Archiv der Kategorie: Islam

SPRICHT GOTT MIT CYBORGS? (CHRISTLICHE) SPIRITUALITÄT IM ZEITALTER DER DIGITALISIERUNG DES MENSCHEN – Teil 2

ZULETZT

  1. Im vorausgehenden Teil wurde stark abgehoben auf die Vielfalt und Vielschichtigkeit von sprachlichen Bedeutungen, die jeweils eingebettet sind in Individuen mit ihren je persönlichen Lerngeschichten, die ein spezifisches virtuelles Bild einer Welt im Kopf weben, das mit der unterstellten Außenwelt nicht viel zu tun haben muss. Nicht nur die sogenannten psychisch Kranken, geistig verwirrten Menschen leben in einer virtuellen Welt, die weitgehend ihre eigene ist, nein, jeder normale Mensch lebt in seiner virtuellen Welt im Kopf, die das Gehirn erzeugt, und die in Korrespondenz mit der Außenwelt zu bringen kein Selbstgänger ist.

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Übersicht zur Evolution des Universums und darin zur Evolution des biologischen Lebens auf der Erde
Übersicht zur Evolution des Universums und darin zur Evolution des biologischen Lebens auf der Erde
  1. Der Blick zurück in die Evolution des biologischen Lebens kann zeigen, dass diese Fähigkeit zur Bildung virtueller Welten im Kopf, die – ja nachdem – mit der Welt jenseits des Gehirns (eigener Körper, Welt jenseits des Körpers) irgendwie korrelieren, eine sehr, sehr späte Entwicklung ist. Es musste unfassbar viel geschehen, bis es Lebensformen gab, die dies in diesem Ausmaß dann tun konnten.
  2. Und wenn man dann noch bedenkt, dass es 8-9 Mrd Jahre gebraucht hat, bis alle Zutaten verfügbar waren (Sonnensystem mit einer habitablen Zone, hinreichend schwere Atome für notwendige biologisch relevante Moleküle, …(Bitte Bücher zur Astrobiologie lesen…)), damit sich solch eine komplexe Entwicklungsgeschichte wie die der biologischen Evolution ereignen konnte, dann gewinnt das Ereignis der Fähigkeit zu internen virtuellen Modellen realer und möglicher Zustände möglicherweise einen ganz anderen Stellenwert, als wenn man dies alles für überaus selbstverständlich hält, geradezu nichtssagend…

BILDER NICHT 1-ZU-1

  1. Die ‚Bilder im Kopf‘ sind also nicht, wie manche vermutet haben, automatisierte 1-zu-1 Abbildungen des eigenen Körpers oder der unterstellten Außenwelt; wie ja auch schon die bildende Kunst seit 2000 Jahren (oder auch länger, Höhlenzeichnungen und andere Artefakte viel früher) demonstriert, dass gemalte Bilder (oder auch Plastiken) fast nie eine reine 1-zu-1 Abbildung sind. Der gestaltende Künstler tritt zwischen stimulierender Realität und Kunstwerk und verwandelt mögliche Stimuli unter Einbeziehung seiner vielen eigenen Stimuli in meist nicht voll bewusster Weise in Objekte, Werke, die dann der Betrachter wiederum sehr unterschiedlich wahrnimmt. Selten sagen verschiedenen Menschen das Gleiche über ein und dasselbe Kunstwerk.
  2. Ähnliche Vielfalt erlebt man bei Zeugenaussagen, die erwiesenermaßen ein hohes Maß an Eigenanteilen der Zeugen besitzen.
  3. Die Gedächtnisforschung hat gezeigt, dass unsere Erinnerungen aktive Strukturen sind, die sich selbst assoziieren, kommentieren, umbauen, verändern, überschreiben.
  4. Über die Objektivität von Fotos wurde viel diskutiert und geforscht. Jedes Foto ist eine Auswahl, eine Interpretation, und heute im Zeitalter der digitalen Bildverarbeitung ist es immer schwerer zu sagen, was ein Bild denn nun ‚abbildet‘, wenn der Begriff ‚Abbildung‘ überhaupt Sinn macht. Eigentlich hat er noch nie Sinn gemacht, sondern eher ‚Un-Sinn‘ befördert.
  5. Die Geschichte des empirischen Messens selbst, eigentlich eine Paradedisziplin der objektiven Tatsachenfeststellung, hat schon sehr früh gezeigt, dass selbst der ‚empirische Messwert‘ sehr schnell in eine Abhängigkeit von theoretischen Modellen (speziellen Bilder im Kopf) gerät, so dass der pure Messwert für sich (irgendeine Zahl auf einer theoretischen Skala mit einer theoretischen Einheit) je nach Modell das eine oder das andere bedeuten kann.
  6. Kurzum, die ‚Bilder in unserem Kopf‘ sind keine einfachen, automatischen 1-zu-1 Abbilder von einem vorausgesetztem Realen, sie sind primär und durch und durch erst einmal dynamische Konstruktionen unseres Gehirns, das darin eine unfassbare Leistung vollbringt. Dass diese Bilder mit der unterstellten realen Welt des eigenen Körpers oder der Welt jenseits des Körpers nichts zu tun haben müssen, ist eine Sache. Die viel spannendere Sache ist die, dass wir, wenn wir entsprechenden Lern- und Kommunikationsmustern folgen, doch in der Lage zu sein scheinen, immer wieder interessante Korrespondenten mit der Welt jenseits des Gehirns konstruieren können. Kein Automatismus, kein Selbstgänger, aber möglich.

EINER ALLEINE REICHT NICHT

  1. Nur vergessen wir schnell, dass nicht nur der einzelne Mensch hier eine Rolle spielt, sondern das Zusammenspiel von vielen Menschen in Gruppen, Institutionen, Regionen, ganzen Nationen oder jetzt einer möglichen Weltgesellschaft.
  2. Was immer ein Mensch in seinem Kopf haben mag, es bleibt so lange ohne Wirkung, als er es nicht mit den Bildern der anderen Menschen in seiner Umgebung austauschen und koordinieren kann. Hier beginnt das Wunder und zugleich das Drama der Kultur(en).
  3. In der Geschichte gibt es mittlerweile viele Beispiele, wie größere Menschengruppen bis hin zu vielen Nationen umfassenden Verbänden (Region China, Region Indien, Region Europa, Region Afrika, Region Mittel- und Südamerika…) es geschafft hatten, ihr Verhalten zu koordinieren, indem Regelsysteme eingeführt wurden, die ein komplexes Miteinander ermöglichten. Regelsysteme sind immer auch mentale, kognitive Modelle, Bilder eines gesollten Zusammenlebens, die an ihre Träger, die einzelnen Menschen gebunden sind.

KEIN AUTOMATISMUS FÜR KULTUREN

  1. Bislang gibt es keine Automatismen, dass ein Mensch aus einer anderen Kultur B (anderes Regelsystem, anderes Modell) die Regeln einer Kultur A automatisch versteht und befolgt. Neben der inneren Bereitschaft gehören dazu langwierige Lernprozesse auf vielen Ebenen, in vielen Bereichen. Diese zu ermöglichen, diese zu durchlaufen, dauert Jahre, eher Jahrzehnte, bisweilen Jahrhunderte.
  2. Neben den Transformationsprozessen religiöser Überzeugungen (Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam, und vielen anderen) kann man dies am Beispiel des allgemeinen Weltverstehens anschaulich sehen.

BEISPIEL PHILOSOPHISCHES-WISSENSCHAFTLICHES WISSEN

Wichtige Namen im Kontext Ontologie der griechischen Antike und des lateinischen Mittelalters
Wichtige Namen im Kontext Ontologie der griechischen Antike und des lateinischen Mittelalters
  1. In der griechischen Philosophie und Wissenschaft von ca. -500 bis ca. -200 gab es Ansätze im Verstehen der Welt, des Menschen und des Wissens, die sehr vieles von dem, was uns heute vertraut ist, vorweg genommen hatten. Dieses Wissen versank dann aber im lateinischen Europa (vor allem unter dem Einfluss des damals dogmatisch-engen Christentums) für gut 1000 Jahre im Nichts des Vergessens, während es in der islamischen Kultur (ja, es gab auch einen anderen Islam, als wir ihn heute erleben) gesammelt, übersetzt, und weiterentwickelt wurde, bis es über diesen Denkraum im 12./13.Jh langsam, häppchenweise wieder in das lateinische Europa einsickerte. Das griechische Denken wurde dann, als es bekannt wurde (vor allem Aristoteles) aufgesogen, analysiert, und schrittweise weiter entwickelt, bis es dann immer mehr zu einem eigenständigen philosophischen und wissenschaftlichen Denken erblühte, das sich ab dem 15.Jh stark weiter entwickelte und im Laufe der Jahrhunderte  nicht nur zu neuen Technologien und Wirtschaftsformen führte, sondern dann auch zu politischen Modellen, die über verschiedene Revolutionen neue Regierungsformen ermöglichten.

WISSEN IST KEIN SELBSTGÄNGER

  1. Wissen jedoch ist kein Selbstgänger. Wie viele Bibliotheken und Datenbanken es auch geben mag, wenn dieses Wissen nicht hinreichend von den handelnden Menschen immer wieder neu angeeignet, aktiv verarbeitet und aktiv weiter entwickelt wird, dann mag es ein Überfluss an Daten in der Welt jenseits der Gehirne geben, aber die Gehirne selbst werden veröden, austrocknen, sich verdunkeln.

DENKEN DES DENKENS

  1. In den geistigen Auseinandersetzungen des Mittelalters lernten die Akteure eine Form des geistigen Arbeitens, die sehr diszipliniert, sehr intensiv, sehr kommunikativ war. Sie lernten sich mit der Sprache als Medium der Gedanken auseinander zu setzen. Sie begannen schrittweise zu ahnen, dass das ‚normale Denken‘ in sich ein hochkomplexer Prozess ist, in dem Sprachzeichen, sprachliche Ausdrücke und das damit Gemeinte, mögliche Bedeutungen, darin eingebettet mögliche Objekte, Gegenstände, keine Selbstgänger sind. Das Zusammenbinden von Zeichen, Ausdrücken mit möglichen Bedeutungen geschieht in dynamischen Prozessen, die vielerlei Unklarheiten beherbergen, vielfältige Abhängigkeiten untereinander aufweisen, und sie begannen zu lernen, das die Formen/ Muster des Denkens nicht automatisch, 1-zu-1 auf die Umgebung, auf die reale Welt übertragen werden können. Der Universalienrealismus eines Plato wurde vielfach kritisch umgewandelt in einen vorsichtigen Nominalismus, der die Strukturen des Denkens zwar anerkennt, sie aber nicht sofort auch in die Außenwelt hinein projiziert. Dies war die Geburtsstunde der modernen Wissenschaft, in der die Menschen gelernt haben, symbolische Modelle (mathematische Theorien) zu konstruieren, von denen man nicht automatisch annimmt, dass sie schon allein deshalb war sind, weil man sie gedacht hat und sie schön aussehen. Sie müssen in jedem einzelnen Fall empirisch überprüft werden.

VERLIEREN WIR UNSERE EIGENE GESCHICHTE?

  1. Es waren diese großartigen Denker des lateinischen Mittelalters, die im Dialog mit dem aristotelischen Denken das neue Denken gefunden und geformt haben. Aber, dieser Prozess hat letztlich von ca. 1100 bis ca. 1900 gedauert; und wir erleben aktuell, dass diese großen Fortschritte der menschlichen Denkkultur im Zusammenwirken von fortschreitender Spezialisierung und gleichzeitiger automatisierter Datenüberflutung die Gehirne und Kommunikationen der Menschen zu veröden drohen. Primitive und fundamentalistische Ansichten über Menschen und Welt, die historisch eigentlich als überwunden gelten konnten, gewinnen wieder Kraft und Einfluss. Selbst Menschen mit Universitätsabschlüssen sind vor der neuen Unwissenheit nicht gefeit. Die fortschreitende Digitalisierung, die eine Hilfe auf dem Weg zu einer neuen Menschheitskultur sein könnte, wird aktuell eher missbraucht von Interessen und Denkmodellen, die Fundamentalismus, Rassismus, Hass, Engstirnigkeit, Angst, diktatorische Tendenzen und vieles mehr fördern. Das Abenteuer des Geistes tritt – wieder einmal – in eine neue Phase ein.

Fortsetzung folgt (Die Sache mit Gott wurde nicht vergessen …. )

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NICK LANE – LIFE ASCENDING – BESPRECHUNG – Teil 1b – Nachtrag zu Teil 1

Nick Lane, „Life Ascending“, London: Profile Books Ltd, 2009 (Paperback 2010)

  1. Hir ein paar weitere Nachbemerkungen zum Teil 1 der Besprechung von Nick Lane’s Buch

GESPALTENE WELT IM KOPF

  1. Viele (die meisten?) Menschen haben in ihrem Kopf ein Bild von der Welt, in der die Welt mindestens zweigeteilt ist: hier sie selbst als Menschen, als Wesen mit Gefühlen, Geist, Seele, Werten usw., dort die restliche, unbelebte, materielle Welt, so anders, ganz anders. Wenn man diese Menschen fragt, warum sie die Welt so sehen, wissen sie oft keine Antwort. Es ist halt so; so wurde es ihnen erzählt, das sagen die Religionen. Sonst wäre ja alles so sinnlos, leer. Selbst Menschen mit Studium, mit Doktortitel, Menschen die selber wissenschaftlich arbeiten, haben solche (naiven?) Anschauungen.

WO SIND DIE HELFER?

  1. Umgekehrt bieten die Naturwissenschaftler oft (sehr oft? meistens?) wenig Hilfestellungen, Verstehensbrücken zu schlagen zwischen naturwissenschaftlichen Konzepten und den alten Bildern vom Menschen als Krone der Schöpfung, mit Gefühlen, Seele und Geist. Eigentlich wäre hier die Philosophie zuständig. Die zerfällt aber in zwei große Lager: jene, die die alten Menschenbilder konservieren und sich selbst den neuen Entwicklungen im Denken verweigern, und jene, die sich voll auf die Seite der neueren Wissenschaften geschlagen haben und die Vermittlung mit den alten Weltbildern gar nicht erst versuchen. Eine sehr missliche Lage. Ein anderer Parteigänger des alten Menschenbildes sind alle großen Religionen (Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam, …). Aber diese sind ihren eigenen sehr speziellen Glaubensgrundlagen und gewachsenen Traditionen so sehr verpflichtet, dass sie sich in ihrem Wahrnehmen und Denken selbst gefesselt haben. Wehe jemand denkt anders als man es bislang gewohnt ist zu denken; ein solcher macht sich verdächtig, fällt aus dem Rahmen, wird möglicherweise zum Ungläubigen, und – wie wir wissen – kann massiv bestraft werden, bis hin zum Tod.
  2. Und dann die empirischen Wissenschaften selbst: schon die Physik hat ihre Probleme mit der Biologie, die Biologie mit der Psychologie und Soziologie und all den anderen komplexen Wissenschaften vom menschlichen Leben.
  3. Auch ein Detail wie die Sprache der Wissenschaften hält viele Überraschungen bereit: es gibt viele Sprachen in der Wissenschaft. Zentral ist eigentlich die Mathematik. Aber auch diese zerfällt in viele Teilgebiete, die sich erst im 20.Jahrhundert im Umfeld der Algebra zu einer allgemeinen Strukturwissenschaft geformt hat, mit einer eigenen Metamathematik, die allerdings auch eher nur ein Randdasein führt, ein Exotenfach. (siehe Corry 1996 (2.Aufl. 2004)).

AUS DER GESCHICHTE LERNEN?

  1. Aus der Geschichte können wir wissen, dass Änderungen im Denken von Menschen weitgehend über die umgebende Gesellschaft gesteuert wurden. Änderungen konnten hunderte von Jahren dauern. Im Falle der Rezeption der griechischen Philosophie und Wissenschaft im westlichen Europa (in dem durch die katholische Kirche Wissen, Bildung, Wissenschaft – entgegen vielfacher Meinung – mehrere Jahrhunderte fast ausgerottet worden ist) hat es fast 1000 Jahre gedauert, bis Teile dieses Wissens dank der (damals) hochstehenden islamischen Kultur über großartige und umfassende Übersetzungstätigkeiten wieder zurückfanden in die Köpfe von Westeuropäern.

ENGSTELLE INDIVIDUELLE LEISTUNGSFÄHIGKEIT

  1. Heute werden wir Dank Computer und Internet (und speziellen Unternehmen) von Wissen überflutet. Aber was nützt dies, wenn wir pro Tag vielleicht nur 10-20 Seiten komplexe Texte verarbeiten können? Was nützen Terabytes von Daten, wenn wir in unserem individuellen Denken zusätzlich zur Kapazitätsbegrenzung Voreinstellungen besitzen, die uns dazu bringen, nur ganz bestimmte Dingen wahrnehmen und denken zu wollen, alles andere aber nicht? Und dazu die Algorithmen vieler Inhaltsanbieter: man bekommt mehr und mehr nur noch die Dinge zu sehen, die man am häufigsten anklickt: genau das Gegenteil wäre hilfreich, auch mal etwas anderes zu sehen, was es auch noch gibt, um sich aus seiner eigenen kleinen Welt zu befreien. Oder, in lichten Momenten, wollen wir vielleicht doch mal etwas anderes wahrnehmen und denken und müssen dann feststellen, dass uns viele Voraussetzungen fehlen, das Andere zu verstehen; wir sinken mutlos in uns zurück und kapitulieren, bevor wir angefangen haben, Neues wahrzunehmen. Das Neue, das Andere ist sehr wohl da, aber wir sind in uns selbst gefangen; die Schwerkraft des eigenen Nichtwissens hält uns quasi fest, bindet uns, lähmt uns, macht uns mutlos.
  2. Wie also können wir uns aus dieser Sackgasse befreien? In Computerspielen haben die Programmierer meistens einen Ausweg eingebaut, für den es Belohnungspunkte gibt. Wie sieht es im realen Leben aus?

GEHEIMNIS DES ERFOLGS BISHER

  1. Schauen wir auf die Entwicklung des biologischen Lebens, dann können wir ein sonderbares Schauspiel beobachten: seit dem Auftreten der ersten Bakterien (ca. zwischen -4 Mrd und -3.4 Mrd Jahren vor unserer Zeit) und dann speziell seit dem ersten Auftreten der ersten komplexen Zellen (vor ca. -1.0 Mrd Jahren) können wir beobachten, wie ein Selbstreproduktionsmechanismus, der als solcher blind war (und ist) für seine Umgebung und für das was kommen wird, so viele geniale neue Lebensformen hervorgebracht hat, dass es irgendwann dann auch Wesen gab wie den homo sapiens sapiens (heute meist nur homo sapiens, weil der postulierte homo sapiens als Bindeglied zum homo sapiens sapiens keine rechte Funktion besitzt), dessen Körper von ca. 34 Billionen (10^12) Zellen gebildet wird, lauter Individuen, die miteinander kooperieren (und noch mehr Bakterien, die wiederum mit den Körperzellen kooperieren). Das Geheimnis des Erfolgs ist, dass trotz lokaler Unwissenheit, lokaler Blindheit, eine Population bei der Selbstreproduktion so viele Varianten erzeugt hat, so viele kreative Abweichungen, dass immer dann, wenn die Umwelt sich geändert hatte und die bisherigen Lebensformen ein Problem bekamen, genügend andere Formen verfügbar waren (glücklicherweise), dass die Geschichte des Lebens bis heute anhält (unter den Problemen der Umgebungen gab es alleine 5 große Eiszeiten von 2×20 Mio, ca. 60 Mio, ca. 100 Mio und sogar ca. 300 Mio Jahren Dauer!!!!! Den homo sapiens – also uns – gibt es gerade mal ca. 200.000 Jahre).

WO DER ERFOLG WOHNEN KANN

  1. In der Kunst lebt die Bereitschaft zum kreativen Denken und Verhalten ansatzweise weiter. Die gesamte Wissenschaft ist eigentlich dem Prinzip der kontrollierten Änderung des aktuellen Wissens verpflichtet; jedes Unternehmen lebt eigentlich von der Innovation seiner Produkte. Jeder einzelne Mensch erlebt heute schmerzhaft, dass die Planung einer Ausbildung oder die Ausübung eines Berufes immer kurzlebiger, immer unsicherer wird. Und doch, wir tun uns mit den Weltbildern in unseren Köpfen schwer. Sie haben ein großes Beharrungsvermögen, können die Festigkeit von Beton besitzen.
  2. Im Kern haben wir also das Problem, dass wir zu jedem Zeitpunkt, an dem wir gerade leben, ein Wissen haben, das als solches zwar begrenzt wertvoll ist, das aber gemessen an dem, was wir noch nicht wissen, nur begrenzt hilfreich ist. Es gänzlich außer Acht zu lassen wäre sicher falsch, da es ja bisherige Erfolgsrezepte (im positiven Fall) beinhaltet; aber es ausschließlich zu benutzen, wäre auch falsch, sehr wahrscheinlich tödlich. Wir brauchen zu jedem Zeitpunkt ein schwer bestimmbares Maß an Neuem, das insoweit neu ist, als es wirklich anders ist als das, was wir bislang kennen. Damit verbindet sich unausweichlich ein Risiko, dass das so gewählte Neue nicht zum Ziel führen muss. Dieses Risiko ist quasi der Preis des möglichen Überlebens. Genauso wenig wie aus dem Nichts irgendetwas entstehen kann, genauso wenig können wir kostenlos die Zukunft gewinnen.
  3. Ich kritisiere ja – wie leicht zu sehen – die bestehenden Religionen oft und stark. Aber es ist interessant, dass sich in den überlieferten Worten eines Jesus von Nazareth (sofern man sie ihm wirklich zuordnen kann), das Bild von einer je größeren Zukunft sehr deutlich findet; dass das Weizenkorn sterben muss, um dem je größeren Leben Raum zu geben; dass das, was er selber getan hat, jeder andere nicht nur auch tun kann, sondern dass jeder andere sogar noch viel mehr tun kann; dass man über andere nicht urteilen sollte, weil das eigene Wissen grundsätzlich falsch sein kann (und oft falsch ist), usw. Dies sind Gedanken, die nicht notwendigerweise etwas mit Religion zu tun haben müssen; es sind grundsätzliche Sachverhalte, die sich dem zeigen, der das biologische Leben betrachtet, wie es sich nun mal manifestiert.

Es gibt eine weitere Fortsetzung als Teil 2.

WEITERE QUELLEN/ LINKS (Selektiv)

  • Text des Neuen Testaments: https://www.bibelwissenschaft.de/online-bibeln/novum-testamentum-graece-na-28/lesen-im-bibeltext/ //* Das ist der griechische Urtext. Wir sind daran gewöhnt, immer irgendwelche Übersetzungen zu lesen und dabei zu vergessen, dass jede Übersetzung eine Interpretation ist. Zudem hat jeder Text eine Überlieferungsgeschichte, d.h. es gibt in der Regel nicht nur einen Text, sondern viele Handschriften, aus denen dann der ‚plausibelste‘ Text zusammengestellt wird/ wurde (was auf dieser Webseite leider nicht angezeigt wird). Und wenn man den Urtext liest, wird man fast über jedes Wort stolpern und sich fragen, was soll dieses Wort eigentlich bedeuten? Woher wissen wir, was die schwarzen Zeichen auf dem weißen Papier bedeuten können/ sollen? Meist ist ja bei alten Texten gar nicht klar, wer sie verfasst hat. Letztlich kann jeder sie geschrieben haben, oder viele verschiedene, oder verschiedene hintereinander, und jeder hat seine Änderungen angebracht….
  • Leo Corry, Modern Algebra and the Rise of Mathematical Structures, Basel – Boston – Berlin: Birkhäuser Verlag, 1996 (2.rev.Aufl. 2004)
  • Harold Morowitz: https://en.wikipedia.org/wiki/Harold_J._Morowitz (ein großes Thema: Wechselwirkung von Thermodynamik und Leben)
  • Michael J.Russel et al: http://www.gla.ac.uk/projects/originoflife/html/2001/pdf_articles.htm: The Origin of Life research project by Michael J. Russell & Allan J. Hall , University of Glasgow, May 2011
  • Krebs-Zyklus: https://en.wikipedia.org/wiki/Citric_acid_cycle
  • Martin W, Russell MJ., On the origin of biochemistry at an alkaline hydrothermal vent. , Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci. 2007 Oct 29; 362(1486):1887-925.
  • Martin W, Baross J, Kelley D, Russell MJ., Hydrothermal vents and the origin of life., Nat Rev Microbiol. 2008 Nov; 6(11):805-14.
  • Harold Morowitz und Eric Smith , Energy flow and the organization of life , Journal Complexity archive, Vol. 13, Issue 1, September 2007, SS. 51 – 59 ,John Wiley & Sons, Inc. New York, NY, USA

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DIE SELBSTABSCHALTUNG – UND NOCH EIN PAAR BETRACHTUNGEN ZUR PSYCHOLOGIE DES MENSCHEN

  1. Im Laufe seines Lebens trifft man auf sehr viele unterschiedliche Menschen. Über Körperformen, Geruchsprofile, Spracheigenschaften, Hautfarben, Verhaltensbesonderheiten, Art des Lachens oder Weinens, Essgewohnheiten, Musikvorlieben, und vielem mehr, gibt es eine große Bandbreite. Viele neigen dazu, äußerliche Besonderheiten sofort aufzugreifen, sie hoch zu stilisieren als abgrenzende Besonderheiten, als besondere Menschenklasse, als der bzw. die Anderen. Dabei sind es nur die ganz gewöhnlichen Varianten, die im biologischen Programm der Menschwerdung möglich und vorgesehen sind. Der/ die/ das Andere erweckt in vielen Menschen zudem oft spontane Ängste, weil sie instinktiv spüren, dass sie selbst, so, wie sie sind, nichts Absolutes sind, nicht die einzige Wahrheit; das sie selbst angesichts des Anderen sich auch als etwas Besonderes spüren, etwas Veränderliches, möglicherweise etwas Zufälliges, das am Selbstverständnis nagen kann: wer bin ich, wenn ich auch nur etwas Anderes für Andere bin? Wer bin ich, wenn ich auch nur etwas Zufälliges für andere bin, eine Variante?
  2. Es ist offensichtlich, dass Menschen, von Innen getrieben, nach Fixpunkten suchen, nach Wahrheiten, nach Gewissheiten, nach Anerkennung, nach einem positiven Selbstgefühl. Menschen halten es nicht gut aus, sie mögen es nicht, wenn ihr Selbstgefühl leidet. Und selbst in schweren Formen der Erniedrigung (z.B. in der leider viel zu häufigen Realität, wenn Frauen von Männern misshandelt werden), suchen Menschen noch in der Erniedrigung eine Form der Wertschätzung heraus zu lesen: Ja, der andere quält mich, aber noch in dieser Form der Qual nimmt der andere mich doch ernst, nimmt er mich wahr, verbringt er Zeit mit mir, usw. Dieses letzte Flackern des Lebenswillens reicht zwar aus, sich über der Nulllinie zu halten, nicht aber, um das zu verändern, was Leid und Zerstörung mit sich bringt.
  3. Dass Männer so oft Frauen misshandeln, weil Männer sich Frauen gegenüber aus vielfachen Gründen unterlegen fühlen, erscheint aber nur als eine Spielart von vielen anderen: Wenn Mitglieder einer politischen Partei wie besinnungslos auf Mitglieder anderer politischer Parteien mit Worten (und bisweilen auch Fäusten) einschlagen, dabei gebetsmühlenartig ihre Slogans wiederholen ohne dass irgend jemand näher überprüft hat, ob und wie man die Dinge auch anders sehen könnte, dann ist dies letztlich nichts anderes. Die andere Gesinnung als solche wird zum ab- und ausgrenzenden Merkmal, der Andere erscheint als direkte in Fragestellung der eigenen Position. Egal welche Parteien, ich habe noch nie erlebt, dass man mit einem aktiven Mitglied einer Partei (ob in Deutschland, Frankreich, England, den USA oder wo auch immer) bei einer Veranstaltung, wo verschiedene Vertreter präsent sind, einfach normal über mögliche Alternativen reden konnte.
  4. Bei Religionsgemeinschaften – zumindest in ihren fundamentalistischen Teilen – ist dies nicht anders (Juden, Christen, Muslime, Buddhisten, Hindus, …). Sie alle treten auf wie Marionetten eines Einpeitschers, der nicht außen steht, sondern sich in ihr eigenes Gehirn eingenistet hat und von dort aus alles terrorisiert. Das Furchtbare, das Erschreckende daran ist eben dieses: der Einpeitscher sitzt in ihrem eigenen Gehirn und er erlaubt diesen Menschen nicht, dass sie Fragen stellen, Fragen zu sich selbst, Fragen zu ihren eigenen Anschauungen, Fragen über die Welt, Fragen dazu, wie denn das alles gekommen ist, usw. Der Einpeitscher in ihren Gehirnen ist wie ein Computervirus, der dieses Gehirn gekapert hat, es so umprogrammiert hat, dass es gegen jegliche Beeinflussung von außen immunisiert wurde. Manche gehen damit bis in ihren eigenen Tod, wie jene Ameisen, die von einem bestimmten Pilz befallen wurden, der dann mit chemischen Stoffen über das Blut das Gehirn dieser Ameise so steuert, dass sie sich Vögeln zum Fraß anbieten, damit der Pilz in diese Vögel gelangen kann. Nicht anders funktionieren die fremde Einpeitscher-Slogans im eigenen Gehirn: sie schalten diese Menschen quasi ab, machen sie zu willenlosen Werkzeugen ihres Gedankenvirus. Man erkennt diese Menschen daran, dass sie im Gespräch immer nur Slogans wiederholen und nicht mehr selbst denken können.
  5. Wer glaubt, dass dies nur bei dummen Menschen funktioniert, der lebt in einer gefährlichen Täuschung. Der Virus der Selbstabschaltung findet sich auch bei intelligenten Menschen, und zwar nicht weniger häufig als bei sogenannten dummen Menschen (ich benutze die Begriffe ‚dumm‘ und ‚intelligent‘ normalerweise nicht, weil sie sehr oft zur Abgrenzung und Abwertung benutzt werden, aber in diesem Fall tue ich es, um genau diese Instrumentalisierung von Eigenschaften als Waffe gegen Menschen anzusprechen). Da die Welt sehr kompliziert ist und die allerwenigsten Menschen genügen Zeit haben, allen Dingen selbst soweit auf den Grund zu gehen, dass sie sich ernsthaft eine eigene Meinung bilden können, sind viele Menschen – ob sie wollen oder nicht – auf die Meinung anderer angewiesen. Davor sind auch intelligente Menschen nicht befreit. Da auch sogenannte intelligente Menschen die ganze Bandbreite menschlicher Triebe, Bedürfnisse, Emotionen, Gefühle in sich tragen (auch Eitelkeit, Machthunger usw.), angereichert mit ebenso vielen sublimen Ängsten, ist ihre Intelligenz nicht im luftleeren Raum, nicht beziehungslos, sondern steht auch permanent unter dem Andruck all dieser – vielfach unbewussten – Ängste, Triebe und Emotionen. Und, jeder einzelne, wie im Bilderbuch, nutzt seine Intelligenz um all diese unbewältigten Ängste, Triebe und Emotionen maximal zu bedienen. Wer seine Ängste, Triebe und Emotionen nicht in den Griff bekommt (Wer kennt jemanden, der dies vollständig kann?), erfindet wunderbare Geschichten (Psychologen nennen dies Rationalisieren), warum man eher das tut als etwas anderes; warum man nicht kommen konnte, weil; warum man unbedingt dorthin fahren muss, weil; warum dieser Mensch blöd ist, weil; usw. um damit  die wahren Motive unangetastet zu lassen.  Die große Masse der intellektuell verkleideten Geschichten ist in dieser Sicht möglicherweise Schrott, in der Politik, in der Religion, im menschlichen Zwischeneinander, in der Wirtschaft ….
  6. In einem der vielen Gespräche, die man so führt, stand mir einmal jemand gegenüber, der ohne Zweifel hochintelligent war und sehr viel wusste. Leitmotiv seiner vielen Äußerungen war, dass die meisten Menschen dumm sind und innerlich abgeschaltet sind. Daher lohne es sich nicht, sich mit Ihnen zu beschäftigen. Dabei fand er nichts dabei, dass er selbst immer wieder die gleichen Argumentationsfiguren wiederholte und bei Nachfrage, nach seinen Voraussetzungen tatsächlich erregt wurde, weil seine Kronzeugen nicht anzugreifen waren; seine eigenen Kronzeugen waren eben einfach wahr. Wer war hier abgeschaltet? War dies auch eine Strategie, um sich von der Vielfalt des Lebens mit Begründung abschotten zu können? Im Gespräch ging es fast nur um die Unterwerfung unter seine Prämissen; ein neugieriges Hinhören oder spielerisches Umgehen mit Varianten war im Ansatz trotz vielfacher Angebote meinerseits ausgeschlossen. Dieses Verhalten wirkte auf mich wie eine massive Selbstabschaltung vor der Vielfalt und dem Reichtum des Lebens, insbesondere auch als eine massive Selbstabschaltung vor den eigenen Abgründen und Möglichkeiten.
  7. Dieses sehr verbreitete Phänomen der Selbstabschaltung der Menschen von der Welt, von den anderen Menschen, vor sich selbst, ist gepaart mit einerseits einer unkritischen Überhöhung jener Positionen, die man (wie intelligent man auch sein mag) als für sich als wahr übernommen hat, und zugleich einer fast fanatischen Verteuflung von allem anderen. Wie eine Menschheit, die am Virus der Selbstabschaltung leidet, die sich nähernde Zukunft meistern soll, ist schwer zu sehen. Bislang haben die impliziten Kräfte der biologischen Evolution lebensunfähige Strukturen aussortiert. Das hat oft viele Millionen Jahre, wenn nicht hunderte von Millionen Jahren gedauert. Durch die Transformierung der Realität in das symbolische Denken von Gehirnen, erweitert um Kulturtechniken des Wissens, zuletzt durch Computer, Netzwerke und Datenbanken, hat es der homo sapiens geschafft, sich von diesem sehr langsamen Gang der bisherigen Form der Evolution zu befreien. Im Prinzip kann die Menschheit mit ihren Wissenstechniken die Erde, das Weltall, die Evolution denkerisch nachempfinden, nach analysieren, selber mögliche Zukünfte durchspielen und dann versuchen, durch eigenes Verhalten zu beschleunigen. Wenn nun aber dieses Denken eingebettet ist in eine unbewältigte Struktur von Ängsten, Trieben und Emotionen aus der Frühzeit des Lebens, ohne dass genau dafür neue leistungsfähige Kulturtechniken gefunden wurden, dann wirken all diese neuen analytischen Errungenschaften wie ein Panzer, der von einem kleinen Baby gesteuert wird mitten in einer belebten Stadt. Dies wirkt nicht wie ein Erfolgsrezept.
  8. Da das Universum ohne unsere Zutun entstanden ist, unsere Milchstraße, unser Sonnensystem, unsere Erde, das biologische Leben, wir alle, besteht vielleicht ein wenig Hoffnung, das in diesem – für uns nur schwer zu durchschauenden – Chaos Elemente vorhanden sind, implizite Dynamiken, die wir (dank unseres Selbstabschaltungsvirus?) bislang noch nicht entdeckt haben. Leider ist das, was viele offizielle Religionen als Lösungsmuster propagieren, offensichtlich nicht das, was uns hilft. Die meisten institutionalisierten Religionen erscheinen selbst als Teil des Problems.
  9. Man darf gespannt sein. Ich bin es. Höchstwahrscheinlich werde ich in meinem Leben nicht mehr erleben können, ob und wie die Menschheit ihre eigene Selbstabschaltung in den Griff bekommt.

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PARISATTENTAT – PANZERPOLITIKER – KULTURREVOLUTION. Impressionen von einem nicht ganz gewöhnlichen Sonntag

  1. Die folgenden Notizen sind das Echo auf einen nicht ganz normalen Sonntag mit intensiven Gesprächen mit FreundenInnen, mit Fernsehberichten, Abhängen und dem Abschluss einer Buchlektüre.

PARISATTENTATE

  1. Am Freitag den 13.November 2015 hat eine Gruppe junger Männer mit ihren Gewaltaktionen eine Blutspur erzeugt, die Angst, Entsetzen, und Horror unter den Menschen verbreitet hat.
  2. Wie sich jetzt herausschält, sind mindestens vier davon Franzosen. Einer ist noch flüchtig, und der Rest noch unbestimmt. Von einem wurde ein Pass gefunden, der ihn angeblich als Flüchtling ausweist. Experten deuten aber an, dass es sich hier um eine bewusste Fälschung handeln könnte, um Gastländer und Flüchtlinge zu entzweien.

HINTERGRÜNDE

  1. Von den identifizierten Tätern weiß man, dass sie allesamt Franzosen sind mit Aufenthalten in einem seit langem bekannten sozialen Spannungsgebiet in der Region Brüssel, Moolenbeek. Moolenbeek gilt seit vielen Jahren als Sammelbecken für radikale Islamisten; die Polizei hat hier seit langem kapituliert, weil die Politik Nichtstun verordnet hat.
  2. Ebenso wie in Frankreich, wo es viele soziale Brennpunkte mit vielen tausend jungen Leuten aus Flüchtlingsbewegungen gibt, die kaum Schulbildung haben, keine Arbeit, gesellschaftlich abgehängt sind, so ist auch Moolenbeek z.T. bevölkert von Menschen – so scheint es –, die nicht wirklich integriert sind, und die ihre Identität aus ihrer Spielart von Islam ziehen, der ein starkes Hassmoment gegen die westliche Kultur enthält (das Konzept der freien westlichen Gesellschaften wird von vielen radikalen Islamisten interpretiert als direkter Widerspruch zu ihrem Verständnis des Islam).
  3. Diese Probleme sind seit vielen Jahren sehr gut bekannt. Funktionierende Lösungen hat bislang niemand erfunden. In Teilen der Bevölkerung gibt es (rechtsnationale) Strömungen, die aus dieser sozialen und kulturellen Disfunktionalität Kapital für Ressentiments zu schlagen versuchen. Dies funktioniert umso besser, als es vielen anderen Franzosen aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation auch nicht gut geht. Die aktuelle Regierung kann bislang wenig (oder gar keine?) Erfolge vorweisen. Der Wahlkampf ist schon im Gange. wetterwendisch, wie viele Politiker leider sind, versuchen Sie sich jetzt auch einen rechtsradikalen-nationalen Touch zu geben, um sich diese irrationale Stimmung zu nutze zu machen (wobei die Regierung mit verantwortlich ist sowohl für das Nichtstun im sozialen Bereich wie auch für die schlechte wirtschaftliche Situation; man kann es auch Unfähigkeit nennen).
  4. Jetzt passiert ein Attentat, das unmenschlich und grausam unverstellt Hass sichtbar werde lässt, Hass einer jungen Generation, die in einem Land lebt, das nicht ihr eigenes geworden ist. Hass, der sich Anleihen genommen hat bei einer radikal-islamischen Bewegung genannt ‚Islamischer Staat‘, der aus den Trümmern des verunglückten US-amerikanischen Irakkriegs hervorgegangen ist. Diese Bewegung stellt – verglichen mit der überwältigenden islamischen Kultur von 700 – 1400 – nur ein Zerrbild des Islams dar, eine rudimentäre Form, die alle tötet, vergewaltigt, foltert, die nicht IS sind, auch solche, die Muslime sind, die sich ihnen aber nicht unterwerfen wollen.

RADIKALISIERTER ISLAM

  1. Ein wichtiges Motivationselement des IS ist der Hass auf alles andere, natürlich und besonders auch auf alles Westliche. Das Konzept einer aus Aufklärung, Wissenschaft, Menschenrechte, Demokratie hervor gegangenen westlichen Gesellschaft ist für IS-Mitglieder reines Gift, da es ihre eigenen Werte im Kern ablehnt und verurteilt. Der Islam als solcher ist – betrachtet man seine Blütezeit – nicht notwendigerweise ein Gegensatz zur westlichen Moderne (viele Kernelemente der westlichen Moderne gibt es nur, weil die islamische Kultur sie gegen die Barbarei der westlichen Papstkirche über Jahrhunderte gerettet hatte!), aber der Islam in der Spielart von IS hat alles aus sich selbst ausgeschieden, was auch nur den leisesten Ansatz zu einer Menschen- und Weltoffenheit liefern könnte.
  2. Der IS steht damit nicht alleine. Radikale Formen des Islam gab es schon immer, und sie finden sich in allen großen islamischen Strömungen (wie übrigens auch analog innerhalb des Hinduismus, des Judentums, des Christentums und des Buddhismus!) wie den Schiiten (Anhänger der Schia) und den Sunniten, insbesondere in Gestalt des Wahabisus. Gegenüber der goldenen Zeit des Islam stellen sie alle Vereinfachungen dar, sind im Kern wissenschaftsfeindlich, sind Radikalisierungen, sind ausgrenzend, abgrenzend, bei gleichzeitigem Totalanspruch an ihre Mitglieder.

INTEGRATION – JA, ABER

  1. Wenn jetzt zehntausende von jungen Menschen in einem Land wie Frankreich sozial nicht integriert werden und sie zugleich in geistiger Verbindung zu solchen radikal-islamischen Weltanschauungen stehen, deren simples Weltmodell sowohl direkt ‚Bruderschaft‘ verheißt wie auch eine einfache Logik für ihren Hass liefert, dann folgt daraus zwar nicht automatisch ein menschenverachtender Terror, aber die Tendenz dahin wird doch massiv unterstützt. Die Tatsache, dass allein aus Frankreich viele tausend junge Franzosen sich freiwillig dem IS angeschlossen haben, dort sogar als Selbstmordattentäter bekannt geworden sind, zeigt, dass das Konzept funktioniert. Das französische Lebensmodell hat sie nicht überzeugt. Hat die Politik versagt oder hat jeder Staat heute seine obligatorische Verliererquote, die im Fall von Frankreich (und Belgien, und England, und Spanien, und Deutschland, und …) nur so tragisch endet, weil ein IS die Verlierer psychisch zu Terroristen umprogrammieren kann?
  2. Die martialischen Worte des Staatspräsidenten als Reaktion auf die Attentate, die Ausrufung des Notstands, das Paktieren mit allen Rechten, die Ausrufung des Krieges gegen den IS (der ja schon längst stattfindet), dies alles wirkt nicht nur hilflos und kopflos, sondern erscheint sogar gefährlich. Das tatsächliche Problem IN Frankreich, die Existenz einer verunglückten Generation, der starke Einfluss einer spezifischen Weltanschauung, wird weder durch diese Worte noch durch diese Taten auch nur ansatzweise adressiert. Es erscheint eher als ein kopfloses, sinnloses um sich Schlagen mit Luftraketen, die die Verursacher nur jubeln lassen kann: der dumme Westen, er lässt sich ärgern, er zeigt Emotionen, er schränkt genau die Freiheiten ein, die dem IS ein Dorn im Auge sind; und die Flüchtlinge, die vor genau dem IS-Terror fliehen, werden jetzt auch noch verdächtigt (Söder, diese politische Lichtgestalt, hat vornweg – als noch gar nichts wirklich klar war – sofort erklärt, jetzt müsse man den Flüchtlingsstrom wegen potentieller Bedrohung, erst recht stoppen). Bomben auf den IS schüren die Emotionen unter der verlorenen Generation IN Frankreich weiter; noch mehr werden sich dem IS anschließen, noch mehr werden Attentate in Frankreich ausüben, und in der kopflosen politischen Reaktionen wird die freie Gesellschaft in Frankreich weiter gedrosselt, werden die rechten Ressentiments geschürt, die im Endeffekt einem IS näher sind als einer modernen Demokratie. Gut gemacht Hollande!

INTEGRATION MODELL DE

  1. Als in Deutschland die Flüchtlingszahlen sprunghaft anstiegen und die Kanzlerin spontan ausrief: Das schaffen wir, blitzte für einen Moment ein großes Deutsches Herz auf, alle waren begeistert, weil die Mehrheit der Deutschen tatsächlich so ist. Man ist sich bewusst, dass wir als Deutschland nicht isoliert leben, sondern vielfältig verflochten sind: wirtschaftlich, ethnisch, kulturell, wissenschaftlich. Für sich alleine könnte Deutschland überhaupt nicht mehr existieren (wozu auch, welchen Sinn sollte dies machen?). Aber schon in kurzer Zeit wurde dann klar, dass der Zustrom ein Ausmaß annahm, das real immer weniger zu bewältigen war, jedenfalls nicht ohne erhebliche Belastungen und Einschränkungen der eigenen Bevölkerung. Dazu kam, dass die Deutsche Regierung in den Jahren zuvor die Hilferufe der Italiener und Griechen geflissentlich überhört hatte, dass Europa die vielen Millionen Flüchtlinge an den Grenzen Syriens nicht (!) unterstützt hatte (die waren ja weit weg), dass die EU seit Jahren mit ihrer Wirtschaftspolitik in vielen Ländern Afrikas die einheimische Industrie und Landwirtschaft derart zerstört hat, dass ganze Landstriche verarmt sind, und ihr Heil nur noch in einer Flucht nach Europa sahen, und schließlich, dass Merkel mit ihrem spontanen Ausruf nicht nur geltendes EU-Recht schlicht außer Kraft gesetzt hat ohne die anderen zu fragen, ob sie mitmachen. Natürlich erscheint die Reaktion vieler östlicher EU-Staaten dann ‚primitiv‘, die Flüchtlingsfrage dann einfach an Merkel und Deutschland zurück zu spielen (denn die Flüchtlingsfrage als solche ist ja unabhängig von Deutschland), aber es zeigt einen eher erschreckend unfähigen Politikstil in Europa.
  2. War das Bild von der europäischen Wertegemeinschaft schon die letzten Jahre durch die diversen Finanzkrisen, speziell auch im Fall Griechenlands, als eigentlich nicht vorhanden demaskiert worden, zeigt die Uneinigkeit im Umfeld der Flüchtlingsproblematik tiefe Diskrepanzen auf. Wo sind die gemeinsamen Werte? Worin bestehen sie? Warum lohnt es sich, Europäer zu sein?
  3. Von deutschen Kindergärten wird berichtet, dass die Zahlen an Kindern aus anderen Kulturen stark angestiegen sind, oft die Mehrheit bilden, und dass es die Eltern dieser Kinder sind, die Abgrenzung und Unfrieden in die Kinder hineintragen: mit dem darfst Du auf keinen Fall spielen; das sind ganz Schlimme; das darfst Du auf keinen Fall essen….. Die Erzieherinnen fühlen sich überfordert; die neuen Eltern sprechen meist nicht genügend Deutsch; bis zu fünf verschiedene Mahlzeiten müssen gekocht werden, um der Vielfalt gerecht zu werden …. Von immer mehr jungen Erzieherinnen hört man, dass sie sich angesichts dieser schwer zu handhabenden Alltagsrealität von der Politik allein gelassen fühlen und sich rechtem Gedankengut zuwenden (wenn man erlebt, wie die Bundesvorsitzende der Grünen, Simone Peter in einer Talkshow auf die konkreten Erfahrungen eines Bürgermeisters letztlich immer nur Durchhalteparolen anzubieten hatte ohne wirklich konkreten Bezug, dann kann man zumindest nachvollziehen, warum überlastete Erzieherinnen kein wirkliches Zutrauen zu dieser Art von Parolen-Politik finden können).
  4. Ähnliches berichtete der Schulleiter einer großen Gesamtschule, die für ihre hervorragende, auch soziale, Arbeit bekannt ist. Mittlerweile muss die Schulordnung neben Deutsch auch in Englisch und Arabisch vorliegen, weil die Eltern sie sonst nicht verstehen. Auch hier ist analog zu beobachten, wie es die Eltern der Kinder sind, die Animositäten, Feindschaften zwischen unterschiedlichen Volksgruppen über ihre Kinder in die Schule hineintragen. Nicht in Gegenwart von Lehrern, aber in der übrigen Zeit. Alle konstatieren eine deutliche Verschlechterung des Schulklimas. Mögliche Sanktionen gegen solche Einflüsse stehen der Schule nicht zur Verfügung; notwendige Kommunikation kann mangels Fachkräften und Sprachkenntnissen offensichtlich nicht genügend stattfinden.
  5. Dies führt zum Faktor Zeit: aus der Psychologie und aus der Geschichte wissen wir, dass Assimilationsprozesse (ein anderes Wort für Integrationsprozesse) Zeit brauchen, sehr viel Zeit. Und auch viel Zeit garantiert gar nichts (man betrachte nur das Problem des Rassismus in den USA und Brasilien; offiziell gibt es dies nicht, faktisch, im Alltag, aber auf Schritt und Tritt; oder man betrachte das Thema Mann – Frau; bis heute nur in wenigen Ländern dieser Welt ansatzweise gelöst; oder das Problem der verschiedenen Religionen, die ja immerhin schon über 1300 Jahre koexistieren, usw.) In der Theorie geht alles, im Wunschdenken retten wir die Welt, im konkreten Alltag mit realen Menschen und deren realen Weltbildern im Kopf geht erst einmal nur soviel, wie die realen Menschen sowieso können und wollen. Wer hier über die Köpfe anderer hinweg Formen des Zusammenlebens voraus nimmt, die es so – zumindest nicht ganz schnell – nicht geben kann, der überfordert Menschen, spielt mit dem Leben von Menschen, setzt den sozialen Frieden aufs Spiel.
  6. Damit kommen wir zum möglicherweise entscheidenden Knackpunkt unserer Gegenwart.

KOOPERATION, KOMMUNIKATION, KOMPLEXITÄT

  1. Wir haben gesehen, welch großartige Leistungen wir Menschen seit den letzten 10.000 Jahren zuwege gebracht haben: vom Jäger und Sammlerdasein zu Handwerk, Landwirtschaft, Städtebau, Rechtswesen, Sprachen, Philosophie, Mathematik, Religionen, Literatur, Theater, Musik, Architektur, Infrastrukturen, Bibliotheken, Schulen, Krankenhäusern, Technik, … immer komplexeren sozialen Formen sind entstanden. Zugleich allerdings auch immer viele Kriege, immer größere Schlachten, bis hin zu Weltkriegen von unvorstellbaren Ausmaßen.
  2. ALLE diese Leistungen sind kopfgesteuert, hängen davon ab, dass Menschen in der Lage sind, Dinge zu abstrahieren, zu erinnern, in Regeln zu fassen, nach Regeln zu handeln, mit Sprachen zu kommunizieren,Wissen aufzuschreiben und zu speichern. Wäre es möglich, all das erarbeitete Wissen der Menschheit auf einen Schlag auszulöschen, würden alle Menschen mehr oder weniger nackt wieder da stehen und wären nicht in der Lage, sich zu ernähren und miteinander in komplexen Stadtgesellschaften zu leben. In kürzester Zeit würde die gesamte menschliche Population zusammenbrechen durch Gewalt, Hunger, Krankheiten.
  3. Das, was die Menschheit zu dem macht, was sie heute ist, ist ein komplexes Netzwerk von Erfahrungen, von Wissen, von Technologien, die auf Wissen beruhen. Oder am Beispiel von Religionen: wenn sie einige überzeugte Hinduisten, Buddhisten, Juden, Christen, Muslime nebeneinander stellen, dann sind dies alles Menschen mit der gleichen biologischen Herkunft und Ausstattung. Das einzige, was sie unterscheiden kann, das ist die Art und Weise, wie sie die Welt anschauen. Die Grundstrukturen, wie Menschen die Welt wahrnehmen und verarbeiten, sind allen Menschen angeboren. Innerhalb dieser Grundstrukturen gibt es aber viele Variationsmöglichkeiten. Diese werden von den einzelnen Menschen ausgestaltet; nicht isoliert, sondern als Teil einer sozialen Gemeinschaft, d.h. der normale Mensch übernimmt erst mal, was seine Umgebung ihm vorlebt. Würden alle Menschen als Hinduisten aufwachsen, wären sie erst einmal im Denken ‚gleichgeschaltet‘, ebenso als Juden oder Christen oder Muslime. Würde ein so aufgewachsener Muslim auf einen Hinduisten treffen, hätten sie ein grundlegendes Problem, desgleichen ein Jude mit einem Christ, ein Buddhist mit einem Hinduisten, usw. Aus der Geschichte kennen wir genügend Beispiele, wie solche Situationen zu Verteuflungen, Verfolgungen, Unterdrückungen Mord und Totschlag geführt haben. Gleichzeitig zeigt die Geschichte, dass es aber Menschen gab, die ihre eigene Überzeugung kritisch hinterfragen konnten, die sich der Relativität ihrer aktuellen Position bewusst wurden, und die dann über die eigene Anschauung hinaus mit Menschen anderer Anschauung sprechen konnten, gesprochen haben, und voneinander sehr viel gelernt haben. Alle großen Kulturen Europas waren von dieser Art: Toleranz gegenüber speziellen Weltsichten innerhalb eines größeren sozialen Gebildes (das römische Reich, das islamische Reich, die EU) war immer ein Erkennungszeichen für blühende Staatswesen.
  4. Dies ist heute nicht anders: alle ca. 7 Milliarden Menschen sind grundsätzlich gleich, gleich fähig. Dass sie als Kinder unterschiedliche Sprachen lernen, in unterschiedlichen kulturellen Regelsystemen aufwachsen, ist eher Zufall. Zugleich zeigt diese Vielfalt, wie anpassungsfähig und flexibel Menschen sein können, aber nicht beliebig. Menschen brauchen viele Jahre bis sie die jeweilige Kultur vollständig gelernt haben. Umlernen in eine andere Kultur geht grundsätzlich, aber nur mit viel Anstrengung und ebenfalls vielen Jahren Dauer. Außerdem gibt es Kulturen, die von sich her eher aufgeschlossen sind und Lernen erleichtern im Gegensatz zu Kulturen, die abgeschlossen wirken, statisch, wenig lernförderlich. Nicht wenige sehen daher heute eine Art Weltkrise, da die anwachsende Zahl der Menschen mit ihrer Vielfalt für viele bedrohlich wirkt. Immer wieder fallen ganze Gruppen dann zurück in eine Art Regression zum scheinbar Einfachen, Natürlichen, Reinen, …

HOLOBIONTEN

  1. An dieser Stelle kann es vielleicht helfen, sich bewusst zu machen, dass die Natur, und innerhalb der Natur ganz besonders der homo sapiens, also wir, eine ganz andere Geschichte erzählen!
  2. Wie die Biologie seit etwa 15 Jahren gelernt hat, gibt es nicht nur generell die Idee der Evolution von einfachen Zellen zu immer komplexeren Zellverbänden über die Gene mitsamt einer Epigenetik, sondern schon von Anfang an seit 4 Milliarden Jahren gibt es eine immer komplexer werdende Kooperation von jeder Zelle mit jeder Zelle, was zum Begriff des Holobionten führt.
  3. Wie ich in einem vorausgehenden Blogeintrag beschrieben habe, bildet jeder einzelne Mensch eine Lebensform, die in der Kooperation von ca.37 Billionen (= 10^12) einzelnen Körperzellen besteht, dazu IN unserem Körper nochmals ca. 100 Milliarden (=10^9) Bakterien, und auf unserer Haut ca. 220 Milliarden Bakterien. Die Viren sind dabei noch nicht berücksichtigt. Das ist die unvorstellbare Zahl von 814*10^43 einzelnen Elementen, die alle einerseits selbständig agieren, andererseits kooperieren. Jede einzelne Pflanze, jedes Insekt, jeder Vogel, jedes andere Tier, alle Lebewesen sind so organisiert. Ohne die Bakterien und Viren würde jedes Lebewesen auf der Stelle sterben, weil die Bakterien komplexe chemische Prozesse beisteuern, ohne die der jeweilige Organismus nicht existieren könnte. Das Gleiche gilt für die Kooperation der Zellen im Körper untereinander. Dass also das Leben auf der Erde es aus dem Meer auf das Land geschafft hat, dass es überhaupt auch im Meer überlebt hat, ca 300 Millionen Jahre Vereisung der Erde, und vieles mehr, liegt nur daran, dass im Laufe von 4 Milliarden Jahren die einzelnen Zellen gelernt haben, immer mehr, immer vielfältiger, immer komplexer zu kooperieren. Kooperation und Kommunikation sind die Zauberworte de Lebens.
  4. Betrachtet man sich die aktuelle Weltsituation ist klar, dass eine weitere gemeinsame Zukunft nur über noch mehr Kooperation und Kommunikation gelingen kann. Alle Weltanschauungen, die von Aus- und Abgrenzung zu leben scheinen, von Wissensfeindlichkeit, erscheinen hier wie Bremsklötze des Lebens. Einen Automatismus zum Besseren gibt es aber wohl nicht.
  5. Klar dürfte nur sein, dass eine Panzerpolitik dort fehl am Platze ist, wo es um Anschauungen in den köpfen geht. Nicht mehr Panzer sind gefragt, sondern mehr Lehrer, mehr Diskussion, mehr Kommunikation, mehr Aufklärung, mehr Wissen um das, was das Leben im Innersten zusammenhält und ermöglicht. Der Text eines Faust ist wenig hilfreich, um die Zukunft zu gestalten. Eine Kulturrevolution tut Not! Eine Kulturrevolution des mehr Wissens und mehr wechselseitigen Verstehens. Denn auch ein Industrie 4.0 wird zerstören, wenn sie nicht gesellschaftlich integriert wird. Auch hier muss in den Köpfen mehr geschehen als nur ein Denken in betriebswirtschaftichen Effizienzen. Das wäre zu einfach.

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STUNDE DER ENTSCHEIDUNG – Ist irgendwie immer, aber manchmal mehr als sonst

PARIS IST ES NICHT

  1. Dass in dem Augenblick, in dem ich diese Zeilen schreibe, wenige Stunden zuvor wieder einmal Terroranschläge in Paris stattgefunden haben, die vielfach dem sogenannten Islamischen Staat zugerechnet werden (klare Informationen habe ich noch keine), ist eher Zufall. Dennoch gibt es möglicherweise einen Zusammenhang mit dem Thema dieses Blogeintrags. Der Leser möge sein eigenes Urteil bilden.

ENTSCHEIDUNGEN IM GROSSEN

  1. Die Formulierung Stunde der Entscheidung kann pathetisch klingen, je nachdem, wo und wie man solch eine Formulierung benutzt. Meist denkt man wohl an kriegerische Auseinandersetzungen, an Kriege zwischen Völker und Nationen, wenn es für alle Beteiligten um Sein oder Nichtsein ging. Das hatte dann schon etwas von Stunde der Entscheidung.

ENTSCHEIDUNGEN GANZ KLEIN

  1. Wenn man den Blick auf solch eine Sondersituation fokussiert, dann gerät man aber in Gefahr, den Blick für das Ganze zu verlieren. Das Ganze ist der Lebensprozess auf dieser Erde. Wir Menschen – das vergessen wir gerne – sind keine losgelösten Sonderwesen, die alleine auf diesem Planeten leben, die alleine über das Schicksal des Lebens auf diesem Planeten entscheiden. Nein. Nichts falscher als dieses. Wir Menschen, jeder einzelne Menschen, JEDER!, bilden eine Lebensform, die in der Kooperation von ca.37 Billionen (= 10^12) einzelnen Zellen besteht. 37 Billionen! (zum Vergleich, man schätzt, dass die Milchstraße, unsere Heimatgalaxie, ca. 100 Milliarden (= 10^9) Sonnen umfasst). Und das ist noch nicht alles. Man schätzt, dass IN unserem Körper nochmals ca. 100 Milliarden (=10^9) Bakterien leben, und auf unserer Haut ca. 220 Milliarden. Diese alle zusammen bilden eine Lebensgemeinschaft, die dafür sorgt, dass wir Körperfunktionen haben, das wir uns ernähren können, dass wir denken können, dass wir in dieser Welt voller Bakterien überhaupt existenzfähig sind. Ohne diese Bakterien würden wir innerhalb von Stunden zugrunde gehen, elendig, hilflos.

(Anmerkung: Alle Informationen zu den Mikroben habe ich dem Buch von Kegel entnommen (s.u.), das ich hier im Blog auch noch ausführlich besprechen werde).

  1. Jede einzelne dieser Zellen ist so komplex, dass ein modernes Lehrbuch über die Zelle 1342 engbedruckte Seiten umfasst, und man nach der Lektüre von diesen 1342 Seiten wissen kann, dass viele wichtige Fragen – vielleicht sogar die wichtigsten? – noch unbeantwortet sind. Klar ist aber, dass jede einzelne Zelle in jedem Moment der Ort von Entscheidungen ist, von vielen Entscheidungen gleichzeitig, die alle darüber entscheiden, wird das Leben in den nächsten Minuten noch stattfinden oder nicht. Also, in jeder Sekunde, nein, in jeder Millisekunde, haben wir 37*10^12 * 100*10^19 * 220*10^9 Zellen und Bakterienorte, in denen jeweils mehr als eine Entscheidung gefällt wird, was als nächstes geschehen wird. Dort, wo diese Entscheidungen geschehen, sind sie unabhängig voneinander, aber in ihrem Effekt zeigen sie, dass sie auf wunderbare Weise aufeinander abgestimmt sind! Wenn wir sagen, dass wir gesund und leistungsfähig sind, dann sind alle diese 37*100* 220* 10^12 * 10^19 *10^9 = 814*10^43 Entscheidungsbereiche so aufeinander abgestimmt, dass wir subjektiv das Gefühl haben, alles ist OK, alles ist perfekt, alles ist gut.
  2. Zum Vergleich, ein Weltkonzern wie Siemens hatte im März 2015 ca. 342.000 Mitarbeiter, also 342 * 10^3 menschliche Entscheidungsbereiche. Wenn man sieht, wie schwer sich solch ein Weltkonzern mit einer Komplexität von 10^3 Entscheidungsbereichen tut, alles miteinander gut laufen zulassen, welcher Aufwand getrieben wird, wie viel Misskommunikation stattfindet, wie viele Pannen, dann kann man – aber nur sehr schwach und dunkel – erahnen, was es bedeutet, dass jeder einzelne Mensch eine Komplexität von 10^43 aufweist; ehrlicherweise entzieht sich dies unser Vorstellungskraft. Die Menge der Gegenstände, die wir mit unserem Gehirn bewusst gleichzeitig denken können, liegt in der Größenordnung von 4-9 Auch bei einem Nobelpreisträger!!!
  3. Laut dem statistischen Bundesamt waren von allen Arbeitnehmern in Deutschland 2014 offiziell 9,5 Tage krank gemeldet . Bezogen auf 365 Tage im Jahr sind dies 2.6% eines Jahres. Also, unser unvorstellbares Gebilde von 814*10^43 Mikroentscheidungsbereichen unseres Körpers hat eine – bezogen auf die Arbeitsfähigkeit – Ausfallrate von 2.6%. Wenn wir bedenken, dass wir bis heute nicht in er Lage sind, auch nur eine einzige Zelle selbst komplett herzustellen (wir benutzen dafür das Knowhow der Zellen, die sich selbst reproduzieren können), geschweige denn verstehen, wie man solch komplexe Gebilde mit einer Komplexität von 814*10^43 herstellen würde (obwohl jede Zeugung eines Menschen mit Geburt und anschließendem Wachstum den Eindruck erweckt, wir sind zumindest am Geschehen beteiligt), dann erleben wir in jedem Augenblick ein Ereignis-Wunderwerk, das sich unserem wissenschaftlichen Verstehen bislang weitestgehend entzieht. Immerhin gewinnen wir immer mehr erste Einblicke, durch die wir überhaupt merken (wer merkt es wirklich?), mit welch ungeheuerlichen Sache wir es hier zu tun haben.

PLANET DER MIKROBEN

  1. Würde man jetzt anfangen zu rechnen, wie viele Zellen und Bakterien es auf der Erde gibt, mit dem Wissen, das Bakterien sich sowohl viele Kilometer tief im Boden, im Meer, unterm Meer, in der Luft über uns vorfinden (mit vielen Milliarden pro Gramm Boden), dann kann man irgendwie erahnen, dass es eine ungeheuer große Zahl sein muss. Und es gibt keine Lebensform auf der Erde, weder bei den pflanzlichen noch den tierischen, die zu ihren elementaren Funktionen nicht Bakterien benötigt, und zwar immer sehr, sehr viele. Die Erde ist in erster Linie ein Planet der Bakterien, genauer der Mikroben, da man in der heutigen Wissenschaft neben den Bakterien noch die  Archaea kennt.
  2. Alle komplexeren Lebensformen, jene, die wir mit unseren Sinnesorganen direkt wahrnehmen können, sind letztlich Konstruktionen unter Verwendung der einfachen Strukturen (Eukaryoten, Bakterien, Archaea). Selbst das Gehirn, beim Menschen der Sitz von Wahrnehmung, Gedächtnis, Denken, Sprechen, Bildverstehen, Emotionen, Gefühlen usw. ist nah besehen nichts anderes als eine Ansammlung von ca. 100 Milliarden Gehirnzellen (plus vieler weiterer Hilfszellen), die jede für sich ist. Die einzeln Zelle weiß in gewisser Weise nichts von all den anderen. Und doch kooperieren diese Zellen im Millisekundenbereich miteinander auf eine Weise, die uns, die wir solch ein Gehirn haben, den Eindruck erwecken, als ob wir Objekte im Raum sehen mit Formen, Farben, verschiedenen Positionen, wir hören Laute, wir betasten Gegenstände, wir haben gerade mal keinen Hunger aber vielleicht Durst, … das Gehirn bietet uns einen Raum des Bewusstseins, angefüllt mit Phänomenen. Und dies leisten diese 100 Milliarden einzelne Zellen, die nichts voneinander wissen. Die Neurowissenschaften, die bislang viele wunderbare Eigenschaften über das Gehirn herausgefunden haben, können bislang aber nicht wirklich erklären, woher und wie diese 100 Milliarden Zellen + X weitere Zellen es wissen, was zu tun ist.

WIE IST DAS MÖGLICH?

  1. Wie gesagt, das was wir sind, jeder einzelne von uns, ist so ungeheuerlich, so unfassbar, dass man sich – aktuell, momentan – kaum vorzustellen vermag, wie es möglich ist, dass es uns (und all die anderen unfassbaren Lebensformen) tatsächlich gibt, so gibt, wie wir uns vorfinden.
  2. Wunderbarerweise hat die Wissenschaft seit ca. der Mitte des 19.Jh immer mehr einzelne Fakten entdeckt, gesammelt, in Beziehung gesetzt, so dass wir heute davon ausgehen müssen, dass die Geschichte dieser Mikroben vor etwa 4 Milliarden Jahren begonnen zu haben scheint. Zu Beginn gab es noch keinen Sauerstoff, der heute so allgegenwärtig erscheint und ohne den die meisten Lebensformen nicht existieren könnten. Alle ersten Lebensformen kamen ohne Sauerstoff aus; es waren di Cyanobakterien, die als erste und einzige ein Verfahren zur Fotosynthese ‚erfunden‘ haben, das als Abfallprodukt Sauerstoff freisetzt. Dies begann vor ca. -3 Milliarden bis – 2.7 Milliarden Jahren, und setzte einen Prozess in Gang, der schrittweise, das Meer und die Atmosphäre nachhaltig veränderte. Die neuen Oxidationsprozesse erzeugten massive Treibhausgase, die u.a. zur Totalvereisung der Erde (Huronische Eiszeit) führten, die mehrere hundert Millionen Jahre gedauert hat.
  3. Vor ca. -1.45 bis -1.85 Milliarden kamen dann die eukaryontischen Zellen ins Spiel, die schon auf der Basis von Sauerstoff operierten. Zwischen -0.6 Milliarden und -0.85 Milliarden finden sich dann die ersten Vielzeller. Sehr trockene Fakten für ein kosmologisches Drama der Sonderklasse. Das biologische Leben als Ganzes hat die Qualität einer kosmologischen Singularität (unter anderem gilt: es funktioniert als Entropiekonverter, für den es keine bekannten physikalischen Gesetze gibt; für deren Auftreten es keinen bekannten Grund gibt; der Vorgang besitzt eine implizite anwachsende Komplexität; er ist irreversibel).

DNA ALS INFORMATION

  1. Sind alle diese Fakten schon atemberaubend, so erleben wir in unserer Gegenwart, seit ca. 50-60 Jahren einen Prozess, der das Zeug dazu hat, zu einem weiteren Meilenstein der Evolution beitragen zu können.
  2. Bislang in den vier Milliarde Jahren Leben auf dem Planet Erde hat das Leben sich dadurch behauptet und weiter entwickelt, dass es in der Lage war, Moleküle (DNA) dazu zu benutzen, um Bauprozesse und Ablaufprozesse in Form von chemischen Verbindungen zu kodieren und wieder zu dekodieren. Diese revolutionäre Erfindung von Information im Vollsinn (zum Vergleich, der heute vielfach benutzte sogenannte Informationsbegriff von Shannon deckt nur einen Teilbereich von Information ab; Shannon selbst war sich dieses Sachverhalts voll bewusst!) war – im Nachhinein betrachtet – mit Abstand die wichtigste aller Innovationen, die das Leben auf diesem Planeten auszeichnet. Denn nur dadurch konnte Evolution überhaupt stattfinden. Was immer der Selbstreproduktionsmechanismus leistete, nur durch die Einbeziehung einer Informationsstruktur, die aktuelle ‚Anweisungen‘ speicherte, konnten sich die verschieden – weitgehend zufällig erzeugten Änderungen – in der Gesamtheit erfolgreicher Bauteine ‚erhalten‘ und damit sich zu den Bauplänen von Leben entwickeln, die wir heute vorfinden und partiell kennen.
  3. Eine Theorie der Welt, die nur die bekannten physikalischen Gesetze berücksichtigen würde, wäre angesichts der biologischen Phänomene, wesentlich unvollständig (wobei die heutige Physik ja auch in sich selbst unvollständig und widersprüchlich ist und bezogen auf bekannte empirische Phänomene wie ‚dunkler Materie‘ bzw. ‚dunkler Energie‘ nicht einmal die leiseste Idee hat, wie sie damit umgehen soll).

JENSEITS DER DNA

  1. Nimmt man die biologischen Phänomene ernst, nimmt man diesen Selbstreproduktionsmechanismus mit dem vollen Informationsmechanismus im Kern ernst, dann erleben wir mit dem Auftreten von Gehirnen generell und mit dem Auftreten spezieller Technologien seit dem letzten Jahrhundert etwas Besonderes.
  2. Mit dem Auftreten der Gehirne, speziell dem Gehirn des homo sapiens (dazu werden wir gezählt), kommt eine neue Qualität ins Spiel. Während die in der DNA kodierte Information im Prinzip ‚fest‘ ist (obgleich wir heute gelernt haben, dass es ’nicht ganz fest‘ ist, Stichwort Epigenetik), können Gehirne ad hoc lernen, speziell können sie von der Wirklichkeit abstrahieren und in Echtzeit Modelle/ Theorien über mögliche Strukturen und Zusammenhänge der Wirklichkeit bauen. Insbesondere können sie mittlerweile auch die Gehirne selbst bzw. die DNA aller Lebewesen untersuchen, modellieren, simulieren, verändern, und experimentell die Veränderungen ausprobieren. Die aktuellen Lebensformen (und hier wieder speziell und ausschließlich der homo sapiens) können also erstmalig nach vier Milliarden Jahren den bisherigen DNA-gesteuerten Evolutionsprozess erweitern zu einem DNA-Gehirn-Computer-gesteuerten Evolutionsprozess, der die Entwicklung begrenzt beschleunigen kann.

EVOLUTIONSSPRUNG?

  1. Dies ist klar ein strukturelles Ereignis im Evolutionsprozess, das markant ist. Neben der Erfindung der DNA als generischem Informationsträger (vor mehr als 4 Milliarden Jahren) und dem Gehirn als erweiterter adaptiver Meta-Informationsstruktur (seit etwa -0.6 Milliarden Jahren) findet diese Rückanwendung von Gehirnerkenntnissen auf die Trägerstrukturen erst jetzt langsam in der Gegenwart statt (vor ca. 0 Jahren). Wenn man will, kann man darin eine Form von Beschleunigung erkennen.
  2. Was sich jetzt aber anzudeuten beginnt, ist ein Problem, das bislang eher verdeckt war, nun aber nicht mehr weiter unter der Decke gehalten werden kann: die Frage nach dem Wohin!

WOHIN?

  1. Solange das biologische Leben nur mit der DNA als steuernder Information gearbeitet hat, gab es zwei Komponenten: (i) Der Mechanismus des Kopierens und (zufälligen) Variierens im Bereich der informatorischen Kombinationsmöglichkeiten und der physikalisch-chemischen Realisierung; (ii) das Referenzsystem Erde, das nur solche ‚Entwicklungen‘ hat überleben lassen, die zu den jeweils aktuellen Lebensbedingungen der Erde (die sich im Laufe der vier Milliarden Jahre z.T. dramatisch geändert hatten) gepasst haben. D.h. alles, was sich bis heute entwickeln konnte, basiert auf den Erfolgen der Vergangenheit unter den Bedingungen der konkreten Erde.
  2. Im Rahmen unseres neuen Erkennens und Verstehens kann man sich aber – zumindest symbolisch-theoretisch – von den gesetzten Bedingungen der Erde frei machen, und die generelle Frage stellen, was das Ganze überhaupt soll? Geht es nur um Optimierung von Energiegewinnung und -nutzung? Geht es nur um immer bessere Kooperation und Koordinierung und damit um immer mehr Komplexität? Geht es nur um ein Leben auf der Erde (bis zur Ausdehnung der Sonne und dem Anstieg der Temperaturen haben wir ca. 1 Milliarde Jahre noch Zeit) oder auch um weitere Räume? Kann es nicht sogar noch ganz andere Lebensformen geben, auch für uns homo sapiens, für alle Zellen?
  3. Viele neue interessante radikale Fragen, die sich jetzt mit neuer Realität, mit neuer Wucht stellen. Fragen, die uns alle betreffen.

WER KANN ANTWORTEN?

  1. Schaut man sich dann Tagesereignisse an, dann erleben wir hier eine bizarre Ungleichzeitigkeit: auf der einen Seite steuert die Evolution durch die Erfolge des homo sapiens real auf einen neuen qualitativen Evolutionssprung zu, auf der anderen Seite erleben wir, wie in vielen Ländern dieser Welt ein Denken neue Macht gewinnt, das weder von der modernen Wissenschaft noch von den kulturellen Entwicklungen der letzten 10.000 Jahren Kenntnis zu haben scheint.
  2. Wenn Mitglieder des IS von sich behaupten, dass sie Muslime sind, dann muss man ernsthaft fragen, was sie überhaupt vom Islam wissen? Mag sein, dass sie Verse aus dem Koran zitieren können (das können heute schon die meisten Roboter), aber daraus folgt nicht, dass sie irgendetwas von dem Islam verstanden haben. Nicht nur hatte der Koran selbst, was man wissen kann, eine eigene dynamische Entstehungsgeschichte, in die unterschiedliche Überlieferungen und Interpretationen mit eingeflossen sind, sondern die Geschichte des Islams ist bunt, reich, vielschichtig und hatte Gesamteuropa in der Zeit 700 – 1400 eine Blütezeit geschenkt, die mit zu dem Größten zählt, was die europäische Kultur damals hervorgebracht hatte. Nicht nur lebte der Islam damals mit allen Religionen friedlich zusammen, sondern der Islam war u.a. die treibende Kraft in den Wissenschaften, und zwar auf allen Gebieten. Die größten Philosophen, Theologen und Wissenschaftler jener Zeit waren Muslime, und es gab für einen Muslim keine größere Ehre, als das Wissen der ganzen Welt zu sammeln, Übersetzungen anfertigen zu lassen, Bibliotheken für alle einzurichten, Schulen für alle, Krankenhäuser, medizinische Forschung und vieles mehr. Zur gleichen Zeit boten die westlichen christlichen Ländern ein Bild des Jammerns, wissenschaftsfeindlich, kein Sinn für das Gemeinwohl, keine Schulen, keine Bibliotheken usw.
  3. So, wie es auch im Christentum zu allen Zeiten unterschiedliche Strömungen gab, und sich nicht unbedingt die durchgesetzt haben, die am meisten christlich waren, so gab und gibt es auch im Islam unterschiedliche Strömungen. Eine sehr starke Strömungen heute, der Wahabismus, nimmt für sich (wie es jede Sekte tut), in Anspruch den wahren Islam zu vertreten. Aber wenn man den Koran und die Geschichte des Islams ernst nimmt, gibt es wenig Grund, warum man diesen Anspruch ernst nehmen sollte, außer, dass Wahabiten alle umbringen, die ihren Anspruch nicht akzeptieren. Eine solche Einstellungen widerspricht allen elementaren Erkenntnissen über den Menschen, über die Welt und widerspricht – soweit ich sehe – den meisten großen islamischen Philosophen und Theologen.
  4. Bedenkt man aber, wie wenig Christen einer Papstkirche widersprechen, wie wenig Juden den orthodoxen Juden in Israel widersprechen, dann sollte es uns auch nicht wundern, dass so wenig Muslime sich gegen den Wahabismus erheben. Eine Religion hat nur drei Wahrheitsquellen: die direkte Begegnung mit Gott, die Liebe zum Leben und die Wissenschaft. Wer eines davon ausschließt (und die Wahabiten schließen – so wie sie sich darstellen – alle drei Quellen aus) kann schwerlich zu einer lebendigen Religion finden, die das Leben von innen heraus liebt und fördert.
  5. Zurück zur Wertefrage: Wohin überhaupt? Die Wissenschaft ist heute an den Punkt gekommen, wo sich mehr und mehr die Wertefrage radikal stellen muss. Die Wissenschaft als solche ist aber nicht auf Ethik und Philosophie oder noch weitergehende Fragen eingestellt. Sie macht ihren Job als Sachklärerin, das macht sie bislang leidlich gut, aber mehr ist nicht drin. Was aber nun? Wenn kann man fragen?
  6. Wir alle sind gefragt.

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QUELLEN

Bernhard Kegel, Die Herrscher der Welt. Wie Mikroben unseer Leben bestimmten, Köln: DuMont, 2015

EINLADUNG ZUR NÄCHSTEN philosophieWerkstatt v3.0 am So 8.Nov. 2015, 16:00h – WISSEN, WISSENSCHAFT und OFFENBARUNGSRELIGIONEN (Judentum, Christentum, Islam) – ANNÄHERUNG AN EIN TRAUMA

Logo philosophieWerkstatt v.30
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EINLADUNG ZUR NÄCHSTEN

philosophieWerkstatt v3.0

am

Sonntag, 8.Nov.2015

16:00 – 19:00h

in der
DENKBAR Frankfurt
Spohrstrasse 46a

Essen und Trinken wird angeboten von Michas Essen & Trinken. Parken ist im Umfeld schwierig; evtl. in der Rat-Beil-Strasse (entlang der Friedhofsmauer).

Anliegen der Philosophiewerkstatt ist es, ein philosophisches Gespräch zu ermöglichen, in dem die Fragen der TeilnehmerInnen versuchsweise zu Begriffsnetzen verknüpft werden, die in Beziehung gesetzt werden zum allgemeinen Denkraum der Philosophie, der Wissenschaften, der Kunst und Religion. Im Hintergrund stehen die Reflexionen aus dem Blog cognitiveagent.org, das Ringen um das neue Menschen- und Weltbild.

PROGRAMMVORSCHLAG

Nach der Sommerpause ist dies die erste Veranstaltung der philosophieWerkstatt, nunmehr in der dritten Auflage. Normalerweise gibt es einen Themenvorschlag aus der letzten Sitzung. Für diese erste Sitzung war das Thema offen. Angeregt durch vielerlei Faktoren werde ich diese Sitzung mit dem Thema einleiten:

WISSEN, WISSENSCHAFT und OFFENBARUNGSRELIGIONEN (Judentum, Christentum, Islam) – ANNÄHERUNG AN EIN TRAUMA

Letzter Anstoss zu diesem Thema war möglicherweise die Lektüre des Buches von Pohlmann zur Entstehung des Korans. Grundsätzlich sehe ich im Verhältnis von Wissen und moderner Wissenschaft gegenüber den großen drei Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum und Islam eine Art Trauma vorliegen: es gibt heute beides, die Wissenschaften und das Wissen einerseits sowie die großen Offenbarungsreligionen. Aber ihr Verhältnis ist gezeichnet von tiefen Verletzungen auf Seiten der modernen Wissenschaften und durch extreme Verdrängungen auf Seiten der Offenbarungsreligionen. Der Modus der Koexistenz in europäischen Gesellschaften erscheint eher gezwungen zu sein anstatt lebendig und einer natürlichen Einstellung entspringend. Ich kenne keinen einzigen Wissenschaftler, der das Thema Religion noch für wichtig hält. Ich kenne zugleich keinen einzigen engagierten Gläubigen (Juden, Cristen, Muslime), der ein wirklich offenes und positives Verhältnis zur modernen Wissenschaft hat. Psychologisch liegen hier tiefe Verletzungen und Verunsicherungen vor, die ein wirkliches Gespräch blockieren.

In der Philosophiewerkstatt am 8.November möchte ich mich diesem europäischen Trauma ein wenig annähern, wohl wissend, dass dieses Thema so groß und vielschichtig ist, dass wir zunächst keine zu großen Erwartungen haben sollten.

Als Programmablauf wird vorgeschlagen:

1. Begrüßung
2. Kurzeinführung durch Gerd Doeben-Henisch
3. Gemeinsame Reflexion zum Thema mit begleitender Erstellung eines gemeinsamen
Begriffsnetzwerkes.
4. ‚Blubberphase‘ – jeder kann mit jedem reden, um das zuvor gesagte ‚aktiv zu verdauen‘
5. Schlussdiskussion mit Zusammenfassung der Ergebnisse

Einen Überblick über alle Beiträge zur Philosophiewerkstatt nach Themen findet sich HIER

ERSTER RELIGIONSPOLITISCHER KONGRESS VON BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN – Sehr subjektive Betrachtungen eines Teilnehmers

KONTEXT DES BLOGS

1. Aufmerksame Leser dieses Blogs dürften bemerkt haben, dass das Thema Religion in diesem Blog seit wenigen Wochen eine neue Intensität gewonnen hat. Dies hat nichts – wie man im ersten Moment meinen könnte – mit den aktuellen Ereignissen in und um Paris zu tun, sondern damit, dass der ‚Denkweg‘ in diesem Blog nach Klärungen im Bereich ‚Philosophie und Wissenschaft‘, ‚Philosophie, Wissenschaft und Kunst‘ sowie immer wieder vereinzelt die Frage der Offenbarungsreligionen durch die Lektüre des Buches von Bergmeier Teil 1 und Teil 2 sowie meinen Reflexionen im Anschluß an die letzte philosophieWerkstatt v2.0 mit dem bisherigen Höhepunkt einer Verabschiedung der bisherigen Offenbarungsreligionen und Aufruf, jetzt, innerhalb der modernen Staatsformen jene Religiosität zu finden und zu kultivieren, die keine ‚Kirchen‘ mehr braucht, weil der Staat selbst den Rahmen liefert, in dem jeder einzeln und doch zusammen mit allen anderen eine authentische Religiosität leben kann.

2. Sensibilisiert durch all diese aktuellen Überlegungen wirkte auf mich die Nachricht von dem religionspolitischen Kongress der Grünen in Düsseldorf am 17.Januar 2015 sehr stimulierend und dank einer starken Neugierde habe ich mich dort kurzfristig angemeldet und bin hingefahren.

ZIEL DES KONGRESSES

3. Den verschiedenen Verlautbarungen und Statements im Umfeld des Kongresses entnahm ich, dass die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre es notwendig erscheinen lassen, das Verhältnis zwischen Staat, Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften neu zu überdenken und in entsprechende Gesetzesinitiativen einfließen zu lassen. Eingeladen hatte die Landtagsfraktion der GRÜNEN sowie die Kommission ‚Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat‘ des GRÜNEN Bundesvorstandes. Diese Kommission hatte mehrere Themenfelder identifiziert, die dann die Plenarsitzungen wie auch die verschiedenen Arbeitskreise thematisch bestimmten.

BEEINDRUCKENDE MENSCHEN

4. Geht man von der Besetzung des Plenarsaales aus, dann waren mehr als 200 TeilnehmerInnen zu diesem Kongress gekommen. Die Vielfalt der vertretenen Auffassungen gepaart mit einer Offenheit, Fairness und Herzlichkeit im Umgang miteinander war beeindruckend. Denkt man an die Bilder von parteiischen Menschengruppen, die sich gegenseitig verdächtigen, beschimpfen oder sogar bekämpfen, die von den Medien vorzugsweise in die deutschen Wohnzimmer transportiert werden, dann erschien das hier fast wie eine Botschaft aus einer anderen Welt: Evangelische und katholische Christen, Juden, verschiedene islamische Bekenntnisse, Aleviten, Buddhisten, Humanistischer Verband – um nur einige zu nennen – diskutierten miteinander friedlich; die meisten kannten sich von Jahren gemeinsamer Arbeit vor Ort. In den Gesprächen zwischendurch und in Diskussionen während der Arbeitssitzungen begegnete einem viel Erfahrung, viel Engagement und sehr viel Fachkompetenz. Das war ermutigend.

STARKE EIGEN-INTERESSEN

5. Allerdings zeigte sich auch sehr schnell, dass es natürlich auch um handfeste Interessen ging. Immerhin ging es um Überlegungen, die Auswirkungen auf konkrete Anerkennung als Religionsgemeinschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft mit all den damit verbundenen ‚Privilegien‘ (wie z.B. Steuervergünstigungen, Sonderrechte, Religionsunterricht, Arbeitsrecht, und Feiertage) zu diskutieren.

6. So trat der Humanistische Verband unter seinem Präsidenten Dr. Wolf (zusammen mit weiteren Mitgliedern) im Rahmen des Erlaubten ziemlich massiv auf, um den Weg zur Anerkennung des Humanistischen Verbandes als Weltanschauungsgemeinschaft weiter zu ebnen um auf Dauer mit den etablierten Kirchen gleich zu ziehen. Nicht weniger selbstbewusst vertrat Herr Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland die legitimen Interessen verschiedener muslimischer Verbände. Dem standen die Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche natürlich nicht nach; allerdings konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie natürlich aus einer historischen ‚Position der Stärke‘ heraus argumentierten und sich ‚offen‘ für mögliche Änderungen zeigten, ohne diese Offenheit aber weiter zu konkretisieren.

EUROPAS ERBE AUF DER HINTERBANK?

7. So positiv dies alles im ersten Moment erscheint (friedliches, freundliches Miteinander, …), so problematisch wird dies aber, sobald man es in einen historischen und systematischen Kontext einbettet.

8. Der Key-Note Vortrag (gemeint ist ‚Einführungsvortrag‘ … :-)) von Prof. Brumlik war kenntnisreich und anregend, konnte aber die jüdische Grundüberzeugung seines Autors nicht ganz verhehlen: so versuchte er eine religiöse Grundüberzeugung schon in die Gründungsformulierung der Grünen hinein zu interpretieren (‚ökologisch‘ als ‚Erhaltung der Schöpfung‘) und unterstellte allen Menschen eine Sehnsucht nach ‚Erlösung‘ (und das mit einem Adorno-Zitat…). Entsprechend fiel seine Analyse der wichtigsten Vertragsmodelle zwischen Staat und Kirche (USA, Frankfreich, Deutschland) besonders positiv für das deutsche ‚Kooperationsmodell‘ aus, in dem der Staat den religiösen Gemeinschaften eine Reihe von Sonderrechten (Privilegien!) einräumt und sich dafür das Recht vorbehält – hier vereinfachend –, bei dem Religionsunterricht und der Ausbildung der Lehrer und Theologen eine gewisse staatliche Aufsicht zu führen. Diese Form der Kooperation wirke sich – so Brumlik – ‚moderierend‘ aus gegen zu starke Fundamentalisierungen, wie man sie z.B. in den USA beobachten könne. Eine wirkliche historische Dimension lies der Vortrag allerdings vermissen und die speziellen historischen Entstehungsbedingungen der modernen Demokratien kamen nicht zur Sprache. Dies ist bedauerlich, da damit genau jene Momente verschwiegen wurden, die wichtig wären für eine Einschätzung des aktuellen Verhältnisses von Staat und Kirche.

9. Bettina Jarasch, die Leiterin der GRÜNEN Kommission ‚Weltanschauung, Religionsgemeinschaften und Staat‘ fand – nach Wahrnehmung dieses Autors – etwas klarere Worte als Prof.Brumlik, alle zum Punkt, leider war ihr Beitrag sehr kurz und sie nahm im weiteren Verlauf nicht aktiv an den Vorträgen und Diskussionen teil.

10. Die anwesenden starken religiösen und weltanschaulichen Interessengruppen sowie die ‚religionsgeschwängerten‘ generellen Überlegungen von Prof.Brumlik deuten an, dass die gegenwärtigen religiösen Verbände und Kirchen keinen wirklichen Blick für die Menschen und die Verfassungsinteressen jenseits ihrer religiösen Bekenntnisse haben. Dies erstaunt nicht, muss aber bedenklich stimmen angesichts der Tatsache, dass die ’statistische Mehrheit der Konfessionslosen‘, die ’normalen‘ Bürger, als solche nicht organisiert sind, da sie ja in einem modernen Staat leben, der ihnen eigentliche alle Rahmenbedingungen bietet für die es keine speziellen Kirchen mehr bräuchte. Und ein Interessenvertreter der evangelischen Kirche, Prof. Jähnichen hatte keine Probleme damit, im Panel 4 festzustellen, dass es in einer modernen Demokratie üblich sei, dass sich Interessengruppen öffentlich organisieren – was die Religionen tun –, und wenn die Nichtkonfessionellen dies nicht tun, dann sei das deren Problem.

11. Nun gab es auch die ‚Nichtkonfessionellen‘ im Publikum, und zwar nicht wenige, sehr Engagierte aus vielen Bereichen, die dem Geist eines demokratischen Staates wie der Bundesrepublik ’näher schienen‘ als die verschiedenen religiösen Interessenvertreter. Diese meldeten sich auch zu Wort (in meiner Zählung waren es insgesamt die meisten Diskussionsbeiträge), aber sie waren in den Leitungen der Panels deutlich unterrepräsentiert. Besonders beeindruckt hat mich die Gruppe der Säkularen GRÜNE aus NRW. Ihre Stellungnahme zum Positionspapier des Bundeskommission enthält alle wichtigen kritischen Punkte. Dass diese grundsätzliche Position, die im Einklang mit Geschichte, Menschenrechten und dem spezifischen Staatsinteresse steht, nach meiner Wahrnehmung im Programm und in den Dokumenten keinen erkennbar ‚offiziellen Status‘ bekommen hat, halte ich für bedenklich. Auf welcher geistigen und politischen Basis operiert hier die Bundeskommission?

12. Von den 6 Vertretern im Schlusspanel war nur einer (!), der explizit eine kritische Position gegenüber den religiösen Verbänden im Verhältnis zum Staat verdeutlichte, Joachim Frank, Chefkorrespondent der Mediengruppe M. DuMont (Schauberg, Köln, Frankfurt, Berlin), Deutschland. Aber wie schon zuvor, wenn Diskussionsteilnehmer kritische Positionen ins Gespräch einbrachten, wurden diese zwar gehört, aber von den Vertretern der religiösen und weltanschaulichen Interessengruppen letztlich ‚immunisiert‘, d.h. zur Kenntnis genommen aber nicht wirklich beantwortet. Für einen ernsthaften Dialog war allerdings auch die Zeit zu kurz. Immerhin konnte man einen guten Eindruck von der Vielfal bekommen und den – trotz aller Freundlichkeit – noch bestehenden Kommunikationsdefiziten.

WIE KANN ES WEITERGEHEN?

13. Wenn man bedenkt, dass Europa ca. 4000 Jahre gebraucht hat,neben der Erfindung von drei Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum und Islam), und neben der Erfindung des modernen Staatsgedankens (Griechen, Römer mit griechischer Kultur, arabisch-islamische Kultur 700 – 1400 teilweise, die Zivilgesellschaften in den westlichen europäischen Ländern in einem zähen Kampf gegen die römische Papstkirche und die vorherrschenden elitären Feudalstrukturen über ca. 1000 Jahre …), dann den ‚modernen‘ wissenschaftsgeleiteten, auf Menschenrechten und demokratischer Partiziption basierenden Staat – wenn auch z.T. unfreiwillig – zu realisieren, dann darf man nicht erwarten, dass die Eingliederung spezieller religiöser und weltanschaulicher Bekenntnisse in einen ‚gemeinsamen‘ Staat schnell und ‚leicht‘ geht. Wie schon in den zurückliegenden Jahrhunderten ist Mangel an Wissen das Haupthindernis für eine Verständigung. Will man keine Gewalt anwenden, bleibt nur die kontinuierliche ‚Aufklärung‘; diese allerdings braucht leistungsfähige Bildungsinstitutionen und eine funktionierende Öffentlichkeit. Letztere, obgleich für eine Demokratie ein unverzichtbarer Lebensnerv, gerät durch eine fortschreitende Ökonomisierung in immer mehr finanzielle Abhängigkeiten von partikulären Geschäftsinteressen, die von der eigenen politischen Geschichte eines umfassenden Europas immer weniger wissen und auch – so der Eindruck – scheinbar immer weniger wissen wollen. Solange jemand noch öffentlich sagt, dass das moderne Europa, der moderne deutsche Staat, auf dem Erbe des christlichen Abendlandes beruhe, solange kann man gewiss sein, dass dieser Jemand nicht versteht, was er sagt; das historische christliche Abendland war der größte Feind der modernen Gesellschaften. Diesen überwunden zu haben, ist eine der größten kulturellen Leistungen. Die aktuelle Diskussion um einen neuen religionspolitischen Staatsvertrag erweckt bislang nicht den Eindruck, dass die aktuelle Politik sich der historischen Dimension bewusst ist.

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

HYSTERIE: NEIN, SOLIDARITÄT: JA – DAHINTER WARTET DIE WAHRHEIT

Zur Einstimmung: European Sound – There was a Time with more than three Colours of Souls Radically Unplugged Music vom 16.Januar 2015

HYSTERIE UND SOLIDARITÄT DIESER TAGE

Die Anschläge auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo am Mi, den 7.Januar 2015 hat eine Solidaritätsreaktion in Frankreich und weltweit ausgelöst, wie sie Frankreich selbst so noch nie erlebt hatte. Zugleich gab es vermehrt Angriffe auf muslimische und jüdische Einrichtungen, die zu großen Verunsicherungen und realen Ängsten bei jenen Franzosen geführt haben, die damit eigentlich gar nichts zu tun haben.

NICHT WIRKLICH NEU

Das Attentat von Charlie Hebdo am 7.Januar 2015 steht nicht alleine. Mindestens seit dem 11.Sept.2001 in New York gab und gibt es terroristische Anschläge in vielen Ländern, die Entsetzen, Unverständnis und – in extremer Form – Hass hervorgerufen haben, die politischen Reaktionen veranlassten, immer mehr Kontrolle, Verstärkung von Ängsten, und auch eine deutliche Verstärkung von Feindbildern.

ALLGEMEINE VERUNSICHERUNG

Solche Attentate finden in einer Zeit statt, in der sich viele Ländern, speziell auch die westlichen, in einer spürbaren allgemeinen Verunsicherung befinden, nicht wegen den Terroristen, sondern allein schon wegen ihrer eigenen Prozesse, die immer komplexer geworden sind, immer unübersichtlicher; wo die Wissensexplosion die Wissenschaften in ihrem Kern bedroht; wo die bekannten politischen Prozesse täglich erfahrbar den Eindruck erwecken, als ob sie die Nöte, Bedürfnisse und Erwartungen der Wähler nicht mehr erkannt und tatsächlich berücksichtigt werden. Wo Lobbyisten anscheinend die Kontrolle über viele Politiker bekommen haben. Wo komplizierte gesellschaftliche Probleme tendenziell eher ‚ausgesessen‘ anstatt konstruktiv gelöst werden. Wo die meisten Medien kurzfristig – und kurzsichtig? — sich dem Geschäft der tagesnahen ‚Belustigung des Publikums‘ verschrieben zu haben scheinen, 24 Stunden täglich eine Art ‚Gehirnwäsche mit Müllinhalten‘, die wenig geeignet sind, einen klaren Blick auf die laufenden gesellschaftlichen Prozesse zu unterstützen.

VEREINFACHUNG ALS VERSUCHUNG

Vor diesem Hintergrund und in dieser Situation ist es nachvollziehbar, das nicht wenige Menschen das tun, was jedem Menschen als Verhaltensreaktion quasi angeboren ist: zu vereinfachen. Es gehört zur Überlebensstrategie des Menschen, dass sein Gehirn versucht, die vielfältigen eindrücke zu ‚ordnen‘, dadurch zu ‚vereinfachen‘, und damit die Welt lebbare zu machen. Wie weit die ‚Verarbeitungstiefe‘ solcher Vereinfachungen reichen, ist zeitabhängig (wie lange kann man sich mit einem Problem beschäftigen) und wissensabhängig (wie viel weiß man schon, um neue Ereignisse einsortieren zu können). So gesehen gab es schon immer Vereinfachungstendenzen. Davon lebt jede Propaganda, die Werbeindustrie, der Unterhaltungsindustrie, und die Fundamentalisten in jeder bekannten Religion sind auch nicht neu. In der radikalen Version eines Fundamentalisten hat sich die Vereinfachung aber so verfestigt, abgeschottet, dass eine Änderung der Anschauungen nahezu ausgeschlossen scheint; Fundamentalismus ist eine Art geistiger Kurzschluss: alles, was eine Modifizierung, Korrektur des aktuellen Weltbildes verursachen könnte, ist geächtet. Wären es nicht Menschen, die solche Haltungen einnehmen können, würde man von ‚Robotern‘ sprechen, obgleich jeder ‚echte‘ Roboter eine grundsätzliche Lernfähigkeit besitzen würde, …

ERNST NEHMEN

Eine häufig zu beobachtende Reaktion von Menschen zu anderen Menschen, die erkennbare Vereinfachungen nach außen zeigen ist ‚lächerlich machen‘, ‚Verunglimpfen‘, ‚Beschimpfen‘, ‚Verachten‘, ’nieder machen‘ und dergleichen mehr. Dies verstärkt nicht nur die Haltung der anderen, sondern zeigt auch eine gewisse Form der Hilflosigkeit bei denen, die auf solche Vereinfacher treffen. Im Falle von ‚fundamentalistischen Vereinfachern‘ ist in der Tat schwer zu sehen, was man tun kann außer sich der eigenen Mehrheit in Solidarität zu versichern. Doch die wirklich harten fundamentalistischen Vereinfachern sind in der Regel eher deutliche Minderheiten. Die große Mehrheit der Vereinfacher weiß es normalerweise einfach nicht besser; ihnen fehlen Informationen; ihnen fehlt Wissen; ihnen fehlen Medien und Politiker, die sie ernsthaft und sachkundig ‚aufklären‘, die vernünftig und ruhig informieren, die zuverlässig sind und reales Vertrauen aufbauen können.

LEICHEN IM KELLER

In ‚ruhigen‘ Zeiten, wo alles ’seinen Gang‘ geht, muss man nicht viel nachdenken, benötigt man keine spezielle Kommunikation. Jeder redet das, was alle erwarten. Nimmt aber die Komplexität zu, zeigen sich Veränderungen, entstehen Verunsicherungen durch Änderungen der Abläufe, nimmt die Vielfalt zu wegen Durchdringung, dann entsteht zunehmend der Bedarf nach Verständigung, nach Erklärung. In diesem Moment kann es sich rächen, wenn man in der Vergangenheit Probleme ‚unter den Teppich‘ gekehrt hat, wenn man in der Vergangenheit keine ‚echte Diskussionskultur‘ praktiziert hat, wenn man in der Vergangenheit die Medien in Schrottkanäle verwandelt hat, wenn die Politiker sich angewöhnt haben, ihre Wähler nur noch wahltaktisch zu sehen und zu behandeln.
In Frankreich z.B., wissen alle seit Jahren, dass die Vorstädte in ihrer Struktur und Funktionalität eine vollständige Fehlplanung waren, dass sie in ihrem Format und mit ihrer ‚Belegung‘ mit problemintensiven Gruppen das ‚Unheil‘ geradezu in Reinform gleichsam ‚züchten‘, ‚ausbrüten‘. Aber niemand hat dagegen etwas getan. Diese Vorstädte waren – und sind – tickende soziale Zeitbomben; wenn in manchen Bereichen der Gesellschaft, Menschen der Gesellschaft Schaden zufügen, dann werden sie dafür u.U. zur Verantwortung gezogen. Alle jene, die diese unseligen Vorstädte geplant und gebaut haben, wurden bislang nicht zur Verantwortung gezogen. Welcher der Planer und Erbauer würde freiwillig 5 Jahre in so einem Wohngebiet wohnen? Wenn dann einige wenige junge Menschen von vielen Zehntausenden, die dazu Grund hätten, ihre Verzweiflung in unmenschliche Taten umsetzen ist die Aufregung groß, aber alle haben Jahrelang zugesehen, wie Menschen durch solche Lebensverhältnisse geradezu ‚gezüchtet‘ werden…

WAS DIE GESCHICHTE UNS SAGEN KÖNNTE

Wagt man einen Blick zurück in die Geschichte, dann findet man zu allen Zeiten Eroberungen, Wanderungsbewegungen, Transformationsprozesse, und speziell Europa als Ganzes (Morgenland und Abendland!) war schon immer reich, um nicht zu sagen überreich an Vielfalt von Ethnien, Kulturen, Gebräuchen und Sprachen. Und Europa als Ganzes hat es erstaunlich oft geschafft, über große Zeiträume (z.B. griechisch-römische Kultur ca. 500 Jahre, arabisch-islamische Kultur ca. 700 Jahre) nicht nur Frieden zu realisieren, sondern zugleich auch Toleranz, Bildung, Gesundheit, Infrastrukturen, Wohlstand, Weiterentwicklung auf allen Ebenen. Die Kernelemente waren immer eine Toleranz für eine Koexistenz unterschiedlicher Weltanschauungen und eine umfassende Bildung aller Schichten, nicht nur für Eliten. Dies war der ‚Schmierstoff‘, der alle anderen Prozesse ermöglicht hat. Die größten Bedrohungen und Behinderungen waren immer Verabsolutierungen einzelner Anschauungen und gesellschaftsfeindliche Konzentration von Besitz (sehr massiv in diesem Sinne die römische Papstkirche zwischen 500 und ca. 1500, oder all jene absolutistischen Monarchen, die eine Spaltung zwischen Eliten und der Restbevölkerung betrieben).

So gesehen sind die ‚Zutaten‘ zu einer blühenden Gesellschaft sehr einfach: reale Toleranz, Rechtssicherheit, massive Bildung, funktionierende Infrastrukturen, darin eingebettet Handel und Wirtschaft. Dann sind alle zufrieden, jeder gibt sein Bestes.

ANFANGEN KANN MAN IMMER

Egal in welchem Zustand sich eine Gesellschaft gerade befindet: es wird immer Menschen brauchen, viele Menschen, die die entscheidenden ‚Leitbilder‘ ‚vor Augen‘ haben und sich für ihre Verwirklichung einsetzen, auf allen Ebenen, an allen Orten. Ohne diese ‚Visionäre des guten Lebens‘ geht gar nichts.

Ein weit verbreiteter Irrglauben ist, dass es die Religionen sind, die uns in solchen Fragen helfen können. Die Geschichte lehrt uns eindeutig, dass es auf keinen Fall die Religionen sind, die uns helfen, eine blühende Gesellschaft zu realisieren. Die römische Papstkirche z.B. hat über fast 1000 Jahre demonstriert, dass sie Menschen und allgemeines Wissen verachtet, staatliche Einrichtungen nahezu völlig zerstört hat, und eine elitäre feudalistische Gesellschaft gefördert hat, die die westlichen europäischen Staaten (das Abendland) nahe an den Abgrund gebracht hat. Hätte es zur gleichen Zeit nicht die hochstehende arabisch-islamische Kultur gegeben, die das griechisch-römische Erbe nicht nur aufgegriffen, sondern beeindruckend weiter entwickelt und gepflegt hätten, wer weiß, was aus Europa dann geworden wäre. Der spätere Zerfall der arabisch-islamischen Kultur zeigt aber auch, dass es nicht der Islam als solcher ist, der eine blühende Gesellschaft garantiert, sondern dass es die Kombination eines Islam war mit einer Aufgeschlossenheit für Bildung und Wissen für alle gepaart mit allen zugänglichen leistungsfähigen Infrastrukturen eingebettet in eine dominante Toleranz, die es Menschen aller Hautfarbe und Anschauung ermöglichte, ein freies, kreatives und produktives Leben zu führen.

GUT UND BÖSE, WAHR UND FALSCH

Innerhalb des allgemeinen Bedürfnisses der Menschen, ihre Welt zu ‚verstehen‘, die Ereignisse ‚einordnen‘ zu können (‚Vereinfachen‘!), gibt es auch das mindestens so starke Bedürfnis – oder ist es einfach Teil vom Wunsch nach dem Verstehen? –, zu wissen, was ‚richtig‘ ist, was ‚wahr‘ und was ‚falsch‘ ist bzw. was ‚gut‘ und ‚böse‘ ist.

In Diskussionen zu diesem Thema kann man – was jeder bestimmt schon mal selbst erlebt hat – schnell in wildeste Gespräche geraten bei denen am Ende keiner mehr so richtig weiß, was ist denn jetzt ‚wahr‘, ‚falsch‘ …. und man bleibt dann vorsichtshalber erst mal wieder bei dem, was man immer schon gewusst hat.

Nun dürfte jedem klar sein, dass ein Urteil über ‚Gut – Böse‘, ‚Wahr – Falsch‘ jeweils irgendein Kriterium K voraussetzt, anhand dessen man entscheiden kann, trifft eher das eine oder eher das andere zu. Wenn man z.B. weiß, was es heißt, dass die ‚Sonne scheint‘, dann kann man normalerweise natürlich feststellen, ob die Aussage ‚Die Sonne scheint jetzt‘, ‚zutrifft‘, also ‚wahr‘ ist, oder nicht zutrifft, also ‚falsch‘ ist. Desgleichen: wenn man sich in einer sozialen Gruppe darauf geeinigt hat, was ‚Stehlen‘ ist und dass dies in der ozialen Gruppe nicht vorkommen soll, dann können alle Mitglieder der Gruppe nach bedarf entscheiden, ob ein Mitglied der Gruppe ‚etwas gestohlen‘ hat oder nicht. Ist es wahr, dass jemand etwas gestohlen hat, dann ist dies nach dem Verständnis der Gruppe ‚Böse‘; trifft es zu (ist es wahr), dass das Mitglied nicht gestohlen hat, dann ist dies im Verständnis der Gruppe ‚Gut‘.

‚Wahrheit‘ und ‚Falschheit‘ sind in diesem Sinne entscheidbare Sachverhalte, die die Basis für unsere Weltbetrachtung bilden. ‚Gut‘ und ‚Böse‘ sind ‚Wertvorstellungen‘ von sozialen Gruppen, die – sofern sie verstehbar sind – dazu verwendet werden können, innerhalb einer sozialen Gruppe das gemeinsame Verhalten zu ‚regeln‘. Die Anwendung von Gut-Böse-Regeln setzt die Möglichkeit der Wahrheitsfindung voraus: liegen tatsächlich die Sachverhalte vor, die im Sinne von Gut-Böse bewertet werden sollen.

Gut-Böse-Regeln sind so gesehen gemeinsame Verhaltensnormen, Verhaltensregeln, können auch ‚Gesetze‘ genannt werden, kann man als ‚Moral‘ einer Gruppe verstehen oder als ‚ethische Dimension‘.

DER MISSBRAUCHTE GOTT

Solange solche Regeln in einer überschaubaren Gruppe praktiziert werden, sind sie für alle verstehbar, nachvollziehbar, und letztlich sogar diskutierbar, da sich ja u.U. die Lebensverhältnisse ändern, so dass bestimmte Regeln unter den neuen Bedingungen gar keinen Sinn mehr machen. Solche ‚offene‘ Normensystem sind lebenswichtig für eine Gruppe und zugleich produktiv-kreativ; sie werden den Umständen angepasst.

Werden solche sozialen Gruppen größer, so groß, dass nicht mehr alle miteinander reden können, dass man sich nicht mehr kennt, dann wird eine Verständigung über solche wichtigen Verhaltensnormen schwierig, eventuell so schwierig, dass man neue Mechanismen benötigt, um sie ‚abzusichern‘.

Das sogenannte Alte Testament als Teil der christlichen Bibel (und dann auch die Thorah der Juden) liefert zahllose Beispiele dafür, wie Verhaltensregeln, die zunächst nur für bestimmte lokale Gruppen/ Stämme galten, irgendwann (aufgrund von Wanderungen und Eroberungen) auch für weitere Gruppen gelten sollten. Das Mittel der Wahl war dann die Berufung auf ein ‚höheres Wesen‘, auf ‚Gott‘. Da scheinbar jeder Mensch eine gewisse Neigung hat, an ein höheres Wesen zu glauben, zugleich dieser ‚Gott‘ nicht weiter definiert ist, konnten soziale Anführer relativ leicht den individuellen unspezifischen Gottesglauben dazu benutzen, um ihn mit den jeweiligen Regelsystemen zu verknüpfen, die gerade sozial-politisch oder aufgrund bestimmter partikulärer Machtinteressen ‚gewollt‘ waren. Dass es im Alten Testament mehrere verschiedene solche Regelsysteme nebeneinander gab und gibt, zeigt nur die historische Bedingtheit all dieser Vorstellung (dies macht das Alte Testament zum Verstehen der Geschichte interessant). Wie man historisch feststellen kann, war dieses Vorgehen der Verknüpfung eines historisch gewachsenen Regelsystems mit einem unspezifischen Gottesglauben sozial erfolgreich. es ermöglichte größere komplexe soziale Gruppen auf der Basis eines gemeinsamen Regelsystems. Dieses ‚magische‘ Modell der Normenbildung hatte und hat nur den Nachteil, dass die Verhaltensnormen fortan nicht mehr offen von allen diskutierbar waren. Da die Regeln ihrer menschlichen Herkunft jetzt entrückt waren und den Status von ‚Gottes Wort‘ erlangt hatten, waren sie entweder ‚ewig‘ oder aber, es gab eine ‚Sonderklasse‘ von Menschen, die ‚Gottesmittler‘ die, obgleich sie Menschen waren, irgendwie, auf geheimnisvolle Weise, doch mehr wussten als normale Menschen (Propheten, Priester, Seher…). Die Geschichte zeigt klar, wie allzu menschlich all diese ‚Gottesmittler‘ in allen Jahrhunderten waren. Zugleich sieht man, wie solche der Realität enthobenen Regelsysteme im Laufe der zeit immer befremdlicher, immer obskurer wirken. während die Welt sich weiter verändert, die Gesellschaften sich aufgrund ihrer Aktivitäten weiter entwickeln, bleiben die künstlich festgefrorenen Regelsysteme ’starr‘, passen immer weniger, werden immer unverständlicher.

Man muss es Ganz-Europa hoch anrechnen, dass es nicht nur die drei größten Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum und Islam) ‚erfunden‘ hat – was als große kulturelle Leistung zu betrachten ist –, sondern zugleich auch die ‚Weiterentwicklung‘ der Offenbarungsreligion in Form des religionsfreien Staates mit einer religionsfreien Wissenschaft.

Im Konzept der religionsfreien Wissenschaft wurden die Regelsysteme wieder ‚zurückgeholt‘ aus der Sphäre der Unkontrollierbarkeit und verankert im Hier und Jetzt, wurden die Menschen wieder Herr ihrer eigenen Regeln, wurden Regeln wieder ‚kritisierbar‘, konnte man menschlich aufgestellte Regeln wieder ändern, wenn die Wirklichkeit ihnen entgegen stand. Und gestärkt durch die Erfolge der empirischen Wissenschaften gewannen auch wieder solche staatliche Regelsysteme Anerkennung und Gewicht, die wie das Griechische oder das Römische religionsfreie Regeln zur Praktizierung einer gemeinsamen und offenen Gesellschaft darstellten. Keine ‚Sonderwesen‘, keine ‚Sonderrechte‘, keine ‚Sonderwahrheiten‘ außerhalb der Kompetenz und Kontrolle der Menschen, die nach diesen Regeln leben wollen.

WAHRE RELIGION

Ist Religion damit überflüssig geworden?
Ein ganz klares NEIN!
Jetzt kann wahre Religion erstmalig anfangen.
Ganz-Europa steht vor seiner nächsten kulturellen Revolution: nach der Erfindung der Offenbarungsreligionen und des modernen, aufgeklärten Staates geht es jetzt um die wahre Religion aller Menschen in einer freien, und offenen Gesellschaft, in der Wissen offen und transparent ist, in der alle Menschen gleich sind, in der der Wohlstand für alle da ist.

Anmerkung: Dieser Beitrag kam nur zustande, weil ich mich zuvor mit dem Buch von Bergmeier Christlich-abendländische Kultur – eine Legende: Über die antiken Wurzeln, den verkannten arabischen Beitrag und die Verklärung der Klosterkultur auseinander setzen konnte, dazu auch das Gespräch in der philosophieWerkstatt v2.0 vom 11.Januar 2015.

Wer noch etwas Zeit übrig hat …. der kann folgende RUM-Komposition anhören:

Heh – Where are You?.

Es handelt sich um ein Stück das die Situation des Autors cagent schildert … und damit stellvertretend die Situation jedes einzelnen Menschen, der versucht, in Kommunniaktion zu treten. Das Artikulieren von ‚Innenleben‘ heisst nicht automatisch, dass es eine Rückmeldung gibt… die dunkle Einsamkeit ist ein Moment einer sich aufbauenden Gemeinsamlkeit in Verschiedenheit…

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

Seit einiger Zeit melde ich die Beiträge des Blogs auch bei Twitter an. Das Pseudonym ist @cagentartist und hat als Erkennungsbild einen originalen Schneemann aus Finnland, gebaut von einer Freundin. Ein Schneemann hat viele Ähnlichkeiten mit uns Menschen 🙂

ISLAM, CHRISTENUM und EUROPA AUS HISTORISCHER SICHT – Kurzmemo zur philosophieWerkstatt v2.0 vom 11.Januar 2015

PLAN DER EINLADUNG

Entsprechend der Einladung zur philosophieWerkstatt v2.0 für den 11.Januar 2015 sollte es neben einem kleinen experimentellen Kunstteil ein Einführungsreferat aus religionswissenschaftlicher Sicht zum Thema „Das Gute und das Böse in den Religionen” geben.

THEMENWECHSEL: RELIGIONEN IN HISTORISCHER PERSPEKTIVE, VERHÄLTNIS ZUM STAAT

Da erst zu Beginn der Sitzung bekannt wurde, dass die geplante Referentin nicht kommen würde, musste das Thema kurzfristig etwas geändert werden. Statt eines ’strukturellen Vergleichs‘ mit Blick auf ‚Gut und Böse‘ in den Religionen sprang der Veranstalter dann ein mit Thesen aus dem Buch von Bergmeier: Christlich-abendländische Kultur – eine Legende (Teil 1) und Teil 2. Bei diesem Buch handelt es sich um eine interessante historische Studie zum Wechselspiel zwischen ‚Gesellschaft – Christentum‘ einerseits und parallel zwischen ‚Gesellschaft – Islam‘ andererseits im Zeitraum 700 – 1400.

GESELLSCHAFT OHNE RELIGION IST MÖGLICH

Aus dieser Studie — und unter Berücksichtigung der Jahrhunderte danach — kann man ersehen, dass ein blühende Gesellschaft ohne Religion möglich ist, dass aber Religion umgekehrt ganze Gesellschaften behindern oder zerstören kann. Auch wenn man es aus der Sicht des Jahres 2015 kaum glauben mag, aber die kulturell höchstentwickelte Periode und Blütezeit hatte Ganz-Europa in der Zeit ca. 800 – 1100 im arabisch-islamischen Reich. Parallel verzeichnen wir einen wirklich dramatischen Niedergang der Gesellschaft unter der römischen Papstkirche bis sich die Zivilgesellschaft von diesem Einfluss ab ca. 1200 schrittweise und mühsam im Laufe von ca. 700Jahren befreien konnte.

Diese historische – und letztlich auch soziologische – Betrachtungsweise erlaubt es, Einschätzungen zu verschiedenen Religionen zu bekommen, ohne dass man Details dieser Religion kennen noch verstehen muss.

GRIECHISCH-RÖMISCH

Wenn so z.B. (i) in der Phase der griechischen Kultur (ca. ab 500 v.u.Z.) und dann in der römisch-griechischen Kultur (ca. 200 v.u.Z. bis ca. 400) die Gesellschaft blüht weil der Staat sich für alle verantwortlich fühlt und mit Schulen, Infrastruktur, Toleranz bzgl. Weltanschauungen sowie Rechtssicherheit das Aufblühen von Handel und Wirtschaft ermöglicht, wir dann beobachten können,

ARABISCH-ISLAMISCH

wie (ii) sich diese Blüte im arabisch-islamischen Bereich ca. 700 – 1400 fortsetzt, da die neuen islamischen Machthaber dem Wissen gegenüber aufgeschlossen sind und sie Toleranz gegenüber Weltanschauungen praktizieren,

RÖMISCHE PAPSTKIRCHE

wie dann (iii) zeitgleich in den westlich christlichen Ländern die Gesellschaft geradezu dramatisch zusammenbricht, weil unter dem Einfluss der staatlich privilegierten römischen Papstkirche dem Staat die Mittel fehlen, öffentliche Schulen, Infrastrukturen weiter zu pflegen; Toleranz gegenüber anderen Weltanschauungen praktisch abgeschafft ist; dann finden wir einen beispiellosen Niedergang des Wissens, der Wirtschaft und der Gesellschaft.

RENAISSANCE, AUFKLÄRUNG, REVOLUTION …

In den westlichen europäischen Ländern (Abendland) kann man dann (iv) beobachten, wie die westlichen Länder sich langsam aus ihrer Schockstarre wieder befreien, indem sie sich schrittweise aus dem Machteinfluss der römischen Papstkirche lösen. Die Zauberworte hier lauten u.a. Renaissance, Aufklärung, französische Revolution, Entstehung von Demokratien. Dies bedeutet Rückgewinnung des Wissens (zu Beginn unter Hilfe der arabisch-islamischen Kultur und der des griechischen Byzanz!), Aufbau von Bildung und Infrastrukturen, und Rückkehr der Toleranz. Dieser Befreiungsprozess hat ca. 700 Jahre gedauert und er ist noch nicht wirklich vollständig abgeschlossen (die Rolle der Reformation wurde noch nicht diskutiert).

OSMANISCH

(v) In der Nachfolge des arabisch-islamischen Reiches gab es zwar das osmanische Reich (ca. 1300 bis 1923), doch hatte es zu keinem Zeitpunkt die Offenheit für Wissen, die Toleranz und die Infrastrukturen wie das vorausgehende arabisch-islamische Reich. Die Gesellschaft als solche blieb hinter der Entwicklung der westlichen europäischen Länder zurück.

SPALTUNG EUROPAS

In diesen geschilderten Entwicklungen liegen die Wurzeln für die Entstehung eines sogenannten ‚fortschrittlichen abendländischen‘ Europas und eines ‚weniger fortschrittlichen morgenländischen‘ Europas. Während im Fall des ‚morgenländischen‘ Europas der Faktor Religion in Form verschiedener islamischer Varianten eher bremsend wirksam ist, liegt der Fall bei dem ‚fortschrittlicheren morgenländischen‘ Europa anders: hier findet die Entwicklung in dem Maße statt, wie sich die Gesellschaft vom Einfluss der Religionen – – speziell vom Einfluss der römischen Papstkirche – befreit hat. Im Fall des abendländischen Europas von einer ‚christlichen Leitkultur‘ zu sprechen ist historisch und sachlich falsch. Zwar gab es starke christliche Einflüsse im abendländischen Europa, aber alles, was die heutigen Demokratien und das gesellschaftliche Funktionieren ermöglicht, wurde eindeutig GEGEN den Einfluss der christlichen Bekenntnisse mühsam – und streckenweise blutig – erkämpft! Die wahren Grundlagen des Erfolges des abendländischen Europa sind die staatlichen und Kulturen Errungenschaften des antiken Griechenlands, des antiken Roms, die Blütezeit des arabisch-islamischen Reiches und dann die fortschreitende Befreiung vom Einfluss der Religionen im Abendland.

EIN GANZES EUROPA

Ein ‚Ganzes Europa‘ (= Morgenland und Abendland) war in der Vergangenheit möglich und wäre auch heute möglich, wenn die Förderung der staatlich-gesellschaftlichen Strukturen im Vordergrund stehen würde (Bildung, Forschung, Infrastrukturen, Rechtssicherheit, Toleranz) und die Religionen dies als ihre ‚Rahmenbedingungen‘ anerkennen würden. Zugleich müssten die Religionen alle ‚weiter entwickelt‘ werden, da ihr aktueller Wissensstand weit hinter dem Wissen der Welt zurückliegt. Was immer eine Religion heute privat, individuell von Gott wissen mag, eingehüllt in eine dunkle Wolke von Nichtwissen kann dieses Wissen um Gott nur ein Zerrbild Gottes ergeben.

OFFENE GESPRÄCHSRUNDE

Die offene Gesprächsrunde folgte diesen historischen Entwicklungslinien nicht. Alle Teilnehmer standen stark unter dem Eindruck der Geschehnisse in Paris (Attentate von Islamisten in Paris) im Kontext der anhaltenden Diskussionen in der Öffentlichkeit zur Rolle des Islam in Europa. Einige artikulierten auf unterschiedliche Weise eine gewisse Hilflosigkeit der Orientierung. Diese Orientierungslosigkeit wollte nicht ganz von dem Begriff der Religion lassen und fokussierte mehrfach um die Frage, was ‚Gut‘ und ‚Böse‘ sei, was ‚Richtig‘ und ‚Falsch‘. Der Begriff der ‚Religion‘ blieb unklar trotz Unterscheidung von ‚Religion‘ – ‚Konfession‘ – ‚Kirche‘. Einige sehen ‚Religion‘ als sehr grundlegende Bedürfnisse, die sich aus der Existenz des Menschen in dieser Welt ergeben sollen. Andere zitierten den Psychologen Bauer, der die Wurzel in jener Zeit verordnen, in der die Menschen im Übergang von kleinen Gruppen (Jäger) zu größeren komplexen Gruppen (Ackerbau, Städtebildung) gezwungen sind, komplexe Regelsystem aufzustellen und zu sanktionieren. ‚Gott‘ hier als ‚virtueller Rächer‘ für Regelmissbrauch. Es gab nicht genügend Zeit, um alle aufgeworfenen Fragen ausreichend zu klären.

AUFGABENSTELLUNG FÜR DAS NÄCHSTE MAL: So, 8.Febr.2015

Für das nächste Mal gab es zwei Vorschläge

1. Jeder überlegt aus seinem Wissens- und Erfahrungsbereich, wo und wie er/sie die Begriffe ‚Gut’/ ‚Böse, ‚Richtig’/’Falsch‘ am ehesten verorten würde. Dazu den Begriff ‚Religion‘.
2. Zwei der teilnehmenden PsychologenInnen versuchen ein Kurzstatement vorzubereiten, wie diese Phänomene im Kontext von Kindern auftreten. Kann man daraus etwas entnehmen?

MUSIK(KUNST)EXPERIMENTE

Zu Beginn wurde wieder ein kleines Musik-Kunst-Experiment durchgeführt und kurz darüber gesprochen. Dies bestand aus drei Teilen: (i) 7 Bilder in Folge, die auf einem einzigen Foto beruhten, das unterschiedlich bearbeitet worden war; (ii) Die sieben Bilder mit einem ersten Klangbild nach der RUM-Methode; (iii) die gleichen Bilder mit einem zweiten Klangbild nach der RUM-Methode. sowohl die Bilder als auch die Musik sind in Finnland entstanden, und zwar zunächst unabhängig voneinander. Interessant war die große Vielfalt der Eindrücke sowohl zu den Bildern alleine wie auch zum Wechselspiel von Bild und Klang. Klangbeispiel zwei, obgleich völlig unabhängig von den Bildern gemacht, wirkte in der Einheit mit den Bildern so intensiv, als ob Bildfolge und Musik bewusst aufeinander abgestimmt war. Was sagt dies darüber, wie wir als ‚Konsumenten‘ Klangstrukturen und Bildfolgen in uns verarbeiten?

Für einen Überblick zu allen Blogeinträgen nach Titeln siehe HIER.

CHRISTLICHES ABENDLAND EINE LEGENDE? Nachbetrachtungen zum Buch von R.Bergmeier – Teil 2

Rolf Bergmeier, „Christlich-abendländische Kultur – eine Legende: Über die antiken Wurzeln, den verkannten arabischen Beitrag und die Verklärung der Klosterkultur Broschiert“, 238 Seiten, Aschaffenburg: Alibri Verlag, Dezember 2013

FORTSETZUNG

Diesem Teil 2 geht ein Teil 1 voraus, in dem die Hauptaussagen des Buches von Bergmeier skizziert werden.

In diesem zweiten Teil geht es um eine erste Diskussion dieser Thesen, sowohl um mögliche Kritik wie auch um mögliche Konsequenzen.

DISKUSSION

1. Wenn jemand Kritikpunkte an dem Buch sucht, kann er sie schnell finden: das zur Untersuchung anstehende Sachgebiet ist zeitlich und inhaltlich so riesig, dass ein Buch mit 215 Textseiten zwangsläufig weitgehend nur ‚Überschriften‘ liefern kann. Kein Gebiet kann wirklich detailliert in epischer Breite behandelt werden. Das Ganze wirkt wie ein ‚historisches Telegramm‘, bei dem jeder, der will, Punkte finden könnte, die zu grob sind, zu ungenau, oder einfach erklärungsbedürftig.

2. Auf der anderen Seite kann man aber gerade diese Kompaktheit, diese Thesenhaftigkeit als die große Stärke des Buches begreifen: angesichts eines so großen und schwierigen Thema würde mindestens jeder normale Mensch – und wie es scheint, auch die meisten Historiker – einfach kapitulieren und damit angesichts dieser großartigen Vergangenheit Europas im Nichtwissen verharren. Die Kompaktheit des Buches von Bergmeier aber eröffnet auch einem Nichthistoriker, einem Laien, einem ’normalen Menschen‘ die Möglichkeit, mal ein – wenn auch holzschnittartig verkürztes — Gesamtbild von einer Zeit zu bekommen, die für Europa fundamental war und eigentlich immer noch ist.

3. Wenn wir heute, im Jahr 2015, erleben, wie die aktuelle EU sich fast ausschließlich aus Ländern mit christlicher Vergangenheit – eben aus dem Abendland — zusammensetzt, dann ist dies kein Zufall. Und wenn wir in diesen Jahren erleben, wie schwer sich die Menschen in der EU tun – auch die sogenannten ‚Gebildeten‘ –, mit dem Islam umzugehen (der muslimische Arbeitskollege ist OK, aber der Islam …), dann erleben wir hautnah und konkret, wie real die unaufgearbeitete Geschichte des ganzen Europa – Morgenland und Abendland – sich heute, im Hier und Jetzt, noch auswirkt.

4. Betrachtet man das, was das ganze Europa in der Vergangenheit (-500 bis 1400) und dann danach in der Renaissance, in der Aufklärung, in der Moderne, stark gemacht hat, dann war dies immer ein Staatsgebilde, in der die Macht dafür gesorgt hat, dass die Rahmenbedingungen für möglichst alle optimal waren, wo die Infrastrukturen ein gemeinsames Leben, gemeinsame Bildung, gemeinsame Technologie, gemeinsames Handeln und Wirtschaften nach akzeptierten Regeln möglich war, und wo religiöse Toleranz herrschte. Immer dann, wenn diese Rahmenbedingungen gegeben waren, gab es lebendige dynamische Städte und Regionen, gab es blühenden Handel, gab es aufregende Entdeckungen und Erfindungen, die allen nützten, gab es Wohlstand und kunstvolle Durchdringungen des gemeinsamen Lebens; immer dann und auch NUR dann! Das fundamentale Prinzip lautet: Die Macht schafft einen Lebensraum für möglichst alle zu möglichst guten Konditionen

5. Was man auch erkennen kann, ist, dass eine zentrale – vielleicht die wichtigste überhaupt — Bedingung für all dies die Verfügbarkeit von WISSEN war (und ist). Ohne geeignetes Wissen, das IN den Köpfen der Menschen AKTIV verfügbar ist, ist kein Mensch in der Lage, weder individuell noch gemeinschaftlich, irgend etwas Sinnvolles zu tun. Ohne Wissen gibt es kein Bauwerke, keine Straßen, keine Infrastrukturen, keine Maschinen, keine Landkarten, keine Verständigung, keinen Handel, keine medizinische Versorgung, keine Erfindungen, keinen Fortschritt.
6. Die Verfügbarkeit von Wissen für möglichst alle setzt voraus, dass jeder Mensch grundsätzlich wertgeschätzt, geachtet wird, dass man jedem Menschen so viel ‚Würde‘ zusteht, dass man ihm einen ‚Anspruch‘, ein ‚Recht‘ auf Wissen einräumt und auch dafür sorgt, dass es die reale Möglichkeit für Wissen gibt. Und schaut man mit diesen Augen in die Vergangenheit ganz Europas (Indien und China sind auch zu empfehlen …), dann wird man u.a. folgendes feststellen können:

7. In der griechischen Kultur im Zeitraum -500 bis ca. 500 finden wir hochstehende bis maximale Leistungen auf allen Gebieten, obgleich diese Kultur weder jüdisch, noch christlich noch islamisch war. Das Gleiche gilt für die römische Kultur bis zum ‚Sündenfall‘ des Religionserlasses von Kaiser Theodosius 380.

8. Die arabisch-islamische Kultur der zeit 700 – 1400 zeigt ebenfalls Höchstleistungen, weil sie aufgrund ihres Glaubens die erfolgreichen Prinzipien und das Wissen der griechisch-römischen Kultur in allen Bereichen aufgegriffen und substantiell in vielen Bereichen sogar weiter entwickelt haben. Dazu gehörte eine überwiegende Toleranz anderen weltanschaulichen und religiösen Bekenntnissen gegenüber, ein Leistungsprinzip bei der Auswahl der Kandidaten für wichtige Ämter, und eine kaum zu überbietende Wertschätzung gegenüber WISSEN! Nicht nur gab es überall Schulen für alle (speziell sogar für sozial Schwache und Benachteiligte), sondern dazu weiterführende, forschende Lehranstalten, riesige öffentliche Bibliotheken, umfangreiche Übersetzungstätigkeiten aus ganz vielen anderen Sprachen nach Methoden, die auch heute noch wissenschaftlich gültig sind.

9. Jahrhunderte nach 1400, bis heute, können wir beobachten, dass es islamische Kulturen gibt, die diese Offenheit für Wissen und diese Toleranz nicht praktizieren mit den entsprechenden Folgen für die Lebenssituation der Menschen. Unter anderem kann man daraus ersehen, dass die Berufung auf den Islam nicht automatisch einhergeht mit Toleranz, Bildung, und Fortschritt.

10. Ähnliches beobachten wir bei den christlichen Bekenntnissen. Die ersten vier Jahrhunderte des Christentums waren geprägt von schweren, auch blutigen, Auseinandersetzungen zwischen mehr als 80 verschiedenen christlichen Glaubensrichtungen. Dass dann ein römischer Kaiser – gegen alle vorausgehenden Traditionen – plötzlich das Toleranzprinzip aufgibt, quasi über Nacht eine der mehr als 80 christlichen Richtungen, nämlich die ‚Trinitarier‘ – zur Staatsreligion erhebt, diese mit absoluten Machtansprüchen ausstattet, führte dann in den kommenden ca. 1000 Jahren zu einer der größten Verfinsterungen in den westlichen (abendländischen) Ländern, sofern sie dem Einfluss der römischen Papstkirche unterlagen. Die römische Paptskirche verachtete die Welt (allerdings nicht, wenn es um ihre Besitztümer ging); sie verachtete Wissen; sie verachtete alle Menschen, die nicht Kleriker, Bischöfe oder Fürsten waren; sie verachtete den Staat und alle öffentlichen Einrichtungen; sie verachtete Andersdenkende und verfolgte sie mit dem Tode.

11. Erst als sich die westlichen Länder von dem absolutistischen menschen- und wissensverachtenden Zugriff der Papstkirche schrittweise befreien konnten, erst als Wissen, Technik, Handel wieder zu blühen begannen, erst dann entwickelten sich norditalienische Städte, westliche Universitäten, Handelsverbünde im Norden, neue Industrien und neue Gesellschaftsformen. Wohlgemerkt: erst als sich die Gesellschaft aus der menschenverachtenden tödlichen Umarmung der römischen Papstkirche löste! Vor diesem Hintergrund zu sagen, dass die politische EU wesentlich auf den christlichen Werten des christlichen Abendlandes beruhe, ist in einer Weise falsch, die nicht mehr zu überbieten ist. Ja, faktisch existiert die aktuelle (kleine) politische EU fast nur in den Ländern, die nach dem römischen Reich westlich-christlich geworden sind, aber sie existieren in der heutigen politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Verfassung nicht wegen der christlichen Vergangenheit, sondern TROTZ der christlichen Vergangenheit. Nur weil die heutigen westlich-christlichen Ländern mit Hilfe der griechisch-römischen Kultur, übermittelt durch die arabisch-islamische Kultur, aus der 1000 Jahre andauernden tödlichen Umarmung der römischen Papstkirche gelöst hatte, gibt es das neue, moderne, aufgeschlossene, menschenbejahende, wissensdurstige Europa.

12. Für viele wirken die heutigen Christen – auch das römische Papsttum – ‚zahm‘, ‚kompatibel‘ mit einer modernen demokratischen Gesellschaft. Betrachtet man das römische Papsttum aber näher, dann muss man feststellen, dass es sich nicht wirklich geändert hat. Es hat bis heute keinerlei Lehren aus der unrühmlichen Vergangenheit gezogen. Und ob die anderen christlichen Bekenntnisse wirklich viel ‚besser‘ sind, das ist eine letztlich offene Frage. Leider wird über Religion, über die Wahrheits- und Zukunftsfähigkeit von Religionen öffentlich nicht mehr ernsthaft diskutiert. Für die einen sind die alten Religionen passé und für die anderen werden diese Institutionen weitgehend unwissend und unkritisch-naiv einfach übernommen; der normale Gläubige weiß in der Regel nichts von der wahren Geschichte Europas und seiner Religion. Er ist halt Christ der Richtung X oder Muslim oder Jude oder …, weil es halt immer so war, seine Eltern, seine Freunde, die Umgebung … Religionsfreiheit ist ein hohes Gut, aber gedankliche Gleichgültigkeit für die Wahrheits- und Zukunftsfähigkeit ist schlecht bis tödlich. Wenn Konflikte aufflammen wie heute wieder zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, bei die einen Religion X angehören, die anderen Religion Y, ist man schnell mit Verallgemeinerungen und Verteufelungen zur Hand, ohne die andere Position wirklich zu kennen. Alle diese Aufregungen wirken weitgehend scheinheilig, da sie in der Regel nicht dazu führen, dass man ernsthaft MITEINANDER redet, sondern immer nur GEGENEINANDER und ÜBEREINANDER.

13. Unterm Strich kann man sagen, dass es – schaut man in der Geschichte zurück und nimmt auch die Gegenwart war –für ein blühendes florierendes Gemeinwesen nicht notwendig ist, dass man zu einer bestimmten Religion gehört. Religionen können kompatibel sein mit einem blühenden Gemeinwesen (der Islam in der Zeit 700 – 1400, oder das Christentum der Neuzeit), aber diese kompatiblen Religionen sind nicht wirklich wichtig.

14. Schaut man die wichtigsten Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum, Islam) an, dann muss man feststellen, dass sich die umgebenden Gesellschaften in einigen Teilen unserer Erde zwar trotz und gegen diese Religionen positiv weiter entwickelt haben, dass sie mehr und höhere Werte ausgebildet haben, als jede der drei Religionen jemals hatte, dass aber die Religionen selbst trotz dieser menschenfreundlichen und zukunftsbejahenden Gesellschaften in einer Geisteshaltung verharren, die rückwärtsgewandt ist, weitgehend menschen- und wissensverachtend. So gesehen sind die modernen Gesellschaften, die sich vom Einfluss der institutionalisierten Religionen freigekämpft haben, in ihrer Substanz ‚religiöser‘ als die, die sich religiös nennen. Schon einem Jesus von Nazareth werden die Worte in den Mund gelegt, dass man die wahren Propheten nicht an ihren Worten erkennt, sondern an ihren Taten. Und er hat durch unmissverständliche Beispiele deutlich gemacht, dass nicht die ‚fromm‘ sind, die ihre Rituale äußerlich verrichten, sondern jene, die den Menschen helfen, die real Hilfe brauchen, egal wer das ist. Man braucht auch keinen speziellen heiligen Ort, um zu beten, sondern man kann überall beten. Man braucht keine besonderen ‚Vermittler‘ (irgendwelche Kleriker, Priester und dergleichen mehr), sondern jeder kann jederzeit überall beten, alleine und zusammen. Gott ist dort, wo ein Mensch sein Herz öffnet und das tut, was jedem hilft, egal wer es ist. Wer in diesem Sinne lebensbejahend, aufrecht, lebt, besitzt deswegen keine besonderen Privilegien, heisst es doch das der ‚Größte‘ der ist, der allen am meisten ‚dient‘. Auch wird man deswegen nicht automatisch befreit von Leiden oder vom Sterben. Jesus von Nazareth ist gestorben wie alle anderen auch, wie jeder von uns sterben wird. Die modernen Gesellschaften haben mit ihren modernen Verfassungen und ihrer Lebensweise weit mehr von dieser fundamentalen Religiosität und den Grundwerten als alle die bekannten historischen Offenbarungsreligionen zusammen. Die wenigstens sind sich dessen allerdings bewusst. Die Wertschätzung für die ‚alten‘ Religionen ist sachlich gesehen sehr unangebracht.
15. [Anmerkung: Nach den obigen Kriterien für ‚rechten Glauben‘ ist der Islam mit Abstand ‚christlicher‘ als es die römische Papstkirche jemals war (was nicht heisst, dass es auch Menschen gibt, die den Begriff ‚Islam‘ missbrauchen können) ]

16. Würde heute ein Abraham, ein Jesus und ein Mohammed gleichzeitig leben, ich bin ziemlich sicher, dass sie den Kopf schütteln würden über das, was aus ihren Deutungsansätzen gemacht wurden, und ich bin sicher, sie würden die modernen demokratischen Lebensformen höher bewerten als alles andere, was da im Namen von Religionen bislang ausgedacht worden ist. Dies heißt nicht, dass die aktuellen demokratischen Lebensformen optimal sind, nein, auch hier beobachten wir, dass die verfügbare Macht heute Menschen genauso korrumpiert, wie sie dies schon in der Vergangenheit getan hat; dass heutige Regierungen und Großkonzerne genauso kontinuierlich gefährdet sind, nur ihre partiellen Interessen zu sehen statt das Gemeinwohl. Aber die demokratische Gesellschaftsform bietet transparenten Ansatzpunkte, mit diesen korrumpierenden Tendenzen offen und menschlich umzugehen, wenn sich alle ihrer Verantwortung als Menschen und für das Leben bewusst sind. Mehr denn je ist heute die Stunde von GANZ Europa, Morgenland und Abendland, und ein demokratisches Europa ist offen für eine wahrheits- und zukunftsfähige Weltgesellschaft.

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