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CARTESIANISCHE MEDITATIONEN III, Teil 5

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 18.Dezember 2011
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Autor: Gerd Doeben-Henisch
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ÄNDERUNGEN: Letzte Änderungen Di, 20.Dez.2011, vor 10:15h

(73) Während der Diskurs von CM3 darauf hinaus zu laufen scheint, den Geltungsbereich des transzendentalen ego eher zu ‚beschränken‘, erweckt der Schlußteil von CM2 eher den Eindruck, die Geltung des transzendentalen ego durch Aufspüren von transzendental relevanten Strukturen in Form von Typen, von objektunabhängigen Strukturen zu ‚erweitern‘.

(74) Zu dieser Hypothese passt die Feststellung Husserls, dass der eigentliche Inhalt der Phänomenologie ein ‚ungeheures eingeborenes Apriori‘ sei, das auf ‚Wesenstypen‘ beruht (vgl. CM2,S28,Z5ff). Diese transzendentalen, das ego prägenden, Strukturen nennt er zuvor schon mehrfach  ‚egologische Strukturen‘ (vgl. CM2,S27,Z34). Interessant ist in diesem Kontext auch seine Unterscheidung  zwischen passiver und aktiver Genese. (vgl. CM2,S30)  Denn hier erkennt er implizit an, dass es Erscheinungen gibt, an denen das ego nicht aktiv beteiligt zu sein scheint, wie es das Phänomen  des ‚Verharrens von Überzeugungen anzeigt. Nach unserer Interpretation ist dieses ‚Verharren‘ eine Form des ‚Erinnerns auf Basis des erinnerungsfähigen Unbewusstseins, das dem Zugriff des ego entzogen ist. Das ego kann ‚zuschauen‘. Husserl will es offensichtlich dem ‚ego‘ zuschlagen.
(75) Ergänzend zur passiven Genesis identifiziert Husserl eine ‚höherstufige Genesis‘, durch die mittels  ‚Ich-Akte Geltungsgebilde erwachsen und in eins damit das zentrale Ich spezifische Ich-Eigenheiten … annimmt‘.  (vgl. CM2, S.29, Z23-27) Diese Formulierung erweckt den Eindruck, als ob das Ich ‚aktiv‘ sein kann und mittels konkreter ‚Akte‘ (man assoziiert unfreiwillig den  Körper (=Ich), der mittels der Körperglieder Handlungen (=Akte) vornimmt) den Strom der Ereignisse verändert. Hier stellen sich viele Fragen. Eine betrifft den Begriff des ‚Ich‘, andere die Vorstellungen der ‚Ich-Aktionen‘.
(76) Bislang wurde unterschieden zwischen dem transzendentalen ego als dem transzendentalen Ich und dem ego als konkreter Monade, dem personalen Ich. Diese Aufspaltung resultierte bei Husserl aus der Einbeziehung der allgemeinen Typen mit ihren veränderlichen Objektvielfalten in die ‚Sphäre‘ des transzendentalen ego. Wie zuvor reflektiert, sollte man all jene Momente, die zu ihrem Sein die Erinnerung und über die Erinnerung das Unbewusste einbeziehen, aus der ‚Leistung‘ der transzendentalen Synthese ausklammern, da diese dem transzendentalen ego ‚vorgegeben‘ sind, ohne dass es darauf wirklich Einfluss nehmen kann. Da sich in diesem Anteil des Bewusstseins auch viele Formen (Typen, Wesen) zeigen (die meisten, alle?) finden, kann man die Frage stellen, wie denn diese sich zum transzendentalen ego verhalten. Wie oben schon ausgeführt, sind diese Phänomene so grundverschieden vom transzendentalen ego, dass es aus Sicht dieser Kommentierung keinen Sinn macht, sie dem transzendentalen ego in irgend einer Weise zuzurechnen. Dass all diese konkreten (und allgemeinen) Phänomene mit dem transzendentalen ego ‚korrelieren‘ erscheint nicht als hinreichender Grund, sie ‚in eins‘ zu setzen. Die Einführung des Terminus ‚Ich‘ sowohl für das transzendentale ego wie für die Gesamtheit der Erscheinungen innerhalb der transzendentalen Synthese ist vor diesem Hintergrund verständlich‘, aber sachlich möglicherweise irreführend. Wie oben schon ausgeführt wird das ‚psychologische Ich‘ zwar meistens über die konkreten Phänomene in der Einheit der Synthese eingeführt, quasi als ‚Klammer‘ für all dieses, aber dieser ‚Sammelbegriff‘ ‚personales Ich‘ ist in diesem Kontext nur ein ‚Mengenbegriff‘ für eine Vielzahl von unterschiedlichen Phänomenen, die durch diese Etikettierung nicht wirklich erklärt werden; eher wird damit ein tiefer gehendes Verständnis des tatsächlichen Geschehens verhindert. Eine Formulierung wie ‚Erst durch die Philosophie der Genesis wird das ego als unendlicher Zusammenhang von synthetisch zusammengehörigen Leistungen verständlich, und zwar von konstitutiven…‘ (CM2, S29, Z28-31) legt diese Sicht einer ‚Klammer‘ weiter nahe.

(77) Durch die Etikettierung von transzendentalem ego und konkreter Monade jeweils als Ich (transzendental und personal) wird aber nicht nur die wesenhafte Unterschiedlichkeit verdeckt, sondern mit der Annahme einer ‚aktiven Genesis‘ wird der Eindruck erweckt, als ob dieses ‚Ich‘ sowohl passiv hinnehmen als auch aktiv  handeln kann. Während das transzendentale ego selbst primär als die Struktur des Wissens um das intentionale Wissen (= Selbstbewusstsein, Selbstreflexion)  erscheint, innerhalb dessen all das ‚vorkommt‘, was vorkommt, so ist der Bereich möglicher Aktivitäten beschränkt auf den Strom der Ereignisse, die sich als veränderliche Vielfalt ‚zeigen‘. Diese hat mit dem transzendentalen ego als der allgemeinen Struktur des überhaupt Vorkommens nichts zu tun. Diese veränderliche Vielfalt ereignet sich unter Voraussetzung dieser allgemeinen Struktur ‚innerhalb‘ dieser. In diesem Kontext den Begriff einer ‚Aktion‘ zu definieren induziert Fragen.  Zunächst ist in keiner Weise klar, was man sich überhaupt unter einer Aktion des transzendentalen ego vorstellen kann. Die einzigen Anhaltspunkte für mögliche Aktionen sind die aufscheinenden ‚Veränderungen‘. Die Definition einer transzendentalen Aktion müsste also bei den Veränderungen ansetzen, etwa in dem Sinne, dass man diese Veränderungen auffasst als die ‚Wirkungen‘ der postulierten transzendentalen Aktionen. Beobachtbare Veränderungen sind das ‚Auftreten‘ von etwas und das ‚Verschwinden‘. Auftreten und Verschwinden können nur ‚konkrete Phänomene‘. Anlässlich von konkreten Phänomenen, die auftreten und verschwinden werden zugleich ‚implizite‘ (emergente?) Eigenschaften sichtbar, die ‚allgemeine Eigenschaften‘ betreffen, die über das Konkrete hinausgehen. Da das Auftreten und Verschwinden von konkreten Phänomenen per definitionem nicht dem transzendentalen ego zugerechnet werden können (für das transzendentale ego werden diese einfach ‚passiv‘ sichtbar), bleiben nur die allgemeineren Eigenschaften (Typen,…), die anlässlich der konkreten Eigenschaften aufscheinen. Bleibt also die Frage, ob diese allgemeineren Eigenschaften als ‚Wirkung‘ von einer ‚verborgenen Aktion‘ aufgefasst werden können, deren ‚Verursacher‘ das transzendentale ego ist.

(78) Hält man an dem Verständnis fest, dass das ‚transzendentale ego‘ jene Struktur ist, die sich zeigt, wenn das Bewusstsein sich ’seiner selbst‘ durch die Reflexion ‚bewusst‘ wird, dann ist das transzendentale ego eine Struktur von ‚Bezogenheit‘ von etwas sich Ereignendem als etwas Gewusstem (Etwas als Intendiertem). Diese Struktur von Bezogenheit, dieses Vorkommen als ‚gewusstes Vorkommen‘ ist selbst kein Objekt, es ist eine ‚Beziehung‘, die allerdings ‚qua gewusste Beziehung‘ das darin Vorkommende x in C als ‚Gegenstand‘ hat, der ‚benannt‘ werden könnte. Wenn nun diese ‚bewussten Objekte‘ in der Beziehung eine Doppelnatur von Konkretheit und Allgemeinheit zeigen und man sich fragt, ob das aufscheinende Allgemeine eine ‚Wirkung dieser transzendentalen Struktur‘ sein könnte, und zwar immer wieder und –entsprechend den verschiedenen Typen von Allgemeinheit– unterschiedlich, dann kann man diese Frage streng genommen nur aus dem Vorkommen selbst heraus nicht beantworten. Für das transzendentale ego ‚ereignet‘ sich auch die Allgemeinheit. Die formale Klammer des transzendentalen ego bietet keinerlei ‚Anknüpfungspunkte‘ für irgendwelche ‚Motive‘, ‚Interessen‘ oder was auch immer, was zu einer ‚Aktion‘ im Sinne eines irgendwie gearteten ‚gerichteten Veränderns‘ Anlass bieten könnte. Das transzendentale ego als solches ist wirklich ‚leer‘, wie Husserl es an verschiedenen Stellen selbst formuliert hat. Nur scheint er sich damit nicht zufrieden geben wollen. In dieser Kommentierung wird keinerlei Anknüpfungspunkt dafür gesehen, dass das Auftreten und Verschwinden von allgemeinen Eigenschaften anlässlich des Auftretens und Verschwindens von Konkretem vom transzendentalem ego verursacht sein sollte. Das transzendentale ego wird hier gesehen als die formale Klammer aller Ereignisse als ‚Gewusste‘.

(79) Halten wir also fest: während die Reflexion von CM3 dahin tendiert, die Struktur des transzendentalen ego von der Vielfalt der Erscheinungen ‚innerhalb‘ der transzendentalen Einheit zu ‚trennen‘,  so scheint Husserl dahin zu tendieren, die Vielfalt –zumindest in ihren typischen Strukturen– als eine Leistung dieses transzendentalen ego zu interpretieren. So auch in der Formulierung: ‚Vollziehen wir radikale Selbstbesinnung… jeder für sich auf sein absolutes ego, so sind all das Bildungen der frei-tätigen Ich-Aktivität, eingeordnet in die Stufen der egologischen Konstitutionen [:=  der allgemeine Typen, Formen in den Erscheinungen]…‘. (vgl. CM2, S.30,Z14-19). In dieser seiner Interpretation ‚gewinnt‘ Husserl die ‚logische‘ Möglichkeit, die vielfältigen Beziehungsgeflechte, die im Strom der Ereignisse entstehen, zu großen (wie großen?) Teilen als ‚eigene Sinnesschöpfungen‘ zu interpretieren (vgl. CM2,S29,Z36), um damit –indirekt– den Geltungsanspruch einer transzendentalen Analyse zu erweitern. Wohlgemerkt als ‚logischer Schluss‘ aus diesen seinen speziellen ‚Annahmen‘ aufgrund seiner Weise der Analyse.

(80) Da das, ‚Was‘ in einer Analyse erkannt wird  weitgehend davon abhängt, ‚Wie‘ man analysiert, sollte man sich bei diesen zunehmenden Divergenzen in der Beurteilung nochmals fragen, was denn diese ‚phänomenologische Sicht‘ ist.
(81) Husserl begann seine Kritik an Descartes mit der Einführung der phänomenologischen Reduktion (Epoché). Wie sich im  weiteren Verlaufe zeigte, wurde dieser Aspekt dann erweitert um die generelle intentionale Struktur des Erkennens, durch die Einbeziehung des transzendentalen ego als allgemeinster Klammer allen Erkennens.’Alles, was für mich ist, ist es dank meinem erkennendem Bewusstsein… es ist für mich nur als intentionale Gegenständlichkeit meiner cogitationes…. Wir brauchen dazu keine phänomenologische Reduktion..‘. (vgl. CM2,S.31,Z4-15) Und ‚Alles, was für den Menschen, alles, was für mich ist und gilt, tut das im eigenen Bewusstseinsleben, das in allem Bewußt-haben einer Welt und in allem wissenschaftlichen Leisten bei sich selbst verbleibt. Alle Scheidungen … verlaufen in meiner Bewusstseinsspäre selbst…‘. (vgl. CM2, S31,Z15-21) Diese Formulierungen sind teilweise ‚Metaformulierungen‘ über das reflektierende ego, deren Berechtigungen und Eigenheiten nicht eigentlich von Husserl begründet wurden. Sie zeigen aber rein faktisch, dass das ‚Wissen um sich selbst‘ eine Reflexionsform ist, die in sich selbst keinen Fixpunkt trägt; alles, was gedacht wird, kann ‚als Gedachtes‘ (cogitatum) wiederum ‚weiter reflektiert‘ werden, solange, bis keine Unterscheidungen mehr greifbar werden. D.h. Das ‚Denken als Denken‘ ist jener Beziehungsraum, der für das Denken selbst ein ‚Apriori‘ ist, ‚in dem‘ es sich ‚vorfindet‘ als Denken (als transzendentales ego). Der Terminus ‚Menschen‘, den Husserl benutzt, ist letztlich kein ‚einfaches Gegebenes‘, sondern ein ‚Konstrukt‘ innerhalb des Denkens, das im Prozess des Scheidens und Zusammenfügens jedwede Gegebenheit kombinieren kann. Sofern das Denken in der Konkretheit der Gegebenheiten und deren wahrnehmbaren ‚Veränderungen‘ ’sich zeigt‘, ’sichtbar‘ wird –wie Teilchen in einer Nebelkammer (wobei hier das Denken der Nebel wäre)–, kann es implizit ‚Formen‘ erkennen lassen (Typen…), die der Art des Denkens zueigen sind. Man ist geneigt, diese aufscheinenden ‚Formen‘ ebenfalls der Art des Apriori zuzurechnen, zu dem das Denken selbst gehört; ein Apriori des für das Denken Vorfindlichen. Die aufscheinenden Veränderungen betreffen die Konkretheiten anlässlich des ‚umgebenden Allgemeinen‘. Diese sind dem Denken nicht weniger apriori gegeben wie die Typen oder das Denken selbst, dennoch sind sie ‚anders‘. Wie anders?
(82) Hier kann eine Frage weiter helfen, die Husserl sich selbst stellt, die Frage nach der Objektivität. ‚Dass ich in meinem Bewusstseinsbereich … zu Gewissheiten, ja zu zwingenden Evidenzen komme, das ist verständlich [nicht notwendigerweise!]. Aber wie kann dieses ganz in der Immanenz des Bewusstseinslebens verlaufende Spiel objektive Bedeutung gewinnen?‘ (vgl. CM2,S.31, Z31-36)
(83) Wieder ein Bündel von Annahmen. Zentral ist  die Formulierung ‚objektive Bedeutung‘. Der Terminus ‚Bedeutung‘ ist im Normalfall gebunden an den Kontext von ‚Sprache‘, an die Unterscheidung von ‚Ausdrucksmittel‘ (Sprachlaute, Gesten, Schriftzeichen,….), und dem ‚Anderen‘, das kraft einer ‚gewussten Beziehung‘ zwischen Ausdrucksmittel und dem gewussten Anderen dann der Status einer ‚Bedeutung‘ im Kontext des gewählten Ausdrucksmittels zukommt. Husserl hat sich bislang nicht zu diesen Begriffen bzw. nicht zur Thematik sprachlicher Bedeutung überhaupt geäußert. Ohne diese Vorklärung spricht er jetzt sogar von einer speziell qualifizierten Bedeutung, nämlich von einer ‚objektiven‘ –wohl im vermuteten Gegensatz zu einer ’subjektiven‘– Bedeutung.  Was aber soll dies sein, das ‚Objektive‘? Bislang hat er sich ausschließlich in der Innensicht des Bewusstseins bewegt.  Der Begriff des ‚Objektiven‘ wurde nicht motiviert (genau so wenig wie vorher der Begriff der/des ‚Menschen‘). Wenn nach seinen eigenen Aussagen alles ‚im‘ Bewusstsein ist, wie kann denn überhaupt etwas nicht subjektiv sein, d.h. nicht im Bewusstsein, sondern ‚außerhalb‘ des Bewusstseins? Oder was meint er mit ‚objektiv‘?
(84) An dieser Stelle ist die Frage nach dem ‚Objektiven‘ außerhalb des Bewusstseins nur eine rhetorische Frage von Husserl, um Gelegenheit zu geben, um nochmals umfassender und radikaler  zu sagen, dass jedwede Form von ‚Transzendenz‘ ein ‚immanenter, sich innerhalb des ego konstituierender Seinscharakter ist‘. (vgl. CM2,S32,Z31-33) Verstärkend ‚…ein Außerhalb… ist Unsinn….jeder Unsinn ist ein Modus des Sinnes und hat seine Unsinnigkeit in der Einsehbarkeit‘. (vgl. CM2,S33,Z6f) Oder ‚…damit … wird jede Art Seiendes, reales und ideales, verständlich als eben in dieser Leistung konstituierendes Gebilde der transzendentalen Subjektivität. Diese Art … ist die höchste erdenkliche Form der Rationalität…. ein Idealismus, der nichts weiter ist als in Form systematischer egologischer Wissenschaft konsequent durchgeführte Selbstauslegung.‘ (vgl. CM2, S33, Z19-23, 33-36).

(85) Mit diesen gewaltigen Formulierungen scheint die Frage nach der ‚Objektivität‘ als etwas ‚da draußen‘ vom Tisch zu sein. Doch ist dies nur eine vordergründige Lösung. Die Begriffe ‚objektiv‘, ‚Welt‘, ‚Anderer‘, ‚Mensch‘ usw. gibt es ja. Und dass wir diese Begriffe mit einer Bedeutung von ‚außen‘ verknüpfen ist auch allenthalben feststellbar. Allerdings, mit der Einsicht Husserls, dass letztlich alle Bestimmungen innerhalb des Bewusstseins stattfinden, bedeutet dies, man muss innerhalb (!) des Bewusstsein die Unterscheidung von ‚innen‘ und ‚außen‘ erklären,  als ein ‚Innen‘ und ‚Außen‘ innerhalb des Bewusstseins. Husserl selbst benutzt ja auch den Terminus ‚Transzendenz‘ um damit auf Eigenschaften hinzuweisen, die ‚im‘ Bewusstsein auf ein ‚außerhalb‘ hindeuten.

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CARTESIANISCHE MEDITATIONEN III, Teil 4

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 13.Dezember 2011
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Autor: Gerd Doeben-Henisch
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ÄNDERNGEN: Letzte Änderung 17.Dez.2011 vor 16:35h

(57) Husserl betont ferner wiederholt, dass man nach den ‚möglichen Wegen‘ fragen kann, auf denen ein Gegenstand in einer Kette von Evidenzen als ‚wirklich‘, als ‚Fantasiegebilde‘, oder als ’seiend‘ bzw. ’nicht seiend‘ ausgewiesen werden kann.(vgl. CM2,S23,Z5-10)
(58) Sofern sich der Begriff der ‚Evidenz‘ –wie zuvor analysiert– auf die Selbstgewissheit des denkenden Ich bezieht, das um das Gegebensein von einem cogitatum als cogitatum ‚weiß‘, dann kann man die Aussage über die ‚Kette‘ so interpretieren,  dass die Aufeinanderfolge des jeweils Gegebenseins eines cogitatum im Denken ‚evident gewusst‘ ist. Was auf eine gewisse Tautologie hinausläuft, da ja das ‚evident sein‘ per definitionem mit dem ‚cogitatum selbst‘, sprich: dem ‚Wissen um das cogitatum als cogitatum‘, zusammen fällt. Das eigentliche Problem beginnt nach dieser Feststellung: angenommen wir haben solche eine Aufeinanderfolge (Kette) von jeweils gewussten Gegebenheiten <cog_1, …, cog_n>. Während jedes einzelne gewusste cog_i ein bewusstes x in C ist, ist aber diese cog_i ‚im nächsten Moment‘, wenn cog_i+1 bewusst ist –also ein x in C– nicht mehr bewusst! Das zuvor bewusste cog_i verwandelt sich in ein ‚unbewusstes x* in C*‘, also cog_i in C —> cog_i in C*. Es verschwindet damit aus dem Bewusstsein. Möglicherweise gibt es noch ein explizites Bewusstsein davon, dass das cog_i+1 auf das cog_i ’nachgefolgt ist‘ auf cog_i, die Eigenschaft eines ‚Nachfolgers auf cog_i‘ besitzt –etwa succ(cog_i) = cog_i+1–, doch das cog_i selbst ist nicht mehr bewusst, noch weniger das cog_i-1, usw. Und auch das unterstellte Wissen um das ‚Nachfolgersein‘ dürfte sich auf die Präsenz des cog_i+1 beschränken. Man hätte also im bewussten Wissen ein Zugleich von {succ(cog_i) = cog_i+1, cog_i+1} subset C. Im ‚darauf folgenden Moment‘ etwa {succ(cog_i+1) = cog_i+2, cog_i+2} subset C, usw.
(59) Als ‚wirklich bewusst‘ existiert in dieser Rekonstruktion nicht die ‚Kette‘, sondern nur jeweils ein einzelnes ‚Glied dieser Kette‘ angereichert mit dem Wissen um ein ‚Nachfolger in der Kette sein‘.
(60) Husserls Formulierung ‚…nach den Wegen [:= Kette] in denen er [:= der Gegenstand] konsequent sich als als seiend auswiese, in einstimmiger Kontinuität von Evidenzen erreichbar…‘ (vgl. CM2,S23,Z7-9) legt die Interpretation nahe, dass er davon ausgeht, dass diese einzelnen Evidenzen …{cog_i in C, succ(cog_i-1) = cog_i}, {cog_i+1 in C, succ(cog_i) = cog_i+1}, … eine ‚Kontinuität‘ bilden und deshalb ein cog_n am ‚Ende der Kette‘ quasi als ‚Ergebnis‘ erscheint, als eine Art ‚Produkt‘. Dies ’suggerieren‘ die Formulieren, wenngleich dies nicht explizit behauptet wird. Die nachfolgenden Seiten (vgl. CM2, S.23ff) kreisen alle um diese Thematik.
(61) Husserl benutzt allerdings andere Begriffspaare, um diesen Sachverhalt zu umschreiben: Einmal geht es um das ‚Aktuale (Wirkliche)‘, das dem ‚Potential (dem Möglichen)‘ gegenübersteht, dann ist es das (reine) transzendentale ego, das kontinuierlich ‚für sich‘, seiner selbst gewiss sein kann trotz aller wechselnden Ausprägungen des So-Seins, das dem ‚ego in voller Konkretion‘ gegenübersteht, das er als ‚konkrete Monade‘ bezeichnet. (vgl. CM2, S.26,Z31-35) Und es ist diese Spanne zwischen dem aktual Gewissen –symbolisch hier dargestellt als {…}– für das transzendentale ego in seiner Intentionalität und dem potentiell Möglichen –symbolisch hier dargestellt als —> (…)–, das dem aktual Gegebenen durch die Intentionalität in der Identität des ego zugeordnet werden kann und durch diese Zuordnung den wahren Sinn erschließt; nicht das einzelne Gewusste cog_i in C für sich alleine ergibt den Sinn sondern ‚das endlos offene System möglicher Wahrnehmungen‘.  (vgl. CM2,S.23,Z31 – S.24,Z6). Letzteres kann auf eine Vielzahl von Ketten/ Pfaden hinweisen, die möglicherweise untereinander wie in einem Graphen/ Netzwerk verknüpft sind,
(62)  Nach allem, was Husserl zuvor über transzendentales ego, Selbstgewissheit usw. gesagt hat, gibt es eigentlich keinen direkten Weg vom Aktualem zum Potentialem.  Dass es hier ein Problem geben kann, deuten seine eigenen Fragen zumindest an: ‚Wie kommt das ego dazu, ein solches System [:= möglicher Erfahrungen] als verfügbaren Besitz zu haben, auch wenn keine Erfahrung von ihm aktuell ist? … was bedeutet es für mich, dass Gegenstände für mich sind, was sie sind, ohne dass ich von ihnen weiß und wußte?‘ (vgl. CM2,S.25,Z5-9)
(61) Nach dem zuvor herausgearbeiteten Problem der ‚lokalen‘ Evidenz bezogen auf eine ‚Kette‘ von  bewussten Ereignissen ist bislang nicht zu sehen, wie es zu einer Art ‚Hyper-Evidenz‘ kommen kann, die alle lokalen Evidenzen nicht nur zusammenfasst, sondern dann auch noch die ‚möglichen Evidenzen‘ gleich mit einschließt.
(62) Obwohl Husserl diese Probleme irgendwie bemerkt haben muss (siehe seine zuvor zitierte Fragen), war er offensicht fixiert auf die Idee, dass ‚aller Seinssinn‘ in der ‚unmittelbaren und mittelbaren Intentionalität beschlossen‘ sein muss. (vgl. CM2,S24,Z13-16) Und in diesem Zusammenhang benutzt er den in der Tat ‚verführerischen‘ Begriff der ‚phänomenologischen Konstitution‘. (vgl. CM2,S23,Z30) Tatsächlich gibt es eigentlich keinen Weg vom ‚aktuell‘ Bewusstem zur Gesamtheit von ’schon mal‘ Bewusstem bzw. auch noch zur Gesamtheit von ‚möglichem‘ Bewusstem. ‚Phänomenologische Konstitution eines Gegenstandes, das besagt: Betrachtung der Universalität des ego unter dem  Gesichtspunkt der Identität dieses Gegenstandes, nämlich in der Frage nach der systematischen Allheit von wirklichen und möglichen Bewusstseinserlebnissen, die als auf ihn beziehbare in meinem ego vorgezeichnet sind und für mein ego eine feste Regel möglicher Synthesen bedeuten‘. (vgl. CM2,S24,Z30-36)
(63) Diese Worte legen die Interpretation nahe, dass Husserl tatsächlich annimmt, dass die ‚möglichen‘ Erlebnisse im transzendentalen ego ‚vorgezeichnet‘ sind, und zwar so, dass ihre Entfaltung nach ‚festen Regeln‘ erfolgt.
(64) Es ist dabei nicht völlig klar, ob Husserl mit diesen Bemerkungen meint, dass die allgemeine Struktur, in der überhaupt –im transzendentalen Sinne– Erlebnisse auftreten können, also die Struktur der Möglichkeit, ‚gewusst‘ sein kann, oder gar  der ‚Ausweis‘ der Geltung eines bestimmten Erlebnisses cog_i, das in einer ‚Kette‘ von entweder schon ‚vergangenen‘ Erlebnissen auftritt oder aber als Ausgangspunkt von ’noch möglichen‘ Erlebnissen. Die Formulierungen auf den Seiten CM2,SS24ff sind nicht ganz eindeutig.
(65) Der harte Kern seiner Annahmen scheint um das Phänomen des ‚Möglichen‘ zu kreisen, das er als wesentlichen Bestandteil des transzendentalen ego begreift. Innerhalb der transzendentalen Intentionalität gibt es nicht nur das Aktuale als sich ereignendes cogitatum, sondern beständig auch das aus dem Aktualem heraustretende nächste Aktuale, das als Potential im Aktualen, in der transzendentalen Intentionalität notwendig angelegt ist. ‚Das ego …hat immer Seiendes und möglicherweise Seiendes, und so ist seine Wesenheit die, immerfort Systeme der Intentionalität zu bilden und gebildete schon zu haben, deren Index die von ihm gemeinten, gedachten … zu phantasierenden Gegenstände sind usw.‘. (vgl. CM2, S.25,Z21-27).
(66) Bezogen auf das ego gibt es also Dinge, die erscheinen, die heraustreten, die in ihrer Erscheinung eine Struktur zeigen und zugleich So-Sein, Konkret-Sein haben. In diesem Sinne erscheint das ego ‚konstituierend‘. Doch schon dieses Wissen, das Wissen um das Aktuale als ‚hervorgehend‘ setzt voraus, dass es neben dem Wissen um das  Aktuale auch ein Wissen um das Vor-Aktuale relativ zu dem  Aktualen geben muss, durch das das Aktuale als ein ‚Nachfolgendes‘ erscheint. Und es ist auch wiederum dieses Wissen um ein Vorher-Nachher vom Standpunkt des Aktualen aus, das den Begriff des Potentials ermöglicht, das Reden vom ‚Möglichen‘, vom ‚Horizont‘, der jedem Seienden zukommen soll. Dieses Vorher-Nachher-Wissen ist nicht identisch mit dem Wissen um das Aktuale als reell Gegebenes. Rein phänomenologisch ist diese Unterscheidung nicht auflösbar, höchstens hinnehmbar. Bei Husserl hat man den Eindruck, dass er sie ’nivelliert‘, da sie nicht so recht zu passen scheint in sein umfassendes Konzept der transzendentalen Einheit, die selbst das Vergangene und Mögliche aus sich heraussetzt, konstituiert und darin einer umfassenden (und erschöpfenden!) Analyse zugänglich macht.
(67) Würde man, wie vorher schon angedeutet, die Unterscheidung von ‚bewusst‘ x in C, ‚unbewusst‘ x in C* und ’nicht bewusst‘ x in C‘, beibehalten mit der Interpretation, dass das Unbewusste der Bereich des ‚zuvor einmal Gewussten‘ ist, das unter bestimmten Bedingungen ‚zurückkommen‘ kann als ‚Erinnertes‘ bzw. ‚Gewusstes‘, dann würde das ‚Vorher‘ dieser allgemeine, nur partiell zugängliche, darin meist weniger klare Anteil des Unbewussten sein, das partiell ‚zurückkehrt‘ und das Aktuale in einer ‚Perspektive erscheinen lässt, die unterschiedliche Formen des ‚Nachher‘ erkennbar macht. Das Aktuale vor dem wabernden Hintergrund des Erinnerbaren läßt die Konstituierung von Typen zu, von allgemeinen Formen, von ‚Clustern‘, von ‚Vernetzungen‘, ‚Ereignisketten‘ usw. auf deren Basis sich unterschiedliche ‚Regelhaftigkeiten‘ (induktiv) ‚ableiten‘ lassen, die dann dazu benutzt werden können, um mögliche Fortsetzungen (potentiell, Horizont…) zu fantasieren, zu denken, zu berechnen usw. Das transzendentale ego wäre dann zwar immer noch jene Einheit, in der sich dies alles abspielt, aber es wäre nicht mehr denknotwendig die einzige ‚treibende Kraft‘, die dies alles bewirkt.
(68) 82 Jahre nach Husserls Vorlesung kann das reflektierende Denken wissen, dass das ‚Unbewusste‘ möglicherweise ein komplexes Gedächtnissystem ist, das ‚in sich‘ komplexe Verarbeitungen vornimmt, ohne (!) dass diese bewusst sein müssen bzw. sogar, ohne dass diese jemals bewusst sein können. Zu diesen Verarbeitungsprozessen gehören diverse Abstraktionsleistungen, Assoziationsleistungen, Sortierungen nach unterschiedlichen Kriterien, Verstärkungen und Abschwächungen in der Wahrscheinlichkeit von ‚Inhalten‘, aus dem Bereich des Unbewussten wieder ‚heraus zu treten‘. Wenn dies zutrifft –und alles spricht bislang dafür– dann wären sowohl die allgemeinen Strukturen, die in der transzendentalen Einheit sichtbar werden, wie auch die konkreten Inhalte nicht wirklich ‚Leistungen‘ des transzendentalen ego; sie würden vielmehr ’nur‘ innerhalb dieser transzendentalen Einheit ‚aufscheinen‘, ‚hervortreten‘, ’sich zeigen‘. Ihr ‚Erkenntniswert‘ würde durch solch eine reflektierende ‚Einordnung‘ nicht gemindert (schließlich hat das ego sonst nichts zum Erkennen; ohne diese Inhalte wäre es ‚leer‘). Allerdings würde  diese Interpretation andeuten, dass hier das transzendentale ego mindestens  in einem zweifachen Sinne ein ‚empfangendes ego‘ ist: (i) die konkreten Gegebenheiten, bevor sie ins Unbewusste übergehen,  produziert es nicht selbst, sondern ‚findet sie‘ in seiner Bewusstheit ‚vor‘; (ii) die konkreten Gegebenheiten als ‚Erinnerte‘ folgen in ihren ‚Modifikationen‘ Regeln, die das ego nicht selbst aktiv bestimmt, sondern die es selbst auch wieder rein passiv ‚empfängt‘. Es kann zur Kenntnis nehmen, es kann aber die Art und Weise des Erinnerns in keiner Weise beeinflussen. Hier ist eine Struktur ‚am Werke‘ die jenseits seiner Möglichkeiten liegt. Das Vorkommen dieser konkreten So-Seienden im Konkreten wie in ihrer Typik ist transzendental, die Konkretheit selbst wie auch ihre Typik wäre dann nicht (!) transzendental, sondern ‚kontingent‘ in dem Sinne, wie auch alle empirischen Tatsachen DAT_emp der empirischen Wissenschaften als kontingent bezeichnet werden (die ja wie oben festgestellt nur eine echte Teilmenge der phänomenologischen Tatsachen DAT_ph sind). Der Stellenwert des Transzendentalen wird damit in einer Hinsicht deutlich eingeschränkt, aber eben nicht gänzlich aufgehoben. Das, was hier im ersten Moment als Verlust erscheinen mag, kann sich –siehe weiter unten–  möglicherweise als ein unverhoffter Gewinn erweisen.
(69) Wenn Husserl schreibt, dass das ego kein bloßer leerer Pol sei, sondern das ’stehende und bleibende Ich der verharrenden Überzeugungen, der Habitualitäten, in deren Veränderung sich allererst Einheit des personalen Ich und seines personalen Charakters konstituiert‘ (vgl. CM2, S26,Z27-30), so mag man ihm nach den vorausgehenden Überlegungen zustimmen bzgl. des Punktes, dass sich die Einheit des Ich erst in durch die Veränderungen konstituiert (da wir diese Einheit ohne diese Veränderungen gar nicht erfahren können), man mag ihm aber nicht zustimmen, dass das ego sich gerade in den ‚verharrenden Überzeugungen‘ als bleibendes Ich konstituiere. Das transzendentale ego ist nicht identisch mit seinen Inhalten, sondern höchstens ‚korrelativ‘ zu diesen, und diese Erinnerungen selbst sind nicht transzendental, sondern kontingent, treten auf, passieren, ereignen sich; zwar als Momente am transzendentalen ego aber nicht als substantiellen Momente sondern als periphere Momente, die kommen und gehen. Ihre Stetigkeit im Festgehaltenwerden durch das Unbewusste ist eine abgeleitete, die ihre Form nicht vom transzendentalen ego empfängt. Im Gegensatz zu Husserl muss man sagen, dass das transzendentale ego –nach den bisherigen Erkenntnissen– als transzendentales wirklich ‚leer‘ ist. Es ist jene allgemeine Bedingung, unter der überhaupt etwas erscheinen kann, für das, was erscheint ist es jedoch konkret weder Bedingung noch Ursache noch Form.

(70) Wenn Husserl mit dem Begriff der ‚konkreten Monade‘ das ‚ego in voller Konkretion‘ (vgl. CM2, S.26, Z31, Z35) für die Phänomenologie zu ‚retten‘ versucht, dann kann dies nach dem Vorausgehenden nicht überzeugen. ‚Psychologisch‘ mag das Ich sich –eingebettet in die Konkretheit der begleitenden Erscheinungen– als dieses konkrete Ich empfinden, aber diese Konkretheiten sind strukturell verschieden von dem transzendentalen ego als notwendiger Bedingung alles Erscheinens. Durch diese unzulässige Vereinnahmung des Konkreten in das Transzendentale deckt Husserl eine ‚Kluft‘ zu, die sich in der transzendentalen Erkenntnis auftut: es ist die Kluft zwischen allgemein-Transzendenalem und konkret-soseiendem Gegebenem als Aktuales, als Erinnertes oder als Visioniertes. Für das individuelle Denken ist das allgemein Transzendentale ein nicht weiter verrückbarer Referenzpunkt des Denkens. Das in Beziehung auf dieses transzendentale ego aufscheinende Konkrete samt seinen Typen, Formen, Verkettungen usw. dagegen ist diesem transzendentalem ego gegenüber ein ‚Fremdes‘, ein sich ‚Unabhängig Ereignendes‘, das man in dieser Unabhängigkeit auch als ‚transzendental‘ bezeichnen kann. Vom Standpunkt des transzendentalen ego hat die Unverfügbarkeit des konkret Erscheinenden etwas Bedingendes,  in dem sich grundlegend jedwedes Andere, jedwedes ‚fremde Selbst‘ zeigen kann, aber nicht muss.

(71) Versucht man diese Kluft nicht zu nivellieren –wie es Husserl zu tun scheint–, sondern nimmt man diese Kluft als eine grundlegende Gegebenheit unseres Daseins an, dann trifft das transzendentale ego ‚quasi in sich selbst‘ auf das zu ihm ganz andere, an dem es sich in seiner Verschiedenheit bewusst wird. Voraussetzung für diese substantielle Erkenntnis ist die Reflektion des Denkens auf sich selbst. Diese Selbst-Reflexion ist mehr al nur Epoché! (vgl. CM2, S.31,Z15-30) Die Epoché bezieht sich nur auf die Einklammerung gewisser ‚Geltungsansprüche‘ im Rahmen der Denkautomatismen.  Jemand, der Epoché praktisch ausführt muss nicht notwendigerweise seiner selbst im vollen Umfang bewusst sein. Epoché ist eine partielle Selbstreflexion, sie führt nicht zwangsweise zu einer vollen Selbstreflexion.

(72) In der Selbstreflexion findet das transzendentale ego sich vor als unausweichlich (transzendental) korreliert mit einem ganz Anderem, das nicht ‚fest‘ ist, ’nicht begrenzt‘, ’nicht einzeln‘, sondern ein ‚Strom‘ von Vielheit, darin sich zeigenden ‚Formen‘, ‚Regelhaftigkeiten‘, die zu einer Fülle von ‚Gestalten‘ Anlaß bieten, in die es über das Denken und einem Körper vielfach ‚eingewoben‘ ist. All dies ‚gehört‘ auf unterschiedliche Weise ‚zu ihm‘ und ist doch wesenhaft ‚verschieden‘. Vordergründig erscheint das Andere in seiner Konkretheit endlich zu sein; als sich kontinuierlich ereignender ‚Strom‘ von Ereignissen zeigt es sich jedoch als eine ‚unendliche Endlichkeit‘ von endlichen Gegebenheiten, die in der punktuellen Benennung punktuell ‚wahr‘ ist, im Fluss der Ereignisse sich aber als ‚falsch‘ erweist. Ein ‚Wahres‘ gibt es hier nur als ein ‚Allgemeines‘, das über das Punktuelle hinausreicht durch seine Verankerung im Erinnerten eines Vorher mit Bezug auf ein gegebenes Aktuales. Diese Allgemeinheiten sind jedoch  ‚gewordene‘ Allgemeinheiten, sich aus dem Fluss der Ereignisse ‚heraus‘ Zeigende, Induktionen, hypothetische Verallgemeinerungen, Auswürfe in die Zukunft, die vom Erinnerten gespeist werden. Gewordenes Allgemeines kann falsch sein bzw. werden. In der Selbstgewissheit des Denkens ist das gewordene Allgemeine ‚gewiss‘, ‚evident‘, zugleich aber auch ‚markiert‘ als ‚geworden‘ und von daher nicht endgültig, ‚vorläufig‘, ‚hypothetisch‘. Das evident Gewordene ist die allgemeinste Form des ‚Empirischen‘, das in den empirischen Wissenschaften auf eine Teilmenge von Ereignissen eingeschränkt wird.

Zur Fortsetzung siehe CM3, Teil 5

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