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KONSTANTIN WECKER – MÖNCH UND KRIEGER – LAUNIGE ANMERKUNGEN

Konstantin Wecker, „Mönch und Krieger. Auf der Suche nach einer Welt, die es noch nicht gibt.“, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2014

LAUNIG: REALER MÖNCH GEGEN VIRTUELLEN MÖNCH

Normalerweise schreibe ich Nachbetrachtungen zu einem Buch nur, wenn ich es – aus meiner beschränkten Sicht — entweder eindeutig ‚gut‘ fand, packend, spannend, kenntnisreich, irgendwie ‚mich weiterbringend‘ (was immer sehr subjektiv ist). Die anderen Bücher lege ich ansonsten sehr oft schon nach ein paar Seiten zur Seite oder – sollte ich mich dennoch bis zum Ende ‚durchgequält‘ haben –, lege sie irgendwo weg, weit weg, um den Kopf für etwas ‚Neues‘ frei zu bekommen. Im Fall des Buches von Konstantin Wecker hat mich zugegebenermaßen der Untertitel angezogen, die Suche nach einer Welt, die es noch nicht gibt. Klingt dies doch vertraut aus Sicht dieses Blogs. Der Haupttitel ‚Mönch und Krieger‘ hat bei mir hingegen eher ‚Alarmglocken‘ schrillen lassen; war ich doch selbst mehr als 22 Jahre ‚realer‘ Mönch gewesen, der sich auch irgendwie als ‚Krieger‘ verstand, und – das ist natürlich ein Zufall des Lebens – ich kann mich erinnern, dass ich nach meinem ersten (und einzigen) Weckerkonzert (muss in der Zeit 1970 – 1972 gewesen sein) als junger radikaler Mönch irgendwann in einem Keller auf einer Gitarre, die Passanten auf der Straße damit verwirrt haben muss, ein Anti-Wecker Lied gesungen zu haben. Aus Sicht eines ‚realen Mönches‘ bot der junger Konstantin Wecker ja genug Stoff, sich aufzuregen. Seitdem hatte ich mich mit Konstantin Wecker eigentlich nie wieder beschäftigt. Nun, nachdem ich seit fast 25 Jahren kein klassischer Mönch mehr bin, bekomme ich das Buch von Wecker geschenkt und lese, dass er sich mittlerweile ein bisschen – oder auch viel mehr — wie ein ‚Mönch‘ sieht, … und wie ein Krieger. Das ist ein Setting, das neugierig machen kann. Außerdem war es unmittelbar vor der Abreise in einen Kurzurlaub; na ja, ich habe tatsächlich angefangen zu lesen.

RAUSCHENDE vs. QUÄLENDE LEKTÜRE

Ich muss bekennen, dass ich (sicherheitshalber) noch ein zweites Buch eingepackt hatte; man kann ja nie wissen (das war das Buch Christlich-abendländische Kultur – eine Legende: Über die antiken Wurzeln, den verkannten arabischen Beitrag und die Verklärung der Klosterkultur Broschiert von R.Bergmeier). Um es vorweg zu nehmen, ich habe das Buch von Konstantin Wecker gelesen, sogar ganz gelesen, allerdings mit viel Mühe und ab der Mitte nur mithilfe von Tricks. Als ich in der Mitte irgendwie die Lust verloren hatte (siehe unten, warum), versuchte ich mein Interesse am Leben zu erhalten, indem ich vom Schluss her weitergelesen habe; ja, das hat geholfen. Dieses letzte Kapitel, eine Koproduktion zusammen mit Prinz Chaos II. vom September 2013 (damals als freies eBook), ist ein engagierter Aufruf für eine Revolte eingebettet und motiviert durch eine Zusammenstellung sehr vieler Schwachstellen, Kritikpunkte und Defizite an der aktuellen Gesellschaft, lokal wie global. Dieses Kapitel ist engagiert geschrieben, bietet viele reale und kratzende Fakten, und gibt sogar Hinweise für Lösungsansätze. (vgl. SS. 231 – 278) Mit diesem inspirierenden Kapitel im Rücken habe ich versucht, von hinten rückwärts bis in die Mitte vorzudringen (so, wie man ja Tunnel von den beiden Endpunkten aus anfängt, um sich dann in der Mitte zu treffen …). Ja, ich kam bis zur Mitte. Allerdings verfestigte sich bei mir der Eindruck, dass das Buch als Ganzes keine wirkliche Struktur hat, trotz Inhaltsverzeichnis. Zum Vergleich: möglicherweise nicht ganz fair, aber mein ‚zweites‘ Buch im Gepäck, das oben erwähnte, von Bergmeier, habe ich dann quasi in einem Rutsch gelesen. Die erste Hälfte an jenem Abend in der weitgehend menschenleeren Hotelhalle in Oulu (Finnland, ca. -10C, starker Schneefall), den zweiten Teil am nächsten Tag in der Wartehalle des Flughafens Helsinki, während die anderen sich in der Stadt herumtrieben. Ich konnte nicht aufhören.

EINE BRODELNDE AMORPHE MASSE

Schaut man sich die Kapiteln einzeln an, so haben sie alle spannende Überschriften und meistens auch interessante Aspekte, Fakten, anregende Gedanken, z.T. sehr Persönliches. Aber diese viele – für sich wunderbaren – Dinge sind in einer Weise angeordnet, dass es – für mich – schwer ist, darin irgendeine Struktur, irgendeine mitreißende Bewegung zu erkennen. Dazu kommt, dass die fehlende Struktur zu vielen Wiederholungen von Themen führt. So kommt praktisch in jedem Kapitel irgendetwas Persönliches, autobiographisches von Konstantin Wecker vor, aber immer nur häppchenweise. Oder immer wieder etwas über die Gesellschaft, oder die Spiritualität, aber nicht zusammenhängend, nicht in einer Struktur,… Vielleicht liegt dies auch daran, dass – wie Roland Rottenfusser im Nachwort durchscheinen lässt –, dieses Buch nicht als Einheit von Konstantin Wecker geschrieben wurde, sondern – so verstehe ich den Text – es sehr viele Textfragmente, Lieder und Gedichte von Konstantin Wecker gab, die dann zu diesem Buch von Roland Rottenfusser ‚zusammengestellt‘ wurden. Die aktuelle ‚verstreute‘, ‚mosaikhafte‘ Anordnung der Inhalte nimmt dem Buch viel von seiner Wirkung, die es haben könnte, wären die Themen besser strukturiert und besser kontextualisiert.

DER MENSCH WECKER

Da meine Kenntnis von Konstantin Wecker zu Beginn der Lektüre in nahezu Nichts bestand, nur diese vage Erinnerung an meine damalige Aufregung als junger Realmönch über den jungen Real-Wecker (ohne irgendwelche Details der Erinnerung), war eigentlich jeder Satz, jede Bemerkung, die Wecker in seinem Buch über sich selbst schreibt neu und interessant. Seine Einzelsohn-Mutterbeziehung; die zwiespältige Beziehung zum Vater; das Introvertiertsein mit wenigen Freunden; sein Hang zum Auftritt; seine Diebstahlkarriere; Strassenkreuzer; Umgang mit Zuhältern; teure Klamotten zum Auffallen; dem Hang, andere zu verletzen; sein Drogenproblem … Dinge, die man nicht unbedingt schreiben müsste, aber er schreibt sie. Man kann dies als Ehrlichkeit auslegen, als Wahrhaftigkeit. Für den Leser bleibt es ambivalent; wie ist der wirkliche Konstantin Wecker? Ist er eher weiterhin der sehr Selbstbezogene, Eitle, Unempathische, der mit diesen Bekenntnissen doch wieder nur nach Bewunderung heischt (schaut mal, ich war so schlecht; jetzt aber bin ich so gut), oder mittlerweile tatsächlich der Veränderte, Geläuterte, Aufgewachte, Verantwortunsgvolle, der mit all dem anderen Mut machen möchte, die sich aktuell noch ‚verrannt‘ haben und am Beispiel von Konstantin Wecker sehen können, dass es andere Wege gibt, dass eine andere Zukunft möglich ist?

SPIRITUALITÄT

Von den vielen Themen, die Konstantin Wecker in seinem Buch anspricht, sticht eines sicher besonders hervor, da es im Kontext von Welt, Politik, Revolution eher selten zu finden ist: das Thema ‚Spiritualität‘. Seine Einstieg in die Spiritualität scheint – nach seinen Worten – sein Gefängnisaufenthalt aufgrund seines Drogenkonsums gewesen zu sein und das ganze ‚Drum Herum‘ um dieses Ereignis. Die Erfahrung, ‚dies alles nicht mehr zu brauchen‘, kann Frieden schaffen, Kraft geben, in sich selbst. (vgl. S.110) An anderen Stellen spricht der davon, dass Revolution im Innern beginnen muss. (z.B. S.174) Dass er auch keinen Gegensatz sieht zwischen Spiritualität und der Natur, dem Denken, der Politik. (z.B. SS.194ff) Man muss das Selbst zulassen. Und auch die Kunst ist für ihn ‚Mystisch‘, stellt sich für ihn dar als eine Vereinigung von ‚Quelle‘ und Inspiriertem. (vgl. 200f) Institutionalisierte Religionen erscheinen Wecker wenig hilfreich. Es ist vornehmlich die Stille in der man zu sich finden kann; Lärm und Getöse lenken ab. Wie gut, dass man ein Haus in der Einöde der Toskana hat. (vgl. 201f) Die Essenz der Mystik findet sich im Moment der Einheit, des Wissens um die Verbundenheit. (vgl. 203,205) Eine Spiritualität braucht aber auch die Tat, die aus der Freiheit von Angst entstehen kann. (vgl. 206) Dies sind einige der Gedankensplitter zum Thema Spiritualität, die sich im Buch finden, verstreut über verschiedene Kapitel und in variierenden Kontexten. Es gibt viel mehr Stellen. Man kann den Eindruck bekommen, dass real erlebte und praktizierte Spiritualität für Konstantin Wecker sehr wichtig ist; er vermittelt auch den Eindruck, dass er einerseits ’scheu‘ ist, darüber im Detail zu reden, um nicht seine Subjektivität zum Maßstab für andere zu machen, dass er aber doch von der Realität und Kraft der spirituellen Erfahrung so überzeugt ist, dass er sie mit vielem (allem?) in seinem Leben in Beziehung setzt. Allerdings wird es nicht so konkret, dass man daraus ‚Handlungsanregungen‘ für den eigenen Alltag ableiten könnte.

KUNST ALS INSPIRATION

Wahre Kunst sieht er (siehe oben) letztlich auch im Mystischen verwurzelt, dort, wo die Einheit zwischen der ‚Quelle‘ und dem Künstler real wird. In diesem Sinne sieht er sich als Künstler, in dem sich Klänge und Worte so formen, dass sie es ihm ermöglichen, mit seinem Publikum in einen Energieaustausch zu treten aufgrund der inneren Einheit, die zwischen Hörendem und Produzierendem entsteht. (vgl. S.200f)

EINIGE ANMERKUNGEN

SPITZE DES EISBERGS

Diese wenigen Worte zuvor erschöpfen die Vielzahl der Ideen und Inhalte nicht, die der Text des Buches bietet. Es ist letztlich nur die eigene Lektüre, die den Eindruck vermittelt, den jeder – meist ganz anders als die anderen – dann bei seiner Lektüre bekommen kann.

ERMUTIGEND

Überwiegend empfand ich es als anregend, ermutigend, als positiv mit welcher Konkretheit und Klarheit Konstantin Wecker gesellschaftliche Missstände anprangert, wie offen er über viele seiner Empfindungen und Gedanken spricht. Auch das klare Ja zu einer Spiritualität ist nicht selbstverständlich, erst recht nicht in der un-esoterischen Art in der er einen Einklang von Wissen (Wissenschaft) und Gefühl sieht und fordert, auch die klare Einheit von Spiritualität und Tat.

KIRCHENKRITIK

Letztlich kann ich es von meiner Seite auch nur unterstreichen, dass wir bei aller Kritik an den institutionalisierten Religionen mit dieser Kritik nicht zugleich das opfern, was uns alle, jeden einzeln, zentral ausmacht, unsere eigene Subjektivität, unser Selbst, unser Bewusstsein als authentischem Raum von Wirklichkeitserfahrung, als der einzigen Quelle von Wahrheit und Sinn, die es auf diesem Planeten gibt. Jenseits des biologischen Lebens gibt es zwar ein real existierendes Universum, aber ‚Erfahrung‘ dieses Universums, ein ‚Bild‘ von diesem Universum existiert nur in den biologischen Lebensformen (bislang), und hier am weitesten entwickelt im homo sapiens, also bei uns. Wenn wir uns selbst in dieser uns ‚durch das Leben zugewiesenen‘ Aufgabe nicht wahr- und ernstnehmen, dann sägen wir quasi den Ast ab, auf dem wir sitzen. Aus der Ablehnung gewisser Deutungen, die sich ‚religiös‘ nennen oder ‚theologisch‘, folgt nicht zugleich auch notwendigerweise, dass die grundsätzliche Frage nach einem gemeinsamen Urgrund, einem gemeinsamen Zusammenhang, nach einem alles durchdringenden Sinn automatisch erledigt sei.

SÄKULARE SPIRITUALITÄT

Die modernen demokratischen Gesellschaften tun sich allerdings schwer, ‚post-institutionell-religiös‘ ein neues Selbstbewusstsein, eine neue post-religiöse Spiritualität zu entwickeln, die das ‚Innere der Dinge‘, das ‚Innere von jedem‘ so zur Erfahrung bringt, dass jeder einzelne in seinem Alltag daraus Kraft ziehen kann. Die ‚Angstfreiheit‘, die Konstantin Wecker treffend notiert, ist die Voraussetzung für jene Gestaltung unserer Welt, die dann vielleicht ‚zukunftsfähig‘ ist. Allerdings, das lernen uns die SelbstmordatentäterInnen der Gegenwart, die Angstfreiheit an sich kann zerstörerisch wirken, wenn sie nicht gepaart ist mit einer grundsätzlichen Wertschätzung anderer Menschen und nicht mit einem hinreichen Wissen um die Welt wie sie ist, wie sie sein könnte, und wie wir sie gemeinsam gestalten möchten. Der ungeheure kulturelle Höhenflug der arabisch-islamischen Kultur in der Zeit 700 – 1400 war nicht primär begründet im Islam als solchen, sondern in der Tatsache, dass die damaligen arabisch-islamischen Herrscher ein außergewöhnlich positives Verhältnis zu einem umfassenden Wissen aus allen Kulturen und allen Sprachen hatten, eine Aufgeschlossenheit für Handwerk, Technik, Handel, Infrastrukturen, Gesundheit, und zu einer umfassenden Toleranz gegenüber Menschen mit anderen Glaubens- und Weltanschauungen. Dies führte zu einem umfassenden Wohlstand für alle (!), zu Frieden, zur beständigen Weiterentwicklung aller gesellschaftlicher Bereiche. Daneben ein 500 Jahre andauernder Verfallsprozess in den westlichen europäischen Ländern, tiefste Finsternis und Unwissenheit durch Fanatismus, durch Ablehnung von Wissen, durch Verweigerung eines allgemeinen Staates für das Wohlergehen für alle.

JEDER IST AUTHENTISCH

Es ist nicht das Label ‚Religion‘ oder ‚religiös‘, das Wahrheit und Wohlergehen für alle befördert, sondern nur die Wahrheit und das Leben selbst. Jeder von uns ist authentischer Teil dieses Lebens, und nur wenn wir uns als einzelne und zusammen darin wahrnehmen, uns ernst nehmen, uns das Leben unvoreingenommen anschauen, es verstehen und gemeinsame gestalten, nur dann kann Leben stattfinden und sich zukunftsfähig entwickeln. Für mich liegt Konstantin Wecker auf dieser Linie. Deswegen empfinde ich sein Buch – trotz seiner chaotischen Struktur – positiv stimulierend.

KRITIK AN WECKERS MUSIK-KUNST-AUFFASSUNG

Mit seiner Auffassung von Kunst und seinen Liedtexten kann ich nicht viel anfangen. Das muss ja auch nicht sein. Allerdings finde ich, dass er in Sachen ‚Klängen und ‚Texten‘ dann auch ‚toleranter‘ sein sollte als er rüberkommt. Genauso, wie es eine institutionalisierte Form von Religiosität gibt gibt es auch institutionalisierte Formen von Kunst im allgemeinen und bildende Kunst und Musik im Besonderen. Allein schon die Geschichte und auch die Kulturvergleiche zeigen, wie unterschiedlich Menschen Klänge erlebt haben, gestalten und nutzen. Und ich empfinde das ‚Überschreiten‘ von bekannten Formen – selbst wenn es zu Beginn vielleicht wenig ‚Sinn‘ zu machen scheint –, auch als eine Form von Kunst, eine ‚Arbeit des sich Befreiens‘, ein ‚Wagnis von Neuem, Unbekannten‘. Es verlangt nicht nur Mut, sich für eine Demonstration auf die Straße zu stellen oder in einer Wissenschafts-Community eine neue These aufzustellen, sondern es verlangt auch Mut, in der Musik neue Muster auszuprobieren. Der etablierte Musikbetrieb mit seinen fixierten Orchestern bietet sicher höchstentwickelte ‚Handfertigkeiten‘ im Bedienen der Instrumente und im Abspielen von Noten. Diese ‚Handfertigkeiten‘ können nur wenige über viele Jahrzehnte erlernen. Was ist aber mit der ‚Musik für alle‘? Ist der ’normale‘ Mensch ein musikalischer Bürger dritter Klasse wie im westlich-christlichen Mittelalter, in dem Menschen jenseits von Adel und Kleriker letztlich keine Menschen waren; sie mussten nicht lesen und schreiben können. Spricht man den ’normalen‘ Menschen das Recht auf Musikerleben durch selber Musikmachen ab? Ist nur das Musik, was einige wenige sich ausdenken und dann massiv über kontrollierte Kanäle täglich immer wieder neu spielen. Hier würde mir bei Konstantin Wecker ein bisschen weniger Kunstpathos besser gefallen, gerade auch wenn man die Spiritualität ernst nimmt, die er propagiert. Die jungen Leute heute begreifen dies immer mehr, und wenn man sieht, was jeden Tag hier auf vielen Webplattformen an Musik aufpoppt, das ist schon grandios, zumindest schon mal als ‚Lebenszeichen vieler suchender Seelen‘; vielleicht gibt es auch so etwas wie eine ‚Underground-Spiritualität‘, sie ist da, aber keiner redet davon ….

Hier zwei (authentische) Klangexperimente auf der Suche nach Klängen, in einer finnischen Blockhütte, umgeben von Schnee, zusammen mit anderen, nur mit einem Laptop (unromantisch?), dennoch unterwegs ‚im Klang‘:

  1. Klangexperiment 1

  2. Klangexperiment 2

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

PS: Seit einiger Zeit habe ich ein Twitter-Konto aktiviert; cagentArtist auf Twitter… Name leider nicht ganz exakt, da der Autor von cognitiveagent.org das Pseudonym ‚cagent‘ hat und ‚cagentArtist‘ ist das Pseudonym des Künstlers von cagentartist.net …. Die Netzwelt ist kompliziert ….

DIE GROSSE VEREINIGUNG: Philosophie, Wissenschaft, Kunst und Religion?

1. Nachdem in den letzten Wochen — zumindest gedanklich — die ‚Vereinigung‘ von getrennten Bereichen fortgesetzt wurde (Seit Januar 2012 Philosophie und Wissenschaft, seit Februar 2013 Philosophie, Wissenschaft und Theologie/ Religion), blieb die Frage nach der Rolle der Kunst bislang außen vor.
2. Dies gründet nicht darin, dass ich selbst etwas gegen Kunst hätte — partiell war und bin ich selbst künstlerisch engagiert –, aber auch mir geht es so wie vielen (den meisten?) heute, dass diese Bereiche in unser Gesellschaft akribisch getrennt werden. In den Schulen, insbesondere den Hochschulen des Landes, sind diese Bereiche voneinander abgeschottet. In den großen Zeitungen sind die Redaktionen ebenfalls säuberlich getrennt: hier die Wissenschaften, hier das Feuilleton als Sammelstelle für Alles, was nicht Wissenschaft ist, ausgenommen Politik und Wirtschaft.
3. Und da wir uns im Normalfall eher innerhalb der vorgebahnten gesellschaftlichen Rollen und Leitplanken bewegen, praktizieren wir ein gedankliches Schisma, das — zumindest Europa und die davon beeinflussten anderen Länder — seit Jahrhunderten besteht.
4. Nun geht es nicht unbedingt um eine ‚Gleichmacherei‘, als ob Kunst gleich Wissenschaft sei oder umgekehrt, aber zumindest um die Frage der ‚inneren Beziehung‘ zwischen Philosophie, Wissenschaft, Kunst und Religion.
5. Für eine solche Fragestellung gibt es viele Gründe: Trotz vieler wissenschaftlicher Disziplinen, vieler unterschiedlicher Künste, leben wir in EINER Welt, in der dies alles ‚gleichzeitig‘ passiert, als reales Geschehen. Also sind es ‚genuine Phänomene‘ dieser einen Welt, die etwas, über die Eigenschaften dieser Welt sagen. Ferner ist es EINE spezifische Gattung, der homo sapiens sapiens, der all diese Verhaltensweise aufweist, manifestiert. Trotz aller Unterschiedlichkeit entspringen alle diese verschiedenen Phänomene einer Quelle und illustrieren je auf ihre Weise Eigenschaften dieser einen Quelle.
6. Eine Abschottung dieser verschiedenen Phänomene voneinander wäre radikal ‚unphilosophisch‘, würde dies doch bedeuten, dass man das, was die Grundlage allen Erkennens bildet, Phänomene als Teil des Erlebensraumes, ‚verdrängen‘, ‚verleugnen‘ würde. Das kann nicht angehen. Philosophisch haben wir keine ‚Metaregel‘, die es uns erlauben würde, beliebige Phänomene zu ‚Un-Phänomenen‘ zu erklären. Das oberste philosophisches Prinzip lautet, JEDES Phänomen zunächst mal als Phänomen zu akzeptieren. Wie man dieses dann später ‚interpretiert‘, ist eine nachgeordnete Frage, verlangt jedoch — zumindest im philosophischen Denken — maximale ‚Transparenz‘.
7. Die Hauptaufgabe der Philosophie angesichts der Vielfalt der Phänomene ist also die ‚Wahrung der Vielfalt‘ mit allen verfügbaren denkerischen Mitteln.
8. Die empirischen Wissenschaften haben sich in den Jahrhunderten seit ihrer Profilierung (kein einzelnes Anfangsdatum; schleichender gesellschaftlicher Prozess) dadurch ausgezeichnet, dass sie in Kombination von ‚empirischen Messverfahren‘ und ‚mathematischer Modellierung‘ TEILBEREICHE der Phänomenwelt untersucht haben. Ihre Ergebnisse sind zweilfellos atemberaubend. Dennoch sollte man vor lauter Begeisterung nicht den Blick dafür verlieren, dass es eben TEILBEREICHE des Phänomenraumes sind, d.h. dass diese Untersuchungen nur möglich waren, weil man ‚methodisch bewusst‘ viele andere Phänomene ‚ausgeklammert‘ hat, da sie mit empirischen Mitteln nicht untersuchbar waren. Zugleich hat die empirische Wissenschaft im Laufe der Jahrhunderte deutliche ‚gedankliche Entwicklungen‘ erlebt: mathematische Modelle wurden laufend verändert, verfeinert, bisweilen durch völlig neue Paradigmen ‚ersetzt‘ (z.B. klassische Physik a la Newton und Quantenphysik).
9. Es scheint so zu sein, dass die ‚Ausklammerung‘ der nicht empirisch messbaren Phänomene — mangels hinreichender philosophischer Reflexion ?! — bei vielen Akteuren zu dem Eindruck geführt hat, dass die REDUIZIERTEN (nicht ‚reduktionistisch‘!) empirischen Theorien eigentlich schon ‚Alles‘ abdecken, was sie natürlich nicht tun, da sie ja einen Großteil der Phänomene schlichtweg ausklammern. Sachlich gesehen ist dies kein Problem, aber psychologisch und machtpolitisch ist es natürlich ‚angenehmer‘, eine gesellschaftlich ’starke‘ Position zu haben als eine ’schwache‘ (z.B. die geisteswissenschaftlichen Disziplinen als ‚Sorgenkinder‘ der zunehmend ökonomisierten Universitäten). Eine Aufrechterhaltung des empirischen Interpretationsmonopols ist also weniger philosophisch-rational begründet als vielmehr psychologisch, soziologisch usw.
10. Dies so sachlich zu diagnostizieren, ist eine Sache. Eine andere Frage ist, wie man sich denn ein weniger abgrenzendes, sondern eher ein konstruktives Verhältnis zwischen empirischen Wissenschaften und den Künsten vorstellen soll? (Also Geisteswissenschaften erweitert um Kunst!)
11. Ein Verständnis der Künste könnte der kreativ-spielerische Umgang mit der ganzen Bandbreite der Phänomene sein ohne die methodisch induzierten Grenzen durch die empirischen Messverfahren. Dies würde sowohl neue Phänomene wie auch neue, implizite Zusammenhänge in diesen Phänomenen sichtbar machen, die für das, was wir als homo sapiens sapiens in dieser Welt sind/ sein können, wesentlich sind. Denn wir ‚kennen‘ uns nur ‚im Vollzug‘. Wer wir ’sind‘ bzw. wer wir ’sein können‘ zeigt sich nur im ‚praktischen Ausloten‘ der Möglichkeiten. Die methodisch induzierten Grenzen der Phänomenselektion der empirischen Wissenschaften sind im Grundsatz zu eng und — falsch verstanden — ideologisch gefährlich. Genauso wenig wie wir philosophisch auftretende Phänomene einfach ‚beiseite schieben‘ können, genauso wenig dürfen wir von vornherein bestimmte Verhaltensweisen einfach — ohne sehr harte Gründe — verbieten, da nur so überhaupt die Phänomene sichtbar werden können, die uns zu neuen, erweiterten Erkenntnissen führen können.
12. Dass bestimmte Phänomenproduktionen wie z.B. bestimmte Formen von ‚Musik‘ oder bestimmte ‚Bilder‘, in Menschen ‚angenehme Gefühle‘ anregen können, dürfte nicht das primäre und nicht das einzige Interesse in der Phänomenproduktion sein. Sonst würde durch solche spezielle Gefühle der gleiche selektierende Isolationseffekt entstehen, wie durch die methodisch induzierten Eingrenzungen der empirischen Wissenschaften (Die Geschichte ist voll von ‚Moden‘ und ‚Trends‘, die sich gewandelt haben und die sich selbst wechselseitig außer Kraft gesetzt haben. Die Rolle und Bedeutung von ‚Gefühlen‘ bei der Bewertung von Wirklichkeit wäre eine eigene Reflexion wert).
13. Die Auslotung des Möglichen im Rahmen einer kreativ-spielerischen Kunst könnte also die Grundlage für ein vertieftes Verständnis dessen sein, was/ wer/ wie wir sind. Zugleich würde eine solche prinzipiell unbegrenzte Phänomenproduktion aber nur dann zu einem ‚gesellschaftlich wirksamen Sinn‘ führen, wenn diese Phänomene ‚angemessen‘ kommuniziert würden bzw. wenn evtl. möglichst viele ähnliche Phänomenproduktionen vollziehen würden, da diese dann als ‚Teile von ihnen selbst‘ sie unmittelbar betreffen und prägen. Es ist zu fragen, ob die heute beobachtbare ‚Spezialisierung und Professionalisierung‘ von künstlerischer Phänomenproduktion nicht eher ein hochgezüchtetes Randphänomen von künstlerischer Aktivität ist, die nah dran ist an bloßer ‚Gefälligkeit‘ und Stereotypisierung und genau den kreativ-spielerischen Charakter verliert. Von gesellschaftlicher ‚Rezeption‘ kann bei dem heutigen hochspezialisierten organisierten Kunstbetrieb kaum gesprochen werden (Welche verschwindende Minderheit von Spezialisten liest Feuilletons?).
14. Dies ist ein weites Feld und kann hier jetzt nicht angemessen behandelt werden. Es geht nur darum, einen ersten Orientierungspfosten zu setzen, um anzudeuten, dass eine stärkere Interaktion von Kunst einerseits und Philosophie und Wissenschaft andererseits auch entsprechende gesellschaftliche Formen und Kommunikationsprozesse erfordert.
15. Die notwendige kommunikative Aufarbeitung neuer — künstlerisch hervorgebrachter — Phänomene muss sicherlich auf vielen Ebenen vollzogen werden. Für den methodischen Gesamtzusammenhang ist die Philosophie zuständig. Für die Erweiterung der wissenschaftlichen Untersuchungen ist die Wissenschaft selbst in enger Kooperation mit der Philosophie zuständig (z.B. auch in der Form der ‚Wissenschaftstheorie‘).
16. Letzteres kann aber nur funktionieren, wenn der Wissenschafts- und Philosophiebetrieb eine kontinuierliche Reflexion pflegen, die diese Fragen als ’normale Fragen‘ in der Routinepraxis ‚pflegen‘. Davon sind wir weit, weit entfernt. Das geschichtlich gewachsene Schisma ist tief verankert in den Köpfen aller Beteiligten und die — ungerechtfertigt unterstellte? — Eitelkeit in den Köpfen der Wissenschafts und/ oder Feuilleton-Redaktionen der Medien tut ihr Ihriges, um dieses Schisma täglich am Leben zu erhalten. Das gelegentlich immer wieder aufflammende Wehklagen der einen über diesen unseligen Zustand oder die abwertenden Bemerkungen der anderen helfen hier nicht weiter.
17. In einem internationalen Projekt, das ich in diesen Monaten zu starten versuche (lange Vorläufe in den letzten Jahren) versuchen wir ein radikal technologisches Experiment direkt mit Kunst und Philosophie zu verknüpfen. Sowohl ‚Reengineering von Goethe‘ wie auch ‚Goethefizierung von künstlicher Intelligenz‘ als platte Formeln, um etwas Komplexes anzudeuten.
18. Wie schon in vorausgehenden Blogeinträgen besprochen, führen die ‚emergenten‘ Phänomene die heutigen empirischen Wissenschaften an die Grenzen ihrer aktuellen Methoden und Modellen. In einer Metareflexion kann man erkennen, dass die empirischen Wissenschaften die Auflösungen der methodischen Aporien nur nur Erweiterung ihrer Modellbildungen durch Einbeziehung höherer Komplexitätsstufen auflösen kann. Diese können aber genau von jenen Disziplinen eingebracht werden, die sich mit ‚Handlung‘, ‚Sprache‘, ‚Bewusstsein‘, ‚Wissen‘, ‚Gefühlen‘, ‚Kunst‘ usw. beschäftigen. Diese ‚Zwitter-Disziplinen‘ — teils empirisch, prinzipiell mathematisch — können Brücken bauen zwischen den verschiedenen bislang schismatisch aufgesplitterten Phänomenmengen. Zwitter-Disziplinen haben kein Problem mit Kunst bzw. künstlerischen Phänomenen.
19. In diesem weit aufgespannten Raum von Philosophie (Kampf für alle Phänomene), empirisches Wissenschaft (Präzisierung des empirisch Messbaren), Zwitter-Disziplinen (Integration der empirischen und nicht-empirischen Phänomene) sowie Kunst (kreativ-spielerische Auslotung des Phänomenraumes) ist prinzipiell Raum für Religion, eigentlich mehr denn je. Ich verstehe unter Religion eine menschliche Haltung dahingehend, dass ein religiöser Mensch die Vielfalt des Phänomenraumes nicht nur als ‚unbeteiligter Zuschauer‘ sieht, sondern sich als ‚Teil des Ganzen‘ begreift. Dadurch verlieren die Phänomene ihren neutralen Status: sie werden zu möglichen ‚Zeichen‘ einer ‚impliziten Bedeutung‘, die sich in der Interaktion mit der Welt ‚zeigen kann‘. Dies verlangt allerdings einen ‚bewussten‘ Umgang mit der Welt als einer Welt, die einem ’nicht egal‘ ist. Alle religiös-mystischen Traditionen, die ich kenne, sind in diesem Punkt kompatibel. Die Gesamtheit des Wissens, wie es sich in Philosophie, Wissenschaften und Kunst erschließt, ist für eine so verstandene Religiosität kein Gegensatz, sondern ganz im Gegenteil ‚Ermöglichungsgrund‘ eines verantworteten Umgangs mit der Welt. Die ‚geistigen Besonderheiten‘, die viele offizielle Religionsgemeinschaften im Laufe ihrer Geschichte produziert haben, wirken vor diesem Hintergrund befremdlich und eher religionsfeindlich (eine leicht paradoxe Formulierung).

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Themen findet sich HIER

Kunst als eigene Aktivität

Ich habe vor einigen Jahren, angeregt durch philosophische Reflexionen, begonnen, eigene ‚Kunstexperimente‘ zu realisieren. Ein Bereich ist die experimentelle Musik nach dem Konzept der ‚radically unplugged music (RUM)‘. Dazu habe ich mittlerweile mehr als 400 Musikstücke generiert. ‚Radically Unplugged‘ heisst, dass man nicht nach Noten spielt, das man vorher nicht probt, dass keine Stimme weiss was die andere als nächstes tun wird. Dadurch ist es möglich, dass Personen sich am Experiment beteiligen, die als ‚unmusikalisch‘ gelten, die keine Noten lesen können, ja, die nicht einmal ein Instrument spielen können. Hier ein Stück, das ich gestern ‚produziert‘ habe: ‚Coming To An End‘

Hinweis: Wer sich dieses Klangexperiment anhören möchte, sollte unbedingt darauf achten, über eine sehr gute Soundkarte und einen sehr guten Kopfhörer zu verfügen (noch besser eine Soundanlage mit guten Boxen), andernfalls sind viele Klanganteile nur sehr schlecht oder garnicht hörbar!