Im Kontext der Entwicklung einer ’nachhaltigen empirischen Theorie‘ (NET) gibt es neben den ‚meta-theoretischen‘ Diskussionen nicht wenige Diskussionen auch im Kontext der möglichen ‚Anwendungsszenarien‘. Das folgende Schaubild lässt ein wenig die Umrisse der Thematik erkennen.
Theorie und Anwendungsszenarien
Erläuterungen zum Bild
Konzepte und Prozesse
Neben den ’strukturellen Konzepten‘ auf der linken Seite muss man die ‚Prozessstrukturen im Alltag‘ auf der rechten Bildseite berücksichtigen.
Konzept Theorie
Ein strukturelles Konzept beschreibt z.B. auf einem Meta-Level was eine ’nachhaltige empirische Theorie‘ ist und vergleicht dieses Konzept mit dem Konzept ‚Spiel‘ und ‚Theaterstück‘. Da es schnell sehr aufwendig werden kann, komplette Theorien per Hand hinzuschreiben, kann es sehr hilfreich sein, eine Software zu haben (es gibt eine unter dem Namen ‚oksimo.R‘), die den Bürger darin unterstützt, gemeinsam mit anderen Bürgern in ’normaler Sprache‘ den ‚Text einer Theorie‘ aufzuschreiben und nach Bedarf auch zu ’simulieren‘; darüber hinaus wäre es gut, man könnte eine Theorie auch ‚interaktiv spielen‘ (und letztlich sogar noch viel mehr).
Den Text einer Theorie zu haben, diese auszuprobieren und weiter zu entwickeln ist eine Sache. Aber der Weg zu einer Theorie kann mühsam und langwierig sein. Er benötigt sehr viel ‚Erfahrung‘, ‚Wissen‘ und vielfältige Formen von dem, was man meist sehr vage ‚Intelligenz‘ nennt.
Konzept Kollektive Intelligenz
Intelligenz kommt typischerweise im Kontext ‚biologischer Systeme‘ vor, bei ‚Menschen‘ und ‚Nicht-Menschen‘. In neuerer Zeit gibt es auch Beispiele, denen man vage Intelligenz zuspricht, die von ‚Maschinen‘ realisiert wird. Letztlich bilden alle diese unterschiedlichen Phänomene, die man unter dem Begriff ‚Intelligenz‘ grob zusammen fasst, ein Muster, das man unter einer bestimmen Rücksicht als ‚kollektive Intelligenz‘ betrachten könnte. Dafür gibt es sehr viele prominenten Beispiel aus dem Bereich ’nicht-menschlicher biologischer Systeme‘, und dann ganz besonders bei ‚menschlichen biologischen Systemen‘ mit ihrem ‚koordinierten Verhalten‘ in Verbindung mit ihren ’symbolischen Sprachen‘.
Die große Herausforderung der Zukunft besteht darin, diese verschiedenen ‚Typen von individueller und kollektiver Intelligenz‘ zu einer wirklichen konstruktiv-kollektiven Intelligenz zusammen zu führen.
Konzept empirische Daten
Die allgemeinste Form einer Sprache bildet die sogenannte ’normale Sprache‘ oder ‚Alltagssprache. Sie enthält in einem Konzept alles, was wir heute über Sprachen wissen.
Ein interessanter Aspekt ist die Tatsache, dass die Alltagssprache für jede spezielle Art von Sprache (Logik, Mathematik, …) jene ‚Meta-Sprache‘ bildet, auf deren Basis die andere spezielle Sprache ‚eingeführt‘ wird.
Die möglichen ‚Bedeutungselemente und Bedeutungsstrukturen‘, aus denen heraus sich die alltäglichen Sprachstrukturen gebildet haben, entspringen dem Raum des Alltags und seiner Ereigniswelt.
Während die normalen Wahrnehmungsprozesse in Abstimmung unter den verschiedenen Sprechern-Hörer schon eine Menge wertvoller Beschreibungen von alltäglichen Eigenschaften und Prozessen liefern können, können spezialisierte Beobachtungsprozesse in Form von ’standardisierten Messprozessen‘ die Genauigkeit von Beschreibungen erheblich steigern. Das zentrale Moment ist, dass sich alle beteiligten Sprecher-Hörer, die sich für ein ‚bestimmtes Thema‘ (Physik, Chemie, Raumverhältnisse, Spielzüge, …) interessieren, sich für alle ‚wichtigen Eigenschaften‘ auf ‚vereinbarte Beschreibungsprozeduren‘ einigen, die jeder in gleicher Weise auf transparente und reproduzierbare Weise ausführt.
Prozesse im Alltag
Auf welche konzeptuelle Strukturen man sich auch immer geeinigt haben mag, sie können nur dann ‚zur Wirkung kommen‘ (‚zum Leben erweckt‘ werden), wenn es genügend Menschen gibt, die bereit sind, im Rahmen des Alltags all jene ‚Prozesse‘ konkret zu leben. Dazu braucht es Raum, Zeit, die notwendigen Ressourcen und eine hinreichend starke und anhaltende ‚Motivation‘, diese Prozesse jeden Tag aufs Neue zu leben.
So gibt es neben den Menschen, Tieren und Pflanzen und deren Bedürfnissen mittlerweile eine riesige Menge an künstlichen Strukturen (Häuser, Straßen, Maschinen,…), die jeweils auch bestimmte Anforderungen an ihre Umgebung stellen. Diese Anforderungen zu kennen und sie so zu ‚koordinieren/ zu managen‘, dass sie positive Synergien‘ ermöglichen, ist eine gewaltige Herausforderung, die — so der Eindruck im Jahr 2023 — die Menschheit vielfach überfordert.
DER AUTOR
Einen Überblick über alle Beiträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.
Der Autor dieses Textes ist involviert in die Ausarbeitung zur Theorie und zur praktischen Umsetzung eines neuen Konzeptes von ‚Kollektiver Mensch:Maschine Intelligenz‘, das unter dem Begriff ‚oksimo Paradigma‘ vorgestellt und diskutiert wird.[1] In diesem Zusammenhang ist es wichtig, den eigenen Standpunkt immer wieder mit anderen Positionen in der Literatur abzugleichen: Ist das Ganze letztlich doch nicht wirklich ‚Neu‘? Falls doch, in welchem Sinne neu? Interessant sind auch die Beziehungen zwischen den verschiedenen Konzepten, ihre historische Entwicklung.
In einer online-Veranstaltung am 30.November 2021 bekam der Autor von Jörn Lamla den Hinweis auf den Artikel ‚Social Machines‘. [2] Wie man in dem kurzen aber prägnanten Artikel in der englischen Wikipedia nachlesen kann [3], ist der Begriff ‚Social Machine‘ (‚Soziale Maschine‘) schon gut 150 Jahre alt, zeigt aber noch keine sehr klaren Konturen. Der Versuch, das ‚Soziale‘ mit der ‚Technologie‘, mit ‚Maschinen‘ — hier sind vernetzte Computer gemeint, letztlich der ‚Cyberspace‘ — begrifflich zu vernetzen, drängt sich auf, ist für Gesellschaftswissenschaften verführerisch, führt aber nicht automatisch zu präzisen Konzepten. Weder ‚das Soziale‘ noch ‚die Maschine‘ sind Begriffe, die aus sich heraus irgendwie klar sind. Umso gespannter kann man sein, was die Autoren meinen, wenn sie zum begrifflichen Konstrukt ‚Soziale Maschine‘ einen Text schreiben.
SOZIALE MASCHINEN
Im weiteren Text bekennen sich die Autoren zu der schwer fassbaren Semantik des Begriffs ‚Soziale Maschine‘, indem sie diverse Beispiele aus der Literatur zitieren, die ein viel schillerndes Bild bietet. Um für ihre Diskussion einen irgendwie gearteten begrifflichen Referenzpunkt zu gewinnen, führen sie dann ihrerseits eine ‚Definition‘ von ‚Sozialer Maschine‘ ein (ohne sich allerdings der Mühe zu unterziehen, die Vielfalt der bisherigen Positionen tatsächlich im einzelnen zu diskutieren).
Def 1: Social Machines
Ihre Definition lautet: „Social Machines sind soziotechnische Systeme, in denen die Prozesse sozialer Interaktion hybrid zwischen menschlichen und maschinellen Akteuren ablaufen und teilweise algorithmisiert sind.“
An dieser Stelle ist es eine offene Frage, ob diese Definition eine ‚adäquate Repräsentation‘ des vorausgehenden Diskurses zu Sozialen Maschinen darstellt, oder ob es sich nur um eine spezielle Setzung der Autoren handelt, deren Begründung nicht schlüssig aus dem bisherigen Diskurszusammenhang folgt.
Liest man die Definition der Autoren, dann fallen u.a. folgende Formulierungen auf: (i) dass die ‚Prozesse sozialer Interaktion‚ ‚hybrid‚ sein sollen; (ii) dass diese Prozesse zwischen ‚menschlichen und maschinellen Akteuren‚ ablaufen sollen, und (iii) dass diese ‚ teilweise algorithmisiert‚ sein sollen.
Hybrides Handeln
Angesichts des großen Bedeutungsspektrums des Ausdrucks ’soziale Interaktion‘ in der Literatur (dazu oft sehr theorieabhängig genutzt) ist an dieser Stelle nicht ganz klar, was mit sozialer Interaktion‘ gemeint sein soll. Dazu der Ausdruck ‚hybrid‘. Ab wann sind menschliche Handlungen hybrid? Handelt ein Mensch ‚hybrid‘ wenn er Werkzeuge benutzt? Handelt ein Mensch ‚hybrid‘, wenn er die Gegebenheiten der Natur nutzt, um Nahrung zu finden oder zu produzieren? Handelt ein Mensch ‚hybrid‘, wenn er andere Menschen ‚instrumentalisiert‘, um persönliche Ziele zu erreichen? Handelt ein Mensch ‚hybrid‘, wenn er eine Sprache benutzt, die er in einer Gesellschaft als Instrument der Kommunikation vorfindet? Warum sollte die Benutzung einer Maschine eine besondere Form von ‚hybridem Handeln‘ darstellen, wenn die Nutzung der Maschine für den ‚Inhalt der Aktion‘ ‚unwesentlich‘ ist?
Für die weitere Diskussion sei hier daher die Verabredung getroffen, dass immer dann, wenn ein Mensch in seiner Interaktion mit der Welt irgendwelche Umstände so benutzt, dass dieses Handeln ohne diese Bezugnahme nicht erklärbar wäre, von einer ‚allgemein hybriden Handlung‘ gesprochen werden soll. Da jede Interaktion mit der Umgebung ‚als Interaktion‘ in diesem Sinne ‚allgemein hybrid‘ ist, sagt der Ausdruck ‚allgemein hybrid‘ nicht allzu viel, außer, das er uns bewusst machen kann, dass wir im Handeln niemals nur ‚für uns‘ handeln, niemals nur ‚isoliert, autonom‘ handeln, sondern wir uns unausweichlich in einer ‚Wechselwirkung‘ mit ‚etwas anderem‘ befinden. Und dies liegt nicht am ‚Handeln als solchem‘ sondern in der Art und Weise, wie jegliches Handeln von Homo sapiens Exemplaren in der ‚inneren Struktur‘ eines Homo sapiens ‚verankert‘ ist.
Die Benutzung vieler Computerdienste (maschinelle Dienstleistungen) sind in diesem Sinne zwar ‚allgemein hybrid‘ insoweit ein Mensch zusätzliche Mittel für sein Handeln benutzt, aber ob man den die maschinelle Dienstleistung benutzt oder nicht, muss nicht notwendigerweise einen wesentlichen Einfluss auf den ‚Inhalt des Handelns‘ haben (außer dass diese Benutzung das Handeln ‚bequemer‘ oder ’schneller‘ oder … macht). Wenn die Autoren also die Bedeutung von ‚hybrid‘ in diesem Zusammenhang so betonen, stellt sich die Frage, was denn in dieser Interaktion so ‚besonders‘, so ’speziell‘ sein soll, dass es sich lohnt, dies hervor zu heben. Allein die Einbeziehung von ‚etwas anderem‘ in das menschliche Handeln geschieht seitdem es den Homo sapiens gibt, tatsächlich sogar schon viel länger, wenn man die evolutionäre Vorgeschichte des Homo sapiens berücksichtigt. Selbst unter Prä-Homo sapiens Lebensformen, die heute leben, ist ‚allgemein hybrides‘ Handeln verbreitet.
Menschliche und Maschinelle Akteure
Es fragt sich, ob mit der Konkretisierung des ‚technischen Anteils‘ im Ausdruck ’soziotechnische Systeme‘ zu ‚Maschinen‘ etwas gewonnen wird? Gibt es technische Systeme, die keine Maschinen sind? Was ist mit hochentwickelten Landwirtschaften, wie sie sich in der Zeit islamischer Besetzung in Spanien um und vor +1000 fanden: komplexe Bewässerungssysteme, komplexe Architektur, komplexe Organisationsformen machten aus Spanien eine blühende und fruchtbare Landschaft. Ist das auch Technologie, und dann sogar im eminenten Sinne soziotechnisch‘? Was ist mit den großartigen Bibliotheken in der Hochblüte des Islams mit vielen hundert Tausend Büchern? Was ist mit der Seeschifffahrt durch die letzten Jahrtausende, die Städte, den Bauwerken, den Straßen und Brücken, den … ? Der Begriff ‚technisches System‘ ist nicht besonders klar, genauso wenig der Begriff ‚Maschine‘. Wie ein kurzer Blick in die englische Wikipedia zeigt [8], hat der Begriff eine lange Geschichte mit einem starken Bedeutungswandel, der die Spuren vielfältiger kultureller Entwicklungen in sich aufgenommen hat. Welche Typen von Maschinen meinen die Autoren?
Durch die Kombination von ‚Maschine‘ und ‚Akteur‘ kommt auf jeden Fall eine besondere Note ins Spiel, da der Begriff des ‚Akteurs‘ — in sich auch nicht klar definiert! — die unscharfe Vorstellung assoziiert, dass damit ein ‚System‘ gemeint sein könnte, das ‚(selbständig?) handeln‘ kann — was immer genau ‚(selbständig) handeln‘ heißen mag –.
Im Englischen meint ‚Akteur‘ als ‚actor‘ schlicht Menschen, die als Schauspieler in einem Stück handeln [9]. Sie handeln aber tatsächlich nur partiell ’selbständig, aus sich heraus‘, insofern sie das vorgegebene Drehbuch zwar in den groben Linien ’nachspielen‘, im Detail der Rolle aber mit ihrem realen Verhalten diese Rolle ‚modifizieren‘ können; in der Art und Weise dieses ‚Modifizierens einer Rolle‘ meinen viele erkennen zu können, ob es sich um einen ‚großen Schauspieler‘ handelt.
In neueren technischen Kontexten gibt es viele Standards, u.a. auch UML (Unified Modeling Language). [10] In UML wird für den Bereich der Programmierung das Zusammenspiel, die Interaktion verschiedener ‚Rollen‘ in einem Interaktionsfeld strukturiert beschrieben. ‚Akteure‘ (‚actors‘) sind dann jene abgrenzbare Größen, die Ereignisse aus der Umgebung (Input) aufnehmen, wie auch auf die Umgebung durch Reaktionen (Output) reagieren können.[11]
Viele andere sprachliche Verwendungszusammhänge mit dem Begriff ‚Akteur‘ sind bekannt. Die Autoren bieten dazu keine Erläuterungen, weder für die Frage, warum sie den allgemeinen Begriff des ‚technischen Systems‘ auf ‚Maschinen als Akteure‘ einschränken noch, welche Art von ‚Akteuren‘ sie genau meinen.
Teilweise Algorithmisiert
Der heutige Begriff des ‚Algorithmus‘ im Kontext von programmierbaren Maschinen [12] hat eine lange Vorgeschichte im Kontext der Mathematik (von heute aus ca. 4.500 Jahre rückwärts), wird aber seit der Verfügbarkeit von real programmierbaren Maschinen (‚Computern‘) seit ca. 1930 vornehmlich für jene Befehlslisten verwendet, mit denen programmierbare Maschinen gesteuert werden.[13] Der Ausdruck der Autoren, dass ’soziale Interaktionen‘ ‚teilweise algorithmisiert‘ sind, wirft von daher mindestens eine Frage auf: Was an einer sozialen Interaktion soll algorithmisiert‘ sein, wenn doch nach allgemeinem Verständnis nur programmierbare Maschinen von einem Algorithmus gesteuert werden können?
Nehmen wir an, dass hier soziotechnische Systeme gemeint sind, die — vereinfachend — aus Akteuren bestehen, die sowohl biologische und nicht-biologische Systeme sein können. Im angenommenen Fall sind diese Akteure auf der einen Seite weiter spezialisiert zu ‚biologischen System‘, die ‚Homo sapiens Exemplare‘ darstellen, und auf der anderen Seite ‚programmierbare Maschinen‘. Von den programmierbaren Maschinen ist bekannt, dass sie — per Definition — über ein ‚Programm‘ verfügen können, das die Eigenschaften eines ‚Algorithmus‘ besitzt. In einer ‚Interaktion‘ zwischen Homo sapiens Akteuren und programmierbaren Maschinen würden — Annahme — die Homo sapiens Akteure so handeln, wie sie immer handeln: Bezugnehmend auf ihre Wahrnehmung der Umgebung würden sie auf der Basis der bis dahin erworbenen Erfahrungen und aktuellen Motivationslagen auf diese Umgebung reagieren; dieses ‚Muster‘ von ‚Wahrnehmung + innere Zustände + Reagieren‘ würde dann einen groben Rahmen für den Begriff einer ‚Handlung‘ zur Verfügung stellen, die bezogen auf eine Situation mit einem anderen Akteur als ‚Gegenüber‘ dann als ‚Interaktion‘ bezeichnet werden könnte. [14] Jede Art von ‚Interaktion‘ in dieser Sicht wäre ‚allgemein hybrid‘, sofern das ‚Gegenüber‘ zu einem Homo sapiens Exemplar nicht wieder ein anderes Homo sapiens Exemplar wäre, also allgemein ‚kein biologisches System‘! Insofern ‚programmierbare Maschinen‘ sehr spezielle Formen von Maschinen — und generell von technischen Systemen — darstellen, die in er ‚Rolle eines Akteurs‘ auftreten können, hätten wir das Muster einer ‚allgemein hybriden‘ Interaktion, die sich zunächst nicht von irgendwelchen anderen Interaktionen des Homo sapiens Exemplars mit irgendwelchen nicht-biologischen Systemen unterscheidet.
An dieser Stelle könnte man dann die Frage stellen, ob und wie die Interaktion eines Homo sapiens Exemplars mit einer programmierbaren Maschine irgendwelche Besonderheiten aufweisen kann verglichen mit einer ‚allgemein hybriden Interaktion‘?
Nach diesen ersten Fragen an die Autoren hier die Interpretation, die die Autoren selbst zu ihrer Definition geben.
Def. 2: Soziotechnisches System
Interessant ist die Formulierung „… verstehen wir unter einem soziotechnischen System ein komplexes Gefüge, welches Menschen, Hard- und Software, organisationale und soziale Prozesse für gegebene Aufgaben oder Ziele miteinander interagieren lässt.“
Das zuvor ermittelte Schema von zwei Akteuren unterschiedlicher Art (biologisch und nicht-biologisch, im letzteren Fall ‚programmierbare Maschinen‘), wird hier in einem Bündel von vier Faktoren gesehen: (i) Menschen, (ii) Hard- und Software, (iii) ‚organisationale und soziale Prozesse‘, sowie (iv) ‚Aufgaben und Ziele‘. Diese vier Faktoren sind dynamisch so verknüpft, dass es ‚Aufgaben und Ziele‘ sind, bezogen auf diese die anderen drei Faktoren in Wechselwirkungen treten. Normalerweise würde man annehmen, dass es die Interaktionen von ‚Menschen‘ einerseits und ‚Hard- und Software‘ andererseits sind, durch die ‚Prozesse‘ stattfinden. In der Formulierung der Autoren liest es sich aber so, als ob ‚organisationale und soziale Prozesse‘ einen eigenständigen Faktor neben ‚Menschen‘ und ‚Hard- und Software‘ bilden, und zwar so, dass alle drei Faktoren interagieren. Also, ein ‚Prozess‘ interagiert mit einem Menschen oder einer Hard- und Software und umgekehrt. Eine sehr ungewöhnliche Vorstellung.
In einem sehr verbreiteten Verständnis von ‚Prozess‘ [15] ist ein Prozess eine Serie von Aktivitäten, die ineinandergreifen, um ein ‚Ergebnis‘ zu produzieren. Je nach Kontext (Disziplin, Anwendungsbereich) können die Aktivitäten sehr unterschiedlich aussehen, ebenso das erzielte Ergebnis.[15] Ergänzend ist es ein verbreitetes Verständnis von ‚Aktion’/’Aktivität‘, dass es sich um ein Ereignis handelt, das von einem ‚Agenten’/ ‚Akteur‘ für eine bestimmte ‚Absicht’/ ‚Ziel‘ herbeigeführt wird, das ‚in‘ dem handelnden Akteur ‚verankert‘ ist. [16]
In diesem Verständnishorizont sind es also Agenten/ Akteure, die unter dem Einfluss von Zielen bestimmte Ereignisse erzeugen — als handeln, indem sie Aktionen ausführen –, die zusammen genommen als ein ‚Prozess‘ verstanden werden können. In diesem Sinne sind ‚Prozesse‚ keine ’normalen Objekte‘ der realen Welt sondern begriffliche Konstrukte, die sich in den Köpfen von Akteuren bilden können, um eine Folge von konkreten Ereignissen — stark abstrahierend — als einen ‚Prozess‘ zu verstehen. Von einem ‚Prozess‘ zu sprechen verlangt daher von den Beteiligten, sich jeweils darüber zu vergewissern, welche Abfolge von Ereignissen (Handlungen) zum aktuellen Begriff eines Prozesses gehören sollen.
Bemerkenswert ist auch, dass die Ziele — die intendierten Ergebnisse — ebenfalls nicht als ’normale Objekte‘ vorkommen, sondern primär ‚in den Akteuren‘ verankert sind, und es eine der schwierigsten Aufgaben in jedem Prozess ist, zwischen allen beteiligten Akteuren zu klären, was man unter dem ‚gemeinsamen‘ Ziel — eventuell individuell ganz unterschiedlich gedacht — so zu verstehen hat, dass es zwischen allen Beteiligten ‚klar genug‘ ist. [17] Da Ziele keine realen Objekte sind, sondern immer nur ‚innere Objekte‘ der Akteure, ist eine vollständige Klärung der ‚gemeinten Bedeutung‘ generell nur annäherungsweise über aufzeigbare Beispiele möglich.
Versucht man der Intention der Autoren zu folgen, dann wären Prozesse Entitäten, die mit Menschen und/oder Hard- und Software interagieren können. Hierin klingt irgendwie an, als ob Prozesse soziale Realitäten sind, die als solche greifbar sind und mit denen Menschen interagieren können so wie mit anderen Gegebenheiten. Da die Autoren den Begriff der ‚Interaktion‘ bzw. der ‚Aktion‘ bislang nicht geklärt haben, bleibt der Versuch des Verstehens an dieser Stelle ‚mit sich alleine‘.
Im Lichte eines verbreiteten Verständnisses sind Prozesse höchstens in einem sehr abstrakten Sinne ’soziale Realitäten‘, die mit Menschen sowie Hard- und Software ‚interagieren‘. Nehmen wir z.B. einen beliebigen Planungsprozess in einer Firma oder einer Behörde. Ein Chef kann z.B. einen Mitarbeiter davon in Kenntnis setzen, dass er ab morgen in dem Planungsprozess Px mitarbeiten soll. Damit wird der Mitarbeiter Mitglied der Projektgruppe PGx zum Planungsprozess Px. Als Mitglied der Projektgruppe startet für das neue Mitglied ein Kommunikationsprozess, innerhalb dessen er sich ein ‚inneres Bild‘ von dem Projekt und seinen Aufgaben machen kann. In dem Maße, wie der Mitarbeiter aufgrund seines ‚inneren Bildes‘ versteht, was genau seine Aufgaben mitsamt einem spezifischen Aufgabenumfeld sind, kann der Mitarbeiter anfangen, ‚etwas zu tun‘, d.h. er kann ‚gezielt Handlungen vornehmen‘. Im ‚Stattfinden‘ seiner Handlungen und durch die möglichen ‚erfahrbaren Resultaten‘ können die anderen Mitglieder der Projektgruppe ‚wahrnehmen‘, was der neue Mitarbeiter tut und sie können die neuen ‚Wahrnehmungen‘ mit ihrem ‚inneren Bild des Projektes‘ ‚abgleichen‘: passen die Handlungen und Ergebnisse des neuen Mitarbeiters zu ‚ihrem inneren Bild‘ des Prozesses?
Im Lichte dieses Beispiels würde das Konzept einer ‚Interaktion zwischen Menschen und einem Prozess‘ letztlich zurück übersetzt werden müssen zu einer ‚Interaktion zwischen Menschen‘, da ein Prozess niemals als solcher als ein ‚erfahrbares Objekt‘ existiert, sondern immer nur als ‚abstraktes Konzept‘ im ‚Innern von Menschen‘, die über Kommunikation verbunden mit Handlungen und aufzeigbaren Artefakten miteinander interagieren. Kann man solchen Kommunikationen und Interaktionen mit Artefakten ein gewisses ‚Format‘ zuordnen, dann sprechen wir von einem ‚Prozess‘, der durch Akteure — hier Menschen — in einer Abfolge typischer Handlungen ’stattfindet‘.
Def. 2*: Soziotechnisches System
An dieser Stelle des Rekonstruktionsversuchs würde man die Formulierung der Autoren wie folgt ‚um-formulieren‘ können: „… verstehen wir unter einem soziotechnischen System ein komplexes Gefüge bestehend aus Menschen und Hard- und Software, die aufgrund von akzeptierten Zielen so miteinander interagieren können, dass organisationale und soziale Prozesse stattfinden, die zu Änderungen in der bestehenden Umgebung führen können.„
Möglicherweise meinen die Autoren auch, dass die Tatsache, dass eine Gruppe von Menschen aufgrund von festgelegten Zielen längere Zeit in einem bestimmten Format miteinander so interagieren, dass andere dieses Vorgehen ‚in ihrem Innern‘ als ein ‚Prozess‘ erkennen, und diese ‚Wahrnehmung und Interpretation‘ für die ‚Beobachter‘ eine irgendwie geartete ‚Wirkung entfaltet, dass solch eine ‚Wirkung im Innern‘ als ‚Teil einer Interaktion‘ der Beobachter mit dem beobachtbaren Prozess verstanden werden kann. Eine solche Ausweitung der Bedeutung von normalen ‚Wahrnehmungsprozessen‘ zu ‚Interaktionsprozessen‘ würde aber für eine Analyse wenig attraktiv erscheinen.
Der Ausdruck ‚Gefüge‚, den die Autoren benutzen, klingt ein wenig ‚altmodisch‘. Nach mehr als 100 Jahren diverse Strukturwissenschaften sollte man das Wort ‚Gefüge‘ doch vielleicht eher durch den Ausdruck ‚Struktur‚ ersetzen. [18] Eine ‚Struktur‘ liegt vor, wenn man verschiedene Komponenten unterscheiden kann, hier z.B. ‚Menschen‘ und ‚Hard- und Software‘, und diese Komponenten können in Form ‚typischer‘ Handlungen miteinander interagieren, also etwa
SOZIOTECHNISCHES SYSTEM (ST) gdw ST = <Menschen, Hard-/Software, …, Interaktionen, …>
Die Elemente ‚Absicht‘, ‚Ziel‘, ‚inneres Bild von…‘ usw. würden dann in einer eigenständigen Sub-Struktur ‚Mensch‘ oder ‚menschlicher Akteur‘ verortet, da ein Mensch als eine ‚eigenständige Struktur‘ aufgefasst werden kann, etwa:
MENSCH(M) gdw M = <Bilder, Ziele, …, Handlungen, …>
Die beiden Strukturen ST und M würden sogar eine kleine ‚Hierarchie‚ bilden: die Struktur M wäre eingebettet in die Struktur ST.
Offen ist dabei noch, in welchen Sinne ‚Hard- und Software‘ überhaupt interagieren können.
Def 3: Prozesse sozialer Interaktion
sind sich dynamisch ändernde Abfolgen sozialer Aktionen zwischen Individuen und/oder Gruppen.
Die Unklarheit, die durch Def. 2 noch darin gegeben war, als ob ‚organisationale und soziale Prozesse‘ quasi ‚gleichberechtigte‘ Faktoren neben Akteuren, Hard- und Software sind, wird durch Def. 3 aufgehoben. In der Formulierung von Def. 3 sind ‚Prozesse sozialer Interaktion‘ ‚Abfolgen sozialer Aktionen‘, die ‚zwischen Individuen und/oder Gruppen‘ stattfinden, und die sich ‚dynamisch ändern‘ können. Diese Lesart entspricht weitgehend dem Formulierungsvorschlag Def 2*.
Def. 4: Hybridität
Unter ihrer Hybridität schließlich verstehen wir, dass an diesen Prozessen inhärent sowohl maschinelle als auch menschliche Akteure wesentlich beteiligt sind.
Anders formuliert sagen die Autoren, dass ‚Prozesse sozialer Interaktion‘ dann hybrid sind, wenn in solchen Prozessen sowohl ‚maschinelle als auch ‚menschliche Akteure‘ beteiligt sind.
Mit Blick auf die Diskussion zum Ausdruck ‚hybrid‘ im Anschluss an Def. 1 beschränkt sich die Formulierung von Def. 4 zunächst darauf, nur zu fordern, dass im Rahmen von ‚Prozessen sozialer Interaktionen‘ neben dem Akteurstyp ‚Mensch‘ auch der Akteurstyp ‚Maschine‘ vorkommt. Wie solch eine Interaktion aussieht, welche Eigenschaften sie auszeichnen, bleibt hier noch offen. In der vorausgehenden Diskussion war ja schon thematisiert worden, dass menschliche Akteure andere nicht-menschliche Mittel — also auch Maschinen (welche Typen von Maschinen?) — ‚unwesentlich‘ benutzen können. Damit war gemeint, dass man zwar eine programmierbare Maschine (Computer) zum ‚Text schreiben‘ benutzen kann, dass der Computer hier aber keine ‚wesentliche‘ Rolle spielt; er macht das Erstellen von Texten vielleicht ‚einfacher‘, wäre aber generell nicht notwendig.
Den folgenden Text kann man grob als eine Serie von ‚Annahmen‘ über die Wirklichkeit bezeichnen, vermischt mit impliziten Folgerungen, in denen die bisherige Einleitung weiter ausdifferenziert wird.
Ziel der Diskussion bleibt es, zu klären, wie sich das Konzept der ‚kollektiven Mensch:Maschine Intelligenz‘ aus dem oksimo Paradigma zum Konzept der ‚Sozialen Maschine‘ verhält.
ANNAHME-Hybridisierung 1
Die Autoren benennen drei Komponenten ‚Webtechnologie‘ — mit dem Attribut ‚mobil‘ ergänzt –, ‚lernende Bots‘ und ‚KI‘, wodurch „Sozialität und Maschine“ zunehmend verschmelzen. Daraus ziehen sie den Schluss: „Die menschlichen und nichtmenschlichen Komponenten der Social Machine sind folglich immer schwerer voneinander zu unterscheiden und zu trennen, was als paradigmatischer Trend zur fortschreitenden Hybridisierung der Social Machine bezeichnet werden kann“.
Der Kern der Schlussfolgerung fokussiert in der Idee, dass der „Trend zur fortschreitenden Hybridisierung“ offensichtlich sei.
Wenn nach Def. 4 von den Autoren festgehalten wird, dass man unter „Hybridität“ verstehen sollte, „dass an diesen Prozessen inhärent sowohl maschinelle als auch menschliche Akteure wesentlich beteiligt sind“, dann fragt man sich, was man sich unter dem ‚Fortschreiten einer Hybridisierung‘ verstehen soll. Die bloße Vermehrung der ‚Anzahl‘ der beteiligten Faktoren ‚Menschen‘ oder ‚Maschinen‘ kann es wohl nicht sein. Zumindest gibt die Def. 4 dies nicht her.
Die Autoren sprechen vor ihrer Schlussfolgerung davon, dass „Sozialität und Maschine zunehmend verschmelzen„. Dies kann man so interpretieren, dass die ‚fortschreitende Hybridisierung‘ zusammenhängt mit einer ‚Verschmelzung‘ von Sozialität und Maschine. Der Ausdruck ‚verschmelzen‘ wurde von den Autoren zuvor nicht eigens definiert. Die eher sprachliche Deutung von ‚Verschmelzung‘ von Worten scheint nicht gemeint zu sein.[19] Der bedeutungsnahe Ausdruck ‚Fusion‘ bietet eine Vielzahl von Varianten. [20] Welche Variante meinen die Autoren. Dass so ungleiche Wirklichkeiten wie ‚Sozialität‘ und ‚Maschinen‘ ‚verschmelzen‘, dafür fehlt jeglicher Ansatzpunkt einer sinnvollen Interpretation.
Um dieses Dilemma aufzulösen könnte der Ausdruck „… sind folglich immer schwerer voneinander zu unterscheiden und zu trennen …“ einen Hinweis liefern. Wenn man das ‚unterscheiden‘ und ‚trennen‘ nicht auf reale Sachverhalte — wie Sozialität und Maschine — bezieht sondern auf die ‚Verarbeitung von Sinneseindrücken im Innern des Menschen‘, dann könnte man sich eine Interpretation vorstellen, in der durch die Art und Weise, wie Sozialität und Maschine in der Umwelt ‚vorkommen‘, im menschlichen Akteur ‚Vorstellungen‘ auslöst, in denen das menschliche Denken eine klare Unterscheidung immer weniger leisten kann. Dann wäre die angenommene Verschmelzung der Autoren ein rein kognitives/ mentales Problem der menschlichen Akteure, die sich in Interaktion mit einer Umwelt befinden, in der mindestens Menschen und Maschinen vorkommen, aber auf eine Weise, die eine klare Unterscheidung kognitiv/ mental schwer macht.
Dies führt zu folgendem Formulierungsvorschlag:
ANNAHME-Hybridisierung 1 *
Meine Formulierung würde dann lauten: „Menschliche und nichtmenschliche Akteure (hier Maschinen) können in einer Weise in der Umwelt vorkommen, dass es für die beteiligten Menschen in ihren mentalen/ kognitiven Bildern von der Welt immer schwerer wird, diese Akteure klar voneinander zu unterscheiden und zu trennen.„
Zu beachten ist auch, dass die Autoren zu Beginn des Abschnitts von drei unterschiedlichen Komponenten sprechen (‚Webtechnologie‘ — mit dem Attribut ‚mobil‘ ergänzt –, ‚Bots‘ und ‚KI‘), die im Gefolge dann offensichtlich dem Ausdruck ‚Maschine‘ zugeschlagen werden. Der Ausdruck ‚Maschine‘ wurde aber bislang nicht wirklich definiert. Auch sei der Ausdruck ‚Hard- und Software‘ erinnert, der in Def. 2 von den Autoren benutzt wird. Nach den Kontexten gehört dieser auch in das Bedeutungsfeld ‚Maschine‘, so wie es die Autoren praktizieren. Halten wir an dieser Stelle fest:
Def. 5 Maschine (indirekt abgeleitet):
Für die Autoren repräsentieren die Ausdrücke ‚Hard- und Software‘, ‚Webtechnologie (mit Aspekten der ‚Mobilität‘), ‚lernende Bots‘ und ‚KI‘ Aspekte des Bedeutungsfelds ‚Maschine‘, wie es im Kontext der Begriffe ’soziotechnisches System‘ bzw. ‚Soziale Maschine‘ implizit angenommen wird.
In der ‚realen Welt‘ beschreiben die aufgelisteten Ausdrücke (‚Hard- und Software‘, ‚Webtechnologie (mit Aspekten der ‚Mobilität‘), ‚lernende Bots‘ und ‚KI‘ ) ganz unterschiedliche Sachverhalte, deren Verhältnis zueinander keinesfalls trivial ist. Dies sei hier ganz kurz angedeutet:
Webtechnologie, Mobil, Hard- und Software
Der Begriff ‚Webtechnologie‚ ist in sich eher unklar, was mit dem unklaren Begriff ‚Web‚ zusammenhängt. Die englische Wikipedia listet mögliche Bedeutungsvarianten auf und verweist bei ‚web‘ auch auf das ‚World Wide Web [WWW]‘.[21] Die wichtige Botschaft ist [22], dass das WWW nicht das Internet ist, sondern das Internet als Basistechnologie voraussetzt. Das WWW selbst ist eine reine Softwareangelegenheit, wodurch es möglich ist, mittels eines speziellen Adresssystems (URLs) Signale zwischen diesen Adressen hin und her zu schicken. Die Art und Weise, wie dieser Signalaustausch formal stattfinden soll, regelt ein ‚Protokoll‘ (das ‚Hypertext Transfer Protocol‘ [HTTP]; mit zusätzlicher Sicherheit als HTTPS). Auf Seiten der Anwender benötigt man dazu eine Software, die ‚Browser‚ genannt wird, und innerhalb des Internets benötigt man einen Server, auf dem eine Software läuft, die ‚Webserver‚ genannt wird. Die ‚Mobilität‘ des WWW ist keine direkte Eigenschaft des WWW selbst sondern ergibt sich aus veränderten technischen Bedingungen des vorausgesetzten Internets: mobile Endgeräte, auf denen eine Browser Software installiert ist, erlauben eine Kommunikation innerhalb des WWWs.[23] Während das WWW eine reine Software ist, kann man fragen, was denn dann mit ‚Webtechnologie‘ gemeint sein soll? Wenn mit ‚Webtechnologie‘ auch ‚Software‘ gemeint ist, dann wäre der Begriff ‚Technologie‘ stark ausgeweitet. Das ‚Internet‘ — eine spezielle Kombination aus Hardware und Software — wird als ‚Netzwerk von Netzwerken‘ gesehen, innerhalb dessen ganz unterschiedliche Kommunikationsprotokolle am Werk sind, die ganz unterschiedliche Informationsquellen und Dienste ermöglichen. Das WWW ist eine Komponenten unter vielen.[24] Mit ‚Netzwerk‚ ist in diesem Kontext ein ‚Computernetzwerk‚ gemeint. Es besteht aus unterschiedlichen ‚Computern‚, die über geeignete ‚Verbindungen‘ und ‚Verbindungstechnologien‘ miteinander so verknüpft sind, dass Signalpakete entsprechend vereinbarten Protokollen hin und her gesendet werden können. Computer verstehen sich hier immer als Kombinationen aus Hard- und Software.[25] Als umfassender Begriff für die Vielfalt der Technologien und Anwendungen, die durch das ‚Internet‘ möglich sind, gibt es schon sehr früh — zumindest im Englischen Sprachraum — den Begriff ‚Cyberspace‚.[26]
Lernende Bots
Generell gibt es verschiedene Typen von bots. [27] Im allgemeinen ist ein bot im Internet eine Softwareanwendung, die automatisch bestimmte Aufgaben ausführt.[28] Wikipedia selbst benutzt z.B. über 2500 Wikipedia-typische Bots, um die mehr als 54 Mio. Wikipedia-Seiten zu verwalten.[29] Für die Interaktion mit Menschen gibt es u.a. den Typ des ‚Chatbots‘ [30]: die Software eines Chatbots versucht das Verhalten von Menschen anzunähern. Dies gelingt bislang aber nicht wirklich gut.[30] Ein spezielles, aber schon viele Jahre andauerndes Einsatzfeld von künstlicher Intelligenz Techniken sind Computerspiele, in denen ‚Nicht-Spieler Charaktere‘ (’non-player characters‘ [NPCs) das Spielgeschehen anreichern. Diese erledigen sehr vielfältige Aufgaben und sind keineswegs mit einem ‚menschenähnlichen‘ Spielcharakter zu vergleichen.[31] Insgesamt ist der Begriff ‚lernend‘ im Kontext von ‚Bots‘ generell sehr unscharf: einmal, weil der Ausdruck ‚bot‘ nicht einheitlich definiert ist, und zum anderen, weil der Begriff ‚lernend‘ im Kontext von ‚Künstlicher Intelligenz [KI]‘ bzw. ‚Maschinellem Lernen [ML]‘ keinesfalls klar ist. Das Feld ist zu uneinheitlich. [32]
KI (Künstliche Intelligenz)
Der Ausdruck ‚KI‘ — Abkürzung für ‚Künstliche Intelligenz‘ (heute oft auch einschränkend ‚ML‘ für maschinelles Lernen) — bezeichnet ein Teilgebiet der Informatik, das bislang keine klare Definition bietet, da schon der Begriff der ‚Intelligenz‘ selbst nicht klar definiert ist.[32], [33] Aufgrund der Unklarheit im Zusammenhang mit dem Begriff der ‚Intelligenz‘ bei biologischen Systemen — obgleich es hier einige Definitionen gibt, die für eingeschränkte Bereiche sehr brauchbar sind — versucht die Englischsprachige Informatik das Problem dadurch zu lösen, dass sie den Begriff AI nur für den Bereich nicht-biologischer Systeme — hier speziell für programmierbare Maschinen — definieren will. Programmierbare Maschinen mit KI können sowohl ihre Umwelt partiell wahrnehmen als auch dann — meist unter Zuhilfenahme systeminterner Zustände — wieder auf die Umwelt reagieren. Zusätzlich wird für solche Systeme mit künstlicher Intelligenz postuliert, dass sie ‚Zielen (‚goals‘) folgen können.[34]
Diese scheinbare Erleichterung, sich vom ursprünglichen Phänomenfeld der Intelligenz bei biologischen Systemen abzukoppeln, weil eine befriedigende Definition von Intelligenz hier schwierig ist, hat aber tatsächlich zu keiner befriedigenden Situation geführt. Sowohl der Intelligenzbegriff eingeschränkt auf programmierbare Maschinen ist heute nicht wirklich klar, noch ist es bislang möglich, zwischen dem Verhalten biologischer und nicht-biologischer Systeme dadurch eine brauchbare Verhältnisbestimmung aufzubauen. Dies führt dann z.T. zu der bizarren Situation, dass spezielle Leistungen von programmierbaren Maschinen für Bereich X, wo Maschinen dem Menschen überlegen sind, als generelle Aussage über das Verhältnis von Maschinen und Menschen benutzt werden, ohne dass man jene Bereiche, in denen biologische Systeme den programmierbaren Maschinen haushoch überlegen sind, überhaupt noch thematisiert. Es ist dem ai100-Report zu verdanken, dass er neu darauf aufmerksam macht, dass es durch diese asymmetrische Diskussion bislang unmöglich ist, genauer zu bestimmen, wie maschinelle Intelligenz der menschlichen Intelligenz konstruktiv unterstützen könnte.[32]
FORTSETZUNG folgt…
ANMERKUNGEN
Hinweis: Wenn in den Anmerkungen Quellen aus dem Internet angegeben werden, dann ergibt sich die Zeit des letzten Aufrufs aus dem Datum der Abfassung dieses Beitrags, die im Kopf des Artikels angegeben ist.
[1] Dazu gibt es einige Beiträge in diesem Philosophie-Jetzt- Blog, und in zwei anderen Blogs uffmm.org mit dem Schwerpunkt ‚Theorie‘ und dem Blog oksimo.org mit dem Schwerpunkt ‚Anwendungen‘.
[2] Claude Draude · Christian Gruhl · Gerrit Hornung · Jonathan Kropf · Jörn Lamla · JanMarco Leimeister · Bernhard Sick · Gerd Stumme , 2021, „Social Machines„, Informatik Spektrum, https://doi.org/10.1007/s00287-021-01421-4, Springer
[3] Social Machine, Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Social_machine
[12] Nicht alle Maschinen sind programmierbar, können aber meistens — im Prinzip — nach Bedarf mit programmierbaren Maschinen erweitert werden.
[13] Der Begriff ‚algorithm‘ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Algorithm
[14] Wenn man den Begriff ‚Interaktion‘ auf solche Situationen beschränken würde, in denen ein Homo sapiens Akteur mit einem anderen Akteur (biologisch oder nicht-biologisch) handelt, dann würde es auch Handlungen geben, die keine typische Interaktion mit anderen Akteuren repräsentieren, z.B. wenn ich einen Kaffee oder Tee oder … trinke, oder ich esse einen Apfel, ich fahre mit dem Fahrrad, ….
[15] Der Begriff ‚process‚ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Process
[16] Der Begriff ‚activities‚ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Action_(philosophy)
[32] Michael L. Littman, Ifeoma Ajunwa, Guy Berger, Craig Boutilier, Morgan Currie, Finale Doshi-Velez, Gillian Hadfield, Michael C. Horowitz, Charles Isbell, Hiroaki Kitano, Karen Levy, Terah Lyons, Melanie Mitchell, Julie Shah, Steven Sloman, Shannon Vallor, and Toby Walsh. “Gathering Strength, Gathering Storms: The One Hundred Year Study on Artificial Intelligence (AI100) 2021 Study Panel Report.” Stanford University, Stanford, CA, September 2021. Doc: http://ai100.stanford.edu/2021-report. Report: https://ai100.stanford.edu/sites/g/files/sbiybj18871/files/media/file/AI100Report_MT_10.pdf
[33] Der Ausdruck ‚KI (Künstliche Intelligenz)‚ — auch ‚ML (Maschinelles Lernen)‘ in der Wikipedia [DE] : https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%BCnstliche_Intelligenz
[34] Der Ausdruck ‚Artificial intelligence [AI]‘ in der Wikipedia [EN] : https://en.wikipedia.org/wiki/Artificial_intelligence
DER AUTOR
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Während der Auseinandersetzung mit dem Buch von Edelman gab es unterschiedliche Wechselwirkungen mit anderen gedanklichen Prozessen. Ein Thema hier ist eine mögliche grundlegende Typologie von ‚Intelligenz‘.
Vorab müsste man das Verhältnis des Begriffs ‚Intelligenz‘ zu Begriffen wie ‚Lernen‘, ‚Bewusstsein‘, ‚Geist‘ und ‚Gehirn‘ klären. Hier nur soviel, dass alle diese Begriffe ein ‚Gehirn‘ – oder eine vergleichbare materielle Struktur – zum Funktionieren voraussetzen. Allerdings kann das bloße Vorhandensein solcher materieller Strukturen nicht garantieren, dass es dann auch so etwas wie ‚Geist‘, ‚Bewusstsein‘, ‚Lernen‘ und ‚Intelligenz‘ gibt.
Der Begriff ‚Geist‘ wird im Englischen als ‚mind‘ gerne und oft benutzt, um Besonderheiten im Verhalten des Homo sapiens zu ‚markieren‘. Allerdings ist dieser Begriff sehr diffus und bislang in keiner Theorie hinreichend erklärt.
Meistens werden die Begriffe ‚Bewusstsein‘ und ‚Geist‘ sehr ähnlich benutzt, ohne dass deren Beziehung zueinander – wegen einer fehlenden Theorie – letztlich klar ist. Da unser ‚Zugang‘ zum Phänomen ‚Geist‘ irgendwie über das beobachtbare Verhalten und das ‚Bewusstsein‘ läuft, ist der Begriff ‚Geist‘ eher ein theoretischer Begriff innerhalb einer Theorie, die man auf der Basis von Bewusstseinsdaten formulieren würde. Mit dem Begriff ‚Bewusstsein‘ wäre dies ähnlich: würden wir alle erreichbaren Daten aus der 1.Person und 3.Person Perspektive sammeln, könnten wir eine Theorie bauen, die den theoretischen Term ‚Bewusstsein‘ enthält und damit indirekt ‚erklärt‘. Paradox würde es, weil der Begriff ‚Bewusstsein‘ dann nicht nur eine theoretische Beschreibung ‚von etwas‘ wäre, also einen ‚Gegenstand‘ der Beschreibung bilden würde, sondern zugleich auch den ‚Autor‘ der ‚Beschreibung‘ repräsentieren würde, allerdings nur indirekt. Der so theoretisch beschriebene ‚Gegenstand Bewusstsein‘ würde wesentliche Eigenschaften nicht enthalten. Für diesen Fall eines ‚Gegenstandes‘ der zugleich ‚Autor‘ ist gibt es bislang keinen akzeptierten Theoriebegriff.
Der ‚wissenschaftliche Intelligenzbegriff‘ orientiert sich am beobachtbaren Verhalten und definierten Referenzpunkten. Dieses Verfahren wurde seit gut 100 Jahren auf den Homo sapiens angewendet und dann auf viele andere biologische Systeme verschieden vom Homo sapiens. Man könnte grob von ‚Menschlicher Intelligenz‘ sprechen und von ‚Tierischer Intelligenz‘ mit vielen Überschneidungen.
Daneben gibt es heute eine ‚Maschinelle Intelligenz‘, die bislang aber in keiner allgemein akzeptierten Form beschrieben und untersucht wird. Die Beziehung zur ‚menschlichen‘ und ‚tierischen‘ Intelligenz wurde bislang nicht systematisch untersucht.
Im Alltag, in den Medien, in der Kunst gib es eine ‚fiktive Intelligenz‘, der man nahezu alles zutraut, ohne dass klar ist, ob dies wirklich möglich ist. Die ‚fiktive Intelligenz‘ ist gleichsam eine Art ‚Sammelpunkt‘ aller Projektionen von dem, was Menschen sich unter ‚Intelligenz‘ vorstellen können.
Durch die Koexistenz von Menschen und neuer Informations-Technologie kann es zu einer neuen ‚hybriden Intelligenz‘ kommen, in der menschliche und maschinelle Intelligenz auf neue Weise symbiotisch zusammen wirken. Dazu gibt es bislang kaum Forschungen; stattdessen versucht man, die maschinelle Intelligenz möglichst unabhängig vom Menschen und oft in Konkurrenz und im Gegensatz zu ihm zu entwickeln. Zugleich verbleibt die Forschung zur menschlichen Intelligenz auf niedrigem Niveau; viele – die meisten? – wichtigen Eigenschaften sind weiterhin unerforscht. Beides zusammen blockiert die Entwicklung von wirklich starken, neuen Intelligenzformen.
Durch die ungelöste Paradoxie von zugleich ‚Gegenstand‘ und ‚Autor‘ bleiben viele wichtige, vielleicht die wichtigsten, Eigenschaften menschlicher Intelligenz im Verborgenen. Es gibt hier einen Erkenntnismäßigen ‚blinden Fleck‘ der nur sehr schwer aufzulösen ist.
Wenn man sieht, wie in vielen Ländern dieser Erde, auch in jenen, in denen man glaubte, viele ‚primitive‘ Sichten zur Welt, zum Leben, zum Menschen überwunden zu haben, große Teile der Bevölkerung und der politischen Leitinstitutionen wieder in solche ‚primitiveren‘ Sichten und Verhaltensweisen zurückfallen und darin zunehmend Anhänger finden, dann kann man dies als Indikator dafür nehmen, dass differenziertere, komplexere Sichten des Lebens und die dazu gehörigen Verhaltenskomplexe keine Automatismen darstellen. Nur weil jemand, eine Gruppe, eine Population zu einer bestimmten Zeit einmal eine ‚Einsicht‘ hatte, ein aus dieser Einsicht resultierendes ‚praktisches Lebenskonzept umgesetzt hat‘, folgt nicht automatisch, dass diese Einsicht in den Individuen der Population ‚am Leben bleibt‘. Die Struktur und Dynamik eines einzelnen Homo-sapiens-Exemplars ist von solch einer Komplexität, dass nur maximale Anstrengungen dieses Potential an Freiheit zu einer ‚konstruktiven Lebensweise‘ motivieren können. Dabei ist das Wort ‚motivieren‘ wichtig. Im Homo sapiens kulminiert die ‚Freiheit‘, die sich in der Materie und Struktur des gesamten Universums samt den biologischen Strukturen grundlegend findet, zu einem vorläufigen ‚Optimum‘, das sich jeder vollständigen ‚Verrechnung‘ in fixierte Strukturen widersetzt. Man kann einen Homo sapiens einsperren, töten, mit Drogen willenlos machen, durch Entzug von materiellen Möglichkeiten seiner Realisierungsbasis berauben, durch falsche Informationen und Bildungen fehlleiten, man kann aber seine grundlegende Freiheit, etwas ‚Anderes‘, etwas ‚Neues‘ zu tun, dadurch nicht grundlegend aufheben. In der Freiheit jedes einzelnen Homo sapiens lebt potentiell die mögliche Zukunft des gesamten Universums weiter. Ein unfassbarer Reichtum. Die größte Lüge und das größte Verbrehen an der Menschlichkeit und am Leben überhaupt ist daher genau diese grundlegende Eigenschaft des Homo sapiens zu verleugnen und zu verhindern.
Natürlich hat der Homo sapiens noch weitere grundlegende Eigenschaften über die zu sprechen gut tun würde.
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I Einleitung 2
II (Intelligente) Maschine 2
III Mensch 2
IV Informelle Kosmologie 3
V Philosophischer Ausklang 4
THEMA
Die Frage nach der Zukunft von Menschen in einer Welt voller intelligenter Maschinen tritt immer mehr in das Zentrum der globalen Aufmerksamkeit. Während lange Zeit positive Visionen einer besseren Zukunft des Menschen mittels (intelligenter) Maschinen die Aufmerksamkeit auf sich zogen, kommen aktuell aber auch eher negative Aspekt zum Vorschein: werden die intelligenten Maschinen die Menschen ersetzen? Was wird aus einer Menschheit, deren primärer gesellschaftlicher Wert sich bislang über die erbrachte Arbeit definiert hat? Hängt der Wert eines Menschen
nur ab von der Form seiner entlohnten Arbeit? Ist der Mensch als Mensch nicht letztlich ’minderwertiger’ als eine intelligente Maschine als Teil des Produktionsprozesses? Was ist überhaupt der Mensch? Der Text hier geht ein paar neue Wege…
I. EINLEITUNG
Die Frage nach der Zukunft von Menschen in
einer Welt voller intelligenter Maschinen tritt immer
mehr in das Zentrum der globalen Aufmerksamkeit.
Während lange Zeit positive Visionen einer besseren
Zukunft des Menschen mittels (intelligenter) Maschinen
die Schlagzeilen beherrscht haben, kommen aktuell
immer mehr auch negative Aspekt zum Vorschein:
werden die intelligenten Maschinen die Menschen
ersetzen? Was wird aus einer Menschheit, deren
primärer gesellschaftlicher Wert sich bislang über die
erbrachte Arbeit definiert hat? Hängt der Wert eines
Menschen nur ab von der Form seiner entlohnten
Arbeit? Ist der Mensch als Mensch nicht letztlich
’minderwertiger’ als eine intelligente Maschine als Teil
des Produktionsprozesses? Was ist überhaupt der
Mensch?
Die Perspektiven der Diskussion um den Wert
des Menschen, um das rechte Menschenbild, sind
vielfältig und einiges davon wurde in vorausgehenden
Blogeinträgen schon angesprochen. Ein letzter Beitrag
nahm sich das Menschenbild der Psychoanalyse als
Aufhänger, um die Frage nach dem Menschenbild mal
von dieser Seite aus zu diskutieren.
Wie immer man aber die Diskussion beginnen will,
von welchem Standpunkt aus man auf das Problem
drauf schauen möchte, man kommt nicht umhin sich
Klarheit darüber zu verschaffen, was einerseits mit dem
Begriff ’Mensch’ gemeint ist und andererseits mit dem
Begriff ’intelligente Maschine’.
II. (INTELLIGENTE ) MASCHINE
Während es im Fall von ’intelligenten Maschinen’
zumindest für die ’potentiell intelligenten Maschinen’
fertige mathematische Definitionen gibt, dazu
viele theoretische Abhandlungen mit ausführlichen
mathematischen Beweisen, welche Eigenschaften denn
eine so mathematisch definierte Maschine grundsätzlich
haben kann bzw. nicht haben kann, wird es bei der
’Realisierung’ der mathematischen Konzepte als ’reale
Maschinen’ schon schwieriger. Die ’reale (empirische)
Welt’ ist keine Formel sondern ein Konglomerat von mehr
oder weniger verstanden Eigenschaften und Dynamiken,
deren Beschreibung in den empirischen Wissenschaften
– allen voran die Physik – bislang nur teilweise gelungen
ist. Aber selbst das, was bislang beschrieben wurde
repräsentiert keine ’absoluten’ Wahrheiten sondern
eine Menge von mehr oder weniger gut begründeten
’Hypothesen’, wie die beobachtbare und messbare Welt
vielleicht ’zu sehen ist’.
III. MENSCH
Im Falle des Menschen ist die Ausgangslage eine
andere. Hier steht am Anfang keine klare mathematischeDefinition, sondern wir stoßen beim Menschen zunächst auf eine Fülle empirischer Phänomene,
deren Komplexität – das beginnt die Wissenschaft
langsam zu ahnen – alles übersteigt, was bislang im
beobachtbaren Universum entdeckt werden konnte.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Menschen
in der bisherigen Geschichte – soweit sie rekonstruiert
werden konnte – mit Bildern von ’sich selbst’ hantiert
haben, die schlicht und einfach zu primitiv waren
(und sind), viel zu einfach, irreführend, und in diesem
Sinne möglicherweise lebensbedrohend sind für die
Menschheit als Ganzes. Denn, solange die Menschen in
ihrer Gesamtheit sich selbst nicht verstehen und von
sich in einer Weise denken, die wichtige Eigenschaften
verdeckt, überdeckt, entstellt, so lange kann der Mensch
seine eigene Zukunft kaum sinnvoll in die Hand nehmen.
Solange klare Leitbilder fehlen, solange ist die Gefahr
real und groß, sich selbst von einer in die nächste
Katastrophe zu steuern. Wie lange die Menschheit
als Ganze diesen Schlingerkurs des selbst gewählten
Wahnsinns überlebt, weiß keiner. Eine starke Hoffnung,
dass die Menschheit es irgendwie schaffen kann,
gründet darin, dass das gesamte biologische Leben
in seiner bis heute nicht verstandenen Komplexität
ja nicht stattfindet, weil irgendwelche Menschen sich
dies ausgedacht haben, sondern weil das biologische
Leben Teil eines komplexen dynamischen Prozesses
ist, der seinen ’eigenen Regeln’ folgt, Regeln, die dem
menschlichen Wahrnehmen, Fühlen und Denken ’voraus
liegen’!
Unsere Hoffnung ruht also darin, dass wir als
Menschen – bevor wir überhaupt irgendetwas selbst tun,
schon weitgehend ’getan wurden und werden’.
Allerdings – und darin liegt eine eigentümliche
Paradoxie – der bisherige Prozess der biologischen
Lebenswerdung ist so gestaltet, dass der Prozess
des gesamten bekannten Universums mehr und
mehr über das ’Erkennen der Welt’ und im darin
gründenden ’Gestalten der Welt’ in eine immer größere
Abhängigkeit von genau diesem biologischen Leben
gerät. Der gesamte Prozess der Entstehung des
biologischen Lebens – so kann man es sehen, wenn
man entsprechend hinschaut – zeichnet sich dadurch
aus, dass die materiellen Strukturen und die damit
verknüpften Dynamiken immer mehr in der Lage
sind, die Gegenwart von Ereignissen im künstlich
geschaffenen ’Inneren’ zu ’erinnern’, zu ’denken’, damit
’gedanklich (= virtuell) zu spielen’ und auf diese Weise
Schritt für Schritt den Ablauf des gesamten Universums
nicht nur zu ’rekonstruieren’, sondern auch zunehmend
’aktiv zu verändern’.
IV. INFORMELLE KOSMOLOGIE
Will man die Rolle des Menschen als Teil des
biologischen Lebens, dieses wiederum als Teil der
gesamten Erdgeschichte, der Geschichte unseres
Sonnensystems, und letztlich des gesamten bekannten
Universums verstehen, stößt man ziemlich schnell auf
das Problem einer zerklüfteten Wissenslandschaft, in der
sich täglich ’Datengebirge’ in immer größerem Ausmaßes
auftürmen, gesammelt aus einer unüberschaubaren
Menge von Blickwinkeln (bisweilen organisiert als
wissenschaftliche Disziplinen). Und da es keine
einheitliche Sprache für alle diese Sichten gibt, ist man
schon im Ansatz buchstäblich ’sprachlos’. Ohne Sprache
aber funktioniert unser Denken kaum bis gar nicht,
zumindest nicht, wenn es um klare kommunizierbare
Einsichten gehen soll.
Grundsätzlich ist dieses Phänomen der ’Sprachlosigkeit’ in den Wissenschaften nicht neu, im Gegenteil. Die Geschichte der Wissenschaften ist
auch eine Geschichte des permanenten Erfindens
neuer Sprache, um neue Phänomene angemessen
beschreiben zu können. Dieses ’Erfinden’ und
’Umsetzen’ ist meist ein langwieriger Prozess von
ersten Ideen, Sprechversuchen, vielen Diskursen,
Missverständnissen, Ablehnungen, Verteufelungen, und
mehr.
Bei meinem eigenen Versuch, mir einen ’Reim’ auf alle
die bekannten Phänomene im Umfeld des Menschen
(und der aufkommenden intelligenten Maschinen) zu
machen, habe ich schon viele Darstellungsweisen
versucht. Und auch jetzt bin ich aus diesem Zustand
des ’Suchens’ und ’Probierens’ noch nicht wirklich
heraus (wobei die Wissenschaft, wie oben angedeutet,
ja niemals ganz aus dem Suchen und Probieren heraus
kommen kann).
Mein letzter Verstehensversuch ist in dem beigefügten
Schaubild angedeutet (siehe das Bild 1).
So ’komplex’ das Schaubild aussieht, so extrem
vereinfachend ist es mit Blick auf die Komplexität der
realen Welt ’dahinter’.
Was in diesem Schaubild nicht direkt abgebildet
ist, das ist die ’zeitliche Abfolge’ der Ereignisse im
Universum. Sie ist nur indirekt erschließbar über die
Verschachtelung der angezeigten Größen.
So gibt es eine Entsprechung zwischen der ’Energie’
einerseits und dem ’Raum’ und der darin auftretenden
’Materie’ andererseits.
Von der Materie wiederum wissen wir, dass sie
Komplexitätsebenen umfasst wie z.B. dass die ’Atome’
selbst sich wiederum aus ’sub-atomaren Teilchen’
konstituieren, die ’Moleküle’ aus Atomen, ’einfache’ und
’komplexe Zellen’ wiederum aus Molekülen, usw..
Parallel zur Struktur der Materie als sub-atomare
Teilchen, Atome, Moleküle usw. gibt es aber auch
immer ’Makrostrukturen’, die sich im allgegenwärtigen
’Raum’ ausbilden. Diese Makrostrukturen bilden sich
aus Ansammlungen von Atomen und Molekülen,
bilden ’Gaswolken/ Nebel’, darin wiederum kommt
es zur Bildung von ’Sternen’ und ’Planeten’, darüber
hinaus bilden viele Sterne zusammen ’Galaxien’, diese
wiederum ’Cluster’, und mehr.
Zwischen einer Makrostruktur und ihren materiellen
Sub-Strukture gibt es vielfältige spezifische Wechselwirkungen.
Vom ’biologischen Leben’ auf der Erde wissen wir,
dass es durch Formation von zunächst ’einfachen’,
später dann auch ’komplexen’ Zellen auf der Basis
von Molekülen immer neue, komplexe Eigenschaften
ausgebildet hat. Dies allerdings nicht isoliert, sondern
im Verbund von vielen Atomen und Molekülen in
spezifischen Makrostrukturen wie einem ’Ozean’, der
sich auf der Erde neben der ’Lithosphäre’ und der
’Atmosphäre’ herausgebildet hatte.
Biologische ’Zellen’ zeigen neben vielen Detailprozessen vornehmlich drei große Eigenschaften: (i) sie können mittels Atom- und Molekül basierter
Prozesse ’Freie Energie’ aus der ’Umgebung’ aufnehmen
und für Prozesse in der Zelle nutzen. Sie können (ii)
mittels dieser energiegetriebenen Prozesse molekulare
Strukturen ’generieren’ oder ’umformen’. Sie verfügen (iii)
über die nur sehr schwer zu erklärenden Eigenschaft, Prozesse
mittels molekularer Strukturen so zu ’kodieren’, dass
strukturbildende Prozesse die kodierten Strukturen als
’Informationen’ für solche Strukturbildende Prozesse
benutzen können. Dies ist ein einmaliger Prozess im
gesamten Universum. Die gebündelten Eigenschaften
(i) – (iii) ermöglichen es einer Zelle, sich selbst in eine
neue Zelle zu ’kopieren’, wobei dieses Kopieren keine ’1-zu-1’ Kopie ist, sondern eine ’Wiederholung mit einem gewissen Maß an Variation’. Dieser variable Anteil
basiert auf etwas, was man als ’Zufall’ bezeichnen
kann oder als eine Grundform von ’Kreativität’. Ohne
diese minimale Kreativität würde es kein biologisches
Leben geben! Es ist also nicht die ’Ordnung’ nach
vorgegebenen Regeln (= Informationen) alleine, die
’Leben’ möglich macht, sondern ’Ordnung + Kreativität’.
Eines von beiden alleine reicht nicht, aber beide
zusammen haben eine ’Chance’.
Von den komplexen Zellen zu komplexen
’Lebensformen’ wie ’Pflanzen’ (’Flora’) und Tieren
(’Fauna’) war es ein weiter und beschwerlicher Weg.
Die einzelnen Zellen mussten irgendwie lernen, durch
’Kommunikation’ miteinander zu ’Kooperieren’. Die
bislang praktizierten Kommunikations- und dann auch
Kooperationsformen sind unfassbar vielfältig.
Wenn man bedenkt, dass nach den neuesten
Erkenntnissen der Mikrobiologie ein Mensch nur
stattfinden kann, weil ca. 30 Billionen (10^12 ) Körperzellen
und ca. 220 Billionen (10^12 ) bakterielle Zellen in
jedem Moment kooperieren, dann kann man vielleicht
ganz dunkel erahnen, welche Kommunikations- und
Kooperationsleistungen im Bereich des biologischen
Lebens bislang realisiert wurden (Anmerkung: Wenn man zusätzlich bedenkt, dass unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße, geschätzt ca. 200 – 300 Milliarden (10^9 ) Sterne umfasst, dann entspräche die Anzahl der Zellen eines menschlichen Körpers
etwa 830 Galaxien im Format der Milchstraße.)
Biologische Lebensformen treten niemals alleine,
isoliert auf, immer nur als ’Verbund von Vielen’ (=
’Population’). Nicht nur bildet also jeder einzelne Körper
eine Kommunikations- und Kooperationsgemeinschaft,
sondern alle Lebensformen folgen diesem Prinzip.
Je nach Komplexitätsgrad einer Lebensform nehmen
solche ’Verhaltensmuster’ zu, die wechselseitig die
Lebensprozesse jedes einzelnen und der Population
unterstützen können.
Bisher ist es nur einer von vielen Milliarden Lebensformen
gelungen, das eigene Verhalten durch immer komplexere
’Werkzeuge’ anzureichern, zu differenzieren, den
Wirkungsgrad zu erhöhen. Dies ist soweit gegangen,
dass mittlerweile ’Maschinen’ erfunden wurden, dann
gebaut und nun benutzt werden, die die grundlegenden
Eigenschaften jeder Zelle ’technisch kopieren’ können:
(i) Energie so zu nutzen, das (ii) Strukturänderungen
möglich werden, die durch (iii) Informationen ’gesteuert’
werden. Man nennt diese Maschinen ’Computer’
und stellt langsam fest, dass man mit diesen
Maschinen immer mehr der so genannten ’intelligenten’
Eigenschaften des Menschen ’kopieren’ kann. Was auf
den ersten Blick ’wundersam’ erscheinen mag, ist auf den
zweiten Blick aber klar: die Besonderheit des Menschen
liegt zu einem großen Teil in der Besonderheit seiner Zellen. Wenn ich die fundamentalen Eigenschaften
dieser Zellen in eine Technologie transformiere, dann
übertrage ich grundsätzlich auch diese Eigenschaften
auf diese Maschinen.
V. PHILOSOPHISCHER AUSKLANG
Aufgrund der aktuell gegebenen strukturellen
Begrenzungen des Menschen aufgrund seines aktuellen
Körperbauplans (der auf eine abwechslungsreiche
Entwicklungsgeschichte von vielen Milliarden Jahren
zurückschauen kann) beobachten wir heute, dass
die rasante Entwicklung der Gesellschaft (mit ihrer
Technologie) die Informationsverarbeitungskapazitäten
des Menschen wie auch sein emotionales Profil mehr
und mehr überfordern. Computer basierte Maschinen
können hier bis zu einem gewissen Grad helfen,
aber auch nur insoweit, als der Mensch diese Hilfe
’verarbeiten’ kann. Das Thema ’Mensch-Maschine
Interaktion’ bekommt in diesem Kontext eine ganz neue,
fundamentale Bedeutung.
Auf lange Sicht muss der Mensch es aber schaffen,
die Veränderung seines Körperbauplans schneller
und gezielter als durch die bisherige biologische
Evolution voran zu treiben. Die Visionen unter dem
Schlagwort ’Cyborgs’ sind keine Spinnerei, die man
ethisch verurteilen muss, sondern im Gegenteil absolut
notwendig, um das biologische Leben ’im Spiel zu
halten’. (Anmerkung: Möglicherweise muss all das, was bislang unter der Bezeichnung
’Ethik’ gehandelt wird, einer grundlegenden Revision unterzogen wer-
den.)
Neben vielem, was Computer basierte Maschinen
zur Ermöglichung von Leben beitragen können, muss
man klar sehen, dass eine fundamentale Frage aller
Menschen, vielleicht ’die’ fundamentale Frage, von den
Computer basierten Maschinen – auch wenn sie im
vollen Sinne lernfähig wären – bislang grundsätzlich auch
nicht beantwortet werden, und zwar aus prinzipiellen
Gründen. Gemeint ist das ’Werteproblem’ in der
Form, dass ein gezielt es Lernen und sich Entwickeln
voraussetzt, dass es geeignete Präferenzsysteme gibt
anhand dessen man irgendwie beurteilen kann, was
’besser’ oder was ’schlechter’ ist.
Vor dem Auftreten des Menschen (als ’homo sapiens’)
gab es nur das Präferenzsystem der ’gesetzten Welt’:
’Gut’ war letztlich nur das, was ein ’Weiterleben’ der
Population unter den gegebenen Bedingungen der
Erde (die sich im Laufe der Zeit mehrfach dramatisch
verändert hatte!) ermöglichte. Für große Diskussionen
war da kein Platz. Außerdem war ja auch niemand in
der Lage, hier zu ’diskutieren’.
Mit dem Auftreten des Menschen veränderte sich
die Situation grundlegend. Zwar galt es auch weiterhin,
sich unter den Bedingungen der aktuellen Erde (und
Sonnensystems und …) ’im Spiel’ zu halten, aber mit dem
Menschen entstand die Möglichkeit, sämtliche Abläufe
transparent zu machen, sie denkbar zu machen und
damit ganz neue Handlungsalternativen zu erschließen.
Damit stellt sich die Frage nach den ’Präferenzen’ aber
ganz neu. Das direkte, nackte Überleben ist durch die
modernen Gesellschaften im Prinzip so weit abgemildert,
dass man sich ’neue Ziele’ suchen kann. Menschen
können sich zwar weiterhin gegenseitig abschlachten, es
besteht dazu aber keine Notwendigkeit (allerdings kann
der Druck durch hohe Bevölkerungszahlen und endliche
Ressourcen die Bereitschaft zu einem konstruktiven
Miteinander beeinflussen). Nur, selbst wenn man will,
wo sollen die neuen Präferenzen herkommen? Bislang
kenne ich keinen einzigen Ansatz, der auch nur vage
den Eindruck erwecken würde, dass er eine interessante
Hypothese bilden könnte. Dies gilt sowohl für die
klassischen ethisch-religiösen Diskurskontexte wie auch
für das ganze Gerede um intelligente Maschinen und
Superintelligenz. Das ’Super’ im Begriff ’Superintelligenz’
bezieht sich bestenfalls auf Geschwindigkeiten und
Quantitäten von Rechenprozessen, nicht aber auf das
inhärente Werteproblem eines Lernprozesses.
Seit letztem Sommer arbeite ich bei einem Buchprojekt mit, bei dem es eigentlich um die Welt der Ingenieure geht: Wie löst ein Ingenieur ein Problem? Sozusagen vom ‚Problem‘ zum ‚fertigen Produkt‘. Zu diesem Thema gibt es viele dicke Bücher und internationale Standards, viele hundert Artikel. Dennoch gibt es hier viele offene Fragen, z.B. auch die nach den Erkenntnisprozessen, die in Ingenieuren ablaufen müssen, damit sie ein Problem in eine funktionierende Lösung transformieren können. Unter welchen Voraussetzungen kann eine Kommunikation zwischen Ingenieuren gelingen? Gibt es eine innere Logik in diesem Prozess? Und was ist mit den intelligenten Programmen und Maschinen, die immer mehr Teil dieses Prozesses sind und sein werden? Was ist eigentlich ‚Künstliche Intelligenz‘? Was kann sie wirklich? Könnte eine Maschine menschlich kommunizieren? Kann eine Maschine ein maschinelles Bewusstsein haben, das eine Kooperation mit Menschen im menschlichen Stil ermöglicht?
MASCHINELLES BEWUSSTEIN
Dies sind einige der Fragen. Die Frage nach einem maschinellen Bewusstsein wurde in diesem Blog bisweilen schon angerissen. Damit zusammenhängend stellt sich – zumindest methodisch – sofort die Frage, was wir denn unter dem Begriff ‚Bewusstsein‘ verstehen können oder sollen? Macht es Sinn, von einem ‚maschinellen Bewusstsein‘ zu sprechen, wenn wir doch gar nicht wissen, was ein ‚Bewusstsein‘ sein soll? Hier stellen sich viele spannende Fragen; einige davon wurden in diesem Blog auch schon diskutiert.
BEWUSSTSEIN UND NEURONALE KORRELATE
Speziell die Frage nach dem menschlichen Bewusstsein hat schon immer Philosophen beschäftigt, später, in der Neuzeit, auch Psychologen, und dann, noch später, seit einigen Jahrzehnten zunehmend die Neurowissenschaften bzw. die Neuropsychologie. Der Begriff der ’neuronalen Korrelate des Bewusstseins‘ ist mittlerweile weit verbreitet. Ganz allgemein werden damit Gehirnaktivitäten gemeint, die mit Bewusstseinsprozessen einhergehen sollen. Die Zahl der Publikationen zu diesem Thema geht in die Hunderte. Dennoch wird man sich schwer tun, in irgendeiner dieser Publikationen eine brauchbare Definition von ‚Bewusstsein‘ zu finden, die unabhängig von neurowissenschaftlichen Tatbeständen ist. Von daher bewegen sich diese Publikationen weitgehend in einem hermeneutischen Zirkel: sie versuchen neuronale Korrelate des Bewusstseins zu definieren, ohne dass sie den Begriff ‚Bewusstsein‘ unabhängig von Gehirnaktivitäten definieren. Vereinfacht wird ein Bündel von Gehirnaktivitäten genommen und erklärt, dass immer dann, wenn diese auftreten, bewusste Aktivitäten vorliegen, ohne dass diese bewussten Aktivitäten in einem selbständigen theoretischen Modell erklärt werden bzw. unabhängig von den neuronalen Aktivitäten gemessen werden.
Die Methodendiskussionen im Kontext der Neurowissenschaften – auch unter Einbeziehung der Neuropsychologie – erscheinen von daher bislang eher unbefriedigend.
MACHINELLES BEWUSSTSEIN – KI
Hier gibt es einen interessanten Nebenkriegsschauplatz, von dem man sich auf den ersten Blick vielleicht kaum Erkenntnisse für die Frage ‚Bewusstsein – Gehirn‘ erhofft. Das Gebiet des maschinellen Bewusstseins, einem Teilgebiet der künstlichen Intelligenz (Anmerkung: der heute oft anzutreffende Begriff der ‚Maschinellen Intelligenz‘ ist – wenn man sich an den veröffentlichten Texten orientiert – nur ein kleiner Teilbereich des weiten Gebietes der ‚Künstlichen Intelligenz‘. Allerdings ist der Sprachgebrauch von ‚Künstlicher Intelligenz‘, ‚Maschineller Intelligenz‘, ‚Computational Intelligence‘, ‚Cognitive Computation‘ usw. zur Zeit nicht sehr einheitlich.) fragt sich sehr speziell, ob und wie man das Phänomen des menschlichen Bewusstseins mittels einer Maschine soweit nachbauen könnte, dass sich alle Eigenschaften des menschlichen Bewusstseins damit reproduzieren lassen. Wie man dieses maschinelle Bewusstsein technisch realisiert ist bei dieser Fragestellung eigentlich offen, faktisch versucht aber die große Mehrheit der hier aktiven Forscher Anleihen bei der Gehirnwissenschaft und der Psychologie zu holen, weil nun mal der Prototyp eines menschlichen Bewusstseins in realen Menschen real vorliegt und es für viele einfacher erscheint, sich hier etwas abzugucken als alles aus dem Nichts neu zu erfinden.
Einen der besten Überblicke, den ich zu diesem Forschungsgebiet kenne, stammt von James A.Reggia aus dem Jahr 2013 mit dem Titel „The rise of machine consciousness: Studying consciousness with computational models“ (erschienen in der Zeitschrift ‚Neural Networks‘ von Elsevier (URL: https://pdfs.semanticscholar.org/8333/603ff38df5fb8277f0ef945b3d4c6ccd672e.pdf ). In einem späteren Artikel aus 2017 hat er die grundlegende methodische Problematik unter dem Titel „Exploring the Computational Explanatory Gap‚ zusammen mit anderen nochmals weiter ausformuliert (in der Zeitschrift ‚Philosophies‘ (URL: doi:10.3390/philosophies2010005 ). Reggia zeigt viele der methodischen Schwachstellen der Rede von den neuronalen Korrelaten des Bewusstseins auf (auch sehr grundlegende Einwände) und kommt letztlich zum Ergebnis, dass die Forschung nicht wirklich weiter kommt, solange sie sich nicht dem Phänomen des ‚Bewusstseins‘ direkt stellt ohne den Umweg über Verhalten (Psychologie) oder Gehirnaktivität (Neurowissenschaft).
WIE DIE FRAGE STELLEN?
Damit stellt sich die Frage, welche Chancen wir denn haben, uns direkt mit dem Bewusstsein zu beschäftigen. Die vielfachen Versuche der Philosophen aus mehr als 2000 Jahren, die der Psychologen seit ca. 150 Jahren bieten eine kaum überschaubare Fülle von Vorgehensweisen, von denen sich aber bislang keine wirklich durchsetzen konnte. Am meisten vielleicht noch (meine subjektive Einschätzungen) die Ansätze einer phänomenologischen Philosophie (Husserl, Heidegger, Merleau-Ponty…), aber so richtig durchsetzen konnten diese sich bislang auch nicht. Seit den 90iger Jahren gab es eine neue Welle von philosophischen Untersuchungen. Den Namen Thomas Metzinger kennen seitdem viele, die Zeitschrift ‚Journal of Consciousness Studies‘ bildete einen starken Impuls, in der Einbeziehung der Gehirnforschung sahen viele eine neue Option. In dem Maße aber, wie sich die Daten der Gehirnforschung mathematisch fassen und in neuartige Experimente umsetzen lassen, wird sichtbar, dass die Gehirnforschung als solche nicht automatisch jene Erkenntnisse liefert, nach denen wir fragen. Was also tun?
SYSTEMS ENGINEERING
Mehr durch Zufall bin ich vor ca. 18 Jahren mit Menschen zusammen getroffen — speziell mit einem –, die sich Ingenieure nennen, genauer, ‚Systems Engineers‘. Dies sind Menschen, die ein umfangreiches Training vorwiegend in Technologie, Mathematik und Management genommen haben, meist mindestens 20 – 25 Jahre, bis sie dann Raketen und Flugzeige planen und bauen können, Atomreaktoren mit Extremsicherheitsanforderungen, den Verkehrsfluss in Städten, die Grenzsicherung eines Landes, das Gesundheitssystem eines Landes, und vieles mehr. Systems Engineers sind gewohnt, komplex zu denken, in Prozessen, unter Einbeziehung des Faktors Mensch, und immer sehr konkret, überprüfbar, messbar, mit vielen mathematischen Modellen, unter Einbeziehung von hochentwickelten Softwarewerkzeugen.
An dieser Stelle kann man mal die Frage aufwerfen, wie müsste eine Theorie des menschlichen Bewusstseins aussehen, so dass ein Systems Engineer sie real und praktisch benutzen könnte, um seine komplexen Aufgaben damit besser lösen zu können? Die meisten Publikationen zum Thema Bewusstsein reden in gewisser Weise ‚über‘ das Phänomen, eingebettet in viele spezielle Begriffe, deren Bedeutung nicht so ohne weiteres klar ist, ohne dass sich daraus ableiten lässt, wie man aus diesem Reden ‚über‘ das Bewusstsein zu konkreten Anleitungen und zu konkreten Methoden kommen kann, die geeignet sind, das reale Verhalten von Akteuren mit Bewusstsein sowohl zu beschreiben wie auch – soweit es die internen Freiheitsgrade von Akteuren erlauben – gewisse Prognosen über ihr Verhalten abzugeben. Für Ingenieure besonders wichtig sind brauchbare Erkenntnisse über die Wechselwirkung zwischen den Situationsgegebenheiten und den inneren Zuständen des Akteurs. Eine verhaltensorientierte Psychologie kann hier in der Regel von großer Hilfe sein, ersetzt aber keine ‚Theorie des Bewusstseins‘ im engeren Sinne.
ZURÜCK AUF START
Die obigen Überlegungen im Hinterkopf, z.T. schon viele Jahrzehnte, habe ich mich jetzt entschlossen, die Frage nach einer geeigneten Theorie des Bewusstseins, die sich in Ingenieurkontexten praktisch nutzen lässt, nochmals neu anzugehen. Dieses Mal bewusst im Rahmen des methodischen Paradigmas des Systems Engineerings.
Dabei trat die Notwendigkeit auf, die pragmatischen Umschreibungen und Handhabungen des Begriffs ‚Systems Engineering‘ im Modell einer ‚Empirischen Wissenschaft‘ mit einer ‚formalen Theorie‘ zu reformulieren und in diesem Kontext dann die Frage nach dem Bewusstsein empirisch und theoretisch zu verfolgen. Obgleich man davon ausgehen kann, dass die Ergebnisse der empirischen Psychologie, der empirischen Neurowissenschaften und einer empirischen Neuropsychologie wertvolle Korrelationen liefern können, so muss man methodisch festhalten, dass sie dies nur dann können, wenn es unabhängig vom Verhalten und den Gehirnaktivitäten eine brauchbare Theorie des Bewusstseins gibt, die sich korrelieren lässt. Ohne solch eine eigenständige Theorie des Bewusstseins bewegen sich Psychologie und Gehirnwissenschaft in einem hermeneutischen Zirkel, aus dem es keinen Notausgang gibt.
Ein Ziel zu haben ist eines, den Weg zum Ziel zu finden etwas anderes.
START IM ALLTAG
Nach zahllosen Versuchen in den letzten Jahren und den intensiven Diskussionen in der Fachliteratur habe ich mich entschieden, den Start der Untersuchung in den Alltag zu verlegen, in den Kontext jener Abläufe und Handlungen, die wir täglich vornehmen, die wir mehr oder weniger gemeinsam haben, und über die zwar nicht unbedingt theoretisch explizit aber dennoch pragmatisch unausgesprochen eine gewisse Einigkeit besteht.
KÖRPER ALS APRIORI
Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass jene Verhaltensweisen, die wir praktizieren, ohne darüber groß zu diskutieren, jene sind, die in der Dynamik und Struktur unseres Körpers, unseres Gehirns und unseres Bewusstsein biologisch angelegt sind, jene Plattform des Wahrnehmens, Fühlens, Erinnerns, Vorstellens, Entscheidens usw. bieten, mit der wir unser alltägliches Leben bestreiten, auch wenn wir über keinerlei theoretische Erkenntnisse verfügen, wie man dies alles genau verstehen kann bzw. sollte (So können Kinder lernen, sich zu bewegen und zu sprechen, ohne theoretische Kenntnisse).
In der formalen Logik gibt es den Grundsatz, dass man nur jene Sachverhalte ‚beweisen‘ kann, die schon in den Voraussetzungen einer Theorie drin stecken. Im Fall unseres Alltagsverhaltens wäre dann das Alltagsverhalten zu verstehen als eine fortdauernde Manifestation von Voraussetzungen, die biologisch in unserem Körper angelegt sind. Die eigentliche theoretische Arbeit bestünde dann darin, jene Voraussetzungen sichtbar zu machen, die in unserem Körper so angelegt sind, dass wir genau zu dem beobachtbaren Verhalten fähig sind. Schwierig wird es dann nur, wenn wir in unserem beobachtbaren Verhalten nur einen Bruchteil von dem Potential ausnutzen, was ‚in uns‘ steckt. Wie wollen wir dann wissen, ‚wer‘ wir sind, wenn sich unsere potentielle Person – aus den unterschiedlichsten Gründen – nicht ‚zeigt‘? Die Geschichte der Menschheit ist voll von Beispielen, wie kulturelle Muster das Verhalten von Menschen unnötiger Weise in bestimmte Muster gepresst haben (und immer noch pressen), die die Entfaltung von Menschen behindern; umgekehrt haben immer wieder Menschen und Situationen neue Verhaltensweisen hervorgebracht, von denen man sich vorher gar nicht vorstellen konnte, dass es sie geben könnte.
BARRIEREN IM SELBST-ERKENNEN
Dies zeigt, dass das ‚Erkennen unserer selbst‘ selbst wiederum in einem hermeneutischen Zirkel stattfindet, in dem wir möglicherweise nur deswegen vieles nicht erkennen, weil wir uns schlicht nicht vorstellen können, dass es möglich ist, bzw. dass wir als Menschen auch ganz anders sein könnten (die Art und Weise, wie noch heute in vielen Kulturen z.B. Kinder und Frauen gesehen und behandelt werden, zeigt überdeutlich, wie schwer sich der homo sapiens tut, seine Verhaltensmodelle zu ändern, und auszuweiten).
Fortsetzung folgt
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Entsprechend dem Plan vom 9.Februar 2016 kommt hier die Einladung zur nächsten Sitzung des PHILOSOPHIESOMMERS 2016 in der
DENKBAR Frankfurt
Spohrstrasse 46a
(Achtung: Parken schwierig! Man muss wirklich im Umfeld suchen)
THEMENSTELLUNG
Wie der Bericht vom letzten Treffen am So 13.März 2016 erkennen lässt, hatte sich die Gruppe für das Treffen am So 10.April ein einzelnes Thema besonders ausgewählt: der mögliche Ersatz von Ärzten in Diagnose und Therapie durch den Einsatz von Software. Diese Entscheidung war mit motiviert durch eine aktueller Pressemeldung seitens der Rhönklinik, ein System des kognitiven Computings in Gestalt des IBM-Programm Dr.Watson einzusetzen. Es soll das Krankenhaus und die Ärzte unterstützen. Sofort stellten sich viele Fragen, z.B.: Was heißt dies? Was kann solch ein Programm? Was heißt dies für uns Menschen sowohl als Patient als auch als Arzt, der ersetzt wird? Was bedeutet dies für das Krankenhaus der Zukunft? usw.
MASCHINENWERDUNG DES GEISTES – EIN EPOCHALES EREIGNIS
Bei allen Fragen, die sich angesichts solch einer Meldung stellen, bei allen möglichen Ängsten und Kritiken, muss man sich klar machen, dass diese Meldung nur eine Begleiterscheinung eines Ereignisses ist, das den Beinamen epochal sehr wohl verdient. Vom ersten messbaren Auftreten unseres Universums vor ca. 13.8 Mrd Jahren bis zu den ersten Spuren des biologischen Lebens auf der Erde hat es ca. 9.8 – 10 Mrd Jahre gedauert; bis zu den ersten Pflanzen und Tieren nochmals ca. 3.5 Mrd Jahre; bis zum Auftreten des homo sapiens (sapiens) ’nur noch‘ ca. 500 Mio Jahre, und dann jetzt zu den ersten Maschinen, die als kognitive Maschinen offiziell als Produkte und Dienstleistungen zu kaufen sind ’nur noch‘ ca. 200.000 Jahre (hervorgebracht von Menschen).
Jetzt kann man viel darüber streiten, was man unter Geist verstehen will. Rein empirisch, handlungsbezogen, äußert sich Geist – seit den Tagen der griechischen Philosophie – in typischen Verhaltensweisen von Lebewesen, insbesondere des Menschen. Mit der modernen Psychologie, Biologie und Hirnforschung können wir wissen, dass die äußerlich beobachtbaren mit Geist verknüpften Verhaltensweisen mit messbaren Gehirnaktivitäten korrelieren. Und seit dem Auftreten der ersten digitalen elektronischen Computer (ab ca. 1970) wissen wir, dass wir mit Hilfe von elektrischen Schaltungen (und zusätzlicher Programmierung) beobachtbare Verhaltensweisen hervorbringen können, die denen von Menschen immer mehr soweit ähneln, dass man vielfach nicht mehr unterscheiden kann, ob diese geistigen Verhaltensweisen von einem biologischen oder von einem nicht-biologischen (maschinellen) System hervorgebracht wurde/ wird. Waren die Bilder von intelligenten Maschinen in der Frühzeit des modernen Computers (ca. 1930 – 1950) weitgehend noch Visionen von Mathematikern, Logikern und Ingenieuren, so trat spätestens mit dem Supercomputer Deep Blue von IBM im Februar 1996 eine Maschine auf die Bühne, die einen amtierenden Schachweltmeister besiegen konnte. Konnte man dies noch einem Spezialbereich zuordnen, so war der Auftritt des Programms Dr. Watson im Februar 2011 im Rahmen einer nationalen Quizsendung der USA gegen zwei menschliche Konkurrenten mitten im Zentrum jener Verhaltensweisen, die wir gewöhnlich nur intelligenten Menschen vorbehalten. Hier von einer Maschinenwerdung des Geistes (in Anlehnung an das religiöse Bild von der Menschwerdung Gottes) zu sprechen, ist schwer abweisbar.
MARKETING FÜR KOGNITIVE COMPUTER WOHIN?
Während für die meisten Menschen – auch in Deutschland – kognitive Computer (bzw. intelligente Maschinen) noch eher unwirklich erscheinen, irgendwo noch im Bereich der Sciene Fiction angesiedelt sind, tritt die Vorstandsvorsitzende des internationalen Computerkonzerns IBM, Ginni Rommetti, öffentlich auf und verkündet Produkte und Dienste mit kognitiven Computerleistungen im Weltmaßstab (siehe z.B. den Auftritt 6.Januar 2016 und 12.Oktober 2015). Ihr Credo lautet, dass im allgemeinen Digitalisierungsprozess die Verfügbarkeit von kognitiven Computerleistungen den entscheidenden Unterschied bildet. Am Beispiel der Fitness-Firma underarmour versucht Rommetti zu verdeutlichen, dass das allgemeine Produkt der Fitness-Firma durch die Verbindung mit Dr. Watson zusätzliche Beratungsleistungen ermöglicht, die für den Kunden von Vorteil sind. Ähnlich argumentiert sie bei dem Medizindienstleister medtronic am Beispiel des Monitoring von Diabetespatienten. Während diese Beispiel noch bemüht klingen können, ist das Beispiel mit der Kooperation mit dem japanischen Roboterhersteller softbank und dessen Roboter Pepper schon sehr eindringlich. Dieser Roboter kann sich bewegen (wenn auch einfach) und sich anscheinend normal mit Menschen unterhalten. Durch die Verbindung mit dem Programm Dr. Watson arbeitet er schon als Finanzberater, als Empfangsdame in einem Hotel, und als Bedienstete in einer Kaffeebar. Weitere Einsatzweisen werden vorbereitet. Dabei ist zu beachten, dass das Programm Dr. Watson vollständig von Englisch auf Japanisch umgestellt wurde. In dieser Marketingshow waren kritische Überlegungen ausgeklammert. Alles wird mit der neuen Technologie besser.
FRAGEN DARF MAN STELLEN
Bei aller Würdigung für den historischen Moment des ersten Auftretens von kognitiven (intelligenten) Maschinen seit 13.8 Mrd Jahren stellen sich viele Fragen, die nicht beantwortet sind. In der TV-Show vom Oktober 2015 gab es immerhin einige Fragen (wenn auch sehr zurückhaltend). Eine ging auf die Zukunft der Arbeit: Was geschieht mit all den Menschen, die jetzt ihre Arbeit verlieren werden? Welches Konzept einer veränderten Gesellschaft gibt es? Diese Fragen bog Rommetti sofort ab. Die neue Technologie der kognitiven Maschinen soll Menschen nicht ersetzen, sondern soll eine neue Mensch-Maschine Partnerschaft ermöglichen interaktiv, dialogisch, soll zur Verbesserung der Qualität führen. Dass tatsächlich ja schon ganze Branchen unter dem Ansturm der neuen digitalen Technologien zusammenbrechen blieb außen vor.
Unbeachtet blieben auch Fragen der Qualität und Qualitätskontrolle: immer mehr, überall, auch im Bereich der Bildung und Erziehung soll Dr. Watson die Rolle des Trainers/ Lehrers/ Beraters übernehmen. Wer kontrolliert eigentlich Dr. Watson? Wer weiß eigentlich was Dr. Watson letztlich vermittelt, mit welchen Werten? Wie sieht es mit der Haftung aus? Was ist mit den sehr persönlichen sensiblen Daten?
Während die Menschheit sich seit einigen Jahrhunderten aus einem naiven Autoritätsdenken befreit hatte, unbefragtes Wissen durch aufklärerisches, wissenschaftliches Wissen ersetzt hatte, soll jetzt plötzlich jeder ganz neu, ganz naiv alles glauben, was Dr. Watson sagt und das zentralisiert als globales Über-Ich, als globaler Super-Gott. Was ist dies für ein Wissenskonzept? Welches Bild einer Gesellschaft wird hier unterstellt? Die vielen Videos und Webseiten sind alle monoton Produktorieniert, ohne einen Funken von Selbstreflexion, Kritik, ohne gesellschaftliche Verantwortung. Man könnte meinen, IBM heilt nun alle und jedes. Die ganzen Wertekonflikte, die menschlche Gesellschaften seit jeher prägen, scheinen im Bereich des kognitiven Computings nicht zu existieren.
TECHNOLOGIE
Auffällig ist, dass man nirgends brauchbare Daten zur genauen Technologie von Dr. Watson findet. Das White Paper von 2010 bleibt sehr im Allgemeinen. Für Experten kann man aus diesen Angaben zwar einige (sogar weitreichende) Schlüsse ziehen, aber für eine detaillierte Bewertung reicht dies natürlich nicht aus. Unter Experten wird z.B. diskutiert, ob die bei Dr. Watson zum Einsatz gekommene Technologie verglichen mit der google-Technologie veraltet sei, aber auch im Falle von google weiß man nichts Genaues. Die veröffentlichten Algorithmen und SW-Bibliotheken bilden ja nur Teilausschnitte aus einem größeren Ganzen und gemessen an den kognitiven Aufgaben eines Dr. Watson bleibt google – zumindest in der Öffentlichkeit – noch zurück. Der Auftritt von googles intelligenter Maschine AlphaGo als Go-Meister ist zwar beeindruckend, aber ersetzt keine dialogbasierte Interaktionen. Auch die sprachbasierten Dienste operieren bislang nur an statistischen Oberflächen und können wenig überzeugen. Sind das nur Kinderkrankheiten? Dr. Watson kann man so deuten, dass es nur Kinderkrankheiten sind, keine wirklichen Grenzen für das neue Kommende.
Auffällig ist jedenfalls, dass die Technologiefirmen das Eindringen in die kognitive und damit psycho-soziale Dimension von Gesellschaft, in die Welt des Wissens bislang genau so behandeln wie einfache technische Produkte. Psychologische, soziale, politische, kulturelle, werthafte Aspekte werden einfach ausgeklammert. Ist das die Selbstabschaffung des Menschen?
In der Sitzung am So 10.April 2016 wollen wir uns diesen Frage stellen.
PROGRAMMFORMAT
Moderation: Gerd Doeben-Henisch
16:00 Begrüßung
16:05 Kurze Einführung ins Thema
16:05 Gemeinsamer Diskurs I, Sichtbarmachung von Positionen
17:30 Blubberpause (Jeder kann mit jedem reden; Essen und Trinken)
18:00 Gemeinsamer Diskurs II, erste Zusammenfassungen, Tendenzen
18:45 Schlussstatements und Thema für das nächste Treffen
Watson – White Paper 2010: http://www-05.ibm.com/de/watson/pdf/POW03061DEDE.PDF
Rommetti Januar 2016: https://www.youtube.com/watch?v=VEq-W-4iLYU&ebc=ANyPxKpossms1mhki8rBfOPcpWdipFKj3-3LVd2jW2V5MsXOC0AyKXri4TuuerLhoD2esbLhuSpP&nohtml5=False
Rommetti Oktober 2015: https://www.youtube.com/watch?v=bMLYKhiZCVI&ebc=ANyPxKowbTytZ9AS9lIvHC8cHbFJsDXe67X-YcAY9vLk4ZhOjeHptZFTbUJt6rKZqisxfEv4RVqVFFe_C3RHrQcgEF3HCWetmA&nohtml5=False