Archiv der Kategorie: Märchen

Die Invasion der Märchenerzähler

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Letzte Änderungen: 30.April 2024 – 3.Mai 2024

3.Mai 24: Ich habe zwei Epiloge hinzugefügt.

Kontakt: cagent@cognitiveagent.org

Anmerkung: Sofern es nicht um geschlechtsspezifische Aspekte geht, wird immer nur ein Geschlecht benutzt, und zwar das des Autors

Anmerkung 2: Es gibt eine Englische Version dieses Texts auf uffmm.org: https://www.uffmm.org/2024/04/30/the-invasion-of-the-storytellers/

KONTEXT

Ursprünglich hatte ich gechrieben, dass „Dieser Text … keine direkte Fortsetzung von einem anderen Text [ist]. Allerdings gibt es verschiedene Artikel mit einer ähnlichen Thematik als vorausgehende Posts. So gesehen ist der aktuelle Text eine Art ‚Weiterentwicklung‘ dieser Ideen.“ Aber, nur ein kurzer Blick zurück genügt, um zu sehen, dass es mindestens einen Text gibt, der ’sehr nah‘ beim Thema dieses vorliegdnen Textes ist: NARRATIVE BEHERRSCHEN DIE WELT. Fluch & Segen. Dazu Kommentare von @chatGPT4 ( https://www.cognitiveagent.org/2024/02/02/narrative-beherrschen-die-welt-fluch-segen-dazu-kommentare-von-chatgpt4/)

Im Alltag …

… magische Links

kennt fast jeder jemanden — oder sogar mehrere –, der viele Emails — oder anderweitige Mitteilungen — versendet, die nur noch Links enthalten, Links auf irgendwelche Videos, von denen das Netz ja heute genügend parat hält, oder Bilder mit ein paar Schlagworten.

Da die Zeit meist knapp ist, würde man gerne wissen, ob es sich lohnt, dieses Video anzuklicken. Aber erklärende Informationen fehlen.

Spricht man den Versender darauf an, ob es nicht möglich wäre, ein paar erklärende Worte mit zu versenden, dann bekommt vom Versender fast immer die Antwort, dass er selbst dies nicht so gut formulieren könne wie das Video selbst.

Interessant: Jemand versendet einen Link zu einem Video ohne in der Lage zu sein, seine Meinung dazu in eigene Worte zu fassen …

Rückfragen …

Wenn ich dann schon mal einen Link anklicke und versuche, mir eine Meinung zu bilden, ist natürlich eine der ersten Fragen, wer denn das Video (oder einen Text) veröffentlicht hat. Der gleiche Sachverhalt kann — wie tausendfach belegt und von jedem im Alltag nachprüfbar — je nach Perspektive des Betrachters ganz unterschiedlich, ja sogar im vollen Widerspruch, erzählt werden. Und da das, was wir sinnlich wahrnehmen können, sowieso immer nur sehr fragmentarisch ist, an den Oberflächen, am Augenblick hängt, direkt zunächst nicht unbedingt einen Zusammenhang erkennen lässt, bietet jede Beobachtung aus sich heraus zunächst einmal sehr viel Interpretationsspielraum. Ohne gründliche Betrachtung des Kontextes und der Vorgeschichte ist eigentlich eine Interpretation schlicht nicht möglich … es sei denn, jemand hat schon eine ‚fertige Meinung‘, die sich das ‚(willenlose) Fragment der Beobachtung‘ unverzüglich ‚aneignet‘.

Das Rückfragen und Recherchieren wäre also eigentlich ’normal‘, aber unser ’schnelles Gehirn‘ sucht erst einmal ‚automatische Antworten‘, da braucht man nicht viel nachdenken, ist schneller, weniger Energieaufwand, und diese ‚Automatik des Interpretierens‘ liefert trotz allem ein ‚befriedigendes Gefühl‘: Ja, man ‚weiß genau, was da vorliegt‘. Also wozu Rückfragen?

Immunisieren …

Als Wissenschaftler bin ich darauf trainiert, alle Rahmenbedingungen zu klären, auch meine eigenen Voraussetzungen. Das kostet natürlich Mühe und Zeit und ist alles andere als fehlerfrei. Deswegen mehrere Prüfungen, Rückfragen bei anderen, wie diese das sehen, usw.

Wenn ich aber die ‚wortlosen Versender von Links‘ frage, wenn mir etwas auffällt, vor allem, wenn ich da einen Konflikt mit der mir bekannten Realität anspreche, dann variieren die Reaktionen in der Richtung, dass ich dies falsch verstanden habe, oder dass der Autor das so gar nicht gemeint habe. Wenn ich dann auf andere Quellen verweise, die als ’stark geprüft‘ gelten, dann gehören diese zur ‚Lügenpresse‘ oder die Autoren werden sogleich als ‚Agenten einer finsteren Macht‘ enttarnt (es gibt eine ganze Palette von solchen ‚finsteren Mächten), und wage ich es dann, auch hier nachzufragen, woher denn Informationen stammen, dann bin ich ganz schnell ein naiver, dummer Mensch, dass ich dies alles nicht weiß.

Also, jeder Versuch, die Grundlagen von Aussagen zu klären, sie auf nachvollziehbare Sachverhalte zurück zu führen, endet im Konfliktfall schon weit vor jeder Klärung im Versuch, meine Fragen und Hinweise in jede Richtung zu diskreditieren.

Wahrheit Tschüß …

Nun ist ja das Thema ‚Wahrheit‘ selbst in der bisherigen Philosophie leider nicht mehr als ein Ideenlager für verschiedenste Perspektiven. Und selbst die modernen Wissenschaften, im Kern empirisch, verheddern sich zusehends in der Vielzahl ihrer Disziplinen und Methoden in einer Weise, dass ‚integrierende Sichten‘ selten sind und der ’normale Bürger‘ tendenziell eher ein Verständnisproblem hat. Keine gute Ausgangslage um die Ausbreitung des ‚kognitiven Märchenvirus‘ effektiv zu verhindern.

Booster Demokratie und Internet

Das Bizarre an unserer heutigen Situation ist, dass ausgerechnet die zwei wichtigsten Errungenschaften der Menschheit, die Gesellschaftsform der ‚Demokratie‘ (seit ca. 250 Jahren (in einer Geschichte von ca. 300.000 Jahren)) und das Werkzeug des ‚Internets‘ (Browser basiert seit ca. 1993), die zum ersten Mal ein Maximum an Freiheit und an Vielfalt des Ausdrucks möglich gemacht haben, dass ausgerechnet diese beiden Errungenschaften nun genau jene Bedingungen geschaffen haben , dass sich das kognitive Märchenvirus so ungehemmt ausbreiten kann.

Wichtig: das heutige kognitive Märchenvirus ereignet sich im Kontext von ‚Freiheit‘! In früheren Jahrtausenden gab es das kognitive Märchenvirus auch schon, da war es aber unter Kontrolle der jeweiligen autoritären Herrscher, die damit das Denken und Fühlen ihrer Untertanen zu ihren Gunsten gesteuert haben. Die ‚Vagheiten‘ der Bedeutungen haben immer nahezu alle Deutungen erlaubt; und wenn ein bisheriges Märchen nicht gereicht hat, dann wurde schnell ein neues erfunden. Solange eine Kontrolle durch Realität nicht wirklich möglich ist, kann man alles erzählen.

Mit der Entstehung der Demokratie verschwanden zwar die autoritären Machtstrukturen, aber die Menschen, die wählen durften und sollten, waren letztlich die gleichen wie zuvor in autoritären Herrschaften. Wer hat schon wirklich Zeit und Lust, sich mit den komplizierten Fragen der realen Welt zu beschäftigen, vor allem, wenn es einen nicht direkt selbst betrifft? Das machen doch unsere gewählten Vertreter….

In den (anscheinend) ruhigen Jahren seit dem 2.Weltkrieg schien die Aufgabenteilung doch gut zu funktionieren: hier die Bürger, die alles delegieren, und dort die gewählten Vertreter, die alles richtig machen. Eine ‚Kontrolle‘ der Macht sollte über Verfassung, Justiz und durch eine funktionierende Öffentlichkeit‘ garantiert werden…

Was man aber nicht voraus gesehen hatte waren so Kleinigkeiten wie:

  1. Die Zunahme der Bevölkerung und das Voranschreiten der Technologien induzierte immer komplexere Prozesse mit eben solchen komplexen Wechselwirkungen, die sich mit den üblichen Methoden aus der Vergangenheit nicht mehr angemessen bewältigen ließen. Fehler und Konflikte waren vorprogrammiert.
  2. Die Delegierung an wenige gewählte Vertreter mit ’normalen Fähigkeiten‘ kann nur funktionieren, wenn diese wenigen Vertreter in Kontexten arbeiten, die sie mit all den notwendigen Kompetenzen versorgen, die ihr Amt benötigt. Diese Aufgabe scheint immer schlechter gelöst zu werden.
  3. Die wichtige ‚funktionierende Öffentlichkeit‘ wurde durch die ungeheuren Möglichkeiten des Internet immer mehr fragmentiert: es gibt nicht mehr ‚die‘ Öffentlichkeit, sondern ganz viele Öffentlichkeiten. Dies ist an sich nicht schlecht, aber wen die verfügbaren Kanäle von starken Interessengruppen das ’schnelle und bequeme Gehirn‘ anziehen wie das Licht die Mücken, dann gelangen die Köpfe immer mehr in den Bereich der ‚kognitiven Viren‘, die nach nur kurzen ‚Inkubationszeiten‘ einen Kopf ‚in Besitz‘ nehmen und ihn von da ab ’steuern‘.

Die Wirkungen dieser drei Faktoren kann man seit einigen Jahren ganz klar beobachten: die ungelösten Probleme der Gesellschaft, die vom existierenden demokratisch-politischen System immer schlechter gelöst werden, führen ‚vor Ort‘ bei den einzelnen Menschen dazu, dass sie ihre Unzufriedenheiten und Ängste immer mehr und ausschließlich unter dem Einfluss des kognitiven Märchenvirus interpretieren und danach handeln. Damit wird die Situation schleichend noch schlechter, da die konstruktiven Kapazitäten zur Problemanalyse und die gemeinsame Kraft zur Lösung von Problemen abnimmt.

Keine Heilmittel verfügbar?

Blickt man zurück in die vielen tausend Jahre Geschichte der Menschen dann ist greifbar, dass ‚Meinungen‘, ‚Bilder von der Welt‘, immer nur in begrenzten Bereichen mit der realen Welt harmonierten, dort, wo es zum Überleben wichtig war. Aber selbst in diesen kleinen Bereichen gab es jahrtausendelang viele Anschauungen, die sich zu späteren Zeiten als ‚falsch‘ herausstellten.

Schon sehr früh beherrschten wir Menschen die Kunst, uns Geschichten zu erzählen, wie alles mit allem zusammen hängt. Diese wurden begierig gehört, diese wurden geglaubt, und erst viel später konnte man bisweilen erkennen, was an den früheren Geschichten ganz oder teilweise falsch war. Doch zu Lebzeiten, für diejenigen, die mit diesen Geschichten aufwuchsen, waren diese Geschichten ‚wahr‘, ergaben ‚Sinn‘, man ist für sie sogar in den Tod gegangen.

Erst ganz am Ende der bisherigen Entwicklung des Menschen (die Lebensform des Homo sapiens), also — bei 300.000 Jahre als 24 Stunden — nach ca. 23 Stunden und 59 Minuten entdeckten die Menschen mit den empirischen Wissenschaften eine Methode, wie man ‚wahre Erkenntnisse‘ gewinnen kann, die nicht nur für den Augenblick funktionieren, sondern womit man Millionen, ja Milliarden Jahre ‚zurück in der Zeit‘ schauen kann, und für viele Faktoren auch Milliarden Jahre in die Zukunft. Dazu kann die Wissenschaft in die tiefsten Tiefen der Materie schauen und versteht immer besser das komplexe Wechselspiel all der wunderbaren Faktoren.

Und just in diesem Augenblick der ersten großen Sternstunden der Menschheit auf dem Planet Erde bricht der kognitive Märchenvirus ungehemmt aus und droht sogar die modernen Wissenschaften komplett auszulöschen!

Welche Menschen auf diesem Planeten können diesem kognitiven Märchenvirus widerstehen?

Hier eine kleine Zeitungsnotiz vor wenigen Tagen: Unter dem Titel „Game macht Fake News spielerisch erkennbar“ [1](siehe auch [2-3]) wird von einem Experiment schwedischer Wissenschaftler mit Schülern berichtet, dass es möglich war, das Bewusstsein von Schülern für ‚fake news‘ (hier: das kognitive Märchenvirus) messbar zu schärfen.

Ja, wir wissen, dass junge Menschen durch eine angemessene Bildung ihr Bewusstsein so gestalten können, dass sie gegen das kognitive Märchenvirus besser gewappnet sind. Aber was geschieht, wenn die offiziellen Bildungseinrichtungen eine solche Wissenstherapie kaum oder gar nicht durchführen können, wenn entweder die Lehrer es schon nicht mehr können oder, die Lehrer könnten es schon noch, aber die politischen Institutionen lassen es nicht zu? Letztere Fälle sind bekannt, sogar in sogenannten Demokratien!

Epilogue 1

Folgende Arbeitshypothesen deuten sich an:

  1. Das Märchenvirus, die ungehemmte Neigung zum (unkontrollierten) Geschichten erzählen, ist den Menschen mit in die (genetische) Wiege gelegt.
  2. Weder Intelligenz noch sogenannte ‚akademische Bildung‘ sind ein automatischer Schutz dagegen.
  3. ‚Kritisches Denken‘ und ‚empirische Wissenschaft‘ sind spezielle Eigenschaften, die Menschen sich nur mit eigenem großen Engagement aneignen können. Für sie müssen in einer Gesellschaft minimale Voraussetzungen existieren, ohne die es nicht geht.
  4. Aktive Demokratien scheinen das Märchenvirus bis auf ca. 15-20% der gesellschaftlichen Praxis eindämmen zu können (obwohl es in den Menschen immer da ist). Sobald die Prozentzahl der aktiven Märchenerzähler erfahrbar steigt, muss man davon ausgehen, dass das Konzept ‚Demokratie‘ sich in der gesellschaftlichen Praxis — aus vielerlei Gründen — zunehmend abschwächt.

Epilogue 2

Wer aktiv vom Märchen-Virus befallen ist, hat eine Sicht von der Welt, von sich selbst und den anderen, die mit der realen Welt ‚da draußen‘, jenseits seines eigenen Denkens, so wenig zu tun hat, dass die realen Ereignissen das eigene Denken nicht mehr beeinflussen. Man lebt in seiner eigenen ‚Denk-Blase‘. Grundsätzlich gilt dies für jeden Menschen, aber jene, die gelernt haben ‚kritisch und wissenschaftlich‘ zu denken, haben Techniken gelernt und wenden sie an, die das Denken in der eigenen Blase immer wieder einem ‚Reality-Check‘ unterzieht. Dieser Check beschränkt sich nicht auf punktuelle Ereignisse oder punktuelle Aussagen … und da wird es schwierig.

LINKS

[1] Wolfgang Kempkens, com!professional 26.04.2024, https://www.com-magazin.de/news/forschung/game-fake-news-spielerisch-erkennbar-2917376.html

[2] Hier die Webseite der schwedischen Universität von Uppsala, von wo die Forschern kommen: https://www.uu.se/en/press/press-releases/2024/2024-04-24-computer-game-in-school-made-students-better-at-detecting-fake-news

[3] Und hier der volle wissenschaftliche Artikel mit open access: Bad News in the civics classroom: How serious gameplay fosters teenagers’ ability to discern misinformation techniques. Carl-Anton Werner Axelsson, Thomas Nygren, Jon Roozenbeek & Sander van der Linden, Received 26 Sep 2023, Accepted 29 Mar 2024, Published online: 19 Apr 2024 : https://doi.org/10.1080/15391523.2024.2338451

DER AUTOR

Einen Überblick über alle Beiträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.

SCHAFFEN WIR DEN NÄCHSTEN LEVEL? Oder ÜBERWINDEN WIR DEN STATUS DER MONADEN?

COMPUTERSPIEL

 

(1) In Computerspielen müssen die Spieler in der Regel Aufgaben lösen, für die sie dann irgendwie ‚belohnt‘ werden (Tierdressur funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip…). Meist gibt es dann verschiedene ‚Level‘ die man aufgrund der spielerischen Leistungen erreichen kann (Punktezahlen, ein vergleichender Rang mit anderen, mehr Handlungsmöglichkeiten, …). Zugleich werden die Aufgaben ’schwieriger‘, umfassender, ‚bedeutsamer‘. Und wenn es kein expliziter ‚Level‘ ist, dann ist es ein ‚quantifizierbarer‘ Zustand (mehr Einwohner, mehr Waffen, mehr Land, ….). Für die Spieler ist ihre Spielwelt ‚real‘, sind die durch das Spielen ausgelösten Erlebnisse ‚real‘. Wenn ich über die Kopfhörer (oder die HiFi-Anlage) die Geräusche der Spielwelt höre, die Gespräche anderer Spielteilnehmer, ich in 3D eine Situation wahrnehme mit nahezu realistisch anmutenden Pflanzen, Gegenständen, Körpern usw. bei der ich selbst die Perspektive steuern und Aktionen einfließen lassen kann, dann erzeugt dies schon eine sehr realistisch wirkende Situation, der man sich nur mit Mühe entziehen kann (obgleich das Gehirn, wenn es soll/ will, den Unterschied noch erkennen kann).

 

 

SIND WIR EINE SIMULATION?

 

(2) Nicht erst seitdem es Computerspiele gibt haben sich Menschen darüber Gedanken gemacht, ob all das, was wir erleben, ‚wirklich real‘ sei, ob wir nicht einer großen ‚Täuschung‘ unterliegen (z.B. Platons Höhlengleichnis, Descartes Reflexionen über einen unbezweifelbaren Wahrheitsgrund), oder ob wir nicht Teil einer gigantischen ‚Simulation‘ seien (möglicherweise Leibnizens Spekulationen über die Möglichkeit der Welt in seiner später so genannten Schrift ‚Monadologie‘, verschiedene — mittlerweile sehr viele — Science-Fiction Bücher und Filme (z.B. Simulacron 2, 13th Floor, Matrix, um nur einige zu nennen). Ein kürzlicher, vergleichsweise systematischer Versuch unter Berücksichtigung der modernen Physik findet sich bei Witworth (2008). Dazu mein Kommentar an der angegebenen URL).

 

(3) Eines der methodischen Problemen mit solchen Überlegungen ist, dass das Wort ‚Simulation‘ voraussetzt, dass man zwischen mindestens zwei ‚Bereichen‘ unterscheiden kann, dem ‚Simulierten Bereich‘ – nennen wir ihn den ‚S-Raum‘ [SR] – und der ‚hervorbringenden Funktion‘ – nennen wir dies die ‚S-Funktion‘ [f_s] –. Sofern wir als Menschen solche Simulationen organisieren befinden wir uns ‚außerhalb‘ dieser Simulationen, d.h. wir sind im ‚organisierenden Raum‘ [OR], innerhalb dessen der simulierte Raum SR , die simulationserzeugende Funktion f_s, und wir als Simulationsarrangeure [SA] als Bestandteile vorkommen, also irgendwie OR(x) gdw x = <SA, SR, f_s,…>. Auf jeden Fall sind wir nicht selbst direkt Bestandteile unsere eigenen Simulationsräume, höchstens mittels sogenannter ‚Avatare‘ (quasi ‚Platzhalter‘). Dies sind simulierte Objekte im Simulationsraum, die über vereinbarte Interaktionen zwischen SR und SA Eigenschaften des Simulationsarrangeurs in der simulierten Welt repräsentieren können und umgekehrt.

 

(4) Wenn jetzt also spekuliert wird, ob wir nicht selbst Teil einer Simulation seien, d.h. dass unsere ganze Welt eine ’simulierte Welt‘ sei (ein Simulationsraum: Welt = SR_Welt), dann macht diese Rede nur Sinn, wenn wir annehmen, dass es einen ‚übergeordneten‘ organisierenden Raum OR_Welt gibt, innerhalb dessen wir als simulierter Raum vorkommen, dann muss es auch jenseits unserer simulierten Welt SR_Welt eine erzeugenden Simulationsfunktion f_s_Welt geben, also OR_Welt(x) gdw x = <SA_Welt, SR_Welt, f_s_Welt,…>. Weder die Simulationsfunktion f_s_Welt noch die zugehörigen Simulations-Arrangeure und ihre möglichen organisierenden Räume sind uns direkt zugänglich.

 

(5) Die alten Philosophen nannten Spekulationen über die mögliche Wirklichkeit ‚hinter‘ der erfahrbaren Welt hinaus ‚Meta-Physik‘. Dies kann ein sehr seriöses Geschäft sein; bei unsachgemäßer Handhabung wird es aber zu einer ‚Spekulationsblase‘ die mehr verwirrt, als sie klarstellt‘. Und in ’naiven‘ Formen der Spekulationen über ‚das, was die Welt im Inneren zusammenhält‘ finden wir dann die bekannten Formen von ‚Aberglauben‘, ‚Magie‘, ‚Mythen‘, ‚Märchen‘, ‚Propaganda‘, ‚Ideologien‘, usw. Natürlich enthalten alle diese ‚Grenzformen‘ des Wissens meist einen kleinen Teil an ’scheinbarer‘ Wahrheit als ‚Einstiegsdroge‘ in das dann einsetzende größere Verwirrspiel. Aber entscheidend ist der Gesamtzusammenhang, der durch diese Verwirrspiele in der Regel die Bruchstellen mit der Wahrheit verdeckt.

 

(6) Dies scheint mir auch im Fall des Redens über die Welt als ‚Simulation‘ der Fall zu sein. Unser ‚Meta-Wissen‘ über mögliche Zusammenhänge ‚hinter‘ der erfahrbaren Welt beziehen wir aus einem Standpunkt ‚in‘ dieser Welt (laut Simulationshypothese sind wir ‚in‘ dem simulierten Raum SR_Welt). Jede Form von ‚Spekulation‘ über die möglichen Gesetzmäßigkeiten der erfahrbaren Welt sind –aber auch in einer simulierten Welt — letztlich ‚Netzwerke von Begriffen‘ (natürliche Sprachen, Diagramme, mathematische Formeln,…), die im bestmöglichen Fall als ‚empirische Theorien‘ organisiert sind, deren Erfahrungsbezug über nachkontrollierbare Experimente verlaufen und deren ‚Zusammenhang‘ über eine nachvollziehbare ‚Logik‘ organisiert ist (über das dazu notwendige ‚Know-How‘ verfügt die Menschheit erst seit ca. Beginn des 20.Jahrhunderts (mit ersten ‚Spuren‘ eines solchen KnowHows – wie so oft – schon zu früheren Zeiten), wobei es selbst in der offiziellen Wissenschaft bei den meisten Wissenschaftlern sicher noch kein wirkliches explizit abrufbares Wissen darstellt). Fast alle ‚Nicht-Wissenschaftler‘ wissen nichts von alledem (allerdings: selbst Leute mit einem Doktortitel können faktisch – trotz aller akademischen Regeln – noch in einem magisch-mythischen Denken in all jenen Bereichen verhaftet sein, die sie nicht direkt untersucht haben; nicht auszuschließen ist sogar, dass sie selbst in ihrem eigenen Untersuchungsbereich Ansätze zu Magie und Mythos huldigen, da es akademische Bereiche gibt, die ohne explizite Theorien auskommen…!!!).

 

(7) Wenn also – selbst in einer simulierten Welt – die Gesamtheit der Wissenschaften zu einem bestimmten Zeitpunkt – z.B. im Jahr 2008, als der Artikel von Witworth publiziert wurde — eine empirische Theorie T_2008 hatte, in der keine erzeugende Funktion f_s_Welt_2008 vorkommt, dann kann man die Einführung einer solchen Funktion seitens Witworth in die offizielle Theorie zunächst einmal als ‚Spekulation‘ bezeichnen. Spekulationen gehören bis zu einem gewissen Grade zum Alltagsgeschäft der Wissenschaft. Man spielt mal verschiedene ‚Varianten‘ der Begriffsnetze durch um zu prüfen, ob man damit die bekannten Daten eventuell ‚besser‘ erklären kann (wobei es nicht einfach ist, zu definieren, was ‚besser‘ in jedem Fall bedeutet (hier zitiert man gerne Ockhams Rasiermesser und ähnliche ‚vertraute Sprüche’…). Grundsätzlich ist die Hypothese von Witworth – falls sie eine ’seriöse‘ Variante der allgemeinen Welttheorie ist, und das nehmen wir bis zum Beweis des Gegenteils hier an – zunächst einmal nichts anderes als eine andere ‚formale Variante‘ eines Begriffsnetzes, also neben der geltenden Welttheorie T_2008 (die es so natürlich nirgends explizit gibt) nun eben T_2008_Witworth. Damit hat sie die ‚gleiche Aussagekraft‘ (die gleiche ‚Bedeutung‘, den gleichen ‚Beschreibungsumfang‘, den gleichen ‚Wahrheitswert‘,…) wie die offizielle Variante T_2008. Nur die benutzten Worte sind ‚verschieden‘ (so sprechen   z.B. die einen von ‚Grad Celsius‘, die anderen von ‚Fahrenheit‘, die einen von ‚miles per hour‘, die anderen von ‚Kilometer pro Stunde‘. Andere ‚Worte‘ erschaffen nicht notwendigerweise einen neuen ‚Inhalt‘. In der Theorie der Informatik gibt es z.B. neben dem Konzept der Berechenbarkeit repräsentiert im Konzept der Turingmaschine sehr viele andere Konzepte (formale Sprachen, funktionsbasierte Kalküle,…) die völlig verschiedene Begriffe und Regeln benutzen, die aber alle – wie bewiesen wurde – den ‚gleichen‘ Begriff der Berechenbarkeit repräsentieren. Wenn also irgendwer plötzlich anfängt, von der erfahrbaren Welt als von einer ‚Simulation‘ zu sprechen, dann bedeutet dies bezogen auf die erfahrbare Welt nicht notwendigerweise irgendetwas Neues. Der abweichende Wortgebrauch fällt zu Beginn noch auf, dann aber –wie heute –, wenn immer mehr das Wort ‚Simulation‘ benutzen, fällt nicht einmal mehr das  auf. Ich sehe nicht, dass das Reden von Simulation im Falle der Welterklärung irgendeine nennenswerte brauchbare neue Erkenntnis geliefert hat oder liefert.

 

 

WIR SIND MONADEN

 

(8) Eventuell ist die Benutzung des Begriffs ‚Monade‘ hier nicht ganz glücklich, da das Konzept der Monade bei Leibniz (ursprünglich 1714 französisch, dann 1720 deutsch, dann 1721 lateinisch), ein sehr komplexes Begriffsnetz voraussetzt, das mit den populären Verkürzungen (von denen ich hier Gebrauch mache) nur wenig gemein hat. Immerhin hat er Formulierungen, die in Richtung der Vereinfachungen deutbar sind (siehe Beispiele: (Nr.51) … eine geschaffene Monade keinen physischen Einfluss auf das Innere der anderen haben kann… (Nr.56) …..dass jede einfache Substanz..fortwährender lebendiger Spiegel der Welt…(Nr.57) ..dass es wegen der unendlichen Menge der einfachen Substanzen gleichsam ebenso viele verschiedene Welten gibt, die gleichwohl nichts anderes sind als die perspektivischen Ansichten des einzigen Universums, je nach den verschiedenen Gesichtspunkten jeder einzelnen Monade….(Nr.60) … es ist also nicht der Gegenstand, sondern die Abstufung der Erkenntnis des Gegenstandes, worin die Monaden beschränkt sind…(Nr.61) … Aber eine Seele kann in sich selbst nur das deutlich Vorgestellte lesen; sie kann nicht auf einen Schlag auseinanderlegen, was in ihr zusammengefaltet ist, denn diese Fältelung geht ins Unendliche…(alles nach der Übersetzung von Glockner))(Vielleicht schaffe ich mal demnächst eine ausführliche Diskussion des ganzen Textes der sogenannten Monadologie)..

 

(9) Die vereinfachende Grundidee ist die einer Monade als eines Systems, das zwar mit der umgebenden Wirklichkeit in einem gewissen Austausch steht, aber bzgl. jener internen Zustände, die seine Geistigkeit charakterisieren, gibt es keinen direkten Austausch, sondern nur einen hochgradig ‚vermittelten‘.

 

(10) Dies entspricht dem heutigen Erkenntnisstand von dem Gehirn im Körper, das nur sehr begrenzt Informationen von der ‚Welt jenseits des Körpers‘ empfangen kann und das auf seine Weise immer komplexere ‚Modelle‘ einer ‚möglichen Außenwelt‘ entwirft, die wir als ‚Bewusstsein‘ eines solchen Gehirns mit Körper so benutzen, als ob die Modelle die Welt selbst seien. D.h. schon an der Wurzel unserer Erkenntnis basiert unser Weltzugang auf einer ‚Simulation einer möglichen Welt‘, die allerdings so gut ist, dass wir damit nicht nur viele praktische Aufgaben befriedigend lösen können, sondern darüber hinaus fällt es uns Menschen im Alltagsbetrieb fast nie auf, dass ‚unsere‘ Welt gar nicht die Welt ist, innerhalb deren diese simulierten Welten auftreten (natürlich kann man den Unterschied zwischen der simulierten Welt genannt ‚Bewusstsein‘ und ‚Außenwelt‘ feststellen, aber nur bei expliziter Reflexion und sehr oft nur durch Einbeziehung expliziter experimenteller Arrangements).

 

 

MONADEN ALS OFFENE SYSTEME

 

(11) Entscheidend scheint aber zu sein, dass unsere Monadenstruktur eben nicht vollständig ist; wir sind keine völlig abgeschlossenen Systeme, weder auf der körperlichen Ebene noch auf der geistigen.

 

(12) Wie wir heute wissen sind unsere körperlichen Strukturen Teil eines evolutionären Geschehens, innerhalb dessen sich alle Körper (‚Phänotypen‘ von zugrunde liegenden ‚Genotypen‘, aus denen die Phänotypen mittels Wachstum hervorgehen) in direkter Wechselwirkung mit der umgebenden ‚Welt‘ so herausgebildet haben, dass die ‚äußeren‘ Bedingungen nahezu vollständig alles bestimmt haben, was sich dann faktisch ‚entwickelt‘ hat. Nichts an den Phänotypen des biologischen Lebens (Bakterien, Pflanzen, Tiere, homo sapiens sapiens,….) ist ‚einfach so‘ entstanden; alles, radikal alles ist eine ‚Antwort‘ auf die Vielzahl der ‚Randbedingungen‘, die die umgebende Welt repräsentiert (wäre das Leben auf einem anderen Planeten, in einem anderen Sonnensystem entstanden (was wir grundsätzlich nicht ausschließen können, dass dies auch geschehen ist), dann würde die evolutionäre Entwicklung unausweichlich andere konkrete Strukturen favorisiert haben als jene, die wir kennen. Allerdings nicht beliebig andere, sondern nur ’solche andere‘, die die ‚Anreicherung von freier Energie in sich selbst organisierenden Strukturen‘ ermöglichen.

 

(13) Von daher sind die inneren Zustände der empirischen Monaden nicht völlig unbestimmt, sondern gebunden an Phänotypen, die hochgradige Ähnlichkeiten aufweisen (Leibniz spricht – wenngleich auch mit einer etwas anderen Konnotation – von der sogenannten ‚prästabilisierten Harmonie‘, ein Gedanke, den die moderne Physik und Biologie letztlich vollständig bestätigen) und die auch wechselseitig über kontinuierliche Kausalketten miteinander verknüpft sind. Es gibt innerhalb des Universums keinen radikal ‚isolierten‘ Ort, eher einen beständigen ‚Austausch‘).

 

(14) Zusätzlich benutzen die Lebewesen auf jeder Komplexitätsebene die materiellen Interaktionsmechanismen, um mittels dieser ‚direkten‘ Interaktionsereignisse ‚indirekte‘ (kodierte) Ereignisse zu ‚übertragen‘ und dann zusätzlich zu ‚interpretieren‘, ‚deuten‘, ‚verstehen‘, indem materielle Ereignisse zu ‚Zeichen‘ werden, mittels deren sich ‚Bedeutungen‘ kodieren lassen. Aufgrund der hochgradigen Ähnlichkeiten der materiellen, körperlichen Strukturen lassen sich solche semiotischen Kodierungsprozesse bis zu einem gewissen Grade erfolgreich durchführen. Sofern solche semiotischen Kodierungen gelingen lassen sich ‚abstrakte‘ (und ‚virtuelle‘!) Modelle entwickeln, die ‚mögliche Weltzustände‘ repräsentieren, die zur Orientierung für komplexe Handlungsabläufe werden können, die ohne diese semiotische Kodierungen unmöglich wären. Trotz der Abgeschlossenheit der ‚inneren‘ Zustände einer Monade von der Außenwelt ist also ein kontinuierlicher ‚Strom‘ von semiotischen Ereignissen möglich, der zu einem daran ‚gekoppelten‘ kontinuierlichen ‚Verarbeitungsprozess‘ ‚im Innern‘ einer Monade führen kann. In diesem Sinne sind wir als ‚Monaden‘ ‚offene Systeme‘, die sich bis zu einem gewissen Grad mit den Zuständen anderer Monaden ‚koordinieren‘ können.

 

STUFEN DER INTERAKTION

 

(15) Wie die Kulturgeschichte der Menschheit als Teil der übergreifenden biologischen Evolution (diese wiederum als Teil der übergreifenden kosmischen Entwicklung!) zeigt, haben sowohl die materiellen Interaktionsmöglichkeiten wie auch die semiotischen sowohl an Quantität wie auch an Komplexität zugenommen. Im Falle des homo sapiens sapiens kann man geradezu von einer Explosion sprechen, die sich in unvorstellbar kurzer Zeit entwickelt hat und die zugleich eine Beschleunigung andeutet, die – gemessen an der geringen Veränderungsgeschwindigkeit der körperlichen Trägerstrukturen — auf den ersten Blick bedrohlich wirken können (verglichen mit den hier stattfinden Problemkomplexen wirken die Angstreflexe an den Börsen angesichts von Kursverfällen geradezu lächerlich, was nicht heißt, dass diese Kursverläufe konkrete Existenzen im aktuellen gesellschaftlichen Gefüge ‚finanziell‘ zerstören können…).

 

(16) Im Laufe von mindestens 3.5 Mrd Jahren hat das Leben auf der Erde viele sehr dramatische Veränderungen erlebt (beständige Klimawechsel mit großen Eiszeiten, gewaltige Vulkanausbrüche, Einsturz von Kometen mit der Vernichtung von bis zu 90% aller Arten, usw.), aber der homo sapiens sapiens stellt eine so ‚hochentwickelte‘ Lebensform dar, dass er viele solcher Änderungen, wie sie in der Vergangenheit schon stattgefunden haben, heute eher gar nicht überleben würde. Dazu kommen vom homo sapiens sapiens selbst verursachte Veränderungen (z.B. durch erhöhten Verbrauch endlicher Ressourcen für Energie, Ernährung, Trinkwasser, …), die absehen lassen, wann die endlichen Kreislaufsysteme, die bislang über natürliche Rückkoppelungsprozesse eine gewisse Regulierung erfahren hatten, ins Ungleichgewicht kommen.

 

(17) Andererseits hat man den Eindruck, dass die gesamte Entwicklung – von der der homo sapiens sapiens ja nicht isoliert gesehen werden darf – genau auf den Punkt zuläuft, wo nach der kosmologischen, dann der chemischen und schließlich der biologischen Evolution nun eine Art ‚kognitive‘ (man könnte auch ‚geistige‘ sagen) Evolution stattfinden muss, in der die bislang vorwiegend randomisiert-kombinatorischen Suchprozesse im Umfeld des Planeten Erde zusätzlich durch technologisch gestützte modellbasierte Suchprozesse ergänzt werden müssen, um den nächsten ‚Entwicklungsschritt‘ (den nächsten ‚Level‘) zu schaffen. Dieser muss mindestens so ‚kontextsensitiv‘ sein wie die vorausgehenden Entwicklungsprozesse, da die komplexen Prozesse der umgebenden Natur bislang noch in keiner Weise vom homo sapiens sapiens alleine gesteuert werden können. Sicher wird – sofern der homo sapiens sapiens es nicht ‚vermasselt‘ — der Punkt kommen, wo der homo sapiens sapiens nicht nur vor der Notwendigkeit steht, seine Koexistenz mit den vorhanden Systemen dramatisch zu verbessern, er wird es auch können. Alles ist in gewisser Weise daraufhin ‚angelegt‘ (zumindest deutet die gesamte bisherige Entwicklung in genau diese Richtung).

 

 

KOMPLEXITÄTSPROBLEME UND FALSCHE ETHIK

 

(18) Momentan erleben wir – erstmalig für das Leben auf dieser Erde – dass die Handlungsmöglichkeiten des Lebens in Gestalt des homo sapiens sapiens eine immer größere Veränderungsgeschwindigkeit erzeugen, dass aber die Basis dieser Veränderungen, die körperliche Struktur (der Phänotyp) des homo sapiens sapiens sich nicht mit gleicher Geschwindigkeit mitverändert. Zwar wissen wir alle, dass der heutige Phänotyp des Menschen ein ‚Zwischenprodukt‘ ist, etwas ‚Gewordenes‘, auf keinen Fall etwas ‚Endgültiges‘, und in seiner konkreten Ausgestaltung auch nur gerechtfertigt durch die konkreten Lebensnotwendigtkeiten, die vor ca. 200.000 bis einige Millionen Jahre vor unserer Gegenwart (BP := Before Present) bestanden hatten, dennoch leisten wir uns den Luxus einer sogenannten Ethik, nach der wir das menschliche Genom nicht verändern dürfen. Wenn man weiß, dass wir nur deshalb heute leben, weil dieses Genom in den vorausgehenden 3.5 (oder mehr) Milliarden Jahren beständig und kontinuierlich verändert worden ist, dann wirkt es geradezu makaber, dass unter dem Vorwand, Leben zu erhalten, genau das verboten wird, was überhaupt unser Leben ermöglicht hat. Im übrigen ist kein einzelner Mensch ‚Herr‘ über das biologische Leben. Klassisch würde man dies als ‚Hybris‘ bezeichnen. Wenn wir dem Leben ‚dienen‘ wollen dann sicher nur dort und darin, wo wir die Mechanismen, die Leben ‚möglich‘ machen, immer weiter identifizieren und weiter unterstützen. Auf jeden Fall müssen wir das psychische Inventar des homo sapiens sapiens dramatisch verbessern (wobei wir niemanden haben, den wir fragen können! Wir sitzen alle im gleichen Boot des Suchens….).

 

 

OPEN END

 

(19) Ich höre an dieser Stelle mal auf. Natürlich wurde – wie immer – vieles Wichtiges nicht gesagt. Vieles ist zudem kryptisch, verlangt ausführlichere Erklärungen. Aber das genau ist Teil unseres Problems: wir müssen sehr große, komplexe Probleme mit Hilfe eines – trotz allem Fantastischen – sehr endlichen Gehirn mit sehr primitiven Kommunikationsmöglichkeiten in vergleichbar kurzer Zeit lösen. Dazu kommt ein Arsenal von Emotionen und Gefühlen, die für diese Aufgabe wenig geeignet sind (siehe vorausgehende Blog-Einträge). Nichtsdestotrotz, je mehr ich über diese Dinge nachdenke, um so mehr verfestigt sich in mir das Gefühl, dass es in allem viel, viel mehr ‚Ordnung‘ gibt als ‚Chaos‘. Denn, in welcher ‚dunklen‘ Ecke man auch immer anfängt herum zu gucken, über kurz oder lang findet man ‚Spuren‘ von Ordnung. Dies hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir selbst als homo sapiens sapiens durch und durch ein hochintegriertes Ordnungssystem darstellen, aus dem wir nicht aussteigen können (weswegen auch der französische Strukturalismus als Antistrukturalismus bestenfalls amüsant war; was soll schon herauskommen, wenn man sein eigenes Gehirn zu leugnen versucht…). Aber genau ist dann auch wichtig: sollte um uns herum tatsächlich nur Chaos herrschen, dann könnte sich auch in keiner Weise irgendeine Ordnungsstruktur daraus entwickeln. Die Tatsache, dass dies aber der Fall war, zeigt, dass es ein sehr hohes Mass an vorgegebener Ordnung gegeben haben muss (und gibt). Zudem bestätigen alle bekannten wissenschaftlichen Ergebnisse genau dieses. Methodisch ist es natürlich allemal besser, man arbeitet mit der ‚Null-Hpothese‘ (in diesem Fall: nur Chaos). Wenn man dann allerdings immer nur und immer mehr ‚Ordnung‘ findet, sollte man sich gelegentlich auch mal den ‚Luxus‘ erlauben, über das Gefundene konstruktiv nachzudenken. Vielleicht scheuen die meisten davor zurück, weil dies z.B. bedeuten würde, wir müssten uns einer neuen Ethik stellen, die vieles von den liebgewordenen Normen in Frage stellt. Noch schlimmer: dem homo sapiens sapiens käme eine Verantwortung zu, nicht für alles und jedes, aber doch für die Lebenden eine ‚totale’…für jeden…wer mag das schon…

 

Drei Jahre später gibt es einen neuen Eintrag, in dem die Worte ‚Computerspiel‘ und ‚Level‘ vorkommen, aber dort konkreter in Richtung von Stufen des phlosophischen Bewusstseins.

 

QUELLENNACHWEISE

 

G. Doeben-Henisch, URL: Skript (ältere Version), dort der Abschnitt ‚Physical World as Virtual Reality?

 

Whitworth, B., The physical world as a virtual reality, CDMTCS Research Report, CDMTCS-316, 2007, http://arxiv.org/abs/0801.0337 1-17, rev. 2008

 

G. W. Leibniz: Monadologie (Deutsch). Übersetzt , eingeleitet und erläutert von Helmut Glockner Stuttgart: Reclam, 1954

 

G. W. Leibniz: Monadologie (Französisch/Deutsch). Übersetzt und herausgegeben von Hartmut Hecht, Stuttgart: Reclam, 1998. ISBN 3-15-007853-9 (eine online Version der ersten deutschen Übersetzung von Köhler 1720 findet sich hier: http://gutenberg.spiegel.de/buch/2790/1)

 

 

 

Eine Übersicht über alle bisherigen Themen von Autor cagent findet sich hier.