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Relektüre von Edelman 1992: Welche Theorie von was?

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 5.Dez. 2018
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Gerald M.Edelman, Bright Air, Brilliant Fire. On the Matter of the Mind, New York: 1992, Basic Books

 

DAS PROBLEM

Bei der Relektüre von Edelman (siehe Überblick über alle bisherigen Beiträge HIER) stellt sich die Frage, um welche Theorie es hier überhaupt geht?

Es ist ein großes Verdienst von Edelman, dass er versucht, die Gehirnforschung nicht isoliert zu betrachten, sondern sehr wohl im Kontext von Bewusstsein und Verhalten, sehr wohl auch im Kontext einer Evolution des Lebens bzw. auch im Kontext von ontogenetischen Wachstumsprozessen. Als wäre dies noch nicht genug, stellt er gelegentlich auch explizite philosophische Überlegungen an oder wagt sich vor in den Bereich des Engineering, insofern er konkrete materielle Modelle von Gehirnen baut (mittels künstlicher neuronaler Netze), um die Plausibilität seiner Überlegungen zum Gehirn zu überprüfen. Nimmt man all dies ernst, dann findet man sich unversehens in einer Situation wieder, wo man nicht mehr so richtig weiß, um ‚welche Theorie von was‘ es hier eigentlich geht.

PANORAMA VON PHÄNOMENEN

Vom BigBang zum homo sapiens, reflektiert in einer Vielzahl von Einzelwissenschaften
Vom BigBang zum homo sapiens, reflektiert in einer Vielzahl von Einzelwissenschaften

Versucht man die vielen Aspekte irgendwie zu ‚ordnen‘, die im Buch von Edelman aufscheinen, dann eröffnet sich ein breites Panorama von Phänomenen, die alle ineinander greifen (siehe Schaubild), und die – strenggenommen – auch genauso, in diesem dynamischen Zusammenhang, zu betrachten sind, will man die Eigenart dieser Phänomene ‚voll‘ erfassen.

Eigentlich geht es Edelman um ein besseres Verständnis des ‚Gehirns‘. Doch kommt das Gehirn ja schon im Ansatz nicht alleine, nicht isoliert vor, sondern als Teil eines übergeordneten ‚Körpers‘, der von außen betrachtet (Dritte-Person Perspektive) ein dynamisches ‚Verhalten‘ erkennen lässt. Dieses Verhalten ist – im Fall des homo sapiens, also in unserem Fall als Menschen – nicht isoliert, sondern ist sowohl durch ‚Kommunikation‘ mit anderen Menschen ‚vernetzt‘ als auch durch vielfältige Formen von Interaktionen mit einer Welt der Objekte, von Artefakten, von Maschinen, und heute sogar ‚programmierbaren Maschinen‘, wobei letztere ein Verhalten zeigen können, das zunehmend dem menschliche Verhalten ‚ähnelt‘. Ferner konstatieren wir im Fall des homo sapiens in der Ersten-Person Perspektive noch etwas, das wir ‚Bewusstsein‘ nennen, das sich aber nur schwer in seiner Beschaffenheit kommunizieren lässt.

WISSENSCHAFTLICHE DISZIPLINEN

Im Versuch, die Vielfalt der hier beobachtbaren Phänomene beschreiben zu können, hat sich eine Vielzahl von Disziplinen herausgebildet, die sich — neben der Sonderstellung der Philosophie — als ‚wissenschaftliche Disziplinen‘ bezeichnen. ‚Wissenschaftlich‘ heißt hier in erster Linie, dass man die Phänomene des Gegenstandsbereichs nach zuvor vereinbarten Standards reproduzierbar ‚misst‘ und man nur solche so vermessenen Phänomene als Basis weitergehender Überlegungen akzeptiert. Das Paradoxe an dieser Situation ist – was Edelman auf S.114 auch notiert –, dass sich dieses wissenschaftliche Paradigma nur umsetzen lässt, wenn man Beobachter mit Bewusstsein voraussetzt, dass man aber zugleich im Ergebnis der Messung und der Überlegungen von dem ermöglichenden Bewusstsein (samt Gehirn) abstrahiert.

PHILOSOPHIE FÜR DEN ‚REST‘

Eine Konsequenz dieser ‚Abstraktion von den Voraussetzungen‘ ist, dass ein Wissenschaftler letztlich keine Möglichkeit hat, in ‚offizieller‘ Weise, über sich selbst, über sein  Tun, und speziell auch nicht über die Voraussetzungen seines Tuns, zu sprechen. Ein solches sich selbst reflektierende Denken und Sprechen bleibt damit der Philosophie überlassen, die als solche bei der Entstehung der empirischen Wissenschaften offiziell vom Wissenschaftsbetrieb ausgeschlossen wurde. Als Wissenschaftsphilosophie hat die Philosophie zwar immer wieder versucht, sich dem empirischen Wissenschaftsbetrieb offiziell anzunähern, aber bis heute ist das Verhältnis von empirischen Wissenschaften und (Wissenschafts-)Philosophie aus Sicht der empirischen Wissenschaften ungeklärt. Für die empirischen Wissenschaften wundert dies nicht, da sie sich von ihrem methodischen Selbstverständnis her auf ihre isolierte Betrachtungsweisen verpflichtet haben und von diesem Selbstverständnis her sich jeder Möglichkeit beraubt haben, diese Isolation mit den typischen wissenschaftlichen Bordmitteln aufzubrechen. Allerdings produziert dieses ’selbst isolierende Paradigma‘ immer mehr Einzeldisziplinen ohne erkennbaren Zusammenhang! Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wann sich diese Explosion der nicht-integrierten Einzelbilder selbst zerstört.

ANSPRUCH, ALLES ZU ERKLÄREN

Die Wissenschaften selbst, allen voran die Physik, kennen sehr wohl den Anspruch, mit ihrer Arbeit letztlich ‚alles aus einer Hand‘ zu erklären (z.B. formuliert als ‚Theory of Everything (ToE)‘ oder mit dem Begriff der ‚Weltformel‘), doch sowohl die konkrete Realität als auch grundlegende philosophische und meta-theoretische Untersuchungen legen eher den Schluss nahe, dass dies vom Standpunkt einer einzelnen empirischen Wissenschaft aus, nicht möglich ist.

VISION EINES RATIONALEN GESAMT-RAHMENS

Um also die Vielfalt der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen zu bewahren, mehr noch, um sie in ihren inhaltlichen und methodischen Beschränkungen untereinander transparent und verständlich zu machen, wird man die (philosophische) Arbeitshypothese aufstellen müssen, dass die Rationalität der Einzelwissenschaften letztlich nur aufrecht erhalten werden kann, wenn man sowohl für jede Einzelwissenschaft wie auch für ihr Zusammenspiel eine rationale Begründung sichtbar machen kann, die für alle ‚gilt‘. Ein solcher Rationalitätsanspruch ist nicht zu verwechsel mit der alten Idee einer einzelwissenschaftlichen ‚Weltformel‘ oder einer einzelwissenschaftlichen ‚Theory of Everything‘. Eher eignet sich hier das Paradigma einer kritischen Philosophie von Kant, die nach der Voraussetzung für den Wahrheitsanspruch einer Theorie fragt. Während Kant allerdings die Frage nach den Voraussetzungen bei den Grenzen des Bewusstseins mangels verfügbarem Wissens enden lassen musste, können wir heute – auch Dank der Arbeiten von Edelman und anderen – diese Grenzen weiter hinausschieben, indem wir die Voraussetzungen des Bewusstseins einbeziehen. Eine solche bewusste Erweiterung der philosophischen Frage nach den Voraussetzungen des menschlichen Erkennens über die Grenzen des Bewusstseins hinaus führt dann nicht nur zum ermöglichenden Gehirn und dem zugehörigen Körper, sondern geht dann weiter zur umgebenden Welt und ihrer Dynamik, die sich im Evolutionsgeschehen und in der Entstehung des bekannten Universums zeigt.

PHILOSOPHIE UND WISSENSCHAFTEN

Die schon immer nicht leichte Aufgabe des philosophischen Denkens wird mit diesen methodischen Erweiterungen keinesfalls einfacher, sondern erheblich schwieriger. Andererseits muss die Philosophie diese Reflexionsarbeit nicht mehr alleine leisten, sondern sie kann die ganze Fülle der einzelwissenschaftlichen Arbeiten aufgreifen, um sie dann in einem gemeinsamen Rationalitätsrahmen neu anzuordnen.

Beispiele für Integrationsbemühungen gibt es sogar seitens der Einzelwissenschaften, wenngleich meistens methodisch wenig überzeugend. So versuchen Gehirnforscher schon seit vielen Jahren Zusammenhänge zwischen messbaren Aktivitäten des Gehirns und des beobachtbaren Verhaltens (unter dem Label ‚Neuropsychologie‘) oder zwischen messbaren Aktivitäten des Gehirns und Erlebnissen des Bewusstseins (kein wirkliches Label; man würde ‚Neurophänomenologie‘ erwarten) heraus zu finden. Bislang mit begrenztem Erfolg.

Bei aller Problematik im Detail kann es aber nur darum gehen, die ungeheure Vielfalt der Phänomene, wie sie die Einzelwissenschaften bislang zutage gefördert haben, vor-sortiert in einer Vielzahl von Arbeitshypothesen, Modellen und Theoriefragmenten, in einen von allen akzeptierbaren Rationalitätsrahmen einordnen zu können, der eine Gesamt-Theorie reflektiert, die als solche möglicherweise immer unvollendet bleiben wird

WOMIT FANGEN WIR AN?

Damit stellt sich ganz praktisch die Frage, wo und wie soll man anfangen? Das Buch von Edelman kann erste Hinweise liefern.

  1. KEINE WISSENSINSELN: Am Beispiel des homo sapiens wird deutlich, dass ein Verständnis von Bewusstsein, Gehirn, Körper, Verhalten und hier insbesondere die symbolische Kommunikation je für sich nicht gelingen kann. Und Edelman demonstriert eindrücklich, dass man zusätzlich die ontogenetische und evolutive Dimension einbeziehen muss, will man zu einem befriedigenden Verständnis kommen.
  2. INTEGRATION VON EINZELWISSEN: Man muss also Wege finden, wie man diese verschiedenen Aspekte in einem gemeinsamen Rationalitätsrahmen so anordnen kann, dass sowohl die einzelwissenschaftliche Methodik gewahrt bleibt, wie auch eine ‚Integration‘ all dieser Aspekte auf einer ‚gemeinsamen Ebene‘ möglich wird, die dabei von den Einzelwissenschaften nicht ‚isoliert‘ ist.
  3. META-WISSEN ALS LEITFADEN: Das geforderte Vorgehen betrachtet die konkreten einzelwissenschaftlichen Erklärungsansätze als einen ‚Gegenstand sui generis‘, macht also die Einzelwissenschaften zu ‚Untersuchungsgegenständen‘. Dies entspricht dem Paradigma der Wissenschaftsphilosophie.
  4. NEUE WISSENSCHAFTSPHILOSOPHIE: Mit Blick auf die Geschichte der modernen Wissenschaftsphilosophie (etwa seit dem Wiener Kreis) muss man dafür offen sein, dass das Paradigma der Wissenschaftsphilosophie für diese Aufgabenstellung möglicherweise neu zu formatieren ist.
  5. KOMMUNIKATIONSPROZESS ALS RAHMEN: So liegt es nahe, zu sagen, es gehe nicht primär um einen isolierten Theoriebegriff, sondern um einen Kommunikationsprozess, der Kommunikationsinhalte generiert, die im Rahmen des Kommunikationsprozesses ‚verstehbar‘ sein sollen.
  6. SYSTEMS-ENGINEERING ALS BEISPIEL: Ein modernes Beispiel für einen problemorientierten Kommunikationsprozess findet sich im Paradigma des modernen Systems-Engineering. Auslöser des Kommunikationsprozesses ist eine ‚Frage‘ oder eine ‚Problemstellung‘, und der Kommunikationsprozess versucht nun durch Ausnutzung des Wissens und der Erfahrungen von allen Beteiligten einen gemeinsames Bild von möglichen Lösungen zu generieren. Zu Beginn werden alle Kriterien kenntlich gemacht, die für die intendierte Lösung berücksichtigt werden sollen.
  7. EINBEZIEHUNG AUTOMATISIERTEN WISSENS: Insbesondere soll der Kommunikationsprozess so ausgelegt sein, dass er den Einsatz moderner Wissenstechnologien wie z.B.. ‚Interaktive Simulationen‘, ‚Kommunikationstests‘, ‚benutzerzentrierte künstliche Intelligenz‘, sowie automatisierte ‚Simulationsbibliotheken‘ erlaubt.

Dies ist nur eine erste, noch sehr vage Formulierung. Es wird notwendig sein, diese anhand von vielen Beispielen weiter zu konkretisieren und zu verfeinern.

 

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Die Wiederentdeckung Gottes auf dem Planeten Erde für alle denkbaren Universen. Essay.Teil 1

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Wahrheit

  1. Eine Benutzung des Wortes ‚Wahrheit‘ setzt voraus, dass es etwas gibt, was meinem eigenen Denken und Fühlen vorgelagert ist, von meinem eigenen Wollen unabhängig; egal was ich mir wünsche, vorstelle, phantasiere, denke; es ist etwas — ein X, das Andere –, das vorkommt, weil es ‚aus sich heraus‘ vorkommt.
  2. Im Alltag ist es ein Gegenstand, über den ich im Dunklen stolpere, weil ich an dieser Stelle keinen Gegenstand vermutet habe; die Sonne, die mich blendet, weil sie so tief steht; der Kaffee, den ich trinke; der Stuhl, auf dem ich sitze; mein Gegenüber, das auf mich einredet; der Regen, der mit Macht hernieder prasselt …
  3. Diese Selbstverständlichkeit kann schnell ins Wanken geraten, wenn man anfängt, darüber nachzudenken.
  4. Wir wissen, dass wir Menschen phantasieren können, träumen, wir können Halluzinationen haben, Wahnvorstellungen, … oder denken gerade nach. Diesen Beispielen ist gemeinsam, dass derjenige der phantasiert, träumt usw. ‚für sich‘, ’subjektiv‘, etwas erlebt, empfindet, denkt, was ihm in diesem Moment ‚wie wirklich‘ erscheint, obgleich andere Menschen in der Umgebung einer solchen Person zum Schluss kommen könnten, dass die aktuellen Phantasiebilder, Träume usw. nichts mit der aktuellen äußeren Situation dieser Person zu tun haben.
  5. So stellt sich die Person vor, sie sei eine Königin, obwohl sie nach offiziellen Daten nur eine Büroangestellte ist; oder jemand träumt im Schlaf, schreit, schlägt um sich, und wenn dann der Bettnachbar ihn aufweckt, berichtet der Träumer von irgendwelchen Ungeheuern, vor denen er geflohen sei. Jemand anderes hat Drogen genommen und sieht den aktuellen Raum plötzlich ganz anders, umarmt Anwesende oder beschimpft sie, obwohl es keinen äußerlich bekannten Grund dafür gibt. Andere fühlen sich verfolgt, haben panische Ängste, verstecken sich, schließen sich ein, kaufen Waffen, aber es gibt niemand, der ihnen nachstellt. Und dann der Denker: er sitzt scheinbar tatenlos auf einem Stuhl, stiert vor sich hin auf ein Spielbrett, und in seinem Kopf denkt er intensiv über verschiedene Möglichkeiten nach, welche Züge er im Spiel machen könnte, Züge, die nur in seinem Denken existieren, nicht auf dem Spielbrett.
  6. Das innere Erleben eines Menschen kann offensichtlich für den Betreffenden so ‚wirklich‘ erscheinen, wie das, was sich von der ‚Außenwelt‘ in seiner ‚Wahrnehmung‘ niederschlagen kann. Und offensichtlich gibt es hier Zustände, in denen der Betreffende in seinem Erleben nicht mehr so richtig (oder gar nicht?) entscheiden kann, ob das Erlebte nun ’nur innerlich, subjektiv‘ vorkommt, oder auch ‚zugleich äußerlich, objektiv, intersubjektiv‘, so, dass andere diese Sachverhalte von sich aus bestätigen könnten.
  7. Die Dinge werden noch schwieriger, wenn man die Sprache einbezieht.
  8. Die Sprache — gesprochen wie geschrieben (oder noch anders) — hat die Besonderheit, dass sich sprachliche Äußerungen normalerweise in kleinere Einheiten unterteilen lassen, die teilweise als diese kleineren Einheiten eine ‚Bedeutung‘ haben; im Zusammenhang der Äußerung können diese unterscheidbaren kleineren Einheiten eine ‚über die einzelne Einheit hinausgehende‘ Bedeutung besitzen. Zugleich spielt die Situation eine Rolle: die gleiche sprachliche Äußerung kann je nach der Deutung der Situation eine ganz unterschiedliche Bedeutung besitzen.
  9. Eine Äußerung wie ‚Ich bitte Dich, mir zu helfen, das Haus zu verkaufen‘, enthält kleinere Einheiten, die wir gewöhnlich ‚Worte‘ nennen. Einzelne Worte wie z.B. ‚Haus‘ haben eine Bedeutung durch Bezug auf gedachte und dann möglicherweise objektive Gegenstände mit bestimmten Eigenschaften. Andere Worte wie ‚zu‘ und ‚das‘ haben keinen direkten Gegenstandbezug. Für jemand, der die deutsche Sprache kennt, deutet sich in dieser sprachlichen Äußerung an, dass eine Person A (die mit dem ‚Ich‘) eine andere Person B (die mit dem ‚Dich‘) ‚bittet‘ bei einem Hausverkauf zu helfen. Wenn die beiden Personen A und B voneinander gesellschaftlich unabhängig sind, die Person B dem A in keiner Weise verpflichtet ist, dann ist die ausgesprochene Bitte typisch und der Ausgang offen. Wenn aber B dem A irgendwie verpflichtet ist, von A vielleicht sogar sehr direkt abhängt, dann kann diese Bitte eher als ein Befehl verstanden werden, den B dann aus gesellschaftlichen Gründen nicht wirklich ablehnen kann. Dies setzt voraus, dass man die sprachliche Äußerung als Teil eines größeren sozialen Zusammenhangs erkennt, dessen Eigenschaften die Bedeutung beeinflussen können.
  10. Es gibt aber noch weitere Unwägbarkeiten. Wenn in der Äußerung davon gesprochen wird, ‚das Haus‘ zu verkaufen, dann unterstellt A, dass B ‚weiß‘, welches Haus ‚gemeint‘ ist. Wenn die sprachliche Äußerung aber in ‚Abwesenheit des Hause‘ getätigt wird, dann existiert ‚das Haus‘ nur im ‚Wissen‘ der beiden beteiligten Personen A und B. Zumindest unterstellt A, dass B ‚weiß‘, welches Haus A ‚meint‘. Dies funktioniert, wenn es in der Vergangenheit eine Situation gab, durch die eindeutig genug ein ganz bestimmtes Haus identifiziert worden ist, also ‚das Haus‘ von dieser erinnerbaren Situation. Dies kann funktionieren. Wenn diese erinnerbare Situation aber nicht eindeutig war, wenn schon in dieser Situation zwar von ‚dem Haus‘ geredet wurde, aber schon in der damaligen Situation A an ein anderes Haus gedacht hat als B und beide diesen Unterschied nicht bemerkt haben, dann wird B möglicherweise zustimmen und für sich an ein anderes Haus H1 denken als A, der an das Haus H2 denkt. Irgendwann werden beide vielleicht merken, dass sie mit ‚das Haus‘ zwei verschiedene Objekte meinen, spätestens dann, wenn sie zu dem Haus hinfahren würden. Solange sie dies nicht tun leben Sie mit ihren privaten, subjektiven Vorstellungen von einem Hausobjekt H1 bzw. H2, benutzen die gleichen Worte, und merken nicht, dass sie beide etwas ‚Verschiedenes meinen‘.
  11. Ein Bezug zur Außenwelt unter Zuhilfenahme einer Sprache kann also unterschiedlich missverständlich sein. Die Worte können im Kopf, im ‚Innern‘, im Denken eines Sprecher-Hörers, einen Sachverhalt induzieren, hervorrufen, aktivieren, der für ‚wirklich‘ angenommen wird, obgleich sich diese Vorstellungen in den Köpfen verschiedener Sprecher-Hörer unterscheiden können, trotz gleicher Worte.
  12. Bei sogenannten ‚abstrakten Bedeutungen‘, wie sie sich bei Worten finden wie ‚Freiheit‘, ‚Demokratie‘, ‚Bewusstsein‘, ‚das Dasein‘, ‚Existenz‘, ‚Glauben‘, ‚Gott‘, ‚Paradies‘, ‚Mathematik‘ usw. kann man in der Regel nicht von vornherein von einer allen gleichermaßen bekannten ‚Bedeutung‘ ausgehen. Worte mit solchen Bedeutungen haben einen solch vielschichtigen Verwendungszusammenhang, dass man bei ihrem Gebrauch grundsätzlich vorher mit allen Beteiligten klären sollte, welche Verwendungszusammenhänge sie jeweils voraussetzen.
  13. Sprechen wir im Alltag von ‚Wahrheit‘ dann unterstellen wir einen Zusammenhang zwischen Sprecher und Umwelt derart, dass eine Aussage wie ‚Es regnet‘ sich auf einen realen, objektiven Vorgang in der Umwelt bezieht, der von anderen auch so wahrgenommen wird (oder werden kann), der jetzt stattfindet. Bei der Aussage, ‚Ich war gestern in Frankfurt‘ wird es schwieriger. Ob die Aussage als ‚wahr‘ bezeichnet wird, hängt davon ab, ob sich nachweisen lässt, dass der Sprecher einen Tag früher tatsächlich in der Stadt mit Namen Frankfurt war, und dass der Sprecher mit der Aussage ‚Ich war gestern in Frankfurt‘ diesen Sachverhalt meint. Wenn der Sprecher während der Aussage für sich gedacht hat, dass er sich nur vorgestellt hat, dass er in Frankfurt gewesen sei, dann wäre die Aussage nach üblichem Sprachverständnis ‚falsch‘, da man bei solch einer Aussage unterstellt, dass der Sprecher tatsächlich in Frankfurt war. Wenn eine Sprecherin sagen würde ‚Ich werde morgen nach Frankfurt fahren‘, dann wäre der Wahrheitsgehalt noch offen. Sie kündigt ein Ereignis an, das in der Zukunft stattfinden soll. Ob es tatsächlich stattfinden wird, muss man erst mal ’sehen‘. Es ist eher eine ‚Absichtserklärung‘, allerdings eine mit potentiellem Wahrheitsanspruch. Falls die Sprecherin während der Aussage denkt, dass Sie nicht wirklich nach Frankfurt fahren will, wäre ihr Aussage nach normalem Verständnis eine ‚Lüge‘ oder eine ‚Täuschung‘. Allerdings, wenn die Sprechsituation locker ist, man gerade ‚herum spinnt‘, man Möglichkeiten überlegt, es nicht so ganz ernst zugeht, dann wäre die Aussage eine Meinungsäußerung ohne klaren Wahrheitsstatus.
    Fassen wir zusammen: Das Reden von ‚Wahrheit‘ setzt voraus:

    1. Es gibt mindestens einen Sprecher A und mindestens einen Hörer B
    2. Beide benutzen die gleiche Sprache L in einer gemeinsam geteilten Situation S
    3. A und B können zwischen Innen (subjektiv) und Außen (objektiv) unterscheiden.
    4. Für A und B haben die hörbaren und/ oder lesbaren Ausdrücke E der Sprache L eine subjektive Bedeutung Y, die mit Sachverhalten X in der Umgebung korrespondieren können.
    5. Wenn A einen Ausdruck E mit der subjektiven Bedeutung YA(E) — aus der Sicht von A — äußert, und dieser Äußerung von E ein Sachverhalt X korrespondiert, den B auch wahrnehmen kann, so dass durch den Ausdruck E und dem Sachverhalt X bei B die subjektive Bedeutung YB(E) aktiviert wird, dann würde aus Sicht von B eine ‚wahre Aussage E‘ vorliegen, wenn der Sachverhalt X mit seiner Bedeutung YB(E) ‚korrespondiert‘.
    6. Da die subjektive Bedeutung Y eines Ausdrucks E mit einem Sachverhalt X korrespondieren soll, muss der Sachverhalt X auch als eine wahrnehmbare Größe XSprecher-Hoerer so vorliegen, dass die subjektive Bedeutung YSprecher-Hoerer sich direkt mit dem Sachverhalt vergleichen lässt. Dies bedeutet, es bedarf einer subjektiven Vergleichsoperation XSprecher-Hoerer = YSprecher-Hoerer ?. Dies bedeutet, sowohl die subjektive Bedeutung Y wie auch der wahrgenommene Sachverhalt X stellen subjektive Größen dar; sie unterscheiden sich nur durch die Art der Hervorbringung: YSprecher-Hoerer wird durch subjektive Aktivitäten generiert und XSprecher-Hoerer wird durch Sinnesorgane des Körpers über das Gehirn generiert. Die Menge der subjektiven Gegebenheiten soll hier technisch als ‚Phänomenraum (PH)‘ bezeichnet werden. Es würde dann gelten dass alle Arten von aktuell wahrgenommenen Sachverhalten X eine Teilmenge des Phänomenraums PH sind und ebenso alle aktuell generierten subjektiven Bedeutungen Y, als XNOW ⊆ PH und YNOW ⊆ PH.Ferner würde gelten YNOW ∩ XNOW = 0
    7. Dabei muss man sich klar machen, dass es zwischen der jeweiligen subjektiven Bedeutung YSprecher-Hoerer und einem sprachlichen Ausdruck E auch eine hinreichend klare und stabile Korrespondenz geben muss. Dies setzt wiederum voraus, dass der hörbare oder sichtbare sprachliche Ausdruck E eine interne Repräsentation ESprecher-Hoerer haben muss, die mit der subjektiven Bedeutungsrepräsentation YSprecher-Hoerer assoziiert ist. Dabei ist zu beachten, dass es eine sprachliche Bedeutung im engeren Sinne gibt, nur bezogen auf den Ausdruck, und eine Bedeutung im weiteren Sinne, insofern der situative Kontext C(Sprecher,Hoerer) zu berücksichtigen ist. Es muss also eine Beziehung folgender Art geben: Meaning : CSprecher-Hoerer x ESprecher-Hoerer —> YSprecher-Hoerer. Dies führt zu den Erweiterungen: CNOW ⊆ PH sowie YNOW ∩ XNOW ∩ CNOW = 0.
  14. Schon diese stark vereinfachende Rekonstruktion lässt erkennen, wie schwierig es ist, zu wirklich wahren Aussagen im Kontext einer Kommunikation zu kommen. Haben zwei Personen eine unterschiedliche Wahrnehmung, dann kann dies schon zu Missverständnissen führen. Haben Sie bei der Zuordnung zwischen wahrgenommenem Sachverhalt X und Bedeutungskonzept Y Unterschiede, funktioniert es auch nicht. Ferner muss die Situationszuordnung passen, und, am allerwichtigsten, die Zuordnung von Ausdruck und Bedeutung muss gleich sein. Alle diese Bedingungen herzustellen und zu überprüfen, erfordert viel Aufmerksamkeit und vielen guten Willen.
  15. Die vielen Kommunikationsprobleme im Alltag zeigen, dass es in der Tat schwierig ist; dazu kommen die vielfältigen systematischen Manipulationen von Sprache aus unterschiedlichsten Gründen (Lügen, Werbung, Propaganda, Indoktrination, Fälschung, Unterhaltung, Fiktion,…).

Eine  Fortsetzung findet sich HIER.

Pausenmusik 🙂

PS: Eine Ergänzung zu diesen Überlegungen könnte das Memo zur Philosophiewerkstatt vom 8.Oktober sein.

KONTEXT BLOG

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REVIEW: THE WORLD ACCORDING TO TOMDISPATCH – Teil 1

T.Engelhardt (ed), „The World Acording to TomDispatch. America in the New Age of Empire“, London-New York: Verso, 2008

KONTEXT BLOG

1) In diesem Blog geht es primär um das Neue Weltbild, das sich ergibt, wenn man die neuesten Erkenntnisse von Philosophie und Wissenschaft unter Einbeziehung künstlerischer Vorgehensweisen benutzt. Ein Ergebnis bisher ist das Hervortreten eines exponentiellen Komplexitätszuwachses im Kontext des biologischen Lebens auf der Erde. Für uns Menschen bedeutet dies, dass nicht nur die Anzahl der Menschen exponentiell angewachsen ist, sondern dass die Art und Weise unseres Verhaltens, unserer Interaktionen und Kommunikation samt den geschaffenen Hilfsmittel für jeden einzelnen eine ’sekundäre Umwelt‘ haben entstehen lassen, die die ‚primäre Welt‘ stark bis nahezu vollständig ‚überlagert‘, so dass die geschaffene sekundäre Welt als primäre Welt erfahren wird. Diese Rückkopplung verstärkt die Entwicklung zusätzlich (Beispiel: Internet und mobile Kommunikationsgeräte gehören zur sekundären Welt und verändern die Weltwahrnehmung und das Kommunikationsverhalten sehr grundlegend, und damit die internen (kognitiven) Modelle in den Köpfen der Beteiligten, die die Welt ausschließlich auf der Grundlage der internen Modelle wahrnehmen, interpretieren und dann handeln).
2) In dem Masse, wie sich nun der Informations- und Kommunikationsfluss in die virtuellen Datenströme verlagert, nimmt die Abhängigkeit von diesen Datenströmen zu: WAS bilden sie ab? Bilden sie es RICHTIG ab? Ist es VOLLSTÄNDIG? Ist es ZUGÄNGLICH? Gibt es Kriterien für die QUALITÄT? usw. Die Verneinung dieser Fragen hat ’negative‘ Auswirkungen in sehr vielen Dimensionen.
3) Eine Dimension, die in den letzten Beiträgen diskutiert worden ist, ist die POLITISCHE Dimension, und zwar beschränkt auf solche Länder, die den Anspruch erheben, DEMOKRATISCHE Länder zu sein. Und hier hatte ich mich auf die USA konzentriert, da die USA in mehrfachem Sinne eine Sonderstellung innerhalb der heutigen demokratischen Staaten einnehmen. Der ‚Hype‘ um die Enthüllungen von Snowdon (im Kontext von Manning und vorher WikiLeaks) hatte meine Aufmerksamkeit geweckt und ich hatte begonnen, US-amerikanische Zeitungen und Webseiten direkt zu lesen und nicht nur in deutschen Zeitungen ‚über‘ die USA. Dabei hatte ich den Eindruck gewonnen, dass es nur vordergründig um das ‚Ausspähen‘ von Daten geht (dies findet seit Jahren in immer größerem Ausmaß statt, nicht nur durch US-amerikanische Geheimdienste, sondern durch nahezu alle Geheimdienste dieser Erde, und darüber hinaus immer mehr durch ‚kriminelle‘ Organisationen, die Wirtschaftsspionage betreiben und/ oder einfach kriminelle Akte verschiedenster Art. Die ersten offiziellen Reaktionen deutscher Politiker zum Thema waren daher unglaublich lächerlich. Zur Zeit versucht die Politik den Eindruck zu erwecken, sie versuche nun zusammen mit der Wirtschaft, zumindest die Wirtschaftsspionage einzudämmen). Das eigentliche Problem kam nur ganz kurz zur Sprache sowohl in den USA als auch in Deutschland (und Europa). Das ‚eigentliche‘ Problem sehe ich in der politischen Dimension.

FREIHEITSRECHTE ALLEINE SIND ZU WENIG

4) Geht man davon aus, dass (i) auf der einen Seite der einzelne Mensch sein ‚Bild von der Welt‘ über seine Interaktionen mit dieser Welt bildet und hierin bei allen Sachverhalten, die über seine unmittelbare Umgebung hinausgehen, von ‚Darstellungen anderer‘ abhängig ist, und dass (ii) auf der anderen Seite eine Gesellschaft von Menschen nur dann gemeinschaftlich verantwortet handeln kann, wenn wenigstens ansatzweise ein ‚gemeinsam geteiltes Modell‘ besteht, dann ist klar, dass die ‚Kommunikation‘ zwischen den Mitgliedern dieser Gesellschaft die zentrale Bedingung darstellt, unter der sich solch ein gemeinsam geteiltes Modell herausbilden kann. Es ist von daher nicht überraschend, dass einer Öffentlichkeit in einem demokratischen Staat eine zentrale Rolle zukommt. Funktioniert eine Öffentlichkeit als Raum der gemeinsamen Modellbildung nicht, dann ist eine demokratische Gesellschaft im Ansatz — oder im Kern, je nachdem, wie man es sehen will — paralysiert. Ich kann den einzelnen Mitgliedern einer Gesellschaft so viele Rechte zugestehen, wie ich will, wenn es nicht möglich ist, eine Meinungsbildung so zu organisieren, dass alle ‚wichtigen‘ Informationen — und dazu gehört natürlich auch das Handeln der staatlichen Einrichtungen — ‚hinreichend verfügbar‘ sind und ‚hinreichend publiziert‘ werden, dann sind alle weiteren Rechte nahezu wertlos. Ohne funktionierende Öffentlichkeit haben staatliche Einrichtungen eine nahezu unbegrenzte Deutungshoheit und damit eine nahezu unbeschränkte Handlungsfreiheit.
5) Betrachtet man das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, dann sind die Grundrechte — hier sehr ähnlich der US-amerikanischen Verfassung — im Wesentlichen als „Abwehrrechte des Grundrechtsträgers gegenüber Handlungen von Hoheitsträgern ausgestaltet“ (siehe Link). Sie verkörpern rein juristisch zwar auch einen „Anspruch gegen den Staat auf Beseitigung einer Beeinträchtigung des durch das betreffende Grundrecht geschützte Rechtsgut“ (siehe Link), aber was nützt ein Anspruch, wenn im Falle einer nicht vorhandenen Öffentlichkeit staatliche Organe eine ‚Deutungshoheit‘ besitzen und ausüben?
6) Nun ist die Regierung in Deutschland abhängig vom Bundestag als dem einzigen direkt demokratisch legitimierten Verfassungsorgan. Doch, auch einem Bundestag würde ‚der Boden unter den Füssen‘ entzogen, wenn es keine funktionierende Öffentlichkeit mehr geben würde.
7) Historisch sehr umstritten war die Einführung des großen Lauschangriffs als erlaubter Eingriff in den eigentlich grundgesetzlich geschützten privaten Bereich (Die Grundlagen für den „Großen Lauschangriff” wurden am 16. Januar 1998 vom Bundestag und am 6. März 1998 vom Bundesrat durch Einfügung der Absätze 3 bis 6 des Art. 13 Grundgesetz (GG) gelegt. Dadurch wurde die sogenannte akustische Wohnraumüberwachung zu Zwecken der Strafverfolgung ermöglicht. Mit dem „Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur akustischen Wohnraumüberwachung”[2], das der Bundestag am 12. Mai 2005 mit den Stimmen der SPD und der Grünen verabschiedete, erhielt der Große Lauschangriff seine bis heute gültige Form)(siehe Link). Sofern die parlamentarische Kontrolle (delegiert an geeignete ausführende Institutionen) ‚funktioniert‘, mag es Fälle geben, wo solch eine Grundrechtsaufhebung Sinn machen kann. Aber es bleibt eine substantielle Schwächung, da damit grundsätzlich eine Aufhebung möglich ist.
8) Dennoch, der Schutz des privaten Bereichs reicht nicht aus, das Funktionieren einer Öffentlichkeit sicher zu stellen, es ist nur eine notwendige Bedingung. Denn, selbst wenn die Privatsphäre — soweit man in der Vergangenheit sehen konnte — hinreichend geschützt wird, kann eine manipulierte Öffentlichkeit zu desaströsen Auswirkungen führen. Dies ist das Thema des Buches von Tom Engelhardt.

EINLEITUNG ZUM BUCH

9) Natürlich muss man sich fragen, woran man eine ’nicht funktionierende Öffentlichkeit‘ erkennt. Tom Engelhardt, Herausgeber des Buches und auch Autor einiger Kapitel, bringt einleitend ein Beispiel, in dem er 2005 eine stark verzeichnete — in seinen Augen irreale — Geschichte über den damaligen Präsidenten George Bush geschrieben und ins Internet gestellt hatte, als ein ‚Märchen‘. Doch zahlreiche Leser nahmen diese Geschichte und die Aussagen über den Präsidenten als ‚wahr‘. M.a.W. man erzählt eine Fantasiegeschichte und die Leser halten die Fantasie für ‚real‘. Warum? Wie ist das möglich? Natürlich ist dies nur möglich, wenn die ‚Modelle im Kopf‘ der Leser so ausgelegt sind, dass sie Fantasie als Realität nehmen! Anders formuliert, wenn die Modelle im Kopf so ausgelegt sind, dass sie Fantasie nicht mehr von Realität unterscheiden können, dann muss die Öffentlichkeit, aufgrund deren die einzelnen ihre Modelle ’speisen‘, entsprechend ‚verzerrt‘ sein. Wenn das Fakt ist, dann liegt die Arbeitshypothese nahe, dass die Öffentlichkeit nicht die Qualität besitzt, die sie in einer Demokratie besitzen sollte.(vgl. S.ix).
10) Es folgt dann auf einer Seite dicht komprimiert eine Aufzählung wichtiger Maßnahmen der US-amerikanischen Regierung von 9/11 2001 bis zum Jahr 2005 die nicht nur aufzeigen, wie hier ein ‚Monster‘ geboren wurde, sondern dieses Monster hat sich auch mit Sprachregelungen versehen, die sich über die Öffentlichkeit in die Ohren und dann in die Gehirne aller Bürger eingenistet haben, Sprachregelngen, die eklatantes Unrecht wie ‚Recht‘ erscheinen lassen. Fünf Jahre nach 9/11 2011 war die US-amerikanische Welt so monströs geworden, dass Fantasieerzählungen nicht mehr als solche erkannt wurden, sondern für ‚wahr‘ genommen worden, weil die tägliche Öffentlichkeit monströs geworden ist! (vgl. S.x) Und es war diese Verwandlung der USA, die Tom Engelhardt kurz nach 9/11 2001 zur Gründung einer Webseite http://www.tomdispatch.com/ motiviert hatte, die ursprünglich nur ein Gespräch zwischen einigen Freunden widerspiegelte, dann aber von immer mehr Menschen geteilt wurde, denen die Verwandlung der US-amerikanischen Demokratie in eine Art Monsterstaat Angst machte.

Siehe zur Fortsetzung Teil 2.

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DONALD A.NORMAN, THINGS THAT MAKE US SMART – Teil 2

Letzte Änderung:21.Mai 2013

Diesem Beitrag ging voraus Teil 1.

1) Im Teil 1 hatte ich bislang nur auf den Aspekt abgehoben, dass Norman auf die ‚Menschenvergessenheit‘ im Design und Gebrauch von Technologie aufmerksam macht mit der anschließenden Reflexion, dass seine mahnenden Worte 20 Jahre später ihre Aktualität leider noch nicht eingebüßt haben.

WISSENSUNTERSTÜTZENDE DINGE

2) Doch gibt es noch einen weiteren Aspekt in seinem Buch, mindestens genau so gewichtig, und das ist der Aspekt der ‚Verteiltheit von Wissen/ Erkennen‘. Der Aufhänger für diesen Aspekt von Wissen/ Erkennen sind all die vielen Dinge im Alltag, die letztlich unser ‚Wissen/ Erkennen‘ (‚cognition‘) irgendwie ‚unterstützen‘ (‚aiding the mind‘). Er nennt diese das-Wissen-unterstützende Dinge ‚kognitive Artefakte‘ (‚cognitive artefacts‘).(vgl. S.4).
3) Er meint damit aber nicht nur ‚physische‘ Dinge wie Notizbücher, in denen man sich etwas notiert, Monitore, über die man Daten lesen kann, Leuchtschriften, die einem etwas mitteilen, sondern sehr wohl auch solche ‚gedankliche‘ Hilfsmittel wie Mathematik, Logik und Sprache. Auch diese gedanklichen Hilfsmittel haben Menschen ‚erfunden‘ und nutzen sie, um ihr Wissen zu organisieren. Also sowohl physische wie auch gedankliche Mittel gibt es, die der Mensch erfunden hat, um ihm in seinem ‚Wissen‘ zu unterstützen. Physische wie gedankliche Hilfsmittel sind ‚künstlich‘ – im Sinne von ‚erfunden‘ und speziell ‚zubereitet‘, ‚konstruiert‘ – und Norman fasst sie unter dem Begriff ‚Artefakte’/ ‚Werkzeuge‘ zusammen, die in ihrer Gesamtheit eine ‚Technologie der Artefakte‘ repräsentieren.(vgl. S.4f)
4) Ein wichtiger Aspekt in dieser ‚Technologie der wissensunterstützenden Werkzeuge‘ ist, dass sie ’nicht geplant‘ waren, sondern sich ‚ergeben‘ haben; irgendwann hat jemand ‚entdeckt‘, dass es eine weitere ‚Möglichkeit‘ gibt, etwas ‚anders‘ zu tun als ‚bisher‘. (vgl. S.7)
5) [Anmerkung: An diesem Punkt sehe ich eine Querbeziehung zu Kauffmans ‚autokatalytischen‘ Modellen (siehe vorausgehende Blogeinträge). Diese modellieren den Aspekt, dass in einer gegebenen Situation einerseits nicht alles möglich ist, da der aktuelle Zustand durch sein Gegebensein vieles ausschließt, andererseits bietet er in seiner Konkretheit eine definierte Menge von Möglichkeiten, aus denen man konkrete Werte auswählen kann. Es liegt aber nicht fest, welche dies sind. Also, einerseits gibt es ein IST, das als ‚Tradition‘ fungiert, das bestimmte ‚Tendenzen‘ ’nahelegt‘, andererseits gibt es einen MÖGLICHKEITSRAUM, der groß genug ist, so dass nicht klar ist, ob und wann eine bestimmte Konstellation ausgewählt werden wird oder nicht. Von daher kann es hunderte, tausende, zehntausende Jahre dauern, bis bestimmte Erfindungen gemacht wurden. Und am ‚Anfang‘, als noch wenig erfunden war, war es am ’schwersten‘, d.h. es dauert besonders lang, bis etwas ‚Interessantes‘ erfunden wurde, da es wenig ‚Hinweise‘ aus der Gegenwart in eine ‚bestimmte Art von Zukunft‘ gab.]
6) Jedes neu erfundenes wissensunterstützendes Werkzeug erhöht die Wissensmöglichkeiten einer Population, und schafft damit einen kleinen Ausgleich zu den ‚Grenzen des menschlichen Wissens‘. Dabei ist jedes solches wissensunterstützendes Werkzeug ambivalent: es schafft neue Möglichkeiten, aber damit auch neue Abhängigkeiten; das Benutzen eines wissensunterstützenden Werkzeugs wird zu einem ‚Teil‘ des aktiven Wissens; ohne dieses ‚Teil‘ gibt es diese Form von wissen nicht; je mehr Menschen es benutzen, verändert es die Art und Weise, wie alle Wissen aktiv leben.(vgl.S.8)
7) [Anmerkung: im Jahr 2013 ist für sehr viele Menschen der Computer, das Smartphone mit dem zugehörigen Netzwerk zu einer Art ‚Dauerbegleiter‘ geworden; ein Arbeiten ohne diese ist für die meisten praktisch nicht mehr möglich. …]

AUTOMATION und REFLEXION

8) Norman führt dann eine Unterscheidung ein im Bereich des aktiven Erkennens bzw. des aktiven Wissens (wobei er im Englischen das Wort ‚cognition‘ benutzt): er spricht von einem ‚Erfahrungsmodus‘ (‚experiential mode‘) und einem ‚Reflexionsmodus‘ (‚reflective mode‘) des Erkennens. Dabei wird der Erfahrungsmodus letztlich definiert über die Abwesenheit von Reflexion: wir nehmen wahr und verstehen und reagieren unmittelbar, ohne Anstrengung, direkt. Während im Reflexionsmodus des Erkennens ein explizites Nachdenken stattfindet, explizit Begriffe benutzt werden, explizite Entscheidungen gefällt werden. Beide Modi hält er für wichtig wenngleich sie ganz unterschiedliche Hilfsmittel verlangen.(vgl. S.15f)
9) [Anmerkung: so intuitiv diese beiden Begriffe ‚Erfahrungsmodus’/ ‚Reflexionsmodus‘ im ersten Moment klingen mögen, bei genauerem Hinsehen und beim Durchführen von Experimenten wird man schnell feststellen, dass diese beiden Begriffe sehr vage und schwer entscheidbar sind. Die Wirklichkeit des Erkennens ist im Vollzug viel komplexer. Für die weiteren Betrachtungen zu den wissensunterstützenden Werkzeugen spielt es keine so zentrale Rolle; erst dann, wenn man die Bedeutung und Wirkungsweise der wissensunterstützenden Werkzeugen genauer gewichten wollte. Und tatsächlich, Norman bemerkt diese Unzulänglichkeit:]
10) Er stellt dann selbst fest, dass die Reduktion menschlichen Erkennens auf nur zwei Aspekte gefährlich sei, da menschliches Erkennen eine multidimensionale Angelegenheit sei. Er behält diese Vereinfachung aber dennoch bei, da er meint, dadurch bestimmte Dinge besser verdeutlichen zu können. Außerdem treten beide Modi nicht notwendigerweise isoliert auf, sondern auch ‚gemischt‘ oder wechseln sich ab.(vgl. S.16) In vielen Fällen wird ein erfahrenes Verhalten verlangt, in dem die betroffenen Personen nicht ständig erst nachdenken müssen, sondern in denen sie sofort, spontan wissen müssen, was zu tun ist. Andererseits sind diese Arbeitsweisen gefährlich, weil dann der (falsche) Eindruck entstehen kann, Wissen bestände aus Handlungen.(vgl. S.17)
11) [Anmerkung 1: 20 Jahre nach dem Erscheinen von Normans Buch gibt es viele hundert verschiedene interaktive Computerspiele mit z.T. Millionen von ‚Fans‘, die spielen. Die Interaktivität dieser Spiele garantiert aber keinesfalls, dass die Benutzer der Spiele ‚echtes Wissen‘ erwerben, da die Inhalte weitgehend ‚Fantasiewelten‘ repräsentieren. Allerdings eröffnet das Spielen in großen Gruppen spezifische Erfahrungen, ob und wie man zusammen mit anderen im Team gemeinsam Aufgaben lösen kann.]
11) [Anmerkung2: Wir wissen, dass ein scheinbar schwereloses spontanes Verhalten (Lesen, Schreiben, Sprechen, Autofahren, ein Instrument Spielen, Turnen, Tanzen, Programmieren, …) in der Regel ein sehr langes, mühevolles Training voraussetzt, in dem viele kleine Schritte bewusst ‚geübt‘ werden müssen, bis sie dann irgendwann scheinbar ‚von selbst‘ ablaufen. Ein solches Trainieren ist ein komplexes Geschehen.]
12) Am Beispiel eines Museumsbesuches macht er darauf aufmerksam, dass der Erfahrungsmodus alleine, in dem man Dinge spontan wahrnimmt, keine neue ‚Erkenntnisse‘ garantiert. Noch so attraktive Exponate als solche erzeugen zwar eine gewisse ‚Anziehung‘, beanspruchen die ‚Aufmerksamkeit‘, sie führen aber nicht notwendigerweise zu ‚Erkenntnissen‘. Dem gegenüber verweist er auf die Arcade Videospiele; in diesen gibt es einen ‚Aufmerksamkeitsmodus‘ , in dem man zunächst etwas spontan erleben kann (Erfahrungsmodus), und dann gibt es einen ‚Interaktionsmodus‘, durch den man mit dem Erfahrenen bewusst interagieren kann; auf diese Weise kann man dann zu expliziten neuen Erkenntnissen gelangen (Reflexionsmodus).(vgl. SS.19-22)
13) Der Vorteil eines eingeübten Erfahrungsmodus ist seine Schnelligkeit und die scheinbare Mühelosigkeit. Allerdings findet im Erfahrungsmodus tendenziell keine Reflexion statt. Die Dinge ändern sich nicht mehr, sie stehen fest. Wer im Erfahrungsmodus verweilt – Norman zählt dazu auch das Fernsehen – der ist zwar sensorisch und erlebnismäßig in eine ‚Realiät‘ eingehüllt‘, aber diese kann unzulänglich oder falsch sein. Eine kritische Bewertung würde den Übergang in den ‚Reflexionsmodus‘ voraussetzen, der hinterfragt, vergleicht, Schlüsse zieht. Der Reflexionsmodus ist viel langsamer, kann aber beliebig an jeder Stelle vertiefen. Und hier sieht Norman auch die größte potentielle Gefahr: die immer mehr um sich greifende reine ‚Unterhaltung‘ über Massenmedien können einen Dauerzustand des sich ‚denkfreien Hingebens‘ an eine Realität begünstigen, die notwendiges kritisches Verstehen ausschaltet. (vgl. SS.22-28)
14) [Anmerkung: im Kalten Krieg war die ‚Gehirnwäsche‘ als Foltermethode und ‚Umprogrammierung‘ eines Menschen berühmt berüchtigt. Wenn über viele TV-Kanäle heute mehr und mehr nur noch quasi Fantasy-Serien oder manipulierte Alltagsserien laufen und Menschen nachgewiesenermaßen diese mehrere Stunden am Tage sehen, dann führt dies unweigerlich zu einer ‚Umprogrammierung‘ ihres Wissens, dem sie sich – auch wenn sie wollten – nicht mehr entziehen können. Das ist nichts anderes als eine gesellschaftlich erlaubte Form von Gehirnwäsche, die hier nicht stattfindet,weil die Fernsehsender primär irgendwie auch politisch ‚indoktrinieren‘ wollen (wenngleich es Sender gibt, die Personen gehören, die ganz klare politische Ziele verfolgen), sondern weil sie schlicht und einfach Geld verdienen wollen: alles, was Menschen dazu bringt, sich vor den Fernsehsender zu setzen, nicht mehr abzuschalten, das wird gemacht. ]

Zur Fortsetzung siehe Teil 3

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

GEIST-SICHTBARMACHUNGS-EXPERIMENT, Teil 1, Begriffe und theoretischer Rahmen

ZENTRALE BEGRIFFE: GEIST

(1) Für das anvisierte Großprojekt ‚Sichtbarmachung des Geistes‘ (in Frankfurt, der Stadt Goethes, der einen Faust 1+2 geschrieben hat) ist es hilfreich, den zentralen Begriff ‚Geist‘ ein wenig zu lokalisieren. Angesichts der nahezu unerschöpflichen Quellenlage zum Thema ‚Geist‘ mag dies auf den ersten Blick als ein scheinbar hoffnungsloses Unterfangen erscheinen.
(2) Da es hier aber in erster Linie nicht um eine ‚Begriffsgeschichte‘ der Wortmarke ‚Geist‘ gehen soll, sondern um eine systematischen Gebrauch des Begriffs im Kontext einer expliziten Theorie, wird es genügen, die Annahmen dieser Theorie darzustellen.

ZENTRALE BEGRIFFE: GEIST, INTELLIGENZ, BEWUSSTSEIN

(3) Beim aktuellen Stand der Reflexion werden es drei zentrale Begriffe sein, die in der anvisierten Theorie zentral Verwendung finden werden: ‚Geist‘, ‚Intelligenz‘ und ‚Bewusstsein‘. Während hier im Blog eher informell und auf Deutsch über diese Dinge nachgedacht wird, wird die eigentlich Theorie auf Englisch geschrieben in Gestalt verschiedener Vorlesungsskripte (siehe http://www.uffmm.org). Ob aus all dem jemals mal ein ‚Buch‘ im klassischen Sinne werden wird, ist momentan offen. Für potentielle Leser wäre es sicher eine Erleichterung.
(4) Auch wenn man nicht in die Tiefen und Verästelungen einer vollständigen Begriffsgeschichte hinabsteigen möchte, um die den Begriffen ‚Geist‘, ‚Intelligenz‘ und ‚Bewusstsein‘ innewohnende Vieldeutigkeit und damit einhergehende Vagheit zu verdeutlichen, genügt ein kleines Selbstexperiment mit aktuellen Wörterbüchern, um sehr schnell zu merken, auf welch schlüpfrigem Boden man sich begibt, will man diese Begriffe systematisch benutzen (siehe Eintrag unten und Bild).

Differenzen zwischen Deutsch-Englischen Wortfeldern bei Geist, Intelligenz, Bewusstsein
Differenzen zwischen Deutsch-Englischen Wortfeldern bei Geist, Intelligenz, Bewusstsein

5) Wie man im Schaubild ‚Wortverweise zu ‚Geist‘, ‚Intelligenz‘, ‚Vernunft‘, ‚Bewusstsein‘ sehen kann (und in den Einträgen im Anhang), führt ein Hin- und Her Übersetzen selten zum Ausgangswort zurück. Und dies hier nur im Falle von Deutsch und Englisch. Bedenkt man, dass alle diese Begriffe eine mehrhundertjährige Vorgeschichte in der griechischen Kultur haben, die wiederum über das Latein und das Arabische in die modernen Sprachen Deutsch und Englisch transferiert wurden (ohne Berücksichtigung all der vielfältigen Wechselwirkungen mit den anderen umgebenden Kulturen) , so kann man ahnen, dass eine begriffsgeschichtliche Vorgehensweise zwar sehr anregend sein könnte, aber letztlich keinen wirklichen Beitrag zu dem leisten kann, um das es hier geht: die Benutzung bestimmter Termini in einer aktuellen systematischen Theorie mit empirischen Bezug.

ZIEL DES EXPERIMENTES 1

6) In einer informellen Darstellungsweise könnte man sagen, dass es im Geist-Sichtbarmachungs-Experiment (Mind-Visibility-Generation-Experiment) darum geht, zu zeigen, wie unter Berücksichtigung der kosmischen Rahmenbedingungen (im Sinne der Astrobiologie), der evolutionären Prozesshaftigkeit (im Sinne der Evolutionsbiologie), ausgehend vom beobachtbaren Verhalten (im Sinne verhaltensbasierter Wissenschaften) und unter Berücksichtigung struktureller Eigenschaften von Körpern (im Sinne von Anatomie, Neurowissenschaften,…) plausibel gemacht werden kann, wie die anhand von definierten Aufgaben messbare ‚Intelligenz‘ (im Sinne der empirischen Psychologie) mit einem ‚Geist‘ korrespondiert, der für eine bestimmte Menge von Funktionen steht, die den Strukturen eines Körpers eine spezifische Dynamik verleihen. Das mit ‚Bewusstsein‘ Gemeinte wird dabei angenommen als eine Teilfunktion des ‚Geistes‘.

THEORIEVORAUSSETZUNGEN

7) Wie bei jeder Theorie kann man auch hier unterscheiden zwischen der Theorie selbst und ihrer Hervorbringung. Während die Theorie selbst ein irgendwie geartetes formales Gebilde ist, das von den ‚Theoriemachern‘ (Wissenschaftlern, Ingenieuren) mittels Experimenten auf bestimmte Wirklichkeitsausschnitte bezogen wird, müssen die Theoriemacher individuell spezifische Erkenntnisvoraussetzungen mitbringen, ohne die die Formulierung und koordinierte Nutzung einer Theorie nicht möglich ist. Wir nennen diese postulierten notwendigen Erkenntnisvoraussetzungen hier die ‚minimale kognitive Struktur (MKS)‘ (oder Englisch: ‚minimal cognitive structure (MCS)‘ in dem Sinne, dass jedes virtuelle System, das die gleichen minimale kognitive Struktur besitzen würde, in der Lage wäre, die gleiche Theorie zu formulieren und anzuwenden.

ZIEL DES EXPERIMENTES 2

8) Das Hauptziel des ‚Geist-Sichtbarmachungs-Experimentes (GeiSichtExp)‘ ist genau dieses: virtuelle Systeme entstehen zu lassen, die den minimalen kognitiven Strukturen von Tieren und Menschen so entsprechen, dass sie die gleichen Weltmodelle und dazu gehörigen Verhaltensweisen hervorbringen können. Damit würden diese virtuellen Systeme ‚verhaltensidentisch‘ zu Tieren und Menschen und die Frage nach dem Unterschied zwischen der ‚Natur‘ oder dem ‚Wesen‘ des mit ‚Geist Gemeintem‘ beim Tier und Mensch einerseits sowie den virtuellen Systemen andererseits würde darauf hinauslaufen, ob der ‚Material‘, aus dem die jeweiligen Systeme ‚gebaut‘ sind, eine ‚wesentliche‘ Rolle zukommt.

ENTKOPPLUNG VON BIOLOGISCHEN STRUKTUREN

9) Bei biologischen Systemen hat die Struktur des Körpers, speziell auf der Ebene der Zellen, überwiegend mit der Beschaffung und Erhaltung der Energie zu tun, mit der Erhaltung und Weitergabe von Bauinformationen, mit Wachstum und Koordinierung, usw. und nur zum kleineren Teil mit aktueller Informationsverarbeitung. Würde man das ‚Wesen des Geistes‘ auf die Informationsverarbeitung im engeren Sinne beschränken — was hier im ersten Ansatz versuchsweise getan wird –, dann wäre der größere Teil des Körpers für den Geist nicht direkt relevant. Damit verschärft sich die Plausibilität dafür, dass Strukturen zur Ermöglichung von Informationsverarbeitung im Sinne eines ‚Geistes‘ auch mit anderen Mitteln realisiert werden können. Dies wäre ein erstes Argument dafür, dass das ‚Phänomen des Geistes‘ nicht an die typischen biologischen Strukturen gebunden sein muss.

10) Die Sichtbarmachung von ‚Geist‘ in diesem beschränkten Sinne erscheint prinzipiell machbar, wenngleich aufgrund der implizierten Komplexität nicht einfach. Ein ‚Hobbyprogrammierer um die Ecke‘ wird es nicht schaffen (genauso wenig wie die milliardenschweren Neuro-Simulatoren, die allenthalben entstanden sind bzw. entstehen).

NICHT ALLE FRAGEN BEANTWORTET

11) Die tieferliegende Frage nach dem ‚Geist‘ als einer ‚innewohnenden Eigenschaft der Energie‘ als Ausgangspunkt jeglicher Strukturbildung im Universum würde durch das ‚Geist-Sichtbarmachungs-Experiment‘ jedoch noch nicht beantwortet. Allerdings wäre dies ein Schritt in die Richtung einer möglichen Beantwortung, eine mögliche Motivation, um das Fragen und Experimentieren zu intensivieren.

SUBJEKTIVE WIDERSTÄNDE

12) Die meisten Leute, mit denen ich bislang über dieses ‚Geist-Sichtbarmachungs-Experiment‘ sprechen konnte, tun sich bislang aber überhaupt schwer, diesem Experiment einen Sinn ab zu gewinnen. Die ‚Widerstände‘ für ein ‚Mitdenken‘ sind vielfach. Grundsätzlich tun sich Menschen schwer, über sich selbst nach zu denken. Und wenn überhaupt, dann hat man aus der Vergangenheit bestimmte liebgewordene Bilder, die den Menschen als etwas ‚Besonderes‘ gegenüber allem anderen sehen, als ein mit ‚Geist‘ (und möglicherweise noch ‚Seele‘) ausgestattetem Wesen, dessen Bezug zum Ganzen des Universums trotz Wissen um die Evolution irgendwie und irgendwo nicht so richtig gesehen wird. Die unterschiedlich kursierenden religiösen (hinduistisch, buddhistisch, jüdisch, christlich, muslimisch, …) Deutungsmustern tun ihr ihriges, um den Blick nicht frei zu bekommen, für das ’neue Bild‘ eines — möglicherweise — durch und durch geistigen Universums mit einer darin implizierten eigentümlichen ‚Liebe‘ und ‚Verantwortung‘. Nach allem, was bislang bekannt ist, geht es nicht um ‚weniger‘ Religion, sondern eher um ‚mehr‘. Und wie wir wissen, ist der Weg vom Kind zum erwachsenen, verantwortungsvollen Menschen lang und beschwerlich. Und nicht wenige verweigern auf diesem Weg die notwendigen Einsichten und Konsequenzen. Der Preis der Freiheit ist die Möglichkeit der Verweigerung. Freiheit durch ‚Zwang‘ zu ersetzen hilft in der Regel nicht, da damit die notwendige ‚Reife‘ im einzelnen nicht durch einen eigenen Lernprozess entstehen kann. ‚Zwangsgesellschaften‘ erzeugen auf Dauer ihren eigenen Untergang.

Theoretischer Rahmen für das GEIST-SICHTBARMACHUNGS Projektes
Theoretischer Rahmen für das GEIST-SICHTBARMACHUNGS Projektes

THEORIERAHMEN 2

13) Die benutzte Theorie benutzt drei Komponenten: (i) eine Menge von definierten Aufgaben (‚Tasks‘), die eine Art Umgebung (‚environment‘) für lernende Systeme darstellen; (ii) die zu untersuchenden (lernenden) Systeme (‚Systems‘); (iii) die Interaktion dieser Systeme mit den Aufgaben der Umgebung.

AUFGABEN

14) ‚Aufgaben‘ sind theoretisch definierte Mengen von ‚Zuständen‘, die man in mindestens einen ‚Anfangszustand‘ (’start state‘), mindestens einen ‚Zielzustand‘ (‚goal state‘), sowie einer — eventuell leeren — Menge von ‚Zwischenzuständen‘ (‚intermediate states‘) einteilen kann. Von einem Zielzustand muss es mindestens einen ‚Pfad‘ (‚path‘) zu mindestens einem Zielzustand geben. Dieser wird ‚Lösungspfad‘ (’solution path‘) genannt. Interessant sind die ‚kürzest möglichen‘ Lösungspfade. Kann man einen Lösungspfad angeben, so kann man — unter Voraussetzung feststehender Interaktionen (s.u.) — auch die zum Lösungspfad notwendigen Folgen von Interaktionen angeben, die als solche eine ‚idealisierte empirische Verhaltensfunktion‘ (Phi hoch i‘, φi) definieren. Diese idealisierte empirische Verhaltensfunktion φi kann dann als Sollwert (Norm) benutzt werden, um tatsächliche empirische Verhaltensfunktionen damit zu vergleichen (messen).

SYSTEME

15) Die ‚Systeme‘ innerhalb der verwendeten Theorie sind allesamt ‚offene‘ Systeme, d.h. ‚Input-Output-Systeme‘, die über diverse Wahrnehmungen und Aktionen im kontinuierlichen Austausch mit der jeweiligen Umgebung stehen. Unter Bezug auf eine unterstellte Verhaltensfunktion (phi hoch t, φt: I —> O) kann man dann grob unterscheiden zwischen ‚reaktiven‘ und ‚adaptiven‘ Systemen. ‚Reaktive‘ Systeme (φt: I x IS —> O) verfügen zwar über interne Zustände IS, die in das Verhalten einfließen, diese internen Zustände IS können jedoch nicht wesentlich verändert werden. Im Gegensatz dazu können ‚adaptive‘ Systeme (φt: I x IS —> IS x O) ihre internen Zustände IS hinreichend verändern. Die jeweilige Implementierung der internen Zustände IS (mittels z.B. biologischer Zellen, neuronaler Zellen, Classifier, Graphen) spielt keine wesentliche Rolle. Bislang kann man allerdings ‚technische‘ System von ‚biologischen‘ Systemen meistens dadurch unterscheiden, dass biologische Systeme zwischen einem ‚Genotyp‘ und einem ‚Phänotyp‘ unterscheiden. Der Phänotyp entsteht aus einem Genotyp durch einen Wachstumsprozess, bei dem anhand von genetischen Ausgangsinformationen ein interaktiver Prozess angeregt wird, in dessen Verlauf der Phänotyp (salopp: Körper) entsteht. Der Phänotyp trägt über ‚Fortpflanzung‘ zum Erhalt der genetischen Informationen bei. Bei diesem Prozess können die genetischen Informationen mit Zufallseinflüssen verändert werden. Auf diese Weise können genau jene genetischen Informationen selektiv überleben, deren Phänotypen sich in einer bestimmten Umgebung besonders ‚bewähren‘. Bei technischen Systemen fehlt diese genetische Rückkopplung bislang aufgrund der hier anfallenden Komplexität einerseits und des für solche Prozesse notwendigen Zeitbedarfs.

INTERAKTIONEN: STIMULUS (S), RESPONSE (R)

16) Die ‚Interaktion‘ eines Systems mit seiner Umgebung geschieht einmal über solche Umweltereignisse, die das System als ‚Reize’/ ‚Stimuli‘ (S) ‚wahrnehmen‘ kann sowie über solche Veränderungen an der Außenseite (Interface, Schnittstelle) seines Systems, die als ‚Antworten’/ ‚Responses‘ (R) auf die Umgebung ‚einwirken‘ können. Sofern solch eine Reaktion ‚R‘ von einem bestimmen Stimulus ‚S‘ abhängig ist, spricht man auch von einem Stimulus-Response-Paar (s,r) ∈ S x R. Die Menge aller solcher Stimulus-Response Paare, die für ein bestimmtes System als ‚charakteristisch‘ beobachtet werden können, wird hier als ‚empirische Verhaltensfunktion‘ (φe) bezeichnet. Handelt es sich bei dem System unter Beobachtung um eine biologisches System, ist es eine ‚empirisch-empirische‘ Verhaltensfunktion (φe,e), im Falle von technischen Systemen um eine ‚empirisch-technische‘ Verhaltensfunktion (φe,t). Empirische Verhaltensfunktionen kann man mit idealisierten (‚gesollten‘) Verhaltensfunktionen (φi) vergleichen. Stimmen die empirischen Funktionen mit den idealisierten ‚hinreichend überein‘, dann kann man sagen, dass ein System den für eine Aufgabe zu leistenden minimalen Lösungspfad ‚gelernt‘ hat. Zwischen einer vollständigen (100%) und keiner (0%) Übereinstimmung mag es viele charakteristische Varianten geben.
17) Innerhalb des hier skizzierten theoretischen Rahmens lassen sich alle bis heute bekannten reaktiven und adaptiven Systeme behandeln. Im Laufe des Experimentes werden einige dieser Systeme real vorgestellt werden. Alle beobachtbaren Leistungen sind über definierte Aufgaben beschreibbar und dadurch mit dem Verhalten realer biologischer Systeme vergleichbar. Die Einbeziehung des genotypischen Lernens ist angezielt, aber weitgehend abhängig von der Verfügbarkeit geeigneter Ressourcen.

QUELLENNACHWEISE

Abfrageergebnisse in www.leo.org (Abfrage vom 27.Dez.2012)

1) Mind –> Geist, Verstand, Ansicht, Gedanke, Absicht
2) Vernunft –> reason, rationality, sanity
3) Verstand –> mind, apprehension, brain(s), comprehension, discretion, intellect, reason, sanity, sense, understanding, wit(s)
4) Geist –> mind, ghost, spirit, animus, apparition, esprit, genie, intellect, nous, phantom, psyche, specter/ spectre, wit, wraith
5) intelligence –> Einsicht, Intelligenz, Auffassungsvermögen, die Aufklärung, die Information (auch vom Geheimdienst), die Klugheit, die Nachricht, der Verstand, die Wiedergabe, Auskunft, Geheimdienst,
6) Intelligenz –> intelligence, brainpower, brains, intelligentsia, savvy, understanding
7) reason –> Grund, Anlass, Argument, Begründung, Motiv
8) Bewusstsein –>awareness, consciousness
9) consciousness –> Bewusstsein, Bewusstheit, Besinnung
10) awareness –> Bewusstsein, Bewusstheit, Erkenntnis
11) Aufmerksamkeit –> attention, concentration, advertence/ advertency, alertness, attentiveness, heedfulness, mindfulness, notice, regard, thoughtfulness

Eine Übersicht über alle Blog-Einträge bisher nach Titeln findet sich HIER