man die Dinge auch anders sehen könnte, dann ist dies letztlich nichts anderes. Die andere Gesinnung als solche wird zum ab- und ausgrenzenden Merkmal, der Andere erscheint als direkte in Fragestellung der eigenen Position. Egal welche Parteien, ich habe noch nie erlebt, dass man mit einem aktiven Mitglied einer Partei (ob in Deutschland, Frankreich, England, den USA oder wo auch immer) bei einer Veranstaltung, wo verschiedene Vertreter präsent sind, einfach normal über mögliche Alternativen reden konnte.
Bei Religionsgemeinschaften – zumindest in ihren fundamentalistischen Teilen – ist dies nicht anders (Juden, Christen, Muslime, Buddhisten, Hindus, …). Sie alle treten auf wie Marionetten eines Einpeitschers, der nicht außen steht, sondern sich in ihr eigenes Gehirn eingenistet hat und von dort aus alles terrorisiert. Das Furchtbare, das Erschreckende daran ist eben dieses: der Einpeitscher sitzt in ihrem eigenen Gehirn und er erlaubt diesen Menschen nicht, dass sie Fragen stellen, Fragen zu sich selbst, Fragen zu ihren eigenen Anschauungen, Fragen über die Welt, Fragen dazu, wie denn das alles gekommen ist, usw. Der Einpeitscher in ihren Gehirnen ist wie ein Computervirus, der dieses Gehirn gekapert hat, es so umprogrammiert hat, dass es gegen jegliche Beeinflussung von außen immunisiert wurde. Manche gehen damit bis in ihren eigenen Tod, wie jene Ameisen, die von einem bestimmten Pilz befallen wurden, der dann mit chemischen Stoffen über das Blut das Gehirn dieser Ameise so steuert, dass sie sich Vögeln zum Fraß anbieten, damit der Pilz in diese Vögel gelangen kann. Nicht anders funktionieren die fremde Einpeitscher-Slogans im eigenen Gehirn: sie schalten diese Menschen quasi ab, machen sie zu willenlosen Werkzeugen ihres Gedankenvirus. Man erkennt diese Menschen daran, dass sie im Gespräch immer nur Slogans wiederholen und nicht mehr selbst denken können.
Wer glaubt, dass dies nur bei dummen Menschen funktioniert, der lebt in einer gefährlichen Täuschung. Der Virus der Selbstabschaltung findet sich auch bei intelligenten Menschen, und zwar nicht weniger häufig als bei sogenannten dummen Menschen (ich benutze die Begriffe ‚dumm‘ und ‚intelligent‘ normalerweise nicht, weil sie sehr oft zur Abgrenzung und Abwertung benutzt werden, aber in diesem Fall tue ich es, um genau diese Instrumentalisierung von Eigenschaften als Waffe gegen Menschen anzusprechen). Da die Welt sehr kompliziert ist und die allerwenigsten Menschen genügen Zeit haben, allen Dingen selbst soweit auf den Grund zu gehen, dass sie sich ernsthaft eine eigene Meinung bilden können, sind viele Menschen – ob sie wollen oder nicht – auf die Meinung anderer angewiesen. Davor sind auch intelligente Menschen nicht befreit. Da auch sogenannte intelligente Menschen die ganze Bandbreite menschlicher Triebe, Bedürfnisse, Emotionen, Gefühle in sich tragen (auch Eitelkeit, Machthunger usw.), angereichert mit ebenso vielen sublimen Ängsten, ist ihre Intelligenz nicht im luftleeren Raum, nicht beziehungslos, sondern steht auch permanent unter dem Andruck all dieser – vielfach unbewussten – Ängste, Triebe und Emotionen. Und, jeder einzelne, wie im Bilderbuch, nutzt seine Intelligenz um all diese unbewältigten Ängste, Triebe und Emotionen maximal zu bedienen. Wer seine Ängste, Triebe und Emotionen nicht in den Griff bekommt (Wer kennt jemanden, der dies vollständig kann?), erfindet wunderbare Geschichten (Psychologen nennen dies Rationalisieren), warum man eher das tut als etwas anderes; warum man nicht kommen konnte, weil; warum man unbedingt dorthin fahren muss, weil; warum dieser Mensch blöd ist, weil; usw. um damit die wahren Motive unangetastet zu lassen. Die große Masse der intellektuell verkleideten Geschichten ist in dieser Sicht möglicherweise Schrott, in der Politik, in der Religion, im menschlichen Zwischeneinander, in der Wirtschaft ….
In einem der vielen Gespräche, die man so führt, stand mir einmal jemand gegenüber, der ohne Zweifel hochintelligent war und sehr viel wusste. Leitmotiv seiner vielen Äußerungen war, dass die meisten Menschen dumm sind und innerlich abgeschaltet sind. Daher lohne es sich nicht, sich mit Ihnen zu beschäftigen. Dabei fand er nichts dabei, dass er selbst immer wieder die gleichen Argumentationsfiguren wiederholte und bei Nachfrage, nach seinen Voraussetzungen tatsächlich erregt wurde, weil seine Kronzeugen nicht anzugreifen waren; seine eigenen Kronzeugen waren eben einfach wahr. Wer war hier abgeschaltet? War dies auch eine Strategie, um sich von der Vielfalt des Lebens mit Begründung abschotten zu können? Im Gespräch ging es fast nur um die Unterwerfung unter seine Prämissen; ein neugieriges Hinhören oder spielerisches Umgehen mit Varianten war im Ansatz trotz vielfacher Angebote meinerseits ausgeschlossen. Dieses Verhalten wirkte auf mich wie eine massive Selbstabschaltung vor der Vielfalt und dem Reichtum des Lebens, insbesondere auch als eine massive Selbstabschaltung vor den eigenen Abgründen und Möglichkeiten.
Dieses sehr verbreitete Phänomen der Selbstabschaltung der Menschen von der Welt, von den anderen Menschen, vor sich selbst, ist gepaart mit einerseits einer unkritischen Überhöhung jener Positionen, die man (wie intelligent man auch sein mag) als für sich als wahr übernommen hat, und zugleich einer fast fanatischen Verteuflung von allem anderen. Wie eine Menschheit, die am Virus der Selbstabschaltung leidet, die sich nähernde Zukunft meistern soll, ist schwer zu sehen. Bislang haben die impliziten Kräfte der biologischen Evolution lebensunfähige Strukturen aussortiert. Das hat oft viele Millionen Jahre, wenn nicht hunderte von Millionen Jahren gedauert. Durch die Transformierung der Realität in das symbolische Denken von Gehirnen, erweitert um Kulturtechniken des Wissens, zuletzt durch Computer, Netzwerke und Datenbanken, hat es der homo sapiens geschafft, sich von diesem sehr langsamen Gang der bisherigen Form der Evolution zu befreien. Im Prinzip kann die Menschheit mit ihren Wissenstechniken die Erde, das Weltall, die Evolution denkerisch nachempfinden, nach analysieren, selber mögliche Zukünfte durchspielen und dann versuchen, durch eigenes Verhalten zu beschleunigen. Wenn nun aber dieses Denken eingebettet ist in eine unbewältigte Struktur von Ängsten, Trieben und Emotionen aus der Frühzeit des Lebens, ohne dass genau dafür neue leistungsfähige Kulturtechniken gefunden wurden, dann wirken all diese neuen analytischen Errungenschaften wie ein Panzer, der von einem kleinen Baby gesteuert wird mitten in einer belebten Stadt. Dies wirkt nicht wie ein Erfolgsrezept.
Da das Universum ohne unsere Zutun entstanden ist, unsere Milchstraße, unser Sonnensystem, unsere Erde, das biologische Leben, wir alle, besteht vielleicht ein wenig Hoffnung, das in diesem – für uns nur schwer zu durchschauenden – Chaos Elemente vorhanden sind, implizite Dynamiken, die wir (dank unseres Selbstabschaltungsvirus?) bislang noch nicht entdeckt haben. Leider ist das, was viele offizielle Religionen als Lösungsmuster propagieren, offensichtlich nicht das, was uns hilft. Die meisten institutionalisierten Religionen erscheinen selbst als Teil des Problems.
Man darf gespannt sein. Ich bin es. Höchstwahrscheinlich werde ich in meinem Leben nicht mehr erleben können, ob und wie die Menschheit ihre eigene Selbstabschaltung in den Griff bekommt.
Einen Überblick zu allen Beträgen in diesem Blog von cagent nach Titeln findet sich HIER.
Im Rahmen der interdisziplinären Ringvorlesung Grenzen (Wintersemester 2015/16) an der Universität Passau (organisiert von der Deutsche Gesellschaft für Semiotik (DGS) e.V. in Kooperation mit der Professur für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Mediensemiotik (Prof. Dr. Jan-Oliver Decker und Dr. Stefan Halft) hatte ich einen Vortrag angenommen mit dem Titel Semiotik und künstliche Intelligenz. Ein vielversprechendes Team. Wie immer halte ich Vorträge immer zu Fragen, die ich bis dahin noch nicht ausgearbeitet hatte und nutze diese Herausforderung, es dann endlich mal zu tun.
Die Atmosphäre beim Vortrag war sehr gut und die anschließenden Gespräche brachte viele interessanten Aspekte zutage, was wir im Rahmen der DGS noch tun sollten/ könnten, um das Thema weiter zu vertiefen.
MOTIV – WARUM DIESES THEMA
Angesichts der vielfältigen Geschichte der Semiotik könnte man natürlich ganze Abende nur mit Geschichten über die Semiotik füllen. Desgleichen im Fall der künstlichen Intelligenz [KI]. Der Auslöser für das Thema war dann auch der spezielle Umstand, dass im Bereich der KI seit etwa den 80iger Jahren des 20.Jahrhunderts in einigen Forschungsprojekten das Thema Semiotik ganz neu auftaucht, und nicht als Randthema sondern verantwortlich für die zentralen Begriffe dieser Forschungen. Gemeint sind die berühmten Roboterexperimente von Luc Steels (ähnlich auch aufgegriffen von anderen, z.B. Paul Vogt) (siehe Quellen unten).
Unter dem Eindruck großer Probleme in der klassischen KI, die aus einem mangelnden direkten Weltbezug resultierten (das sogenannte grounding Problem) versuchte Steels, Probleme des Zeichen- und Sprachlernens mit Hilfe von Robotern zu lösen, die mit ihren Sensoren direkten Kontakt zur empirischen Welt haben und die mit ihren Aktoren auch direkt auf die Welt zurück wirken können. Ihre internen Verarbeitungsprozesse können auf diese Weise abhängig gemacht werden (eine Form von grounding) von der realen Welt (man spricht hier auch von embodied intelligence).
Obwohl Steels (wie auch Vogt) auf ungewöhnliche Weise grundlegende Begriffe der Semiotik einführen, wird dieser semiotische Ansatz aber nicht weiter reflektiert. Auch findet nicht wirklich eine Diskussion des Gesamtansatzes statt, der aus dieser Kombination von Semiotik und Robotik/ KI entsteht bzw. entstehen könnte. Dies ist schade. Der Vortrag Semiotik und künstliche Intelligenz. Ein vielversprechendes Team stellt einen Versuch dar, heraus zu arbeiten, warum die Kombination Semiotik und KI nicht nur Sinn macht, sondern eigentlich das Zeug hätte, zu einem zentralen Forschungsparadigma für die Zukunft zu werden. Tatsächlich liegt dem Emerging Mind Projekt, das hier im Blog schon öfters erwähnt wurde und am 10.November 2015 offiziell eröffnet werden wird, genau dieses Semiotik-KI-Paradigma zugrunde.
WELCHE SEMIOTIK?
Wer Wörterbücher zur Semiotik aufschlägt (z.B. das von Noeth 2000), wird schnell bemerken, dass es eine große Vielfalt von Semiotikern, semiotischen Blickweisen, Methoden und Theorieansätze gibt, aber eben nicht die eine große Theorie. Dies muss nicht unbedingt negativ sein, zumal dann nicht, wenn wir ein reiches Phänomen vor uns haben, das sich eben einer einfachen Theoriebildung widersetzt. Für die Praxis allerdings, wenn man Semiotik in einer realen Theoriebildung einsetzen möchte, benötigt man verbindliche Anknüpfungspunkte, auf die man sich bezieht. Wie kann man solch eine Entscheidung motivieren?
Aus der Sicht der Wissenschaftsphilosophie biete es sich an, die unterschiedlichen Zugangsweisen zur Erfahrung und und Beschreibung von Wirklichkeit als quasi Koordinatensystem zu wählen, diesem einige der bekanntesten semiotischen Ansätze zu zuordnen und dann zu schaue, welche dieser semiotischen Positionen der Aufgabenstellung am nächsten kommen. Von einer Gesamttheorie her betrachtet sind natürlich alle Ansätze wichtig. Eine Auswahl bzw. Gewichtung kann nur pragmatische Gründe haben.
ZUGÄNGE ZUR WIRKLICHKEIT
Grundsätzlich gibt es aus heutiger Sicht zwei Zugangsweisen: über den intersubjektiven (empirischen) Bereich und über das subjektive Erleben.
Innerhalb des empirischen Bereichs gab es lange Zeit nur den Bereich des beobachtbaren Verhaltens [SR] (in der Psychologie) ohne die inneren Zustände des Systems; seit ca. 50-60 Jahren eröffnen die Neurowissenschaften auch einen Zugriff auf die Vorgänge im Gehirn. Will man beide Datenbereiche korrelieren, dann gerät man in das Gebiet der Neuropsychologie [NNSR].
Der Zugang zur Wirklichkeit über den subjektiven Bereich – innerhalb der Philosophie auch als phänomenologischer Zugang bekannt – hat den Vorteil einer Direktheit und Unmittelbarkeit und eines großen Reichtums an Phänomenen.
Was den meisten Menschen nicht bewusst ist, ist die Tatsache, dass die empirischen Phänomene nicht wirklich außerhalb des Bewusstseins liegen. Die Gegenstände in der Zwischenkörperzone (der empirische Bereich) sind als Gegenstände zwar (was wir alle unterstellen) außerhalb des Bewusstseins, aber die Phänomene, die sie im Bewusstsein erzeugen, sind nicht außerhalb, sondern im Bewusstsein. Das, was die empirischen Phänomene [PH_em] von den Phänomenen, unterscheidet, die nicht empirisch [PH_nem] sind, ist die Eigenschaft, dass sie mit etwas in der Zwischenkörperwelt korrespondieren, was auch von anderen Menschen wahrgenommen werden kann. Dadurch lässt sich im Falle von empirischen Phänomenen relativ leicht Einigkeit zwischen verschiedenen Kommunikationsteilnehmern über die jeweils korrespondierenden Gegenstände/ Ereignisse erzielen.
Bei nicht-empirischen Phänomenen ist unklar, ob und wie man eine Einigkeit erzielen kann, da man nicht in den Kopf der anderen Person hineinschauen kann und von daher nie genau weiß, was die andere Person meint, wenn sie etwas Bestimmtes sagt.
Die Beziehung zwischen Phänomenen des Bewusstseins [PH] und Eigenschaften des Gehirns – hier global als NN abgekürzt – ist von anderer Art. Nach heutigem Wissensstand müssen wir davon ausgehen, dass alle Phänomene des Bewusstseins mit Eigenschaften des Gehirns korrelieren. Aus dieser Sicht wirkt das Bewusstsein wie eine Schnittstelle zum Gehirn. Eine Untersuchung der Beziehungen zwischen Tatsachen des Bewusstseins [PH] und Eigenschaften des Gehirns [NN] würde in eine Disziplin fallen, die es so noch nicht wirklich gibt, die Neurophänomenologie [NNPH] (analog zur Neuropsychologie).
Der Stärke des Bewusstseins in Sachen Direktheit korrespondiert eine deutliche Schwäche: im Bewusstsein hat man zwar Phänomene, aber man hat keinen Zugang zu ihrer Entstehung! Wenn man ein Objekt sieht, das wie eine Flasche aussieht, und man die deutsche Sprache gelernt hat, dann wird man sich erinnern, dass es dafür das Wort Flasche gibt. Man konstatiert, dass man sich an dieses Wort in diesem Kontext erinnert, man kann aber in diesem Augenblick weder verstehen, wie es zu dieser Erinnerung kommt, noch weiß man vorher, ob man sich erinnern wird. Man könnte in einem Bild sagen: das Bewusstsein verhält sich hier wie eine Kinoleinwand, es konstatiert, wenn etwas auf der Leinwand ist, aber es weiß vorher nicht, ob etwas auf die Leinwand kommen wird, wie es kommt, und nicht was kommen wird. So gesehen umfasst das Bewusstsein nur einen verschwindend kleinen Teil dessen, was wir potentiell wissen (können).
AUSGEWÄHLTE SEMIOTIKER
Nach diesem kurzen Ausflug in die Wissenschaftsphilosophie und bevor hier einzelne Semiotiker herausgegriffen werden, sei eine minimale Charakterisierung dessen gegeben, was ein Zeichen sein soll. Minimal deshalb, weil alle semiotischen Richtungen, diese minimalen Elemente, diese Grundstruktur eines Zeichens, gemeinsam haben.
Diese Grundstruktur enthält drei Komponenten: (i) etwas, was als Zeichenmaterial [ZM] dienen kann, (ii) etwas, das als Nichtzeichenmaterial [NZM] fungieren kann, und (iii) etwas, das eine Beziehung/ Relation/ Abbildung Z zwischen Zeichen- und Nicht-Zeichen-Material in der Art repräsentiert, dass die Abbildung Z dem Zeichenmaterial ZM nicht-Zeichen-Material NZM zuordnet. Je nachdem, in welchen Kontext man diese Grundstruktur eines Zeichens einbettet, bekommen die einzelnen Elemente eine unterschiedliche Bedeutung.
Morris, der jüngste von den Dreien, ist im Bereich eines empirischen Verhaltensansatzes zu positionieren, der dem verhaltensorientierten Ansatz der modernen empirischen Psychologie nahe kommt. In diesem verhaltensbasierten Ansatz kann man die Zeichengrundstruktur so interpretieren, dass dem Zeichenmaterial ZM etwas in der empirischen Zwischenwelt korrespondiert (z.B. ein Laut), dem Nicht-Zeichen-Material NZM etwas anderes in der empirischen Außenwelt (ein Objekt, ein Ereignis, …), und die Zeichenbeziehung Z kommt nicht in der empirischen Welt direkt vor, sondern ist im Zeichenbenutzer zu verorten. Wie diese Zeichenbeziehung Z im Benutzer tatsächlich realisiert ist, war zu seiner Zeit empirische noch nicht zugänglich und spielt für den Zeichenbegriff auch weiter keine Rolle. Auf der Basis von empirischen Verhaltensdaten kann die Psychologie beliebige Modellannahmen über die inneren Zustände des handelnden Systems machen. Sie müssen nur die Anforderung erfüllen, mit den empirischen Verhaltensdaten kompatibel zu sein. Ein halbes Jahrhundert nach Morris kann man anfangen, die psychologischen Modellannahmen über die Systemzustände mit neurowissenschaftlichen Daten abzugleichen, sozusagen in einem integrierten interdisziplinären neuropsychologischen Theorieansatz.
Saussure, der zweit Jüngste von den Dreien hat als Sprachwissenschaftler mit den Sprachen primär ein empirisches Objekt, er spricht aber in seinen allgemeinen Überlegungen über das Zeichen in einer bewusstseinsorientierten Weise. Beim Zeichenmaterial ZM spricht er z.B. von einem Lautbild als einem Phänomen des Bewusstseins, entsprechend von dem Nicht-Zeichenmaterial auch von einer Vorstellung im Bewusstsein. Bezüglich der Zeichenbeziehung M stellt er fest, dass diese außerhalb des Bewusstseins liegt; sie wird vom Gehirn bereit gestellt. Aus Sicht des Bewusstseins tritt diese Beziehung nur indirekt in Erscheinung.
Peirce, der älteste von den Dreien, ist noch ganz in der introspektiven, phänomenologischen Sicht verankert. Er verortet alle drei Komponenten der Zeichen-Grundstruktur im Bewusstsein. So genial und anregend seine Schriften im einzelnen sind, so führt diese Zugangsweise über das Bewusstsein zu großen Problemen in der Interpretation seiner Schriften (was sich in der großen Bandbreite der Interpretationen ausdrückt wie auch in den nicht selten geradezu widersprüchlichen Positionen).
Für das weitere Vorgehen wird in diesem Vortrag der empirische Standpunkt (Verhalten + Gehirn) gewählt und dieser wird mit der Position der künstlichen Intelligenz ins Gespräch gebracht. Damit wird der direkte Zugang über das Bewusstsein nicht vollständig ausgeschlossen, sondern nur zurück gestellt. In einer vollständigen Theorie müsste man auch die nicht-empirischen Bewusstseinsdaten integrieren.
SPRACHSPIEL
Ergänzend zu dem bisher Gesagten müssen jetzt noch drei weitere Begriffe eingeführt werden, um alle Zutaten für das neue Paradigma Semiotik & KI zur Verfügung zu haben. Dies sind die Begriffe Sprachspiel, Intelligenz sowie Lernen.
Der Begriff Sprachspiel wird auch von Luc Steels bei seinen Roboterexperimenten benutzt. Über den Begriff des Zeichens hinaus erlaubt der Begriff des Sprachspiels den dynamischen Kontext des Zeichengebrauchs besser zu erfassen.
Steels verweist als Quelle für den Begriff des Sprachspiels auf Ludwig Josef Johann Wittgenstein (1889-1951), der in seiner Frühphase zunächst die Ideen der modernen formalen Logik und Mathematik aufgriff und mit seinem tractatus logico philosophicus das Ideal einer am logischen Paradigma orientierten Sprache skizzierte. Viele Jahre später begann er neu über die normale Sprache nachzudenken und wurde sich selbst zum schärfsten Kritiker. In jahrelangen Analysen von alltäglichen Sprachsituationen entwickelte er ein facettenreiches Bild der Alltagssprache als ein Spiel, in dem Teilnehmer nach Regeln Zeichenmaterial ZM und Nicht-Zeichen-Material NZM miteinander verknüpfen. Dabei spielt die jeweilige Situation alsKontext eine Rolle. Dies bedeutet, das gleiche Zeichenmaterial kann je nach Kontext unterschiedlich wirken. Auf jeden Fall bietet das Konzept des Sprachspiels die Möglichkeit, den ansonsten statischen Zeichenbegriff in einen Prozess einzubetten.
Aber auch im Fall des Sprachspielkonzepts benutzt Steels zwar den Begriff Sprachspiel, reflektiert ihn aber nicht soweit, dass daraus ein explizites übergreifendes theoretisches Paradigma sichtbar wird.
Für die Vision eines neuen Forschungsparadigmas Semiotik & KI soll also in der ersten Phase die Grundstruktur des Zeichenbegriffs im Kontext der empirischen Wissenschaften mit dem Sprachspielkonzept von Wittgenstein (1953) verknüpft werden.
INTELLIGENZ
Im Vorfeld eines Workshops der Intelligent Systems Division des NIST 2000 gab es eine lange Diskussion zwischen vielen Beteiligten, wie man denn die Intelligenz von Maschinen messen sollte. In meiner Wahrnehmung verhedderte sich die Diskussion darin, dass damals nach immer neuen Klassifikationen und Typologien für die Architektur der technischen Systeme gesucht wurde, anstatt das zu tun, was die Psychologie schon seit fast 100 Jahren getan hatte, nämlich auf das Verhalten und dessen Eigenschaften zu schauen. Ich habe mich in den folgenden Jahren immer wieder mit der Frage des geeigneten Standpunkts auseinandergesetzt. In einem Konferenzbeitrag von 2010 (zusammen mit anderen, insbesondere mit Louwrence Erasmus) habe ich dann dafür argumentiert, das Problem durch Übernahme des Ansatzes der Psychologie zu lösen.
Die Psychologie hatte mit Binet (1905), Stern (1912 sowie Wechsler (1939) eine grundsätzliche Methode gefunden hatte, die Intelligenz, die man nicht sehen konnte, indirekt durch Rückgriff auf Eigenschaften des beobachtbaren Verhaltens zu messen (bekannt duch den Begriff des Intelligenz-Quotienten, IQ). Die Grundidee bestand darin, dass zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Kultur bestimmte Eigenschaften als charakteristisch für ein Verhalten angesehen werden, das man allgemein als intelligent bezeichnen würde. Dies impliziert zwar grundsätzlich eine gewisse Relativierung des Begriffs Intelligenz (was eine Öffnung dahingehend impliziert, dass zu anderen Zeiten unter anderen Umständen noch ganz neue Eigenschaftskomplexe bedeutsam werden können!), aber macht Intelligenz grundsätzlich katalogisierbar und damit messbar.
Ein Nebeneffekt der Bezugnahme auf Verhaltenseigenschaften findet sich in der damit möglichen Nivellierung der zu messenden potentiellen Strukturen in jenen Systemen, denen wir Intelligenz zusprechen wollen. D.h. aus Sicht der Intelligenzmessung ist es egal ob das zu messende System eine Pflanze, ein Tier, ein Mensch oder eine Maschine ist. Damit wird – zumindest im Rahmen des vorausgesetzten Intelligenzbegriffs – entscheidbar, ob und in welchem Ausmaß eine Maschine möglicherweise intelligent ist.
Damit eignet sich dieses Vorgehen auch, um mögliche Vergleiche zwischen menschlichem und maschinellem Verhalten in diesem Bereich zu ermöglichen. Für das Projekt des Semiotk & KI-Paradigmas ist dies sehr hilfreich.
LERNEN
An dieser Stelle ist es wichtig, deutlich zu machen, dass Intelligenz nicht notwendigerweise ein Lernen impliziert und Lernen nicht notwendigerweise eine Intelligenz! Eine Maschine (z.B. ein schachspielender Computer) kann sehr viele Eigenschaften eines intelligenten Schachspielers zeigen (bis dahin, dass der Computer Großmeister oder gar Weltmeister besiegen kann), aber sie muss deswegen nicht notwendigerweise auch lernfähig sein. Dies ist möglich, wenn erfahrene Experten hinreichend viel Wissen in Form eines geeigneten Programms in den Computer eingeschrieben haben, so dass die Maschine aufgrund dieses Programms auf alle Anforderungen sehr gut reagieren kann. Von sich aus könnte der Computer dann nicht dazu lernen.
Bei Tieren und Menschen (und Pflanzen?) gehen wir von einer grundlegenden Lernfähigkeit aus. Bezogen auf das beobachtbare Verhalten können wir die Fähigkeit zu Lernen dadurch charakterisieren, dass ein System bis zu einem Zeitpunkt t bei einem bestimmten Reiz s nicht mit einem Verhalten r antwortet, nach dem Zeitpunkt t aber dann plötzlich doch, und dieses neue Verhalten über längere Zeit beibehält. Zeigt ein System eine solche Verhaltensdynamik, dann darf man unterstellen, dass das System in der Lage ist, seine inneren Zustände IS auf geeignete Weise zu verändern (geschrieben: phi: I x IS —> IS x O (mit der Bedeutung I := Input (Reize, Stimulus s), O := Output (Verhaltensantworten, Reaktion r), IS := interne Zustände, phi := Name für die beobachtbare Dynamik).
Verfügt ein System über solch eine grundlegende Lernfähigkeit (die eine unterschiedlich reiche Ausprägung haben kann), dann kann es sich im Prinzip alle möglichen Verhaltenseigenschaften aneignen/ erwerben/ erlernen und damit im oben beschriebenen Sinne intelligent werden. Allerdings gibt es keine Garantie, dass eine Lernfähigkeit notwendigerweise zu einer bestimmten Intelligenz führen muss. Viele Menschen, die die grundsätzliche Fähigkeit besitzen, Schachspielen oder Musizieren oder Sprachen zu lernen, nutzen diese ihre Fähigkeiten niemals aus; sie verzichten damit auf Formen intelligenten Verhaltens, die ihnen aber grundsätzlich offen stehen.
Wir fordern also, dass die Lernfähigkeit Teil des Semiotik & KI-Paradigmas sein soll.
LERNENDE MASCHINEN
Während die meisten Menschen heute Computern ein gewisses intelligentes Verhalten nicht absprechen würden, sind sie sich mit der grundlegenden Lernfähigkeit unsicher. Sind Computer im echten Sinne (so wie junge Tiere oder menschliche Kinder) lernfähig?
Um diese Frage grundsätzlich beantworten zu können, müsste man ein allgemeines Konzept von einem Computer haben, eines, das alle heute und in der Zukunft existierende und möglicherweise in Existenz kommende Computer in den charakteristischen Eigenschaften erschöpfend beschreibt. Dies führt zur Vor-Frage nach dem allgemeinsten Kriterium für Computer.
Historisch führt die Frage eigentlich direkt zu einer Arbeit von Turing (1936/7), in der er den Unentscheidbarkeitsbeweis von Kurt Gödel (1931) mit anderen Mitteln nochmals nachvollzogen hatte. Dazu muss man wissen, dass es für einen formal-logischen Beweis wichtig ist, dass die beim Beweis zur Anwendung kommenden Mittel, vollständig transparent sein müssen, sie müssen konstruktiv sein, was bedeutet, sie müssen endlich sein oder effektiv berechenbar. Zum Ende des 19.Jh und am Anfang des 20.Jh gab es zu dieser Fragestellung eine intensive Diskussion.
Turing wählte im Kontrast zu Gödel keine Elemente der Zahlentheorie für seinen Beweis, sondern nahm sich das Verhalten eines Büroangestellten zum Vorbild: jemand schreibt mit einem Stift einzelne Zeichen auf ein Blatt Papier. Diese kann man einzeln lesen oder überschreiben. Diese Vorgabe übersetze er in die Beschreibung einer möglichst einfachen Maschine, die ihm zu Ehren später Turingmaschine genannt wurde (für eine Beschreibung der Elemente einer Turingmaschine siehe HIER). Eine solche Turingmaschine lässt sich dann zu einer universellen Turingmaschine [UTM] erweitern, indem man das Programm einer anderen (sekundären) Turingmaschine auf das Band einer primären Turingmaschine schreibt. Die primäre Turingmaschine kann dann nicht nur das Programm der sekundären Maschine ausführen, sondern kann es auch beliebig abändern.
In diesem Zusammenhang interessant ist, dass der intuitive Begriff der Berechenbarkeit Anfang der 30ige Jahre des 20.Jh gleich dreimal unabhängig voneinander formal präzisiert worden ist (1933 Gödel und Herbrand definierten die allgemein rekursiven Funktionen; 1936 Church den Lambda-Kalkül; 1936 Turing die a-Maschine für ‚automatische Maschine‘, später Turing-Maschine). Alle drei Formalisierungen konnten formal als äquivalent bewiesen werden. Dies führte zur sogenannten Church-Turing These, dass alles, was effektiv berechnet werden kann, mit einem dieser drei Formalismen (also auch mit der Turingmaschine) berechnet werden kann. Andererseits lässt sich diese Church-Turing These selbst nicht beweisen. Nach nunmehr fast 80 Jahren nimmt aber jeder Experte im Feld an, dass die Church-Turing These stimmt, da bis heute keine Gegenbeispiele gefunden werden konnten.
Mit diesem Wissen um ein allgemeines formales Konzept von Computern kann man die Frage nach der generellen Lernfähigkeit von Computern dahingehend beantworten, dass Computer, die Turing-maschinen-kompatibel sind, ihre inneren Zustände (im Falle einer universellen Turingmaschine) beliebig abändern können und damit die Grundforderung nach Lernfähigkeit erfüllen.
LERNFÄHIGE UND INTELLIGENTE MASCHINEN?
Die Preisfrage stellt sich, wie eine universelle Turingmaschine, die grundsätzlich lernfähig ist, herausfinden kann, welche der möglichen Zustände interessant genug sind, um damit zu einem intelligenten Verhalten zu kommen?
Diese Frage nach der möglichen Intelligenz führt zur Frage der verfügbaren Kriterien für Intelligenz: woher soll eine lernfähige Maschine wissen, was sie lernen soll?
Im Fall biologischer Systeme wissen wir mittlerweile, dass die lernfähigen Strukturen als solche dumm sind, dass aber durch die schiere Menge an Zufallsexperimenten ein Teil dieser Experimente zu Strukturen geführt hat, die bzgl. bestimmter Erfolgskriterien besser waren als andere. Durch die Fähigkeit, die jeweils erfolgreichen Strukturen in Form von Informationseinheiten zu speichern, die dann bei der nächsten Reproduktion erinnert werden konnten, konnten sich die relativen Erfolgebehaupten.
Turing-kompatible Computer können speichern und kodieren, sie brauchen allerdings noch Erfolgskriterien, um zu einem zielgerichtete Lernen zu kommen.
LERNENDE SEMIOTISCHE MASCHINEN
Mit all diesen Zutaten kann man jetzt lernende semiotische Maschinen konstruieren, d.h. Maschinen, die in der Lage sind, den Gebrauch von Zeichen im Kontext eines Prozesses, zu erlernen. Das dazu notwendige Verhalten gilt als ein Beispiel für intelligentes Verhaltens.
Es ist hier nicht der Ort, jetzt die Details solcher Sprach-Lern-Spiele auszubreiten. Es sei nur soviel gesagt, dass man – abschwächend zum Paradigma von Steels – hier voraussetzt, dass es schon mindestens eine Sprache L und einen kundigen Sprachteilnehmer gibt (der Lehrer), von dem andere Systeme (die Schüler), die diese Sprache L noch nicht kennen, die Sprache L lernen können. Diese Schüler können dann begrenzt neue Lehrer werden.
Zum Erlernen (Training) einer Sprache L benötigt man einen definierten Kontext (eine Welt), in dem Lehrer und Schüler auftreten und durch Interaktionen ihr Wissen teilen.
In einer Evaluationsphase (Testphase), kann dann jeweils überprüft werden, ob die Schüler etwas gelernt haben, und wieviel.
Den Lernerfolge einer ganzen Serie von Lernexperimenten (ein Experiment besteht aus einem Training – Test Paar) kann man dann in Form einer Lernkurve darstellen. Diese zeigt entlang der Zeitachse, ob die Intelligenzleistung sich verändert hat, und wie.
Gestaltet man die Lernwelt als eine interaktive Softwarewelt, bei der Computerprogramme genauso wie Roboter oder Menschen mitwirken können, dann kann man sowohl Menschen als Lehrer benutzen wie auch Menschen im Wettbewerb mit intelligenten Maschinen antreten lassen oder intelligente Maschinen als Lehrer oder man kann auch hybride Teams formen.
Die Erfahrungen zeigen, dass die Konstruktion von intelligenten Maschinen, die menschenähnliche Verhaltensweisen lernen sollen, die konstruierenden Menschen dazu anregen, ihr eigenes Verhalten sehr gründlich zu reflektieren, nicht nur technisch, sondern sogar philosophisch.
EMERGING MIND PROJEKT
Die zuvor geschilderten Überlegungen haben dazu geführt, dass ab 10.November 2015 im INM Frankfurt ein öffentliches Forschungsprojekt gestartet werden soll, das Emerging Mind Projekt heißt, und das zum Ziel hat, eine solche Umgebung für lernende semiotische Maschinen bereit zu stellen, mit der man solche semiotischen Prozesse zwischen Menschen und lernfähigen intelligenten Maschinen erforschen kann.
QUELLEN
Binet, A., Les idees modernes sur les enfants, 1909
Doeben-Henisch, G.; Bauer-Wersing, U.; Erasmus, L.; Schrader,U.; Wagner, W. [2008] Interdisciplinary Engineering of Intelligent Systems. Some Methodological Issues. Conference Proceedings of the workshop Modelling Adaptive And Cognitive Systems (ADAPCOG 2008) as part of the Joint Conferences of SBIA’2008 (the 19th Brazilian Symposium on Articial Intelligence); SBRN’2008 (the 10th Brazilian Symposium on Neural Networks); and JRI’2008 (the Intelligent Robotic Journey) at Salvador (Brazil) Oct-26 – Oct-30(PDF HIER)
Gödel, K. Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I, In: Monatshefte Math.Phys., vol.38(1931),pp:175-198
Charles W. Morris, Foundations of the Theory of Signs (1938)
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Charles W. Morris, Signication and Signicance (1964)
NIST: Intelligent Systems Division: http://www.nist.gov/el/isd/
Winfried Noth: Handbuch der Semiotik. 2., vollständig neu bearbeitete Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2000
Charles Santiago Sanders Peirce (1839-1914) war ein US-amerikanischer Mathematiker, Philosoph und Logiker. Peirce gehort neben William James und John Dewey zu den maßgeblichen Denkern des Pragmatismus; außerdem gilt er als Begründer der modernen Semiotik. Zur ersten Einführung siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Charles Sanders Peirce Collected Papers of Charles Sanders Peirce. Bände I-VI hrsg. von Charles Hartshorne und Paul Weiss, 1931{1935; Bände VII-VIII hrsg. von Arthur W. Burks 1958. University Press, Harvard, Cambridge/Mass. 1931{1958
Writings of Charles S. Peirce. A Chronological Edition. Hrsg. vom Peirce Edition Project. Indiana University Press,Indianapolis, Bloomington 1982. (Bisher Bände 1{6 und 8, geplant 30 Bände)
Saussure, F. de. Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft, 2nd ed., German translation of the original posthumously publication of the Cours de linguistic general from 1916 by H.Lommel, Berlin: Walter de Gruyter & Co., 1967
Saussure, F. de. Course in General Linguistics, English translation of the original posthumously publication of the Cours de linguistic general from 1916, London: Fontana, 1974
Saussure, F. de. Cours de linguistique general, Edition Critique Par Rudolf Engler, Tome 1,Wiesbaden: Otto Harrassowitz, 1989 /*This is the critical edition of the dierent sources around the original posthumously publication of the Cours de linguistic general from 1916. */
Steels, Luc (1995): A Self-Organizing Spatial Vocabulary. Articial Life, 2(3), S. 319-332
Steels, Luc (1997): Synthesising the origins of language and meaning using co-evolution, self-organisation and level formation. In: Hurford, J., C.Knight und M.Studdert-Kennedy (Hrsg.). Edinburgh: Edinburgh Univ. Press.
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Wechsler, D., The Measurement of Adult Intelligence, Baltimore, 1939, (3. Auage 1944)
Wittgenstein, L.; Tractatus Logico-Philosophicus, 1921/1922 /* Während des Ersten Weltkriegs geschrieben, wurde das Werk 1918 vollendet. Es erschien mit Unterstützung von Bertrand Russell zunächst 1921 in Wilhelm Ostwalds Annalen der Naturphilosophie. Diese von Wittgenstein nicht gegengelesene Fassung enthielt grobe Fehler. Eine korrigierte, zweisprachige Ausgabe (deutsch/englisch) erschien 1922 bei Kegan Paul, Trench, Trubner und Co. in London und gilt als die offizielle Fassung. Die englische Übersetzung stammte von C. K. Ogden und Frank Ramsey. Siehe einführend Wikipedia-DE: https://de.wikipedia.org/wiki/Tractatus logicophilosophicus*/
Wittgenstein, L.; Philosophische Untersuchungen,1936-1946, publiziert 1953 /* Die Philosophischen Untersuchungen sind Ludwig Wittgensteins spätes, zweites Hauptwerk. Es übten einen außerordentlichen Einfluss auf die Philosophie der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts aus; zu erwähnen ist die Sprechakttheorie von Austin und Searle sowie der Erlanger Konstruktivismus (Paul Lorenzen, Kuno Lorenz). Das Buch richtet sich gegen das Ideal einer logik-orientierten Sprache, die neben Russell und Carnap Wittgenstein selbst in seinem ersten Hauptwerk vertreten hatte. Das Buch ist in den Jahren 1936-1946 entstanden, wurde aber erst 1953, nach dem Tod des Autors, veröffentlicht. Siehe einführend Wikipedia-DE: https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophische Untersuchungen*/
Eine Übersicht über alle Blogeinträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER
U.Ackermann (2014), DIE DIGITALE REVOLUTION – Eine Herausforderung für die Freiheit, in: U.Ackermann (Hg.), Freiheitsindex Deutschland 2014 des John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung, Frankfurt am Main: Humanities online
KONTEXT
1. In diesem Blog wurde schon mehrfach das Thema Neue Technologien und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft angesprochen. Das kleine Büchlein vom John Start Mill Institut unter der Leitung von Ulrike Ackermann passt sehr gut in diese Thematik.
ACKERMANN – FREIHEIT
2. Insbesondere der Beitrag der Herausgeberin Ulricke Ackermann fällt – im Vergleich zu vielen anderen Publikationen zu diesem Thema – sehr positiv auf. Das Freiheitsthema wird sehr differenziert heruntergebrochen auf die großen Dimensionen Individuum, Alltag und Politik, und das Ineinanderspiel von realer und virtueller (digitaler) Welt wird sachkundig an vielen Beispielen vorgestellt und kritisch gewürdigt.
3. Fernab einer einfachen Schwarz-Weiß-Malerei findet sie sowohl Worte für die unbestreitbaren neuen Möglichkeiten und Vorzüge, die die neue digitale Welt auf allen Ebenen eröffnet, deutet aber zugleich auch hin auf die unübersehbaren Risiken und schleichenden Tendenzen zu einer immer größeren Vereinnahmung des einzelnen auf allen Ebenen.
4. In der europäischen Aufklärungstradition und im Kontext von Menschenrechten und Demokratien wurde die konstitutive Bedeutung einer realen Privatheit für das Leben einer Demokratie, zwar nur sehr langsam, aber dann doch mit großer Entschiedenheit erkannt und in der Gesetzgebung verankert. Durch den immer leichteren Zugang auf private Daten durch die modernen Technologien und durch neue globale digitale Geschäftskonzepte, in denen die kostenlose Nutzung gegen höchst intime Datenausbeutung getauscht werden, gekoppelt mit der als ‚Fürsorge‘ getarnte Datensammlung von Behörden, geraten wir aber in eine Situation, in der die hochgeschätzte Privatheit mit ihren speziellen Freiheitsrechten sich mehr und mehr buchstäblich in Luft auflöst. Während die europäischen Institutionen den Eindruck erwecken, die Idee der Privat hochhalten zu wollen, verursachen die deutschen Regierungsvertreter einen Eindruck, als ob sie – entgegen offiziellen politischen Verlautbarungen – real eher eine starke Liberalisierungsformel (sprich: eine Auflösung der Privatheit) vertreten.
5. Die Fülle der Details im Artikel zeugen von großer Sachkenntnis und können hier nur erwähnt werden.
DISKUSSION
6. Eigentlich kann man dem Artikel nur Positives abgewinnen. Dennoch bleiben wichtige Fragen offen, denen im Rahmen dieses Blogs versucht wird, nach zu gehen.
7. Die Diskussion im Beitrag von Ulrike Ackermann folgt den großen Linien der europäischen Aufklärung und den aktuellen Werten der Menschenrechte und den grundlegenden Verfassungstexten in Deutschland und Europa. In diesem Rahmen ist die Argumentation schlüssig.
8. Einem aufmerksamen Betrachter der Menschenrechts- und Grundgesetzdiskussion (vgl. die 11-teilig Diskussion zum Begriff ‚Menschenwürde‘ im Kontext des gleichnamigen Buches von Paul Tiedemann in diesem Blog) wird aber nicht entgangen sein, dass sich die aktuellen Interpretationen dieser Werte im Bereich der Rechtsexperten eher in die Richtung bewegt, dass eine klare Begründung mindestens schwierig, wenn nicht gar unmöglich wird. Selbst ein Paul Tiedemann, dem die Bewahrung der Menschenwürde ein großes Anliegen ist, muss für die Begründung seines Standpunktes zu Argumentationen greifen, die alles andere als selbsterklärend sind.
9. Erweitert man den Blick auf die Entwicklung des Menschenbildes in den Naturwissenschaften und den technologienahen Bereichen, dann muss man konstatieren, dass die Naturwissenschaften, sofern sie überhaupt einen Bezug zum Menschenbild nehmen, den Menschen in keinster Weise so sehen, wie Grundgesetz und Menschenrechte dies voraussetzen. In den Naturwissenschaften ist der Mensch der Aufklärung praktisch verschwunden: eine Ansammlung von Molekülen, Atomen, Teilchen ohne jegliche spezifische Bedeutung und damit ohne jegliche Werte.
10. Bedenkt man, dass diese Verschiebungen im Weltbild zusätzlich einhergehen mit einem dramatischen Abbau von geistes- und sozialwissenschaftlichen Lehrstühlen und Standards, dann werden hier auch mögliche Quellen alternativer kritischer Betrachtungsweisen schlichtweg ausgelöscht.
11. Ein weiteres Moment ist die ‚Form‘ der Technologie. Mit dem Aufkommen von ‚intelligenten‘ Maschinen erleben wir nicht nur eine weitere industrielle Revolution, die bisherige Industrien und Arbeitswelten bedrohen, sondern wir erleben einen Frontalangriff auf alsbald scheinbar alle Fähigkeiten, die bislang als ‚typisch Menschlich‘ galten. Was dies für die bisherigen Gesellschaften bedeuten, ist schwer voraussagbar. Auf keinen Fall kann es ein einfaches ‚weiter so‘ wie bisher geben.
12. Sieht man diese neuen technologisches Möglichkeiten mit der simultanen Erosion des aufklärerischen Menschenbildes (repräsentiert in den Menschenrechten) und der Tendenz selbst demokratischer Regierungen, die Besonderheit des Menschen ‚zu opfern‘, dann kann man erahnen, dass die bisherige (‚klassische‘) Freiheitsdiskussion erheblich ausgeweitet und radikalisiert werden muss. Der Mensch selbst steht zur Debatte in einer Weise, wie wir es noch nie erlebt haben.
13. Genuine ‚Anwälte‘ des Menschen sind aktuell schwer identifizierbar. Die klassischen Offenbarungsreligionen taugen hier – wie schon in der Vergangenheit – nur sehr begrenzt. Ihre Menschenbilder sind bis heute zu stark mit vorwissenschaftlichen Bildern durchsetzt.
Einen Überblick über alle Blogeinträge von cagent nach Titeln findet sich HIER: cagent.
1. Momentan kreuzen wieder einmal verschiedene Themen ihre Bahnen und die folgenden Zeilen stellen den Versuch dar, einige Aspekt davon festzuhalten.
2. Ein Thema rührt von dem Vortrag am 19.Mai her, bei dem es darum ging, die scheinbare Einfachheit, Begrenztheit und Langsamkeit von uns Menschen angesichts der aktuell rasant erscheinenden Entwicklungen in einen größeren Kontext einzuordnen, in den Kontext der biologischen Entwicklung, und dabei aufzuzeigen, welch fantastisches ‚Produkt‘ der homo sapiens im Kontext des biologischen Lebens darstellt und dass unsere Gegenwart nicht als ein ‚Endpunkt‘ misszuverstehen ist, sondern als eine hochaktive Transitzone in eine Zukunft, die keiner wirklich kennt.
3. Ein anderes Thema rührt her von den neuen Technologien der Informationstheorie, Informatik, Robotik, die unser Leben immer mehr begleiten, umhüllen, durchtränken in einer Weise, die unheimlich werden kann. In den Science-Fiction Filmen der letzten 40-50 Jahren werden die ‚intelligenten Maschinen‘ mehr und mehr zu den neuen Lichtgestalten während der Mensch verglichen mit diesen Visionen relativ ‚alt‘ aussieht.
4. Während viele – die meisten? – dem Akteur homo sapiens momentan wenig Aufmerksamkeit zu schenken scheinen, auf ihn keine ernsthafte Wetten abschließen wollen, traut man den intelligenten Maschinen scheinbar alles zu.
5. Ich selbst liefere sogar (neue) Argumente (in vorausgehenden Artikeln), warum eine Technologie der künstlichen Intelligenz ‚prinzipiell‘ alles kann, was auch biologische Systeme können.
6. In den Diskussionen rund um dieses Thema bin ich dabei verstärkt auf das Thema der ‚impliziten Werte‘ gestoßen, die innerhalb eines Lernprozesses Voraussetzung dafür sind, dass das Lernen eine ‚Richtung‘ nehmen kann. Dieser Punkt soll hier etwas ausführlicher diskutiert werden.
INTELLIGENZ
7. Eine Diskussion über die Möglichkeit von Intelligenz (bzw. dann sogar vielleicht einer Superintelligenz) müsste klären, wie man überhaupt Intelligenz definieren will. Was ‚Intelligenz an sich‘ sein soll, das weiß bis heute niemand. Die einzigen, die seit ca. 100 Jahren einen empirisch brauchbaren Intelligenzbegriff entwickelt haben, das sind die Psychologen. Sie definieren etwas, was niemand kennt, die ‚Intelligenz‘, ganz pragmatisch über einen Katalog von Aufgaben, die ein Kind in einem bestimmten Alter in einer bestimmten Gesellschaft so lösen kann, dass man dieses Kind in dieser Gesellschaft als ‚intelligent‘ bezeichnen würde. Bei einem Menschen mit einem anderen Alter aus einer anderen Gesellschaft kann dieser Aufgabenkatalog ganz andere Ergebnisse liefern.
8. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Kinder, denen man aufgrund ihres vermessenen Verhaltens einen hohen Intelligenzwert zugeschrieben hat, bei Langzeituntersuchung auch überdurchschnittlich ‚erfolgreich‘ (eine in sich nicht einfache Kategorie) waren. Daraus hat man die Arbeitshypothese abgeleitet, dass das messbare intelligente Verhalten ein Indikator für bestimmte ‚interne Strukturen im Kind‘ ist, die dafür verantwortlich sind, dass das Kind solch ein Verhalten hervorbringen kann. Und es sind genau diese postulierten Ermöglichungsstrukturen für de Intelligenz, die im Kind wirksam sein sollen, wenn es im Laufe seines Lebens ‚erfolgreich‘ ist.
9. Die Ingenieurwissenschaften und die Informatik benutzen Begriffe wie ’smart‘ und ‚intelligent‘ heute fast inflationär, ohne sich in der Regel die Mühe zu machen, ihre technischen Intelligenzbegriffe mit dem psychologischen Intelligenzbegriff abzugleichen. Dies führt zu großen Begriffsverwirrungen und man kann im Falle der technischen Intelligenz in der Regel nicht sagen, in welchem Sinne ein Interface oder eine Maschine ‚intelligent‘ ist, wenn sie technisch ’smart‘ oder ‚intelligent‘ genannt wird.
10. Der berühmt Turing-Test zur Feststellung, ob eine technische Vorrichtung sich in ihrem textbasierten Dialog mit einem Menschen für den beteiligten Menschen als ununterscheidbar zu einem Menschen darstellen kann, ist nach den Standards der Psychologie wenig brauchbar. Die endlosen Diskussionen um den Turing-Test dokumentieren für mich die immer noch anhaltende methodische Verwirrung, die sich im Umfeld des technischen Intelligenzbegriffs findet. Das hohe Preisgeld für den Turing-Test kann die evidenten inhärenten Schwächen des Tests nicht beheben.
11. Wenn wir also über intelligente (oder gar super intelligente) Maschinen reden wollen, sollten wir uns an bekannte, empirisch nachprüfbare und vergleichbare Standards halten, und dies sind die der empirischen Psychologie. Das gleiche gilt auch für den nächsten zentralen Begriff, dem des ‚Lernens‘.
LERNEN
12. Auch bei dem Begriff ‚Lernen‘ finden wir wieder einen inflationären Sprachgebrauch von ‚Lernen‘ in der Informatik, der in keiner Weise mit dem empirischen Begriff des Lernens in den verhaltensorientierten Wissenschaften abgestimmt ist. Was eine ‚intelligente‘ Maschine der Informatik im Vergleich zu biologischen Systemen darstellen soll, ist im allgemeinen Fall unklar. An konkreten Beispielen wie ’schachspielender Computer, ‚Routenplanung‘ für eine Reise, ‚Quizfragen beantworten‘, ‚Gegenstände erkennen‘, gibt es zwar partielle verhaltensorientierte Beschreibungen von ‚maschineller Intelligenz‘, diese sind aber nicht in eine allgemeine verhaltensorientierte Theorie ‚intelligenter Maschinen‘ integriert.
13. In den verhaltensorientierten Wissenschaften wird ‚Lernen‘ über beobachtbares Verhalten definiert. ‚Anhaltende Verhaltensänderungen‘ in ‚Abhängigkeit von bestimmten Umweltereignissen‘ bilden die Anknüpfungspunkte, um im beobachteten System allgemein Zustände anzunehmen, die sich wahrnehmungsabhängig und erinnerungsabhängig ’nachhaltig ändern‘ können. Was genau sich ändert, weiß ein Psychologe nicht, nur dass es geeignete interne Strukturen geben muss, wenn sich ein bestimmtes Verhalten zeigt.
14. Setzt man den Körper als Ermöglichungsstruktur voraus, dann beschränkt sich Lernen auf interne Veränderungen des gegebenen Körpers. Das wäre das ’normale‘ lokale individuelle Lernen. Man kann aber auch die Strukturen eine Körpers selbst als Ergebnis eines Lernprozesses auffassen, dann bezieht sich das Lernen auf den Wandel der Körperstrukturen und -formen und die dafür verantwortlichen (angenommenen) internen Zustände sind z.T. im Reproduktionsmechanismus zu verorten. Insgesamt erscheint das strukturelle Lernen aber als komplexer mehrstufiger Prozess, der Phylogenese, Ontogenese und Epigenese umfasst.
GERICHTETE KREATIVE ENTWICKLUNG
15. Solange ein System sich in seinem Lernen damit beschäftigt, Ereignisse zu identifizieren, zu klassifizieren, Muster zu erfassen, auftretende Beziehungen zu erfassen, so lange ist das Lernen ‚an sich‘ ‚wertfrei‘. Spannender wird es bei ‚Auswahlprozessen‘: womit soll sich ein System beschäftigen: eher A oder eher Nicht-A? Durch Auswahlprozesse bekommt der individuelle Lernprozess eine ‚Richtung‘, einen selektierten Ereignisraum, der sich dann auch in den Wissensstrukturen des Systems widerspiegeln wird. Jede ‚Lerngeschichte‘ korrespondiert auf diese Weise mit einer entsprechenden ‚Wissensstruktur‘. Wenn jemand Weinanbau gelernt hat, aber es gibt keinen Wein mehr, sondern nur noch Handwerk, ist er ‚arbeitslos‘ oder muss ‚umlernen‘. Wer Betriebswirtschaft gelernt hat, aber zu wenig von Qualitätsprozessen versteht, kann erfolgreiche Firmen in den Ruin steuern. Auswahlprozesse realisieren ‚Präferenzen‘: Eher A als Nicht-A. Präferenzen repräsentieren implizit ‚Werte‘: A ist besser/ wichtiger als Nicht-A.
16. Im Falle der biologischen Evolution werden die Präferenzen sowohl vom biologischen Reproduktionsmechanismus geliefert (bis dahin vorhandene Erbinformationen), wie auch durch die herrschende Umgebung, die von bestimmten Körperformen nicht gemeistert werden konnten, von anderen schon. Die in ihren Nachkommen überlebenden Körperformen repräsentierten dann mit ihren Erbinformationen eine von außen induzierte Präferenz, die ‚gespeicherten Präferenzen der Vergangenheit‘ als eine Form von ‚Erinnerung‘, als ‚Gedächtnis‘. Über die ‚Zukunft‘ weiß die biologische Entwicklung nichts! [Anmerkung: Diese Ideen finden sich u.a. auch schon in den Schriften von Stuart Alan Kauffman. Sie ergeben sich aber auch unmittelbar, wenn man mit genetischen Algorithmen arbeitet und die Lernstruktur dieser Algorithmen heraushebt.].
17. Die biologische Entwicklung lebt vielmehr von der – impliziten! – ‚Hoffnung‘, dass die umgebende Welt sich nicht schneller ändert als die gespeicherten Erbinformationen voraussetzen. Da wir heute wissen, dass sich die Welt beständig verändert hat, teilweise sehr schnell oder gar blitzartig (Vulkanausbruch, Asteroidenbeschuss, Erdbeben,…), kann man sich fragen, wie die biologische Evolution es dann geschafft hat, das Leben quasi im Spiel zu halten, ohne etwas über die Zukunft zu wissen? Die Antwort ist eindeutig: durch eine Kombination von Kreativität und von Masse!
18. Die ‚Kreativität‘ ist implizit; die Reproduktion eines neuen Körpers aus vorhandenen genetischen Informationen verläuft auf sehr vielen Ebenen und in sehr vielen aufeinanderfolgenden Phasen. Fasst man diesen ganzen Prozess als eine ‚Abbildung‘ im mathematischen Sinne auf, dann kann man sagen, dass die Zuordnung von Körpern zu Erbinformationen nicht eindeutig ist; aus der gleichen Erbinformation kann rein mathematisch eine nahezu unendlich große Anzahl von ‚Varianten‘ entstehen, mit einem möglichen ‚Variantenkern‘. In der empirischen Welt ist die Varianz erstaunlich gering und der Variantenkern erstaunlich stabil. Aber offensichtlich hat die verfügbare Varianz ausgereicht, um die sich stark verändernden Umgebungsbedingungen bedienen zu können. Voraus zur Zukunft in einer sich verändernden Welt hat man immer nur ein Teilwissen. Das ‚fehlende Wissen‘ muss man sich teuer erkaufen; es gibt nichts zu Nulltarif. Für jedes Leben, das man in der Zukunft erhalten will, muss man einen – nicht leicht genau zu bestimmenden – hohen Einsatz erbringen, in der Hoffnung, dass die Breite des Ansatzes ausreichend ist.
GEGENWART ALS TRANSIT
19. Verglichen mit den Dramen der Vergangenheit könnten uns die ‚Erfolge‘ der Gegenwart dazu verleiten, anzunehmen, dass wir Menschen ‚über dem Berg‘ sind. Dass wir jetzt so langsam alles ‚im Griff‘ haben. Diese Vorstellung könnte sehr sehr trügerisch sein. Denn das Überleben auf der Erde rechnet in Jahrhunderttausenden, Millionen oder gar hunderten von Millionen Jahren. Eine kurzfristige ‚Boomzeit‘ von ein paar Jahrzehnten besagt nichts, außer dass wir feststellen, dass schon in wenigen Jahrzehnten ungeheuer viele biologische Arten ausgestorben sind, viele weitere vom Aussterben bedroht sind, und allein wir Menschen viele zentrale Probleme der Ernährung, des Wassers und der Energie noch keineswegs gelöst haben. Außerdem haben wir nach heutigem Kenntnisstand nicht noch weitere 4 Milliarden Jahre Zeit, sondern höchstens ca. eine Milliarde Jahre, weil dann laut der Physik die Sonne sich aufgrund ihrer Kernfusionsprozess sich soweit ausgedehnt haben wird, dass ein Leben auf der Erde (nach heutigem Kenntnisstand) nicht mehr möglich sein wird.
20. Letztlich dürften wir weiterhin in dieser Position der anzustrebenden Meisterung von etwas ‚Neuem‘ sein, das wir vorab nur partiell kennen. Nur durch ein hinreichendes Maß an Kreativität und hinreichend vielfältigen Experimenten werden wir die Herausforderung meistern können. Jede Form der Festschreibung der Gegenwart als ‚unveränderlich‘ ist mittel- und langfristig tödlich.
BIOLOGIE UND TECHNIK IN EINEM BOOT
21. Aus den vorausgehenden Überlegungen ergeben sich unmittelbar einige weitreichende Folgerungen.
22. Die heute gern praktizierte Trennung von Biologie einerseits und Technologie andererseits erscheint künstlich und irreführend. Tatsache ist, dass die gesamte Technologie aus der Aktivität des biologischen Lebens – speziell durch den homo sapiens – entstanden ist. Etwas Biologisches (der homo sapiens) hat mit Mitteln der Biologie und der vorfindlichen Natur ‚Gebilde‘ geschaffen, die so vorher zwar nicht existiert haben, aber sie sind auch nicht aus dem ‚Nichts‘ entstanden. Sie sind durch und durch ‚biologisch‘, wenngleich – faktisch – mit der übrigen Natur, mit dem bisherigen Ökosystem nicht immer ‚optimal‘ angepasst. Aber die Natur selbst hat millionenfach Systeme erzeugt, die nicht optimal angepasst waren. Die Natur ist ein dynamisches Geschehen, in dem milliardenfach, billionenfach Strukturen generiert werden, die für eine Zukunft gedacht sind, die keiner explizit kennt. Es ist sozusagen ein allgemeines ‚Herantasten‘ an das ‚werdende Unbekannt‘. Wer hier glaubt, die bekannte Gegenwart als ‚Maßstab schlechthin‘ benutzen zu können, irrt schon im Ansatz.
23. Wenn nun ein Teil dieser Natur, der homo sapiens als Realisierung eines biologischen Systems, es durch seine Aktivitäten geschafft hat, seine unmittelbare Lebensumgebung umfassend und zugleich schnell so umzugestalten, dass er als Hauptakteur nun plötzlich als ‚Flaschenhals‘ erscheint, als ‚Bremsklotz‘, dann ist dies zunächst einmal keine ‚Panne‘, sondern ein riesiger Erfolg.
24. Die körperlichen Strukturen des homo sapiens, ein Wunderwerk von ca. 4 Milliarden Jahren ‚Entwicklungsarbeit‘, besitzen eine Substruktur, das Gehirn, das in der Lage ist, die strukturellen Lernprozesse der biologischen Körper in Gestalt lokaler individueller Lernprozesse dramatisch zu beschleunigen. Komplexe Gedächtnisstrukturen, komplexe Begriffsoperationen, Symbolgebrauch, Logik und Mathematik, Rechenmaschinen, Bücher, Computer, Daten-Netzwerke haben dem individuellen Gehirn eine ‚kognitive Verstärkung‘ verpasst, die die Veränderungsgeschwindigkeit des strukturellen Körperlernens von einer Dimension von etwa (optimistischen) 10^5 Jahren auf etwa (pessimistischen) 10^1 Jahren – oder weniger – verkürzt haben. Dies stellt eine absolute Revolution in der Evolution dar.
25. Hand in Hand mit der dramatischen Verkürzung der Lernzeit ging und geht eine dramatische Steigerung der Kooperationsfähigkeit durch Angleichung der Sprache(n), Angleichung der Datenräume, politisch-juristische Absicherung sozialer Räume, Verbesserung der Infrastrukturen für große Zahlen und vielem mehr.
26. Innerhalb von nur etwa 50-100 Jahren ist die Komplexitätsleistung des homo sapiens geradezu explodiert.
27. Bislang sind die neuen (noch nicht wirklich intelligenten) Technologien eindeutig eine Hilfe für den homo sapiens, sich in dieser Welt zurecht zu finden.
28. Wenn man begreift, dass die scheinbare ‚Schwäche‘ des homo sapiens nur die Kehrseite seiner ungeheuren Leistungsfähigkeit sind, sein gesamtes Umfeld dramatisch zu beschleunigen, dann würde die naheliegende Frage eigentlich sein, ob und wie der homo sapiens die neuen Technologien nutzen kann, um seine aktuellen begrenzten körperlichen Strukturen eben mit Hilfe dieser neuen Technologien soweit umzubauen, dass er selbst mit seinen eigenen Gestaltungserfolgen auf Dauer noch mithalten kann (und es ist ja kein Zufall, dass die gesamte moderne Genetik ohne Computer gar nicht existieren würde).
29. Bislang bremsen ‚veraltete‘ Ethiken in den Köpfen der Politik eine dynamische Erforschung der alternativen Strukturräume noch aus. Dies ist bis zu einem gewissen Grad verständlich, da der homo sapiens als ‚Transitwesen‘ sich nicht selbst ruinieren sollte bevor er neue leistungsfähige Strukturen gefunden hat; aber Verbote als grundsätzliche Haltung sind gemessen an der erfolgreichen Logik des Lebens seit 4 Milliarden Jahre grundlegend unethisch, da lebensfeindlich.
30. Auch die heute so ‚trendige‘ Gegenüberstellung von homo sapiens und ‚intelligenten lernenden Maschinen‘ erscheint nach den vorausgehenden Überlegungen wenig wahrscheinlich.
31. Einmal hätten mögliche intelligente Maschinen das gleiche Entwicklungsproblem wie die biologischen Systeme, die ihre Überlebensfähigkeit seit 4 Milliarden Jahre demonstriert haben. Biologische Systeme haben einen ‚mehrlagigen‘ Lernmechanismus‘ ausgebildet, der ‚Kreativität‘ als wesentlichen Bestandteil enthält. Die bisherigen Konzepte für maschinelle Intelligenz sind verglichen damit höchst primitiv. Maschinelle Intelligenz ‚für sich‘ ist auch völlig ortlos, kontextfrei. Als Moment am biologischen Entwicklungsprozess jedoch,in einer symbiotischen Beziehung zu biologischen Systemen, kann künstliche Intelligenz eine maximal hohe Bedeutung gewinnen und kann von den ‚Wertfindungsmechanismen‘ der biologischen Systeme als Teil einer vorfindlichen Natur profitieren.
32. Die Gegenübersetzung von homo sapiens und (intelligenter) Technologie ist ein Artefakt, ein Denkfehler, ein gefährlicher Denkfehler, da er genau die maximale Dynamik, die in einer biotechnologischen Symbiose bestehen kann, behindert oder gar verhindert. Das wäre lebensfeindlich und darin zutiefst unethisch.
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Letzte Änderung: Mo 12.Jan.2014 (Strukturierung, Am Ende Ausblick mit Terminen und Programmvorschlag)
ZUSAMMENFASSUNG
1) Mittlerweile liegt die dritte PHILOSOPHIEWERKSTATT 11.Jan.2014 hinter uns. Wie schon die letzten Male waren es sehr intensive Gespräche, die entstanden. Das tatsächliche Programm wich vom Plan ein wenig ab. Der Rückblick verlief wie geplant, war aber in sich schon ziemlich intensiv. Es gab dann eine längere Pause mit Essen, Trinken und viel Reden. Es folgte dann der neue Input zum Thema ‚Sind Emotionen (im weitesten Sinne) für ein Lernen notwendig?‘. Damit knüpften wir nochmals an das gemeinsame Brainatorming vom 14.Dez.2013 an; außerdem passte es gut zum Rückblick.
2) Kurz zusammengefasst waren die Überlegungen etwa wie folgt: bei einem komplexen System wie einem Tier oder gar einem Menschen ist eine klare Beschreibung von ‚Wissen‘ und ‚Emotionen (i.w.S.)‘ schwer bis unmöglich. Die meisten Menschen haben zum Thema zwar eine Meinung in ihrem Alltag, aber bei genaueren Nachfragen ist es kaum möglich, zu klären, was jemand meint, wenn er nach seinem ‚Bauchgefühl‘ entscheidet: Wann tut er das? Wie? Gibt es Unterschiede? usw. Dass stark Emotionen das Verhalten allgemein und das Lernen insbesondere beeinflussen können, scheint aufgrund der Alltagserfahrung klar zu sein.
EXPERIMENT ZU ‚EMOTION UND WISSEN‘
3) Die Frage ist also, ob es ein Experiment geben könnte, das einfach genug ist, und doch so, dass man alle beteiligten Komponenten ‚klar‘ verstehen und kontrollieren kann, das zugleich aber noch aussagekräftig genug ist, um zum Verhältnis von ‚Wissen‘ und Emotionen‘ etwas sagen zu können.
PSYCHOLOGIE UND INFORMATIK
4) Der Vortragende wählte dazu eine Kombination aus Psychologie und Informatik. Die Psychologen haben zu Beginn des 20.Jahrhunderts gelernt, wie sie ‚Intelligenz‘ messen können, ohne zu wissen, was ‚Intelligenz‘ in einem Lebewesen genau ist. Die Methode, die ‚Intelligenz‘ eines Systems durch Bezugnahme auf das Verhalten bei der Lösung einer Menge von Aufgaben zu beschreiben, dadurch zu quantifizieren, und damit ‚vergleichbar‘ zu machen, ist nicht auf Menschen beschränkt. Man kann damit auch Tiere messen und auch — heute — Computer. Damit könnte man bezogen auf ein definiertes Aufgabenset feststellen, in welchem Ausmaß ein Computer und ein Menschen ‚verhaltensmäßig übereinstimmen‘ oder nicht.
COMPUTER: WAS IST DAS?
5) Bei dieser Gelegenheit gab es einen Hinweis auf den Begriff ‚Computer‘. Die meisten Menschen verbinden mit dem Begriff ‚Computer‘ die konkreten Geräte, mit denen man im Alltag arbeitet (Smartphones, Tablets, eReader, PCs,…). Dies ist nicht ganz falsch, da alle diese Geräte beispielhafte Realisierungen des abstrakten Konzeptes eines berechnenden Automaten sind, das historisch bedeutsam im Kontext des Grundlagenstreits der Mathematik zu Beginn des 20.Jahrhunderts von Turing 1936/7 in die Diskussion eingeführt worden ist. Er hatte versucht, den Beweis von Gödel von 1931, zu den Grenzen der Entscheidbarkeit mathematischer Theorien, mit anderen Mitteln als Gödel sie benutzt hatte, vorzunehmen, um den Beweis dadurch möglicherweise verständlicher zu machen (was Gödel persönlich auch so sah; Gödel war nämlich mit seinem eigenen Beweis unzufrieden gewesen, und hatte Turings Lösungsansatz in einer Rede in Princeton ausdrücklich als ‚verständlicher‘ gelobt). Am Beispiel eines Büroangestellten, der mit einem Schreibstift auf einem Blatt Papier seine Zahlen notiert und rechnet, hatte Gödel das Konzept der maximal einfachen Maschine für maximal komplexe Aufgaben formuliert, die alles, was mit endlichen Mitteln berechenbar ist, berechnen kann. Später wurde diese seine abstrakte Maschine ihm zu Ehren Turingmaschine genannt. Während eine Turingmaschine duch die Unendlichkeit des Schreib-Lesebandes letztlich einen unendlich großen Speicher besitzt, hat jede konkrete gebaute Maschine, die wie eine Turingmaschine arbeitet, immer nur einen endlichen Speicher. In diesem Sinne kann ein realer Computer die Leistung einer idealen Turingmaschine immer nur annähern.
6) Was ein Computer im Stil einer Turingmaschine letztlich alles ‚tun‘ kann, hängt davon ab, wie man ihn programmiert. Bislang werden Programme für bestimmte klar umrissene Aufgaben geschrieben, und man erwartet, dass das Programm in einer bestimmten Situation genau das tut, was man von ihm erwartet (einen Text schreiben; Bremsen, wenn man auf das Bremspedal tritt; einen Alarm geben, wenn ein bestimmter Wert gefährlich überschritten wird; usw.). Programme, die in diesem Sinne ‚erwartungskonform‘ sind, sind ‚deterministisch‘, sind ‚reaktiv‘, d.h. sie sind in ihrem Verhalten genau festgelegt. Dass die meisten Menschen vor diesem Alltagshintergrund davon ausgehen, dass Computer ja eigentlich ‚dumm‘ sind, ist nachvollziehbar.
7) Allerdings ist dieser Eindruck auch irreführend, denn Computer ‚als solche‘ können im Prinzip alles, was ‚berechenbar‘ ist, d.h. auch ‚Denken‘, ‚Fühlen‘, usw., wenn man sie nur ‚lässt‘. Die meisten übersehen, dass wir Menschen alle unsere wunderbaren Eigenschaften nicht haben, weil wir sie ‚gelernt‘ haben, sondern weil unser Körper und unser Gehirn in bestimmter Weise so vorgeprägt ist, dass wir überhaupt ‚Wahrnehmen‘, ‚Erinnern‘, ‚Denken‘ usw. können.
OFFENE SYSTEME, REAKTIV UND ADAPTIV
8) Die strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen uns Menschen und einem möglichen Computer werden deutlich, wenn man sowohl Menschen als auch Computer abstrakt als ‚Input-Output-Systeme‘ betrachtet. Sowohl vom Menschen wie auch vom Computer können wir annehmen, dass sie auf spezifische Weise Ereignisse aus der ‚Umgebung‘ (der ‚Welt‘ (W)) aufnehmen können (Sinnesorgane, Sensoren, Leseband), die wir hier abstrakt einfach als ‚Systeminput‘ oder einfach ‚Input‘ (I) bezeichnen. Genauso können wir annehmen, dass Menschen wie Computer auf die Welt (W) zurückwirken können (über diverse Aktoren, Schreibband). Die Menge dieser Rückwirkungen bezeichnen wir hier als ‚Output‘ (O). Ferner gehen wir immer davon aus, dass es zwischen dem beobachtbaren Output ‚O‘ und dem beobachtbaren Input ‚I‘ einen irgendwie gearteten ‚gesetzmäßigen‘ oder ‚regelhaften‘ Zusammenhang gibt, den wir hier einfach ‚phi‘ nennen, also ‚phi‘ ordnet dem Input ‚I‘ auf spezifische Weise einen bestimmten Output ‚O‘ zu. Die Mathematiker sprechen in diesem Zusammenhang von einer ‚Abbildung‘ oder ‚Funktion‘, geschrieben z.B. als ‚phi: I —> O‘. Die Informatiker sprechen von einem ‚Algorithmus‘ oder einem ‚Programm‘. Gemeint ist in allen Fällen das Gleiche.
9) In der Form ‚phi‘ ordnet dem Input ‚I‘ einen Output ‚O‘ zu wissen wir so gut wie nichts über die innere Struktur des Systems. Dies ändert sich, wenn wir zusätzlich den Begriff ‚innere Zustände‘ (‚inner states‘, IS) einführen. Damit können wir das Reden über ein System nahezu beliebig verfeinern. Diese inneren Zustände ‚IS‘ können ‚Neuronen‘ sein, ‚Erlebnisse‘ (‚Qualia‘), chemische Prozesse, was immer man braucht. Die Einbeziehung der inneren Zustände ‚IS‘ erlaubt sogleich einige interessante Differenzierungen.
10) Zunächst mal können wir unsere Redeweise erweitern zu ‚phi‘ ordnet einem Input ‚I‘ mit Hilfe der aktuellen inneren Zustände ‚IS‘ einen entsprechenden Output ‚O‘ zu, phi: I x IS —> O. Das heißt, die inneren Zustände ‚IS‘, was immer diese im einzelnen genau sind, sind ‚mitursächlich‘ dafür, dass dieser bestimmte Output ‚O‘ zustande kommt. Bsp: Wenn ich bei einem Getränkeautomaten ein Getränk auswähle, das geforderte Geld einwerfe und dann auf Ausführung drücke, dann wird der Automat (falls er nicht ‚defekt‘ ist) mir das gewählte Getränk ausgeben. Er wird immer nur das tun, und nichts anderes.
11) Von lernenden Systemen wie Tieren oder Menschen wissen wir, dass ihre Reaktionen (ihr Output ‚O‘) sich im Laufe der Zeit ändern können, weil sie ‚durch Lernen‘ ihre inneren Zustände ‚IS‘ ändern können. In diesem Fall müssten wir von der Verhaltensfunktion ‚phi‘ sagen: ‚phi‘ ordnet dem aktuellen Input ‚I‘ und unter Berücksichtigung der aktuellen internen Zustände ‚IS‘ nicht nur einen bestimmten Output ‚O‘ zu, sondern kann auch dabei gleichzeitig seine eigenen internen Zustände ‚IS‘ in spezifischer Weise ‚ändern‘, also phi: I x IS —> IS x O. Ein ‚lernendes‘ System ist in diesem Sinne ’selbstveränderlich‘, ‚adaptiv‘, ‚anpassungsfähig‘ usw.
12) Der wichtige Punkt hier ist nun, dass diese adaptive Verhaltensformel ( phi: I x IS —> IS x O) nicht nur auf Tiere und Menschen anwendbar ist, sondern auch — ohne Einschränkungen — auf das Konzept des Computers. Dass wir bis heute kaum wirklich lernfähige Computer haben, liegt vor allem an zwei Gründen: (i) im Alltag wollen wir lieber ‚dumme‘ Maschinen, weil sie uns für bestimmte Zwecke klare Erwartungen erfüllen sollen; (ii) zum anderen gibt es nahezu kaum Programmierer, die wissen, wie man ein lernfähiges Programm schreibt. Der Begriff ‚Künstliche Intelligenz‘ (KI) (bzw. Engl.: ‚artificial intelligence‘ (AI)) existiert zwar seit Beginn des Denkens über und Entwickelns von Computern, aber da wir bis heute nur rudimentäre Vorstellungen davon haben, was Lernen beim Menschen bedeutet, weiß keiner so recht, wie er einen Computer programmieren soll, der die Intelligenz von Menschen hinreichend ’nachahmt‘. In einer typischen Informatikausbildung in Deutschland kommt weder Psychologie noch Neurowissenschaften vor. Dazu muss man sagen, dass die Nachfrage nach lernfähigen Computern in der Realität bislang auch gering war (in vielen Filmen über intelligente Maschinen wird das Thema ausgiebig durchgespielt; dort meist negativ besetzt: die ‚bösen‘ Maschinen, die die Menschheit ausrotten wollen).
VERSCHIEDENE SICHTEN DER WISSENSCHAFTEN
13) Im vorausgehenden Schaubild wird aber auch noch etwas anderes angedeutet, was in den vorausgegangenen Sitzungen immer wieder mal anklang: Ich kann den Menschen von verschiedenen Blickpunkten aus betrachten: (NN) Von den Neuronen des Gehirns aus (Neurowissenschaften); (SR) vom beobachtbaren Verhalten aus (Psychologie); (PHN) Von den Phänomenen des Bewusstseins aus (Philosophie, Phänomenologie), oder in Kombinationen: (NN-SR) Neuro-Psychologie; (NN-PHN) Neuro-Phänomenologie; (PHN-SR) Phänomenologische Psychologie. Das Problem hierbei ist (was sehr oft übersehen wird), dass es zwischen den drei Sehweisen NN, SR und PHN keine direkten Verbindungen gibt: Das Neuron als solches sagt nichts über das Verhalten oder über Bewusstseinstatbestände; ein beobachtbares Verhalten sagt nichts über Neuronen oder Bewusstseinstatbestände; ein bewusstes Erlebnis sagt nichts über Neuronen oder beobachtbares Verhalten. Eine Verbindung zwischen diesen verschiedenen Sehweisen herzustellen ist von daher kein Selbstläufer, sondern eine eigenständige Leistung mit hohen methodischen Anforderungen (man sollte nicht überrascht sein, wenn man ein Buch mit dem Begriff ‚Neuropsychologie‘ aufschlägt und man findet auf keiner Seite die entsprechenden methodischen Maßnahmen….).
14) Für das vorgesehene Experiment soll die verhaltensorientierte Sicht der Psychologie als Hauptperspektive gewählt werden. Andere Perspektiven werden nach Bedarf zugeschaltet.
BEWUSSTSEIN DER PHILOSOPHEN, DER PSYCHOLOGEN, der NEUROWISSENSCHAFTEN
15) Ohne auf Details einzugehen sei hier angenommen, dass die philosophische Perspektive eigentlich nur die Kategorie ‚Bewusstsein‘ (‚consciousness‘ (CNSC)) kennt und dazu unterschiedliche Annahmen darüber, warum das Bewusstsein so ist, wie es ist. Die verhaltensbasierte Psychologie hat eine ganze Bandbreite von Denkmodellen entwickelt, die mögliche ‚Funktionen‘ im System beschreiben. Dazu gehören recht umfangreiche Modelle zu unterschiedlichen Gedächtnisformen wie z.B. ‚Sensorisch‘ (’sensorical memory‘, (SM)), ‚Kurzzeitspeicher’/ ‚Arbeitsspeicher‘ (’short term memory‘ (STM)) und ‚Langzeitspeicher‘ (‚long term memory‘ (LTM)). Letzteres mit sehr differenzierten Teilstrukturen). Heutzutage wird eine starke Korrelation zwischen dem philosophischen Konzept ‚Bewusstsein‘ und dem psychologischen Konzept ‚Arbeitsgedächtnis‘ angenommen. Die Neurowissenschaften entdecken immer mehr Funktionale Schaltkreise im Gehirn, die wiederum auf unterschiedliche Weise (Ebenen, Hierarchien) angeordnet sind. So gibt es funktionale Schaltkreise auf einer hohen integrativen Ebene, deren Korrelation mit dem psychologischen Konzept ‚Arbeitsgedächtnis‘ und dem philosophischen Konzept ‚Bewusstsein‘ korrelieren. Doch sind diese Sachverhalte sehr komplex und keinesfalls eindeutig. Für das nachfolgende Experiment spielt dies keine Rolle. Es orientiert sich am beobachtbaren Verhalten und ist bzgl. der internen Mechanismen, die das Verhalten hervorbringen, ’neutral‘.
EXPERIMENTELLER RAHMEN (UNVOLLSTÄNDIG)
16) Der äußere Rahmen des Experiments ist jetzt also eine Welt ‚W‘, in der das lernende System ‚LS‘ irgendwelche ‚Aufgaben‘ lösen muss. Für die Erreichung einer Lösung benötigt das lernende System ‚Wissen‘. Wie dann gezeigt werden soll, reicht Wissen alleine aber nicht aus. Neben ‚Wissen‘ benötigt ein lernendes System auch etwas, wodurch das Wissen ‚bewertet‘ werden kann, andernfalls kann es nicht lernen. Eine Möglichkeit, solche ‚Bewertungen‘ vornehmen zu können, sind ‚eingebaute‘ (‚intrinsische‘, ‚endogene‘, ‚angeborene’…) Zustände, die in Form von ‚Emotionen‘ (im weitesten Sinne wie z.B. ‚Hunger‘, ‚Durst‘ (= Bedürfnisse), ‚Neugierede‘, ‚Angst‘, ‚Schmerzen‘, ‚Lust’……) auftreten und das Verhalten ‚bewerten‘ können.
Fortsetzung folgt….
Die nächsten Termine für eine Philosophie-Werkstatt sind geplant für 8. Februar, 8. März, 12. April, 10. Mai, 14. Juni 2014.
Als Programmvorschlag für 8.Febr.2014 liegt vor:
Teil 1: In Gruppengesprächen und Plenum klären, was der Diskussionsstand ist, was fehlt, welche Themen neu addressiert werden sollen.
Teil 2: Fortsetzung des Themas: Wie können Emotionen helfen, dem Wissen eine handlungsfähige Struktur zu geben?
Teil 3: Philosophische Begründung für ein Kunstexperiment und Realisierung eines Beispiels
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(1) Für das anvisierte Großprojekt ‚Sichtbarmachung des Geistes‘ (in Frankfurt, der Stadt Goethes, der einen Faust 1+2 geschrieben hat) ist es hilfreich, den zentralen Begriff ‚Geist‘ ein wenig zu lokalisieren. Angesichts der nahezu unerschöpflichen Quellenlage zum Thema ‚Geist‘ mag dies auf den ersten Blick als ein scheinbar hoffnungsloses Unterfangen erscheinen.
(2) Da es hier aber in erster Linie nicht um eine ‚Begriffsgeschichte‘ der Wortmarke ‚Geist‘ gehen soll, sondern um eine systematischen Gebrauch des Begriffs im Kontext einer expliziten Theorie, wird es genügen, die Annahmen dieser Theorie darzustellen.
(3) Beim aktuellen Stand der Reflexion werden es drei zentrale Begriffe sein, die in der anvisierten Theorie zentral Verwendung finden werden: ‚Geist‘, ‚Intelligenz‘ und ‚Bewusstsein‘. Während hier im Blog eher informell und auf Deutsch über diese Dinge nachgedacht wird, wird die eigentlich Theorie auf Englisch geschrieben in Gestalt verschiedener Vorlesungsskripte (siehe http://www.uffmm.org). Ob aus all dem jemals mal ein ‚Buch‘ im klassischen Sinne werden wird, ist momentan offen. Für potentielle Leser wäre es sicher eine Erleichterung.
(4) Auch wenn man nicht in die Tiefen und Verästelungen einer vollständigen Begriffsgeschichte hinabsteigen möchte, um die den Begriffen ‚Geist‘, ‚Intelligenz‘ und ‚Bewusstsein‘ innewohnende Vieldeutigkeit und damit einhergehende Vagheit zu verdeutlichen, genügt ein kleines Selbstexperiment mit aktuellen Wörterbüchern, um sehr schnell zu merken, auf welch schlüpfrigem Boden man sich begibt, will man diese Begriffe systematisch benutzen (siehe Eintrag unten und Bild).
5) Wie man im Schaubild ‚Wortverweise zu ‚Geist‘, ‚Intelligenz‘, ‚Vernunft‘, ‚Bewusstsein‘ sehen kann (und in den Einträgen im Anhang), führt ein Hin- und Her Übersetzen selten zum Ausgangswort zurück. Und dies hier nur im Falle von Deutsch und Englisch. Bedenkt man, dass alle diese Begriffe eine mehrhundertjährige Vorgeschichte in der griechischen Kultur haben, die wiederum über das Latein und das Arabische in die modernen Sprachen Deutsch und Englisch transferiert wurden (ohne Berücksichtigung all der vielfältigen Wechselwirkungen mit den anderen umgebenden Kulturen) , so kann man ahnen, dass eine begriffsgeschichtliche Vorgehensweise zwar sehr anregend sein könnte, aber letztlich keinen wirklichen Beitrag zu dem leisten kann, um das es hier geht: die Benutzung bestimmter Termini in einer aktuellen systematischen Theorie mit empirischen Bezug.
ZIEL DES EXPERIMENTES 1
6) In einer informellen Darstellungsweise könnte man sagen, dass es im Geist-Sichtbarmachungs-Experiment (Mind-Visibility-Generation-Experiment) darum geht, zu zeigen, wie unter Berücksichtigung der kosmischen Rahmenbedingungen (im Sinne der Astrobiologie), der evolutionären Prozesshaftigkeit (im Sinne der Evolutionsbiologie), ausgehend vom beobachtbaren Verhalten (im Sinne verhaltensbasierter Wissenschaften) und unter Berücksichtigung struktureller Eigenschaften von Körpern (im Sinne von Anatomie, Neurowissenschaften,…) plausibel gemacht werden kann, wie die anhand von definierten Aufgaben messbare ‚Intelligenz‘ (im Sinne der empirischen Psychologie) mit einem ‚Geist‘ korrespondiert, der für eine bestimmte Menge von Funktionen steht, die den Strukturen eines Körpers eine spezifische Dynamik verleihen. Das mit ‚Bewusstsein‘ Gemeinte wird dabei angenommen als eine Teilfunktion des ‚Geistes‘.
THEORIEVORAUSSETZUNGEN
7) Wie bei jeder Theorie kann man auch hier unterscheiden zwischen der Theorie selbst und ihrer Hervorbringung. Während die Theorie selbst ein irgendwie geartetes formales Gebilde ist, das von den ‚Theoriemachern‘ (Wissenschaftlern, Ingenieuren) mittels Experimenten auf bestimmte Wirklichkeitsausschnitte bezogen wird, müssen die Theoriemacher individuell spezifische Erkenntnisvoraussetzungen mitbringen, ohne die die Formulierung und koordinierte Nutzung einer Theorie nicht möglich ist. Wir nennen diese postulierten notwendigen Erkenntnisvoraussetzungen hier die ‚minimale kognitive Struktur (MKS)‘ (oder Englisch: ‚minimal cognitive structure (MCS)‘ in dem Sinne, dass jedes virtuelle System, das die gleichen minimale kognitive Struktur besitzen würde, in der Lage wäre, die gleiche Theorie zu formulieren und anzuwenden.
ZIEL DES EXPERIMENTES 2
8) Das Hauptziel des ‚Geist-Sichtbarmachungs-Experimentes (GeiSichtExp)‘ ist genau dieses: virtuelle Systeme entstehen zu lassen, die den minimalen kognitiven Strukturen von Tieren und Menschen so entsprechen, dass sie die gleichen Weltmodelle und dazu gehörigen Verhaltensweisen hervorbringen können. Damit würden diese virtuellen Systeme ‚verhaltensidentisch‘ zu Tieren und Menschen und die Frage nach dem Unterschied zwischen der ‚Natur‘ oder dem ‚Wesen‘ des mit ‚Geist Gemeintem‘ beim Tier und Mensch einerseits sowie den virtuellen Systemen andererseits würde darauf hinauslaufen, ob der ‚Material‘, aus dem die jeweiligen Systeme ‚gebaut‘ sind, eine ‚wesentliche‘ Rolle zukommt.
ENTKOPPLUNG VON BIOLOGISCHEN STRUKTUREN
9) Bei biologischen Systemen hat die Struktur des Körpers, speziell auf der Ebene der Zellen, überwiegend mit der Beschaffung und Erhaltung der Energie zu tun, mit der Erhaltung und Weitergabe von Bauinformationen, mit Wachstum und Koordinierung, usw. und nur zum kleineren Teil mit aktueller Informationsverarbeitung. Würde man das ‚Wesen des Geistes‘ auf die Informationsverarbeitung im engeren Sinne beschränken — was hier im ersten Ansatz versuchsweise getan wird –, dann wäre der größere Teil des Körpers für den Geist nicht direkt relevant. Damit verschärft sich die Plausibilität dafür, dass Strukturen zur Ermöglichung von Informationsverarbeitung im Sinne eines ‚Geistes‘ auch mit anderen Mitteln realisiert werden können. Dies wäre ein erstes Argument dafür, dass das ‚Phänomen des Geistes‘ nicht an die typischen biologischen Strukturen gebunden sein muss.
10) Die Sichtbarmachung von ‚Geist‘ in diesem beschränkten Sinne erscheint prinzipiell machbar, wenngleich aufgrund der implizierten Komplexität nicht einfach. Ein ‚Hobbyprogrammierer um die Ecke‘ wird es nicht schaffen (genauso wenig wie die milliardenschweren Neuro-Simulatoren, die allenthalben entstanden sind bzw. entstehen).
NICHT ALLE FRAGEN BEANTWORTET
11) Die tieferliegende Frage nach dem ‚Geist‘ als einer ‚innewohnenden Eigenschaft der Energie‘ als Ausgangspunkt jeglicher Strukturbildung im Universum würde durch das ‚Geist-Sichtbarmachungs-Experiment‘ jedoch noch nicht beantwortet. Allerdings wäre dies ein Schritt in die Richtung einer möglichen Beantwortung, eine mögliche Motivation, um das Fragen und Experimentieren zu intensivieren.
SUBJEKTIVE WIDERSTÄNDE
12) Die meisten Leute, mit denen ich bislang über dieses ‚Geist-Sichtbarmachungs-Experiment‘ sprechen konnte, tun sich bislang aber überhaupt schwer, diesem Experiment einen Sinn ab zu gewinnen. Die ‚Widerstände‘ für ein ‚Mitdenken‘ sind vielfach. Grundsätzlich tun sich Menschen schwer, über sich selbst nach zu denken. Und wenn überhaupt, dann hat man aus der Vergangenheit bestimmte liebgewordene Bilder, die den Menschen als etwas ‚Besonderes‘ gegenüber allem anderen sehen, als ein mit ‚Geist‘ (und möglicherweise noch ‚Seele‘) ausgestattetem Wesen, dessen Bezug zum Ganzen des Universums trotz Wissen um die Evolution irgendwie und irgendwo nicht so richtig gesehen wird. Die unterschiedlich kursierenden religiösen (hinduistisch, buddhistisch, jüdisch, christlich, muslimisch, …) Deutungsmustern tun ihr ihriges, um den Blick nicht frei zu bekommen, für das ’neue Bild‘ eines — möglicherweise — durch und durch geistigen Universums mit einer darin implizierten eigentümlichen ‚Liebe‘ und ‚Verantwortung‘. Nach allem, was bislang bekannt ist, geht es nicht um ‚weniger‘ Religion, sondern eher um ‚mehr‘. Und wie wir wissen, ist der Weg vom Kind zum erwachsenen, verantwortungsvollen Menschen lang und beschwerlich. Und nicht wenige verweigern auf diesem Weg die notwendigen Einsichten und Konsequenzen. Der Preis der Freiheit ist die Möglichkeit der Verweigerung. Freiheit durch ‚Zwang‘ zu ersetzen hilft in der Regel nicht, da damit die notwendige ‚Reife‘ im einzelnen nicht durch einen eigenen Lernprozess entstehen kann. ‚Zwangsgesellschaften‘ erzeugen auf Dauer ihren eigenen Untergang.
THEORIERAHMEN 2
13) Die benutzte Theorie benutzt drei Komponenten: (i) eine Menge von definierten Aufgaben (‚Tasks‘), die eine Art Umgebung (‚environment‘) für lernende Systeme darstellen; (ii) die zu untersuchenden (lernenden) Systeme (‚Systems‘); (iii) die Interaktion dieser Systeme mit den Aufgaben der Umgebung.
AUFGABEN
14) ‚Aufgaben‘ sind theoretisch definierte Mengen von ‚Zuständen‘, die man in mindestens einen ‚Anfangszustand‘ (’start state‘), mindestens einen ‚Zielzustand‘ (‚goal state‘), sowie einer — eventuell leeren — Menge von ‚Zwischenzuständen‘ (‚intermediate states‘) einteilen kann. Von einem Zielzustand muss es mindestens einen ‚Pfad‘ (‚path‘) zu mindestens einem Zielzustand geben. Dieser wird ‚Lösungspfad‘ (’solution path‘) genannt. Interessant sind die ‚kürzest möglichen‘ Lösungspfade. Kann man einen Lösungspfad angeben, so kann man — unter Voraussetzung feststehender Interaktionen (s.u.) — auch die zum Lösungspfad notwendigen Folgen von Interaktionen angeben, die als solche eine ‚idealisierte empirische Verhaltensfunktion‘ (Phi hoch i‘, φi) definieren. Diese idealisierte empirische Verhaltensfunktion φi kann dann als Sollwert (Norm) benutzt werden, um tatsächliche empirische Verhaltensfunktionen damit zu vergleichen (messen).
SYSTEME
15) Die ‚Systeme‘ innerhalb der verwendeten Theorie sind allesamt ‚offene‘ Systeme, d.h. ‚Input-Output-Systeme‘, die über diverse Wahrnehmungen und Aktionen im kontinuierlichen Austausch mit der jeweiligen Umgebung stehen. Unter Bezug auf eine unterstellte Verhaltensfunktion (phi hoch t, φt: I —> O) kann man dann grob unterscheiden zwischen ‚reaktiven‘ und ‚adaptiven‘ Systemen. ‚Reaktive‘ Systeme (φt: I x IS —> O) verfügen zwar über interne Zustände IS, die in das Verhalten einfließen, diese internen Zustände IS können jedoch nicht wesentlich verändert werden. Im Gegensatz dazu können ‚adaptive‘ Systeme (φt: I x IS —> IS x O) ihre internen Zustände IS hinreichend verändern. Die jeweilige Implementierung der internen Zustände IS (mittels z.B. biologischer Zellen, neuronaler Zellen, Classifier, Graphen) spielt keine wesentliche Rolle. Bislang kann man allerdings ‚technische‘ System von ‚biologischen‘ Systemen meistens dadurch unterscheiden, dass biologische Systeme zwischen einem ‚Genotyp‘ und einem ‚Phänotyp‘ unterscheiden. Der Phänotyp entsteht aus einem Genotyp durch einen Wachstumsprozess, bei dem anhand von genetischen Ausgangsinformationen ein interaktiver Prozess angeregt wird, in dessen Verlauf der Phänotyp (salopp: Körper) entsteht. Der Phänotyp trägt über ‚Fortpflanzung‘ zum Erhalt der genetischen Informationen bei. Bei diesem Prozess können die genetischen Informationen mit Zufallseinflüssen verändert werden. Auf diese Weise können genau jene genetischen Informationen selektiv überleben, deren Phänotypen sich in einer bestimmten Umgebung besonders ‚bewähren‘. Bei technischen Systemen fehlt diese genetische Rückkopplung bislang aufgrund der hier anfallenden Komplexität einerseits und des für solche Prozesse notwendigen Zeitbedarfs.
INTERAKTIONEN: STIMULUS (S), RESPONSE (R)
16) Die ‚Interaktion‘ eines Systems mit seiner Umgebung geschieht einmal über solche Umweltereignisse, die das System als ‚Reize’/ ‚Stimuli‘ (S) ‚wahrnehmen‘ kann sowie über solche Veränderungen an der Außenseite (Interface, Schnittstelle) seines Systems, die als ‚Antworten’/ ‚Responses‘ (R) auf die Umgebung ‚einwirken‘ können. Sofern solch eine Reaktion ‚R‘ von einem bestimmen Stimulus ‚S‘ abhängig ist, spricht man auch von einem Stimulus-Response-Paar (s,r) ∈ S x R. Die Menge aller solcher Stimulus-Response Paare, die für ein bestimmtes System als ‚charakteristisch‘ beobachtet werden können, wird hier als ‚empirische Verhaltensfunktion‘ (φe) bezeichnet. Handelt es sich bei dem System unter Beobachtung um eine biologisches System, ist es eine ‚empirisch-empirische‘ Verhaltensfunktion (φe,e), im Falle von technischen Systemen um eine ‚empirisch-technische‘ Verhaltensfunktion (φe,t). Empirische Verhaltensfunktionen kann man mit idealisierten (‚gesollten‘) Verhaltensfunktionen (φi) vergleichen. Stimmen die empirischen Funktionen mit den idealisierten ‚hinreichend überein‘, dann kann man sagen, dass ein System den für eine Aufgabe zu leistenden minimalen Lösungspfad ‚gelernt‘ hat. Zwischen einer vollständigen (100%) und keiner (0%) Übereinstimmung mag es viele charakteristische Varianten geben.
17) Innerhalb des hier skizzierten theoretischen Rahmens lassen sich alle bis heute bekannten reaktiven und adaptiven Systeme behandeln. Im Laufe des Experimentes werden einige dieser Systeme real vorgestellt werden. Alle beobachtbaren Leistungen sind über definierte Aufgaben beschreibbar und dadurch mit dem Verhalten realer biologischer Systeme vergleichbar. Die Einbeziehung des genotypischen Lernens ist angezielt, aber weitgehend abhängig von der Verfügbarkeit geeigneter Ressourcen.
QUELLENNACHWEISE
Abfrageergebnisse in www.leo.org (Abfrage vom 27.Dez.2012)
Zur Erinnerung, Auslöser für die Idee mit dem Experiment war das Nachtgespräch im INM……
Am 15.Dez012 11:00h gab es ein denkwürdiges Treffen im Café Siesmayer (Frankfurt, neben dem Palmgarten). Für mich war es das erste Mal dort; ein angenehmer Ort, um zu reden (und natürlich auch, um Kaffee zu trinken).
Die ‚Besetzung‘ ist kurz beschrieben: einer mit Schwerpunkt Soziologie, einer mit Schwerpunkt Physik, einer mit Schwerpunkt Informatik, Psychologie und Erkenntnistheorie.
Nachdem die Gedanken mehrere Kreise, Ellipsen, Achten und diverse Verschlingungen gezogen hatten näherten wir uns dem zentralen Knackpunkt: wie lokalisieren wir den ‚Geist‘ und worin soll das ‚Experiment‘ bestehen?
Der Referenzpunkt der Überlegungen wurde gebildet von der Annahme, dass wir zu Beginn des Universums einen Übergang von ‚Energie‘ zu ‚Materie‘ haben, nicht als das ‚ganz Andere‘, sondern als eine andere ‚Zustandsform‘ von Energie.
Und dann beobachten wir einen weiteren Übergang von Energie in materielle Strukturen‘, nämlich dort, wo die Energie als sogenannte ‚freie Energie‘ den Übergang von einfachen chemischen Verbindungen zu immer komplexeren chemischen Verbindungen begünstigt, zu Zellen, zu mehrzelligen Systemen, bis hin zu den Pflanzen, Tieren und dem homo sapiens sapiens, einer Lebensform, zu der wir ‚als Menschen‘ gehören.
Und es sieht so aus, als ob diese komplexen biologischen Strukturen eine fast ‚triebhafte‘ Tendenz besitzen, die biologische motivierte Strukturbildung beständig zu bestärken, zu beschleunigen, zu intensivieren.
Die beobachtbare Strukturbildung folgt allerdings bestimmten ‚Vorgaben‘: Im Falle biologischer Systeme stammen diese Vorgaben aus den Nervensystemen bzw. genauer den Gehirnen. Allerdings, und dies ist der entscheidende Punkt, es sind nicht die physikalisch-chemischen Eigenschaften der Gehirne als solche, die die Vorgaben ‚kodieren‘, sondern es ist ein Netzwerk von ‚Informationen‘ bzw. ‚Bedeutungen‘ , die zwar mit Hilfe der der physikalisch-chemischen Eigenschaften realisiert werden, die aber nicht aus diesen direkt abgeleitet werden können!!!!!! Die informatorisch-semantische Dimension biologischer Systeme ermöglicht all das, was wir als ‚intelligent‘ bezeichnen bzw. all das, was wir als ‚Ausdruck des Geistes‘ notieren. Für diese informatorisch-semantische (= geistige!?) Dimension gibt es aber — bisher! — keine Begründung in der bekannten physikalischen Welt.
Hat man diesen Faden erst einmal aufgenommen, dann kann man den Weg der Entwicklung weiter zurück gehen und wird feststellen, dass es diese geheimnisvolle informatorisch-semantische Dimension auch schon auf der Ebene der Zelle selbst gibt. Denn die ‚Steuerung‘ der Proteinbildung bis hin zur Ausformung kompletter Phänotypen erfolgt über ein Molekül (DNA (auch RNA und andere)), das als solches zwar komplett über seine physikalischen Eigenschaften beschrieben werden kann, dessen ’steuernde Wirkung‘ aber nicht direkt von diesen physikalischen Eigenschaften abhängt, sondern (wie Paul Davies ganz klar konstatiert), von etwas, was wir ‚Information‘ nennen bzw. was ich als ‚Bedeutung‘ bezeichnen würde, eben jene (semantische) Beziehung zwischen einem Materiekomplex auf der einen Seite und irgendwelchen anderen Materiekomplexen auf der anderen Seite. Und diese semantischen Beziehungen sind ’spezifisch‘. Wo kommen diese her? Die physikalischen Eigenschaften selbst liefern dafür keinerlei Ansatzpunkte!!!!
Interessant ist auf jeden Fall, dass die zentrale Rolle der semantischen Dimension im Bereich entwickelter Nervensysteme sich schon bei der ersten Zelle findet, und zwar an der zentralen Stelle, an der bislang die Wissenschaft das Spezifikum des Biologischen verortet. Strukturell ist die semantische Dimension in beiden Fällen völlig identisch und in beiden Fällen physikalisch bislang unerklärlich.
Nach allem, was wir bis heute wissen, ist das, was wir mit ‚Geist‘ meinen, genau in dieser semantischen Dimension zu verorten. Dies aber bedeutet, der Geist ‚erscheint‘ nicht erst nach ca. 13 Milliarden Jahren nach dem Big Bang, sondern mindestens mit dem Entstehen der ersten Zellen, also vor ca. 3.8 Mrd Jahren.
Betrachtet man die ’semantische Dimension‘ aus einem gewissen ‚gedanklichen Abstand‘, dann kann man auch formulieren, dass das ‚Wesen des Semantischen‘ darin besteht, dass eine Materiestruktur das Verhalten anderer Materiestrukturen ’steuert‘. In gewisser Weise gilt dies letztlich auch für die Wechselwirkungen zwischen Atomen. Fragt sich, wie man die Beziehung zwischen Energie ‚als Energie‘ und Energie ‚als Materie‘ betrachten kann/ muss. Die Ausbildung von immer mehr ‚Differenzen‘ bei der Abkühlung von Energie ist jedenfalls nicht umkehrbar, sondern ‚erzwungen‘, d.h. Energie als Energie induziert Strukturen. Diese Strukturen wiederum sind nicht beliebig sondern induzieren weitere Strukturen, diese wiederum Strukturen bei denen immer mehr ‚zutage‘ tritt, dass die Strukturbildung durch eine semantische Dimension gesteuert wird. Muss man annehmen, dass die ’semantische Struktur‘, die auf diesen verschiedenen Niveaus der Strukturbildung sichtbar wird, letztlich eine fundamentale Eigenschaft der Materie ist? Dies würde implizieren (was ja auch schon nur bei Betrachtung der materiellen Strukturen deutlich wird), dass Energie ‚als Energie‘ nicht neutral ist, sondern eine Form von Beziehungen repräsentiert, die im Heraustreten der Strukturen sichtbar werden.
Sollten alle diese Überlegungen treffen, dann kann man mindestens zwei Hypothesen formulieren: (i) das, was wir mit ‚Geist‘ benennen, das ist kein ’spätes‘ Produkt der Evolution, sondern von allem Anfang das innere treibende Prinzip aller Strukturbildungen im Universum; (ii) das, was wir mit ‚Geist‘ benennen, ist nicht gebunden an die biologischen Körper, sondern benötigt als Vorgabe nur etwas, das die notwendigen ‚Unterschiede‘ repräsentiert.
Der heute bekannte ‚digital elektronisch realisierte Computer‘ ist ein Beispiel, wie man semantische Dimensionen ohne Benutzung biologischer Zellen realisieren kann. Wie viel der bekannten menschlichen Intelligenz (und damit des unterstellten ‚Geistes‘) mit dieser Technologie ’simulierbar‘ ist, ist umstritten. Die Experten der Berechenbarkeit — und dazu zählt auf jeden Fall auch Turing, einer der Väter der modernen Theorie der Berechenbarkeit — vermuten, dass es keine Eigenschaft der bekannten Intelligenz gibt, die sich nicht auch mit einer ‚technologisch basierten‘ Struktur realisieren lässt. Die Schwierigkeiten bei nichtbiologisch basierten Intelligenzen im Vergleich zu biologisch basierten Intelligenzen liegen ‚einzig‘ dort, wo die Besonderheiten des Körpers in die Bereitstellung von Ereignissen und deren spezifische Verknüpfungen eingehen (was direkt nachvollziehbar ist). Diese spezifische Schwierigkeit stellt aber nicht die Arbeitshypothese als solche in Frage.
Die ‚Besonderheiten des biologischen Körpers‘ resultieren aus spezifischen Problemen wie Energiebeschaffung und Energieverarbeitung, Bewegungsapparat, Anpassung an Umgebungsbedingungen, Fortpflanzung, Wachstumsprozesse, der Notwendigkeit des Individuellen Lernens, um einige der Faktoren zu nennen; diese körperlichen Besonderheiten gehen der semantischen Dimension voraus bzw. liegen dieser zugrunde. Die technisch ermöglichte Realisierung von ‚Intelligenz‘ als beobachtbarer Auswirkung der nicht beobachtbaren semantischen Dimension ist als nicht-biologische Intelligenz auf diese Besonderheiten nicht angewiesen. Sofern die nicht-biologische Intelligenz aber mit der biologischen Intelligenz ‚auf menschenähnliche Weise‘ interagieren und kommunizieren soll, muss sie von diesen Besonderheiten ‚wissen‘ und deren Zusammenspiel verstehen.
Das oft zu beobachtende ’sich lächerlich machen‘ über offensichtliche Unzulänglichkeiten heutiger nicht-biologischer Intelligenzen ist zwar als eine Art ‚psychologischer Abwehrreflex‘ verständlich, aber letztlich irreführend und tatsächlich ‚verblendend‘: diese Reaktion verhindert die Einsicht in einen grundlegenden Sachverhalt, der uns wesentliche Dinge über uns selbst sagen könnte.
Zurück zum Gespräch: aus den oben formulierten Hypothesen (i) und (ii) kann man unter anderem folgendes Experiment ableiten: (iii) Wenn (i) und (ii) stimmen, dann ist es möglich, durch Bereitstellung von geeigneten nicht-biologischen Strukturelementen ‚Geist‘ in Form einer ’semantischen Dimension‘ (! nicht zu verwechseln mit sogenannten ’semantischen Netzen‘!) als ’nicht-biologische Form von ‚Geist‘ ’sichtbar und damit ‚lebbar‘ zu machen. Dies soll durch Installierung einer offenen Arbeitsgruppe am INM Frankfurt in Angriff genommen werden. Offizieller Start 2014. Wir brauchen noch einen griffigen Titel.
Anmerkung: ich habe den Eindruck, dass die Verschiebung der Begrifflichkeit (‚Information‘ bei Paul Davies, ’semantische Dimension‘ von mir) letztlich vielleicht sogar noch weiter geführt werden müsste bis zu ’semiotische Dimension‘. Dann hätten wir den Anschluss an eine sehr große Tradition. Zwar haben nur wenige Semiotiker in diesen globalen und universellen Dimensionen gedacht, aber einige schon (z.B. Peirce, Sebeok). Außerdem ist die ‚Semantik‘ von jeher eine Dimension der Semiotik. Den Ausdruck ‚Semiotische Maschine‘ für das ganze Universum hatte ich ja auch schon in früheren Blogeinträgen benutzt (siehe z.B.: http://cognitiveagent.org/2010/10/03/die-universelle-semiotische-maschine/). Allerdings war mir da der Sachverhalt in manchen Punkten einfach noch nicht so klar.
Natürlich geht dies alles weiter. In gewisser Weise fängt es gerade erst an. Ich habe den Eindruck, dass wir in einer Zeitspanne leben, in der gerade der nächste große Evolutionssprung stattfindet. Jeder kann es spüren, aber keiner weiß genau, wie das ausgeht. Klar ist nur, dass wir uns von den Bildern der letzten Jahrtausende verabschieden müssen. Die Worte und Bilder aller großen Religionen müssen ‚von innen heraus‘ dramatisch erneuert werden. Es geht nicht um ‚weniger‘ Religion, sondern um ‚mehr‘. Thora, Bibel und Koran müssen vermutlich neu geschrieben werden. Was kein grundsätzliches Problem sein sollte da wir als Menschen dem, was/wen wir ‚Gott‘ nennen, nicht vorschreiben können, was und wie er etwas mitteilen möchte. Die ‚Wahrheit‘ geht immer jeglichem Denken voraus, ohne diesen Zusammenhang verlöre jegliches Denken seinen ‚Halt‘ und damit sich selbst. Und weil dies so ist, kann man einen alten Ausspruch ruhig weiter zitieren. „Die Wahrheit wird euch frei machen.“
Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträgen nach Themen findet sich HIER
Seit dem Frühjahr 2012 habe ich einen losen Kontakt mit dem Salon Slalom (URL: http://salonslalom.wordpress.com/salon-slalom/). Ein Team von aktuell fünf Personen organisiert gemeinsame Veranstaltungen zu allen möglichen Themen, meist aus den Reihen der Salon-Mitglieder. Das Besondere daran ist, dass es keinen festen Ort gibt. Die Veranstaltungen sind je nach Thema irgendwo, teilweise auch draußen. Ich war z.B. einmal bei einer sehr inspirierenden Veranstaltung mit einem Holzkünstler im Taunus. Irgendwann hatte ich auch mal zugesagt, einen Abend zu gestalten. Die Ankündigung findet sich hier:
Durch einen akuten Wintereinbruch mit starkem Schneefall wurde die Anreise für alle TeilnehmerInnen an diesem Abend zu einem kleinen Abenteuer. Dazu noch die Lage des INM im Osthafen, zwischen lauter Logistikunternehmen, im vierten Stock auf dem Dach eines alten Bunkers, ohne Aufzug (die Städte nehmen es in ihren eigenen Gebäuden mit der Barrierefreiheit nicht so genau…). Aber der Raum füllte sich dann doch.
Harakiri?
Angeregt durch die offene Atmosphäre des Salons hatte ich mir vorgenommen, meine aktuellen Gedanken zum neuen Welt- und Menschenbild so zusammen zu stellen, dass man zumindest ahnen konnte, wie das Wissen um den Menschen, die Evolution, und die Computer sich wechselseitig verschränken. Angereichert wurde das Ganze noch durch kurze Schilderungen meiner Radically Unplugged Music Selbstversuche mit Klangbeispielen (Startseite für die RUM-Experimente ist: http://www.doeben-henisch.de/sounds/index.html). Die Stücke, die ich für diesen Abend ausgewählt hatte, stammten von meiner provisorischen ‚Playlist‘: http://www.doeben-henisch.de/sounds/playlist). Natürlich weiß man vorher nie, wie die TeilnehmerInnen auf das alles reagieren.
Nach der Begrüßung und einigen einleitenden Worten habe ich erst mal ein Stück zur Einstimmung gespielt:
Thunderstorm Dancing Ahead of (Version c) Interesting, somehow I was nearly sleeping after a long day, but when I started the recorder and started playing I became awake again….somewhere in the night…
Fügte noch hinzu, dass ich im Sommer 2010 kurz vorher ein kleines Aufnahmegerät gekauft hatte, mit dem ich im Juli einen kleinen Sturm aufgenommen hatte. Den Sound von diesem Sturm hatte ich in diesem Stück als Ausgangspunkt benutzt.
Phänomene und hinter den Phänomenen
Hauptproblem bei allen Vorträgen ist immer, wie fange ich an. Ermutigt durch die positive Resonanz im Münchner Vortrag bei der YPO-Jahresveranstaltung wählte ich die Vielschichtigkeit des Menschen als Ausgangspunkt,
um davon ausgehend deutlich zu machen, dass alle unseren bewussten Bilder von einem Gehirn stammen, das im Körper sitzt und selbst keinen direkten Kontakt mit der Welt hat.
Daraus ergeben sich allerlei Konsequenzen dazu, wie wir mit den Bildern, die unser Gehirn von der Welt produziert, umgehen sollten. So wunderbar unser Gehirn arbeitet, so wenig darf man ihm blindlings trauen. Dazu habe ich ein paar Beispiele erzählt.
Die Philosophen in Europa haben sich mindestens seit der Zeit der griechischen Philosophie beständig damit beschäftigt, wie sie die Erscheinungsformen der Phänomene analysieren und bewerten sollten. Einige der letzten großen Heroen der bewusstseinsbasierten Philosopien waren Descartes, Kant, Hegel, Hume, Locke, Berckeley, Husserl, Hartmann, um nur einige zu nennen. Sie alle erkannten in den Phänomenen des Bewusstseins zwar gewisse Regelhaftigkeiten, sie blieben aber notgedrungen im Bewusstsein ‚gefangen‘. Erst die neuen Erkenntnisse zum Gehirn (ab Beginn 20.Jahrhundert) sowie zur Evolution (ab Ende 19.Jahrhundert) ermöglichten uns, die ‚Rahmenbedingungen der Entstehung der Phänomene‘ neu zu verstehen (was sich u.a. im Aufblühen neuer an den Naturwissenschaften orientierten Erkenntnistheorien manifestiert).
Die neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse lieferten aber nicht nur einen Schlüssel zum Paradox des Bewusstseins in der Weise, dass wir jetzt die Dynamik unseres Bewusstseins in Beziehung setzen können zur Arbeitsweise des Gehirns , sondern wir bekommen damit einen weiteren Schlüssel dafür, warum wir überhaupt ein so unglaubliches Gehirn in einem nicht weniger unglaublichen Körper haben. Die Evolutionsbiologie kann uns in eindrücklicher Weise aufzeigen, wie dieses unser heutiges Gehirn mit dem Körper sich in einer langen 4 Milliarden Jahre dauernden mühevollen Geschichte herausbilden mussten. Wir Menschen haben eine Geschichte, eine reale Geschichte. Wir haben reale Vorfahren, die in unglaublichen erfinderischen Prozessen mit extrem hohen ‚Verlusten‘ das ermöglicht haben, was wir heute sind. Und wir sind kein Endpunkt, sondern – soweit wir sehen können – eine Durchgangsstation zu einem Zustand, den keiner aktuell genau beschreiben kann (obwohl es Menschen gab wie der französische Jesuit Teilhard de Chardin, der als weltweit geachteter Paläontologe sein von der Theologie und Philosophie inspirierte Visionen über das wahre Wesen des Menschen und des Kosmos in wortgewaltigen Texten niedergeschrieben hat; gegen das Lehramt der katholischen Kirche, mit mehrfachen Verboten mundtod gemacht, aber dann doch durch seine vielen Freunde der Öffentlichkeit gerettet).
Mit diesen neuen Erkenntnissen ergaben sich neue Fragen: wie ist diese atemberaubende ‚Gestaltwerdung‘ im Biologischen möglich?
Am Beispiel der Interaktion zwischen Genotyp und Phänotyp versuchte ich dann deutlich zu machen, wie hier ein lokaler Veränderungsmechanismus, der in sich völlig ‚blind‘ für den Kontext ist, mögliche Gestaltungsräume absucht, die dann über Wachstum und Körper mit der Umgebung Erde in Interaktion treten. Es ist dann die konkrete Erde, die quasi als ‚Schiedsrichter‘ auftritt, welche der versuchten Strukturen ‚es schaffen‘ und welche nicht (die Darwinsche Selektion). Man kann hier auch das fundamentale Wertesystem erkennen (wenn man will), das alles andere übertönt: Erhaltung des Lebens unter den Bedingungen der Erde. Allerdings, und darauf habe ich dann im weiteren Verlauf hingewiesen, hat die Evolution selbst die Bedingungen im späteren Verlauf tiefgreifend verändert.
Können diese Überlegungen noch sehr abstrakt wirken, so macht uns der reale Gang der universalen Genese seit dem Big Bang klar, dass wir es mit einem überaus realen Prozess zu tun haben, von dem wir ein Teil sind. Die geradezu dramatische Weise der Entstehung des Lebens seit ca. 4 Mrd.Jahren, die unglaublichen Vorgänge im Rahmen der chemischen Evolution, die zur ersten Zelle führten und die bis heute noch nicht vollständig aufgeklärt sind, dann die ca. 2.8 Milliarden dauernde Zeitspanne (!!!!!!!!), bis es von den einzelligen zu mehrzelligen Lebensformen kam, usw. usw. Wer sich dies bewusst anschaut und nicht in ergriffener Bewunderung endet, dem ist schwer zu helfen.
Bemerkenswert ist, dass nach heutigen Kenntnisstand bis zur Ausdehnung der Sonne noch ca. 1 Mrd Jahre Zeit haben, bis die mit der Aufblähung der Sonne einhergehende Temperaturerhöhung alles Leben auf der Erde unmöglich machen wird. Gemessen an der bisherigen Zeit unseres bekannten Universums von ca. 13.7 Mrd Jahren macht dies etwa 1/15 aus. Gemessen an der Evolution des Lebens von ca. 3.8 – 4 Mrd etwa 1/5. Wenn man sieht, welche ungeheure Beschleunigung die Evolution des Lebens auf der Erde allein in den letzten 100 Jahren genommen hat, können die verbleibenden 1 Mrd Jahre mehr als ausreichend sein, um eine Lösung für die Erhaltung des Lebens zu finden. Vorausgesetzt, wir nutzen unsere Möglichkeiten entsprechend.
Es gab dann einen Einschub mit Gedanken zu meinen Radically Unpluggd Music Selbstversuchen.
Schilderte kurz die Entstehungsgeschichte, die Auflehnung dagegen, nur passiver Konsument zu sein, die Versuchsanordnung, wie ich mit Musik experimentieren kann ohne Noten zu benutzen und ohne vorher üben zu können.
Dazu ein paar Gedanken zur Frage, was denn ein ‚Ton‘ ist und wie die Mathematik und die moderne Technik es erlaubt, den klassischen Produktions- und Reproduktionszusammenhang aufzubrechen und in schier unendliche Räume auszuweiten. Der ‚reale‘ menschliche Musiker und Komponist wird dadurch nicht ‚überflüssig‘, aber er kommt in eine neue Rolle. In gewisser Weise eröffnet die Mathematik in Kombination mit der Technik ein Universum an Instrumenten und Klängen und die Frage, was Musik ist, was wir mit ihr tun, stellt sich völlig neu. Auch hier, im Segment der Musik, wirkt sich die fortdauernde Evolution aus.
Es kam dann als nächstes Stück ‚Die Wahrheit spielt vor den schwarzen Riesen (The truth plays before the black giants‘).
The Truth Plays Before the Black Giants I have experimented with some abstract ‚dark‘ sound in the back and a very crisp and clear oboe-sound in the foreground. I am still curious about the many libraries of ableton. But besides this ’sound curiosity‘ I gave some space for inspirations. There was the picture of the ‚(seemingly) tiny truth‘ playing before the large dark giants of the ‚all earth’… The tiny small truth got their hearts and the darkness was rumbling, but in comfort…
Mathematik und Computer
Versuchte deutlich zu machen, dass nahezu alles, was wir heute im Alltag an Technologie benutzen, ohne die Entwicklung der modernen Mathematik unmöglich wäre. Die Mathematik ist das zentrale Instrument des modernen Geistes, um sich in der überwältigenden Vielfalt der Realität zurecht zu finden und es ist geradezu bizarr wie eine Gesellschaft, die nahezu vollständig auf er Mathematik basiert, in ihrem öffentlichen Leben, im öffentlichen Bewusstsein, in den Medien dies nahezu vollständig ausblendet, verdrängt. Dies grenzt an eine kollektive Neurose, die sich wie eine Gehirnwäsche über alles legt und schon die kleinsten Regungen, dass jemand irgendetwas Mathematisches äußert, zeigt, tut sofort negativ abstraft oder ins Lächerliche zieht.
Ich habe dann versucht, deutlich zu machen, dass die Technologie des Computers, die heute nahezu alle Winkel unseres alltäglichen Lebens erobert, durchdringt und damit mitgestaltet, ihren Ausgangspunkt in den Grundlagendiskussionen der Mathematiker kurz vor der Wende zum 20.Jahrhundert wie dann in den ersten Jahrzehnten eben dieses Jahrhunderts hatte.
Nach den ersten großen Formalisierungserfolgen entstand die Idee – insbesondere bei David Hilbert – ob sich nicht alle Fragen mathematischer Theorien völlig ‚automatisch‘ mittels eines endlichen Kalküls entscheiden lassen.
Es dauerte zwar ca. 30 Jahre von den ersten Vermutungen dieser Art bis zum Beweis von Kurt Gödel 1931, aber dafür war das Ergebnis um so schockartiger.
Kurt Gödel konnte beweisen, dass es schon bei den ‚einfachen‘ mathematischen Theorien nicht möglich ist, sowohl ihre ‚Widerspruchsfreiheit‘ als auch ihre ‚Vollständigkeit‘ zu beweisen. Der Beweis von Gödel konnte bis heute nicht widerlegt werden, aber Gödel selbst war mit ihm nicht ganz zufrieden. Ein Beweis bezieht seine Überzeugungskraft ja daher, dass er im Beweis nur solche Mittel benutzt, die ‚aus sich heraus‘ ‚zweifelsfrei‘ sind. Im Konkreten heißt dies, diese Mittel müssen – um der einfachen Struktur des menschlichen Gehirns zu entsprechen – durchweg ‚endlich‘ sein und nach ‚endlich vielen Schritten‘ einen klaren ‚Endzustand‘ erreichen. Was für die meisten Menschen im Alltag eher als Banaliät erscheinen mag (ist doch im Alltag alles sehr deutlich und konkret ‚endlich‘) war für den Bereich mathematischer Beweise offensichtlich nicht so trivial. Es war dann Alan Matthew Turing, ein genialer Engländer, der den Beweis von Gödel quasi mit anderen Mitteln wiederholte und der es auf eine Weise tat, die Gödel begeisterte. Diese Art des Beweises akzeptierte Gödel sofort.
Schaut man sich das Verfahren von Turing näher an, ist man zuerst einmal überrascht. Das Verfahren, das Turing beschreibt, sieht so einfach aus, dass man sich im ersten Moment gar nicht vorstellen kann, dass man damit irgend etwas Ernsthaftes machen könnte. Turings Vorbild war ein Büroangestellter, der mit einem Schreibstift auf einem Blatt Papier Zahlen schreibt. Wie sich dann aber in den Jahren nach Turing herausstellte, ist es genau dieses Verfahren, was sich bislang als ‚das‘ Konzept, als der ‚Maßstab‘ für einen ‚endlichen berechenbaren Prozess‘ erwiesen hat, denn von allen anderen Formalisierungsvorschlägen, die nach ihm gemacht wurden (oder zeitgleich oder kurz vorher) konnte bewiesen werden, dass sie höchstens ‚gleichwertig‘ sind oder schwächer. Damit dürfte dieses Konzept von Turing, das später und heute allgemein als ‚Turingmaschine‘ benannt wird, als das fundamentalste philosophische Konzept des 20.Jahrhunderts erscheinen (fragt sich natürlich, welche anderen Bereiche man noch hinzunehmen möchte. Im Bereich Naturwissenschaft gab es im 20.Jahrhundert viele bahnbrechende Erkenntnisse. Eventuell müsste man die dann dazurechnen). Jeder konkrete Computer heute kann nicht mehr als das, was das mathematische Konzept der Turingmaschine verkörpert (leider gibt es immer wieder Leute, die das mathematische Konzept der Turingmaschine als Beschreibung einer konkreten ’sequentiellen‘ Rechnerarchitektur missverstehen. Das führt dann natürlich zu allerlei logischen Ungereimtheiten).
Intelligenz bei Tieren und Computern
Dass das Prinzip der Turingmaschine umgesetzt in der Technologie heutiger Computer extrem vielseitig ist, das erleben wir heute in unserem Alltag (falls man sich überhaupt noch bewusst macht, dass nahezu in jedem Gerät heute mindestens ein Computer steckt (allein in einem einzigen Autositz können z.B. bis zu 7 kleine Computer vor sich hinwerkeln, ohne dass sich jemand dessen bewusst ist). Dennoch kann man die Frage stellen, wieweit die prinzipiellen Fähigkeiten dieser Technologie reichen.
Turing selbst dachte laut darüber nach (und hat dies auch in sehr vergnüglicher Weise beschrieben), dass das Prinzip der Turingmaschine eigentlich so universal ist, dass eine Maschine, die nach diesen Prinzipien gebaut würde (ein Computer, ein Roboter), mit der entsprechenden Ausstattung an Sensoren und bei Teilnahme an allen Lernprozessen, die auch ein Kind durchläuft, in der Lage sein müsste, alles lernen zu können, was auch ein Kind lernt. Turing selbst konnte es nicht erleben, ob dies tatsächlich geht.
Aber spätestens seit ihm wird immer wieder laut darüber nachgedacht, ob ein Computer so intelligent sein kann wie ein Mensch, oder gar noch intelligenter.
Ich habe dann kurz die Entwicklung der wissenschaftlichen Psychologie zu Beginn des 20.Jahrhunderts in den USA eingeblendet. Bekannt unter dem Schlagwort ‚verhaltensbasierte Psychologie‘ (‚Behaviorismus) versuchten in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts (aufgrund starker Anregungen von europäischen Psychologen) Psychologen zu empirisch begründeten Aussagen über beobachtbares Verhalten zu kommen. Das vorherrschende Versuchsparadigma waren damals Ratten, die in einem Labyrinth nach Futter (oder Wasser) suchen mussten.
Ein Experiment von Tolman (und anderen), das ihm lange Zeit eine gewisse Berühmtheit bescherte, war die Beobachtung, dass nicht nur Ratten (i) die hungrig waren, nach einer Anzahl von Versuchen das Futter immer schneller fanden, sondern (ii) auch Ratten, die viele Versuche ohne Hunger im Labyrinth herumlaufen konnten, ab dem Zeitpunkt, wo sie dann ‚hungrig gemacht wurden‘, ziemlich direkt das Futter ansteuerten. Tolman & Co folgerten daraus, dass die Ratten offensichtlich während der ’nicht-Hunger-Zeit‘ trotzdem ‚gelernt‘ haben, wie das Labyrinth angeordnet ist, so dass sie in dem Moment, wo sie das Futter wirklich brauchten, dieses aufgrund des zuvor ‚erworbenen Wissens‘ direkt ansteuern konnten.
Die Psychologen dieser Zeit versuchten also aus den beobachtbaren Verhaltensdaten auf ‚Regelmäßigkeiten‘ ‚in‘ der Ratte zu schließen. Da man in dieser Zeit noch nicht so richtig in ein Rattengehirn hineinschauen konnte (übrigens auch heute ist das, was die Neurowissenschaften im Kontext von Rattenexperimenten zu Tage fördern, äußerst unbefriedigend!) , war der Interpretationsspielraum recht groß. Die Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Interpretationsschulen (z.B. das Lager um Hull mit dem ‚Reward-learning‘ und das Lager um Tolman mit den ‚cognitive maps‘) erscheinen aus heutiger Sicht merkwürdig (zumal man zeigen kann, dass sich cognitive maps mit neuronalen Netzen nachbilden lassen, die ziemlich genau den Annahmen von Hull entsprechen). Entscheidend ist nur, dass man aufgrund des Verhaltens eindeutig ausschließen konnte, dass die Ratten ‚zufällig vorgehen.
Mittlerweile können wir – mittels Computern! – beliebige Typen von ‚virtuellen‘ Ratten simulieren. Das Bild zeigt die Struktur des Programms einer virtuellen Ratte basiert auf dem Konzept der Classifier Systeme, allerdings hier abgewandelt), die das Erlernen eines Weges im Labyrinth zum Futter sehr schnell erledigt. Was dieser einfache Typ aber nicht kann, ist das ‚Umlernen‘, falls das Futter nicht mehr am alten Ort ist, sondern an einem neuen Ort. Durch geringfügige Änderungen kann man dies aber ‚einbauen‘.
Die Frage ist, was man aus diesen Befunden folgern kann bzw. sollte. Hat die virtuelle Ratte die ‚gleiche Intelligenz‘ wie die reale Ratte, wenn die beobachtbaren Verhalten messtechnisch ‚gleich‘ sind (Eine Fragestellung, die in den berühmten Turing-Tests auch beständig diskutiert wird)?
Würde man ‚Ja‘ sagen, dann würde dies bedeuten, dass ‚Intelligenz‘ etwas ist, was nicht an die biologische Struktur als Körper gebunden ist, sondern mit jeder Struktur realisiert werden kann, die die entsprechenden ’strukturellen Eigenschaften‘ aufweist. Zwar ist damit nicht gesagt, dass man damit das Phänomen des biologischen Lebens ‚als solchem‘ reproduziert, aber die Eigenschaft der Intelligenz, die sich uns ursprünglich an, mit und durch die biologischen Strukturen ‚zeigt‘ (‚enthüllt‘, ‚offenbart‘, ‚emergiert’…).
Ich habe dann einen weiteren ‚Schwenk‘ gemacht und versuchte zu verdeutlichen, dass sich die Strukturen der Turingmaschine im Kern des Biologischen selbst finden. Am Beispiel des Übergangs vom Genotyp (die Gene) zum Phänotyp (die Körper) kann man sehen, dass die Prozesse, die hier ablaufen, strukturell identisch sind mit der Arbeitsweise einer Turingmaschine, im Prinzip sogar einer abgeschwächten Turingmaschine. Der molekulare Input für das Ribosom repräsentiert die ‚Bandinhalte‘, die ‚Gelesen‘ werden, und der molekulare Output des Ribosoms repräsentiert den Bandinhalt, der ‚geschrieben‘ wird.
Noch wichtiger aber ist vielleicht der Sachverhalt (von dem der Physiker Paul Davies anmerkte, dass er sich bislang jeder physikalischen Theorie widersetzt), dass der Input von einem Molekül kommt (DNA), dessen ‚Bedeutung‘ nicht durch seine primären physikalischen Eigenschaften gegeben ist, sondern durch einen Informationskode, für den es keinerlei physikalische Notwendigkeit gibt. Überhaupt ist das Auftreten von ‚Information‘ in diesem Kontext geradezu aberwitzig. Jeder Kode setzt das Zusammenspiel von einem Sender und Empfänger voraus. Wenn wir also hier , an der Wurzel des Biologischen unübersehbar einen Kode vorfinden, der Bau- und Wachstumsprozesse steuert, und es keine dritte Instanz gibt, die diesen Kode vereinbart hat (und eine solche Instanz ist nicht bekannt), dann muss die Struktur des Kodes schon im Ausgangsmaterial als physikalische Eigenschaft angelegt sein. Das würde aber bedeuten, dass diese eindeutigen Eigenschaften von Intelligenz und Geist inhärente Eigenschaften der Materie selbst sein müssen. Eine andere Erklärung ist aktuell rein logisch nicht möglich (Plato und die Neuplatoniker haben so etwas beispielsweise auch schon gedacht, allerdings ohne explizites Wissen um die Strukturen des Lebens und der Materie).
versucht man alle bekannten Fakten zusammen zu fassen, dann kann man zu folgendem eindrücklichen Bild kommen: das Phänomen des Biologischen im Universum resultiert zunächst einmal aus der Tatsache, dass sich das Universum laut Aussagen der Physik noch in einem Zustand unterhalb des Maximums der Entropie befindet. Dadurch gibt es noch ‚Energieunterschiede‘ im Universum, die sich in Form ‚frei verfügbarer Energie‘ nutzen lassen. Alle bekannten biologische Phänomene tun genau dies: sie nutzen freie Energie um – im Widerspruch zum Entropiegesetz der Physik!!! – immer komplexere Strukturen hervor zu bringen. Ab einem bestimmten Komplexitätspunkt (Tiere, insbesondere dann wir als homo sapiens sapiens) sind diese Strukturen in der Lage, Modell der Umgebung und von sich selbst zu erstellen, die für das eigene Handeln genutzt werden können. Damit hat sich die Evolution einen erweiterten Handlungsspielraum geschaffen, der die Geschwindigkeit der Lernprozesse um geschätzt den Faktor 10^7 zu beschleunigen (weitere Steigerungen nicht ausgeschlossen). Gleichzeitig gibt es im Konzept der Turingmaschine eine ‚technische Kopie‘ jener Struktureigenschaften, die wir mit Intelligenz verknüpfen. Die Evolution hat sich also neben den ‚intelligenten biologischen Strukturen‘ auch noch einen ‚Intelligenzverstärker‘ geschaffen, der sich unabhängig von den biologischen Strukturen entwickeln und nutzen lässt.
In diesem Zusammenhang fundamental bedeutsam ist auch der Umstand, dass alle biologischen Strukturen ‚wertabhängig‘ sind, d.h. Alle (!!!) Wachstums- und Lernprozesse setzen voraus, dass es messbare ‚Präferenzen‘ (Fitness, Werte) gibt, an denen sich diese Prozesse orientieren. Bislang ist dies die Erde selbst in ihrer Konkretheit. In dem Masse, wie die Evolution aber Strukturen geschaffen hat, die in ihrer Erkenntnisfähigkeit über die Erde ‚hinaus schauen‘ können, wird dies primäre Wertsystem ‚Leben unter den Bedingungen der Erde‘ abgelöst durch ein Wertesystem ‚Leben unter den Bedingungen des Universums‘. Eine solche Erweiterung des Wertesystem ist auch dringend notwendig, da mit den verbleibenden 1 Mrd Jahre bis zum Wärmtod durch die Sonne einiges getan werden muss, um diesem Wärmetod zu entgehen. Hierin deutet sich an, dass das Leben seinen ‚Sinn‘ ‚in sich selbst‘ hat. Dies alles zu verstehen stehen wir vermutlich erst ganz am Anfang.
Es gab dann noch ein paar Bilder und Bemerkungen zur Beschreibung von Vielfalt durch die Mathematik oder den direkten Strukturvergleich zwischen Menschen als selbsmodifizierendem System und der universellen Turingmaschine:
Verhaltensformel Mensch: phi: I x IS —> IS x O
Verhaltensformel UTM: phi: I x IS —> IS x O
Ich habe die Präsentation beendet mit dem Hinweis darauf, dass wir hier in Frankfurt, und zwar genau in diesem INM, wo an diesem Abend der Vortrag stattfand, zusammen mit der FH Frankfurt und der Goethe-Uni Frankfurt und allen, die mitmachen wollen, im Frühjahr 2014 das große ‚Geist-Sichtbarkeitsmachung-Projekt‘ starten wird. Rund um die Uhr, jeden Tag des Jahres, wird man zuschauen können, wie der künstliche Geist unter den Augen der Öffentlichkeit entstehen wird. Die Vorbereitungen dazu laufen schon. Noch im Dezember wird es eine erste Gründungsversammlung mit einer ersten Webseite geben. Wir werden auch Sponsorengelder einsammeln, da wir ganz ohne ein Minimalteam zum Management des Ganzen nicht auskommen werden.
Es folgte abschließend ein weiteres Musikstück, inhaltlich passend zum neuen Welt- und Menschenbild. ‚Du bist die Botschaft des Universums‘, womit jeder gemeint ist; jeder verkörpert – ob er/ sie will oder nicht – eine Botschaft, in der das Ganze des Universums enthalten ist. Wir müssen diese Botschaft nur lesen lernen:
You are the message of the universe (Rap-like…) Hatte nur so gespielt. Erst ein paar Drum-Clips arrangiert. Dann eine verfremdete Flöte als Hauptmotiv. Dazu dann einen Bass. Als mir dann keine geeignete weitere Stimme mehr einfiel, habe ich mich an einen Text erinnert, den ich vor Monaten schon in einem Musikvideo verarbeitet hatte ‚You are the message of the universe‘. Ich finde, im aktuellen Arrangement passt er ganz gut. Eine Art Anti-Rap Rap….oder auch nicht. Es gibt so unendlich viele Sichten zu jeder Sache. Die immanente Unendlichkeit ist der eigentliche ‚Hit‘, natürlich hervorgebraht vom Gehirn, dieses selbst aber ist eine Hervorbringung aus dem Innern der Materie, und damit aus der Mitte der Energie… diese wiederum ist — physikalisch betrachtet — ‚unsterblich‘. Wir sind alle viel mehr, als wir ahnen, geschweige denn denken können…letztlich ist es egal, was wir denken, bevor wir denken sind wir schon das, was wir sind… das ist unser Glück. Aber natürlich, warum können wir dann überhaupt denken? Wozu? Gute Frage… wer die Antwort findet, braucht sie nicht mehr….Good Luck..
PS: Ursprünglich hatte ich noch einen Abschnittt über die zentrale Rolle von Künstlern zusammen mit Wissenschaftlern; aber der blieb auf der Strecke, es war dann doch zu viel Stoff….
PS2: Es gab noch eine recht intensive Diskussion.
PS3: Am Tag drauf hatte ich eine lange, sehr inspirierende Besprechung mit einem guten Bekannten aus der Szene der experimentellen Musik, wo wir die verschiedenen Aspekte des kommenden Projektes zur ‚Sichtbarmachung von Geist‘ durchsprachen. Von den vielen Punkten, die wir demnächst auch entsprechend kommunizieren werden, war einer für den Zusammenhang hier besonders interessant: da der Begriff ‚Geist‘ (Englisch oft ‚mind‘) extrem vage ist und bis heute in keiner Wissenschaft eine operationale Definition existiert, die diesen Begriffen irgendwie fassbar macht (nur sehr viele blumige Beispiele), sollten wir uns in der Diskussion und Weiterentwicklung zunächst an den Begriff ‚Intelligenz‘ halten. Für diesen Begriff haben die experimentellen Psychologen eine sehr brauchbare operationale Definition entwickelt, die in Gestalt des IQ (Intelligenzquotienten) weit verbreitet ist. Was immer ‚Geist‘ sein mag, insofern er sich im Verhalten manifestiert, das man beobachten und messen kann, kann man die sich ‚im Verhalten zeigende Intelligenz‘ in ihren unterschiedlichen Ausprägungen ‚messen‘, d.h. mit vorgegebenen Standards ‚vergleichen‘. Für diese ‚Messungen‘ spielt es keine Rolle, ob es sich bei dem beobachteten System um eine Pflanze, ein Tier, einen homo sapiens sapiens oder um eine Maschine handelt. Der psychologische Intelligenzbegriff ist insofern ‚invariant‘ bzgl. derjenigen Struktur, die das zu messende Verhalten hervorbringt. Insofern ist dieser Intelligenzbegriff geeignet, ‚Intelligenz‘ so zu messen, dass man all die verschiedenen ‚Hervorbringungsstrukturen‘ vergleichen kann. Präzisierend müsste man von daher vielleicht sagen, dass wir in diesem Experiment zeigen wollen, dass die Entstehung und Anwendung von Intelligenz nicht an eine biologische Trägerstruktur gebunden ist, sondern nur an Strukturmerkmalen, die in nahezu beliebiger materieller Beschaffenheit auftreten können. Der philosophische ‚Druck‘ auf das Selbstverständnis von uns Menschen bleibt damit sehr wohl erhalten: Wer sind wir wirklich? Was soll das Ganze? Sind wir überflüssig? Haben wir eine spezielle Mission? Haben wir trotz allem eine Verantwortung für das Ganze? usw.
PS4: In einem privaten Kreis mit vielen Freunden flammten diese Diskussionen auch wieder auf, da im Kreis außer mir zwei da waren, die auch bei dem Salon waren. Diese Themen bewegen…
Literaturnachweise
Body Surface at http://en.wikipedia.org/wiki/Human_body (letzter Besuch: 12.Nov.2012)
Organs below the Body Surface at http://en.wikipedia.org/wiki/Human_anatomy (letzter Besuch: 12.Nov.2012)
Davis, M. Computability and Unsolvability, New York – Toronto – London: McGraw-Hill Book Company, Inc.,1958
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Doeben-Henisch, G.; Beschreibung TM auf der Seite: http://www.doeben-henisch.de/fh/I-TI04/VL/VL3/i-ti04-vl-vl3.html
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8 Jahre und drei Monate später … es hat etwas Berührendes, nach einer so langen Zeit einen eigenen Text samt Musikbeispielen nochmals zu lesen (und zu hören). Alles gesagte würde ich auch heute wieder unterschreiben. Es ist sehr ‚zum Punkt‘; besonders das Rapp-artige Musikstück ‚You are the message of the universe‘ geht mir noch immer ‚unter die Haut‘. Das im Text angekündigte Experiment am INM hatte tatsächlich unter dem Label ‚emerging-mind‚ stattgefunden. Aber es ist wieder versandet… Seit ca. 2018/19 ist ein neues Projekt entstanden, nicht wirklich geplant, aber irgendwie auch nicht planlos, und gewinnt immer mehr Fahrt. Der innere Motor ist der Gedankenkomplex ‚Kollektive Mensch-Maschine Intelligenz‚. Der treibende Motor ist die Vereinigung von Philosopie, Engineering und Gesellschaft. Ausgang offen, aber die Dynamik ist stark. Das Thema ‚You are the Message of the Universe‘ schwingt in allem weiter …
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